Anwaltsblatt 2000/01 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
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einem Geständnis der strafbaren Handlung zu zwingen, denn dies<br />
wäre mit der Parteistellung des Beschuldigten unvereinbar.“ 10 ) Die<br />
Stellung des Beschuldigten als Prozeßsubjekt bedingt weiters, daß<br />
er nicht dazu gezwungen werden darf, „an der Wahrheitsfindung<br />
durch ein mündliches Geständnis oder dergestalt mitzuwirken, daß<br />
er seinen Körper für medizinische Eingriffe, mit anderen Worten<br />
als Beweismittel (gegen sich selbst) zur Verfügung stellt.“ 11 ) Der<br />
VfGH anerkennt das Verbot des Selbstbelastungszwanges, auch<br />
„nemo-tenetur“-Grundsatz12 ) genannt, in diesem Umfang als ein<br />
verfassungsgesetzlich gewährleistetes Grundrecht. 13 ) Mit Recht<br />
folgt heute die hL dieser Auslegung. 14 )<br />
III. Körperliche Eingriffe nach der<br />
bisherigen Rechtslage<br />
Bisher waren im österreichischen Strafprozeß Eingriffe in den<br />
menschlichen Körper gegen den Willen des Beschuldigten wegen<br />
ihrer Unvereinbarkeit mit dem Anklageprinzip unzulässig. 15 ) Das<br />
Strafverfahren wird von dem Grundsatz beherrscht, daß der Angeklagte<br />
„nicht verpflichtet ist, an der Wahrheitsfindung dergestalt<br />
mitzuwirken, daß er seinen Körper für medizinische Eingriffe“ zur<br />
Verfügung stellt. 16 ) Einen Sonderfall hierzu stellt die Blutabnahme<br />
dar: § 5 Abs 6 StVO erlaubt ausdrücklich eine ärztliche Blutabnahme<br />
bei bestimmten Straßenverkehrsteilnehmern, die verdächtig<br />
sind, sich in einem alkoholisierten Zustand zu befinden.<br />
Der Betroffene hat diesfalls die Blutabnahme an sich vornehmen zu<br />
lassen. Wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Anklageprozeß<br />
wurde diese Bestimmung in Verfassungsrang gehoben. Doch sie<br />
bedeutet nicht, daß einem Verdächtigen derzeit zwangsweise Blut<br />
abgenommen werden darf. 17 ) Der Betroffene hat die Möglichkeit,<br />
den Eingriff ausdrücklich oder konkludent zu verweigern. 18 ) Allerdings<br />
wird die Verweigerung als Verwaltungsstraftat mit einer<br />
Strafdrohung von S 8000.– bis S 50.000.– Geldstrafe oder einer<br />
Freiheitsstrafe von bis zu 6 Wochen geahndet. Der VfGH hat ausdrücklich<br />
festgestellt, daß eine Verweigerung nicht durch zwangsweise<br />
Blutabnahme, sondern ausschließlich durch Verhängung<br />
einer Verwaltungsstrafe sanktioniert werden darf: „Es würde dem<br />
Charakter des § 5 Abs 6 StVO als Ausnahmebestimmung zu<br />
Art 90 Abs 2 B-VG widersprechen, in extensiver und dem Willen<br />
des historischen Gesetzgebers zuwiderlaufender Auslegung dieser<br />
Bestimmung die Ermächtigung zur zwangsweisen behördlichen<br />
Blutabnahme gegen den Willen des Betroffenen zu entnehmen.“ 19 )<br />
Das bedeutet, daß dem Betroffenen gegen seinen Willen nicht mit<br />
Zwang Blut abgenommen werden darf. Natürlich kann man aufgrund<br />
der Strafsanktion des § 99 StVO nicht wirklich von einer<br />
gänzlich „freien“ Entscheidung sprechen. 20 ) Dennoch läßt die<br />
Möglichkeit, den Eingriff zu verweigern und eine Geldstrafe zu<br />
zahlen, eine Willensentscheidung zu. Die zwangsweise Blutabnahme<br />
hingegen verhindert jegliche Willensausübung. Da die Blutabnahme<br />
ohne Einwilligung des Betroffenen unzulässig ist, darf<br />
Abhandlungen<br />
auch Bewußtlosen nach VfGH-Rsp und hM kein Blut abgenommen<br />
werden. 21 ) Dem Bewußtlosen bleibt ja nicht einmal die Möglichkeit,<br />
