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Pierre Bonnard - Druckservice HP Nacke KG

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DIE BESTE ZEIT<br />

Das Magazin für Lebensart<br />

Wuppertal und Bergisches Land August/September 2010 - 3,50 Euro<br />

<strong>Pierre</strong> <strong>Bonnard</strong><br />

Von der Heydt-Museum Wuppertal<br />

Zweimal „Tod in Florenz“<br />

Opernhaus Wuppertal<br />

Von Wuppertal in die Welt<br />

Bodo Berheide: Die Figura magica<br />

Eleni - von Kai Schubert<br />

Wuppertaler Bühnen<br />

Licht fangen<br />

Karl Heinz Steckelings<br />

Ein Mond für die Beladenen<br />

Schauspielhaus Bochum<br />

Karl Otto Mühl<br />

Eine amüsante Erzählung<br />

Japan in einem Atemzug<br />

Michael Zeller<br />

Der glücklichste Mensch<br />

A. Steffens Portrait des Sammlers<br />

Da ist Musik drin<br />

Hochschule für Musik und Tanz<br />

Neue Kunstbücher<br />

Vorgestellt von Thomas Hirsch<br />

Kulturnotizen<br />

von Frank Becker und Andreas Rehnolt<br />

1


Impressum<br />

Spielzeit 2010/2011<br />

WUPPERTAL SPIELT!<br />

START IN DIE SAISON<br />

11. September 2010<br />

14:00 Uhr //// AM SCHAUSPIELHAUS<br />

THEATERFAMILIENFEST<br />

Gratis, drinnen und draußen.<br />

20:00 Uhr //// HISTORISCHE STADTHALLE<br />

OPERNGALA*<br />

22:00 Uhr //// KLEINES SCHAUSPIELHAUS<br />

ERÖFFNUNGSPARTY*<br />

* Bitte Tickets reservieren<br />

Jetzt das Spielzeitbuch anfordern:<br />

info@wuppertaler-buehnen.de<br />

„Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und im<br />

Bergischen Land<br />

Auflage 4.000 Exemplare<br />

Erscheinungsweise: 5 mal pro Jahr<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong> - Die beste Zeit<br />

Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal<br />

Telefon 02 02 - 28 10 40<br />

E-Mail: verlag@hpnackekg.de<br />

V. i. S. d. P.: HansPeter <strong>Nacke</strong> und Frank Becker<br />

Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal<br />

Bildnachweise/Textquellen sind unter den<br />

Beiträgen vermerkt.<br />

Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht<br />

immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber<br />

wider. Für den Inhalt dieser Beiträge<br />

zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.<br />

Umschlagabbildung: <strong>Pierre</strong> <strong>Bonnard</strong>,<br />

Die weiße Tischdecke, Von der Heydt-Museum<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2010<br />

Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht<br />

sinnentstellend, liegen im Ermessen der<br />

Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge<br />

kann keine Gewähr übernommen werden.<br />

Nachdruck – auch auszugsweise – von Beiträgen<br />

innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der<br />

ausdrücklichen Genehmigung des Verlages.<br />

Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung,<br />

Irrtümer oder Unterlassungen keine<br />

Haftung übernommen.<br />

Ein Künstler wird im Gegensatz zum Dichter oder Musiker<br />

zum Marktobjekt gemacht.<br />

Und es ist nicht sehr befriedigend zu wissen, dass ein Bild,<br />

das eigentlich ein geistiges Konzentrat ist,<br />

als Wertobjekt gehandelt wird.<br />

[Anselm Kiefer]<br />

ERÖFFNUNGSPREMIEREN<br />

Ab 18. September 2010 //// KLEINES SCHAUSPIELHAUS<br />

MACBETH Tragödie von William Shakespeare<br />

Ab 19. September 2010 //// OPERNHAUS<br />

LA BOHÈME Oper von Giacomo Puccini<br />

Ab 1. Oktober 2010 //// OPERNHAUS<br />

DER KIRSCHGARTEN<br />

Komödie von Anton Tschechow<br />

WUPPERTALER BÜHNEN<br />

Oper //// Schauspiel<br />

wuppertaler-buehnen.de TICKET-HOTLINE (0202) 569 44 44


Editorial<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

in den Iden des Juli ein Editorial zu schreiben, ist mit den Füßen im Wasser ein Vergnügen.<br />

Allzu leicht ersetzt sonst in diesen Sommertagen die Transpiration die Inspiration.<br />

Mit dem Einläuten der Sommerpause gilt für die Diskussion um die Zukunft der Wuppertaler<br />

Bühnen Marcel Reich-Ranickis Lieblingszitat: „ ... Und so sehen wir betroffen/Den Vorhang<br />

zu und alle Fragen offen“ (Der gute Mensch von Sezuan).<br />

Spätestens mit Beginn der neuen, ambitionierten Spielzeit der Bühnen am 2. Septemberwochenende<br />

wird die notwendige Diskussion über das vorliegende Actori-Gutachten wieder<br />

an Fahrt gewinnen.<br />

Ausgehend von der Fragestellung des Aufsichtsrates der Wuppertaler Bühnen: „Wieviel Theater<br />

kann sich Wuppertal zukünftig für einen jährlichen Zuschuss von 8,38 Mio. Euro leisten?“,<br />

haben die Münchner Kulturconsulter drei rechnerisch mögliche Szenarien entwickelt: Erhalt<br />

beider Sparten auf niedrigstem Niveau oder Konzentration auf Sprech- oder Musiktheater,<br />

verbunden mit der Darstellung der Möglichkeit von Kompensation für den Verlust der<br />

jeweiligen Sparte. Im Januar wird zudem das Ergebnis einer Untersuchung der<br />

Zusammenarbeit im Bereich Theater & Konzerte im Bergischen Städtedreieck vorliegen,<br />

welches vom Land mit 90 % bezuschusst wird.<br />

Die neue Landesregierung will die Sicherung der kommunalen Theater- und<br />

Orchesterlandschaft gleichfalls unterstützen und prüfen „... inwieweit und auf welchem Wege<br />

dazu die Erhöhung des Landesanteils möglich und notwendig ist.“ Dabei möchte man<br />

„strukturelle Erneuerungen und sinnvolle Kooperationen“ unterstützen.<br />

Die gleichfalls bedrohte Theaterlandschaft des Ruhrgebiets beabsichtigt zunächst mit einer<br />

Potentialanalyse seiner Theater in die neue Spielzeit zu starten, um bei Erhalt der kulturellen<br />

Vielfalt Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuloten, was ich sehr aufmerksam verfolge.<br />

Die Wuppertaler Kulturverwaltung wird im Herbst durch ein entsprechendes Diskussionsangebot<br />

den Versuch unternehmen, der Theaterdiskussion im Tal Struktur zu geben.<br />

Jenseits der Bühne ist die Wuppertaler Kulturszene dank einer Entscheidung der Politik, die<br />

gesetzten Finanzziele in Teilen nicht durch Kürzungen, sondern eine Verbesserung der Einnahmesituation<br />

zu erreichen, bis auf weiteres gut davongekommen.<br />

Im Gegensatz zu anderen Städten gibt es keine Einschränkungen des Bibliotheksangebotes und<br />

eine Förderung der freien Kulturszene wird in unveränderter Höhe fortgesetzt.<br />

Außerdem wird im Herbst eine auf Wuppertaler Anregung in Auftrag gegebene Bestandsanalyse<br />

zum Thema Kultur-und Kreativwirtschaft im Bergischen Städtedreieck der<br />

Bergischen Entwicklungsagentur vorgelegt werden können, worüber ich sehr froh bin. Erstmals<br />

wird dann qualitativ und quantitativ Klarheit darüber herrschen, welchen Stellenwert<br />

die Kreativen im bergischen Wirtschaftsleben einnehmen. Wer seine Stärken stärken möchte,<br />

muss sie auch kennen und auch die IHK begrüßt eine solche, überfällige Potentialanalyse.<br />

Salomon Bausch zeichnet für das kürzlich öffentlich vorgelegte Konzept der Pina Bausch<br />

Stiftung Pina lädt ein - Ein Archiv als Zukunftswerkstatt verantwortlich, welches von der<br />

Stadtverwaltung uneingeschränkt unterstützt wird. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen<br />

kann die Gespräche zwischen Land, Bundeskulturstiftung und Stadt Wuppertal zu einem<br />

guten Abschluss zu führen, auch wenn wir zur Verwirklichung dieses Zukunftsprojektes zwingend<br />

auf die großherzige Unterstützung Dritter einmal mehr angewiesen sein werden.<br />

Freuen Sie sich zunächst auf den Herbst mit Bühnen & Orchester, die <strong>Bonnard</strong> - Ausstellung<br />

im Von der Heydt-Museum ab dem 14. 09. und die Ausstellung Licht fangen im Historischen<br />

Zentrum zur Geschichte der Photographie im 19. Jhdt. aus der Wuppertaler Sammlung<br />

K. W. Steckelings, der bedeutensten ihrer Art in Deutschland.<br />

Ihnen wünsche ich einstweilen eine erholsame Sommerfrische und viel Vergnügen bei der<br />

Lektüre von <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong>s und Frank Beckers Die beste Zeit – es lohnt sich.<br />

Ihr Matthias Nocke<br />

Beigeordneter der Stadt Wuppertal<br />

3


4<br />

1/8<br />

Keine Angst vor Berührung<br />

In den schwersten Stunden<br />

lassen wir Sie nicht allein.<br />

Barbara Neusel-Munkenbeck und die Urne “moi“<br />

seit 1813<br />

Alles hat seine Zeit.<br />

Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag und Nacht 66 36 74<br />

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Inhalt<br />

Heft 5 August/September 2010<br />

<strong>Pierre</strong> <strong>Bonnard</strong> – Magier der Farbe<br />

Von der Heydt-Museum, Wuppertal<br />

von Beate Eickhoff Seite 6<br />

Zweimal „Tod in Florenz“<br />

„Eine florentinische Tragödie“ und<br />

„Gianni Schicchi“.<br />

Opernhaus Wuppertal Seite 14<br />

Von Wuppertal in die Welt<br />

Bodo Berheide: Die Figura magica<br />

von Susanne Buckelsfeld Seite 18<br />

Griechisch und ernst und doch<br />

keine Tragödie<br />

„Eleni“ - von Kai Schubert<br />

Wuppertaler Bühnen Seite 21<br />

Licht fangen<br />

Karl Heinz Steckelings: Filme macher,<br />

Photograph und Sammler<br />

von Heiner Bontrup Seite 23<br />

Von der Unmöglichkeit der Liebe<br />

Eugene O‘Neills<br />

„Ein Mond für die Beladenen“<br />

Schauspielhaus Bochum Seite 26<br />

Was Bodos Frau zum Geruch...<br />

... von Fräulein Tückmantel sagte<br />

Eine amüsante Erzählung von<br />

Karl Otto Mühl Seite 28<br />

Japan in einem Atemzug<br />

Michael Zeller - Siebzehn Silben<br />

sind so lang wie ein Atemzug Seite 31<br />

Der glücklichste Mensch<br />

Andreas Steffens<br />

Portrait des Sammlers Seite 41<br />

Da ist Musik drin<br />

Begegnungen in der Hochschule für<br />

Musik und Tanz Köln<br />

Standort Wuppertal von Marlene Baum Seite 45<br />

Nicht nur der offizielle Dienst…<br />

Sinfonieorchester Wuppertal<br />

von Antje Riewe Seite 49<br />

Neue Kunstbücher<br />

Vorgestellt von Thomas Hirsch Seite 50<br />

Kulturnotizen<br />

von Frank Becker und Andreas Rehnolt Seite 52


6<br />

14. September 2010<br />

– 30. Januar 2011<br />

Von der Heydt-Museum, Wuppertal<br />

<strong>Pierre</strong> <strong>Bonnard</strong> – Magier der Farbe<br />

Das Abenteuer der modernen Kunst begann mit den Impressionisten. Und schon die<br />

Malergeneration, die auf Monet, Renoir und Sisley folgte, machte sich an die Überwindung<br />

jenes heftig umstrittenen Malstils, der vielen als zu flüchtig, zu ephemer, zu<br />

modisch galt. Auch für <strong>Pierre</strong> <strong>Bonnard</strong> war die Wiedergabe der Wirkung des Lichtes<br />

oberstes Gebot, doch suchte er – ähnlich wie die Pointillisten – nach einer Malerei, die<br />

Bestand haben sollte und unabhängig war von Willkür und Zufall, welche die Erscheinung<br />

der Dinge und Menschen in der Realität bestimmen.<br />

Das Von der Heydt-Museum Wuppertal widmet diesem „Magier der Farbe“ jetzt eine<br />

große Ausstellung, die alle Perioden seines außergewöhnlich reichen Schaffens umfasst<br />

und Verbindungslinien zieht zu seinen Künstlerfreunden, zu seinen Vorbildern und zu<br />

Künstlern, die von <strong>Bonnard</strong>s Werk beeinflusst waren. Anhand von mehr als 180 Gemälden,<br />

Zeichnungen, Graphiken und Photographien werden <strong>Bonnard</strong>s umfangreiches<br />

Œuvre und die Stationen seines Werdegangs vorgeführt.<br />

<strong>Pierre</strong> <strong>Bonnard</strong> (1867-1947) begann seine Karriere zunächst, dem Willen seines Vaters<br />

folgend, mit einem Jurastudium, das er 1888 bereits abschloss. Gleichzeitig schrieb er<br />

sich an der Académie Julian ein, wo er den Malern Paul Sérusier, Maurice Denis, Gabriel<br />

Ibels und Paul Ranson begegnete. Im Jahre 1889 erhielt er die Zulassung für den Besuch<br />

der Ecole des Beaux-Arts, wo er Edouard Vuillard traf. Mit Denis und Vuillard teilte er<br />

sich 1891 ein Atelier.<br />

Die Dämmerung am Uhlenhorster Fährhaus, Hamburg / Abend am Ufer, 1913, Öl auf Holz, 50 x 65,5 cm, Hamburger Kunsthalle,<br />

©VG Bild-Kunst, Bonn 2010


Der rote Morgenmantel, Le peignoir rouge, 1914, Öl auf Leinwand, 63 x 48 cm, Privatsammlung New York, © VG Bild-Kunst, Bonn 2010<br />

7


8<br />

Van Gogh, Cézanne und Monet studierte<br />

er, der japanische Holzschnitt – wegen<br />

der beeindruckenden Vereinfachung der<br />

Linie und dem gewagten Gebrauch heller<br />

Farben – faszinierte ihn. Gauguin aber war<br />

derjenige, der in seinem Freundeskreis<br />

den größten Eindruck hinterließ. Mit Anfang<br />

zwanzig (1888) war er Mitbegründer<br />

einer Künstlergruppe, die sich Nabis<br />

nannte, nach dem hebräischen Wort für<br />

„Propheten, Erleuchtete“. „Als meine<br />

Freunde und ich die Untersuchungen der<br />

Impressionisten verfolgten und versuchen<br />

wollten, sie weiterzuentwickeln, strebten<br />

wir danach, ihre naturalistischen Farbeindrücke<br />

zu überwinden. Die Kunst ist<br />

doch nicht die Natur! Wir gingen strenger<br />

mit der Komposition um. Außerdem<br />

konnte man noch viel mehr aus der Farbe<br />

als Ausdrucksmittel herausholen …“, sagte<br />

<strong>Bonnard</strong> 1937. Gemeinsam war diesen<br />

Malern, dass sie das Bild als eine Fläche<br />

begriffen, die mit Farben in bestimmten<br />

Anordnungen bedeckt ist. Unter dem<br />

Einfluss Gauguins bevorzugten sie leuchtende<br />

Farbpartien in hart gegeneinander<br />

gesetzten, oft durch Linien abgetrennten<br />

Flächen. Der lineare Stil, den die Nabis<br />

pflegten, aber auch ihre Hinwendung zu<br />

grafischen Techniken, legt eine Verwandtschaft<br />

zu den sich gleichzeitig entwickelnden<br />

Richtungen von Art Nouveau und<br />

Symbolismus nahe.<br />

Den Malern Maurice Denis, Paul Sérusier<br />

und Jan Verkade ging es nicht allein um<br />

eine Verfestigung des impressionistischen<br />

Malstils. Mit den mythologischen und<br />

religiösen Motiven, die sie aufnahmen,<br />

hatte auch das Sujet bei ihnen eine neue<br />

Bedeutung. <strong>Bonnard</strong> dagegen beobachtet<br />

das moderne Leben: Straßenszenen in Paris<br />

oder Frauen und Kinder im häuslichen<br />

Umfeld. Eine Figur tritt in den Bildern<br />

dieser Zeit immer wieder auf, Misia<br />

Natanson, die Muse der Nabis, so zum<br />

Beispiel in fast fotografischer Nahaufnahme<br />

beim Frühstück mit Kindern.<br />

Während die Nabis zwischen 1891 und<br />

1899 ihre größten Erfolge hatten, trennte<br />

<strong>Bonnard</strong> sich frühzeitig von ihnen. 1891<br />

stellt er im „Salon des Indépendants“ mit<br />

fünf Gemälden aus, 1896 fand seine erste<br />

Einzelausstellung in der Galerie Durand-<br />

Ruel statt. <strong>Bonnard</strong>, der alle Aufträge<br />

von der Zeitschriftenillustration über<br />

Einbände bis hin zu Theaterdekorationen<br />

<strong>Pierre</strong> <strong>Bonnard</strong> – Magier der Farbe<br />

übernahm, schuf zudem ein umfangreiches<br />

druckgrafisches Werk. Berühmt<br />

wurden seine Farblithografien. Sein Plakat<br />

«France-Champagne» brachte ihm 1891<br />

den großen Erfolg ein, der ausschlaggebend<br />

dafür war, dass er seine Laufbahn als<br />

Jurist vollends aufgab.<br />

Der Maler wohnte zunächst am Montmartre,<br />

mit Toulouse-Lautrec stand er in<br />

Kontakt. Toulouse-Lautrec und <strong>Bonnard</strong>,<br />

das ist Frankreich zur Zeit der Jahrhundertwende,<br />

wobei letzterer das bürgerliche<br />

Leben eher in privaten, geradezu intimen<br />

Szenen spiegelt. Und seinem großen<br />

Malerkollegen Auguste Renoir ähnlich,<br />

beschäftigten <strong>Bonnard</strong> zunehmend eher<br />

die zeitlosen Themen: die Landschaft<br />

und der weibliche Akt. 1911 kaufte er<br />

ein Haus an der Seine, in der Nähe von<br />

Giverny, wo Monet lebte. Nicht mehr die<br />

Stadt, sondern idyllische Szenen, beschauliche<br />

Blumengärten, Segelboote, Akte und<br />

Interieurs bevorzugte er nun. Auch das<br />

Selbstporträt spielte eine große Rolle.<br />

Bekannt ist seine Serie der Badezimmer-<br />

Stücke. Modell war in der Regel seine<br />

Frau Marthe, die er bereits 1893 kennen<br />

lernte. In den Bildern mit Wanne, Wasser,<br />

Tuch und Spiegel erscheint die Badende<br />

hell und frisch, in geklärter Atmosphäre<br />

und mit kühler Distanz betrachtet.<br />

Voyeurismus und weibliche Attraktivität<br />

sind nicht sein Thema. <strong>Bonnard</strong>s<br />

Innenraumszenen strahlen mehr Ruhe<br />

als Leidenschaft aus. Deutlich wird,<br />

dass es ihm um die Malerei ging, darum<br />

„nicht das Leben abzubilden, sondern<br />

die Malerei lebendig werden zu lassen“.<br />

Die Betonung liegt bei seinen Bildern auf<br />

einem sinnlichen Effekt, der sich ganz auf<br />

das Visuelle konzentriert.<br />

Seit 1899 reiste <strong>Bonnard</strong> viel, zumeist mit<br />

Vuillard nach England, Belgien, Holland,<br />

Spanien und Italien, nach Algerien und<br />

Tunesien. Häufig hielt er sich in Südfrankreich<br />

auf. 1926 wurde er Mitglied<br />

der Carnegie-Jury und er besuchte<br />

Pittsburgh, Philadelphia, Washington,<br />

New York und Chicago. Ebenfalls 1926,<br />

nach zahlreichen Aufenthalten im Süden<br />

Frankreichs, kaufte <strong>Pierre</strong> <strong>Bonnard</strong> ein<br />

kleines Haus in Le Cannet bei Cannes,<br />

das er „Le Bosquet“ [Das Wäldchen]<br />

nannte. Von 1939 an lebte er dort zurückgezogen<br />

bis zu seinem Tode 1947.<br />

Die Retrospektive im Von der Heydt-<br />

Plakat für „France-Champagne“<br />

France-Champagne, 1891<br />

Lithografie, 78 x 50 cm<br />

Bibliothèque nationale de France<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2010<br />

Die kleine Wäscherin, 1896<br />

Farblithografie, 29,7 x 19,7 cm<br />

Szépmüvészeti Múzeum, Budapest<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2010


Der Schleppkahn, um 1892, Öl auf Leinwand, 26,5 x 19 cm, Privatsammlung, © VG Bild-Kunst, Bonn 2010<br />

9


10<br />

Stehender Akt, Rückenansicht Nu debout vu de dos, 1913<br />

Öl auf Leinwand, 80 x 51 cm, Privatbesitz<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2010<br />

Die weiße Tischdecke (Das Esszimmer),<br />

Öl auf Leinwand, 100 x 109 cm<br />

Von der Heydt-Museum, Wuppertal<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2010


12<br />

Badende am Ende des Tages - Baigneurs à la fin du jour, 1945-1946, Öl auf Leinwand, 48,5 x 59,5 cm,<br />

Fotonachweis: Musée <strong>Bonnard</strong>, Le Cannet, Georges Auclaire, Privatbesitz, © VG Bild-Kunst, Bonn 2010<br />

Museum setzt ein mit den Werken großer<br />

Vorbilder, <strong>Bonnard</strong>s Interesse an der<br />

zeitgenössischen Amateurfotografie und<br />

am japanischen Farbholzschnitt. Der<br />

Paravent „Promenade des nourrices, frise<br />

des fiacres“ (1899), den als Leihgabe nach<br />

Wuppertal zu holen ein großes Glück ist,<br />

zeigt seine Begeisterung für die japanische<br />

Kunst. <strong>Bonnard</strong> verbindet traditionelles<br />

Kunstgewerbe mit Motiven aus dem<br />

modernen Pariser Leben. Zu den großen<br />

Formaten der Ausstellung gehört ein<br />

demselben Themenkreis entstammendes<br />

Bild, das aus Besançon kommende, große<br />

Gemälde „Place de Clichy“.<br />

Anschaulich vorgeführt wird zugleich,<br />

dass <strong>Bonnard</strong> erstaunlich unabhängig und<br />

innovativ auf dem Gebiet von Farbe und<br />

Perspektive war. Als einer der ersten Maler<br />

benutzte er reine Farben, die er flächig<br />

Wandschirm: Spaziergang der Ammen, Fiakerfries, 1897, 4 Farblithografien im<br />

Fünffarbendruck, je 143 x 46 cm, Privatbesitz, © VG Bild-Kunst, Bonn 2010<br />

auftrug und Formen, die er in arabeskenartigen<br />

Linien erfaßte. Im Bild der „Der<br />

rote Morgenmantel“ (1914, Privatsamm-


lung New York) ist die Figur zweidimensional<br />

und abstrahierend vereinfacht in<br />

die Bildfläche eingepasst. Ornament und<br />

gemusterte Fläche verdrängen jede Individualisierung<br />

der Person. Kennzeichnend<br />

für <strong>Bonnard</strong>s Kompositionen ist die „bewegliche<br />

Perspektive“ in fast kubistischer<br />

Manier. Indem er die Zentralperspektive<br />

aufgibt, schafft er verwirrende Einblicke in<br />

Räume. Motive wie Tische oder Wannen<br />

werden unvermittelt und unharmonisch<br />

vom Bildrand überschnitten. Die unpathetische<br />

Neutralität, mit der <strong>Bonnard</strong><br />

alles vor uns ausbreitet, ohne durch die<br />

Perspektive zu hierarchisieren, fordert vom<br />

Betrachter ganze Konzentration auf ein simultanes<br />

Sehen. Ein wunderbares Beispiel<br />

für <strong>Bonnard</strong>s unkonventionellen Umgang<br />

mit Farbe und Perspektive ist auch das<br />

Wuppertaler Bild „Die weiße Tischdecke<br />

(Das Esszimmer)“ (1925). <strong>Bonnard</strong> setzt<br />

hier keine illusionistischen Mittel ein, vom<br />

gegenständlichen und technischen her liegt<br />

alles in größter Einfachheit vor uns, mit<br />

einer beeindruckenden sinnlichen Präsenz.<br />

Paris, die Normandie, <strong>Bonnard</strong>s Garten,<br />

die Seine, Stillleben und Tischszenen, der<br />

Süden und das Meer – die Ausstellung ist<br />

chronologisch und zugleich thematisch<br />

geordnet. Die Entwicklung des „Magiers<br />

der Farbe“ ist nachvollziehbar, auch wenn<br />

keine Zäsuren, keine Brüche im Werkverlauf<br />

aufscheinen. Das Verhältnis von<br />

Fläche zur Linie verändert sich, die lineare<br />

VON DER HEYDT-MUSEUM<br />

WUPPERTAL<br />

Ermöglicht haben diese Ausstellung<br />

Umrisslinie wird um 1900 zugunsten einer<br />

mehr bewegten Farbform mit aufgelöstem<br />

Pinselstrich aufgegeben, die Farbigkeit entwickelt<br />

sich von einer gedeckten, tonigen<br />

Leuchtkraft um 1894 zu einer intensiven,<br />

strahlenden Palette nach 1920. Am Ende<br />

steht ein kleinformatiges, spätes Werk<br />

„Badende am Ende des Tages“ (1945/46,<br />

Privatsammlung). Von der letzten Sonne<br />

des Tages werden die Figuren am Strand<br />

von Cannes kräftig gelb-orange angestrahlt.<br />

Spätestens an diesem Punkt wird<br />

<strong>Bonnard</strong>s Leistung offensichtlich, den<br />

Impressionismus zu einer farbbetonten,<br />

abstrakten Kunst geführt zu haben.<br />

Zu seinen Lebzeiten konnte man<br />

<strong>Bonnard</strong> wohl manchmal für altmodisch<br />

halten, weil er immer noch figurativ<br />

malte und seine Themen schienen keine<br />

geistige oder moralische Tragweite zu<br />

haben. Wie modern und fortschrittlich<br />

er tatsächlich war, kommt heute aber für<br />

uns ganz besonders in den großen, späten<br />

Interieurszenen zum Ausdruck. Seine gewöhnlichen<br />

Räume mit ihren oft disparat<br />

erscheinenden Objekten verwandelte er<br />

in irritierende Szenen, die die parallelen<br />

Situationen in der Wirklichkeit plötzlich<br />

auch nur noch als Konstruktionen erscheinen<br />

lassen. Es gelang ihm gleichzeitig<br />

in äußerst raffinierten Farbkonstellationen<br />

die Farbe zum Leuchten und sogar zum<br />

Glühen zu bringen. Damit begeisterte<br />

er viele Künstlerkollegen und wurde so,<br />

Kulturpartner<br />

14.9.2010 - 30.1.2011<br />

ohne selbst eine „Schule“ auszubilden, zu<br />

einem bewunderten Vorbild u. a. von so<br />

bekannten Persönlichkeiten wie Nicolas<br />

de Staël oder Mark Rothko.<br />

Beate Eickhoff<br />

www.von-der-heydt-museum.de<br />

FÜHRUNGEN JETZT BUCHEN<br />

Tel 0202/563 2626 und online<br />

www.bonnard-ausstellung.de<br />

BONNARD<br />

MAGIER DER FARBE<br />

13


14<br />

Joslyn Rechter / Kay Stiefermann


Weltklasseniveau in Wuppertal:<br />

„Eine florentinische Tragödie“ und<br />

„Gianni Schicchi“<br />

Premiere 20. Juni 2010<br />

„Was sucht der Tod in solch heitrem Haus,<br />

da nur ein Weib, ein Gatte und ein Freund<br />

ihm Gruß entbieten können …Ich kann<br />

ertragen Verachtung, Schande von mancher<br />

Art, den schrillen Hohn und offenen<br />

Schimpf. Doch wer mir irgend etwas stiehlt,<br />

das mir gehört, und wär´s auch nur der<br />

schlechteste Teller, davon ich meinen Hunger<br />

füttre, setzt Seel und Leib auf Spiel bei<br />

seinem Frevel und stirbt!“<br />

Musikalische Leitung: Hilary Griffiths<br />

Inszenierung: Johannes Weigand<br />

Bühne: Moritz Nitsche<br />

Kostüme: Judith Fischer<br />

Dramaturgie: Johannes Blum<br />

Regieassistenz: Bälazs Värna<br />

Inspizienz: Arndt Mädler<br />

Fotos: Uwe Stratmann<br />

Besetzung Eine florentinische Tagödie:<br />

Guido Bardi: Paul McNamara<br />

Simone: Kay Stieferman<br />

Bianca: Joslyn Rechter<br />

Besetzung Gianni Schicchi:<br />

Gianni Schichi: Jacek Strauch<br />

Lauretta: Banu Böke<br />

Zita: Diane Pilcher<br />

Rinuccio: Kalle Kanttila<br />

Gherardo: Christian Sturm<br />

Nella: Dorothea Brandt<br />

Gherardino: Malik Karaca<br />

Betto von Signa: Dariuz Machej<br />

Simon: Thomas Schobert<br />

Marco: Olaf Haye<br />

Ciesca: Joslyn Rechter<br />

Magister Spinellocc: Mario del Rio<br />

Amantio de Nicola: Javier Zapata Vera<br />

Pinellino: Andreas Heichlinger<br />

Guccio: Jochen Bauer<br />

Chor der Wuppertaler Bühnen<br />

Zweimal „Tod in Florenz“<br />

„Ist die ganze mächtige Welt in dieses Zimmers Umfang eingeengt, und hat drei Seelen als<br />

Bewohner nur? So sei der dürftige Raum jetzt eine Weltenbühne, wo Herrscher fall´n und<br />

unser tatlos Leben der Einsatz wird, um den Gott spielt.“ - singt der brave Tuchhändler<br />

Simone, bevor er sich zum Mord am dreisten Geliebten seiner Gattin entschließt, welcher<br />

noch im Tode seine Herkunft bemüht „Nimm mir vom Hals die Würgefinger; ich bin<br />

meines edlen Vaters einziger Sohn“ – „Schweig! Dein Vater wird, wenn kinderlos, beglückter<br />

sein!“<br />

Und so stirbt der Liebhaber zu einer ungeheuren, hochdramatischen Musik. „Und jetzt zu<br />

Dir!“ Der Tuchhändler greift sein Messer und wendet sich seiner Gattin zu, die eben noch<br />

von ihrem Liebhaber seinen Tod im Zweikampf („Töte ihn! Töte ihn!“) lauthals forderte,<br />

doch da ertönt eine der schönsten Melodien, die jemals ein Komponist für die Oper geschrieben<br />

hat, und sie intoniert gänzlich traumverloren, fast exstatisch „Warum hast Du mir<br />

nie gesagt, daß Du so stark?“ Nach einem großen, mehrfach geteilten Streichermeer, welches<br />

