153 Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser,

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Aufsätze/Beiträge Irrtümliche Sozialversicherungsbeiträge: Trotzdem kein Arbeitslosengeld und keine Rente? Fachleute schätzen: Über 1,5 Mio. Angehörige als Arbeitnehmer falsch versichert! Rechtsanwalt Johannes Fiala, München Das Rechtssystem wird von Jahr zu Jahr komplizierter, auch in der Sozialversicherung. Der Bereich von Lohnsteuer und Sozialversicherung dürfte heute etwa so komplex sein, wie die Besteuerung der GmbH. Fachleute fragen sich, ob die Komplexität das Rechtssystem bereits bis zur Grenze der Verfassungswidrigkeit geführt hat? Beiträge bezahlt – dennoch keine Leistung: Wer Sozialversicherungsbeiträge bezahlt, ist weder sicher vor den Risiken geschützt, für welche Beiträge bezahlt werden, noch ist gewiss dass im Notfall auch Leistungen bezahlt werden. Aus der Sicht des Bürgers handelt es sich oft um eine Pflicht, Beiträge zu bezahlen – aber der Staat schützt den Bürger nicht vor Irrtümern und Enttäuschungen. Fachleute schätzen die „nicht anspruchberechtigten“ Beitragszahler auf 1,5 – 1,8 Mio. Arbeitnehmer. Typischer Fall: Die gelernte Steuerfachangestellte S. arbeitet in der GmbH ihres Ehemannes mit. Als sie arbeitslos wird, verweigert ihr die Arbeitsagentur die Leistungen. Sie steht ohne Versorgung für den Notfall einer Arbeitslosigkeit da. Erstaunlich findet sie, dass jahrelang die Beiträge kassiert wurden und auch bei Betriebsprüfungen alles in Ordnung war. Soziale Rechtsprechung? Das Bundessozialgericht hat durch seine Entscheidung vom 28.04.1987 (Az. 12 RK 47/85) die Leitlinie vorgegeben, welche der Arbeitnehmer als wenig fürsorglich empfindet. – Die Sozialversicherung bildet sich in der Praxis dann eine Meinung, ob der Arbeitnehmer „richtig“ versichert war, sobald der Notfall eingetreten ist – dann kann die Leistung verweigert werden. – Allein die Zahlung von Beiträgen, sowie die erst später erkannte „Unrichtigkeit“ einer Anmeldung des Mitarbeiters beim Sozialversicherungssystem, begründet keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialversicherung. – Der Mitarbeiter hat dann (oft erst auf weiteren Antrag) allenfalls einen Anspruch auf Beitragserstattung – jedoch nur für nicht bereits verjährte Ansprüche. – Auch an die Feststellungen der üblicherweise alle vier Jahre im Unternehmen stattfindenden Betriebsprüfungen ist die Sozialversicherung nicht gebunden. Es gibt also keinen Vertrauensschutz und keine faktische Härteklausel. 160 03/06 Unsoziale Praxis Der Arbeitnehmer gerät im Leistungsfall auch leicht zwischen die Fronten. So ist es denkbar, dass die gesetzliche Krankenkasse eine andere Einschätzung als Rechtsmeinung vertritt als der Deutsche Rentenversicherung Bund. Dies kann nicht nur generell der Fall sein, sondern auch hinsichtlich der Frage, seit wann ein Mitarbeiter sozialversicherungspflichtig oder eben nicht ist bzw. war. Damit nicht genug, denn wenn etwa durch einen Wechsel der Krankenversicherung unterschiedliche Zeitabschnitte zu beurteilen sind, können verschiedene Krankenkassen ebenso verschiedene Entscheidungen zur Beitragspflicht oder hinsichtlich eines Antrags auf Erstattung von Beiträgen mitteilen. Es geht um viel Geld: In Erstattungsfällen können durchaus 100 bis 300 TEUR an bereits von Arbeitgeber und Mitarbeiter gemeinsam bezahlten Beiträgen auf dem Spiel stehen. Die Praktiker beklagen, dass die Verfahren zum Teil „ewig“ dauern. Dabei gibt es zahlreiche Fallen für die Berater, denn die Verhältnisse können sich unter dem Jahr ändern – dann kann auch für den einmal befreiten Mitarbeiter wieder Sozialversicherungspflicht eintreten. Dies hat Konsequenzen für die private Altersversorgung, denn eine wirkliche Planungssicherheit für längerfristigen privaten Kapitalaufbau scheint nicht zu bestehen. Gesetzgeber gefordert: Die Fälle in der Praxis werfen die Frage auf, nach welcher Gerechtigkeitsformel der Gesetzgeber sich das gedacht hat? Im Zivilrecht würde der Bürger sein Geld zurück verlangen, wenn er keine Leistung bekommt – die teilweise kurze Verjährung von vier Jahren beschneidet diese Möglichkeiten in der Sozialversicherung und bringt den Steuerberater in eine Haftung, obgleich auch er sich schwer tut, eine Rechtssicherheit zu garantieren. Für den Mitarbeiter, wenn er zu den geschätzten 1,5 bis 1,8 Mio. Betroffenen gehört, stellt sich das System der Feststellung seiner Sozialversicherungspflicht ähnlich dar, wie ein Lotto-System. Die Verunsicherung bei den Betroffenen sollte bald ein Ende haben.

