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2. Kapitel - Eisenbeis Rechtsanwälte

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

1<br />

______________________________________________________________<br />

Rechtsanwalt Dr. Uwe Schlegel<br />

<strong>Eisenbeis</strong> Rechtsanwaltsges. mbH, Köln<br />

Grundzüge des Bürgerlichen Rechts<br />

(eine strukturierte Darstellung)<br />

© <strong>Eisenbeis</strong> Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2003


Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

2<br />

______________________________________________________________<br />

1. <strong>Kapitel</strong>: Einführung in das<br />

Bürgerliche Recht<br />

der Bundesrepublik Deutschland<br />

© <strong>Eisenbeis</strong> Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2003


Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

3<br />

______________________________________________________________<br />

1. <strong>Kapitel</strong>: Einführung in das Bürgerliche Recht der<br />

Bundesrepublik Deutschland<br />

� Lernhinweis: Bitte lesen Sie die nachfolgenden Ausführun-<br />

gen des 1. <strong>Kapitel</strong>s besonders sorgfältig. Es handelt sich hierbei<br />

um Grundlagen, die das Gesamtverständnis für das Erlernen der<br />

Systematik des Bürgerlichen Rechts erleichtern und einen Ein-<br />

blick in die Technik der Lösung von Klausursachverhalten ge-<br />

währen sollen.<br />

A. Das Deutsche Privatrecht (Übersicht 1)<br />

Als erste Orientierung soll die nachfolgend gezeigte Übersicht 1<br />

dienen:<br />

© <strong>Eisenbeis</strong> Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2003


Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

4<br />

______________________________________________________________<br />

Bürgerliches<br />

Recht (v.a.<br />

BGB)<br />

Privatrecht<br />

Recht<br />

Sonderprivatrecht<br />

der (z.B.<br />

HGB)<br />

Erläuterungen zu Übersicht 1:<br />

Öffentliches Recht<br />

Handelsrecht<br />

Gesellschaftsrecht<br />

• Recht: Jedes Gemeinwesen bedarf einer Ordnung, die ein<br />

gedeihliches Zusammenleben gewährleisten hilft. Eine solche<br />

Ordnung ist das Recht. Darunter ist die Gesamtheit der<br />

Rechtsvorschriften zu verstehen, durch die das Verhältnis ei-<br />

ner Gruppe von Menschen zueinander (Herr Meier zu Herrn<br />

Müller) oder zu den übergeordneten Hoheitsträgern (Herr<br />

Meier zur Stadtverwaltung der Stadt X) oder zwischen diesen<br />

(die Stadtverwaltung der Stadt Köln zum Regierungspräsiden-<br />

ten) geregelt ist.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

5<br />

______________________________________________________________<br />

Diese Rechtsvorschriften, auch Normen genannt, können<br />

ausdrücklich (geschrieben) oder nicht ausdrücklich (unge-<br />

schrieben) festgelegt sein, weshalb man auch von geschrie-<br />

benem und ungeschriebenem Recht spricht.<br />

Geschriebenes Recht sind die Rechtsnormen, die in Geset-<br />

zen verzeichnet sind. Zum ungeschriebenen Recht zählt auch<br />

das sog. Gewohnheitsrecht und die jeder Rechtsordnung zu<br />

Grunde liegenden allgemeinen Rechtsgedanken.<br />

Beispiel: Der Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Drit-<br />

ter ist Teil des ungeschriebenen Rechts. Gleiches galt vor<br />

dem Schuldrechtsreformgesetz für die Rechtsinstitute der<br />

positiven Vertragsverletzung und der culpa in contrahen-<br />

do.<br />

• Privatrecht: Der Teil des Rechts, der die Beziehungen zwi-<br />

schen den einzelnen gleichgeordneten Mitgliedern der Ge-<br />

meinschaft regelt. Anders hingegen das öffentliche Recht –<br />

hier geht es in der Regel um ein Unter- und Überordnungs-<br />

verhältnis.<br />

Beispiele:<br />

- Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug = Privatrecht<br />

- Mietvertrag über eine Wohnung/Büroräume = Privat-<br />

recht<br />

- Ordnungsbehörden- und Polizeirecht (Abschleppen ei-<br />

nes Kfz aus Fußgängerzone) = öffentliches Recht<br />

- Gewährung von BAFöG = öffentliches Recht<br />

• Bürgerliches Recht: Der Teil des Rechts, der für jedermann<br />

gilt. Gesetzlich geregelt v.a. im Bürgerlichen Gesetzbuch<br />

(BGB).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

6<br />

______________________________________________________________<br />

Das BGB ist mit Wirkung zum 01.01.2002 in wesentlichen<br />

Teilen modernisiert worden. Das sog. Schuldrechtsreformge-<br />

setz betrifft in erster Linie den allgemeinen Teil des BGB (1.<br />

Buch) sowie das Recht der Schuldverhältnisse (<strong>2.</strong> Buch). Das<br />

bis zum 31.1<strong>2.</strong>2001 geltende Recht gilt noch in Teilen fort.<br />

Besonderheiten gelten auch für das Recht der Verjährung<br />

(dazu weiter im Verlaufe des Skripts).<br />

• BGB: Das BGB ist unterteilt in fünf Bücher -<br />

_ 1. Buch: Allgemeiner Teil (§§ 1–240 BGB)<br />

_ <strong>2.</strong> Buch: Recht der Schuldverhältnisse, kurz Schuldrecht<br />

(§§ 241–853 BGB)<br />

_ 3. Buch: Sachenrecht (§§ 854–1296 BGB)<br />

_ 4. Buch: Familienrecht (§§ 1297–1921 BGB)<br />

_ 5. Buch: Erbrecht (§§ 1922-2385 BGB)<br />

� Achtung: Funktion des allgemeinen Teils: Das Allgemeine<br />

wird „vor die Klammer gezogen“, die nachfolgenden Teile be-<br />

handeln Besonderheiten, d.h., soweit an anderer Stelle nichts<br />

speziell geregelt ist, gelten die Bestimmungen des allgemei-<br />

nen Teils des BGB für das gesamte Privatrecht.<br />

� Beachte: Die gleiche Systematik gilt auch im Schuldrecht<br />

(<strong>2.</strong> Buch des BGB). Dort enthalten die Abschnitte 1 bis 7<br />

(§§ 241-432 BGB) das sog. allgemeine Schuldrecht, der 8.<br />

Abschnitt (§§ 433-853 BGB) das besondere Schuldrecht.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

7<br />

______________________________________________________________<br />

• Abgrenzung des Bürgerlichen Rechts zum Sonderprivat-<br />

recht der Kaufleute: Das Sonderprivatrecht der Kaufleute ist<br />

u.a. geregelt im Handelsgesetzbuch (HGB), Aktiengesetz<br />

(AktG) und GmbH-Gesetz (GmbHG). Hier sind besondere<br />

qualifizierende Merkmale (u.a. die Kaufmannseigenschaft<br />

nach den §§ 1 ff. HGB) erforderlich, damit das jeweilige Ge-<br />

setz zur Anwendung gelangen kann.<br />

B. Einführung in das BGB<br />

I. Ansprüche und Anspruchsgrundlagen<br />

� Achtung: Ziel dieser Lerneinheit ist es vor allem, dass Sie<br />

den für Klausuren sehr wichtigen sog. Gutachtenstil beherrschen<br />

lernen. Bitte lesen Sie die Ausführungen sorgfältig durch!<br />

1. Grundsätze<br />

� Merke 1: Privatrechtliche Fälle handeln von Personen die An-<br />

sprüche geltend machen. Ausschließlich Anspruchsnormen (An-<br />

spruchsgrundlagen) sind geeignet, Ansprüche zu erfüllen.<br />

� Merke 2: Anspruchsnormen werden mit Hilfe der Legaldefini-<br />

tion des Anspruchs in § 194 Abs. 1 BGB gefunden. Danach ist<br />

der Anspruch das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unter-<br />

lassen verlangen zu können.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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______________________________________________________________<br />