Wagner nicht schöner in Noten gesetzt haben könnte, erwidert er fasziniert „Warum hast<br />

Du mir nicht gesagt, daß Du so schön… bist.“ Riesenfortissimo im aufblühenden Orchester,<br />

als wären wir in der Walküre erstem Akt (wo der Lenz erblüht) während sich beide in die<br />

Arme sinken und sich über der Leiche des gerichteten Nebenbuhlers vereinen. Das hätte sich<br />

selbst Wagner niemals getraut! Und die Oper klingt aus in einer Art Erlösungsmotiv, schön<br />

wie das der „Götterdämmerung“.<br />

Donnerwetter! Mehr an Dramatik kann eine Oper in einer knappen Stunde nicht bieten.<br />

Grandiosere Musik ist nie mehr geschrieben worden. Was Zemlinsky hier für ein kompaktes<br />

Musikdrama komponiert hat, ist das Ultimo der Gefühle: Liebe, Gleichgültigkeit, Haß,<br />

Haßliebe, Betrug, Mord und Verzeihen. Was für ein Welt-Theater - und alles in ein gerade<br />

mal 60-minütiges dramatisches Wechselbad der Gefühle gesetzt, welches den Atem raubt.<br />

Joslyn Rechter / Kay Stiefermann — hinten: Paul McNamara<br />

15


16<br />

Joslyn Rechter / Paul McNamara<br />

Mehr Musik geht nicht. Mehr Gefühl ist<br />

geradezu unmöglich. Was für hochanspruchsvolle<br />

Partien und wie brillant ist<br />

die Geschichte doch gesponnen! Dazu ein<br />

packender Text von Oscar Wilde (bitte<br />

demnächst mit Übertiteln, denn jedes Wort<br />

ist auch von großer musikdramatischer<br />

Bedeutung)! Eine echte Gefahr für Opernfreunde<br />

mit Bluthochdruck; aber Hand<br />

aufs Herz: kann man zu schönerer Musik<br />

sterben? Ich finde nein.<br />

Doch zum Anfang: Tuchhändler Simone<br />

kommt sehr spät nach Hause; und trifft einen<br />

Fremden bei seiner Gattin „Er ist kein<br />

Vetter, er ist kein Verwandter.“ Doch der<br />

schlaue Kaufmann, den seine Gattin für einen<br />

einfältigen Langweiler hält, entwickelt<br />

sich langsam aber zielstrebig zum Racheengel,<br />

während es dem arroganten Fürstensohn<br />

Guido Bardi immer mulmiger wird.<br />

Die Wände rücken bedrohlich näher, die<br />

Schwingen des drohenden Todes werden<br />

sich über ihm schließen. Er gerät in dieselbe<br />

Panik, die ein lebendig Begrabener erleiden<br />

muß. Hier gibt es kein Entkommen mehr.<br />

Und so ist das Scheingefecht, um spielerisch<br />

zu testen, wer den besseren Säbel hat,<br />

eigentlich nur das Vorspiel. Und was für ein<br />

Vorspiel: Zemlinsky/Oscar Wilde setzen<br />

hier in wilder Kühnheit Eros gleich Tod.<br />

Dabei ist die Musik dermaßen feinsinnig<br />

und steigerungsfähig, daß jedes auch nur<br />

gehauchte Wort seine Entsprechung findet.<br />

Manches ist mehr gesprochen als gesungen:<br />

„Was sucht der Tod in so vergnügtem<br />

Haus, wo nur ein Weib, ein Gatte und<br />

ein Freund ihn grüßen?“ Dazu wunderbar<br />

friedvolle kammermusikalisch begleitende<br />

Solo-Violine, wie bei einem Kinderschlummerlied,<br />

doch auf der selben Tonlage bricht<br />

Zemlinsky mit „Oh laß den Tod dort<br />

Einkehr halten“ und steigert das Riesenorchester<br />

wie bei Wotans Abschied ins schier<br />

Unermeßliche „wo man die Ehe bricht, wo<br />

keusche Frauen, die ihrer edlen Männer


Zweimal „Tod in Florenz“<br />

Paul McNamara / Kay Stiefermann<br />

Kay Stiefermann / Paul McNamara — hinten: Joslyn Rechter<br />

überdrüssig, den Vorhang ihrer Ehebetten<br />

lüften und in besudelten, entehrten Kissen<br />

der unerlaubten Wollust frönen.“ Uns<br />

schaudert. Doch am Ende klingt es wie ein<br />

gehauchtes Lebewohl. So stürzt Zemlinsky<br />

uns in die unendlichen Welten und Wogen<br />

eines musikalischen Rausches, der allerdings,<br />

anders als bei Wagner, meist dezent<br />

wieder bodenständig retrovertiert.<br />

Dem Wuppertaler Regieteam um Johannes<br />

Weigand gelingt eine hochwerktreue<br />

Inszenierung; ein Juwel ohne Firlefanz. Man<br />

entfacht eine Zündschnur, die allein entlang<br />

der worttreuen Linie vom Text und der<br />

notengenauen Wahrnehmung der Musik<br />

beständig weiterglimmt und sich in perfekt<br />

düsterer Lichtatmosphäre (Sebastian Arens)<br />

glühend durch die Herzen und Seelen<br />

der Zuschauer brennt. Atemberaubend,<br />

spannend, ergreifend und einen Aufregungs-Kollaps<br />

fördernd. Besser kann man<br />

Musiktheater nicht inszenieren. Irgendwann<br />

werden hoffentlich auch die Wuppertaler<br />

Opernfreunde begreifen, was für ein sensationelles<br />

Stück hier schlichtweg grandios<br />

inszeniert wurde, und es wäre zu wünschen,<br />

daß nicht nur die von fern, sogar aus Wien<br />

angereisten Kritiker lauthals jubeln.<br />

Ich habe praktisch alle deutschen Inszenierungen<br />

seit der großen Zemlinsky- Wie-<br />

derentdeckung dieser Oper vor 30 Jahren<br />

gesehen, und muß sagen, daß die Wuppertaler<br />

Produktion in allen Bereichen jener<br />

maßstabsetzenden Hamburger Inszenierung<br />

von 1981 (Albrecht/Dresen – Soffel,<br />

Riegel & Sarabia - gibt es auch auf CD) das<br />

Wasser reichen kann.<br />

Was muß Hilary Griffiths geprobt haben,<br />

um diesen Klang aus dem Sinfonieorchester<br />

Wuppertal herauszuholen. Was muß<br />

diese Oper für eine Herzensangelegenheit<br />

für den GMD gewesen sein! Besser kann<br />

man diesen Zemlinsky nicht spielen. Zuletzt<br />

habe ich solche Qualität in Wuppertal<br />

beim „Ring des Nibelungen“ vor 30 Jahren<br />

gehört. Es war wirklich ein sensationeller<br />

Premierenabend. Hinzu kommen drei perfekte<br />

Sänger, welche die Einmaligkeit dieses<br />

5-Sterne-Abends hinreißend unter Beweis<br />

stellten, und es sind verteufelt schwere<br />

Partien, die da gegen ein Wagner-Orchester<br />

gesungen werden müssen. Ein „Bravissimo“<br />

für Paul McNamara (Guido Bardi), Kay<br />

Stiefermann (Simone) und Joslyn Rechter<br />

(Bianca). Für die ungeheure Leistung,<br />

auch der enormen Textverständlichkeit,<br />

bekommt Kay Stiefermann einen extra<br />

Opernfreund-Stern. Für alle Zemlinsky-<br />

Freunde ein Muß, geradezu ein Zwang,<br />

auch für die weiteste Anreise. Wer noch nie<br />

etwas von Zemlinsky gehört hat, wird zum<br />

Fan des Komponisten. Versprochen.<br />

Man verzeihe mir das knappe „Post Scriptum“,<br />

denn „Gianni Schicchi“ wird ja nun<br />

überall rauf und runter gespielt. Eine nette<br />

Posse. Gut gespielt, prachtvoll gesungen von<br />

einem guten Team und mit großartiger Italianita<br />

orchestriert. Wahrscheinlich konnte<br />

und wollte man dem Publikum „Blaubarts<br />

Burg“ (Bartok) als zweites Stück, welches<br />

ich gewählt hätte, kaum noch nervlich<br />

zumuten. Da habe ich volles Verständnis.<br />

Jacek Strauch war ein Schicchi von Weltklasseformat<br />

– nebenbei bemerkt. Also nach<br />

Wuppertal fahren, bevor das Theater dort<br />

von der Politik weggespart wird. Hier wird<br />

heuer und jetzt Weltklasse geboten.<br />

Dr. Peter Bilsing<br />

Herausgeber der Opernzeitschrift<br />

„Der Opernfreund”<br />

Pressefotos:<br />

Uwe Stratmann<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.wuppertaler-buehnen.de<br />

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18<br />

Die „Figura magica” von<br />

Bodo Berheide<br />

Ein Kunstwerk für die Welt – das hat der<br />

Wuppertaler Künstler Bodo Berheide mit<br />

seiner „Figura Magica“ geschaffen. Es ist<br />

ihm gelungen, eine Form zu finden, die<br />

tatsächlich in aller Welt Resonanz erzeugt<br />

hat. Die Eisenskulptur, die an ein überdimensionales<br />

liegendes Hufeisen erinnert,<br />

machte auf allen fünf Kontinenten Station.<br />

Nach 18jähriger Reise rund um den Erdball<br />

ist sie 2009 schließlich in ihre Heimat<br />

Vor dem Schauspielhaus in Wuppertal, Foto: Jörg Lange<br />

Von Wuppertal in die Welt<br />

Wuppertal zurückgekehrt. Trotz ihres<br />

enormen Gewichts von insgesamt sechs<br />

Tonnen und einer Länge von fünf Metern<br />

konnte die „Figura Magica“ Grenzen<br />

überwinden – geographische und kulturelle,<br />

logistische und rechtliche, soziale und<br />

künstlerische. Ob Montreal, Matagalpa<br />

oder Sydney – stets hat sie auf ihr Umfeld<br />

eingewirkt und es verändert. Immer wurde<br />

sie aber auch von den Menschen verändert,<br />

die sie betrachteten, benutzten, über sie<br />

nachdachten und mit ihr arbeiteten. So hat<br />

die „Figura Magica“ an Bedeutung gewon-<br />

nen, die ihr nun innewohnt, um weiter<br />

ihre Wirkung zu entfalten. Denn auch<br />

wenn sie am Ende ihrer Reise angelangt ist<br />

und seit dem Herbst letzten Jahres vor dem<br />

Wuppertaler Schauspielhaus ihren endgültigen<br />

Platz gefunden hat: noch immer<br />

setzt die „Figura Magica“ Menschen in<br />

Bewegung. Im September etwa kommen<br />

Künstler aus all jenen Orten, wo Berheides<br />

Skulptur auf ihrer Reise Halt gemacht hat,<br />

nach Wuppertal, um ihre Arbeiten hier<br />

auszustellen und dem Kunstwerk weitere<br />

Bedeutungsebenen hinzuzufügen.


Wie kann es gelingen, dass ein und das<br />

selbe Kunstwerk den Menschen in Chile<br />

und Japan, in Sri Lanka und Togo etwas<br />

zu sagen hat? Wie schafft es Berheides<br />

„Figura Magica“, überall auf der Welt<br />

Dialoge zwischen Menschen anzuregen,<br />

neue Einsichten zu vermitteln und<br />

kreatives Potential zu wecken? Diese<br />

außerordentliche künstlerische Leistung<br />

liegt meines Erachtens wesentlich in der<br />

denkbar elementaren Form des liegenden<br />

„U“ begründet, für die sich Bodo<br />

Berheide schon 1978 entschieden hat.<br />

Genauso abstrakt wie ein Schriftzeichen,<br />

das sich in vielen Schritten vom Bildhaften<br />

abgelöst hat, um in allen erdenklichen<br />

Zusammenhängen zum Bedeutungsträger<br />

zu werden, ist die „Figura Magica“ als<br />

Kunstwerk universal. Sie lässt sich mit<br />

einem Aspekt der „ars una“ verknüpfen,<br />

der Idee von der Einheit der Künste.<br />

Darunter fasste man um die Wende vom<br />

19. zum 20. Jahrhundert die Vorstellung<br />

von Kunst als anthropologischer Konstante.<br />

Was Berheides Skulptur angeht,<br />

lohnt es sich, in diesem Zusammenhang<br />

noch einmal einen kurzen Blick in Wilhelm<br />

Worringers berühmte Dissertation<br />

„Abstraktion und Einfühlung“ von 1907<br />

zu werfen. Worringer ist überzeugt, dass<br />

das schöpferische Gestalten eine originär<br />

menschliche Betätigung ist, die sich von<br />

allen anderen Tätigkeiten unterscheidet<br />

und sich kontinuierlich durch die<br />

gesamte Menschheitsgeschichte zieht.<br />

Die Abstraktion – im Gegensatz zur die<br />

Natur nachahmenden Kunst – ist dabei<br />

keineswegs das Resultat mangelnden<br />

technischen Könnens, wie besonders im<br />

19. Jahrhundert angenommen wurde,<br />

sondern Ergebnis eines bewussten schöpferischen<br />

Aktes. Abstrakte Formen stellen<br />

vielmehr eine unmittelbare Zeichensprache<br />

dar, die prinzipiell allen Menschen<br />

einen Zugang ermöglicht. Diese Annahme<br />

hat Bodo Berheides „Figura Magica“<br />

auf ihrem langen Weg um den Globus<br />

eindrucksvoll bestätigt – überall auf der<br />

Welt war es Menschen möglich, sich auf<br />

das Kunstwerk einzulassen.<br />

Eine ebenso wichtige Rolle wie die Form<br />

spielt in dieser Hinsicht das Material<br />

Eisen, das Berheide für seine Skulptur<br />

gewählt hat. Wie viele andere zeitgenössische<br />

Künstler, die mit Großplastiken<br />

arbeiten, hat Berheide seine Skulptur von<br />

einer Spezialfirma nach genauen Anweisungen<br />

gießen lassen. Der Künstler war<br />

beim Herstellungsprozess zugegen und<br />

besonders von den dabei freiwerdenden<br />

elementaren Kräften und Substanzen<br />

– Feuer, Hitze, Asche – beeindruckt.<br />

Sie sind wesentliche Bestandteile des<br />

eigentlichen Konzeptes, das Berheide von<br />

der „Figura Magica“ entworfen hatte und<br />

das während ihrer langen Reise vielfältige<br />

Änderungen erfahren hat. Ursprünglich<br />

wollte der Künstler mit der in Eisen<br />

Fotos Jörg Lange<br />

gegossenen Skulptur auf den heißen, flüssigen<br />

Kern des Planeten verweisen, der an<br />

der Entstehung des Magnetfeldes unserer<br />

Erde beteiligt ist. Die „Figura Magica“<br />

zielte zunächst auf Aspekte des grenzüberschreitenden<br />

Umwelt- und Artenschutzes<br />

ab und hatte die Intention, eine Energiefeld<br />

zu schaffen, das mit dem Verweis<br />

auf die Elemente Feuer, Wasser, Erde und<br />

Luft eine positive Einstellung zur Mutter<br />

Erde bewirken sollte. So verfestigte sich<br />

allmählich der Plan, dass die Skulptur<br />

die Idee vom achtsamen Umgang mit<br />

der Natur auf der ganzen Welt verbreiten<br />

sollte. Als erstes Ziel hatte Berheide<br />

den Nordpol im Blick, auf den sich die<br />

Skulptur hinbewegen sollte, um anschließend<br />

den Weg nach Süden anzutreten<br />

und auf diese Weise alle fünf Kontinente<br />

zu erreichen. Die Energie des Materials<br />

sollte sich jedoch auch auf andere Weise<br />

verwirklichen, als zunächst beabsichtigt.<br />

Von Beginn an war dem Beuys-Schüler<br />

Bodo Berheide die „Figura Magica“<br />

Trägermedium eines künstlerischen<br />

Prozesses, der sich zu einer die ganze<br />

Welt umspannenden sozialen Skulptur<br />

ausweiten sollte. Die Struktur der<br />

zwischenmenschlichen Kontakte und die<br />

wechselnden Formen des Austausches<br />

per Post, am Telefon oder später über<br />

Internet sind ihm sogar wichtiger als das<br />

materielle Werk. Die Abstraktion der<br />

19


20<br />

U-Form fungiert dabei ganz generell als<br />

Instrument einer Kommunikation, deren<br />

Verlauf durch den Energiegehalt der gusseisernen<br />

Skulptur angestoßen wird. Feuer,<br />

Wasser, Erde, Luft – die vier Elemente<br />

als Konstanten des Lebens auf diesem<br />

Planeten bieten Anknüpfungspunkte für<br />

die kulturübergreifende Verständigung:<br />

Im Austausch über universale Naturkräfte<br />

werden unterschiedliche Auffassungen<br />

etwa vom Verhältnis des Menschen zur<br />

Natur manifest. Wo auch immer die<br />

„Figura Magica“ ihren Platz gefunden hat,<br />

unter den Vorzeichen der vier Elemente<br />

konzipierte Berheide zur Einweihung der<br />

Skulptur Performances, die er jeweils an<br />

die kulturelle und geographische Spezifik<br />

des Ortes anpasste. So entstand ein<br />

gemeinsames Feld für einen lebendigen<br />

Austausch, an dem sich bis heute Künstler<br />

und Kunstinteressierte aus allen Aufenthaltsorten<br />

der „Figura Magica“ beteiligen.<br />

Nicht nur Berheide hat seinem Publikum<br />

dabei neue Einsichten vermittelt, auch<br />

er selbst hat viel Neues über die Skulptur<br />

und ihre Wirkung gelernt.<br />

Einer der größten Erfolge war der Skulptur<br />

nach Stationen in Dublin, Montreal<br />

und Bethany, USA, in der Wuppertaler<br />

Partnerstadt Matagalpa beschieden.<br />

Viele Hindernisse mussten auf dem Weg<br />

nach Nicaragua überwunden werden,<br />

wo die Skulptur von 1997-1999 blieb.<br />

Doch gerade dort, wo das Leben für<br />

einen Großteil der Bevölkerung besondere<br />

Härten birgt und im Vorfeld starke<br />

Zweifel am Sinn von Kunst im öffentlichen<br />

Raum bestanden, hat die Skulptur<br />

außergewöhnlich nachhaltig gewirkt.<br />

Zeitgleich zu ihrer Übersiedelung in den<br />

dortigen „Parque de los Monos“ wurde<br />

im Rahmen der Städtepartnerschaft<br />

eine Druckerwerkstatt eingerichtet, aus<br />

der mittlerweile einige hauptberufliche<br />

Künstler hervorgegangen sind. Mehrere<br />

Workshops haben seitdem dort<br />

stattgefunden; der Austausch ist rege,<br />

dessen sichtbarstes Zeichen der jährlich<br />

erscheinende und gemeinsam produzierte<br />

Grafik-Kalender ist. Auf unerwartet<br />

fruchtbaren Boden fiel die „Figura<br />

Magica“ auch in Japan – nach Aufenthalten<br />

in Santiago de Chile und Sydney<br />

ein weiterer Höhepunkt der Reise. Hier<br />

wurde die Skulptur in ländlicher Ge-<br />

gend auf der Insel Ohmishima abgelegt.<br />

Eine begleitende Ausstellung erfreute<br />

sich großer Beachtung; Eröffnung und<br />

Einweihung der Skulptur gerieten zur<br />

feierlichen Zeremonie. Es folgten weitere<br />

Besuche und Veranstaltungen im Verlauf<br />

des sich intensivierenden Kontaktes nach<br />

Japan, dessen eindrucksvollstes Ergebnis<br />

die intensive Auseinandersetzung von<br />

Professor Tetsuya Hasegawas, Wakayama<br />

University, mit den Bezügen der Skulptur<br />

zur japanischen und deutschen Kulturgeschichte<br />

ist. So kehrte die „Figura Magica“<br />

nach weiteren Stationen in Negombo,<br />

Sri Lanka und in Lome, reich an Erfahrungen<br />

in ihre Heimat zurück.<br />

Um sein Werk zu finanzieren, hat Bodo<br />

Berheide von Beginn an Kunstanteilsscheine<br />

verkauft, Zeichnungen zu günstigem<br />

Preis veräußert, Ausstellungen und<br />

Konzerte organisiert und so wiederholt<br />

das Geld für die jahrelange Weltreise beschafft.<br />

Die Skulptur stand damit niemals<br />

außerhalb ökonomischer Zusammenhänge,<br />

sondern hat wirtschaftliche Strukturen<br />

erzeugt, die nicht nur den Fortgang des<br />

Projektes garantierten, sondern wie die<br />

vielfältigen Austauschprozesse eigentlicher<br />

Bestandteil des Werkes sind. Auch<br />

in Zukunft soll das so sein: die zwischen<br />

den Schenkeln des „U“ befindlichen<br />

Haltestangen wurden entfernt, da sie für<br />

den Transport nun nicht mehr gebraucht<br />

werden. In Scheiben geschnitten, will<br />

Berheide sie als Multiple veräußern. Das<br />

so gewonnene Geld wird in eine Stiftung<br />

überführt, deren Kapital für die Realisierung<br />

kreativer gesellschaftlicher Wandlungsprozesse<br />

genutzt werden soll. So<br />

kann die ganze Stadt von einer Weltreise<br />

profitieren, die durch die „Figura Magica“<br />

noch immer Schwingungen erzeugt.<br />

Susanne Buckesfeld<br />

Ausstellung „Magische Verbindungen“<br />

vom 15. September bis zum 12. November<br />

in der Stadtsparkasse Wuppertal<br />

Fotos USA, Japan, Sri Lanka und Togo:<br />

Bodo Berheide<br />

Campus Bethany college, 1997<br />

Insel Onmishima, Japan, 2004<br />

Negombo, Sri Lanka, 2006<br />

Lomé, Togo, 2007<br />

Fotos unten: Jörg Lange


Eleni.<br />

Eine Zuwanderungsgeschichte<br />

von Kai Schubert<br />

in einer Inszenierung der<br />

Wuppertaler Bühnen<br />

Chris Nonnast, Marco Wohlwend<br />

Griechisch und ernst …<br />

Das Mädchen von Piräus<br />

„Ach, das gibt’s auch auf deutsch?“ Diese<br />

Frage stellt der junge Grieche Stavros im<br />

Schatten der Akropolis seiner Verlobten,<br />

nach der das Stück von Kai Schubert<br />

„Eleni“ benannt ist. Dem Zuschauer<br />

geht es umgekehrt, hat Eleni doch gerade<br />

den Schlager „Ein Schiff wird kommen“<br />

angestimmt, dessen griechischer Ursprung<br />

hierzulande nicht mehr allzu geläufig sein<br />

dürfte. Schon hier wird man in die ungewohnte<br />

griechische Perspektive versetzt.<br />

Hinzu kommt, daß mit dieser kurzen<br />

Szene um das träumende<br />

„Mädchen von Piräus“ schon zu Beginn<br />

ein Motiv des Abends ebenso artikuliert<br />

ist wie sein Tonfall: die Sehnsucht – aber<br />

nicht zu gewichtig.<br />

Eleni ist die zentrale Gestalt des Auftragswerkes,<br />

für das Autor Schubert mit Wuppertaler<br />

Griechen Gespräche geführt und<br />

vor Ort recherchiert hat. Sie verläßt in<br />

den frühen Sechziger Jahren ihre Heimat,<br />

um ihrer schwangeren Cousine Nitsa beizustehen<br />

– diese ist mit ihrem Mann Dimitris<br />

nach Deutschland gezogen, wo er<br />

auf dem Bau arbeitet. Anders als geplant<br />

bleibt Eleni für Jahrzehnte. Ihr Verlobter<br />

teilt ihr schriftlich mit, daß er eine andere<br />

Frau hat. Beim Anwerbestopp von 1973,<br />

der die Förderung der Arbeitsmigration in<br />

die Bundesrepublik beendete, entscheidet<br />

sich die Familie für Deutschland und<br />

eröffnet ein Restaurant. Schließlich alt<br />

geworden, blickt Eleni auf ihr Leben als<br />

Einwanderin zurück und fragt sich auch,<br />

wo sie einmal sterben wird.<br />

Sehnsüchte<br />

Dies ist kurz gefaßt die Geschichte, die<br />

exemplarisch ein griechisches Einwanderungsschicksal<br />

im Fortgang der Zeit<br />

vorstellt. Ernst ist die Inszenierung von<br />

Jenke Nordalm geworden, aber nicht<br />

depressiv. Warf die wohl populärste<br />

Verarbeitung der Thematik, der Schlager<br />

„Griechischer Wein“ von Udo Jürgens,<br />

trotz ihrer Eignung zum Schunkeln<br />

eigentlich ein düsteres Licht auf die<br />

Befindlichkeit der Gastarbeiter, so wirkt<br />

„Eleni“ ausgeglichen, auch wenn die<br />

Protagonisten prägnante Formulierungen<br />

für ihre Sehnsucht finden: „Es ist, als<br />

21


22<br />

Julia Wolff, Maresa Lühle,<br />

Holger Kraft, Ingeborg Wolff, Marco<br />

Wohlwend, Hans Richter<br />

ob ich Hunger hätte und ich weiß nicht<br />

worauf.“ Am Ende gibt es einen Streit mit<br />

den deutschen Freunden (Maresa Lühle,<br />

Holger Kraft) voller Standardvorwürfe auf<br />

beiden Seiten (eingeschlossen die aktuelle<br />

Wirtschaftskrise); dennoch wird „Eleni“<br />

nicht zur Tragödie.<br />

Brillant besetzt<br />

Das liegt auch an Chris Nonnast, die der<br />

Titelfigur eine positive Grundhaltung verleiht,<br />

wenn sie fröhlich mit den Kindern<br />

spielt oder aus dem Kaffeesatz liest. Eleni<br />

ist doppelt besetzt: Mit Ingeborg Wolff als<br />

älterer Frau nimmt ihre Nachdenklichkeit<br />

zu, doch niederdrücken läßt sie sich auch<br />

jetzt nicht<br />

– selbst als am Ende ihr Großcousin<br />

Opfer eines fremdenfeindlichen Angriffs<br />

wird. Anders ist es bei Cousine Nitsa<br />

(Julia Wolff): Sie ist unzufrieden mit ihrer<br />

Situation, was sich in Aggressivität gegenüber<br />

Kindern und Eleni äußert; schließlich<br />

wird sie geisteskrank. Ihren Mann<br />

gibt Hans Richter, der vielleicht gerade<br />

wegen seines (verglichen mit der Rolle)<br />

höheren Alters Stolz und Verletzlichkeit<br />

so überzeugend verkörpert. Mit Blick<br />

aufs Lebensalter auffällig ist gleichfalls die<br />

Besetzung auch des gealterten Stavros mit<br />

dem jungen Schauspieler Marco Wohlwend:<br />

Nach vierzig Jahren besucht er<br />

Deutschland, wenn auch gar nicht primär<br />

wegen Eleni, und steht ihr etwas ratlos<br />

gegenüber – angesichts des ungleichen<br />

Paars (Wohlwend sieht eben nicht aus wie<br />

ein Sechzigjähriger) übermittelt sich dem<br />

Zuschauer ergreifend dessen ernüchterter<br />

… und doch keine Tragödie<br />

Eindruck von seiner einstigen Verlobten:<br />

Sie sind sich fremd geworden, und das<br />

liegt nicht nur an der Zeit, sondern auch<br />

am Ort.<br />

Auch das Bühnenkonzept geht auf<br />

Eine gesonderte Erwähnung verdient<br />

das Bühnenbild von Birgit Stoessel.<br />

Agiert wird in einem angedeuteten<br />

Gebäude, das komplett aus leeren<br />

Bierkästen zusammengesetzt ist. Die mit<br />

diesem „Baumaterial“ einhergehenden<br />

Assoziationen – billig, austauschbar –<br />

passen zu Stückbeginn nicht recht, wo<br />

die Kastenstapel (entsprechend dem<br />

Schauplatz vor der Auswanderung) die<br />

doch nach etwas Erhabenheit verlangende<br />

Akropolis darstellen sollen. Doch<br />

sobald die Handlung in Deutschland<br />

spielt (und das geschieht nach wenigen<br />

Minuten), geht das Konzept auf: Nun<br />

können die einzelnen Elemente von den<br />

Darstellern nicht nur sehr charmant<br />

variabel genutzt werden – vom Sitzen bis<br />

zum Spannen von Wäscheleinen;<br />

vielmehr drückt sich im ständigen<br />

Umbau mit diesen eckigen Gebrauchsgegenständen<br />

etwas Wesentliches aus:<br />

die Vorläufigkeit des geplanten Aufenthalts,<br />

der Glaube, man brauche sich ja<br />

gar nicht langfristig einzurichten in der<br />

Fremde. Diese Ansicht – die optische<br />

wie die übertragene – bleibt den<br />

Einwanderern bis zuletzt.<br />

Aus dem Leben<br />

Daß die Handlung von „Eleni“ als<br />

Ergebnis von Recherchen vermutlich aus<br />

zahlreichen realen Schicksalen gespeist ist,<br />

kann man nur erahnen; man nimmt sie<br />

als fiktive Einzelgeschichte wahr. Doch<br />

der Schluß der sehenswerten Inszenierung<br />

löst das Versprechen ein, konkret an das<br />

Leben griechischer Einwanderer in Wuppertal<br />

anzuknüpfen: Auf einer Leinwand<br />

sind hiesige Griechen in ihrem jeweiligen<br />

Umfeld zu sehen, und sie sind wie Eleni:<br />

immer noch etwas fremd, doch zuweilen<br />

mit einem Lächeln.<br />

Martin Hagemeyer<br />

Uraufführung am 30. 4. 2010<br />

Inszenierung: Jenke Nordalm<br />

Bühne/Kostüme: Birgit Stoessel<br />

Fotos: Uwe Stratmann<br />

Besetzung:<br />

Eleni 1: Chris Nonnast<br />

Eleni 2: Ingeborg Wolff<br />

Dimitris: Hans Richter<br />

Nitsa: Julia Wolff<br />

Kostas, Stavros: Marco Wohlwend<br />

Tilly: Maresa Lühle<br />

Ernst: Holger Kraft<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.wuppertaler-buehnen.de


