Anwaltsblatt 2000/01 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
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Blutabnahme auch dann unzulässig, wenn die Duldungspflicht in<br />
Verfassungsrang steht. 33 )<br />
In den Erläuterungen ist zu lesen, daß es zur verfassungsrechtlichen<br />
Beurteilung darauf ankommen wird, „ob die ‚medizinische‘<br />
Behandlung selbst oder bloß die Vorführung zum Arzt durch unmittelbaren<br />
Zwang durchgesetzt werden soll“. Hier ist fraglich, was<br />
sich die Verfasser des Entwurfes von der zwangsweisen Vorführung<br />
versprechen. Glauben sie die Betroffenen so einzuschüchtern,<br />
daß diese – einmal vorgeführt – allem zustimmen? Wie soll die<br />
zwangsweise Vorführung praktisch aussehen? Die Polizei schleppt<br />
den Betroffenen mit Handschellen vor den Arzt und erklärt ihm<br />
dann, daß er nun die Untersuchung verweigern könne? Das wird<br />
in der Praxis doch nicht geschehen. Man wird die Person zwangsweise<br />
vorführen und ohne weitere Belehrung eine Blutabnahme<br />
oder sonstige Eingriffe vornehmen. Der Betroffene, der bereits<br />
unter Anwendung von Zwangsgewalt zum Arzt befördert wurde,<br />
wird sich gegen die Behandlung selbst nicht mehr wehren. Vielleicht<br />
entspricht gerade das den Vorstellungen der Verfasser des<br />
Entwurfes. Vielleicht stellt man sich dann auf den Standpunkt, daß<br />
der Vorgeführte, der sich nun nicht mehr sträubt, konkludent zustimme.<br />
Das ist entschieden abzulehnen. Durch die Anwendung<br />
von Zwang erweckt man im Betroffenen die Annahme, daß auch<br />
der Eingriff selbst zwangsweise durchführbar sei. Der Betroffene<br />
wird getäuscht, und das schließt eine konkludente Zustimmung<br />
aus. In Unkenntnis seiner Entscheidungsmöglichkeiten kann man –<br />
weder ausdrücklich noch konkludent – davon Gebrauch machen.<br />
Diese Art der Gesetzgebung ist unseriös. Will man so massive<br />
Grundrechtseingriffe vorsehen, sollte man es offen tun und sich der<br />
verfassungsrechtlichen Problematik stellen, anstatt leges imperfectae<br />
zu schaffen und auf ein „Funktionieren“ in der Praxis im oben<br />
genannten Sinn zu vertrauen. ME sind Blutabnahmen und andere<br />
körperliche Eingriffe ohne Einwilligung des Betroffenen verfassungswidrig<br />
und daher abzulehnen.<br />
Als Rechtfertigung wird in den Erläuterungen vorgebracht, daß<br />
sich diese neuen Bestimmungen auf die Rechtsprechung des EGMR<br />
stützen können und sie in Deutschland, einem Staat mit vergleichbarer<br />
Rechtsordnung, bereits gelten. 34 ) Beides ist richtig. Der<br />
EGMR hat ausgesprochen, daß sich das Recht, sich nicht selbst<br />
beschuldigen zu müssen, „nicht auf die Verwertung von Material<br />
erstreckt, welches vom Beschuldigten durch den Einsatz von<br />
Zwangsbefugnissen erlangt werden kann, welches jedoch unabhängig<br />
vom Willen des Beschuldigten eigenständig existiert, wie<br />
ua Schriftstücke, welche gemäß einem Gerichtsbefehl erlangt werden,<br />
Atemluft-, Blut- und Harnproben . . .“ 35 ) Der Gesetzgeber<br />
sollte aber nicht vergessen, daß der EGMR nur die äußersten<br />
Schranken des Zulässigen absteckt. Er gibt die Rahmenbedingungen<br />
vor, nach denen sich die einzelnen Staaten zu richten haben.<br />
Aus Art 60 EMRK ergibt sich, daß die Menschenrechtskonvention<br />