� Merke 3: Anspruchsnormen setzen sich im Tatbestand aus<br />

Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolge(n) zusammen.<br />

Nur wenn die Rechtsfolge mit dem übereinstimmt, was der An-<br />

spruchsteller begehrt, kann mit der Prüfung der Tatbestandsvor-<br />

aussetzungen begonnen werden.<br />

Beispiele für Anspruchsgrundlagen: §§ 433 Abs. 1, Abs. 2;<br />

535 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2; 823 Abs. 1; 826; 985 BGB (Bitte<br />

die angegebenen §§ nachlesen!). Keine Anspruchsgrundla-<br />

gen sind hingegen u.a. §§ 104, 105, 195 BGB.<br />

<strong>2.</strong> Das Rechtsgutachten/die vier „W“/stilistische Hin-<br />

weise für die Bearbeitung einer Fallklausur<br />

Fall: A überfährt mit einem Auto die Katze des B, deren<br />

nächtlicher Lärm A schon seit langem störte. B verlangt von A<br />

100,00 € (= objektiver Wert des Tieres).<br />

Die Prüfung eines solchen Falles geht nach einem immer glei-<br />

chen Muster vor sich:<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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______________________________________________________________<br />

a) 1. Schritt: Die vier „W“<br />

• Wer (= Anspruchsteller)<br />

• will was (= Anspruchsgegenstand)<br />

• von wem (= Anspruchsgegner)<br />

• woraus (= Anspruchsgrundlage)?<br />

aa) Im Ausgangsfall will B (wer?) Schadensersatz in Höhe von<br />

100,00 € (was?) von A (von wem?).<br />

Der Jurist formuliert dies, indem er im Rahmen seines Rechts-<br />

gutachtens einen sog. Obersatz – in der Regel im Konjunktiv –<br />

bildet:<br />

„B könnte gegen A einen Anspruch auf Schadenersatz in Hö-<br />

he von 100,00 € geltend machen.“<br />

bb) Das 4. „W“ – woraus? - bereitet üblicherweise die größten<br />

Schwierigkeiten, denn hier ist eine gute Gesetzeskenntnis unab-<br />

dingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit.<br />

Vorliegend kommt ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB unter<br />

dem Gesichtspunkt der Eigentumsverletzung in Betracht. Damit<br />

ist der Obersatz wie folgt zu vervollständigen:<br />

„B könnte gegen A einen Anspruch auf Schadenersatz in Hö-<br />

he von 100,00 € aus § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichts-<br />

punkt der Eigentumsverletzung geltend machen.“<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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______________________________________________________________<br />

b) <strong>2.</strong> Schritt: Die Anspruchsprüfung<br />

Ist der Obersatz formuliert, ist mit der Prüfung der Anspruchsvor-<br />

aussetzungen fortzufahren. Dazu sind diese nacheinander zu<br />

benennen und ihr Vorliegen für den konkreten Fall zu überprü-<br />

fen.<br />

Den Vorgang, der den Vergleich zwischen der abstrakten Norm<br />

mit ihren Erfordernissen (= Anspruchsvoraussetzungen) und dem<br />

konkreten Sachverhalt darstellt, nennt man Subsumtion. Damit<br />

ist gemeint, dass man, nachdem eine Anspruchsvoraussetzung<br />

benannt wurde (im Ausgangsbeispiel des § 823 Abs. 1 BGB u.a.<br />

die Verletzung des Eigentums), anschließend versucht, den vor-<br />

liegenden – konkreten – Sachverhalt unter die – abstrakte – Vor-<br />

aussetzung „zu packen“ (= zu subsumieren).<br />

Im Beispielsfall müsse demnach wie folgt fortgefahren werden:<br />

„Möglicherweise könnte B ... (s.o.). Dieser Anspruch könnte<br />

sich ... (s.o.). Dann müsste A das Eigentum des B widerrecht-<br />

lich verletzt haben (= Nennung der Anspruchsvorausset-<br />

zung(en). A hat die Katze des B getötet. Durch diese Hand-<br />

lung hat A das Eigentum des B verletzt; dies geschah auch<br />

widerrechtlich (= Subsumtion).“<br />

c) 3. Schritt: Ausspruch der Rechtsfolge(n)<br />

Sind sämtliche Voraussetzungen des geprüften Anspruchs er-<br />

füllt, kann die vom jeweiligen Tatbestand vorgesehene Rechts-<br />

folge (es können unter Umständen auch mehrere sein), ausge-<br />

sprochen werden. Für den Beispielsfall heißt dies:<br />

„Damit ist A dem B nach § 823 Abs. 1 BGB zum Schadenser-<br />

satz in Höhe von 100,00 € verpflichtet.“<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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______________________________________________________________<br />

II. Zusammenfassung: Gutachtliche Prüfung eines<br />

Anspruchs/einer Anspruchsgrundlage<br />

� Lernhinweis: Prüfungsschemata dürfen nicht als Selbstzweck<br />

dienen! Schemata sollen Ihnen das Lernen komplexer Lernein-<br />

heiten erleichtern helfen. Sie werden rasch erkennen, dass hier<br />

kein stures Auswendiglernen, sondern vielmehr ein verständiges<br />

Durchdenken der Materie ausreichend ist, um den Lernerfolg auf<br />

Dauer zu sichern.<br />

Prüfungsschema 1: Vorgehen bei der gutachtlichen Prüfung<br />

eines Anspruchs<br />

1. Obersatz: Fraglich ist, ob A gegen B einen Anspruch auf...<br />

(z.B. Schadensersatz) nach § ... geltend machen kann.<br />

<strong>2.</strong> Anspruchsvoraussetzung(en) benennen: Voraussetzung<br />

dafür ist, dass ...<br />

3. Subsumtion (= Vergleich zwischen konkretem Sachverhalt<br />

und abstrakter Norm)<br />

4. Folgerung 1: Damit liegen die Anspruchsvoraussetzungen<br />

(s.o. <strong>2.</strong>) vor.<br />

5. Folgerung 2: Sind sämtliche Anspruchsvoraussetzungen<br />

bejaht worden, steht A der Anspruch nach § ... gegen B zu<br />

(s.o. 1.).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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______________________________________________________________<br />

Anspruchsaufbau (sog. System zivilrechtlicher An-<br />

sprüche)<br />

� Lernhinweis: Die Einzelheiten der Ansprüche werden im Ver-<br />

laufe des Skripts behandelt. Nachfolgende Ausführungen sollen<br />

lediglich als eine erste Übersicht dienen.<br />

Prüfungsschema 2: System zivilrechtlicher Ansprüche<br />

1. Vertragliche Ansprüche<br />

_ Vertragliche Ansprüche stellen die speziellste Regelung dar und sind daher<br />

an erster Stelle zu prüfen.<br />

a) Primär: gerichtet auf Erfüllung<br />

_ In erster Linie richten sich vertragliche Ansprüche auf Erfüllung (z.B. Bezah-<br />

lung des Kaufpreises nach § 433 Abs. 2 BGB, Lieferung einer mangelfreien<br />

Sache, § 433 Abs. 1 S. 1 BGB).<br />

b) Sekundär: Ansprüche aus Leistungsstörung<br />

_ Hier ist zum einen zwischen dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht (s.<br />

Allgemeines Schuldrecht) und den Leistungsstörungen bei den einzelnen Ver-<br />

tragstypen (s. Besonderes Schuldrecht) zu unterscheiden; zum anderen gibt<br />

es verschiedene Arten der Leistungsstörungen.<br />

Nachfolgend eine kurze Übersicht der Leistungsstörungen:<br />

aa) Unmöglichkeit<br />

_ Wenn der Schuldner eine Leistung nicht erbringen kann, schuldet er sie<br />

auch nicht, § 275 Abs. 1-3 BGB. Es kommt aber eine Verpflichtung des<br />

Schuldners in Betracht, wonach er statt der unmöglichen Leistung Schadens-<br />

ersatz (statt der Leistung) schuldet, §§ 280 Abs. 1 S. 1, 281, 283 BGB (Aus-<br />

nahme: § 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Statt des Anspruchs auf Schadensersatz<br />

kann der Gläubiger auch den Ersatz von Aufwendungen verlangen (§ 284<br />

BGB – sog. frustrierte Aufwendungen). Unabhängig von einem Verschulden<br />

besteht ein Anspruch auf das sog. stellvertretende Kommodum, § 285 BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