Karl Heinz Steckelings<br />

Licht fangen<br />

Karl Heinz Steckelings:<br />

Filme macher, Photograph<br />

und Sammler<br />

1933, als in Deutschland das Licht<br />

Vernunft ausgeht, kommt ein Junge<br />

von Berlin-Dahlem als Adoptivkind zu<br />

einer Ronsdorfer Bandweberfamilie nach<br />

Wuppertal. Der Junge ist drei Jahre alt<br />

und doch haben sich bereits die Bilder<br />

des Kinderheimes, in dem er seine ersten<br />

Lebensjahre verbrachte, unauslöschlich in<br />

seine Erinnerungen gebrannt. Viele Jahre<br />

später wird er diesen Ort seiner Kindheit<br />

noch einmal aufsuchen und die in der<br />

Erinnerung wie auf einem Film belichteten<br />

Bilder werden durch die Gegenwart<br />

wie in einem photochemischen Prozess<br />

entwickelt. Es mag sein, dass dem Jungen<br />

die Trennung von seinen leiblichen<br />

Eltern das Leben gerettet hat, aber über<br />

die Umstände seiner Adoption schweigt<br />

Karl Heinz Steckelings bis heute. Denn<br />

als Filmemacher und Photograph weiß er<br />

um die Macht der Bilder: „Ich will nicht,<br />

dass man sich ein Bild von mir macht.“<br />

Und: „Ich mag es nicht, in Schubladen<br />

gesteckt zu werden. Ich will unabhängig<br />

sein von der Meinung, die sich andere<br />

über mich bilden.“ In einer Zeit, in der<br />

Menschen sich vor laufenden Kameras<br />

„outen“ und das Intimste nach außen<br />

kehren, wirkt Steckelings wie ein Fossil.<br />

Doch gerade dieses angenehme Unzeitgemäße,<br />

das in Wahrheit sehr zeitgemäß ist,<br />

ist es, das sich wie ein roter Faden durch<br />

die Lebensgeschichte dieses Bildvernarrten<br />

zieht.<br />

Als Jugendlicher genießt er in einem Internat<br />

in Bad Godesberg eine jesuitische<br />

Erziehung, deren Spuren bis heute in der<br />

Genauigkeit des Forschens und in einer<br />

christlichen Werteorientierung lebendig<br />

sind. Obwohl der Krieg traumatische<br />

Bilder in dem Jugendlichen hinterlässt,<br />

die den heute 80-jährigen zuweilen noch<br />

in seinen Träumen heimsuchen, hat er<br />

die Kraft, der Versuchung durch den<br />

Zynismus zu widerstehen. Dabei helfen<br />

ihm neben seiner intellektuellen und<br />

künstlerischen Begabung sicherlich auch<br />

seine (lebens-)praktischen Fähigkeiten.<br />

Nach dem Krieg legt Steckelings als<br />

23


24<br />

junger Mann eine Bandwebergesellen-<br />

und Kaufmannsgehilfenprüfung ab. Er<br />

soll in dem elterlichen Betrieb, der 1865<br />

gegründeten Bandweberei, einsteigen.<br />

1958 absolviert Steckelings dann eine<br />

Ausbildung zum Industriekaufmann und<br />

Textilingenieur. Als die Zeit des großen<br />

Sterbens der Bandwebereien einsetzt,<br />

entwickelt er ein thermoplastisches<br />

Verfahren zum Schneiden von Bändern,<br />

konstruiert entsprechende Maschinen<br />

und kann so den elterlichen Betrieb wirtschaftlich<br />

über Wasser halten. Bis heute<br />

arbeitet Steckelings tageweise in diesem<br />

Betrieb.<br />

Stift der Natur<br />

Doch seine wahre Leidenschaft gehört<br />

den Bildern, eine Faszination, die schon<br />

in der Schulzeit begann: „Ich war neidisch<br />

auf künstlerisch begabte Schulkameraden,<br />

die das, was sie sahen, mit<br />

photographischer Genauigkeit darstellen<br />

konnten“, erinnert sich Steckelings.<br />

„Unsere Lehrer hatten damals keine Methoden<br />

an der Hand, um uns scheinbar<br />

weniger Begabte auch dort hinzubringen.“<br />

Die Filmkamera sollte also die<br />

Rolle des „Stifts der Natur“, wie die frühe<br />

Photographie auch genannt wurde, übernehmen.<br />

Vielleicht rührt auch von dort<br />

her die Faszination für die technischen<br />

Apparaturen wie Guckkasten, Laterna<br />

Magica und Camera Obsurca, die als<br />

Vorläufer der Photographie die naturalistische<br />

Wiedergabe der Wirklichkeit<br />

ermöglichten.<br />

Licht fangen<br />

Doch noch bevor er sich als Sammler<br />

und Forscher die Vorgeschichte der Photographie<br />

und des Films erschloss, wollte<br />

Steckelings – magisch angezogen von der<br />

Welt der Bilder – selbst solche produzieren.<br />

Alles begann Mitte der 60er Jahre:<br />

Mit einem Lottogewinn Geld kauft er<br />

sich eine Normal 8-Filmkamera, die<br />

teuerste, die zu der Zeit auf dem Markt<br />

war. Bei der Qualität will Steckelings<br />

keine Kompromisse machen. Ein Grundprinzip<br />

seines Lebens. Die Semantik des<br />

Films – die Bildkomposition – und die<br />

Syntax, den Schnitt, erlernt der Autodidakt<br />

u.a. bei dem Wuppertaler Filmproduzenten<br />

Gerd Vogelsang. Später wird er<br />

auf das professionellere 16 Millimeter-<br />

Format umsteigen. Seine Filme schneidet<br />

er am eigenen Schnittpult. Systematisch<br />

entwickelt er sein Ausdrucksrepertoire<br />

und dreht nun Dokumentationen, Kurz-<br />

und Experimentalfilme, die auf nationalen<br />

und internationalen Festivals gezeigt<br />

und prämiert werden.<br />

Die Wirklichkeit „lesen“<br />

Doch dann beginnt ihn, den Filmemacher,<br />

zunehmend das Standbild zu faszi-<br />

nieren, das – vielleicht intensiver noch<br />

als die bewegten Bilder - Geschichten<br />

erzählen kann. Sechs Selbstbildnisse,<br />

die an Kreuzwegstationen erinnern,<br />

zeigen die eigene Verletzlichkeit – hin<br />

bis zur totalen Kommunikationslosigkeit.<br />

„Photographien“, sagt Steckelings,<br />

„sagen nicht nur etwas über den<br />

Porträtierten aus, sondern immer auch<br />

etwas über den Menschen hinter der<br />

Kamera.“ In einer Welt, in der unser<br />

Bewusstsein immer mehr von einer<br />

Bilderflut dominiert werde, müsse der<br />

Photograph lernen, die Wirklichkeit<br />

zu „lesen“, um ein adäquates (Ab-)Bild<br />

der Realität schaffen zu können. Dazu<br />

gehört auch, die Wirklichkeit „nicht<br />

zu glätten und zu schönen“. Dieser<br />

Hang zur bildnerischen Wahrhaftigkeit<br />

ist immer ein Kennzeichen der Bilder<br />

Steckelings. Besonders beeindruckend<br />

zeigt sich dies in der Bildserie zu Pina<br />

Bauschs Tanztheater in der Spielzeit<br />

1974/1975. Steckelings ist nicht interessiert<br />

am schönen Abbild von schönen<br />

Körpern, vielmehr gelingt es ihm, die<br />

Intensität des künstlerischen Prozesses<br />

zu zeigen, mit dem die junge Choreo


graphin und ihr Ensemble arbeiten<br />

- „häufig bis zur völligen Erschöpfung,<br />

bis an die Schmerzgrenze.“<br />

Steckelings Lichtbilder sind keine Tanztheateraufnahmen,<br />

wie man sie heute<br />

sieht, sondern ästhetisch gegen den<br />

Strich gebürstet, körnig, schwarz-weiß,<br />

atmen sie den Geist der frühen Jahre, als<br />

Pina Bausch mit ihrer Compagnie eine<br />

völlig neue Ausdruckssprache erfand.<br />

Steckelings erinnert sich an die großen<br />

Widerstände, die Pina Bausch in jener<br />

Zeit – auch in der veröffentlichten –<br />

Meinung aushalten musste. „Aber sie ist<br />

sich treu geblieben und ist nie von ihrem<br />

Weg abgewichen. Dabei half ihr auch<br />

ihr starkes Einfühlungsvermögen für die<br />

Tänzerinnen und Tänzer. Sie sprach ihre<br />

Sprache und die sprachen ihre Sprache.“<br />

Diese Widerständigkeit und Authentizität<br />

atmen auch die Theaterphotographien<br />

Steckelings’ aus jener Zeit. „Ein Bild<br />

muss immer das Gegenteil von allgemeingültig<br />

sein, man muss es ‚ertragen’“.<br />

Neben der Film- und der photographischen<br />

Arbeit beginnt sich Karl Heinz<br />

Steckelings immer mehr für die Vorgeschichte<br />

von Film und Photographie zu<br />

interessieren. Er will den Dingen auf<br />

den Grund gehen, und das heißt hier,<br />

aufzubrechen zu einer langen Fahrt in<br />

die Historie. Diese Reise in die Vergangenheit<br />

wird zu einem reichen Fischzug<br />

durch internationale Antiquitätenmärkte,<br />

Sammlungen und Auktionen. Paris,<br />

Amsterdam, Prag und viele andere Weltorte:<br />

Keine Reise ist zu weit bei der Jagd<br />

nach dem Objekt der Begierde. Mehrere<br />

Tausend Exponate zur Vorgeschichte<br />

der Photographie und des Films trägt<br />

Steckelings aus der ganzen Welt zusammen:<br />

Camera Obscura, Laterna Magica,<br />

Guckkästen, Schattenspiele, Daumenkino<br />

und Mutoskop – ein einzigartiger<br />

Kosmos der Technik, bis hin zu jenem<br />

magischen Moment, als die Bilder laufen<br />

lernten. Dazu unzählige Photographien<br />

aus der Frühzeit dieses Mediums. Dass<br />

eine solche Sammlung einen eigenen<br />

Ort braucht, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit<br />

und ist doch in den Zeiten<br />

immer knapper werdender finanzieller<br />

Ressourcen eine Utopie. Zunächst.<br />

Doch aus der Vision wird – gegen viele<br />

Widerstände – schließlich ein realer Ort.<br />

Karl-Heinz Steckelings ist eben nicht<br />

nur Ästhet, Sammler, Visionär, sondern<br />

auch ein Macher: Heute beherbergt<br />

der frühere Wasserturm in Mülheim an<br />

der Ruhr ein in seiner Art einzigartiges<br />

Museum zur Vorgeschichte des Films.<br />

Gefragt, was er jungen Sammlerinnen<br />

und Sammlern heute raten würde, lautet<br />

die lakonische Antwort: „Kauft euch lieber<br />

einen Hund – des Menschen bester<br />

Freund.“<br />

Leuchtender Stein<br />

Doch damit ist die Fülle der von Steckelings<br />

zusammengetragenen Exponate<br />

noch lange nicht erschöpft. Unter dem<br />

Titel „Licht fangen“ wurden bis vor<br />

kurzem zahlreiche Ausstellungsstücke<br />

aus der Sammlung “S“ im Museum für<br />

Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts<br />

in Baden-Baden gezeigt wie die Kodak<br />

No. 1 (1889) als erste Amateurkamera,<br />

Geheim- und Spezialkameras zur Herstellung<br />

von Stereoskopien und Panoramaansichten<br />

sowie zahlreiche Graphiken<br />

und frühe Bildbeispiele: „Zentraler<br />

Punkt der Sammlung jedoch ist immer<br />

das Bild.“<br />

Ausgestellt wurden auch Lithophanien,<br />

„durchscheinende Steine“, aus Porzellan.<br />

Erst das Licht, das durch eine feine<br />

Gravur fällt, bringt das Motiv magisch<br />

zum Vorschein. Lithophanien gelten als<br />

Vorstufe zur Photographie. Der Erforschung<br />

dieser „leuchtenden Steine“ hat<br />

Karl-Heinz Steckelings die letzten 16<br />

Jahre seines Lebens gewidmet. Gerade<br />

hat er eine über 400 Seiten starke Monographie<br />

nach intensiven Studien zu<br />

diesem Thema abgeschlossen. Was ihn<br />

wohl bewegt hat, so tief wie wohl kein<br />

anderer zuvor in diese Materie einzusteigen?<br />

Vielleicht ist er, der in dunkler Zeit<br />

Geborene, eine „lithophane“ Persönlichkeit,<br />

einer der Licht fangen musste, um<br />

innerlich zu überleben, einer, der die<br />

Wahrheit zum Scheinen bringen muss,<br />

damit es hell werde - in sich selbst und<br />

in anderen.<br />

Heiner Bontrup<br />

Fotos: K.-H. Krauskopf<br />

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26<br />

Vorgeschmack... Anja Schneider - Foto © Matthias Horn


Von der Unmöglichkeit der Liebe<br />

Eugene O‘Neills<br />

„Ein Mond für die Beladenen“<br />

Koproduktion mit dem Maxim Gorki<br />

Theater Berlin<br />

Premiere am 2. 6. 2010 in den Bochumer<br />

Kammerspielen<br />

Regie: Armin Petras<br />

Bühne: Armin Petras, Patricia Talacko<br />

Kostüme: Patricia Talacko<br />

Fotos: Matthias Horn<br />

Besetzung:<br />

Josie Hogan (Anja Schneider)<br />

Phil Hogan (Thomas Anzenhofer)<br />

James (Jim) Tyrone Jr.<br />

(Christian Kuchenbuch)<br />

T. Stedman Harder<br />

(Alexander Maria Schmidt)<br />

Anja Schneider Superstar<br />

Die Szene mutet idyllisch an: Ein Bergpanorama,<br />

im Vordergrund ein hübsches<br />

Blumenbeet, Heugabel, Gitarre, Melone,<br />

ein Gewehr, ein Schlagzeug (!?) – wenn da<br />

nicht zwei Männer wären, die diese Idylle<br />

mit Filzstift-Sternchen bemalen. Auftritt<br />

der Bewohner, Hillbillies wie aus dem<br />

Bilderbuch: Phil (Thomas Anzenhofer) im<br />

Unterhemd, mit Strick als Gürtel der Jeans<br />

und speckigem Hütchen – seine Tochter<br />

Josie (Anja Schneider) im karierten Hemd,<br />

mit plumpen Gummizugjeans. Anzenhofer<br />

läßt ketterauchend seine Country-Erfahrung<br />

aus dem „Man in Black“ mit einer<br />

Ballade zur Gitarre hören, Schneider führt<br />

ein Landei vor, das es faustdick hinter den<br />

Ohren hat. Unansehnlich und anscheinend<br />

sehr einfach gestrickt, offenbar promiskuitiv<br />

und dabei glücklos, dennoch in sich ruhend<br />

und höchst raffiniert.<br />

Anja Schneider übernimmt mit ungeheurer<br />

Bühnenpräsenz die Szene, pöbelt, schmollt<br />

mit vorgeschobener Unterlippe, zieht sich<br />

in ihr kleines Stück Heile Welt im Blumenbeet<br />

zurück, scheint sich für ein neues<br />

Paar Flipflops bereitwillig dem Landbesitzer<br />

Jim (Christian Kuchenbuch) an den Hals<br />

zu werfen, von dem Phil seit 20 Jahren<br />

das karge Land gepachtet hat. Ihrem Spiel<br />

zuzuschauen, ihren Verlegenheitsgesten,<br />

Zornesausbrüchen und Schlaumeiereien zu<br />

folgen ist faszinierend, reines Vergnügen an<br />

hoher Bühnekunst.<br />

Kleine Fluchten - Anja Schneider - Foto © Matthias Horn<br />

Ein Haufen Verlierer<br />

Doch Jim, gescheiterter Broadway-Bonvivant,<br />

liebt nur zwei Dinge, wenn er auch offensichtlich<br />

um Josies Gunst wirbt: Whisky und<br />

das Geld, mit dem er sich Whisky kaufen<br />

kann. Sein König ist der Alkohol. Kuchen<br />

buch läßt mitzittern, jede Hoffnung mit ihm<br />

gemeinsam verlieren. Nicht er ist die treibende<br />

Kraft, als es um Zweisamkeit geht – das<br />

ist Josie, die sich mehr von Ihm verspricht,<br />

als er geben kann und will. Resolut und<br />

selbstbewußt gibt sie die Richtung vor, muß<br />

aber vor der Trunksucht und Jims Unfähigkeit<br />

zu lieben scheitern. Selbst der Wandel<br />

vom häßlichen Entlein zum glitzernden<br />

Stern unter dem Mond der einzigen gemeinsamen<br />

Nacht und der geballte Einsatz der<br />

besten alten Whiskies als Aphrodisiakum<br />

können Jim nicht umkehren. Das rührende<br />

Bekenntnis „Ich bin noch Jungfrau, aber<br />

nicht weitersagen! Und jetzt willst Du nicht,<br />

aber ich will doch so gerne!“ und Josies folgender<br />

aufwühlender Monolog an das goldene<br />

Leben läßt Schneider/Josie die Sympathien<br />

zufliegen. Doch das Unglück ist besiegelt.<br />

Längst hat Jim das Land an den Blutsauger<br />

Harder (Alexander Maria Schmidt) verkauft,<br />

der die Hogans von dort vertreiben wird.<br />

Verlierer sind sie alle, denn keiner bekommt,<br />

was er eigentlich möchte, nicht Josie, die<br />

Liebe will, nicht Jim, der vom süßen Leben<br />

träumt, aber eher Hilfe bräuchte, nicht Phil,<br />

dem die Söhne weggelaufen sind, weil sie in<br />

dem ertraglosen Landkeine Zukunft sahen,<br />

ja nicht einmal der skrupellose Harder,<br />

der zwar das Land bekommen wird, aber<br />

dadurch auch nicht zufriedener ist.<br />

Bilderreiche Inszenierung<br />

Armin Petras läßt Schmidt in diversen<br />

kleinen eingeschobenen Auftritten die<br />

Unverwundbarkeit der Finanzwirtschaft<br />

und ihren raffinierten Schwindel mit<br />

Ballons, Konfetti und Taschenspielertricks<br />

demonstrieren und damit die Macht und<br />

Häßlichkeit des Geldes den kleinen Leuten<br />

gegenüber zeigen: „Es herrscht Klassenkampf,<br />

und meine Klasse gewinnt!“<br />

Das sind starke, brandaktuelle Worte. Die<br />

mögliche Liebe Josies und Jims scheitert vor<br />

dem Suff und dem Geld, die Wunschwelt<br />

der Beladenen liegt im Mond, ihre Zukunft<br />

wird ohne Skrupel vom Besitzenden ruiniert<br />

und allen solidarischen Erklärungen<br />

zum Trotz verraten. Hoffnung? Oh, nein.<br />

O´Neill hat „A Moon for the Misbegotten“<br />

1947 als eines seiner letzten Stücke<br />

in tiefem Pessimismus, wenn auch voller<br />

zärtlicher Liebe zu den Verlierern der<br />

amerikanischen Gesellschaft geschrieben.<br />

Petras´ bilderreiche Inszenierung ist fraglos<br />

als Parabel auf das Jetzt und Heute zu<br />

sehen. Ein beachtlich aktuelles Stück zum<br />

Ende der Spielzeit und Elmar Goerdens<br />

Intendanz in Bochum. Ab Herbst wird die<br />

Inszenierung am Maxim Gorki Theater in<br />

Berlin zu sehen sein.<br />

Frank Becker<br />

Infos: www.schauspielhausbochum.de<br />

27


28<br />

... von Fräulein Tückmantel sagte<br />

Eine amüsante Erzählung<br />

Karl Otto Mühl, Foto: Frank Becker<br />

Was Bodos Frau zum Geruch...<br />

Ich werde gleich im Zusammenhang mit<br />

meinem Kollegen Bodo und Fräulein<br />

Tückmantel auf Gerüche zu sprechen<br />

kommen. Diese Sache hatte wahrhaft<br />

schicksalhafte Auswirkungen, ja, sie hat<br />

sie sogar noch. Wenn ein Geruch – wie<br />

hier der von Fräulein Tückmantel – sich<br />

so auf das Leben eines Menschen auswirken<br />

kann wie auf das von Bodo, und<br />

wenn gleichzeitig das Leben seiner Frau<br />

völlig davon bestimmt wird, dann lohnt<br />

es sich, näher darauf einzugehen. Zumal<br />

auch ich nicht von den Auswirkungen<br />

verschont geblieben bin. Zunächst<br />

muß ich bemerken, dass mich Gerüche<br />

interessieren, die mich an etwas erinnern,<br />

oder mein Leben begleitet haben. Anders<br />

ist es mit den Gerüchen, die mein Leben<br />

begleitet haben. Die vergesse ich nicht.<br />

Das ist der Grund, warum ich inzwischen<br />

versucht habe, an Fräulein Tückmantel<br />

zu riechen. Sie ist mir jedoch nicht nahe<br />

genug gekommen.<br />

Heute hatte es den ganzen Tag geregnet.<br />

Sowohl im asphaltierten als auch im bloß<br />

festgestampften Teil des Fabrikgelän des<br />

bildeten sich Lachen und blinkten mich<br />

an wie ferne Signale, wenn ich aus dem<br />

Fenster blickte. Die Wolken stürmten<br />

flach über die Landschaft, Regen und<br />

Wolken und diesige Luft deckten die Fabrik<br />

zu. Als mein Kollege Bodo nach kurzem,<br />

hartem Anklopfen die Tür aufreißt,<br />

ist das als wenn ein Steward im Sturm<br />

bei schlingerndem Schiff in die Kabine<br />

kommt. Bodo fragt, ob er sich setzen darf.<br />

Ich schaue auf die Knö chel seiner Hand,<br />

die so hart angeklopft hat. Ich frage ihn,<br />

ob er Schwierigkeiten habe. Ja, doch. Es<br />

sind diese Missverständnisse zuhause, die<br />

ihn so sehr verwirren, dass er zum ersten<br />

Mal in seinem Leben das Gefühl hat,<br />

sich falsch zu verhalten, oder besser, die<br />

anderen zu einem falschen Verhalten zu<br />

veranlassen. Die Schwierigkeit zuhause<br />

gehe von seiner Frau aus, sagte er. Eine<br />

kleine, harmlose - so könne man vielleicht<br />

sagen -, schon länger zurückliegende<br />

Mitteilung von ihm habe ausgelöst, dass<br />

sie keine Minute mehr zur Ruhe komme.<br />

Sie rede ununterbrochen von dieser<br />

Sache. Wenn er in ein anderes Zimmer<br />

ausweiche, gehe sie hinter ihm her und<br />

rede weiter mit ihm. Wenn er im Bad sei,


stehe sie vor der Türe und rede. Wenn er<br />

von etwas anderem sprechen wolle oder<br />

müsse, denn es gebe ja auch noch andere<br />

Dinge in der Welt, dann biege sie das<br />

Thema sofort um und komme auf diese<br />

gewisse Sache zu spre chen. Zunächst zu<br />

seiner kleinen Bemerkung. Er hatte zu<br />

seiner Frau gesagt: „Menschen können<br />

tatsächlich wie Obst riechen, ich meine,<br />

wie frisches, duftendes Obst.“ „Wie?<br />

„Nun, zum Beispiel wie ein aufgeschnittener<br />

Apfel. Zum Beispiel die<br />

kleine Tückmantel – hat jemand<br />

gesagt! „wer?“ „Du meinst – wer?“ „Ja.<br />

Ich frage wer.“ „Ich weiß nicht mehr.<br />

Vielleicht die Frau Scheurenbrand von<br />

der Lohnbuchhaltung.“ Das glaube sie<br />

nicht. Er solle lieber gleich sagen, dass er<br />

Fräulein – also sie, die nach Apfel riecht,<br />

getroffen habe. Nun ja. Ganz kurz. Es<br />

ging um einen kleinen Vorfall. Er hatte<br />

die neue Kreditoren - Sachbearbeiterin,<br />

Silke Tückmantel, im Auto ein Stück<br />

mitgenommen. Nun ja, ein Wort gibt das<br />

andere, man kommt plötzlich auf den<br />

Gedanken, in einer Wirtschaft ein Glas zu<br />

trinken. Und dann ist es passiert. Fräulein<br />

Tückmantel ist ein hübsches Mädchen.<br />

Man möchte Bodo beneiden. Man<br />

kann Bodo auch verstehen, sie hat so<br />

etwas Glitzerndes, Wahnsinniges in den<br />

Augen, die von einem sehr hellen, wässrigen<br />

Blau sind. Ich kann Bodo freilich<br />

nicht sagen, dass ich Silke nicht verstehe.<br />

Bodo ist nach meiner Meinung eher hässlich,<br />

mit seinen buschigen Augenbrauen<br />

unter niedriger, kantiger Stirn, und mit<br />

seinem Gesichtsausdruck, der zwischen<br />

frecher Gleichgültigkeit, Dreistigkeit und<br />

strahlender Selbstgefälligkeit wechselt.<br />

Ich merke plötzlich, dass ich etwas gegen<br />

Bodo habe. Auch scheine ich keinen Blick<br />

für Möglichkeiten zu haben. Da fängt<br />

so ein kleiner Kolibri, Silke Tückmantel,<br />

bei uns an, und ich komme nicht einmal<br />

auf den Gedanken, dass sie auf Abenteuer<br />

aus sein könnte. Wohl aber dieser<br />

Bodo. Was kann sie nur an ihm anziehen?<br />

Spürt sie, dass er ein wenig verrückt ist,<br />

dass er verrückt werden kann, dass er<br />

ganz ver rückt sein kann, wenn es darum<br />

geht? Nur so und nicht anders kann es<br />

sein. Ich fürchte, mir fehlt die Fähigkeit,<br />

verrückt zu werden. Nur gut, dass man<br />

nicht auf ewig so unvollkommen sein<br />

muß. Von dieser Silke Tückmantel hat<br />

Bodo zuhause erzählen müssen. Er hatte<br />

sich also verplappert. Bodos Frau wollte<br />

wissen, warum gerade dieses Mädchen...<br />

Was war mit ihr? Bodo war ratlos, so<br />

ratlos, dass er sich selbst fragte: Ja, wie<br />

komme ich nur darauf? Er kratzte sich<br />

hinter dem Ohr, schüttelte ratlos den<br />

