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Anwaltsblatt 2000/01 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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Europa<br />

Gratifikation zu verweigern, wenn die Gewährung<br />

dieser Zuwendung nur von der Voraussetzung<br />

abhängt, dass sich der Arbeitnehmer<br />

zum Zeitpunkt der Gewährung im aktiven<br />

Beschäftigungsverhältnis befindet.<br />

3. Art 119 EGV, Art 11 Abs 2 Buchstabe b der<br />

RL 92/85/EWG und § 2 Abs 6 des Anhangs<br />

der RL 96/34/EG untersagen es nicht, dass ein<br />

Arbeitgeber bei der Gewährung einer Weihnachtsgratifikation<br />

an eine Frau, die sich im<br />

Erziehungsurlaub befindet, Zeiten des Erziehungsurlaubs<br />

anteilig leistungsmindernd berücksichtigt.<br />

Dagegen untersagt es Art 119 EGV, dass ein<br />

Arbeitgeber bei der Gewährung einer Weihnachtsgratifikation<br />

Mutterschutzzeiten (Beschäftigungsverbote)<br />

anteilig leistungsmindernd berücksichtigt.<br />

EuGH, Susanne Lewen/Lothar Denda, Urteil vom 21. 10. 1999<br />

Nach Art 119 (nunmehr 141) EGV sind die Mitgliedstaaten verpflichtet,<br />

den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und<br />

Frauen bei gleicher Arbeit anzuwenden und beizubehalten. Unter<br />

Entgelt sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne bzw -gehälter<br />

sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber<br />

aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar<br />

und unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt. Die Klägerin<br />

im Ausgangsverfahren war einige Jahre als Vollzeitbeschäftigte<br />

bei einem Unternehmen beschäftigt, wurde Anfang 1996 schwanger<br />

und war mit Unterbrechungen bis zum Beginn der im deutschen<br />

Mutterschutzgesetz festgelegten Mutterschutzfrist tätig. Daraufhin<br />

beantragte sie den im deutschen Recht vorgesehenen Erziehungsurlaub<br />

(über ca 3 Jahre). Bis zu ihrer Schwangerschaft hatte<br />

sie gleich den anderen Beschäftigten jährlich eine Weihnachtsgratifikation<br />

in Höhe eines Monatsentgelts erhalten. Dies war für das<br />

Jahr 1996 nicht der Fall, weswegen es zum Ausgangsverfahren<br />

kam. Das vorlegende Gericht, das die Versagung der Gratifikationsleistung<br />

als für unvereinbar mit dem Diskriminierungsverbot des<br />

EGV befand, wollte zunächst wissen, ob eine Weihnachtsgratifikation<br />

der streitigen Art unter den Begriff des Entgelts iS Art 119 EGV<br />

bzw des Arbeitsentgelts iS der RL 92/85/EWG falle, wenn diese<br />

Weihnachtsgratifikation vom Arbeitgeber vorrangig als Anreiz für<br />

zukünftige Dienstleistungen bzw Betriebstreue gewährt wird. Trotz<br />

des Einwands des Beklagten, dass die Gratifikation eine freiwillige<br />

Sonderzuwendung zu Weihnachten sei, befand es der EuGH für<br />

die Anwendung von Art 119 EGV als unerheblich, aus welchem<br />

Grund der Arbeitgeber die Leistung gewährt, sofern diese im<br />

Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis erbracht wird.<br />

Dagegen fällt die Weihnachtsgratifikation nach Dafürhalten des<br />

Gerichtshofs nicht unter den Begriff des Arbeitsentgelts iS der RL<br />

92/85/EWG, weil sie nicht sicherstellen soll, dass die Arbeitnehmerin<br />

während des Mutterschaftsurlaubs Bezüge in der genannten<br />

Höhe erhält. Fraglich erschien weiters die Zulässigkeit eines Ausschlusses<br />

einer Arbeitnehmerin von der Weihnachtsgratifikation,<br />

weil sie sich zum Auszahlungszeitpunkt in Erziehungsurlaub befindet.<br />

Das Verbot der diskriminierenden Ungleichbehandlung von männlichen<br />

und weiblichen Arbeitsnehmern ist wegen seines Charakters<br />

nicht nur für staatlichen Stellen verbindlich, sondern erstreckt sich<br />

auf alle Tarifverträge, die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv<br />

regeln und auf alle Verträge zwischen Privatpersonen. Dieses Verbot<br />

ist auch für das einseitige Handeln eines Arbeitgebers gegenüber<br />

seinem Personal verbindlich. Allerdings bedeutet nach Meinung<br />

des EuGH die Tatsache, dass eine Vergünstigung der streitigen<br />

Art unter den weiten Entgeltsbegriff von Art 119 EGV fällt,<br />

nicht zwangsläufig, dass sie als Vergütung für in der Vergangenheit<br />

geleistete Dienste gilt. Diese Tatsachenfrage habe vielmehr<br />

das nationale Gericht anhand seines nationalen Rechts zu beurteilen.<br />

Hiebei ist ua zu berücksichtigen, dass ein Arbeitnehmer, der<br />

einen gesetzlich zustehenden Erziehungsurlaub sowie Erziehungsbeihilfe<br />

wahrnimmt, sich in einer anderen Situation befindet, als<br />

männliche oder weibliche Arbeitnehmer, die arbeiten, da im Rahmen<br />

dieses Urlaubs sowohl der Arbeitsvertrag als auch die jeweiligen<br />

Pflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ruhen. Zu unterscheiden<br />

ist, ob die Zahlung einer Gratifikation eine Sonderzuwendung<br />

darstellt, die der Arbeitgeber freiwillig zu Weihnachten<br />

gewährt und die keine Vergütung für geleistete Arbeit sein soll,<br />

oder ob sie eine Vergütung für im Jahr ihrer Gewährung geleistete<br />

Arbeit darstellt: Im ersten Fall würde die Nichtbezahlung einer freiwillig<br />

zu Weihnachten gezahlten Gratifikation keine Diskriminierung<br />

iSd Art 119 EGV darstellen, wenn die Voraussetzung das<br />

Bestehen eines zum Zeitpunkt der Gewährung aktiven Beschäftigungsverhältnisses<br />

wäre; im zweiten Fall würde eines solche Nichtzahlung<br />

allerdings eine Diskriminierung darstellen, da sich weibliche<br />

Arbeitnehmer bei der Gewährung einer Gratifikation häufiger<br />

im Erziehungsurlaub befänden als männliche Arbeitnehmer. Zur<br />

Frage der Berücksichtigung von Mutterschutzzeiten stellt der EuGH<br />

fest, dass diese Zeiten Beschäftigungszeiten gleichzustellen sind.<br />

Daraus folgt ua auch, dass es Art 119 (nunmehr 141) EGV untersagt,<br />

bei der Gewährung einer Weihnachtsgratifikation Mutterschutzzeiten<br />

anteilig leistungsmindernd zu berücksichtigen.<br />

Christine Stix-Hackl<br />

24 AnwBl <strong>2000</strong>/1

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