13<br />

______________________________________________________________<br />

Bei einem gegenseitigen Vertrag muss der Gläubiger ggfls. die Gegenleistung<br />

nicht mehr erbringen, § 326 Abs. 1, 1. Fall BGB.<br />

bb) Schuldnerverzug<br />

_ Den neben der Leistung zu ersetzenden Verzögerungsschadens hat der<br />

Schuldner nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 286 BGB zu leisten<br />

(§ 280 Abs. 2 BGB). Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger<br />

nach §§ 280 Abs. 3, 281 BGB geltend machen. Den Rücktritt regelt v.a. § 323<br />

Abs. 1 BGB.<br />

cc) Andere Pflichtverletzungen<br />

_ Hier sind zwei Arten zu unterscheiden:<br />

a) Pflichtverletzungen, die sich auf die Leistung beziehen, Leistung erfolgt<br />

nicht pflichtgemäß (sog. Schlechtleistung) – geregelt u.a. in §§ 434 ff. BGB<br />

(für den Kaufvertrag); Schadensersatz über § 280 Abs. 1 BGB.<br />

b) Leistungsferne Pflichtverletzungen („der ungeschickte Handwerker“):<br />

Schadensersatz über § 280 I BGB, über § 282 BGB Schadensersatz statt der<br />

Leistung (nach § 324 BGB Rücktrittsrecht beim gegenseitigen Vertrag).<br />

<strong>2.</strong> culpa in contrahendo<br />

_ s. § 311 Abs. 2, 3 BGB (Achtung: c.i.c. spielt u.U. auch dann eine Rolle,<br />

wenn es zu einem Vertragsschluss gekommen ist – z.B. Schaden aus der<br />

Herbeiführung eines ungünstigen Vertrages, hier kann die c.i.c. über § 249 S.<br />

1 BGB einen Anspruch auf Aufhebung des Vertrages begründen!)<br />

3. Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB)<br />

4. Dingliche Ansprüche (= Ansprüche aus Sachenrecht)<br />

a) Ansprüche auf Herausgabe (z.B. § 985 BGB)<br />

b) Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung (z.B. § 1004 BGB)<br />

c) Ansprüche auf Befriedigung aus einem Gegenstand (z.B. § 1113 Abs. 1<br />

BGB) – lediglich Verwertungsbefugnis!<br />

5. Ansprüche aus unerlaubter Handlung (§§ 823 ff. BGB)<br />

6. Bereicherungsrechtliche Ansprüche (§§ 812 ff. BGB)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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______________________________________________________________<br />

� Klausurhinweise: Bitte prägen Sie sich das Prüfungsschema<br />

2 fest ein. Ansprüche sind aus rechtlichen wie praktischen Erwä-<br />

gungen heraus immer in dieser Reihenfolge zu prüfen. In einem<br />

konkreten Fall müssen Sie sich also zunächst fragen, ob ein ver-<br />

traglicher Anspruch besteht. Existiert ein solcher nicht, geht es<br />

weiter mit der Prüfung eines eventuell bestehenden Anspruchs<br />

aus c.i.c. usw. In einer Klausur können selbstverständlich auch<br />

mehrer Ansprüche nebeneinander bestehen. Es sind stets sämt-<br />

liche Ansprüche zu prüfen und ihr Vorliegen gegebenenfalls zu<br />

bejahen. Auch sind bisweilen solche Ansprüche zu prüfen, die<br />

letztlich nicht zu dem durch den Anspruchsteller begehrten Ziel<br />

führen.<br />

III. Das Abstraktionsprinzip<br />

1. Grundaussage des Abstraktionsprinzips<br />

Die Grundaussage des Abstraktionsprinzips lautet: Verpflich-<br />

tungs- und Verfügungsgeschäft sind (rechtlich) von einander zu<br />

trennen.<br />

� Merke: Das Verpflichtungsgeschäft ist grundsätzlich unab-<br />

hängig vom Erfüllungsgeschäft, so dass die Unwirksamkeit des<br />

Grundgeschäfts (z.B. wenn die auf Abschluss des Kaufvertrages<br />

gerichtete Willenserklärung wirksam angefochten worden oder<br />

sonst nichtig ist) das Verfügungsgeschäft (z.B. die dingliche Ü-<br />

bereignung nach § 929 S. 1 BGB) hiervon u.U. unberührt lässt.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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______________________________________________________________<br />

� Achtung: Keinesfalls richtig ist die häufig anzutreffende Auf-<br />

fassung, Verpflichtungsgeschäfte seien ausschließlich im<br />

Schuldrecht, Verfügungsgeschäfte hingegen nur im Sachenrecht<br />

zu finden. Wenn Sie beispielsweise die Bestimmungen über die<br />

Abtretung betrachten (§§ 398 ff. BGB), stellen Sie fest, dass hier<br />

eine Verfügung Ihren Platz im Schuldrecht gefunden hat!<br />

<strong>2.</strong> Beispiel eines einfachen Kaufs – Zeitungskiosk-Fall<br />

1 Kaufvertrag im Sinne des § 433 Abs. 1 S. 1 BGB (= Ver-<br />

pflichtungsgeschäft = schuldrechtlicher Vertrag)<br />

1 sachenrechtlicher Vertrag im Sinne des § 929 S. 1 BGB<br />

(Geld an Kioskhändler) = Verfügungsgeschäft<br />

1 weiterer sachenrechtlicher Vertrag im Sinne des § 929 S. 1<br />

BGB (Zeitung an Kunden) = Verfügungsgeschäft<br />

3. Verpflichtung<br />

Verpflichtung heißt, es verspricht jemand rechtswirksam, etwas<br />

zu tun oder zu unterlassen.<br />

Beispiele: Kaufvertrag (§ 433 BGB); Werkvertrag (§ 631<br />

BGB); Schenkungsvertrag (§ 516 BGB); Bürgschaftsvertrag<br />

(§ 765 BGB).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

16<br />

______________________________________________________________<br />

4. Verfügung<br />

Verfügungen sind Rechtsgeschäfte, die unmittelbar darauf ge-<br />

richtet sind,<br />

- auf ein bestehendes Recht einzuwirken,<br />

- es zu verändern,<br />

- zu übertragen oder<br />

- aufzuheben.<br />

Beispiele: Übertragung des Eigentums nach § 929 S. 1 BGB;<br />

die Verfügung über eine Forderung durch Abtretung nach<br />

§ 398 S. 1 BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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______________________________________________________________<br />

<strong>2.</strong> <strong>Kapitel</strong>: Entstehung, Inhalt, Unter-<br />

gang und Durchsetzbarkeit vertrag-<br />

licher Ansprüche<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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______________________________________________________________<br />