Kopf, aber dann fiel es ihm ein: Die ses<br />

Fräulein Tückmantel lebte allein, fühlte<br />

sich in der neuen Firma isoliert, suchte<br />

Kontakt. Das habe ihm leid getan. Man<br />

müsse diese kleinen Frauen mögen,<br />

die sich nach ein bisschen Lebensglück<br />

sehnten. Aufmerksam geworden sei er<br />

jedoch durch diesen Geruch von ihr, den<br />

Apfelgeruch, den Geruch von Reinheit,<br />

von Frische – man könne sich nur Gutes<br />

dabei denken – „Hör auf mit dem Unsinn!<br />

Das ist einfach ein billiges Parfum,“<br />

schrie Frau Kranepol wütend. Von diesem<br />

Augenblick an begann das pausenlose<br />

Reden von Bodos Frau. Es dauerte auch<br />

nur wenige Minuten, bis Bodo die Affäre<br />

selbst gestanden hatte, diese einzige halbe<br />

Stunde, und wer wolle wirklich von sich<br />

behaupten, er sei in so einer Situation<br />

nicht verführbar? Unter dem Eindruck<br />

des pausenlosen Fragens und Redens<br />

seiner Frau gestand Bodo auch weitere<br />

Zusammentreffen mit Silke Tückmantel,<br />

aber nun sei endgültig Schluss. Wie<br />

könne sie nur glauben, da sei noch etwas?<br />

Dann würde er doch nicht so offen<br />

darüber reden. Außerdem sei es eben nur<br />

dieser bewusste Geruch gewesen, also<br />

nicht er selbst. Nein, der Geruch. Von<br />

sich aus käme er nie auf solche Gedanken.<br />

„Wieso?“ rief Bodos Frau. Sie habe<br />

ihn ja schon bei zwei Lügen ertappt.<br />

Erstens, über die Sache überhaupt, und<br />

dann habe sie erst herausfinden müssen,<br />

dass es nicht bei einem Mal ge blieben sei.<br />

Wie solle sie ihm noch glauben? Er habe<br />

ihr Vertrauen zerstört. ,,Nein“, rief Bodo,<br />

,,nein. Du musst mir glauben. Sonst hört<br />

dieses Gerede ja nie mehr auf. Pass auf,<br />

ich sage dir jetzt etwas, damit du siehst,<br />

dass ich dir nichts, aber auch nichts verheimliche.“<br />

,,Ja, und was ist das?“ ,,Aber<br />

das sag ich dir nur, damit du mir endlich<br />

glaubst.“ ,,Nun erzähl schon.“ Bodo gestand,<br />

dass er auch etwas mit Frau Jankow<br />

gehabt habe, der Frau, die ihr manchmal<br />

hier in der Wohnung die Haare frisiere.<br />

Aha. Die auch. Dann solle Bodo<br />

auch gestehen, dass er unab lässig vielleicht<br />

alle paar Tage Frauen gehabt habe. Bodo<br />

beteuerte, nein, so sei es nicht gewesen.<br />

Vielleicht würde es ihr Vertrauen in seine<br />

Wahrheitsliebe stärken, wenn er ihr noch<br />

sage - obwohl er ja gar nicht gezwungen<br />

sei, es zu sagen -, dass er einige Male Frau<br />

Wendula Schmalz in ihrer Wohnung<br />

aufgesucht habe... Wendula Schmalz half<br />

Bodos Frau im Frauenkreis der Arbeiterwohlfahrt.<br />

Bodos Frau war die Leiterin<br />

des Frauenkreises. Sie könne sich jetzt<br />

nirgendwo mehr blicken lassen, nirgendwo,<br />

sagte Bodos Frau. ,,Mach dir da keine<br />

Sorgen“, erwiderte Bodo beruhigend,<br />

,,von den Frauen, die ich kenne, redet<br />

keine. Keine einzige.“ Was das denn nun<br />

schon wieder heiße? Offenbar seien es<br />

mehr als diese zwei. Unter dem nunmehr<br />

verstärkten Reden und Fragen seiner Frau<br />

gestand Bodo insgesamt sechsunddreißig<br />

Fälle, diese aber ver teilt über mehrere<br />

Jahre. ,,Also, ich bin soweit, dass ich ausziehen<br />

will“, sagte Bodo zu mir. ,,Sie hört<br />

keine Minute auf zu reden.“ Er sah mich<br />

einen Augenblick lang an und sagte dann:<br />

,,Ob Sie mal mit ihr reden? Doch, so was<br />

tut sie. Wenn ich ihr sage, dass Sie hier in<br />

der Firma auf meiner Seite stehen, aber<br />

mich trotzdem immer ermahnt haben,<br />

nichts falsch zu machen?“<br />

Das mit dem Ermahnen muß ich noch<br />

nachholen, fiel mir ein. Während der<br />

folgenden Tage fallen mir immer wieder<br />

Ratschläge für Bodo ein. Es ist eindeutig,<br />

dass er sich ändern muss. Am besten wäre<br />

es, wenn er ein völlig anderer Mensch<br />

werden könnte. An einem Abend kommt<br />

Bodo wieder in mein Büro. Wenn ich<br />

ihm Ratschläge erteile, weise ich immer<br />

wieder darauf hin, dass ich seine Schwierigkeiten<br />

und die Fehler, die er macht,<br />

sehr gut verstehe. Vieles davon könnte<br />

auch mir passieren. über dieses Eingeständnis<br />

freut er sich. Seine Frau verlange<br />

ständig neue Geständ nisse. Und das mit<br />

der Begründung, dass sie seinen bisherige<br />

Geständnissen ja nicht trauen könne, dass<br />

er ja das Vertrauen gebrochen und sie<br />

belogen habe, dass er folgerichtig immer<br />

noch unter Verdacht stehe, bis – ja, bis er<br />

alles gestanden habe.<br />

Bodo hat tatsächlich erreicht, dass ich<br />

als neutraler Vermittler hinzugezogen<br />

werde. Ich soll abends mit Bodo in ihr<br />

Heim kommen. Als wir Drei zusammen<br />

sitzen, merke ich, dass sie mich nur als<br />

29


30<br />

Zuhörer braucht. Die milde Rolle des<br />

Vermittlers hat sie mir nicht zugestanden.<br />

Sie hört nicht zu. Für sie bin ich Bodos<br />

Komplice; nur mühsam und verächtlich<br />

verschont sie mich mit direktenVorwürfen.<br />

Es ist immer wieder dasselbe, was<br />

die beiden sagen. Sie hört nicht auf mit<br />

Vorwürfen und Fragen, sagt Bodo. Frau<br />

Kranepol sagt dann; er hat sie betrogen,<br />

sie kann nichts anderes mehr denken, sie<br />

kann sich schließlich doch nicht damit<br />

abfinden, oder? Plötzlich bleibt ihr Blick<br />

an mir haften: Wieso hat er gerade mir<br />

alles erzählt? Habe ich alles die ganze Zeit<br />

gewusst? Glaube ich etwa, es sei schön<br />

für eine Frau, wenn alle anderen wissen,<br />

dass sie betrogen wird? Und wie es mit<br />

mir stehe? Habe ich Kinder, ist meine<br />

Frau zufrieden? Warum bringt mich<br />

Bodo mit? Ich muss ja ein großartiger<br />

Mensch sein, wenn ich anderen helfen<br />

kann. Das hätte ich nicht behauptet, sage<br />

ich trotzig. Bodo habe mich gebeten, und<br />

so weiter. Bodo blickt betreten vor sich<br />

hin. Er kann sie nicht zurückhalten, und<br />

er ist es wahrscheinlich gewöhnt, von<br />

ihr bloßgestellt zu werden. Zum Schluss<br />

habe ich dann doch noch einen Ratschlag<br />

versucht. Diese Besessenheit, mit der sie<br />

rede, ja, Besessenheit, die sei das Gefährliche.<br />

Keiner kommt an einen Besessenen<br />

heran, und darum kämen sie beide nicht<br />

näher zueinander. Sie streift mich nur<br />

mit einem verächtlichen Blick. Sie werde<br />

Erkundigungen über mich einziehen,<br />

sagt sie. Ich käme ihr merkwürdig vor, ja,<br />

merkwürdig. Am besten wäre es, wenn sie<br />

mit meiner Frau reden könne.<br />

Jetzt sitze ich zuhause in meinem Arbeitszimmer.<br />

Ich bin auf jemand gestoßen, der<br />

mir das Gefühl genommen hat, ich sei ein<br />

schätzenswerter, ausgleichender Mensch.<br />

Karl Otto Mühl<br />

Karl Otto Mühls schriftstellerische Anfänge<br />

reichen in die Dreißigerjahre zurück,<br />

als in der Wuppertaler Lokalpresse erste<br />

Geschichten von ihm erschienen. Auch<br />

während seiner Ausbildungszeit schrieb<br />

er weiter. Während der Kriegsgefangenschaft<br />

verfasste er Einakter und Possen<br />

für das Lagertheater, daneben Privates.<br />

1944 machte er in den USA die Bekanntschaft<br />

des ebenfalls kriegsgefangenen<br />

Schriftstellers Tankred Dorst, mit dem<br />

er ab 1947 Mitglied in der Wuppertaler<br />

Künstlergruppe Der Turm war. Nach dem<br />

Wiedereintritt ins Berufsleben Ende der<br />

Vierzigerjahre pausierte Mühl lange Jahre<br />

als Schriftsteller; erst ab 1964 begann<br />

er erneut, in seiner Freizeit literarische<br />

Texte zu verfassen. Seinen Durchbruch<br />

erlebte er 1974 mit dem Theaterstück<br />

„Rheinpromenade“, das mit seiner<br />

kritisch-realistischen Schilderung eines<br />

kleinbürgerlichen Schicksals im Zeittrend<br />

lag und zahlreiche Aufführungen an<br />

deutschen Theatern erlebte. Mühl ist in<br />

erster Linie Dramatiker, er verfasste aber<br />

auch autobiografisch geprägte Romane,<br />

Kinderbücher, Gedichte und Hörspiele.<br />

Karl Otto Mühl ist seit 1977 Mitglied des<br />

Verbandes Deutscher Schriftsteller und<br />

seit 2000 des deutschen P.E.N.-Zentrums.<br />

Auszeichnungen<br />

1976 Eduard-von-der-Heydt-Kulturpreis<br />

der Stadt Wuppertal.<br />

2006 Literaturpreis der Enno und Christa<br />

Springmann-Stiftung<br />

Werke<br />

Rheinpromenade. Rosenmontag. 1974<br />

Siebenschläfer. Darmstadt [u.a.] 1975<br />

Kur in Bad Wiessee. Frankfurt/Main 1976<br />

Wanderlust. Frankfurt/Main 1977<br />

Hoffmanns Geschenke. Frankfurt/Main `78<br />

Die Reise der alten Männer. Frankf. 1980<br />

Trumpeners Irrtum. Darmstadt [u.a.] 1981<br />

Verbindlichen Dank. Frankfurt/Main 1992<br />

Fremder Gast. Frankfurt/Main 1995<br />

Ein Neger zum Tee. Wuppertal 1995<br />

Fernlicht. Wuppertal 1997<br />

Jakobs seltsame Uhren. Wuppertal 1999<br />

Das Privileg. Wuppertal 2001<br />

Inmitten der Rätsel. Gedichte 1997 bis<br />

1999. 1. Auflage. Nordpark, Wuppertal<br />

2002, ISBN 3-935421-10-9<br />

(Mit einem Vorwort von Jörg Aufenanger).<br />

Hungrige Könige. Roman. 1. Auflage.<br />

NordPark-Verlag, Wuppertal 2005,<br />

ISBN 3-935421-05-2.<br />

Nackte Hunde. Roman. 1. Auflage.<br />

Nordpark, Wuppertal 2005,<br />

ISBN 3-935421-06-0.


Michael Zeller<br />

Siebzehn Silben<br />

sind so lang wie ein Atemzug<br />

Basho<br />

Japan in einem Atemzug<br />

1.<br />

Auf dem Flug nach Japan, meinem ersten,<br />

lernte ich den Kollegen Basho kennen.<br />

Vor dreihundertfünfzig Jahren hat er<br />

gelebt. Das zählt wenig in der Literatur.<br />

Östlich von Murmansk und Archangelsk<br />

(die Weite Sibiriens drohte mir noch)<br />

begegnete ich seinem Namen im Reiseführer.<br />

Basho sei ein Meister des Haiku<br />

gewesen. Einen einzigen Vers nur gönnte<br />

ihm (und mir) das Buch:<br />

Ein reisendes Herz<br />

verweilt nie an einem Ort<br />

beim warmen Feuer<br />

Ein Vers nur. Der aber zündete.<br />

Denn ich verweilte hier ja wahrhaftig<br />

nicht beim warmen Feuer. Ich befand<br />

mich an einem Ort, der die quälendsten<br />

Alpträume gebiert. In einer Blechkapsel<br />

eingeschweißt und festgezurrt, Wade an<br />

Wade mit den fremdesten Menschen der<br />

Welt, zehntausend Meter weggehoben<br />

vom Boden der Erde (das zählt wenig in<br />

unserer Zeit), riß dieser bescheidene Vers<br />

einen Raum vor mir auf, ohne das Luftschiff<br />

im mindesten zu gefährden: Die<br />

Weite, die raumlose Weite von Poesie.<br />

Da sprach jemand mit einer lakonischen<br />

Nüchternheit, die auch nach dreihundert<br />

Jahren auf den ersten Blick überzeugte.<br />

Als könnte es gar nicht anders gesagt sein.<br />

Und doch vibrierend vom Schlag eines<br />

Herzens.<br />

Wie einfach gebaut war dieses kleine<br />

Ding! Auf drei Zeilen, mit fünf und<br />

sieben und fünf Silben gefüllt: darauf<br />

mußte alles Platz haben, was zu sagen ist:<br />

Gedanke wie Gefühl.<br />

Wie mochte das funktionieren, dieses<br />

Fünf – Sieben – Fünf, in meiner Sprache,<br />

fragte ich mich, eingezwängt in dieser<br />

Alptraumkapsel. Der körperlichen Bewegungsfreiheit<br />

so gut wie beraubt, gefesselt,<br />

um jedes Abschweifen zu verhindern, war<br />

meine Schreibsituation haikuartig karg.<br />

Auf der Speisekarte irgendeiner Mahlzeit<br />

kritzelte ich mit dem Bleistiftstummel<br />

aus der Hosentasche, im abgedunkelten<br />

Dösen um mich herum, dem nächtigen<br />

Himmel nah wie selten sonst und unter<br />

mir das schlafende Sibirien – hier brachte<br />

ich meinen ersten Versuch zu Papier, auf<br />

Bashos Spuren:<br />

Fliegend zu reisen<br />

über die Weiten der Welt<br />

macht die Beine taub<br />

Im Mangel wird Reichtum deutlicher<br />

sichtbar. Wie viel Platz doch auf so einer<br />

abgegessenen Speisekarte ist! An Prosa<br />

wäre nicht zu denken. Aber für einen<br />

zweiten Haiku, gleich hinterher, reichte<br />

es leicht.<br />

Das Land unter dir<br />

wie ein Spielzeug zu ahnen<br />

Schon bist du ein Zwerg<br />

31


32<br />

Der Körper vergessen, der Kopf war auf<br />

Reisen. Schon wollte er, vorlaut wie er<br />

ist, einen Triumph der Poesie über die<br />

Materie feiern, da drängte sich, vielleicht<br />

wegen der versuchten Gewichtsverlagerung<br />

auf die andere Pobacke, gequält die<br />

Frage durch meine betäubten Glieder:<br />

Warum tust du dir das überhaupt an,<br />

dieses Unterwegssein?<br />

Außer Haus zu sein<br />

im fremden Bett zu schlafen<br />

ist Last dir wie Glück<br />

Jetzt endlich war sie randvoll, die Speisekarte.<br />

Doch die Finger meiner linken<br />

Hand waren angeworfen. Eins, zwei,<br />

drei, vier, fünf. Eins, zwei, drei, vier, fünf,<br />

sechs, sieben. Noch einmal bis fünf. Sie<br />

standen mir nicht mehr still, solange ich<br />

in Japan war.<br />

2.<br />

Und selbst nach der Rückkehr, auf dem<br />

Flughafen von Paris, blieben sie rege, die<br />

silbensetzenden Finger. Die Trauer des<br />

Verlustes war zu fassen, der Enttäuschung.<br />

Halb zu Stein geworden der Körper nach<br />

zwölf Stunden Flug – nur die Zählhand<br />

war munter geblieben.<br />

Laut sind sie und plump<br />

Europas Menschenkinder<br />

Die Rückkehr macht klein<br />

Dann mein Willkommensgruß in der<br />

Heimat:<br />

O der ranke Wuchs<br />

der Japaner, alt wie jung<br />

Hier Butterfässer<br />

Mein letztes japanisches Wort. „Last wie<br />

Glück“ des Reisens: Diesen unerfreulichen<br />

Vergleich hätte ich mir sparen<br />

können, wenn ich es vor Wochen in den<br />

eigenen vier Wänden ausgehalten hätte.<br />

Ein reisendes Herz<br />

verweilt nie an einem Ort<br />

beim warmen Feuer<br />

3.<br />

Angekommen. Ich hatte Boden unter den<br />

Füßen, war wieder ein freier Mann. Der<br />

Boden hier heißt Japan. Zum ersten Mal


war ich in diesem Land. Kein Wiedererkennen,<br />

Vergleichen mit früher. Alles<br />

war ohne Maßstab. Der Zugang geschah<br />

spontan, das Angezogensein wie die Abstoßung.<br />

Beides lief über die Sinne, wie<br />

sie von den Erfahrungen meines bisherigen<br />

Lebens vorgespurt und ausgerichtet<br />

sind, geschärft oder erlahmt. Was quer zu<br />

diesen Erfahrungen stand, berührte mich<br />

als Fremdheit.<br />

Die erste Befremdung, bereits im Flughafen,<br />

lösten die Mullbinden aus, die die<br />

Menschen hier vor dem Mund tragen.<br />

Der quadratische weiße Lappen über<br />

Nase und Mund. Das, was das Gesicht<br />

eines Menschen ausmacht – verschwunden.<br />

Keine Personen sah ich – Patienten.<br />

Jeder zweite, so kam es mir vor, lief damit<br />

herum.<br />

Des Menschen Antlitz<br />

hinter Tüll zu verstecken<br />

Gesund soll das sein?<br />

Für jemanden, der es gewohnt ist,<br />

unausgesetzt in den Gesichtern seiner<br />

Mitmenschen zu lesen, gierig geradezu,<br />

war das natürlich mehr als eine Störung.<br />

Ich fühlte mich von diesen Angsthasen<br />

betrogen, verzieh es ihnen nicht, dass<br />

sie mich mit leeren Händen dastehen<br />

ließen. Ich habe mich geärgert, machte<br />

mich lustig darüber. Gewöhnen mochte<br />

ich mich an diesen Anblick nie. Jedesmal<br />

löste der weiße Gesundheitsfetzen etwas<br />

in mir aus.<br />

Eine ganze Reihe von Tagen hat es gebraucht,<br />

ehe ich ihm eine andere Seite<br />

abgewann. Da mir Mund und Nase<br />

vorenthalten waren, blieben meiner<br />

Neugier nur die Augen übrig. Darin<br />

lag eine Chance. Und es hat mich<br />

versöhnt.<br />

Manchmal geschieht es<br />

das Geheimnis des Schleiers<br />

als Maske vorm Mund<br />

Über die Augen, dem Eingang der Seele<br />

nach alter Rede, gelang es mir, wenn auch<br />

erst spät, die Mundbinde hinzunehmen<br />

und in einen anderen Bereich vorzudringen.<br />

Einen höheren vielleicht.<br />

Über dem Mullrand<br />

dunkelbraunes Augenpaar<br />

verführt zum Träumen<br />

4.<br />

Dass ich meine Eindrücke in diesem<br />

fremden Land vom ersten Augenblick<br />

an in Bashos Manier festhielt, dem<br />

Zufallsbekannten aus dem Flugzeug, vor<br />

dreihundert Jahren zur Form geworden<br />

in einen mir unvertrauten Kulturkreis,<br />

war so selbstverständlich, dass ich darauf<br />

keinen Gedanken verschwenden mußte.<br />

Es geschah beiläufi g. Wie das Einatmen<br />

der hiesigen Luft.<br />

Auf schmalen Pfaden<br />

durchs Hinterland zählt Basho<br />

„Fünf, sieben und fünf“<br />

Die<br />

Kürze<br />

des Haiku kommt gerade<br />

dem Reisenden zugute.<br />

Der Bleistiftstummel, mit<br />

aufgestecktem Radiergummi, ist<br />

mir immer zur Hand, ein Schnitzel Papier<br />

liegt überall herum. Beim Gehen, im<br />

Stehen, beim Fahren in der vollgestopften<br />

Stadtbahn – nirgendwo machte das Schreiben<br />

Umstände. Ein schlanker Vorgang.<br />

Und er saß hautnah am Leben. Das Maß<br />

der siebzehn Silben wie angegossen. Als<br />

übte ich es schon ein Leben lang.<br />

Ein Glücksfall natürlich (es überraschte<br />

mich keine Sekunde lang), dass mir in<br />

einer internationalen Buchhandlung<br />

Bashos Buch „Auf schmalen Pfaden<br />

durchs Hinterland“ in die Hände fi el, der<br />

Bericht seiner letzten langen Fußreise.<br />

Ein Büchlein zudem, das bequem in die<br />

Gesäßtasche der Hose paßte. Ab jetzt<br />

gingen wir zu zweit durch dieses Land,<br />

Schritt vor Schritt, der alte Meister und<br />

sein stümperhafter Lehrling. Dass uns<br />

dreihundert Jahre trennen sollten, hielt<br />

ich für eine Arabeske aus Zahlen. Gryphius,<br />

Bashos schlesischer Zeitgenosse, wäre<br />

mir vermutlich ferner gewesen. Poesie<br />

kennt keine Grenzen, von Zeit so wenig<br />

wie zwischen Orten. Es ist Luftraum.<br />

5.<br />

Die Krähen!<br />

Krähen im Gespräch<br />

hinweg über unsren Kopf<br />

Was meinen sie bloß?<br />

Laut sind die Krähen<br />

auf ihrem Posten oben<br />

geben den Ton an<br />

Kein Tier ist in Japan gegenwärtiger als<br />

diese schwarzen schweren Vögel. (Nichts<br />

da von landesüblicher Zierlichkeit.)<br />

Überall trifft man sie in den Städten.<br />

Vor allem: Man hört sie. Ihrem trocken<br />

Kehlschrei zeigt sich selbst der zünftigste<br />

Autolärm an einer Kreuzung nicht<br />

gewachsen (wobei sich die Zurückhaltung<br />

des japanischen Verkehrsteilnehmers auch<br />

bei der Benutzung der Hupe glücklich<br />

bewährt).<br />

33


34<br />

Frühmorgens kann man das nächtliche<br />

Wirken der Krähen bewundern: Die<br />

Plastiksäcke in den Vorgärten aufgerissen<br />

und der Müll raumfüllend über die ganze<br />

Straße verteilt. Dem Hausbewohner, der<br />

eilig zur Arbeit will, hebt sich bei dem<br />

Anblick der Magen an den Hals.<br />

Gierige Krähen<br />

belästigen das Viertel<br />

als Müllpolizei<br />

6.<br />

Die Reise war so geplant, dass sie in<br />

die Phase der Kirschblüte fällt. Diese<br />

zehn Tage, Höhepunkt des japanischen<br />

Kalenders, geben dem Land sein schönstes<br />

Aussehen, das Idealbild seiner selbst.<br />

Darauf fiebern die Menschen hin, Alte<br />

und Junge, und freuen sich, wenn es so<br />

weit ist, an der weißen Pracht über ihren<br />

Scheiteln, in den Parken, an den Straßen,<br />

freuen sich auf ihre ruhige, nach innen<br />

gekehrte Art. Und ziehen hinein in die<br />

Parke, immer in Gruppen: Kollegen,<br />

Nachbarn, Freunde, die Familie, mit<br />

Kind und Oma und reich bestücktem<br />

Imbißkorb. Sake fehlt so gut wie nie, das<br />

Sakrament des Erblühens zu feiern. So<br />

rasten sie unter dem Himmel aus Weiß,<br />

den anderen, tieferen hat ihnen das dichte<br />

duftige Gezweig weggesperrt. Keiner<br />

scheint ihn zu vermissen. (Ehrensache,<br />

dass nach dem Gelage kein Krümel und<br />

kein Fetzchen Papier am Boden zurückbleiben.)<br />

Dir selbst, dem Fremden, der nie dergleichen<br />

erlebt hat, kommen die Stunden<br />

abhanden, du sitzt da, auf engstem Raum<br />

neben anderen (in ständigem Wechsel),<br />

bist stumm und sprachlos vor Glück,<br />

nippst an deinem Sake-Gläschen, Stunde<br />

um Stunde, du spürst sie nicht, vergißt<br />

dich selbst, und schwer nur findest du<br />

den Weg hervor unter dem Zauberdach,<br />

das dich halten will bis zuletzt, trittst<br />

hinaus in Freie, in eine Leere, die dir so<br />

vielleicht noch nie begegnet ist, so ohne<br />

Geheimnis, entblättert, blütenlos. Vorbei.<br />

Mußt morgen wiederkommen.<br />

Weißer Wolkenduft<br />

Scheinst nicht von dieser Erde<br />

Wie faß ich dich nur?<br />

Unter Kirschenblühn<br />

- Krähen krächzen Lufthoheit -<br />

freut Sake noch mehr<br />

Auf Plastikplanen<br />

unter dem Kirschblütendach<br />

Picknick auch werktags<br />

Zur Nacht kämmt sie sich<br />

Kirschblüten aus ihrem Haar<br />

Weiß auf Schwarz. Glänzend<br />

Und dann, lang befürchtet, das Ende.<br />

Morgen gibt es kein Heute mehr. Jetzt<br />

müssen wir alle wieder ein ganzes Jahr<br />

lang auf das weiße Wunder warten. (Ich<br />

viel länger.)<br />

Weiß taumelt die Luft<br />

Die Kirschblüte regnet ab<br />

Kein Mai wird sie sehn<br />

Die Kirschblüte – ach!<br />

Grün sind alle Zweige jetzt<br />

Am Boden das Weiß<br />

7.<br />

Der Dichter Yoshida Kenko lebte, lese<br />

ich, von 1282 bis 1350. Diese Daten<br />

decken sich mit denen Dante Aleghieris,<br />

des Florentiners, der auch, zuletzt, im<br />

Unterwegssein sein Zuhause fand. Kenko<br />

sagte:<br />

„Irgendwohin eine Reise zu machen, ist<br />

so erfrischend wie ein Erwachen aus dem<br />

Schlaf. Wandert man in den ländlichen<br />

Gegenden und den Bergen, wo da oder<br />

dort ein Dorf versteckt liegt, aufmerksam<br />

umher, so entdeckt man tausend<br />

Dinge, die das Auge noch nie gesehen<br />

hat.“<br />

Für Städte gilt das nicht minder.<br />

Das Fahren mit Tokyos Stadtbahnen:


Nirgendwo wurden meine bisherigen<br />

Lebens- und Reiseerfahrungen derart<br />

wirksam außer Kraft gesetzt, auf den<br />

Kopf gestellt, zerfetzt, immer wieder und<br />

jedes Mal wieder anders. Die Enge in den<br />

Abteilen war atemberaubend, aber nicht<br />

eng genug, das Skandieren meiner linken<br />

Hand zu bremsen, und geschrieben habe<br />

ich dort, meine ich, auch. Irgendwo über<br />

den Köpfen, in der Luft.<br />

Millionen pendeln<br />

Tokyos Stadtbahn ist geleckt<br />

Wie im Wohnzimmer!<br />

Der dunkle Anzug<br />

weißes Hemd und Krawatte<br />

Voll ist die Stadtbahn<br />

Kein Abfall zu sehen<br />

Niemand frißt hier aus Tüten<br />

Fahren heißt Fahren<br />

8.<br />

Basho ist – wundert sich einer? – klüger<br />

mit der Kirschblüte umgegangen als der<br />

Novize aus dem Westen. (Überhaupt habe<br />

ich im Gespräch mit Japanern immer das<br />

leicht beklemmende Gefühl, vorlaut zu<br />

sein, vorschnell, und regelmäßig die letzte<br />

entscheidende Wendung des Gedankens<br />

zu verpassen, im Halbfertigen steckenzubleiben.)<br />

Statt selbst die Kirschblüte zu<br />

beschreiben (eitles Unterfangen), erinnert<br />

Basho sich an das Gedicht eines Früheren,<br />

des Priester Gyoson-sojo, und zitiert es im<br />

Stillen (also nicht auf dem Papier seines<br />

Reiseberichts):<br />

Nur wir beide mögen<br />

dies als schönste Trauer tragen:<br />

Denn du Bergkirsche blühst<br />

und keiner weiß es und auch ich<br />

kenne niemand, der mich kennt<br />

Basho beläßt es nicht dabei, vor der<br />

Tradition zurückzutreten und das eigene<br />

Wort ungesagt zu lassen (eine schreckliche<br />

Überwindung für einen Schreibenden).<br />

Es scheint weniger aus Bescheidenheit<br />

geschehen zu sein als aus der Erkenntnis,<br />

dass jedem Wort, das in die Welt tritt, im<br />

Kern auch immer ein Verrat innewohnt.<br />

„Die Regel schreibt den Bergasketen vor“,<br />

notiert Basho, nachdem er sich Gyosons<br />

tieftraurige Elegie vorgesagt hat, stumm,<br />

nur für sich – „die Regel schreibt vor, nichts<br />

von dem, was den Zauber dieser Berge<br />

ausmacht, anderen zu verraten. Dieser will<br />

auch ich mich fügen: ich lege meinen Pinsel<br />

nieder und berichte nicht weiter ...“<br />

Wenig zu sehen<br />

mit aufgerissnen Augen<br />

Vorrecht des Fremden<br />

Es trifft nicht ganz, aber ein wenig<br />

fühle ich mich bei Bashos „Regel“ an das<br />

Goethesche „Sag es niemand, nur dem<br />

Weisen“ erinnert und spreche den Vers<br />

leise zu Ende.<br />

In seinen Hausteich<br />

schrieb der Meister das Gedicht<br />

aus Wasser und Stein<br />

Jetzt, beim Überlesen, fallen mir – als Widerklang<br />

– zwei Verse Rainer Maria Rilkes<br />

aus seinen „Sonetten an Orpheus“ ein:<br />

Zu der stillen Erde sag: Ich rinne<br />

Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.<br />

9.<br />

Tausende und mehr<br />

Tempel erfreun Kyoto<br />

Nicht einer zu viel<br />

Über die ganze Stadtebene verteilt liegen<br />

sie, die Tempel der alten Kaiserstadt,<br />

wachsen die Hänge hoch bis in die Berge<br />

hinein. Der Fluß Kamo-gawa mit all seinen<br />

Kanälchen – kirschblütenverhangen<br />

in diesen Tagen – quert die Stadt. Klein<br />

ist sie nicht. Lange Wege sind zu gehen.<br />

Kyoto ist auch eine moderne Großstadt<br />

von annähernd anderthalb Millionen<br />

Einwohnern.<br />

Fahrräder sind leicht zu leihen. Sie<br />

machen den Gast unabhängig und frei.<br />

Angenehm spürt er die samtwarme Frühlingsluft<br />

auf der Haut, die Lust, in die<br />

Pedalen zu treten, dem Körper Bewegung<br />

zu gönnen. Trotz des ungewohnten Linksverkehrs<br />

radelt es sich mühelos durch<br />

den großstädtischen Werktagsverkehr<br />

dahin, von Tempel zu Tempel, durchaus<br />

von einem Ende der Stadt zum anderen.<br />

Als Radfahrer ist man der schwächste<br />

unter den Benutzern der Straße, weil der<br />

langsamste. Doch wie mit ihm hier umgegangen<br />

wird – ohne Schwere, so kommt<br />

es dir vor, als läge ein Schutzschild um<br />

deine Schultern. Kein Drängen, Hupen,<br />

Drohen, Geschrei. In weichen Bögen<br />

umkurven sie das menschengetriebene<br />

Gefährt, Personenwägen, Busse, selbst<br />

die Taxifahrer zeigen Manieren. Wenn<br />

ich mir vorstelle, ich führe auf dem Rad<br />

durch Köln oder Neapel –<br />

So viele sie sind<br />

doch geschmeidig wie hier<br />

fließt kein Verkehr sonst<br />

35


36<br />

Einen Verkehrsunfall habe ich in den<br />

Wochen nicht erlebt. Die Autos, zierlich<br />

wie alles hier, sehen samt und sonders aus,<br />

als kämen sie frisch vom Band.<br />

In der Nähe der Tempel selbst wird es<br />

schwieriger für den Radler. Derart dichte<br />

Menschenmengen umschließen ihn, drängen<br />

von allen Seiten in den Hauptstrom<br />

hinein, unüberschaubar, und kommen<br />

ihm gleichzeitig entgegen, dass man das<br />

Rad besser schiebt und bald stehen läßt.<br />

Die Tempel, die in den Reiseführern besonders<br />

empfohlen werden, sind natürlich<br />

rettungslos überlaufen, die Eintrittsgebühren<br />

entsprechend saftig. Die Gehrichtung<br />

durch diese herrlichen Gärten sind vorgegeben,<br />

und sie sind eingeschränkt. Irgendwo<br />

wird immer etwas repariert. Den tief<br />

in mir sitzenden Stachel, gegen den Strom<br />

zu schwimmen, habe ich mir beim zweiten<br />

oder dritten Versuch gezogen. Vor solchen<br />

Massen gibt es kein Entrinnen. Selbst<br />

Kafkas Maus bliebe hier ohne Chance.<br />

Auch in den Zen-Hallen kommt man<br />

nicht zur Ruhe. Der Blick hinaus auf<br />

die Anlage aus Stein, Kies, Sand und ein<br />

paar kurz gehaltenen Büschen. Die Menschen<br />

sind irritiert von solcher Kargheit,<br />

vielleicht auch enttäuscht. Statt Ruhe<br />

über sich kommen zu lassen, flüchten<br />

sie aus der Gegenwart des Jetzt und<br />

Hier und knipsen ihre Fotos ab, in der<br />

Erwartung, damit etwas festzuhalten, für<br />

später. Das, was sie im Moment verstreichen<br />

lassen, soll in irgendeiner Zukunft<br />

eingeholt werden, als blasses Abbild.<br />

Nirgendwo könnte es weniger fotogen<br />

sein als im Angesicht eines Zen-Gartens,<br />

und umso heftiger wird das Aussichtslose<br />

geübt. Immer wieder wird man bedrängt,<br />

muß raumfordernden Verrenkungen<br />

ausweichen, kommt selbst kaum<br />

zu sich und hat keine Möglichkeit, den<br />

Raum zu füllen mit der eigenen Wenigkeit<br />

und ihrer inne zu werden. Der<br />

Flüchtigkeit unseres Seins. Die Knipser<br />

dulden das nicht. Die Ruhe des Zen<br />

wird püriert, bis sie nicht mehr da ist,<br />

damit sie aufs bunte Bild paßt. Irgendein<br />

Stein, zwei bizarr verdrehte Zweige, ein<br />

paar vom Rechen gezogene Linien im<br />

Sand, und davor die kleine Toshiko, mit<br />

Schleife im Haar. Das war – ja, wo war<br />

das noch gleich: In Kyoto vielleicht?<br />

Doch es gibt auch Tempel, selbst in der<br />

alten Kaiserstadt, die in den Reisebüchern<br />

vergessen sind. Die Eintrittsgebühr<br />

ist deshalb niedriger oder entfällt<br />

ganz. Du bist für dich, kannst sitzen und<br />

schauen auf das wenige, das so ein Zen-<br />

Garten bietet. Wenig und alles. Bis deine<br />

Wirbelsäule sich meldet und dich an die<br />

Grenzen deines Ichs erinnert.<br />

„Zazen“ heißt Sitzen<br />

Sitzen. Und Denken geschieht<br />

Einfaches ist schwer<br />

Ja, wenn du tanzen könntest! Den Körper<br />

aufheben! Dir aber bleiben nur ein paar<br />

Wörter, siebzehn Silben genau. Zum<br />

Träumen reicht es.<br />

Tanzen wär die Kunst<br />

bis in die Fingerspitzen<br />

standhaft zu bleiben


10.<br />

Gewandert sind die Dichter früher<br />

in Japan, über Monate hinweg, einen<br />

Strohkorb auf dem Rücken, den Stecken<br />

in der Faust, an den Füßen leichte<br />

Sandalen, Sommer wie Winter. Meist<br />

war ein Reisegefährte dabei, auch er<br />

natürlich Dichter. Unterwegs schloß sich<br />

der eine oder andere für eine Weile an.<br />

Zum Übernachten wurde eine Herberge<br />

aufgesucht, oder man stieg bei Freunden<br />

ab, Kaufleute meist und also betucht, die<br />

selbst gerne dichteten und denen es eine<br />

Ehre war, den Wanderdichter bei sich zu<br />

bewirten zu dürfen und von ihm dafür<br />

im Schreiben von Versen unterwiesen zu<br />

werden.<br />

Abends saß man beisammen: der Gast<br />

oder zwei, der Hausherr und ein paar<br />

ausgewählte Freunde, bei Kerzenlicht<br />

und Sake, und dichtete. Ganze Ketten<br />

von Gedichten entstanden. Die Zahl<br />

der Silben wechselten, mal vierzehn, mal<br />

siebzehn.<br />

Einer dieser Wanderdichter war Basho.<br />

Mehrere Fußreisen von ihm sind bezeugt.<br />

Wie näher am eigenen Leib als auf<br />

Straßen und Wegen und Pfaden könnte<br />

man das Leben erspüren, seinen Wandel<br />

im Augenblick? Die Züge der Landschaft,<br />

die Gesichter der Stämme und<br />

ihre Sprachen, das Spiel von Helligkeit<br />

und Dunkel früh und am Abend, den<br />

klimatischen Wechsel von Herbst in den<br />

Winter?<br />

Ein reisendes Herz<br />

verweilt nie an einem Ort<br />

beim warmen Feuer<br />

Bequem war es nicht, immer unterwegs<br />

zu sein. Ein karges, eingeschränktes<br />

Leben. Hitze und Kälte und<br />

Regen. Müdigkeit des Körpers, der<br />

Seele. Angst vor Räubern in einsamer<br />

Gegend, vor Tieren. Die Anstrengung<br />

des Gehens in Bastsandalen, über Felsgestein,<br />

durch schlammiges Gelände,<br />

nur auf Sicht orientiert. Und wenn<br />

sich dann noch eine Erkältung in die<br />

Knochen schlich. Manchmal gab ein<br />

großherziger Gastgeber einen Führer<br />

mit für einen Tag, wenn die Gegend zu<br />

unwegsam war.<br />

Die, die lieber „beim warmen Feuer“<br />

sitzen, nennen eine solche Existenz<br />

entbehrungsreich. Doch die Mühen<br />

sind nicht umsonst, sie werden belohnt.<br />

Man ist nah dran am Leben, mit der<br />

eigenen Haut. Nah an Mensch und<br />

Ding, nah an der Natur, nah an Stein<br />

und Sein. Zwischen Himmel und Erde,<br />

Begeisterung und Niedergeschlagenheit,<br />

Seligkeit und Verzweiflung.<br />

Wandern als Lebensform. Man erwandert<br />

das Leben und erwandert sich<br />

selbst. Auf kürzestem Weg wird das<br />

Außen zum Innen, lösen Trennungen<br />

sich, wird alles eins. Durch die eigene<br />

Person hindurch und über sie hinaus.<br />

Grenzen sinken nieder, im Gehen<br />

Schritt für Schritt, verlieren ihren Sinn.<br />

Mögen die anderen, die „beim warmen<br />

Feuer“ sitzen, sie pflegen und hüten<br />

und verteidigen. Dem Dichter liegt<br />

anderes am Herzen. Er ist längst wieder<br />

auf der Walze.<br />

Das Ziel war im Gehen. Doch ohne<br />

Kompaß war Bashos Wandern und das<br />

seiner Kollegen im alten Japan keineswegs.<br />

„Gedichtskopfkissen“ hieß das<br />

Ziel. „uta-makura“ hat, vermute ich,<br />

bis heute im Land eine gewisse Aura<br />

bewahrt und treibt immer noch Dichter<br />

hinaus auf die Straße. Als „Gedichtskopfkissen“<br />

wird eine Landschaft von<br />

besonderer Schönheit bezeichnet,<br />

Orte, die in der Literatur schon oft<br />

„besungen“ worden sind, wie es bei uns<br />

im 19.Jahrhundert hieß. Deshalb war<br />

dieser locus amoenus ein Kissen, eine<br />

Kopfstütze. Von früheren Dichtern<br />

entdeckt und geschaffen, festgehalten<br />

im Wort, suchten die Wanderpoeten<br />

diese „Gedichtskopfkissen“ auf, die sie<br />

noch nie gesehen hatten und gleichwohl<br />

doch genauestens kannten – aus<br />

den Gedichten ihrer Vor-Gänger. Basho<br />

und die Seinen waren nicht unterwegs,<br />

um Neues zu entdecken, irgendwo der<br />

erste zu sein. Ganz das Gegenteil. Sie<br />

wollten das Bekannte erfahren, das ihnen<br />

im Vers Vertraute. War der schöne<br />

Ort erreicht, das Ziel aller Mühen und<br />

Entbehrungen, wurden die Gedichte<br />

zitiert, laut oder im Kopf, die hier<br />

entstanden waren, vor fünfzig, hundert,<br />

vor dreihundert Jahren. Weit reichte<br />

die Kette ins Vergangene hinab. Dann<br />

erst – erst dann erhob der Dichter seine<br />

eigene Stimme, am Ort, wo er stand<br />

wie so viele schon vor ihm, und pries<br />

das, was er gerade in diesem Augenblick<br />

erlebte, teilte das Empfinden, das<br />

schon durch so viele Köpfe und Herzen<br />

gegangen war. Das hätte entmutigen<br />

können, und durchaus nicht an jedem<br />

„Gedichtskopfkissen“ fiel Basho etwas<br />

Eigenes ein. Aber meistens zündete der<br />

Funke doch. Und es geschah ein Gedicht,<br />

meist in Anlehnung an eines der<br />

früher hier entstandenen oder mehrere.<br />

Ein Weiterspinnen von Gedanken und<br />

Gefühlen über Jahrhunderte hinweg.<br />

Communio im Wort.<br />

Der Wanderdichter war angelangt. Er<br />

konnte sicher sein: Eines Tages, mochte<br />

er auch schon nicht mehr in diesem<br />

Leben sein – irgendeiner stünde eines<br />

Tages wie er genau an diesem Platz und<br />

erfuhr den flüchtigen Augenblick des<br />

Jetzt in diesen Worten wieder, die ihm<br />

gerade in den Sinn gekommen waren.<br />

Abends, in der Herberge, saß Basho<br />

nieder, griff zu Pinsel, Tusche und<br />

Papier und hielt das vor Ort im Kopf<br />

Geschriebene fest. Für sich, für spätere,<br />

wann immer. Sein Bund mit der Ewigkeit.<br />

Damit kann man gehen. Und gehen<br />

und gehen.<br />

37


38<br />

So ist es mit der Muschel<br />

Geht schwer auseinander – wie wir<br />

im scheidenden Herbst<br />

11.<br />

Vom Shinkansen aus<br />

glüht weiß das Dach des Fuji<br />

verdreht mir den Kopf<br />

Basho berichtet, wie er mit seinem<br />

Weggefährten Sora, Dichter wie er, im<br />

Gebirge einen Paß überquert.<br />

„’Von hier aus bis zur Grenze der<br />

Provinz Dewa stehen hohe Berge wie<br />

Trennwände, fast unpassierbar; die<br />

Wege sind unsicher, so dass man sie<br />

ohne die Hilfe eines Ortskundigen<br />

nicht bewältigen kann!’ sagte unser<br />

Gastgeber, und daher vertrauten<br />

wir uns einem kräftig aussehenden<br />

Burschen an, der einen Krummsäbel<br />

umhängen hatte und einen Eichenstecken<br />

trug. ‚Ausgerechnet an einem<br />

Tag, der uns Böses bringen kann!’ sagte<br />

er, und wir strauchelten entsprechend<br />

eingeschüchtert hinter ihm drein.<br />

Unser Gastgeber hatte recht behalten,<br />

es gab nichts als hohe Berge und dichte<br />

Waldungen, durch die keine Vogelstim-<br />

me drang. Durch Waldesdunkel und<br />

wucherndes Gestrüpp führte der Pfad<br />

– es war uns, als schritten wir durch die<br />

Nacht. Wir erlebten die Stimmung von<br />

Tu Fus Gedichtworten: ‚... aus Wolkenrändern<br />

wirbelte Nebelstaub...’<br />

Schritt für Schritt zwängten wir uns<br />

durchs dichte Bambusgrasgewirr, zerteilten<br />

es mühsam, und nur so konnten<br />

wir uns langsam einen Weg bahnen. Wir<br />

staksten über Wildbäche und suchten<br />

unseren Halt über manchen Felsen<br />

kletternd, während kalter Schweiß über<br />

unsere Körper rann. Erst als wir die Ländereien<br />

von Mogami erreichen, hatten<br />

wir es hinter uns. ‚Dieser Weg hält sonst<br />

immer Unvorhergesehenes bereit. Euch<br />

unversehrt bis hierher geführt zu haben,<br />

ist ein großes Glück!’ sagte freudestrahlend<br />

der Bursche, der uns gebracht hatte.<br />

Dann trennten wir uns von ihm. Aber<br />

noch lange nachher spürte ich das kalten<br />

Grauen, das seine ersten Worte in mir<br />

hinterlassen hatten. Angst schnürte mir<br />

die Brust zusammen.“<br />

12.<br />

Die Kruste so dünn<br />

Im Erdinneren gärt es<br />

Japans Schlaf ist leicht<br />

Die schlanke Inselwelt, die Japan ist,<br />

haben Vulkane geschaffen. Das Land ist<br />

ursprungsnah, die Vulkane leben noch.<br />

Hier bebt die Erde, wie zu Beginn der<br />

Zeiten. So gut es den Menschen möglich<br />

ist, hat die Architektur sich darauf eingestellt.<br />

Aber immer wieder kocht es im<br />

Inneren der Erde hoch, die dünne Kruste<br />

zerbricht wie eine Oblate. Ein Stück<br />

Küste reißt es ins Meer, Berge bersten,<br />

Städte versinken in Schutt und Asche. Bis<br />

in unsere Tage hinein.<br />

In den neunziger Jahren des vergangenen<br />

Jahrhunderts hat ein Erdbeben Teile der<br />

Stadt Kobe verschlungen, sechstausend<br />

Menschen fanden den Tod. Was sagt eine<br />

solche Zahl?<br />

Genug immerhin, dass ich die Fahrt mit dem<br />

Schnellzug Shinkansen hier unterbreche.<br />

Kobe heute. Eine Stadt wie andere.<br />

Was hatte ich erwartet? Keine Spuren<br />

geblieben von der Zerstörung, die<br />

Katastrophe restlos überbaut. Ein neues<br />

Hafengelände posiert mit erfreulich<br />

abwechslungsreicher Architektur: Hotels<br />

als Hochhäuser, schmucke Einkaufsstraßen<br />

und –passagen. Großzügig angelegt<br />

Erholungsplätze am Rand des Wassers,<br />

auf denen sich – heute ist Sonntag – die<br />

Eltern mit ihren Kindern ergehen. Die<br />

Herzen geöffnet. Sonne setzt allem ihren<br />

Glanz auf. Wahrscheinlich ist es dieser<br />

Tage schöner, als es jemals hier war. Der<br />

Schrecken damals restlos verzehrt. Kein<br />

Gedenkstein, keine Inschrift. Für wen<br />

auch? Die Menschen der Stadt wissen<br />

es. Sie muß keiner erinnern. Sie nutzen<br />

die neugeschaffenen Räume, freuen sich<br />

daran. Das ist ihre Stadt. Die Sonne. Das<br />

Meer, glatt und ruhig. Ein solcher Friede.<br />

Der Kopf muß mir einreden, dass er<br />

trügerisch sei. Es sind immer die, die von<br />

außen kommen, die Fremden, Unbetroffenen,<br />

die sich Sorgen machen. Ohne jede<br />

Haftung. Morgen sind sie anderswo. Und<br />

die Einheimischen? Die hier leben wollen<br />

und hier leben müssen?<br />

Sie leben.<br />

Land und die Menschen<br />

Auf Vulkane gegründet<br />

ahn ich ein Zittern


13.<br />

„Berge stürzen ein, neue Flüsse quellen<br />

hervor, Wege vergrasen, in die Erde<br />

versunkene Steine werden unsichtbar,<br />

Bäume altern und erstehen als junge<br />

Triebe verwandelt wieder – so ändern sich<br />

die Zeiten und wechseln Menschengenerationen:<br />

die verbleibenden Spuren sind<br />

meist fraglicher Natur.<br />

‚Das Land ist verwüstet – Berge und Flüsse<br />

aber blieben unversehrt – über Burgruinen<br />

grünt, wenn der Lenz kommt, nur<br />

noch Gras!’ Diese Gedichtworte gingen<br />

mir durch den Kopf. Meinen Bambushut<br />

unter mir ausgebreitet saß ich da, vergoß<br />

Tränen – und vergaß die Zeit:<br />

Sommergras ...!<br />

Von all den Ruhmesträumen<br />

die letzte Spur“<br />

So steht es in Bashos Bericht von seiner<br />

letzten Wanderreise.<br />

14.<br />

Den Vulkanen sei Dank!<br />

Neben dem Gehweg<br />

dampft es über dem Rinnsal<br />

Fort mit Schuh und Strumpf<br />

Heißes Wasser quillt<br />

aus dem Herzen der Erde<br />

dir vor die Füße<br />

„Die Nacht verbrachten wir in Iizuka,<br />

einem Heißquellenort. Wir stiegen<br />

unverzüglich ins heiße Bad. Zwar<br />

hatten wir uns regelrecht eingemietet,<br />

bekamen aber lediglich eine armselige,<br />

heruntergekommene Schlafstätte: auf<br />

dem kahlen Fußboden lagen nur dünne<br />

Binsenmatten ausgebreitet. Es gab keine<br />

Leuchte, und wir mußten , bevor wir<br />

uns niederlegen konnten, unser Nachtlager<br />

beim Schein der offenen Feuerstelle<br />

einrichten.<br />

Tief in der Nacht kam ein Gewitter<br />

auf mit Donner und Blitz; es goß in<br />

Strömen, so heftig, dass es von der Decke<br />

troff. Zu allem Überfluß gab es auch<br />

noch Flöhe und Moskitos, die uns zerstachen.<br />

Ich konnte kein Auge schließen.<br />

Mein altes chronisches Leiden stellte sich<br />

wieder ein – die Schmerzen raubten mir<br />

fast die Besinnung.<br />

Als der Morgen graute - die ersten Anzeichen<br />

konnte man endlich am Himmel<br />

dieser so kurzen Sommernacht ablesen<br />

- , brachen wir auf. Wie die Brandung,<br />

die auch nach einem Sturm anhält, litt<br />

ich noch lange unter den Nachwirkungen<br />

meines nächtlichen Anfalls: es wollte<br />

und wollte mir nicht besser gehen.<br />

Wir liehen uns Pferde und gelangten<br />

zur Wechselstation Kori. Von hier aus<br />

lag unser Reiseziel noch in sehr weiter<br />

Ferne, und bis dahin mit einem solchen<br />

Leiden durchzuhalten? Es wurde mir<br />

angst und bange bei diesem Gedanken.<br />

Schließlich aber befand ich mich auf<br />

einer Wanderübung, ein Wanderer durch<br />

weit entlegene Provinzen, der um der<br />

Erleuchtung willen der Welt entsagt und<br />

sich auch die Idee der Vergänglichkeit<br />

stets vergegenwärtigt und der die Möglichkeit,<br />

unterwegs zu sterben, hinnimmt<br />

als Bestimmung des Himmels.“<br />

Bald ist Basho am Ziel.<br />

15.<br />

„Steigbügelschliff“ – ein Wort von vier<br />

Silben, aus einem Haiku, fast eine Verszeile<br />

lang.<br />

Steigbügelschliff?<br />

Die Wanderpoeten im alten Japan, auch<br />

Basho, waren auf manchem Weg zu Pferde<br />

unterwegs, gemietet oder ausgeliehen,<br />

wenn ihnen jemand freundlich gesonnen<br />

war.<br />

„Steigbügelschliff“: Der Hohlweg, den es<br />

zu durchqueren galt, war derart eng, dass<br />

der Reiter mit seinen Steigbügeln rechts<br />

wie links an der Bergwand entlangscheuerte<br />

und dabei Spuren im Gestein<br />

hinerließ, flüchtige Kratzer. Abends dann,<br />

den Pinsel in der Hand, fanden sie sich<br />

ein, diese vier Silben, und kamen aufs<br />

Papier. Jetzt etwas haltbarer gemacht, für<br />

eine Weile oder, wie hier, für ein Drittel<br />

Jahrtausend (bis jetzt).<br />

Das war doch einen Sake wert, heut<br />

Abend.<br />

16.<br />

In weitem Bogen<br />

das Schwert aus der Scheide<br />

und kein Klingenstreich!<br />

Leg den Bogen an<br />

den Pfeil, atme und ziel, spann<br />

Dann laß es sinken<br />

Von dem Priester-Dichter Noin-hoshi,<br />

989 geboren, erzählt man sich, er sei<br />

nicht gerne gereist. „Es heißt, er habe sich<br />

lange Zeit vor den Augen der Welt verborgen<br />

und die Hände zum Bräunen aus<br />

dem Fenster gestreckt, um vortäuschen zu<br />

können, er sei auf Reisen gewesen.“<br />

Sie blättert nicht ab<br />

die Kamelienblüte<br />

Ganz stürzt sie vom Zweig<br />

17.<br />

Ein Haiku Bashos, von seiner Hand.<br />

Michael Zeller<br />

Erstveröffentlichung Musenblätter 2009<br />

Fotos: Jürgen Kasten<br />

39


40<br />

Michael Zeller<br />

Foto: Ryszard Kopczynski<br />

Seit seinem literarischen Debüt 1978<br />

(mit dem Roman Fehlstart-Training)<br />

hat Michael Zeller ein außerordentlich<br />

vielgestaltiges Werk geschaffen. Neben<br />

Gedicht-, Erzähl- und Essaybänden sind<br />

das vor allem seine bisher acht Roma-<br />

ne, darunter so erfolgreiche Titel (mit<br />

mehreren Auflagen) wie Follens Erbe,<br />

Die Sonne! Früchte. Ein Tod, Die Reise<br />

nach Samosch oder Café Europa. Seit<br />

1990 hat der Autor sein literarisches Augenmerk<br />

verstärkt auf den östlichen Teil<br />

Europas gelenkt, vor allem auf Polen.<br />

Ein Jahr hat er in Krakau gelebt. Daher<br />

rühren die „Krakauer Geschichten“<br />

Noch ein Glas mit Pan Tadeusz.<br />

Auszeichnungen (Auswahl):<br />

Stipendium, Worpswede (1984/85).<br />

Writer in residence, New York<br />

(1988/89), Stadtschreiber in Lauenburg/<br />

Elbe (1995/96). Kulturpreis Schlesien<br />

des Landes Niedersachsen (1997),<br />

Literaturpreis der Robert-Bosch-Stiftung<br />

(1997), Poetikdozenturen an den<br />

Universitäten Mainz (1993/94) und Erfurt(2001/02),<br />

Artist in residence, Erfurt<br />

(2001), Preis der Springmann-Stiftung,<br />

Wuppertal (2003), Literaturpreis der<br />

mittelfränkischen Wirtschaft (2004),<br />

Von der Heydt-Preis der Stadt Wupper-<br />

tal (2008). Er war zu Poetikdozenturen<br />

eingeladen an den Universitäten Erfurt,<br />

Mainz, New York..<br />

Zuletzt sind von ihm erschienen<br />

2010 Wir machen den Pott voll<br />

Erzählung, zusammen mit Schülern<br />

einer Duisburger Realschule (PEN-<br />

Projekt RUHR 2010)<br />

2009 Falschspieler. Roman<br />

2009 Die Soester Fehde. Schauspiel<br />

(Uraufführung August 2009)<br />

2009 Der Schüler Struwe. Erzählung<br />

2009 Saskia leuchtet. Erzählung<br />

(zusammen mit Schülern)<br />

2010 im Herbst, Gerhard Nebel,<br />

Zwischen den Fronten.<br />

Kriegstagebücher<br />

Wiederentdeckt, ausgewählt und<br />

mit einem Nachwort von Michael<br />

Zeller<br />

Umfassendere Information im Netz unter<br />

www.michael-zeller.de<br />

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Werden sie doch einfach Abonnent!<br />

detaillierte informationen zu den Konzerten und den Vorteilen der Abonnements finden sie in unserem<br />

Jahresprogramm 2010/2011, das sie an der Konzertkasse erhalten oder unter www.sinfonieorchester-wuppertal.de<br />

VVK und Abonnements über topticKet: tel. 02 02. 569 44 44, www.wsw-online.de/topticket


Andreas Steffens<br />

Schriftsteller und Philosoph<br />

1957 in Wuppertal geboren<br />

Der glücklichste Mensch<br />

Andreas Steffens - Portrait des Sammlers<br />

Ich war überglücklich, meine Sammlung wieder zu haben und sie endlich<br />

in meinem Palazzo aufhängen zu können.<br />

(Peggy Guggenheim)<br />

„Das muß ich Ihnen erzählen!“<br />

Diesen, oder einen ähnlichen Satz hat jeder schon zu hören bekommen, der von<br />

einem passionierten Sammler durch dessen Sammlung geführt worden ist. Sammeln<br />

ist ein Vorwand für Erzählungen. Sammler sind eigentlich Geschichtenerzähler.<br />

Das erfährt besonders, wer mit den Objekten ihres Interesses handelt. Die Kunden<br />

kauften auch, um zu sprechen. Um das, was sie bewegte, vor jemandem auszubreiten,<br />

der nicht nach Zeiteinheiten bezahlt wurde, wie Rechtsanwälte oder Psychotherapeuten.<br />

Der kluge Händler hört geduldig zu, bis er der Kaufbereitschaft seines Kunden sicher<br />

sein kann; der kluge Kunde redet nicht länger, als die von seinem Verkaufsinteresse<br />

bemessene Bereitschaft des Händlers dauert. Natürlich hörte Jillian den Kunden nur<br />

so lange zu, wie sie Kunden waren. Das bedeutete nicht, dass sie jedes angebotene Stück<br />

kaufen mussten. Hatten die Kunden sehr lange kein Stück mehr gekauft, erwateten sie<br />

nicht, dass Jillian ihnen noch zuhörte. Wenn Kunden nicht mehr sammelten, wenn sie<br />

ihre Interessen einem anderen Gebiet zuwandten oder nicht mehr über die entsprechenden<br />

finanziellen Möglichkeiten verfügten, merkte Jillian das zuerst daran, dass die Gespräche<br />

kurz wurden (1).<br />

Die Emotionen, die Erinnerungen, die Wünsche, Begebenheiten, Erfolge und Mißerfolge,<br />

kurz: die Geschichten, die mit ihm verbunden sind, machen den wirklichen -<br />

und einzigen - Wert jedes Stückes jeder Sammlung aus. Auf den Besitz kommt es nur<br />

wenigen Sammlern an; den meisten um so mehr darauf, davon berichten zu können,<br />

wie sie ihn erlangten.<br />

Das Glück des Sammlers ist nicht das Besitzen. Es ist das Entdecken. So besteht eine<br />

Sammlung zwar aus einer Ansammlung von Fundstücken, welcher Art und welchen<br />

Genres auch immer, sie ist eine Versammlung von Gegenständen, von Materie; aber<br />

was sie ausmacht, sind nicht die Gegenstände selbst. Es ist deren Auszeichnung mit<br />

Bedeutung. Ein beliebiger, irgendwo aufgelesen und einer Sammlung einverleibt,<br />

verwandelt sich in das materielle Symbol eines im Leben seines Entdeckers wichtigen<br />

Augenblicks: er ist zum wertvollen Gegenstand als dessen Memorial geworden. Eine<br />

Sammlung stellt materielle Medien von Erinnerungen an besondere Momente in<br />

der Geschichte einer Leidenschaft zusammen. Gleich was einer sammelt, er sammelt<br />

immer Zeugen seiner Biografie.<br />

Das setzt den Sammler auf die Zeitschwelle. Er markiert sie. Wo er agiert, fließt<br />

Vergangenheit in Zukunft über. Denn die Objekte seines Triebes sind Gegenstände<br />

vergangener Lebenssituationen; sein Ziel aber ist deren Bewahrung für eine Zukunft,<br />

in der sie für ihre eigene als vergangene Zeit zeugen werden. Der Sammler macht die<br />

Gegenwart seines Lebens zur Schwelle dieser Rettung. Sein Gedanke ist, dem Kunstwerk<br />

das Dasein in der Gesellschaft zurückzugeben, von der es so sehr abgeschnürt worden<br />

war, dass der Ort, an dem er es auffand, der Kunstmarkt war, auf dem es, gleich weit von<br />

seinen Verfertigern wie von denen, die es verstehen konnten, entfernt, zur Ware eingeschrumpft,<br />

überdauerte (2).<br />

Deshalb sind Sammlern Besucher meistens willkommen. Sofern diese bereit und<br />

fähig sind, die Bedeutsamkeit zu beglaubigen, deren Zeugnisse ihnen dargeboten<br />

werden. Ich rang nach Luft: ich wusste, dass man, um sich bei einem Kunstsammler<br />

einzuschmeicheln, seine Sammlung preisen muß (3). Besucher geben Gelegenheit zur<br />

Erinnerung, zur Vergegenwärtigung dieses wirklichen Wertes alles dessen, was einer<br />

zusammengetragen hat. Sie lassen die Geschichten wieder lebendig werden. Und sie<br />

werden sie zu hören bekommen. Da ist jedem nur zu wünschen, an einen Sammler<br />

zu geraten, der sich aufs Erzählen auch versteht. (Oder, falls nicht, an einen, der<br />

nur eine kleine Sammlung herzuzeigen hat, oder zum großen Bericht gerade nicht<br />