sich dem Eingriff zu widersetzen und dafür eine Verwaltungsstrafe<br />
in Kauf zu nehmen. Sein Wille würde sozusagen übergangen,<br />
und das ist gleichzusetzen mit Zwang. Zu Recht stellt der<br />
VfGH fest, daß eine Blutabnahme bei Bewußtlosen schon deshalb<br />
ausscheidet, weil sie bei diesen von vornherein lediglich als unmittelbare<br />
behördliche Zwangsmaßnahme denkbar und möglich<br />
ist. 22 )<br />
Auch das 1999 novellierte SPG 23 ), das den Mundhöhlenabstrich 24 )<br />
im Rahmen der erkennungsdienstlichen Maßnahmen sowie die<br />
Ermittlung der DNA anhand der gewonnenen Spuren zuläßt (§ 64<br />
Abs 2, § 67 SPG), sieht in § 78 SPG nun ausdrücklich vor, daß<br />
die erkennungsdienstlichen Maßnahmen nur soweit zwangsweise<br />
durchgesetzt werden dürfen, als damit kein Eingriff in die körperliche<br />
Integrität des Betroffenen verbunden ist. 25 )<br />
10) VfSlg 5235/1966.<br />
11) VfSlg 11.923/1988, 10.976/1986, ebenso SSt 29/85.<br />
12) Zu einer historischen Aufarbeitung des Grundsatzes „nemo tenetur se<br />
ipsum accusare“ siehe Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen<br />
sich selbst (1967) 67ff.<br />
13) Öhlinger in FS Klecatsky 195, Thienel, Anklageprinzip und Verwertung<br />
erzwungener selbstbelastender Aussagen, JBl 1992, 485ff.<br />
14) Adamovic/Funk, Verfassungsrecht 3 , 316, Höpfel, Zur Bedeutung des<br />
Zeugnisverweigerungsrechtes nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO, in FS Platzgummer<br />
(1995) 254f, Mathis, Hat der Beschuldigte ein Schweigerecht<br />
im österreichischen Strafverfahren? AnwBl 1986, 275, Moos, Die<br />
Wahrheitspflicht des Beschuldigten, Juridikum 1995/4, 35, Pernthaler,<br />
Allgemeine Staatslehre und Verfassungsrechtslehre 3 , 237, St. Seiler,<br />
Anklageprozeß 16ff u 54ff, ders StPO 2 , 55f, Thienel, JBl 1992, 485ff,<br />
Weiler, Die zwangsweise Blutabnahme in der Strafrechtspflege als<br />
verfassungsrechtliches Problem, ZVR 1958, 181; unklar Schmoller, Erzwungene<br />
selbstbelastende Aussagen im Strafprozeß, JBl 1992, 71f,<br />
Bertel, StPO 5 Rz 24, Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht 8 , 786.<br />
15) Bertel, StPO 5 Rz 532, St. Seiler, StPO 2 , 95f, Foregger/Kodek, StPO 7<br />
§ 132 Anm I, Mayerhofer, StPO 4 § 202 Anm 2, speziell zur Blutabnahme<br />
Weiler, ZVR 1958, 183, 185.<br />
16) VfSlg 10.976/1986, 11.923/1988, ebenso SSt 29/85.<br />
17) VwSlgNF 9975, VfSlg 11.923/1988.<br />
18) § 99 Abs lit c StVO; Dittrich/Stolzlechner, StVO I § 5 StVO Rz 197,<br />
213ff.<br />
19) VfSlg 11.923/1988.<br />
20) St. Seiler, Anklageprozeß, 143, insb 144f.<br />
21) VfSlg 11.923/1988; Platzgummer, Strafverfahren 8 , 131, St. Seiler,<br />
Anklageprozeß, 145f, Dittrich/Stolzlechner, StVO I § 5 StVO Rz 197,<br />
Herbich/Depastas, Blutentnahme zum Zwecke der Blutalkoholbestimmung<br />
bei Bewußtlosen, RZ 1980, 162; aM Foregger/Kodek, StPO 7<br />
Anm III.<br />
22) VfSlg 11923/1988.<br />
23) BGBl I 1999/146.<br />
24) Beim Mundhöhlenabstrich wird mit einem Filzstäbchen Speichel des<br />
Betroffenen entfernt.<br />
25) Speichel kann ohne Verletzung der körperlichen Unversehrtheit aus der<br />
Mundhöhle entfernt werden, ein körperlicher Eingriff liegt nicht vor. Es<br />
ist zwar nicht eindeutig im Gesetzestext aber ausdrücklich in den<br />
EBRV 1479 BlgNR 20. GP 22 darauf hingewiesen, daß auch der<br />
Mundhöhlenabstrich mangels Erforderlichkeit nicht mittels Zwangsge-<br />
AnwBl <strong>2000</strong>/1 9