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Es begann mit einem Quadrat - Deutsche Guggenheim

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lers zu offenbaren, der sich als Maler,<br />

Philosoph, Lehrer, Architekt, Designer<br />

bewährte und s<strong>einem</strong> Land bei<br />

der Oktoberrevolution von 1917 als<br />

Kulturfunktionär diente. Nach dem<br />

Tod von Lenin, den er als Messias<br />

verehrt und zugleich ideologisch bekämpft<br />

hatte, wurde er degradiert.<br />

Sogar im Gefängnis hat er gesessen.<br />

Auch im Dezember 1915, als das<br />

„Schwarze <strong>Quadrat</strong>“ seine von<br />

den Kritikern verspottete Premiere<br />

feierte, quälten Malewitsch<br />

noch andere Sorgen: Er hatte einen<br />

Mythos in die Welt gesetzt, dessen<br />

Tragweite er selber nur mühsam begriff.<br />

Als die Arbeit vollbracht war,<br />

konnte der Künstler (so seine Mitarbeiterin<br />

Anna Leporskaja) „eine<br />

Woche lang weder trinken noch essen<br />

noch schlafen“. Er zog Bilanz:<br />

Schließlich war das erhabene Signet<br />

ja nicht aus Übermut entstanden,<br />

sondern <strong>einem</strong> experimentierfreudigen<br />

Milieu entwachsen, in dem geniale<br />

Künstler wie Michail Larionow<br />

und Natalja Gontscharowa, Wladimir<br />

Tatlin und Alexander Rodtschenko<br />

sich ernsthaft um eine lebensnahe<br />

Synthese von Kubismus und Futurismus<br />

bemühten.<br />

Die Abstraktion – lag denn dieses<br />

Thema nicht längst in der Luft?<br />

Wassily Kandinsky hatte sich ihr genähert,<br />

und die Gontscharowa hatte<br />

für „die Kunstwerke des Ostens“ gefordert:<br />

„Sie kopieren die Natur nicht<br />

… sie schaffen sie neu.“ In dieselbe<br />

Kerbe hieb die kakophonische Oper<br />

„Sieg über die Sonne“ von Michail<br />

Matjuschin (1913), an deren Skandalerfolg<br />

in St. Petersburg Malewitsch<br />

<strong>mit</strong> abstrakten, den Bühnenraum<br />

zum Kosmos weitenden Szenenbildern<br />

beteiligt war. „Zerschlagen ist<br />

die Sonne“, jubiliert zum Finale der<br />

Chor, „es lebe die Dunkelheit … unser<br />

Licht ist in uns.“ Malewitsch erfand<br />

diesem Licht ein Symbol und<br />

einen Namen.<br />

Eigentlich alles ganz konsequent;<br />

dennoch, andererseits, auch eine Ungeheuerlichkeit:<br />

„<strong>Es</strong> wäre wert“, grübelte<br />

der <strong>Quadrat</strong>-Maler, „darüber<br />

nachzudenken, was das ist und was in<br />

ihm ist. Niemand tat dies bisher. Und<br />

ich selbst bin nun <strong>mit</strong> der unver-<br />

16 art 1/03<br />

Ikonen der Arbeitswelt: Die „Mädchen auf dem Feld“ (106 x 125 cm, 1928/1929) boten eine<br />

Zu neuen Ufern<br />

oder krass zurück?<br />

Parteichef Lenin tolerierte<br />

die Abstraktion als Kunst der<br />

russischen Revolution; nach<br />

s<strong>einem</strong> Tod (1924) kehrte der<br />

Gegenstand wieder – auch<br />

bei Malewitsch. Konzession an<br />

das immer rigidere Sowjetregime,<br />

dem er als Kulturfunktionär<br />

gedient hatte oder Fortentwicklung<br />

des Suprematismus,<br />

wie der Maler behauptete? Die<br />

Frage bleibt ungeklärt. Fest<br />

steht: Auch das späte Selbstbildnis<br />

als Renaissance-<br />

Fürst (1933) ist künstlerisch<br />

von hoher Qualität<br />

Der Landarbeiter als Guru und suprematistisches<br />

Idol: „Kopf eines Bauern“<br />

(72 x 54 cm, 1928/1929). Rechts:<br />

„Schnitterin“ (72 x 72 cm, 1928/1929),<br />

ein Monument der Plackerei<br />

Alternative zum sozialistischen Realismus<br />

Selbstporträt (73 x 66 cm) von 1933<br />

Natalja Malewitsch (68 x 56 cm, 1933)<br />

wandten Betrachtung seiner geheimnisvollen<br />

schwarzen Fläche beschäftigt<br />

… In ihm, dem <strong>Quadrat</strong>, sehe ich<br />

das, was die Menschen einstmals im<br />

Angesicht Gottes sahen.“<br />

Im dumpfen „Donner der Oktoberkanonen“<br />

(Malewitsch) mutierte<br />

der Seher allerdings jäh zum quirligen<br />

Macher. Wie fast alle Intellektuellen<br />

begrüßte er die Revolution<br />

und diente ihr als Exponent so seltsamer<br />

Chiffren wie „Ginchuk“, „Inchuk“,<br />

„Wchutemas“ oder „Unowis“.<br />

Das waren bürokratische Abkürzungen<br />

für staatlich geförderte, utopische<br />

Künstlerprojekte, wie sie die<br />

Moderne kein zweites Mal erlebt hat.<br />

Allein 36 neue Museen wurden gegründet<br />

und 26 weitere geplant, als<br />

sich Malewitsch 1917 in der Moskauer<br />

„Kommission zum Schutz der<br />

Kunstschätze“ nützlich machen durfte.<br />

„Alles Gestrige“, lobte der Kommissar,<br />

„wurde abgestreift.“<br />

Hinter dem Kürzel „Unowis“<br />

(Begründer der neuen Kunst)<br />

verbarg sich folgende Aktion:<br />

Malewitsch – damals zugleich Lehrer<br />

für Malerei und Textilkunst an der<br />

neuen Moskauer Kunstgewerbeschule<br />

„Wchutemas“ – wurde 1920 <strong>mit</strong> <strong>einem</strong><br />

Rollkommando seiner Kunstjünger<br />

nach Witebsk in Weißrussland delegiert,<br />

um die vom Kollegen Marc<br />

Chagall (1887 bis 1985) geleitete<br />

Kunstakademie aufzumischen. Er<br />

drängte Chagall aus dem Amt und<br />

bedeckte jede geeignete Fassade und<br />

jeden Gartenzaun <strong>mit</strong> seinen suprematistischen<br />

Symbolen. „Mir war, als<br />

sei ich in eine verzauberte Stadt geraten,<br />

aber zu jener Zeit war alles möglich<br />

und wunderbar“, schrieb eine<br />

Zeitzeugin.<br />

„Inchuk“ nannten die Moskauer<br />

Revolutionäre eine neue Kunstschule,<br />

an der Kandinsky bis 1921 <strong>mit</strong><br />

Kursen über psychische Kunstwahrnehmung<br />

den Lehrplan beherrschte,<br />

und an der Malewitsch neben Tatlin<br />

und Lissitzky nur Vorlesungen<br />

hielt. Chef wurde er 1924 am 1922<br />

gegründeten Leningrader „Ginchuk“<br />

(Staatliches Institut für künstlerische<br />

Kultur), einer interdisziplinären Akademie,<br />

an der er seinen Suprematismus<br />

predigen, aber auch Porzellan-<br />

art 1/03 17

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