Mitteilungen aus der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV: Koordinierungsstelle für Gebührenprobleme mit Rechtsschutzversicherungen geschaffen! Auf der 50. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV im September 2005 in Berlin leitete der Verfasser einen Workshop zum Thema „Rechtsschutzversicherungen und Kosten im Arbeitsrecht“. Großen Zuspruch fand seine These, Rechtsschutzversicherungen könnten berechtigten Gebührenansprüchen nur deshalb so erfolgreich entgegentreten, weil der Aufwand eines Gebührenprozesses gegen den Rechtsschutzversicherer für den einzelnen Anwalt oft mit mehr Aufwand verbunden ist, als es die verweigerte Gebühr wert ist. Auf diese Weise geht unnötigerweise eine große Summe an Gebührenaufkommen verloren. Hieraus entstand die Idee, die Kollegen aus der Arbeitsgemeinschaft in solchen Problemfällen so zu unterstützen, dass sie ihre berechtigten Ansprüche auch mit angemessenem Aufwand durchsetzen können. Außerdem wurde der Hoffnung Ausdruck verliehen, mit einer zentralen Stelle, die sich auf umfangreiches erarbeitetes Rechtsschutzmaterial stützt, entstünde den Rechtsschutzversicherern ein ernsthafter Gegner, dessen Einschalten allein bereits zu akzeptablen Ergebnissen führen könnte. Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft hat sich nun entschlossen, einer solchen Zentralstelle Geburtshilfe zu leisten und damit den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft eine weitere Dienstleistung zur Verfügung zu stellen, die hoffentlich häufig genutzt wird und so auch das angestrebte Ziel erreichen kann. Die Koordinierungsstelle ist aus Vereinfachungsgründen (Zusammenführung von Entscheidungen und Vereinheitlichung von Ansprechpartnern) bei der AE angesiedelt. Für die Dauer eines Jahres, beginnend mit dem 1. Oktober 2006, wird die Koordinierungsstelle aus Mitteln der Arbeitsgemeinschaft pauschal vergütet. Jedes Mitglied, das Probleme bei der Durchsetzung von berechtigten Gebührenansprüchen gegen Rechtsschutzversicherer hat, kann sich an die Koordinierungsstelle wenden. Die Koordinierungsstelle wird die vorzulegenden Unterlagen prüfen, sich im Falle einer positiven Bewertung für den Anspruchsteller als Anwalt bei der jeweiligen Rechtsschutzversicherung melden und die Ansprüche nochmals geltend machen. Notfalls wird der Anspruch auch eingeklagt. Die Tätigkeit des Anwalts der Koordinierungsstelle sowohl bei der außergerichtlichen als auch bei der gerichtlichen Tätigkeit ist für das anspruchstellende Mitglied kostenlos! Das Mitglied hat lediglich Gerichtskosten und Auslagen zu zahlen. Lediglich dann, wenn der Anspruch entgegen der vorherigen Einschätzung abgewiesen wird, was in Ansehung der zersplit- Aufsätze/Beiträge terten Rechtslandschaft und der überwiegenden ausschließlichen Zuständigkeit von Amtsgerichten nie ausgeschlossen werden kann, trägt der anspruchstellende Anwalt letztlich auch die gerichtlichen Kosten und die außergerichtlichen der Rechtsschutzversicherung. Der Vorstand setzt allerdings darauf, dass das Auftreten der Koordinierungsstelle die Zahl der Prozesse verringert. Die Koordinierungsstelle behält sich natürlich das Recht vor, auch Vergleiche zu schließen, die Entscheidungen erübrigen. Dem anspruchstellenden Anwalt verbleibt dann, was an Gebührenanspruch durchsetzbar ist. Kosten hat er nach dem Vorgesagten weitgehend nicht zu tragen. Die Koordinierungsstelle ist eine Solidarinstitution der Arbeitsgemeinschaft. Zur Vermeidung von Kosten und Steigerung der Effizienz wird die Koordinierungsstelle darauf angewiesen sein, im Falle sicherlich seltener Gerichtstermine auf die Mitwirkung von am Gerichtsort ansässigen Kollegen zurückgreifen zu können. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich dem Solidaritätsgedanken anschließen, was etwaige Gebührenforderungen für die Terminswahrnehmung betrifft. Natürlich wird die Koordinierungsstelle versuchen, diesen Aufwand durch Streuung für die am Gerichtsort ansässigen Kollegen gering zu halten. Ab 1. Oktober 2006 können Sie sich also im Bedarfsfall wenden an: AE Koordinierungsstelle für Rechtsschutzprobleme c/o Rechtsanwalt Thomas Zahn, LL.M. Budapester Straße 40, 10787 Berlin Tel.: 030 / 254 591 – 70 Fax: 030 / 254 591 – 66 u.koehler@advocati.de Machen Sie von diesem Angebot ohne zu zögern Gebrauch. Sollte sich nach einem Jahr Erprobungszeit herausstellen, dass kein Bedarf bestand, wird die Koordinierungsstelle wieder eingestellt. Sollte der Bedarf den Erwartungen entsprechen, wird der Vorstand prüfen und der Mitgliedschaft ggfs. zur Entscheidung vorlegen, ob aus der Koordinierungsstelle eine Dauereinrichtung wird oder ob sie als eine gesonderte Institution neben der Arbeitsgemeinschaft zu führen ist. Wir wünschen allen Mitgliedern viel Erfolg! Dr. Hans-Georg Meier, Fachanwalt für Arbeitsrecht 03/06 161