aufgelegt ist.)<br />

41


42<br />

Erzählen heißt nicht nur, immer auch<br />

von sich zu sprechen. Handelt es sich<br />

um Erzählungen, in denen der Erzähler<br />

selbst vorkommt - und Sammler erzählen<br />

nur von sich selbst - , so heißt es,<br />

nach der Integration aller Erzählungen<br />

zu suchen, die es von einem geben kann:<br />

nach der eigenen Biografie.<br />

Wenn eine Episode, ein kleines Stück aus<br />

dem Leben, erzählbar geworden ist, weil<br />

die einzelnen Erlebnisse selbst den Zug der<br />

Erzählbarkeit an sich haben und gleich-<br />

sam darauf warten, Teil einer geschehenen<br />

und womöglich auch erzählten Geschichte<br />

werden zu dürfen, dann kann auch das<br />

Lebensganze geschichtlich werden, muß<br />

es vielleicht sogar. Die Teile fordern die<br />

Realisierung dessen, wozu sie disponiert<br />

sind: ihre Integration in ein abgeschlossenes<br />

Ganzes (4).<br />

Der Sammler ist ein synthetischer<br />

Archäologe seiner eigenen Biografie vor<br />

der Zeit, indem er auf dem Weg durch<br />

sein Leben als sein eigener Archivar<br />

die ihm wesentlichen Bruchstücke und<br />

Zeugnisse zusammenführt, aus denen<br />

seine Biografie nach der Vollendung<br />

seines Lebens sich fügen wird.<br />

Der Sammler umgibt sich mit Gegenständen,<br />

die für die Lebensmomente<br />

einstehen, die seine Biografie bilden.<br />

Zeigt er seine Sammlung her, so zeigt er<br />

sich selbst.<br />

Je aufmerksamer sein Besucher sich<br />

im Zuhören beweist, desto enger wird<br />

dessen Beziehung zum Erzähler sich in


der Folge gestalten können. Wer es nun<br />

versäumen sollte, bei dieser und jener<br />

Wendung des Berichtes zwar diskret,<br />

aber nachdrücklich einzuhaken und<br />

interessiert nachzufragen, dessen Sympathiewert<br />

wird sogleich erheblich sinken.<br />

Sammler umgeben sich mit Menschen,<br />

die ihrer Leidenschaft nützlich sein können.<br />

Danach prüfen sie neue Beziehungen.<br />

Und schlagen sie aus, wenn sie sich<br />

in dieser Hinsicht als tumb erweisen.<br />

Man muß ihre Leidenschaft nicht<br />

aktiv teilen, das wäre auch gar nicht<br />

erwünscht, bedeutete es doch Konkurrenz<br />

im Jagdrevier; aber durch tätiges<br />

Interesse beglaubigen.<br />

Wer sammelt, ist unterwegs. Immer.<br />

Man kann es nicht zu Hause. Denn<br />

Sammeln heißt, in den Räumen der<br />

Welt Verstreutes zusammentragen:<br />

Vieles, was vorher zerstreut war, wird so<br />

bewegt, daß es nachher beisammen ist (5).<br />

Und es ist ganz gleich, womit einer<br />

gerade beschäftigt ist. Ergibt sich eine<br />

Verbindung, bietet sich eine Spur hin<br />

zu einem Objekt, das in die Sammlung<br />

gehört, so wird der Sammler ihr immer<br />

nachgehen, im Extremfall jede ihn gerade<br />

leitende Pflicht außer Acht lassend.<br />

Es gibt Sammler, die nur dort ihren<br />

Geschäften nachgehen, wo sich auch<br />

Gelegenheiten zur Pirsch finden lassen.<br />

Sammeln ist eine menschliche Urtätigkeit.<br />

Es war einmal lebensnotwendig.<br />

Auf Nahrungssuche zu gehen und alles<br />

einzusammeln, was die Natur in einem<br />

bestimmten Umkreis um die ersten<br />

primitiven Behausungen, Höhlen und<br />

Hütten herum hergab, und sich nur<br />

halbwegs als eßbar erwies, war die<br />

Grundtätigkeit unserer Urvorfahren zur<br />

Bedürfnisbefriedigung, bevor sie die erste<br />

große Kulturschwelle in der Menschheitsentwicklung<br />

erreichten, und sie<br />

überschritten, indem sie den Ackerbau<br />

erfanden.<br />

Seine Herkunft aus der Beschaffung<br />

rarer Lebensmittel hat sich darin erhalten,<br />

daß Gegenstand des Sammelns<br />

immer Besonderes, Wertvolles, Seltenes,<br />

Luxuriöses ist, oder daß etwas dadurch,<br />

daß es gesammelt wird, Auszeichnung<br />

als Besonderheit erfährt. Die großen<br />

Sammler sind meist durch die Originalität<br />

ihrer Objektwahl ausgezeichnet (6).<br />

Sammler sind in diesem Sinne ‘primitive’<br />

Menschen: sie kultivieren eine<br />

Leidenschaft immer wieder aufs neue,<br />

ohne die es eine Menschheit nie gegeben<br />

hätte. Sie bewähren ein menschliches<br />

Urvermögen, das auch in jeder späten<br />

Kultur lebendig bleiben muß, soll<br />

sie ihre Grundaufgabe weiter erfüllen<br />

können, Menschen das zu verschaffen,<br />

dessen sie zum Leben bedürfen.<br />

Und das ist nie das, was die physischbiologischen<br />

Grundbedürfnisse, Essen,<br />

Trinken, Schlafen, Fortpflanzung,<br />

erfüllt. Der erlebbare Wert des Lebens,<br />

das den Willen zu seiner Fortsetzung<br />

aufrechterhält, liegt immer jenseits der<br />

Grundbedürfnisse. Deren Erfüllung<br />

ist vorausgesetzt. Wo sie problematisch<br />

oder unmöglich wird, ist das Leben<br />

sinnlos. Jede Anstrengung zu deren Gewährleistung<br />

hat die Aufhebung dieser<br />

Sinnlosigkeit zum Ziel. Überspitzt gesagt:<br />

Nicht die Armut ist unmenschlich,<br />

sondern daß sie einen davon abhält, sich<br />

um das zu kümmern, wofür einer sein<br />

Leben hat.<br />

Es bleibt sinnlos, wenn es nicht gelingt,<br />

Denken, Empfinden und Handeln Ziele<br />

zu geben, die jenseits der Bedürfnisbefriedigung<br />

liegen. Welche es sind, ist<br />

ganz gleichgültig. Wenn sie sich nur<br />

bilden.<br />

Es kann noch so beschwerlich sein, es<br />

bleibt sinnvoll, solange einer die Kraft<br />

aufbringt, sich mit Leidenschaft um<br />

Dinge zu kümmern, die Wert nur für<br />

ihn besitzen. Denn in diesem Wert<br />

versammeln sich alle Fähigkeiten eines<br />

Menschen, die ihm gestatten, ein<br />

wertvolles Mitglied einer Gemeinschaft<br />

zu sein. Das Individuum ist nicht der<br />

Gegensatz zur Gesellschaft, sondern die<br />

Voraussetzung ihres Funktionierens.<br />

Auf diese Personengebundenheit kommt<br />

alles an. Den Wert eines Stücks in<br />

einer Sammlung bestimmt die intimpersönliche<br />

Beziehung, die sein Besitzer<br />

zu ihm hat. Sein Wert erfüllt sich in der<br />

Bereicherung der Person, die es durch<br />

Bestätigung, durch Stimulanz, durch<br />

emotionale Aktivierung leistet. Und<br />

wenn es nur der triviale Stolz ist, sich<br />

dies alles ‘leisten zu können’. Für den<br />

wahren Sammler aber spielt das keine<br />

Rolle, denn für ihn steht ganz außer<br />

Frage, daß er sich auch leisten kann, was<br />

er haben ‘muß’, denn immer handelt es<br />

sich um ein Müssen, um ein unabweisbares<br />

Bedürfnis jenseits der elementaren<br />

Bedürftigkeit. Und wenn die Mittel,<br />

es zu erwerben, nicht vorhanden sind,<br />

werden sie beschafft werden, ganz fraglos<br />

und in unerschütterlicher Selbstverständlichkeit.<br />

Eine Leidenschaft schafft<br />

sich Wirklichkeiten, in denen sie sich<br />

erfüllen kann.<br />

Der Ursprung der modernen Sammlung<br />

in den adligen Kuriositätenkabinetten<br />

des Barock erinnert an den Ursprung<br />

43


44<br />

des Sammelns in der menschlichen<br />

Eigenschaft der Neugierde. Der Trieb,<br />

Seltsamkeiten anzuhäufen, folgte dem<br />

erst allmählich zu Bewußtsein gekommenen<br />

Impuls, etwas zu erfahren, was<br />

noch unbekannt war. Die Sammlung<br />

steht ein für die Entdeckung, daß es ein<br />

Lebenswert ist, sich darum zu bemühen,<br />

etwas in Erfahrung zu bringen, was<br />

vorher noch nicht gewußt wurde. Die<br />

versammelten Gegenstände repräsentieren<br />

ein Wissen, dessen Aneignung das<br />

eigene Leben erweitert, indem es seinen<br />

Erfahrungshorizont ausdehnt.<br />

So gehorcht jede Sammeltätigkeit einem<br />

nur dieser Person, die ihr nachgeht, eigenen<br />

Trieb, über den sie sich selbst oft<br />

gar keine Rechenschaft geben könnte,<br />

der einfach da ist, wie man seine Nase<br />

hat und die Ohren nun einmal geformt<br />

sind, wie sie sind, ohne daß man darüber<br />

nachdächte. Es ist da, es wirkt, und<br />

man folgt.<br />

Der Sammler nimmt die Sprache beim<br />

Wort und ‘bringt in Erfahrung’, in seinen<br />

Erfahrungsraum, was an den Dingen<br />

haftet, mit denen er sich umgibt.<br />

Wie die Werkzeuge die Reichweite und<br />

Gestaltungskraft der Hände erweitern,<br />

so erweitern die Kunstwerke als<br />

materielle Dokumente der Wahrnehmungsverarbeitung<br />

einer besonderen<br />

Individualität den Erfahrungshorizont<br />

ihrer Betrachter und Besitzer.<br />

Mehr noch als in ihrer exemplarischen<br />

Auszeichnung durch den Wert des<br />

‘Sehenswerten’ (7) macht dieses Motiv<br />

das Zusammentragen einer Kunstsammlung<br />

zur höchsten Form des Sammelns.<br />

Was Sammeln seinem Wesen nach ist,<br />

zeigt sich nicht am Anfang, sondern am<br />

Ende, nicht am ökonomischen ‘gathering’<br />

von Nahrungsmitteln, die wir zum Leben<br />

brauchen, sondern im ästhetischen ’collecting’<br />

von Kunstwerken, die wir betrachten<br />

wollen. Wie diese die Anschauungs-,<br />

Ausstellungs- und Sammelgegenstände<br />

schlechthin sind, so ist der Kunstsammler<br />

das Urbild des Sammlers, der Prototyp<br />

des ‘homo collector’. Kunstsammeln ist<br />

Sammeln in seiner reinsten und höchsten<br />

Form: Sammeln par excellence (8).<br />

Sich Kunstwerke als Medien einer<br />

eigenen Wahrnehmungserweiterung zu<br />

verschaffen, ist das fruchtbarste Sammelmotiv<br />

des Besitzenwollens. Diesen<br />

Willen zu verwirklichen, im Extremfall<br />

um jeden Preis - ‘Sammlerpreise’<br />

sind immer imaginär, willkürlich und<br />

ohne Bezug zum materiellen Wert des<br />

betreffenden Objekts; sind Strafen einer<br />

unverständigen Umwelt, die sie einer ihr<br />

unverständlichen Leidenschaft dadurch<br />

auferlegt, daß sie sie zu eigenem Vorteil<br />

ausnutzt - , bringt die Sammlung hervor.<br />

Da er immer bereit ist, jeden Preis<br />

für das zu zahlen, was er haben muß,<br />

legt der Sammler es immer darauf an,<br />

es so billig wie möglich zu bekommen:<br />

seine eigene Wertschätzung findet sich<br />

desto intensiver bestätigt, je geringer der<br />

Vorbesitzer dessen, was er im Begriff ist<br />

zu erwerben, es achtet.<br />

Nur für den Sammler gilt buchstäblich:<br />

Geld spielt keine Rolle. Deshalb kann<br />

kein Sammler genug von ihm haben.<br />

Es ist unbedingt erforderlich für die<br />

Überwindung jenes Widerstandes, ohne<br />

die ein entdecktes Stück, das in die<br />

Sammlung gehört, keinen Eingang in sie<br />

finden darf. Nichts ist für den Sammler<br />

so wertlos wie das Stück, das seine<br />

Sammlung krönen sollte, das er nicht<br />

selbst findet und jeden Widerstand<br />

überwindend an sich bringt, sondern<br />

geschenkt bekommt. Er wird es annehmen,<br />

und ihm in der Sammlung seinen<br />

Platz geben. Aber es ist nur noch ein<br />

Platzeinräumen, ein schon unwilliges<br />

Dulden, und bald wird er das so lange<br />

begehrte Objekt mit Verachtung strafen.<br />

Er wird es schließlich dafür hassen, daß<br />

es sich ihm verweigert hat, indem es sich<br />

nicht von ihm, sondern einem anderen<br />

finden ließ, der es ihm zuführte.<br />

Aus dem Motiv der Selbsterweiterung,<br />

zu dem die ziellose Neugierde kultiviert<br />

wurde, stammt auch die für jede Sammeltätigkeit<br />

charakteristische Dynamik.<br />

Der Sammler hat in seiner Leidenschaft<br />

eine Wünschelrute, die ihn zum Finder<br />

von neuen Quellen macht (9). Sammeln<br />

ist eine prinzipiell unabschließbare<br />

Tätigkeit. Sammeln heißt, zu dem, was<br />

schon gefunden wurde, immer noch ein<br />

weiteres Stück desselben dazu haben<br />

zu wollen. Die unendliche Variationsvielfalt<br />

des Selben ist die eigentliche<br />

Herausforderung des Sammlers. Er will<br />

wissen, welche Varianten es von dem,<br />

was ihn fasziniert, geben kann. Ist sie<br />

durch die Natur seines Sammelgebie-<br />

tes begrenzt, wendet er alles daran,<br />

Vollständigkeit zu erreichen - in der<br />

Hoffnung, eines Tages auf ein Stück zu<br />

treffen, dessen Existenz unbekannt war.<br />

So sind in den grafischen Kunstsammlungen<br />

die Stücke die wertvollsten, die<br />

kein Werkverzeichnis kennt. Es ist nicht<br />

nur die Gewissenhaftigkeit eines Mannes,<br />

der sich einen Konservator von Schätzen<br />

weiß, es ist auch der Exhibitionismus des<br />

großen Sammlers, der Fuchs veranlasst<br />

hat, in jedem seiner Werke ausschließlich<br />

unveröffentlichtes Bildmaterial,<br />

fast ausschließlich seinem eigenen Besitz<br />

entstammendes, zu veröffentlichen. Die<br />

Suche nach dem Einzigartigen erfordert<br />

Maßlosigkeit. Allein für den ersten Band<br />

der >Karikatur der Europäischen Völker<<br />

hat er nicht weniger als 68ooo Blätter<br />

kollationiert, um rund fünfhundert davon<br />

auszuwählen. Kein Blatt hat er jemals<br />

öfter als an einer einzigen Stelle reproduzieren<br />

lassen (10).<br />

Der Sammler will finden, was es nicht<br />

gibt. Denn er sucht in jedem Fund, was<br />

ihm ebenso wie allen anderen auch am<br />

unbekanntesten ist: sich. Indem er das<br />

ihm Wertvolle um sich versammelt,<br />

sammelt er sich zu sich selbst.<br />

Gelingt ihm das, ist er der glücklichste<br />

Mensch.<br />

1) Ernst-Wilhelm Händler, Welt aus<br />

Glas. Roman, Ffm 2009, 184<br />

2) Walter Benjamin, Eduard Fuchs, der<br />

Sammler und Historiker, in: ders.,<br />

Angelus Novus. Ausgewählte Schriften<br />

2, Ffm 1966, 302-343; 333<br />

3) Bruce Chatwin, Utz. Roman, München<br />

1989, 57<br />

4) Manfred Sommer, Sammeln. Ein<br />

philosophischer Versuch, Frankfurt/M<br />

1999, 302<br />

5) a.a.O., 8<br />

6) Benjamin, a.a.O., 333<br />

7) vgl. a.a.O., 77-85<br />

8) a.a.O., 84<br />

9) Benjamin, a.a.O., 332<br />

10) Benjamin, a.a.O., 323<br />

Andreas Steffens<br />

Fotos: Frank Becker


Begegnungen in der<br />

Hochschule für Musik und Tanz<br />

Köln / Standort Wuppertal<br />

„Günter Wand-Haus“<br />

Da ist Musik drin<br />

Variation I: Instrumentalisten<br />

Das bescheidene Schild „Günter Wand-Haus“ übersieht man fast beim Betreten des<br />

neuen Domizils der Musikhochschule in der Sedanstraße 15. Dafür blickt der Maestro<br />

im Frack auf den Besucher vom Treppenabsatz – seit dem 30. Juli ist er Namenspatron<br />

der Hochschule geworden. Auch der in Elberfeld geborene berühmte Dirigent hat einst<br />

als Student an der Musikhochschule Köln begonnen.<br />

In Wuppertal ist diese aus dem Konservatorium hervorgegangen, das 1972 an die<br />

Musikhochschule Köln angeschlossen wurde. Bis vor zwei Jahren behalf man sich in Elberfeld<br />

an der Friedrich-Ebert-Straße in einer für diese Straße typischen Gründerzeitvilla<br />

mit Hinterhof und zurückliegenden Nebengebäuden mit morbidem Charme.<br />

Der Umzug nach Barmen in das ehemalige Amtsgerichtsgebäude mit großzügigem<br />

Anbau hat die Hochschule zu einem noch professionelleren Ort der Musikerausbildung<br />

gemacht. Kaum hat man das Haus betreten ist man mitten in der Musik – sie dringt aus<br />

jeder Türritze und erfüllt Flure und Treppenhäuser.<br />

Beim Wachdienst und Werkschutz, wie sich die Pförtner nennen, türmen sich die<br />

Behältnisse für die großen Instrumente. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen von<br />

Dozenten und Studenten, die ihren Studienausweis gegen den Schlüssel für einen<br />

Übungsraum tauschen; mal wird ein Klavier benötigt, mal ein Flügel, manchmal geht es<br />

auch ohne, ein Student möchte sich nur 10 Minuten Einspielen oder Einsingen vor dem<br />

Unterricht, der andere bucht gleich noch einmal zwei Stunden für den Nachmittag dazu.<br />

Der Pförtner nennt alle mit Namen, kennt ihre Instrumente, ihre Sorgen und Bedürfnisse<br />

und hat für jeden eine fröhliche Bemerkung. Inzwischen beherrscht er elf Sprachen,<br />

so behauptet er wenigstens, denn die Hochschule hat internationales Flair, doch die<br />

Sprache der Musik ist universal.<br />

Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse, im Treppenhaus des Günter Wand-Hauses, dem neuen Domizil der Musikhochschule<br />