<strong>2.</strong> <strong>Kapitel</strong>: Entstehung, Inhalt, Untergang und Durch-<br />

setzbarkeit vertraglicher Ansprüche<br />

� Lernhinweis: Nachfolgend werden Sie mit den Einzelheiten<br />

vertraglicher Ansprüche konfrontiert (vgl. Prüfungsschema 2).<br />

Vertragliche Ansprüche stehen häufig im Mittelpunkt von Klausu-<br />

ren. Ziel dieser Lerneinheit soll es sein, Sie in die Lage zu ver-<br />

setzen, einen vertraglichen Anspruch von seinen Grundvoraus-<br />

setzungen her zügig prüfen zu können. Achten Sie in diesem Zu-<br />

sammenhang bitte stets darauf, dass in einer Klausur selten<br />

sämtliche Prüfungspunkte zu ausführlichen Erörterungen Anlass<br />

geben. Nur die problematisch erscheinenden Gesichtspunkte<br />

bedürfen einer gesonderten Betrachtung im Urteilsstil.<br />

A. Der Anspruch - Prüfungsreihenfolge<br />

� Merke: Die einfache Feststellung, ein Anspruch bestehe,<br />

reicht bisweilen nicht aus. Zumindest gedanklich ist stets dreierlei<br />

zu prüfen:<br />

I. Anspruch entstanden?<br />

Das wirksame Entstehen eines Anspruches hindern Nichtigkeits-<br />

und Anfechtungsgründe.<br />

Beispiele: §§ 104 i.V.m. 105 Abs. 1; 125; 134; 138; 142 Abs.<br />

1 i.V.m. 119 ff. BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

19<br />

______________________________________________________________<br />

II. Anspruch untergegangen?<br />

Es gibt Umstände, wonach ein wirksam entstandener Anspruch<br />

(s.o. I.) wieder untergehen kann.<br />

Beispiele: Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB; der Erlassver-<br />

trag (§ 397 BGB); die Aufrechnung nach §§ 387, 389 BGB;<br />

§ 275 Abs. 1 BGB (unmögliche Leistung).<br />

III. Anspruch durchsetzbar?<br />

Schließlich gibt es Möglichkeiten, wonach die Geltendmachung<br />

eines Anspruchs dauernd oder zumindest zeitweilig gehemmt<br />

wird.<br />

Beispiele: § 214 Abs. 1 BGB (Verjährung = dauernde Hem-<br />

mung); § 273 Abs. 1 BGB (Zurückbehaltungsrecht = zeitweili-<br />

ge Hemmung); § 320 Abs. 1 S. 1 BGB (Einrede des nicht er-<br />

füllten Vertrags = zeitweilige Hemmung).<br />

IV. Zusammenfassung<br />

Prüfungsschema 3: Anspruchsprüfung<br />

1. Anspruch entstanden?<br />

<strong>2.</strong> Anspruch nicht untergegangen?<br />

3. Anspruch durchsetzbar?<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

20<br />

______________________________________________________________<br />

B. Pflichten<br />

Die Pflichten sind als Gegenstück zum Anspruch zu verstehen.<br />

� Lernhinweis: Die nachfolgend aufgeführten Begriffe sind<br />

nicht auswendig zu lernen. Es geht bei der Vorstellung bestimm-<br />

ter juristischer Fachausdrücke alleine darum, Ihr juristisches<br />

Grundverständnis zu schulen und eine sprachlich/juristisch kor-<br />

rekte Ausdrucksweise zu erlernen!<br />

I. Leistungspflichten<br />

1. Primärleistungspflichten<br />

Primärleistungen sind auf die Erbringung einer Leistung gerich-<br />

tet. Bei diesen Pflichten (auch Hauptleistungspflichten genannt)<br />

handelt es sich um solche, deren Erfüllung das eigentliche Ziel<br />

des Vertrages ist.<br />

Beispiel: Im Rahmen des Kaufvertrages in der Regel die<br />

Zahlung des Kaufpreises einerseits und die Übergabe der<br />

Sache/Eigentumsverschaffung andererseits.<br />

<strong>2.</strong> Sekundärleistungspflichten<br />

Sekundärleistungspflichten treten an Stelle der Primärleistungs-<br />

pflicht, wenn etwas „schief gelaufen“ ist.<br />

Beispiel: Die Verpflichtung zum Schadensersatz nach<br />

§ 280 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

21<br />

______________________________________________________________<br />

3. Nebenleistungspflichten<br />

Nebenleistungspflichten haben die Aufgabe, die Erfüllung der<br />

Hauptleistung zu sichern.<br />

Beispiel: § 402 BGB.<br />

II. Nebenpflichten<br />

Im Gegensatz zu den Nebenleistungspflichten sollen die Neben-<br />

pflichten nicht der Sicherung des Leistungserfolgs dienen, son-<br />

dern sie verfolgen das Ziel, die Rechtsgüter des Gegenüber vor<br />

Schaden zu bewahren. Man bezeichnet die Nebenpflichten auch<br />

als Sorgfalts- und Obhutspflichten.<br />

III. Obliegenheiten<br />

Unter einer Obliegenheit versteht man Maßnahmen, die jemand<br />

deshalb ergreifen muss, damit er selbst keinerlei (rechtliche)<br />

Nachteile erleidet. Die Verletzung einer Obliegenheit führt nicht<br />

etwa zu einer Schadenersatzpflicht, sondern dazu, dass der<br />

„Verpflichtete“ rechtlich schlechter gestellt wird.<br />

Beispiel: Kaufmann A, der ein größeres Lebensmittelge-<br />

schäft betreibt, bezieht bei B regelmäßig Frischware. So auch<br />

am 03.09., als B dem A 20 Paletten mit Frischmilch liefert, die<br />

verdorben ist. Wenn A dies, sobald es ihm tatsächlich mög-<br />

lich ist, nicht B gegenüber rügt, läuft er Gefahr durch die Ver-<br />

letzung der Obliegenheit aus § 377 Abs. 1 HGB seine Rechte<br />

verlustig zu gehen (vgl. § 377 Abs. 2 HGB).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

22<br />

______________________________________________________________<br />

C. Das Schuldverhältnis<br />

Ansprüche entstammen Schuldverhältnissen (vgl. § 241 BGB).<br />

Schuldverhältnisse können vielfältiger Natur sein. Im Vorder-<br />

grund stehen vertragliche und gesetzliche Schuldverhältnisse.<br />

Vertragliche Schuldverhältnisse entstehen kraft freiwilliger Über-<br />

einkunft.<br />

Beispiel: A schließt mit B einen Kaufvertrag (vgl. § 433 Abs.<br />

1 BGB).<br />

Gesetzliche Schuldverhältnisse entstehen hingegen kraft gesetz-<br />

licher Anordnung, d.h. ohne dass ein entsprechender Wille der<br />

am Schuldverhältnis Beteiligten zur Entstehung des Schuldver-<br />

hältnisses notwendig wäre.<br />

Beispiel: A zerkratzt mutwillig den Lack des Kraftfahrzeugs<br />

des B.<br />

Im vorhergehenden Beispiel folgt eine Schadenersatzpflicht des<br />

A nach § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der Eigen-<br />

tumsverletzung. A hat durch sein Vorgehen „unfreiwillig“ (= kraft<br />

gesetzlicher Anordnung) ein Schuldverhältnis zur Entstehung<br />

gebracht. Aus diesem (gesetzlichen) Schuldverhältnis entspringt<br />

der Anspruch des B gegen A.<br />

� Merke: Ansprüche entspringen Schuldverhältnissen. Diese<br />

können vertraglicher und gesetzlicher Natur sein.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

23<br />

______________________________________________________________<br />

D. Zustandekommen von Verträgen<br />

I. Wichtige Definitionen<br />

Definition Vertrag: Rechtsgeschäft, dass durch zwei überein-<br />

stimmende und in Bezug aufeinander abgegebene Willenserklä-<br />

rungen (Angebot und Annahme) zustande kommt.<br />

Definition Rechtsgeschäft: Tatbestand, der (u.a.) aus einer o-<br />

der mehrerer Willenserklärung(en) besteht und an den die<br />

Rechtsordnung den Eintritt des gewollten rechtlichen Erfolges<br />

knüpft.<br />

Definition Willenserklärung: Willensäußerung, die auf die Her-<br />

beiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist.<br />

II. Prüfungsraster (Prüfungsschema 4)<br />

1. Angebot<br />

Prüfungsschema 4: Zustandekommen von<br />

a) Willenserklärung<br />

Verträgen<br />

b) Abgabe der Willenserklärung<br />

c) Zugang der Willenserklärung<br />

d) Geschäftsfähigkeit des Erklärenden<br />

<strong>2.</strong> Annahme (weiter s.o. 1 a) – d))<br />

3. Bezug und Übereinstimmung der Willenserklärungen<br />

[4. Nichtvorliegen von Nichtigkeitsgründen]<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