nur einen Mindeststandard darstellt. Sie darf nicht bei der Interpretation<br />
verwendet werden, um sonst gewährte Rechte einzuschrän-<br />
Abhandlungen<br />
ken. 36 ) Hinsichtlich des Verweises auf Deutschland ist anzumerken,<br />
daß das deutsche Schrifttum im Gegensatz zur Rsp Eingriffe in die<br />
körperliche Integrität gegen den Willen des Beschuldigten für verfassungswidrig<br />
hält. 37 ) Die bisherige Rechtslage, nach der die<br />
zwangsweisen körperlichen Eingriffe unzulässig sind, stellt eine<br />
der löblichen Ausnahmen dar, in denen das österreichische Gesetz<br />
grundrechtsfreundlicher ist als das deutsche. Offensichtlich<br />
beunruhigt dieser Zustand den österreichischen Gesetzgeber,<br />
denn er versucht prompt, ihn zu beseitigen. Die Wahrung der<br />
Grundrechte scheint kein Ziel der Reform des strafprozessualen<br />
Vorverfahrens zu sein. Im Gegenteil, die Verankerung zwangsweiser<br />
körperlicher Eingriffe läßt eine Tendenz in Richtung Inquisitionsprozeß<br />
ausmachen. Diese Art des Strafverfahrens sah die Wahrheitsfindung<br />
mit allen Mitteln als oberstes Prozeßziel an. Der Beschuldigte<br />
hatte keine Subjektstellung mit Verfahrensrechten inne,<br />
sondern diente ausschließlich als Beweisobjekt der Wahrheitsfindung.<br />
Nichts anderes sieht der Diskussionsentwurf im § Z 10 vor.<br />
Es darf zwangsweise in das „haut- und muskelumschlossene Innere<br />
des Körpers (des Beschuldigten) eingegriffen“ werden, 38 ) um daraus<br />
Beweise zu entnehmen und gegen ihn zu verwenden. Was bleibt<br />
letztlich von der Subjektstellung des Beschuldigten übrig? Gar<br />
nichts, er hat als bloßes Objekt des Verfahrens der Beweisgewinnung<br />
zu dienen und damit selbst zu seiner Belastung beizutragen.<br />
VI. Schlußbemerkung<br />
Der Diskussionsentwurf zur Reform des strafprozessualen Vorverfahrens<br />
weist einige positiv zu bewertende Punkte auf. Es handelt<br />
sich um Bestimmungen, die den Anschein erwecken, daß der Gesetzgeber<br />
die Vorgaben des im Art 90 Abs 2 B-VG verankerten<br />
Anklageprozesses ernst nimmt: Durch die gesetzliche Verankerung<br />
der Belehrungspflichten dem Beschuldigten gegenüber und deren<br />
Absicherung durch ein Verwertungsverbot wurde die Stellung des<br />
Beschuldigten als Prozeßsubjekt verbessert. Als besonders positiv<br />
hervorzuheben sind die Verwertungsverbote, die der Gesetzgeber<br />
bei Verletzungen der Vernehmungsbestimmungen vorsieht. Sie zeigen,<br />
daß der Beschuldigte nicht um jeden Preis zur Wahrheitsfindung<br />
herangezogen werden darf. Nur Beweismaterial, das unter<br />
Achtung der Stellung des Beschuldigten erlangt wurde, kann im<br />
Verfahren gegen ihn verwertet werden. Diese Bestimmungen erwecken<br />
den Anschein, daß der Gesetzgeber anläßlich der Reform<br />
des Vorverfahrens für die Wahrheitsfindung in materiell-rechtstaatlicher<br />
Form eintritt. In den Vorbemerkungen zum Entwurf findet sich<br />
die Aussage, daß in der Hauptverhandlung nur solche Beweismit-<br />
33) Siehe oben Punkt II.<br />
34) Entwurf des BMJ Z 43.<br />
35) ÖJZ-MRK 1998/1.<br />
36) Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar 2 Art 60.<br />
37) Nachweise bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44 § 81a Rz 1.<br />
38) Entwurf des BMJ Z 45.<br />
AnwBl <strong>2000</strong>/1 11