Aufsätze/Beiträge<br />

Irrtümliche Sozialversicherungsbeiträge: Trotzdem kein<br />

Arbeitslosengeld <strong>und</strong> keine Rente?<br />

Fachleute schätzen: Über 1,5 Mio. Angehörige als Arbeitnehmer falsch versichert!<br />

Rechtsanwalt Johannes Fiala, München<br />

Das Rechtssystem wird von Jahr zu Jahr komplizierter, auch<br />

in der Sozialversicherung. Der Bereich von Lohnsteuer <strong>und</strong><br />

Sozialversicherung dürfte heute etwa so komplex sein, wie<br />

die Besteuerung der GmbH. Fachleute fragen sich, ob die<br />

Komplexität das Rechtssystem bereits bis zur Grenze der Verfassungswidrigkeit<br />

geführt hat?<br />

Beiträge bezahlt – dennoch keine Leistung:<br />

Wer Sozialversicherungsbeiträge bezahlt, ist weder sicher vor<br />

den Risiken geschützt, für welche Beiträge bezahlt werden,<br />

noch ist gewiss dass im Notfall auch Leistungen bezahlt werden.<br />

Aus der Sicht des Bürgers handelt es sich oft um eine<br />

Pflicht, Beiträge zu bezahlen – aber der Staat schützt den<br />

Bürger nicht vor Irrtümern <strong>und</strong> Enttäuschungen. Fachleute<br />

schätzen die „nicht anspruchberechtigten“ Beitragszahler auf<br />

1,5 – 1,8 Mio. Arbeitnehmer.<br />

Typischer Fall:<br />

Die gelernte Steuerfachangestellte S. arbeitet in der GmbH<br />

ihres Ehemannes mit. Als sie arbeitslos wird, verweigert ihr<br />

die Arbeitsagentur die Leistungen. Sie steht ohne Versorgung<br />

für den Notfall einer Arbeitslosigkeit da. Erstaunlich findet<br />

sie, dass jahrelang die Beiträge kassiert wurden <strong>und</strong> auch bei<br />