24<br />

______________________________________________________________<br />

Nachfolgend die Einzelheiten zu den im Schema angesproche-<br />

nen Prüfungspunkten.<br />

III. Willenserklärung<br />

1. Wille<br />

Eine Willenserklärung besteht aus zwei Elementen:<br />

• Subjektiv : Wille (nachfolgend 1.)<br />

• Objektiv: Erklärung (nachfolgend <strong>2.</strong>)<br />

Der Wille besteht wiederum aus drei Elementen (nachfolgend a)<br />

– c)):<br />

a) Handlungswille = Wille, bewusst zu handeln; fehlt der Hand-<br />

lungswille, fehlt es an einer wirksamen Willenserklärung!<br />

Der Handlungswille fehlt beispielsweise bei Schlafenden<br />

oder Bewusstlosen.<br />

b) Erklärungswille = Wille, rechtserheblich zu handeln. Das Fehlen<br />

des Erklärungswillens ist problematisch, weil die Konsequenzen<br />

daraus keiner einheitlichen Lösungen zuzuführen sind. Schulfall<br />

ist der<br />

Trierer-Weinversteigerungs-Fall: A hebt bei einer Wein-<br />

versteigerung seine Hand, um seinen Freund B zu grü-<br />

ßen; objektiv ist das Handheben als Mehrgebot zu deuten.<br />

Grundsätzlich – und so auch im Weinversteigerungs-Fall – liegt<br />

keine wirksame Willenserklärung vor (Begründung: § 118 BGB<br />

analog). Allerdings liegt eine wirksame Willenserklärung aus-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

25<br />

______________________________________________________________<br />

nahmsweise dann vor, wenn der Erklärende die mögliche Deu-<br />

tung seines Verhaltens erkennen konnte. Letzteres hat die<br />

Rechtsprechung angenommen im sog.<br />

Bürgschafts-Fall (BGHZ 91, 324): Gläubiger G hatte von<br />

seinem Schuldner S eine Bankbürgschaft verlangt. Wenig<br />

später schrieb Sparkasse D an G, sie habe für S eine<br />

Bürgschaft übernommen. G erklärte die Annahme. Dann<br />

schrieb D an G, eine Bürgschaftsübernahme sei nicht be-<br />

absichtigt gewesen, das entsprechende Schreiben beruhe<br />

auf einen Irrtum. G nimmt D aus der Bürgschaft in An-<br />

spruch.<br />

Zu berücksichtigen ist allerdings, dass im Bürgschafts-Fall eine<br />

Anfechtung durch D nach §§ 142 Abs. 1 i.V.m. 119 Abs. 1, 1. Alt.<br />

BGB möglich ist (Anfechtung wegen Inhaltsirrtums – dazu später<br />

noch ausführlich). Dies führt dann aber über § 122 Abs. 1 BGB<br />

gegebenenfalls zu einer Pflicht des D zur Leistung von Scha-<br />

densersatz.<br />

c) Geschäftswille = Wille, eine bestimmte Rechtsfolge herbeizu-<br />

führen. Fehlt der Geschäftswille, verbleibt allein die Möglichkeit<br />

der Anfechtung (§ 142 Abs. 1 i.V.m. §§ 119 ff. BGB), da in einem<br />

derartigen Falle eine wirksame Willenserklärung vorliegt.<br />

d) Achtung: Ein Angebot muss stets den Willen zu einer rechtli-<br />

chen Bindung zum Ausdruck bringen (sog. Rechtsbindungswille).<br />

An einem solchen Willen fehlt es in den Fällen der sog. „invitatio<br />

ad offerendum“ -<br />

Beispiele für eine invitatio ad offerendum: Schaufenster-<br />

auslagen, Prospekte, Werbezuschrift an einen unbestimmt<br />

großen Kreis von Empfängern; Speisekarten usw.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

26<br />

______________________________________________________________<br />

BGH NJW 1996, 919: Bei einem freibleibenden Angebot handelt<br />

es sich im Regelfall nicht um ein Vertragsangebot, sondern<br />

lediglich um eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (zu<br />

denselben Bedingungen).<br />

OLG Hamm, ZIP 2001, 291: Bei einer Internet-Auktion kann in<br />

der Freischaltung der Angebotsseite bereits ein Angebot auf<br />

Abschluss eines Kaufvertrages liegen, so dass der Kaufvertrag<br />

mit demjenigen Bieter zustande kommt, der – gem. den AGB<br />

des Internet-Auktionators – in der Bieterzeit das höchste Angebot<br />

online abgibt.<br />

LG Essen, NJW-RR 2003, 1207 [Internet-Vertragsabschluss]:<br />

Das Einstellen eines Warensortiments in das Internet ist nach<br />

Meinung des Gerichts eine invitatio ad offerendum (Einladung<br />

zur Abgabe eines Angebots). I.Ü. macht das LG darauf aufmerksam,<br />

dass es zur wirksamen Einbeziehung von Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen im Internet-Handel ausreichend sei,<br />

dass der Hinweis auf die AGB auf dem Bestellformular oberhalb<br />

der Bestellleiste und abgegrenzt von den übrigen Daten erfolgt<br />

und die AGB online abgerufen werden können. Enthalten derartige<br />

AGB des Anbieters die Regelung „Die Annahme Ihrer Bestellung<br />

erfolgt durch Versendung der Ware“, so kommt – so<br />

das LG – ein Kaufvertrag über die per Internet bestellte Ware<br />

nicht mit Bestätigung der Bestellung, sondern erst mit dem Versand<br />

der Ware zu Stande.<br />

LG Gießen, NJW-RR 2003, 1206 [Zum Vertragsschluss im Internet-Handel/Erhalt<br />

nicht bestellter Ware, §§ 151 S. 1, 145,<br />

150, 155 BGB]: Der Leitsatz lautet: „Auch im Internethandel<br />

entspricht es der Verkehrssitte, dass die Erklärung der Annahme<br />

des in der Bestellung per e-Mail liegenden Vertragsangebots<br />

dem Antragenden nicht mitgeteilt wird; das Vertragsangebot<br />

wird jedoch in der Regel weder durch automatisierte Antwort-e-Mails<br />

des Versandhändlers, noch konkludent durch Zusendung<br />

anderer als der bestellten Waren angenommen.“<br />

� Achtung: Ob im Einzelfall ein Angebot oder nur eine „invita-<br />

tio“ vorliegt, entscheidet sich nach dem objektiven Erklärungs-<br />

wert des Verhaltens des Antragenden. Maßgeblich ist, ob dem<br />

Anbieter eine vorzeitige Bindung von Nachteil und dies für den<br />

Gegenüber erkennbar ist.<br />

<strong>2.</strong> Erklärung<br />

a) Art und Weise der Erklärung<br />

Die Erklärung kann erfolgen<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