45


46<br />

Sofort spürt der Besucher die besondere<br />

Atmosphäre dieses Hauses, die gleichermaßen<br />

von Freude, Harmonie und<br />

intensiver Arbeit geprägt ist. Zwei junge<br />

Geigerinnen erzählen mir, dass sie sich<br />

hier sehr wohl fühlen, jeder kennt jeden,<br />

die Dozenten verstehen sich untereinander,<br />

und die Stimmung am kleinen Standort<br />

Wuppertal mit etwa 220 Studierenden<br />

ist sehr entspannt und ungezwungen.<br />

Michael Lang studiert Klavier im Studiengang<br />

Bachelor of Music. Er findet „die<br />

Hochschulleitung extrem gut. Gabriele<br />

Amend, die das studentische Sekretariat<br />

und das Prüfungsamt leitet, begrüßt die<br />

Neulinge gleich mit dem Namen, den sie<br />

sich mit den Bewerbungsfotos eingeprägt<br />

hat. Man fühlt sich getragen, weil man<br />

von Anfang an verständnisvoll und hilfreich<br />

betreut wird, und das ist einzigartig.“<br />

Der theoretische Unterricht bei Professor<br />

Dr. Lutz-Werner Hesse, Komponist<br />

und seit 1 ½ Jahren Geschäftsführender<br />

Direktor, ist alles andere als grau, sondern<br />

spannend und lebendig.<br />

Langs Vater ist Klavierlehrer und hat den<br />

Sohn fünf Jahre unterrichtet. Nach dem<br />

Lehrerwechsel stellten sich dann nach<br />

der anfänglich unbefangenen Spielfreude<br />

Blockaden ein, „eine Art musikalischer<br />

Pubertät: Die Leidenschaft geht zurück,<br />

doch neue Stücke geben neue Ziele und<br />

neues Feuer. Jetzt übe ich bedächtiger,<br />

überlegter und frage mich, wie kann ich<br />

sinnvoll üben. Wenn dann eine Stelle<br />

gelingt, stellt sich ein Glücksgefühl ein.<br />

Das Musikstück ist die Herausforderung,<br />

doch die Zufriedenheit mit dem Ergebnis<br />

muss hart erkämpft werden.“<br />

Michiko Tashiro, eine junge Pianistin aus<br />

Japan, nimmt mich mit in das Zimmer<br />

von Professor Scherrer. Zwei Flügel und<br />

ein großer Spiegel gehören zur Ausstattung.<br />

„Den Spiegel mögen die Studenten<br />

weniger, aber die Kontrolle ist wichtig“,<br />

so Professor Scherrer, weil er auf diese<br />

Weise den Spieler aus der Sicht des Publikums<br />

beobachten kann.<br />

Michiko spricht sehr gut Deutsch. Sie hat<br />

im Alter von vier Jahren in Japan mit dem<br />

Klavierunterricht begonnen und dort eine<br />

Schule besucht, auf der sie Deutsch als<br />

Fremdsprache wählen konnte: also hatte<br />

sie schon früh im Sinn, in Deutschland zu<br />

studieren. Sie hat bereits Auslandserfahrung<br />

sammeln können, da sie zwei Jahre<br />

Mareike Löffler, Akkordeon mit dem Dozenten Helmut Quakernack<br />

mit ihren Eltern in den USA gelebt hat.<br />

Obgleich bei der Bewerbung Deutschkenntnisse<br />

vorausgesetzt werden, gibt<br />

es bei einem Ausländeranteil von 40%<br />

Sprachprobleme. Sprachkenntnisse sind<br />

nicht nur wichtig für die zahlreichen<br />

theoretischen Fächer wie Gehörbildung,<br />

Harmonielehre, Musikgeschichte oder<br />

Musikdidaktik. Besonders wichtig ist es,<br />

sich mit dem Dozenten differenziert und<br />

sensibel über die künstlerischen Ansprüche<br />

des jeweiligen Werkes, die Interpretation<br />

und die technische Ausführung<br />

verständigen zu können. Die Sprache der<br />

Studierenden untereinander ist Deutsch,<br />

und in den theoretischen Fächern hilft<br />

man sich gegenseitig.<br />

Man hilft sich nicht nur, man erzieht sich<br />

auch gegenseitig, Dünkel oder Konkurrenzkämpfe<br />

gib es nicht, und gerade das,<br />

so meinen die beiden Geigerinnen, ist das<br />

Schöne am kleinen Standort Wuppertal.<br />

Den Bachelor of Music oder den Bachelor<br />

of Music in Education kann man in acht<br />

Semestern erwerben, in kürzerer Zeit ist<br />

das Studium an einer Musikhochschule<br />

allein wegen der Anzahl der Fächer und<br />

der Übungszeiten nicht zu schaffen. Dazu<br />

kommt ein Instrument im Nebenfach,<br />

das nur den Pianisten erspart ist. Alle<br />

anderen müssen das Klavier als Akkordinstrument<br />

belegen, mit Ausnahme der<br />

Gitarristen, Mandolinisten und Akkor-<br />

deonisten. Die beiden letztgenannten<br />

Instrumente kann man übrigens nur<br />

am Standort Wuppertal studieren. Der<br />

aufbauende Masterstudiengang benötigt<br />

noch einmal zwei Jahre.<br />

Zur Eignungsprüfung können sich nur<br />

junge Menschen bewerben, die bereits<br />

intensiven Vokal- oder Instrumentalunterricht<br />

hatten, entweder in der Schule<br />

oder privat. Wichtige Vorarbeit leisten<br />

auch häufig die musischen Gymnasien.<br />

Die Eignungsprüfungen sind unterschiedlich<br />

in den Anforderungen, je nachdem<br />

welcher Abschluss angestrebt wird. An die<br />

angehenden Musikpädagogen (Bachelor<br />

of Music in Education) werden weniger<br />

hohe Anforderungen im künstlerischen<br />

Vorspielen gestellt, dafür müssen sie während<br />

der Prüfung mit den Mitbewerbern<br />

ein Stück einstudieren. Dazu kommt u.<br />

a. die gefürchtete Prüfung in Gehörbildung<br />

– für die meisten ein Stolperstein - ,<br />

die jedoch wiederholt werden darf. Die<br />

Eignungsprüfung, so die beiden Geigerinnen,<br />

ist für alle hart, drei Stücke muss<br />

jeder vorbereiten, davon dürfen zuweilen<br />

nur 10 Minuten vortragen werden,<br />

aber in Wuppertal bekommt man sogar<br />

einen Vorbereitungsraum zur Verfügung<br />

gestellt.<br />

Professor Christian Roderburg, Dozent<br />

für Schlagzeug, stellt bei Eignungsprüfungen<br />

oft unterschiedliche Leistungen<br />

fest. Im Zweifelsfall empfiehlt er dem


Das Hochschulorchester Günter Wand-Haus, Haupteingang<br />

Bewerber, den Lehrer zu wechseln und<br />

erneut vorzuspielen. Die Lebensläufe der<br />

Studenten sind höchst unterschiedlich,<br />

so konnten auch einige, die erst auf dem<br />

zweiten Bildungsweg in die Schlagzeugklasse<br />

gekommen sind, ihr Hochschulstudium<br />

erfolgreich absolvieren. Seit<br />

1991 hat Roderburg 45 Schlagzeuger<br />

ausgebildet, die alle weitgehend mit ihrer<br />

Berufstätigkeit zufrieden sind.<br />

Gegenwärtig sieht er zurückgehende<br />

Bewerberzahlen, weil angesichts der<br />

Finanznot der Städte Stellen an Musikschulen<br />

und Orchestern reduziert werden<br />

und auch die Konzertangebote freier Veranstalter<br />

zurückgehen. Dennoch möchte<br />

er seinen Studenten Mut machen und<br />

lehrt sie auch, flexibel zu sein und „sich<br />

zu vermarkten“.<br />

Schlagzeuger haben nicht nur ein äußerst<br />

reichhaltiges Instrumentarium zu beherrschen,<br />

sondern sie benötigen auch ein<br />

gutes Gehör und eine gute Klangvorstellung,<br />

z.B. zum Einstimmen der Pauken.<br />

Um ein Vibraphon oder ein Marimbaphon<br />

mit zwei oder vier Schlägeln zu<br />

spielen, braucht es ein genaues Koordinationsvermögen<br />

der Bewegung. Rhythmus<br />

hat überhaupt viel mit Körpergefühl, mit<br />

Raumgefühl zu tun. Verspanntheit ist<br />

ein verbreitetes Problem, doch lassen sich<br />

durch richtiges Üben und die richtige Art<br />

der Spieltechnik einiges bewirken.<br />

Der Beruf des Schlagzeugers erfordert viel<br />

Flexibilität. Roderburg selbst wusste als<br />

Musikstudent noch nicht so recht, „wo<br />

die Reise hingehen sollte.“ Er hat viel<br />

unterrichtet, Musik gemacht, als Aushilfe<br />

im Orchester gespielt und experimentiert:<br />

„Man muss schon ein bisschen verrückt<br />

sein und lernen, sein Leben zu organisieren“.<br />

So mussten einmal beim Spiel in einer<br />

Kirche die großen Schlaginstrumente<br />

per Seilzug nach oben geschafft werden,<br />

weil sie nicht durch die enge Wendeltreppe<br />

zur Orgelempore passten.<br />

Seit das Studium nicht mehr ausschließlich<br />

„klassisch“ orientiert ist, hat der<br />

Schlagzeuger nicht nur zu lernen, sich in<br />

allen Stilarten zu bewegen, sondern auch;<br />

die zahlreichen Percussionsinstrumente<br />

samt ihren unterschiedlichen Spieltechniken<br />

zu beherrschen. Abgesehen von den<br />

theoretischen Fächern ist für die Studenten<br />

Klavier als Nebenfach obligatorisch,<br />

da es als Akkordinstrument für die Musikalität<br />

und das Umsetzen der theoretischen<br />

Kenntnisse unerlässlich ist.<br />

Salome Amend ist mit 19 Jahren sicher<br />

eine der jüngsten Studentinnen an der<br />

Musikhochschule. Auch sie kommt aus<br />

einem musikalischen Elternhaus. Als<br />

die Fünfjährige anlässlich eines Tages<br />

der offenen Tür einer Musikschule die<br />

Pauken mit ihrer spannenden Pedaltechnik<br />

kennenlernte, hat sie es sich in den<br />

Kopf gesetzt, Schlagzeug zu lernen. Sie<br />

hat sich durchgesetzt und zunächst im<br />

Gruppenunterricht mit Handperkussion<br />

und später im Einzelunterricht bei Uwe<br />

Fischer-Rosier, Dozent an der Musikhochschule,<br />

gelernt. Er hat ihr Talent<br />

in besonderer Weise gefördert. Salome<br />

muss über 200 Perkussionsinstrumente<br />

aus allen Erdteilen beherrschen, denn seit<br />

dem 20. Jahrhundert ist die Schlagmusik<br />

international. Die Literatur für diese<br />

Instrumente ist erst etwa 70 Jahre alt und<br />

hat sich vor allem durch das Aufkommen<br />

des Jazz durchgesetzt. Dimitri Schostakowitsch<br />

war der erste Komponist, der<br />

1928 eine Bühnenmusik für „Die Nase“<br />

(nach Gogol) ausschließlich für Schlaginstrumente<br />

komponiert hat, Edgar Varèse<br />

folgte 1929/31 mit „Ionisation“, das für<br />

13 Spieler besetzt ist, die mehrere Instrumente<br />

bedienen. Auch Salome hat im<br />

Alter von 15 Jahren den Lehrer gewechselt<br />

und für sich den Jazz entdeckt, der bis<br />

heute ihre Leidenschaft ist.<br />

Musik hatte für sie immer den höchsten<br />

Stellenwert, das mussten sowohl ihre<br />

Freunde verkraften als auch die Schule,<br />

in der sie wegen der Konzerte häufig<br />

gefehlt hat. Es gab auch keinen Sport,<br />

denn „Musik macht mich glücklich.“ So<br />

hat sie sich nach dem Schulunterricht erst<br />

einmal durch Schlagzeugspielen erholt.<br />

Geübt wird mit individuell angepasstem<br />

Gehörschutz aus Silikon. Zum Ausgleich<br />

für anstrengendes Üben helfen Entspannungstechniken,<br />

die für alle Studenten<br />

Teil des Lehrplanes sind.<br />

Probleme mit dem Auswendigspielen hat<br />

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48<br />

sie nicht – beim Spiel mit zwei oder vier<br />

Schlägeln hat man ohnehin keine Zeit in<br />

die Noten zu schauen.<br />

Salome Amend möchte lieber unterrichten<br />

und als freie Musikerin arbeiten,<br />

denn im Orchester fürchtet sie Druck<br />

und Konkurrenzkämpfe. Was macht<br />

ein Schlagzeuger in den langen Pausen?<br />

„Wenn man das Stück nicht gut kennt,<br />

muss man zählen“, sagt Salome, „aber die<br />

Pausen sind sehr wichtig, auch sie sind<br />

Musik, und man muss die Spannung<br />

halten.“<br />

Als Musiker möchte und muss man konzertieren,<br />

und für ein Konzert benötigt<br />

man Publikum. Deshalb finden während<br />

des Semesters neben internen Konzerten<br />

mehrmals wöchentlich öffentliche Konzerte<br />

in unterschiedlichsten Zusammensetzungen<br />

statt, vom reinen Violinabend<br />

bis zum Dozentenkonzert, Opernabenden<br />

und großen Sinfoniekonzerten. Aufgetreten<br />

wird ganz professionell in schwarzer<br />

Kleidung und Lederschuhen, für jedes<br />

Konzert gibt es ein Programm und<br />

manchmal wird es vom Dozenten oder<br />

von den Studierenden moderiert.<br />

Diese Konzerte sind immer ein besonderes<br />

Erlebnis voller Überraschungen, nicht<br />

nur, weil sie hohe künstlerische Qualität<br />

bieten. Neben der klassischen Musik hat<br />

die Neue Musik einen wesentlich höheren<br />

Stellenwert als in herkömmlichen<br />

Konzerten. Auch lassen sich Dozenten<br />

und Studenten immer etwas Neues<br />

einfallen. So kann man selten gespielte<br />

Stücke in ungewöhnlichen Besetzungen<br />

erleben. Professor Albrecht Winter hat<br />

das Hochschul-Salonorchester ins Leben<br />

gerufen, ein studentisches Ensemble mit<br />

vielfältiger Besetzung, das die Ausbildung<br />

sinnvoll ergänzt. Der Erfolg und die<br />

Begeisterung waren so durchschlagend,<br />

dass sich inzwischen aus Absolventen der<br />

Hochschule das professionelle „Salonorchester<br />

O là là“ gegründet hat. Salomes<br />

Bruder Raphael ist der Sologeiger, Michiko<br />

Tashiro spielt Klavier. Salonmusik und<br />

Operettenarien sind, was die musikalischen<br />

Anforderungen angeht, mitnichten<br />

leichte Muse, denn sie erfordern höchste<br />

künstlerische Fertigkeiten und fördern<br />

die Vielseitigkeit und die Spielfreude der<br />

Studierende der Posaunenklasse<br />

jungen Musiker.<br />

Die Tradition der Treppenhauskonzerte,<br />

die im alten Domizil noch mehr oder<br />

weniger im Verborgenen entstanden ist,<br />

wurde unlängst im neuen Treppenhaus<br />

fortgesetzt – mit viel mehr Publikum und<br />

Experimenten mit ungeahnten Klangmöglichkeiten.<br />

„Das einzige, was ich in diesem Haus<br />

manchmal vermisse,“ sagt eine der jungen<br />

Geigerinnen, „ist die Stille, denn hier ist<br />

immer überall Musik, überall ist es laut,<br />

auch in der Mensa.“ Ausgerechnet während<br />

des Gespräches mit Salome Amend<br />

im Schlagzeugkeller herrschte dort zufällig<br />

absolute Ruhe! Vollkommen still wird<br />

es jeden Tag um 22.00 Uhr, wenn der<br />

Wachdienst alle Türen verschließt. Bis<br />

zum nächsten Morgen, wenn Stille und<br />

Musik erneut einander ablösen.<br />

Marlene Baum<br />

Fotos: Christian Nielinger


Nicht nur der offizielle Dienst ...<br />

Oder: Was auf einen Orchestermusiker<br />

sonst noch zukommt<br />

Das Tätigkeitsfeld der Mitglieder des<br />

Sinfonieorchesters Wuppertal beschränkt<br />

sich keineswegs auf die Arbeit in der<br />

Historischen Stadthalle und im Orchestergraben<br />

des Opernhauses, nicht allein<br />

auf die Abenddienste und die unzähligen<br />

Proben. Wollte man dies aufrechnen,<br />

wollte man die Vorbereitung, das tägliche<br />

Üben hinzunehmen, wäre das zu leistende<br />

Pensum ein noch imposanteres.<br />

Nicht zu unterschätzen ist es, wenn in<br />

Konkurrenz zu den heute fast nur noch<br />

jettenden Großen des Konzertlebens<br />

solistische Leistungen geboten werden,<br />

die durchaus mit hohen internationalen<br />

Maßstäben mithalten können. Erinnert<br />

sei hier daran, dass auf die jeweils Ersten<br />

ihres Instruments im Orchester Aufgaben<br />

zukommen wie etwa ein Violinkonzert<br />

von Bartók, Beethoven, Mozart, Sibelius<br />

oder Tschaikowsky, wie ein Violoncellokonzert<br />

von Hindemith oder Lalo, ein<br />

Trompetenkonzert von Haydn oder ein<br />

Oboenkonzert von Albinoni, auch so<br />

anspruchsvolle Aufgaben wie die Solopassagen<br />

etwa in Bachs Brandenburgischen<br />

Konzerten.<br />

Nicht genug damit, was das Arbeitsgebiet<br />

unserer Orchestermusiker betrifft.<br />

Eine Rundfrage hat dies besonders unter<br />

dem Gesichtspunkt des Pädagogischen<br />

deutlich gezeigt. Erfahrungen wollen<br />

Sinfonieorchester Wuppertal, Foto: Andreas Fischer<br />

und müssen weitergegeben, die Liebe<br />

zum Beruf will und muss ständig neu<br />

gepflanzt werden. So sind viele Mitglieder<br />

des Wuppertaler Sinfonieorchesters als<br />

Dozenten an der Hochschule für Musik<br />

Köln (Standort Wuppertal), der Folkwang<br />

Universität der Künste Essen, der Bergischen<br />

Musikschule und an Musikschulen<br />

benachbarter Städte tätig. Und sie unterrichten<br />

soweit es die Zeit erlaubt auch<br />

privat, betreuen Laienmusikgruppen und<br />

geben ihr umfangreiches Wissen weiter.<br />

Welche beachtlichen Resultate erreicht<br />

werden können, demonstriert vor allem<br />

das Education-Team des Orchesters mit<br />

ihren zahlreichen Projekten wie regelmäßigen<br />

Klassenbesuchen in Vorbereitung<br />

auf die Schulkonzerte, Organisation der<br />

Familien- und Schulkonzerte sowie die<br />

Organisation und Durchführung der<br />

Schulorchesterprojekte (Bolero 2006,<br />

Carmen 2008, West Side Story 2011),<br />

bei denen Profis mit Schülern gemeinsam<br />

musizieren. Sie sind zudem ständige<br />

Ansprechpartner für Lehrer, Eltern und<br />

Kinder.<br />

Neben den Einladungen unserer Orchestermitglieder<br />

mit anderen Orchestern<br />

auf Reisen zu gehen, die etwa bei großen<br />

romantischen Opern oder Sinfonien<br />

auch bei Werken der neueren Literatur<br />

auf Verstärkung angewiesen sind, geben<br />

sie regelmäßig mit ihrem Chefdirigent<br />

Toshiyuki Kamioka Gastspiele im In-<br />

und Ausland. Tourneen führten unter<br />

anderem nach Paris, Breslau, Turin und<br />

Rom. Neben jährlichen Veranstaltungen<br />

in Mailand und einem Konzert<br />

in Ravello mit dem Weltklasse-Saxophonisten<br />

Branford Marsalis stand die<br />

Saison 2007/08 besonders im Zeichen<br />

der großen Japan-Tournee: In Tsukuba,<br />

Yokohama und Tokio spielte das Sinfonieorchester<br />

Wuppertal fünf ausverkaufte<br />

Konzerte in beeindruckenden Konzerthallen<br />

des Landes. Im Oktober 2010<br />

wird das Orchester auf seine 2. Konzertreise<br />

nach Japan gehen. Dort gibt es an<br />

13 Tagen 10 Konzerte und wird auch<br />

erstmals in der berühmten Suntory Hall<br />

in Tokio auftreten.<br />

Last but not least die Kammermusik,<br />

der sich eine Vielzahl von Orchestermusikern<br />

mit großer Leidenschaft widmen<br />

und deren Programme sich stets durch<br />

eine persönliche Note auszeichnen. Zu<br />

unterscheiden ist hier zwischen Ensembles,<br />

die ausschließlich oder vorwiegend<br />

aus Orchestermitgliedern bestehen und<br />

solchen, in denen ein einzelnes Orchestermitglied<br />

gleichsam die Funktion der<br />

künstlerischen Leitung oder auch „nur“<br />

der verantwortungsvollen Mithilfe übernommen<br />

hat.<br />

Antje Riewe<br />

49


50<br />

Neue Kunstbücher<br />

Vorgestellt von Thomas Hirsch<br />

Die Sekunde davor<br />

Wann hat sich die Reportagefotografie im<br />

allgemeinen Bewusstsein als eigenständige<br />

Form von Bild etabliert und seit wann<br />

wird sie als Genre der Kunst rezipiert? Ein<br />

wichtiger historischer Schritt in Richtung<br />

künstlerischer Wertschätzung war gewiss<br />

die Gründung der Agentur MAGNUM<br />

in Paris 1947 durch Robert Capa, Henri<br />

Cartier-Bresson, George Rodger und<br />

David Seymour. MAGNUM war Fotojournalismus<br />

vom Besten, radikal in den<br />

Themen und Arbeitsgebieten (etwa die<br />

Kriegsfotografie von Capa) und exzellent<br />

in der bildnerischen Umsetzung (Cartier-<br />

Bresson). Weniger bekannt ist hierzulande<br />

der Beitrag von George Rodger (1908-<br />

1995), der in seiner Arbeit immer auf<br />

Reisen war. So war er während des<br />

George Rodger, Unterwegs 1940-1949.<br />

160 S. mit 62 s/w-Abb., Hardcover, 24 x<br />

16 cm, Hatje Cantz, 24,80 Euro<br />

Zweiten Weltkriegs u.a. für LIFE in 61<br />

Ländern als Kriegsberichterstatter tätig –<br />

und beschloss danach, traumatisiert durch<br />

die Erfahrungen bei der Öffnung des<br />

Konzentrationslagers Bergen-Belsen, nie<br />

wieder kriegerische Konflikte zu fotografieren.<br />

Nach der Gründung von MAG-<br />

NUM begab sich Rodger 1949/50 auf<br />

eine ausgedehnte Reise durch Afrika und<br />

den Vorderen Orient, mit der Kamera als<br />

stetem Begleiter und wie in den Jahren<br />

davor mit einem Tagebuch im Gepäck.<br />

Aber waren anfangs die Texte wichtiger<br />

und die Fotografien gewissermaßen<br />

souveräne Illustration, so wechseln bald<br />

die Rollen: Nun liegt die Bedeutung vor<br />

allem in den fotografischen Aufnahmen,<br />

diese enthalten alle Informationen und<br />

vermitteln noch ethnologische Beobachtungen.<br />

Die Texte stellen den Kontext<br />

her, in einer bemerkenswerten sprachlichen<br />

Befähigung. Das feine Buch, das<br />

mit dem Untertitel „Unterwegs. 1940-<br />

1949“ bei Hatje Cantz erschienen ist,<br />

funktioniert jedenfalls als Lese- wie auch<br />

als Fotobuch. Sehr unprätentiös in der<br />

Aufmachung, stellt es Rodger mit seinem<br />

wichtigsten Jahrzehnt vor, in dem er das<br />

Genre wechselt und mit seinen Bildern<br />

tatsächlich veritable Kunstwerke schafft.<br />

Dazu trägt seine Intensität des Erlebens<br />

bei. Nie sind seine Fotografien Sensationsjournalismus<br />

(der uns heute in den<br />

Tageszeitungen so auf die Nerven geht!),<br />

sondern sensible Vermittlung aufgrund<br />

von Betroffenheit.<br />

George Rodger wird mit all dem, was<br />

er relativ jung geschaffen hat, zu einem<br />

Wegbereiter für die Nachkriegsfotografie.<br />

Zu zwei der wichtigsten Fotojournalisten<br />

der deutschen Geschichte nach 1945 sind<br />

unlängst ebenfalls wichtige Monographien<br />

erschienen. Die Fotos beider Journalisten,<br />

die zunächst für Zeitschriften<br />

entstanden, gehören längst zu unserem<br />

kollektiven Gedächtnis – ja, sie prägen<br />

unsere Wahrnehmung bzw. Erinnerung<br />

der Geschichte. Josef Heinrich Darchinger<br />

(geb. 1925) ist als Fotograf des<br />

Spiegels und der Zeit der Chronist des<br />

deutschen Wiederaufbaus, und Harald<br />

Schmitt (geb. 1948) hat im Auftrag des<br />

stern den Wandel des Ostblocks über<br />

Jahrzehnte dokumentiert. Darchinger<br />

ist als Fotograf überschauend, gelassen.<br />

Schmitt hingegen der Mann für die<br />

Sekunde, oft spürt man eine gewisse<br />

Gehetztheit, das Besondere des Augenblicks.<br />

Darchinger hat in seiner Fotografie<br />

auf Wiedererkennung gesetzt – oft auch<br />

in Farbe fotografiert –, damit tragen seine<br />

Fotos heute einen gewissen nostalgischen<br />

Ton. Seine Fotos sind geradezu „klassisch“<br />

komponiert. Harald Schmitt fotografiert<br />

bis heute überwiegend in s/w. Er lässt<br />

Unschärfen zu, geht extrem nah heran<br />

und provoziert dadurch eine gewisse Sympathie<br />

für die Menschen, mit denen wir<br />

fast leiblich konfrontiert sind. Der zeithistorische<br />

Hintergrund – ein bahnbrechendes<br />

Ereignis im Fluss der Geschichte<br />

– erschließt noch die Besonderheit von<br />

Szene und Situation. „Fotografien vom<br />

Ende des Staatssozialismus“ lautet der<br />

Untertitel seines Buches, das die Bilder<br />

ganzseitig setzt.<br />

Die Unterschiede in der Herangehensweise<br />

dieser beiden Fotografen werden an<br />

Josef Heinrich Darchinger, Wirtschaftswunder.<br />

Deutschland nach dem Krieg<br />

1952-1967. 285 S., durchgehend farbig<br />

und s/w bebildert, geb. mit Schutzumschlag,<br />

26 x 31 cm, Taschen, 29,99 Euro<br />

einer historischen Situation und Einstellung<br />

vom 13. Dezember 1981 deutlich,<br />

also einmal aufgenommen von Darchinger,<br />

einmal von Schmitt. Nach einem<br />

dreitägigen Gipfel, der eine Annäherung<br />

von Bundesrepublik und DDR mit sich<br />

brachte, reist Bundeskanzler Helmut<br />

Schmidt mit dem Zug ab. Symbolisch<br />

ist die Handreichung: Schmidt reicht<br />

seinen gestreckten Arm aus dem Fenster<br />

heraus, Honecker streckt seinen entgegen.<br />

Darchinger fotografiert den Augenblick,<br />

in dem Honeckers Hand in der von<br />

Schmidt liegt, als entschiedene Geste,<br />

zugleich gliedert die daraus entstehende<br />

Diagonale das Bildformat. – Harald<br />

Schmitt aber fotografiert eine Sekunde


Harald Schmitt, Sekunden, die Geschichte<br />

wurden. 256 S. mit ca. 230 ganzseitigen<br />

Abb., Broschur, 28,5 x 21 cm, Steidl,<br />

18,- Euro<br />

davor. Da sind die Arme noch getrennt<br />

und Honecker hält mit spitzen Fingern<br />

ein (Husten-?) Bonbon – nun erklärt<br />

sich auch der winterliche Anzug und das<br />

Verschmitzte in den Gesichtern weiter.<br />

Zugleich trägt die Geste etwas Zögerliches.<br />

Darchinger zeigt das Versöhnliche,<br />

Schmitt hingegen das Getrennte,<br />

Fragwürdige ... Generell, Darchinger hat<br />

nicht die Härte von Schmitt, es geht ihm<br />

um das direkte Bildgeschehen, während<br />

Schmitts Fotografie in der Betrachtung<br />

immer komplexer wird und mit Untertönen<br />

arbeitet. Damit ist Schmitt dem<br />

Kunstwerk schließlich doch näher – aber<br />

darum geht es dem großen Nachkriegsfotografen<br />

Darchinger gar nicht.<br />

Einem anderen Fotografen schon. Hannes<br />

Kilian (1909-1999) steht gänzlich in<br />

künstlerischen Traditionen, per se schon<br />

durch sein zentrales Betätigungsfeld, dem<br />

er sich überwiegend von Stuttgart aus<br />

gewidmet hat und für das er als großer<br />

Meister der Fotografie gilt: das Ballet mit<br />

seinen Eigenschaften der Bewegung, des<br />

innigen Ausdrucks im Zusammenspiel<br />

von Gestus und Mimik, in der Licht-<br />

Schatten-Dramaturgie. Dass er aber auch<br />

ein herausragender Chronist deutschen<br />

Lebens und ein bemerkenswerter Porträtfotograf<br />

ist, das belegt jetzt die Monographie,<br />

die vor einigen Monaten bei Hatje<br />

Cantz erschienen ist. Übrigens war sie wie<br />

Hannes Kilian, hrsg. Klaus Honnef. 352<br />

S. mit 342 Duplex-Abb., geb. mit Schutzumschlag,<br />

30,7 x 25 cm, Hatje Cantz,<br />

39,80 Euro<br />

bei Harald Schmitt mit einer Ausstellung<br />

u.a. im Martin Gropius-Bau in Berlin<br />

verbunden.<br />

Hannes Kilian fotografiert grundsätzlich<br />

in s/w und er zieht alle Register<br />

der handwerklichen Möglichkeiten: im<br />

Ausschnitt, in der Perspektive, in der<br />

Lichtdramaturgie, im All-Over oder der<br />

Bildfüllung durch Reihung und Staffelung.<br />

Damit arbeitet Kilian explizit auf<br />

einen Stil hin, hinter dem der Wille nach<br />

Ausdruck und Verdichtung steht. Freilich,<br />

manchmal drängt die formale Raffinesse<br />

die Deutlichkeit der inhaltlichen Aussage<br />

an den Rand – immer aber ergibt sich<br />

daraus eine bemerkenswerte Spannung<br />

von Form und Inhalt. Hannes Kilian ist<br />

also ein Fotograf, der am und mit dem<br />

Beispiel deutscher Gesellschaft dafür<br />

schärft, Wirklichkeit in ihrer Flüchtigkeit<br />

zu sehen, das Besondere zu entdecken<br />

– und es uns dann auch leichter macht,<br />

Fotografie-Künstler vom Kaliber eines<br />

Harald Schmitt richtig zu „lesen“. Also,<br />

man muss genau hinsehen bei solchen<br />

Fotos, die sich voller Hintergründe und<br />

mit ihren Anspielungen erst allmählich<br />

entschlüsseln.<br />

Lichtbogen<br />

Frank Marschang e.K.<br />

Karlstraße 37<br />

42105 Wuppertal<br />

Tel. 0202.244 34 40<br />

Fax 0202.244 34 39<br />

www.lichtbogen-wuppertal.de<br />

info@lichtbogen-wuppertal.de<br />

OCCHIO SENTO ANN<br />

KING TEAK<br />

51


52<br />

Kulturnotizen<br />

Konzerte im Landhotel Jammertal<br />

In the summertime – unter diesem<br />

Motto startet das Landhotel Jammertal in<br />

den Monaten Juli und August eine Serie<br />

mit außergewöhnlichen Künstlern. Die<br />

Aufführungen finden jeweils Mittwoch,<br />

ab 20.30 Uhr, statt.<br />

Am 28. Juli, dreht sich alles um irische,<br />

schottische und englische Folksongs.<br />

Vorgetragen werden dabei von Ralf Weihrauch<br />

(Akkordeonist und Sänger) auch<br />

Balladen, die selbst in den Ursprungsländern<br />

nicht zum alltäglichen Repertoire<br />

gehören.<br />

Den Auftakt im August macht am 4.<br />

das Spirit of Louis Armstrong-Trio, das<br />

ursprünglich am 17. Juni auftreten sollte,<br />

aber wegen der Fußball-Weltmeisterschaft<br />

verschoben wurde. Eberhard Dodt (Gitarre),<br />

Anselm Vogt (Gesang) und Rainer<br />

Matz (Trompete) lassen noch einmal die<br />

weltberühmten Songs des Altmeisters<br />

aufleben.<br />

Zu einem Boogie Woogie-Abend laden<br />

am 11. August der Recklinghäuser Thomas<br />

Nowak (Gesang und Piano) und<br />

Holger Seemann (Schlagzeug).<br />

Mit einem Jazz- und Bluesabend geht<br />

die Sommersaison im Jammertal am 18.<br />

August in die Schlussphase. Das Duo<br />

Astrid Demtröder (Gesang) und dem<br />

in England geborenen Pianisten Eric<br />

Richards begeistert mit Jazz-Standards,<br />

Latin, Blues und Pop-Songs.<br />

Eric Richards &<br />

Astrid Demtröder<br />

Den Schluss macht am 25. August<br />

der Recklinghäuser Gitarrist Ingo Marmulla<br />

mit Band. Die Truppe mit Casper<br />

van Meel (Kontrabass) und Dominic<br />

Brosowski (Schlagzeug) lässt erneut den<br />

Jazz und Blues aufleben.<br />

Wie immer ist die Veranstaltungsreihe,<br />

die aufgrund der Kulturhauptstadt<br />

Ruhr.2010 ins Leben gerufen wurde, für<br />

Hotelgäste kostenlos. Für weitere Besu-<br />

cher bietet sich die Möglichkeit, diesen<br />

Abend mit einem Dinner-Büffet (ab 18<br />

Uhr) zu kombinieren.<br />

Weitere Auskünfte unter 02363 3770<br />

oder www.landhotel-jammertal.de<br />

Ingo Marmulla<br />

Natur wird Kunst - Georg Arends<br />

Die Staudengärtnerei Arends-Maubach<br />

in Wuppertal – Ronsdorf ist eine<br />

der ältesten in Deutschland. Ihr Gründer<br />

Georg Arends (1863-1952) hinterließ<br />

der Nachwelt etwa 350 neue Züchtungen<br />

und darüber hinaus auch ein riesiges<br />

Archiv an Pflanzenzeichnungen und vor<br />

allem Fotografien auf Glasplattennegativen.<br />

Diese Sammlung ruht, von der Öffentlichkeit<br />

kaum beachtet, bis heute im<br />

Archiv der Gärtnerei. Die über tausend<br />

Glasplattennegative entstanden in der ersten<br />

Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.<br />

Das Von der Heydt-Museum hat jetzt aus<br />

diesem großartigen Fundus neue Abzüge<br />

erstellen lassen, die das Zentrum der<br />

Ausstellung „Natur wird Kunst – Georg<br />

Arends“ bilden.<br />

In der Geschichte der Pflanzendarstellungen<br />

stehen Naturwissenschaft<br />

und Kunst sehr nahe beieinander. Für<br />

den Botaniker entscheidend war seit der<br />

Antike die genaue Abbildung der Pflanze<br />

– ein Bereich, in dem eine naturalistische<br />

Darstellungsweise besonders wichtig ist.<br />

Seit der Entwicklung der Fotografie in der<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts fand deshalb<br />

gerade dieses Medium wegen seiner<br />

Präzision und „Unbestechlichkeit“ eine<br />

weite Verbreitung und löste die Zeichnung<br />

teilweise ab. Dies bedeutete eine<br />

Weiterentwicklung in der Darstellung der<br />

Botanik, die sich so besonders schön in<br />

den Bildern der Staudengärtnerei Georg<br />

Arends ablesen lässt.<br />

Die Schwarz-Weiß-Fotografien aus<br />

der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

zeigen verschiedene Pflanzen, vorrangig<br />

Georg Arends´ Hauptzüchtungsgruppen,<br />

Primeln, Astilben, Azaleen, Rhododendren<br />

und Steingartengewächse. Aber auch<br />

Gesamtauf-nahmen der Gärtnerei haben<br />

die Fotografen von einer Leiter oder von<br />

dem hohen Schornstein aus erstellt. Manche<br />

der Fotos dienten auch als Vorlage für<br />

den jährlichen Preiskatalog der Gärtnerei.<br />

Die Fülle des Archivs übersteigt jedoch<br />

bei weitem die reine Zweckdienlichkeit:<br />

Sie zeugt von der Begeisterung für die<br />

Fotografie, von der Leidenschaft vergängliche<br />

Blüten in Bildern festzuhalten, von<br />

der Akribie eines Züchters und Gärtners<br />

und dem Wunsch, all seine Pflanzen in<br />

Abbildungen zu erfassen.<br />

Georg Arends unter Blutbuche, heiter; Juni<br />

1928; Schwarz-Weiß-Fotografie; Staudengärtnerei<br />

Arends Maubach<br />

Ein Teil des Archivs besteht aus Farbfotografien,<br />

die damals noch selten und zudem<br />

sehr teuer waren. Sie zeigen den hohen<br />

Stellenwert, den die Fotografie für Georg<br />

Arends hatte. Hier wurde an Material nicht<br />

gespart.<br />

Die Pflanzen werden so gezeigt, wie<br />

sie sind: gestochen scharf - auch in hoher<br />

Auflösung, ohne Verfremdungseffekte. Ein<br />

gespanntes Leintuch dient oft als Hintergrund,<br />

welches von Helfern gehalten<br />

wurde, die auf den Fotos teilweise noch zu<br />

erkennen sind. An feinen Schatten erkennt<br />

man eine professionelle Ausleuchtung. Dabei<br />

überzeugen die Bilder vor allem durch<br />

die in einem Bildausschnitt eingefangenen


Rhododendron racemosum; 1913;<br />

Schwarz-Weiß-Fotografie; Staudengärtnerei<br />

Arends Maubach<br />

Strukturen. Der klare Blick auf sich wiederholende<br />

Elemente weckt Assoziationen zu<br />

den Fotografien von Albert Renger-Patzsch.<br />

Die Bilder können nicht immer eindeutig<br />

einem Fotografen zugeordnet werden.<br />

Viele tragen keinerlei Hinweis auf den Fotografen.<br />

Der größte Teil der Fotos stammt<br />

wohl von Georg Arends´ Söhnen Erich<br />

(1894-1967) und Werner (1896-1967).<br />

Von Georg Arends´ Hand stammen<br />

die Aquarelle und Zeichnungen, die den<br />

zweiten Schwerpunkt unserer Ausstellung<br />

bilden. Sie entstanden während seiner<br />

Ausbildungszeit von 1882 – 1884 in der<br />

„Höheren Lehranstalt für Obst-, Wein- und<br />

Gartenbau“ in Geisenheim (bei Wiesbaden).<br />

Hierin widmete sich Georg Arends<br />

der Darstellung exotischer Pflanzen und der<br />

Erfassung aller damals bekannten Apfel-<br />

und Birnensorten.<br />

In diesen Bildern wird das botanische Interesse<br />

noch deutlicher als bei den Fotos: Wir<br />

sehen die Pflanze oder Frucht als Objekt<br />

ohne Hintergrund dargestellt, die Blüten<br />

sind teilweise abgetrennt und im Detail, in<br />

der Aufsicht und Ansicht, gezeigt. Dieses<br />

Abtrennen und Danebenlegen der Blüte ist<br />

oft so geschickt komponiert, dass es dem<br />

Betrachter erst beim genaueren Hinsehen<br />

auffällt. Weiterhin wird der Eindruck einer<br />

ganzen, lebenden Pflanze vermittelt. Und<br />

Georg Arends: Pfirsichroter Sommerapfel;<br />

Ohne Jahr; Aquarell mit Deckfarbe; Staudengärtnerei<br />

Arends Maubach<br />

doch wirkt dieses Sezieren wie ein leiser<br />

Hinweis auf die botanische Intention der<br />

Abbildung.<br />

Unsere Kulturförderung<br />

ist gut für die Sinne.<br />

Wir freuen uns außerordentlich über<br />

den Fund des Bildarchivs Georg Arends,<br />

der die Forschung zur wissenschaftlichen<br />

Pflanzendarstellung an der Wende vom<br />

19. zum 20. Jahrhunderts sicher beflügeln<br />

wird und hoffen, dass auch unsere Besucher<br />

an dieser Entdeckung ihre Freude haben<br />

werden.<br />

Von der Heydt Museum<br />

24.08. 2010 – 02.01.2011<br />

Turmhof 8<br />

D-42103 Wuppertal<br />

www.von-der-heydt-museum.de<br />

Das Theater ist auf der Straße<br />

Ausstellung in Leverkusen erinnert an<br />

die Happenings von Wolf Vostell<br />

Wer sich bis 15. 8. 2010 dem Portal von<br />

Schloß Morsbroich in Leverkusen nähert,<br />

kann leicht über ein rostiges Bahngleis<br />

stolpern, auf dem quer zur Fahrtrichtung<br />

ein alter, schwarzer, zerbeulter Mercedes 170<br />

plaziert wurde. Ein Großfoto im Hintergrund<br />

bettet die Inszenierung in ihren<br />

historischen Kontext ein, erinnert an ein<br />

spektakuläres Ereignis, das im Jahr 1963 in<br />

Wuppertal stattfand. Gegenstand der unter<br />

dem programmatischen Titel „Das Theater<br />

ist auf der Straße“ firmierenden Ausstellung<br />

sind fünfzig Happenings des Fluxuskünstlers<br />

Wolf Vostell (1932-1998), oder genauer,<br />

was davon übrig geblieben ist: Konzepte,<br />

Happening-Partituren und -Notationen,<br />

Einladungen und sonstiges dokumenta-<br />

Kunst und Kultur prägen die gesellschaftliche Entwicklung. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist der größte nichtstaatliche<br />

Kulturförderer Deutschlands. Auch die Stadtsparkasse Wuppertal ist ein wichtiger Partner für Kunst<br />

und Kultur in unserer Stadt. Das ist gut für die Kultur und gut für Wuppertal. www.sparkasse-wuppertal.de<br />

Sparkasse. Gut für Wuppertal.<br />

S<br />

53


54<br />

Foto: Rainer K. Wick<br />

risches Material, Fotos, Filme und das,<br />

was Vostell selbst als Happening-Fallouts<br />

bezeichnet hat, also Relikte, die im Rahmen<br />

von Aktionen, die zwischen 1958 und 1988<br />

stattgefunden haben, entstanden sind.<br />

Davon zeugen gleichermaßen seine Plakatabrisse,<br />

Objektbilder, Druckgrafiken und<br />

Happenings, mit denen er in den sechziger<br />

Jahren zum bedeutendsten europäischen<br />

Vertreter dieser Kunstform wurde.<br />

In diesem Sinne zu den „klassischen“<br />

Happenings des Künstlers gehören die „9<br />

Nein-dé-coll/agen“, die am 14. September<br />

1963 in Wuppertal stattfanden. Ausgehend<br />

von Rolf Jährlings Galerie Parnass wurden<br />

die Teilnehmer mit einem Bus durch die<br />

Stadt transportiert und erlebten u.a., wie<br />

auf dem Rangierbahnhof Vohwinkel eine<br />

Dampflok mit ihren Puffern einen PKW<br />

demolierte, wie in Mixern eine Bildzeitung<br />

gemahlen, wie in einem nächtlichen<br />

Steinbruch ein Fernsehgerät zur Explosion<br />

gebracht und wie Plastikspielzeug auf Elektrokochern<br />

geschmolzen wurde.<br />

Dies und vieles mehr breitet die Leverkusener<br />

Ausstellung auf zwei Etagen mit<br />

Hilfe von umfangreichem dokumentarischen<br />

Material aus dem Happening Archiv<br />

Vostell in Malpartida de Caceres aus.<br />

Die Ausstellung wird von einem reich<br />

bebilderten Katalog begleitet. Sie wird von<br />

Oktober 2010 bis Februar 2011 im Museo<br />

Vostell Malpartida in der Nähe der spanischen<br />

Stadt Cáceres in Extremadura gezeigt.<br />

Das Theater ist auf der Straße.<br />

Die Happenings von Wolf Vostell<br />

Museum Morsbroich, Leverkusen<br />

(bis 15. 8. 2010)<br />

www.museum-morsbroich.de<br />

Katalogbuch im Kerber Verlag,<br />

24 × 30 cm, 344 Seiten, deutsch/spanisch<br />

ISBN 978-3-86678-431-4, in der Ausstellung<br />

€ 30,-, im Buchhandel € 44,80<br />

Eva Bertram:<br />

„2 Ein Kind – 1998-2009“<br />

Fotografien von Eva Bertram mit einem<br />

Essay des Wuppertaler Philosophen<br />

Andreas Steffens.<br />

Eva Bertram hat in ihrem Fotoprojekt<br />

„2 Ein Kind“ über einen Zeitraum von elf<br />

Jahren das Aufwachsen und die Entwicklung<br />

ihrer Tochter mit der Kamera<br />

verfolgt, in Schnappschüssen und Inszenierungen<br />

festgehalten. Ein auf den ersten<br />

Blick unverfängliches, an die Idee eines<br />

Familienalbums erinnerndes Vorhaben.<br />

Beim genauen Betrachten hingegen wirkt<br />

die öffentliche Präsentation des Kindes<br />

unangenehm, ja peinlich, dringt man<br />

doch mit Auge und Verstand uneingeladen<br />

(vom Kinde, notabene) in die intime<br />

Welt dieses kleinen Menschen ein, dem<br />

durch die Mutter die Selbstbestimmung<br />

genommen wurde. Mehr noch: Eva<br />

Bertram – eine interessante Fotografin,<br />

wie ihr Band „Inseln“ belegt - reißt mit<br />

ihrem Buch dem Kind den Schleier des<br />

Geheimnisses der Kindheit vom zarten<br />

Gesicht, exponiert das Mädchen auf<br />

beinahe voyeuristische Manier.<br />

Selbst Andreas Steffens´ einfühlsamer, in<br />

die Tiefe des Themas Kindheit gehender<br />

Essay „Fotografie der Kindheit, Kindheit<br />

der Fotografie“ vermag dieses bedrückende<br />

Gefühl nicht zu mildern. Wo er die<br />

Geschichte einer/der Kindheit sieht, die<br />

„Bildkunst einer ästhetischen Tochterkonstitution“,<br />

ein „Dokument, das<br />

verewigt, was zum ersten Mal war“, sehe<br />

ich den kaum zu ertragenden Diebstahl<br />

einer ungestörten Kindheit mit all ihren<br />

Wandlungen.<br />

Mir fällt dazu Friedrich Hölderlin ein,<br />

der 1797 in seinem „Hyperion“ schreibt:<br />

„Ruhe der Kindheit! himmlische Ruhe!<br />

wie oft steh´ ich stille vor dir in liebender<br />

Betrachtung, und möchte dich denken!<br />

(...) Ja! ein glücklich Wesen ist das Kind,<br />

solang es nicht in die Chamäleonsfarbe<br />

der Menschen getaucht ist. - Es ist ganz<br />

was es ist, und darum ist es so schön. Der<br />

Zwang des Gesetzes und des Schicksals<br />

betastet es nicht! im Kind ist Freiheit<br />

allein. - In ihm ist Frieden! es ist noch mit<br />

sich selber nicht zerfallen. Reichtum ist in<br />

ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit<br />

des Lebens nicht. Es ist unsterblich, denn<br />

es weiß vom Tode nichts.<br />

Aber das können die Menschen nicht<br />

leiden. Das Göttliche muß werden, wie<br />

ihrer einer, muß erfahren, daß sie auch<br />

da sind, und eh es die Natur aus seinem<br />

Paradiese treibt, so schmeicheln und<br />

schleppen die Menschen es heraus, auf<br />

das Feld des Fluchs, daß es wie sie im<br />

Schweiße des Angesichts sich abarbeite.<br />

Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens,<br />

wenn man nur zur Unzeit uns<br />

nicht weckt.“<br />

Frank Becker<br />

Eva Bertram – „2 Ein Kind - 2 One Child“<br />

Gestaltung von Eva Bertram, Hans<br />

Schumacher, Text von Ulrich Pohlmann,<br />

Andreas Steffens (Deutsch, Englisch) -<br />

© Hatje Cantz 2010, 160 Seiten, 76 farbige<br />

Abb., 21,70 x 25,10 cm, gebunden,<br />

29,80 Euro, ISBN 978-3-7757-2621-4<br />

Ausstellung zur Glaskunst<br />

des Art Déco in Frankreich<br />

Düsseldorf - Das Glasmuseum Hentrich<br />

im Grünen Gewölbe der Düsseldorfer<br />

Tonhalle zeigt bis zum 31. Oktober<br />

Glaskunst des Art Déco in Frankreich. Als<br />

René Lalique und die Brüder Schneider<br />

ihre jeweiligen Glasfirmen 1909 und<br />

1909/10 gründeten, war die Ära des Jugendstils<br />

vorbei, aber ein neuer Stil noch<br />

nicht in Sicht. Entsprechend unkonventionell,<br />

frisch und einzigartig nehmen sich<br />

die Werke dieser beiden Unternehmen<br />

aus, hieß es am Freitag.<br />

Noch den Werten des Art Nouveau<br />

und der „École de Nancy“ verhaftet, entstanden<br />

in den Verreries Schneider knallbunte<br />

Gläser in handwerklicher Fertigung<br />

vor dem Ofen. Lalique hingegen, der selbst


zu den erfolgreichsten Schmuckkünstlern<br />

des Art Nouveau gehört hatte, öffnete<br />

sich ganz den modernen maschinellen<br />

Herstellungsmethoden, nutzte sie aber<br />

für schillernd opalisierende, meist farblose<br />

Luxusobjekte. Die Schau gibt einen Überblick<br />

aus den Beständen des Glasmuseums<br />

zum Werk der beiden maßgeblichen<br />

Hersteller.<br />

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />

von 11 bis 18 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.glasmuseum-hentrich.de<br />