Betriebsprüfungen alles in Ordnung war.<br />

Soziale Rechtsprechung?<br />

Das B<strong>und</strong>essozialgericht hat durch seine Entscheidung vom<br />

28.04.1987 (Az. 12 RK 47/85) die Leitlinie vorgegeben, welche<br />

der Arbeitnehmer als wenig fürsorglich empfindet.<br />

– Die Sozialversicherung bildet sich in der Praxis dann eine<br />

Meinung, ob der Arbeitnehmer „richtig“ versichert war,<br />

sobald der Notfall eingetreten ist – dann kann die Leistung<br />

verweigert werden.<br />

– Allein die Zahlung von Beiträgen, sowie die erst später<br />

erkannte „Unrichtigkeit“ einer Anmeldung des Mitarbeiters<br />

beim Sozialversicherungssystem, begründet keinen<br />

Anspruch auf Leistungen der Sozialversicherung.<br />

– Der Mitarbeiter hat dann (oft erst auf weiteren Antrag)<br />

allenfalls einen Anspruch auf Beitragserstattung – jedoch<br />

nur für nicht bereits verjährte Ansprüche.<br />

– Auch an die Feststellungen der üblicherweise alle vier<br />

Jahre im Unternehmen stattfindenden Betriebsprüfungen<br />

ist die Sozialversicherung nicht geb<strong>und</strong>en. Es gibt also<br />

keinen Vertrauensschutz <strong>und</strong> keine faktische Härteklausel.<br />

160 03/06<br />

Unsoziale Praxis<br />

Der Arbeitnehmer gerät im Leistungsfall auch leicht zwischen<br />

die Fronten. So ist es denkbar, dass die gesetzliche Krankenkasse<br />

eine andere Einschätzung als Rechtsmeinung vertritt<br />

als der Deutsche Rentenversicherung B<strong>und</strong>. Dies kann<br />

nicht nur generell der Fall sein, sondern auch hinsichtlich<br />

der Frage, seit wann ein Mitarbeiter sozialversicherungspflichtig<br />

oder eben nicht ist bzw. war. Damit nicht genug, denn<br />

wenn etwa durch einen Wechsel der Krankenversicherung<br />

unterschiedliche Zeitabschnitte zu beurteilen sind, können<br />

verschiedene Krankenkassen ebenso verschiedene Entscheidungen<br />

zur Beitragspflicht oder hinsichtlich eines Antrags auf<br />

Erstattung von Beiträgen mitteilen.<br />

Es geht um viel Geld:<br />

In Erstattungsfällen können durchaus 100 bis 300 TEUR an bereits<br />

von Arbeitgeber <strong>und</strong> Mitarbeiter gemeinsam bezahlten<br />

Beiträgen auf dem Spiel stehen. Die Praktiker beklagen, dass<br />

die Verfahren zum Teil „ewig“ dauern. Dabei gibt es zahlreiche<br />

Fallen für die Berater, denn die Verhältnisse können sich unter<br />

dem Jahr ändern – dann kann auch für den einmal befreiten<br />

Mitarbeiter wieder Sozialversicherungspflicht eintreten.<br />

Dies hat Konsequenzen für die private Altersversorgung, denn<br />

eine wirkliche Planungssicherheit für längerfristigen privaten<br />

Kapitalaufbau scheint nicht zu bestehen.<br />

Gesetzgeber gefordert:<br />

Die Fälle in der Praxis werfen die Frage auf, nach welcher<br />

Gerechtigkeitsformel der Gesetzgeber sich das gedacht hat?<br />

Im Zivilrecht würde der Bürger sein Geld zurück verlangen,<br />

wenn er keine Leistung bekommt – die teilweise kurze Verjährung<br />

von vier Jahren beschneidet diese Möglichkeiten in<br />

der Sozialversicherung <strong>und</strong> bringt den Steuerberater in eine<br />

Haftung, obgleich auch er sich schwer tut, eine Rechtssicherheit<br />

zu garantieren.<br />

Für den Mitarbeiter, wenn er zu den geschätzten 1,5 bis<br />

1,8 Mio. Betroffenen gehört, stellt sich das System der<br />

Feststellung seiner Sozialversicherungspflicht ähnlich dar, wie<br />

ein Lotto-System. Die Verunsicherung bei den Betroffenen<br />

sollte bald ein Ende haben.

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