27<br />

______________________________________________________________<br />

• mündlich oder schriftlich<br />

• ausdrücklich oder konkludent (= durch schlüssiges Verhalten)<br />

BGH NJW 1997, 1982: Das bloße „Wollen“ von Leistungen und deren<br />

schlichte Entgegennahme führen noch nicht ohne Weiteres zu<br />

einem Vertragsschluss.<br />

b) Problem Schweigen<br />

aa) Grundsatz: Schweigen stellt keine Willenserklärung dar<br />

bb) Ausnahme: Das Gesetz knüpft an das Schweigen Rechtsfolgen<br />

(1) Regel: Schweigen als Ablehnung (z.B. §§ 108 Abs. 2 S. 2; 177<br />

Abs. 2 S. 2 BGB)<br />

(2) (Große) Ausnahme: Schweigen als Zustimmung (z.B. § 516 Abs.<br />

2 S. 2 BGB; § 362 Abs. 1 HGB)<br />

BGH NJW 1996, 919: Das Schweigen auf ein Vertragsangebot kann<br />

ausnahmsweise dann als beredtes Schweigen im Sinne einer Vertragsannahme<br />

gewertet werden, wenn nach den Vorverhandlungen<br />

Einigkeit über die wesentlichen Punkte des Vertrages bestanden hat<br />

und beide Parteien fest mit einem Vertragsschluss gerechnet haben.<br />

c) Sonderfall: Unbestellte Leistungen<br />

Durch die Lieferung unbestellter Sachen oder durch die Erbrin-<br />

gung unbestellter sonstiger Leistungen durch ein Unternehmen<br />

an einen Verbraucher wird ein Anspruch gegen diesen nicht be-<br />

gründet (§ 241 a Abs. 1 BGB). Bitte lesen Sie auch § 241 a Abs.<br />

2 und Abs. 3 BGB.<br />

Die Begriffe „Verbraucher“ und „Unternehmer“ sind im § 13, 14<br />

BGB gesetzlich definiert.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

28<br />

______________________________________________________________<br />

IV. Abgabe der Willenserklärung<br />

1. Grundsatz: Die Abgabe ist ein notwendiger Bestandteil einer<br />

wirksamen Willenserklärung<br />

<strong>2.</strong> Unterscheide<br />

a) Abgabe einer nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung<br />

(z.B. § 657 BGB): Hier liegt eine Abgabe vor, wenn der Erklären-<br />

de sich der Erklärung entäußert, d.h. sie vollendet oder fertig ge-<br />

stellt hat. Maßgebend ist die Frage, ob der Erklärende seinen<br />

Willen erkennbar endgültig geäußert hat.<br />

b) Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung (= Re-<br />

gelfall): Hier liegt eine Abgabe vor, wenn der Erklärende die Er-<br />

klärung in Richtung auf den Empfänger in Bewegung setzt und er<br />

bei Zugrundelegung normaler Verhältnisse mit dem Zugang beim<br />

Empfänger rechnen darf.<br />

Unterscheide im Detail:<br />

aa) Für mündliche (= telefonische, vgl. § 147 Abs. 1 S. 2 BGB) Erklä-<br />

rungen gegenüber Anwesenden gilt: Eine wirksame Abgabe liegt<br />

vor, wenn die Erklärung so geäußert wird, dass der Gegenüber<br />

in der Lage ist, sie zu verstehen.<br />

bb) Für mündliche Erklärungen gegenüber einem Abwesenden gilt:<br />

Die Erklärung kann mit der Hilfe eines Boten abgegeben werden.<br />

Im Normalfall ist eine Abgabe dann erfolgt, wenn der Erklärende<br />

die Erklärung gegenüber dem Boten vollendet und diesem die<br />

Weisung gegeben hat, die Erklärung dem Erklärungsempfänger<br />

zu übermitteln.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

29<br />

______________________________________________________________<br />

cc) Eine schriftliche Erklärung gegenüber einem Anwesenden ist<br />

dann abgegeben, wenn sie diesem zur Entgegennahme über-<br />

reicht wird.<br />

dd) Eine schriftliche Erklärung gegenüber einem Abwesenden ist<br />

abgegeben, wenn der Erklärende das vollendete Schriftstück wil-<br />

lentlich in Richtung auf den Erklärungsempfänger auf den Weg<br />

gebracht hat, so dass normalerweise mit dem Zugang beim Er-<br />

klärungsempfänger gerechnet werden kann.<br />

3. Bitte beachten Sie § 130 Abs. 2 BGB. Geschäftsfähigkeit zum<br />

Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung ist danach ausrei-<br />

chend, der Tod nach Abgabe der Willenserklärung ist rechtlich<br />

unerheblich.<br />

V. Zugang der Willenserklärung<br />

1. Grundsatz<br />

Eine empfangsbedürftige Willenserklärung bedarf zu ihrer Wirk-<br />

samkeit des Zugangs, § 130 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />

<strong>2.</strong> Definition „Zugang“<br />

Eine Willenserklärung ist dann zugegangen, wenn<br />

• die Willenserklärung so in den Machtbereich des Empfängers<br />

gelangt ist, dass<br />

• dieser Kenntnis nehmen kann und<br />

• unter Zugrundelegung normaler Verhältnisse mit der Kennt-<br />

nisnahme zu rechnen ist.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

30<br />

______________________________________________________________<br />

Dabei ist jedoch zu unterscheiden zwischen dem Zugang gegen-<br />

über einem Anwesenden (dazu nachfolgend 3.) und einem Zu-<br />

gang gegenüber einem Abwesenden (dazu nachfolgend 4.).<br />

3. Zugang gegenüber einem Anwesenden<br />

Zu beachten ist, dass § 130 Abs. 1 S. 1 BGB in diesem Fall nicht<br />

gilt. Wann der Zugang gegenüber einem Anwesenden anzuneh-<br />

men ist, ist umstritten:<br />

• Nach der sog. Vernehmungstheorie ist das akustische Ver-<br />

nehmen entscheidend.<br />

• Nach der modifizierten Vernehmungstheorie ist ein wirksamer<br />

Zugang schon dann anzunehmen, wenn für den Erklärenden<br />

vernünftigerweise keine Zweifel bestehen konnten, dass sei-<br />

ne Erklärung zutreffend vernommen wurde. Für die modifi-<br />

zierte Vernehmungstheorie spricht der berechtigte Schutz des<br />

Rechtsverkehrs.<br />

4. Zugang gegenüber einem Abwesenden<br />

a) Normalfall: Zugang direkt gegenüber dem Vertragspartner – es<br />

gilt § 130 Abs. 1 S. 1 BGB<br />

b) Ausnahmefall: Zugang gegenüber Mittelspersonen<br />

aa) Empfangsvertreter: § 164 Abs. 3 BGB, d.h. für den Zugang i.S.v.<br />

§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB ist der Zugang an den Vertreter entschei-<br />