Ausstellung über „Riten des<br />

Lebens“ im Neanderthal-Museum<br />

Mettmann - „Riten des Lebens“ lautet<br />

der Titel der neuen Sonderausstellung im<br />

Neanderthal-Museum in Mettmann. Präsentiert<br />

werden Bilder des schwedischen<br />

Fotografen Anders Ryman. Entscheidende<br />

Momente, mit denen neue Lebensabschnitte<br />

beginnen, werden laut Museum<br />

überall auf der Welt zelebriert. Der Fotograf<br />

bereiste insgesamt sieben Jahre lang<br />

die Welt, um solche Rituale festzuhalten<br />

und zu dokumentieren. Die Ausstellung<br />

ist bis zum 1. November terminiert.<br />

Ziel des Fotografen war, alle bewohnten<br />

Kontinente, alle Weltreligionen und<br />

alle Lebensphasen mit einzubeziehen und<br />

dabei auch Modernes sowie Traditionelles<br />

zu verminden. Die Aufnahmen zeigen<br />

Rituale aus insgesamt 14 Ländern. Zu<br />

sehen sind Rituale etwa von der Segnung<br />

eines Neugeborenen in einem kleinen<br />

spanischen Dorf bis zur Sonnenaufgangs-<br />

Zeremonie der Apachen in Arizona, vom<br />

Initiationsritual der südafrikanischen<br />

Xhosa bis zur Hochzeitsfeier in Tokio.<br />

Zu sehen ist nicht nur die enorme<br />

kulturelle Vielfalt der Menschheit. Die<br />

Bilder zeigen die Menschen in den<br />

emotionalsten Momenten ihres Lebens<br />

sowie das allen gemeinsame menschliche<br />

Bedürfnis, die Schritte entlang des<br />

Lebensweges feierlich zu begehen.<br />

Das Museum ist dienstags bis sonntags<br />

von 10 bis 18 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.neanderthal.de<br />

Ausstellung „Outdoor and outside“<br />

in Recklinghausen<br />

Recklinghausen - Unter dem Titel<br />

„Outdoor and outside“ ist in der Kunsthalle<br />

Recklinghausen eine Ausstellung des<br />

japanischen Künstlers Tadashi Kawamata<br />

zu sehen. Kawamata schafft Installationen,<br />

die auf ihre Umgebung, auf die<br />

Geschichte und Funktion eines Ortes<br />

oder eines Gebäudes reagieren. Trotz ihres<br />

eindeutig skulpturalen Anspruchs lehnten<br />

sich die Kunstwerke meist eng an eine<br />

architektonische Formensprache an und<br />

hätten eine konkrete Funktion, hieß es<br />

beim Start der Schau weiter.<br />

Auf dem Vorplatz der Kunsthalle<br />

errichtete der 1953 in Hokkaido geborene<br />

Künstler ein überdimensionales Turmmodell,<br />

das symbolisch den Blick von<br />

oben auf die Region ermöglicht. In einer<br />

parallelen Ausstellung zeigt die Kunsthalle<br />

- ausgehend von einem Sammlungsschwerpunkt<br />

der Recklinghäuser Museen<br />

- auch die unterschiedlichen Facetten<br />

der Outsiderkunst im Ruhrgebiet. Zu<br />

Peter Krämer<br />

WP/StB<br />

Andreas Niemeyer<br />

WP/StB<br />

Thomas Pintzke<br />

StB<br />

Katrin Schoenian<br />

WP/StB<br />

Dr. Jörg Steckhan<br />

RA/WP/StB<br />

Peter Temmert<br />

WP/StB<br />

Susanne Schäfer<br />

StB<br />

Stephan Schmacks<br />

StB<br />

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sehen sind Exponate von der Naive über<br />

die Werke psychisch Kranker bis hin zu<br />

zeitgenössischen Erscheinungsformen<br />

„randständger“ Kunst wie etwa Graffiti<br />

oder Street Art, die wie Kawamata den<br />

öffentlichen Raum besetzen. Die Ausstellung<br />

ist bis zum 5. September terminiert.<br />

Die Kunsthalle ist dienstags bis sonntags<br />

von 11 bis 18 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.kunst-re.de<br />

Simone Veil erhält den<br />

diesjährigen Heine-Preis der<br />

Stadt Düsseldorf<br />

Die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung<br />

wird im Dezember übergeben<br />

Düsseldorf - Die französische Publizistin<br />

und Politikerin Simone Veil ist<br />

die diesjährige Preisträgerin des renommierten<br />

Heinrich-Heine-Preises der Stadt<br />

Düsseldorf. Die Auszeichnung zählt<br />

zu den bedeutendsten Literatur- und<br />

Persönlichkeitspreisen in Deutschland<br />

und ist mit 50.000 Euro dotiert, teilte ein<br />

Sprecher der NRW-Landeshauptstadt am<br />

Freitag mit. Der Heine-Preis wird seit<br />

1972 verliehen. Telefonisch über die<br />

Entscheidung der Jury informiert, sagte<br />

Veil nach Angaben der Stadt: „Ich fühle<br />

mich sehr geehrt und nehme den Heine-<br />

Preis mit Freuden an.“ Der Preis wird<br />

im Dezember - rund um Heines 213.<br />

Geburtstag in Düsseldorf überreicht.<br />

Laut Jury erhält Veil die Auszeichnung<br />

für ihr politisches und kulturelles<br />

Lebenswerk, „in dessen Zentrum das<br />

Wachsen und der Zusammenhalt Europas<br />

stehen.“ Zeit ihres öffentlichen Engagements<br />

sei die Preisträgerin für die Menschenrechte<br />

und die Verständigung der<br />

Völker eingetreten. Damit habe sie „ganz<br />

im Sinne Heinrich Heines dazu beigetragen,<br />

Europa eine Seele zu geben.“ Der Heine-Preis<br />

wird, wie es in den Bestimmungen<br />

heißt, durch die vom Rat der Stadt Düsseldorf<br />

eingesetzte Jury „an Persönlichkeiten<br />

verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen<br />

im Sinne der Grundrechte des Menschen,<br />

für die sich Heinrich Heine eingesetzt hat,<br />

den sozialen und politischen Fortschritt<br />

fördern, der Völkerverständigung dienen<br />

oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit<br />

aller Menschen verbreiten“.<br />

Veil wurde am 13. Juli 1927 in Nizza<br />

als Tochter des jüdischen Architekten<br />

André Jacob und der Yvonne Steinmetz<br />

geboren. 1944 wurde ihre Familie von der<br />

Gestapo verhaftet und deportiert. 13 Monate<br />

lang war sie in den Konzentrationslagern<br />

von Auschwitz und Bergen-Belsen<br />

inhaftiert. Die Mutter kam in Auschwitz<br />

um, ihr Vater und der Bruder wurden<br />

nach Litauen geschafft, wo sie vermutlich<br />

ebenfalls ums Leben kamen. Nach dem<br />

Krieg studierte Veil Jura in Paris. Ihren<br />

Berufsweg begann sie 1957 im französischen<br />

Justizministerium. 1970 wurde sie<br />

als erste Frau Generalsekretär des „Conseil<br />

supérieur de la magistrature“, der höchsten<br />

Verwaltungsinstanz der französischen<br />

Richter.<br />

Einen ersten Höhepunkt erreichte<br />

ihre politische Karriere 1974, als sie als<br />

Gesundheitsministerin in die Regierung<br />

Jacques Chirac kam. Sie war der erste<br />

weibliche Minister Frankreichs seit 1958.<br />

Von Juli 1979 bis 1982 war sie Präsidentin<br />

des Europaparlaments. In die französische<br />

Regierung kehrte Veil 1993 zurück.<br />

Unter Premierminister Edouard Balladur<br />

übernahm sie das schwierige Ressort<br />

Soziales, Gesundheit und Stadtpolitik. Sie<br />

erhielt als Staatsministerin protokollarisch<br />

den ersten Rang nach dem Premierminister.<br />

Sie wurde 2008 in die Academie<br />

Francaise aufgenommen und ist die fünfte<br />

Frau in der 1635 gegründeten Institution.<br />

Zu den bisherigen Heine-Preisträgern<br />

gehören unter anderem Carl Zuckmayer,<br />

Walter Jens, Max Frisch, Hans Magnus<br />

Enzensberger, Elfriede Jelinek und<br />

Amos Oz.<br />

Museum Ahlen zeigt<br />

„Kunst im Widerstreit“<br />

Ahlen - „Kunst im Widerstreit“ lautet<br />

der Titel einer Ausstellung im Kunstmuseum<br />

Ahlen, die bis 24. Oktober<br />

Werke der so genannten „verschollenen<br />

Generation“ der Künstler präsentiert.<br />

Die ausgestellten Arbeiten von insgesamt<br />

28 Künstlern verbinde ein vergleichbares<br />

Schicksal, hieß es in einer Ankündigung<br />

des Museums. „Innere und äußere Emigration,<br />

Verfolgung, Diffamierung in den<br />

Propaganda-Ausstellungen „entarteter“<br />

Kunst oder auch die Zerstörung ihres<br />

Werkes im Zweiten Weltkrieg“, so die<br />

Aussteller.<br />

Die Exponate stammen aus der<br />

Sammlung Schlenke. Der Sammler hat es<br />

sich seit gut 30 Jahren zum Ziel gesetzt,<br />

die Erinnerung an die Schrecken des<br />

Krieges und der Diktatur wachzuhalten.<br />

Die zentrale Rolle in seiner<br />

Sammlung spielt Felix Nussbaum.<br />

Dessen Wunsch folgend: „laßt meine<br />

Bilder nicht sterben, zeigt sie den<br />

Menschen“, verstehe sich die Sammlung<br />

als Mahnung, die Kuratoren der<br />

Schau. Den Schwerpunkt der Kollektion<br />

bilden Kunstwerke aus der Zeit<br />

der 1930er und 1940er Jahre. Diese<br />

werden, um die stilistische Kunstentwicklung<br />

der jeweiligen Künstler<br />

aufzuzeigen, durch Werke der 1920er<br />

Jahre und der Nachkriegszeit ergänzt.<br />

Die Arbeiten, unter anderem von Peter<br />

August Böckstiegel, Karl Hofer, Rudolf<br />

Levy, Oskar Moll, Hanns Hubertus<br />

Graf von Merveldt und Clemens<br />

Wieschebrink, sind dem Expressionismus<br />

und der Neuen Sachlichkeit<br />

verpflichtet. Die Künstler widmen sich<br />

Bildsujets wie Landschaft, Porträt oder<br />

Stilleben, ohne das Leid oder existenzielle<br />

Ängste bildhaft zu machen. Zu<br />

sehen ist unter anderem das Bild<br />

„Trauernde Frauen“ von Hannah Höch<br />

aus dem Jahre 1945.<br />

Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs<br />

und freitags von 14 bis 18 Uhr,<br />

donnerstags von 14 bis 20 Uhr sowie<br />

samstags und sonntags von 11 bis 18<br />

Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.kunstmuseum-ahlen.de


Museum Schloß zeigt „Higlights<br />

der Graphischen Sammlung“<br />

Mönchengladbach - Das Städtische<br />

Museum Schloß Rheydt in Mönchengladbach<br />

zeigt seit dem 4. Juli „Highlights<br />

der Graphischen Sammlung“ des<br />

Hauses. Nach Angaben des Museums<br />

läuft die Schau bis zum 3. Oktober. Die<br />

umfangreiche Sammlung ruhe meist - der<br />

Öffentlichkeit verborgen - in lichtdichten<br />

Schubladen im Museums-Magazin, hieß<br />

es weiter. Unter den mehr als 5.000 Blättern<br />

befinden sich neben Zeichnungen<br />

und Aquarellen Blätter aus Handschriften,<br />

seltene Holzschnitte, Kupferstiche<br />

und Radierungen. Ein Querschnitt durch<br />

die Vielfalt der Sammlung werde den Besuchern<br />

der Ausstellung einen Eindruck<br />

von der Bedeutung und des Umfangs der<br />

Museumsbestände vermitteln, hieß es<br />

weiter.<br />

Das Museum ist dienstags bis sonntags<br />

von 10 bis 18 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.schlossrheydt.de<br />

Ausstellung zum Thema<br />

Reißverschlüsse in der Kunst<br />

Krefeld - Das Krefelder Haus der<br />

Seidenkultur zeigt bis zum 17. Oktober<br />

die Ausstellung „The-zip-association -<br />

Ausstellungs-Podium für Bewegung in<br />

Kunst.“ Darin geht es um den Siegeszug<br />

des Reißverschlusses, der 1923 in der<br />

Wuppertaler Firma RiRi begann. Zu<br />

sehen sind in der Schau über 40 Exponate,<br />

die zeigen, was internationale Künstler<br />

mit dem Thema Reißverschluß verbinden.<br />

Die in den Niederlanden lebende<br />

deutsche Künstlerin und Designerin<br />

Ursula Pahnke-Felder hatte die Idee,<br />

Kunstaktionen rund um Alltagsgegenstände<br />

zu konzipieren.<br />

Die Ausstellung ist jeden ersten und<br />

dritten Sonntag im Monat von 14 bis<br />

18 Uhr sowie jeden vierten Donnerstag<br />

im Monat von 16 bis 19 Uhr und nach<br />

Vereinbarung geöffnet.<br />

Internet: www.seidenkultur.de<br />

Nixdorf-Museum zeigt Schreibmaschinen<br />

von Schriftstellern<br />

Paderborn - „Schriftsteller und ihre<br />

Schreibmaschinen“ lautet der Titel einer<br />

Ausstellung im Paderborner Nixdorf-Museum.<br />

Die Schreibmaschine von Bertold<br />

Brecht etwa hieß „Erika“, Franz Kafka<br />

benutzte seine „Oliver 5“, Erich Kästner<br />

schrieb auf einer „Gossen Tippa“, hieß es<br />

in einer Mitteilung des Museums. Viele<br />

berühmte Schriftsteller hatten demnach<br />

ein besonderes Verhältnis zu ihrer<br />

Schreibmaschine. „Unser Schreibzeug arbeitet<br />

mit an unseren Gedanken“, erklärte<br />

etwa im Jahr 1882 Friedrich Nietzsche,<br />

der als einer der ersten überhaupt eine<br />

Schreibmaschine nutzte.<br />

Das Museum widmet diesem Thema<br />

nun eine kleine Ausstellung im Museumsshop.<br />

Hier sind insgesamt 18 Schreibmaschinenmodelle,<br />

wie sie von berühmten<br />

Autoren benutzt wurden, zu sehen. Darunter<br />

befindet sich auch ein Original: Die<br />

Columbia Bar-Lock von Hans Fallada, bei<br />

der die häufig benutzten Buchstaben E, R<br />

und S kaum noch zu erkennen sind, da Q<br />

aber fast gänzlich unberührt ist. Die kleine<br />

Schau zeigt nach Angaben des Museums<br />

die gesamte Geschichte der Schreibmaschine,<br />

von den ersten Modellen bis hin zum<br />

industriellen Standardprodukt.<br />

Das Museum ist dienstags bis freitags<br />

von 9 bis 18 Uhr sowie samstags und<br />

sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet.<br />

Weitere Informationen unter: www.hnf.de<br />

Zentralbibliothek Köln würdigt<br />

Heinrich Böll mit Ausstellung<br />

Köln - Unter dem schlichten Titel<br />

„Wortwelten“ würdigt die Zentralbibliothek<br />

der Stadt Köln bis zum 28. August<br />

den Schriftsteller und Nobelpreisträger<br />

Heinrich Böll. Die Schau finde aus Anlaß<br />

des 25. Todestages von Böll in Kooperation<br />

mit der Böll-Stiftung und der Erbengemeinschaft<br />

Heinrich Böll statt, so ein<br />

Sprecher Kölns. Im Fokus stehen die farbigen<br />

Strukturskizzen und Romanschemata<br />

des Kölner Ehrenbürgers, hieß es weiter.<br />

Darüber hinaus würdigt die Ausstellung<br />

auch die Übersetzungsarbeit von<br />

Bölls Ehefrau Annemarie, die am 23. Juli<br />

ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte. Als<br />

Übersetzerin zahlreicher englischsprachiger<br />

Autoren wie etwa J.D. Salinger,<br />

Bernhard Shaw, Patrick White und Judith<br />

Kerr habe Annemarie Böll wesentlich zur<br />

Verbreitung und literarischen Auseinandersetzung<br />

mit diesen Autorinnen und<br />

Autoren in Deutschland beigetragen, so<br />

die Aussteller.<br />

Die Ausstellung ist dienstags und<br />

donnerstags von 10 bis 20 Uhr, mittwochs<br />

und freitags von 10 bis 18 Uhr<br />

sowie samstags von 10 bis 15 Uhr bei<br />

freiem Eintritt geöffnet.<br />

Museum Ludwig in Köln zeigt<br />

Roy Lichtenstein<br />

Köln - Unter dem Titel „Kunst als<br />

Motiv“ präsentiert das Kölner Museum<br />

Ludwig bis zum 3. Oktober eine Ausstellung<br />

zum Werk des Pop Art Meisters Roy<br />

Lichtenstein. Der 1997 verstorbene<br />

Künstler schuf nach Motiven aus der Comic-<br />

und Konsumwelt Gemälde, die er<br />

aus Punkten und Farbflächen zusammensetzte.<br />

In der Ausstellung sind nach Angaben<br />

des Museums vom Mittwoch nun<br />

57


58<br />

noch ganz andere Seiten seines Oeuvres<br />

zu entdecken. Gezeigt werden etwa 100<br />

Exponate, überwiegend großformatige<br />

Gemälde sowie begleitende Zeichnungen<br />

und Skulpturen.<br />

Darin wird nach Angaben der<br />

Kuratoren die Auseinandersetzung<br />

Lichtensteins mit kunsthistorischen<br />

Stilrichtungen von Expressionismus und<br />

Futurismus bis Bauhaus, Art Déco oder<br />

der Landschaftsmalerei Ostasiens nachvollziehbar.<br />

Werke und stilistische Eigenarten<br />

von Künstlerheroen wie Monet,<br />

Matisse, Mondrian und Dalí tauchen<br />

als Themen und Versatzstücke auf, „von<br />

Lichtenstein gleichermaßen ironisch wie<br />

meisterhaft in seiner eigenen Bildsprache<br />

interpretiert,“ hieß es.<br />

Die Ausstellung ist dienstags bis<br />

sonntags von 10 bis 18 Uhr, jeden ersten<br />

Donnerstag im Monat von 10 bis 22 Uhr<br />

geöffnet.<br />

Internet: www.museum-ludwig.de<br />

Ausstellung in Bochum zeigt<br />

Helden und andere Leitbilder im<br />

Ruhrrevier nach 1945<br />

Bochum - „Kumpel Anton, St.<br />

Barbara und die Beatles“ lautet der Titel<br />

einer Ausstellung im Industriemuseum<br />

Zeche Hannover in Bochum, die seit dem<br />

17. Juli Helden und andere Leitbilder im<br />

Ruhrrevier nach 1945 präsentiert. Die bis<br />

zum 10. Oktober laufende Schau ist nach<br />

Angaben des Museums eine Begleitausstellung<br />

zur Kulturhauptstadtjahr-Schau<br />

„Helden. Von der Sehnsucht nach dem<br />

Besondern“, die noch bis Ende Oktober<br />

in Hattingen zu sehen ist. Deren Motto<br />

„Wandel durch Kultur - Kultur durch<br />

Wandel“ sei bereits in der Nachkriegszeit<br />

ein wichtiges Anliegen in der Industrieregion<br />

Ruhrgebiet gewesen, hieß es in der<br />

Ankündigung der Ausstellung - genauso<br />

wie das Ziel, Kultur für alle Menschen<br />

zugänglich zu machen. Im Mittelpunkt<br />

der Schau stehen deshalb die kleinen<br />

„Helden“ des Ruhrgebiets: Laienmaler,<br />

Hobbymusiker und Arbeiterdichter<br />

ebenso wie Kulturpolitiker aus Bergbau,<br />

Gewerkschaft und Kommune.<br />

Die Ausstellung, die die Kulturgeschichte<br />

des Reviers zwischen 1945 und<br />

1966 beleuchtet, stellt auch die zentralen<br />

Leitbilder der populären Kultur der<br />

Region vor: Symbolfiguren wie Kumpel<br />

Anton und die Heilige Barbara oder internationale<br />

Film- und Musikikonen, wie<br />

die Beatles. Zwei Ereignisse aus dem Jahr<br />

1966 bilden den Abschluß: das Einsetzen<br />

der Strukturkrise und der Auftritt der<br />

Beatles in Essen - sicherlich Zufall, aber<br />

gleichzeitig Symbol für einen erneuten<br />

Wandel in der Kultur, so die Aussteller<br />

weiter.<br />

Die Ausstellung ist mittwochs bis<br />

samstags von 14 bis 18 Uhr und sonntags<br />

von 11 bis 18 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.lwl-industriemuseum.de<br />

Bilderbuchmuseum Troisdorf<br />

würdigt den Sammler Wilhelm<br />

Alsleben<br />

Troisdorf - Unter dem Titel „Wir<br />

jubeln“ würdigt das Bilderbuchmuseum<br />

in Troisdorf bei Bonn den Sammler und<br />

Stifter Wilhelm Alsleben. Anlaß sei der<br />

100. Geburtstag Alslebens, so Museumsleiterin<br />

Maria Linsman vor der Eröffnung<br />

der Ausstellung. Anfang der 1980er Jahre<br />

stiftete Alsleben seine aus Tausenden von<br />

Bilderbüchern und rund 350 Illustrationen<br />

bestehende Sammlung dem damals<br />

im Aufbau befindlichen Museum. Die<br />

bis zum 15. August laufende Schau zeigt<br />

anhand der ausgestellten Original-Illustrationen<br />

und Bilderbücher eine repräsentative<br />

Auswahl aus der Sammlung Alsleben,<br />

die den Grundstock des musealen Illustrationsbestandes<br />

des Bilderbuchmuseums<br />

bildet.<br />

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />

von 11 bis 17 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.troisdorf.de<br />

Schauspiel Köln erneut zum<br />

besten NRW-Theater gewählt<br />

Jährliche Kritikerumfrage des Magazins<br />

„Theater-Pur“ sieht das Ballett der<br />

Deutschen Oper am Rhein an der Spitze<br />

der Tanztheater von Rhein und Ruhr<br />

Essen/Köln/Düsseldorf - Das<br />

Schauspiel Köln mit seiner überaus<br />

erfolgreichen Intendantin Karin Beier ist<br />

von Theaterkritikern erneut zum besten<br />

Sprechtheater NRW gewählt worden.<br />

Nach Angaben des in Essen erscheinenden<br />

Magazins „Theater-Pur“ führt Beier<br />

auch als Regisseurin mit ihrer Produktion<br />

„Die Schmutzigen, die Häßlichen<br />

und die Gemeinen“ auch die beste<br />

Inszenierung in der zu Ende gehenden<br />

Spielzeit 2009/2010 an. Mit einigem<br />

Abstand folgt in nach Ansicht der<br />

Kritiker das Essener Grillo-Theater mit<br />

seinem scheidenden Intendanten Anselm<br />

Weber auf dem zweiten, das Schauspielhaus<br />

Bochum mit seinem scheidenden<br />

Intendanten Elmar Goerden auf dem<br />

dirtten Platz.<br />

Das Ballett der Deutschen Oper am<br />

Rhein wählten die Kritiker nach Angaben<br />

des Theatermagazins an die Spitze<br />

der NRW-Tanztheater. Beim Musiktheater<br />

steht einmal mehr das Essener<br />

Aalto-Theater auf Platz Eins. Auf Platz<br />

Zwei und Drei folgen die Deutsche Oper<br />

am Rhein und Wuppertal. Der von den<br />

Kritikern am meisten geschätzte Mann<br />

am Pult in NRW blieb auch in der auslaufenden<br />

Spielzeit Stefan Soltesz vom<br />

Aalto-Musiktheater in Essen. Fast jedes<br />

Theater an Rhein und Ruhr, von Aachen<br />

bis Bielefeld oder von Münster bis Bonn<br />

findet mit einzelnen guten Leistungen in<br />

der Umfrage Erwähnung. Auch einige<br />

freie Bühnen im Land erhielten mehrfach<br />

gute Leistung bescheinigt.<br />

An der jährlichen Kritikerumfrage von<br />

„Theater-Pur“ beteiligen sich etwa 15<br />

Theaterkritiker von Tageszeitungen,<br />

Magazinen und Rundfunksendern.<br />

Elmar Goerden lockte in seiner<br />

5-jährigen Bochumer Intendanz<br />

rund 910.000 Theaterbesucher<br />

Bochum - Ende Juni endete nach fünf<br />

Jahren die Intendanz von Elmar Goerden<br />

als künstlerischer Leiter des traditionsreichen<br />

Bochumer Schauspielhauses. Der in<br />

weiten Strecken relativ glücklos agierende<br />

Theatermann konnte in 3.656 Vorstellungen<br />

rund 910.000 Zuschauer im Theater<br />

begrüßen. In der vergangenen Spielzeit<br />

2009/2010 kamen etwa 186.000 Gäste.<br />

In Erinnerung bleiben sicherlich die Regiearbeiten<br />

von Burghart Klaußner - allen<br />

voran die deutsche Erstaufführung von<br />

Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“


mit Imogen Kogge und Felix Vörtler in<br />

zwei Hauptrollen.<br />

Höhepunkte waren sicherlich auch<br />

die beiden musikalischen Stücke „A<br />

Tribute to Johnny Cash“ mit Tomas<br />

Anzenhofer und „A Tribute to Quentin<br />

Tarantino“ mit Oliver Möller in der<br />

Hauptrolle. Die Johnny Cash-Produktion<br />

brachte es auf über 60 Vorstellungen und<br />

deutlich über 25.000 Zuschauer. Auch<br />

die Produktion „A Tribute to Quentin<br />

Tarantino“ lief bombig. Weitere Publikumserfolge<br />

waren „I hired a contract<br />

killer“, „König Lear“ und zuletzt „Nora“.<br />

Goerden setzte zudem in seiner fünfjährigen<br />

Intendanz mehrfach Akzente durch<br />

ungewöhnliche Theaterformate oder<br />

Festivals.<br />

Von Anfang seiner Intendantentätigkeit<br />

in Bochum stand Goerden ein<br />

wenig im Schatten des deutlich kleineren<br />

Essener Grillo-Theaters. Dort war Intendant<br />

Anselm Weber zeitgleich extrem<br />

erfolgreich und verdrängte die Bochumer<br />

Bühne von dem jahrzehntelang besetzten<br />

ersten Platz der Theater im Revier. Weber<br />

tritt nun in der Spielzeit 2010/2011<br />

die Nachfolge von Goerden in Bochum<br />

an.<br />

Der Westen leuchtet in Bonn<br />

Bonn - Unter dem Titel „Der Westen<br />

leuchtet“ präsentiert das Kunstmuseum<br />

Bonn bis 24. Oktober eine groß angelegte<br />

Ausstellung, die quasi eine Stand-<br />

Überall im Buchhandel erhältlich.<br />

www.edition.koendgen.de<br />

ortbestimmung der Kunstlandschaft des<br />

Rheinlandes darstellt. Die Ausstellung<br />

stellt die wichtigsten Künstlerinnen und<br />

Künstler der älteren Generation (von<br />

Richter bis Gursky) mit jeweils neuen<br />

Arbeiten vor und verknüpft sie mit<br />

zentralen Werken der jungen Nachwuchskunst<br />

zu einer Gesamtübersicht<br />

von mehr als 30 Positionen.<br />

Die Auswahl aus der Generation der<br />

älteren Künstlerinnen und Künstler und<br />

die Festlegung der neuen Arbeiten wurde<br />

kuratorisch durch das Wissenschaftlerteam<br />

des Kunstmuseums Bonn betreut.<br />

Die Auswahl der Nachwuchsgeneration<br />

nahmen die international bereits arrivierten<br />

Künstler selbst vor. Die Aufteilung der<br />

kuratorischen Verantwortung zwischen<br />

Künstlern und Kunsthistorikern versteht<br />

sich nach Angaben des Kunstmuseums<br />

„als bewußtes Zeichen gegen das Fantasma<br />

des omnipotenten Kurators und als<br />

Anerkennung der prioritären Leistung der<br />

Künstlerinnen und Künstler.“<br />

In der Schau vertreten sind unter<br />

anderem Bernd & Hilla Becher, Joseph<br />

Beuys, Anna und Bernhard Johannes<br />

Blume, Tony Cragg, Isa Genzken,<br />

Andreas Gursky, Georg Herold, Jürgen<br />

Klauke, Imi Knoebel, Marcel Oden-<br />

NEU<br />

bach, Albert Oehlen, Blinky Palermo,<br />

Sigmar Polke, Gerhard Richter, Ulrich<br />

Rückriem, Thomas Schütte, Katharina<br />

Sieverding, Rosemarie Trockel, Timm<br />

Ulrichs. Aus der jüngeren Künstlergeneration<br />

sind Arbeiten von Thomas<br />

Arnolds, Martina Debus, Simon Denny,<br />

Chris Durham, Claudia Fährenkemper,<br />

Natascha Sadr Haghighian, David<br />

Hahlbrock, Benjamin Houlihan, Bernd<br />

Kastner, Christian Keinstar, Erinna König,<br />

Gereon Krebber, Ursula Neugebauer<br />

und Michail Pirgelis zu sehen.<br />

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />

von 11 – 18 Uhr sowie mittwochs<br />

von 11 - 21 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.kunstmuseum-bonn.de<br />

Texte: Andreas Rehnolt<br />

Auswahl und Redaktion: Frank Becker<br />

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