dend<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

31<br />

______________________________________________________________<br />

bb) Boten<br />

(1) Empfangsbote<br />

Der Empfangsbote ist eine Person, die zur Entgegennahme der<br />

Erklärung als geeignet und ermächtigt anzusehen ist. Hier ist der<br />

Zugang grundsätzlich mit dem Zugang beim Boten bewirkt.<br />

Beispiele für Empfangsboten: Familienangehörige, Haus-<br />

gehilfen, kaufmännische Angestellte im Unternehmen<br />

BGH NJW 2002, 1565 [zur Frage des Zugangs nach § 130<br />

BGB und zur Eigenschaft als Empfangsbote bei Schaltung einer<br />

Anrufweiterleitung]: Die Schaltung einer Anrufweiterleitung,<br />

bei der Telefonanrufe, die auf dem Apparat eines tatsächlich<br />

oder nach der Verkehrsanschauung zur Entgegennahme von<br />

Willenserklärungen ermächtigten Mitarbeiters eingehen, an einem<br />

anderen Telefonapparat entgegengenommen werden, bewirkt,<br />

dass der den Anruf entgegennehmende Mitarbeiter – unabhängig<br />

von seiner Stellung im Unternehmen – im Zweifel<br />

nach der Verkehrsanschauung als ermächtigt gilt, Willenserklärungen<br />

oder diesen gleichzustellende Mitteilungen mit Wirkung<br />

für den Erklärungsempfänger entgegenzunehmen.<br />

(2) Erklärungsbote<br />

Hier ist die tatsächliche Übermittlung an den Erklärungsempfän-<br />

ger für den Zugang entscheidend<br />

5. § 130 Abs. 1 S. 2 BGB<br />

Nach § 130 Abs. 1 S. 2 BGB wird die Willenserklärung nicht<br />

wirksam, wenn dem Empfänger vorher oder gleichzeitig mit der<br />

Erklärung ein Widerruf zugeht. Dabei kommt es allein auf den<br />

Zeitpunkt des Zugangs, nicht auf den der Kenntnisnahme an.<br />

• Der gleichzeitig zugegangen Widerruf ist auch dann wirksam,<br />

wenn der Empfänger zuerst von der Erklärung Kenntnis<br />

nimmt.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

32<br />

______________________________________________________________<br />

• Der verspätet zugegangene Widerruf bleibt umgekehrt auch<br />

dann ohne Wirkung, wenn der Empfänger von dem Widerruf<br />

gleichzeitig oder sogar vor der Erklärung Kenntnis erhält.<br />

6. Zugangshindernisse<br />

a) Berechtigte Verweigerung<br />

Eine berechtigte Verweigerung hindert die Wirksamkeit des Zu-<br />

gangs.<br />

Beispiele für eine berechtigte Verweigerung sind eine feh-<br />

lende Frankierung oder eine unrichtige Adressierung eines<br />

Briefes durch den Absender<br />

b) Unberechtigte Verweigerung<br />

Hier geht die Erklärung zum Zeitpunkt des Angebots zur Aus-<br />

händigung zu (h.M.).<br />

c) Wer mit dem Eingang rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechnen<br />

muss, hat durch geeignete Vorkehrungen sicherstellen, dass ihn<br />

die zu erwartenden Erklärungen auch erreichen. Unterlässt er<br />

dies, gilt die Erklärung auch dann als zugegangen, wenn sie den<br />

Empfänger tatsächlich nicht erreicht.<br />

BGH ZIP 1998, 212: Bei der Nichtabholung eines bei einem Postamt<br />

niedergelegten Einschreibebriefes ist der Erklärende grundsätzlich<br />

verpflichtet, nach Kenntnis von dem nicht erfolgten Zugang unverzüglich<br />

einen neuen Versuch zu unternehmen, seine Erklärung derart in<br />

den Machtbereich des Empfängers zu bringen, dass diesem ohne weiteres<br />

eine Kenntnisnahme ihres Inhalts möglich ist. Ein wiederholter<br />

Zustellungsversuch des Erklärenden ist nur dann entbehrlich, wenn der<br />

Empfänger die Annahme einer an ihn gerichteten schriftlichen Mitteilung<br />

grundlos verweigert, obwohl er mit dem Eingang rechtsgeschäftlicher<br />

Mitteilungen seines Vertrags – oder Verhandlungspartners rechnen<br />

muss. Gleiches gilt, wenn der Adressat den Zugang der Erklärung<br />

arglistig vereitelt.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

33<br />

______________________________________________________________<br />

7. §§ 131 Abs. 1, 131 Abs. 2 S. 1 und S. 2 BGB beachten (bitte le-<br />

sen Sie die hier angegebenen §§ sorgfältig nach!)<br />

8. § 149 BGB<br />

9. § 151 S. 1 BGB<br />

� Achtung: Nur der Zugang, nicht die Abgabe der Willenserklä-<br />

rung als solche ist nach § 151 S. 1 BGB entbehrlich!<br />

Beispiele für einen nach der Verkehrssitte entbehrlichen<br />

Zugang: Versandhandel; Hotelzimmerreservierung; allge-<br />

mein bei unentgeltlichen Zusendungen und anderen für<br />

den Antragsempfänger vorteilhaften Geschäften.<br />

BGH NJW 1997, 2233: Schickt der Bürge seine schriftliche<br />

Bürgschaftserklärung dem abwesenden Gläubiger zu, ist es regelmäßig<br />

als Bestätigung des Annahmewillens anzusehen,<br />

wenn der Gläubiger, der zuvor die Übernahme der Bürgschaft<br />

verlangt hatte, die Urkunde behält.<br />

BGH NJW 2001, 2324: In der Einlösung eines mit einem Abfindungsangebot<br />

versandten Schecks, dessen Betrag in krassem<br />

Missverhältnis zu unbestrittenen Forderungen steht, liegt kein<br />

unzweideutige Betätigung des Annahmewillens i.S. des § 151<br />

BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

34<br />

______________________________________________________________<br />

10. Zusammenfassung (Übersicht 4)<br />

1. Abgabe<br />

Übersicht 4: Abgabe und Zugang von<br />

Willenserklärungen<br />

a) Nicht empfangsbedürftige Willenserklärung: Abgabe (+),<br />

wenn der Erklärende seinen Willen endgültig geäußert hat<br />

b) Empfangsbedürftige Willenserklärung: Abgabe (+), wenn<br />

die Erklärung in Richtung Empfänger losgeschickt wurde<br />

und mit Zugang gerechnet werden kann –<br />

aa) mündliche Erklärung gegenüber Anwesenden: Der Ge-<br />

genüber muss die Willenserklärung verstehen können<br />

bb) mündliche Erklärung gegenüber Abwesenden: Bei Ein-<br />

schaltung eines Boten muss dieser in Richtung Empfänger<br />

losgeschickt werden<br />

cc) schriftliche Erklärung gegenüber Anwesenden: Überrei-<br />

chen der Willenserklärung zur Entgegennahme ist ent-<br />

scheidend<br />

dd) schriftliche Erklärung gegenüber Abwesenden: Willentli-<br />

ches auf-den-Weg-bringen in Richtung Empfänger<br />

<strong>2.</strong> Zugang<br />

a) Gegenüber Anwesenden: Vernehmungstheorie/ modifi-<br />

zierte Vernehmungstheorie<br />

b) Gegenüber Abwesenden: Bei Zugang direkt gegenüber<br />

dem Vertragspartner gilt § 130 Abs. 1 S. 1 BGB<br />

VI. Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

35<br />

______________________________________________________________<br />

� Lernhinweis: In der folgenden Lerneinheit sollen Sie sich mit<br />

den Regeln über die Geschäftsfähigkeit vertraut machen. Dieser<br />

Themenkreis spielt in Klausuren regelmäßig eine eher unterge-<br />

ordnete Rolle. Die Grundaussagen des Gesetzes müssen Sie<br />

aber in jedem Fall beherrschen. Dies betrifft vor allem die etwas<br />

schwierigeren Fragen der beschränkten Geschäftsfähigkeit. Bitte<br />

beachten Sie: In einem Klausurfall ist die (uneingeschränkte)<br />

Geschäftsfähigkeit stets solange zu unterstellen, wie Sie im<br />

Sachverhalt keine entgegenstehenden Angaben finden!<br />

1. Einleitung<br />

a) Definition der Geschäftsfähigkeit<br />

Unter Geschäftsfähigkeit versteht man die Fähigkeit, Rechtsge-<br />

schäfte wirksam vornehmen zu können.<br />

b) Ratio der Bestimmungen über die Geschäftsfähig-<br />

keit<br />

Schutz der nicht voll Geschäftsfähigen.<br />

AG Bergheim NJW-RR 2000, 202: Ein Anspruch auf Zahlung eines<br />

erhöhten Beförderungsentgelts gegen einen minderjährigen Schwarzfahrer<br />

lässt sich wegen der vorrangigen Minderjährigenschutzvorschriften<br />

des BGB weder aus Vertrag noch aus Gesetz ableiten. Aus Bereicherungsrecht<br />

ergibt sich jedoch ein Anspruch auf Wertersatz in Höhe<br />

des „normalen“ Fahrpreises.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

36<br />

______________________________________________________________<br />

υ Achtung: Es gibt zahlreiche examensrelevante Ausnahmen<br />

zum aufgezeigten Minderjährigenschutz. So findet beispielsweise<br />

§ 15 Abs. 1 HGB zu Lasten nicht vollgeschäftsfähiger Personen<br />

Anwendung, weil in diesem Fall nach h.M. der Verkehrsschutz<br />

Vorrang haben soll (BGH NJW 1991, 2567; Koller/Roth/Morck,<br />

HGB, 4. Aufl. 2003, § 15, RN 11).<br />

c) Abgrenzung zur Rechtsfähigkeit<br />

aa) Begriff der Rechtsfähigkeit<br />

Rechtsfähig ist, wer Träger von Rechten und Pflichten ist.<br />

Beispiel: Der Säugling kann aufgrund der ihm zustehenden<br />

Rechtsfähigkeit Eigentümer eines Mietshauses sein. Mietver-<br />

träge kündigen kann er hingegen nicht, denn dazu bedarf er<br />

der Geschäftsfähigkeit. Kündigen kann er nur mit Hilfe eines<br />

(gesetzlichen) Vertreters, vgl. § 1629 BGB, aussprechen.<br />

bb) Unterscheide<br />

(1) § 1 BGB: Rechtsfähigkeit natürlicher Personen<br />

Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung<br />

der Geburt, § 1 BGB. Dies ist der vollständige Austritt aus dem<br />

Mutterleib. Die Rechtsfähigkeit endet mit dem Tod, womit der<br />

Ausfall der Hirnfunktionen gemeint ist.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

37<br />

______________________________________________________________<br />

(2) Rechtsfähigkeit juristischer Personen<br />

Die juristische Person ist eine Zweckschöpfung des Gesetzge-<br />

bers. Sie ist die Zusammenfassung von Personen oder Sachen<br />

zu einer rechtlich geregelten Organisation. Dieser verleiht die<br />

Rechtsordnung Rechtsfähigkeit, d.h. sie ist als Träger eigener<br />

Rechte und Pflichten verselbständigt.<br />

Von den juristischen Personen ist die Gemeinschaft zur gesam-<br />

ten Hand zu unterscheiden. Gesamthandsgemeinschaften sind<br />

die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der nichtrechtsfähige Ver-<br />

ein, OHG und KG, EWIV, die eheliche Gütergemeinschaft sowie<br />

die Erbengemeinschaft.<br />

Nach der traditionellen Gesamthandstheorie sind die Ge-<br />

samthänder und nicht eine von ihnen begrifflich verschiedene<br />

„Person“ Träger der Rechte und Pflichten; das Gesamthands-<br />

vermögen ist ein den Gesamthändern in gesamthänderischer<br />

Verbundenheit zustehendes Sondervermögen. Die Gesamthän-<br />

der können wegen der bestehenden Bindung nicht über ihren<br />

Anteil an den einzelnen Vermögensgegenständen verfügen<br />

(§§ 719 Abs. 1, 1419 Abs. 1, 2033 Abs. 2 BGB). Die Gegenan-<br />

sicht (sog. „Gruppenlehre“) betrachtet die Gesamthand dagegen<br />

als Zuordnungseinheit und damit als ein teilrechtsfähiges Rechts-<br />

subjekt. Eine vermittelnde Auffassung nimmt an, dass die Ge-<br />

samthand der Verselbständigung zum Rechtssubjekt fähig ist,<br />

dass das geltende Recht diese Verselbständigung aber nicht bei<br />

allen Gesamthandsgemeinschaften durchgeführt hat. Rechtssub-<br />

jekte mit Teilrechtsfähigkeit sind OHG, KG und EWIV. Inzwi-<br />

schen hat der BGH im Wege richterlicher Rechtsfortbildung auch<br />

der (Außen-)GbR Teilrechtsfähigkeit zuerkannt (BGH NJW 2001,<br />

1056).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

38<br />

______________________________________________________________<br />

d) Abgrenzung zur Deliktsfähigkeit<br />

Deliktsfähigkeit bedeutet die Verantwortlichkeit für unerlaubte<br />

Handlungen, s. §§ 827 ff. BGB (dazu ausführlicher in einem der<br />

folgenden <strong>Kapitel</strong>).<br />

e) Drei Formen der Geschäftsfähigkeit i.w.S.<br />

aa) Geschäftsunfähigkeit (§§ 104, 105 BGB)<br />

bb) Beschränkte Geschäftsfähigkeit (§ 106 i.V.m. §§ 107 – 113 BGB)<br />

cc) Geschäftsfähigkeit (vgl. § 2 BGB)<br />

<strong>2.</strong> Geschäftsunfähigkeit<br />

a) Tatbestände<br />

aa) § 104 Nr. 1 BGB<br />

bb) § 104 Nr. 2 BGB: Ein die freie Willensbestimmung ausschließen-<br />

der Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit, z.B. chro-<br />

nischer Alkoholabusus<br />

b) Rechtsfolgen<br />

aa) § 105 Abs. 1 BGB: Nichtigkeit<br />

� Achtung: Bitte verwechseln Sie nicht § 104 BGB – Frage<br />

wann Geschäftsunfähigkeit anzunehmen ist – mit § 105 Abs. 1<br />

BGB. Letzteres betrifft die Frage nach der Rechtsfolge der Ge-<br />

schäftsunfähigkeit.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

39<br />

______________________________________________________________<br />

bb) Beachte § 105 Abs. 2 BGB – der Zugang von Willenserklärungen<br />

ist möglich!<br />

cc) § 131 Abs. 1, Abs. 2 BGB (Wirksamwerden von Willenserklärun-<br />

gen gegenüber einem nicht Vollgeschäftsfähigen)<br />

dd) Der gesetzliche Vertreter (§ 1629 Abs. 1 BGB, die Vertretung<br />

des Kindes als Teil der elterlichen Sorge)<br />

υ Achtung: Nach neuerer gesetzlicher Regelung aus dem Jahre<br />

2002 gilt für Geschäfte des täglichen Lebens nach § 105 a BGB<br />

eine gewichtige Ausnahme von der Regel der Nichtigkeit von<br />

Willenserklärungen Geschäftsunfähiger!<br />

3. Beschränkte Geschäftsfähigkeit<br />

a) Gesetzliche Regelung: § 106 BGB<br />

Ein Minderjähriger, der das 7. Lebensjahr (nicht aber das 18.!)<br />

vollendet hat, ist in der Geschäftsfähigkeit beschränkt.<br />

b) Rechtsfolgen (u.a.): §§ 107, 108 Abs. 1 BGB<br />

aa) Grundsatz<br />

Auch die Willenserklärung eines beschränkt Geschäftsfähigen ist<br />

unwirksam, wenn nicht ausnahmsweise der Minderjährige durch<br />

die Willenserklärung einen lediglich rechtlichen Vorteil erlangt.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

40<br />

______________________________________________________________<br />

bb) Achtung 1<br />

Der lediglich rechtliche Vorteil ist allein vor dem Hintergrund der<br />

rechtlichen Folgen des Geschäfts zu sehen. Auf eine wirtschaftli-<br />

che Betrachtung kommt es nicht an. Stehen dem Vorteil die Auf-<br />

gabe eines Rechts oder die Begründung einer persönlichen Ver-<br />

pflichtung gegenüber, ist das Geschäft auch dann zustimmungs-<br />

bedürftig, wenn die Vorteile die Nachteile erheblich überwiegen.<br />

Jede persönliche Verpflichtung des Minderjährigen macht das<br />

Geschäft rechtlich nachteilig.<br />

Beispiele zustimmungsbedürftiger Geschäfte: Kaufvertrag;<br />

Werkvertrag; Dienstvertrag<br />

Einen Sonderfall stellt die Schenkung dar. Der schuldrechtliche<br />

Vertrag über eine Schenkung an den Minderjährigen ist grund-<br />

sätzlich zustimmungsfrei (BGHZ 15, 168). Die Schenkung unter<br />

einer Auflage begründet dagegen eine persönliche Verpflichtung<br />

und ist mithin nicht lediglich vorteilhaft. Entsprechendes gilt für<br />

die Schenkung mit der Verpflichtung zur späteren Rückgabe o-<br />

der mit der Verpflichtung zur Darlehensgewährung.<br />

Die Schenkung als solche bleibt auch dann zustimmungsfrei,<br />

wenn das Erfüllungsgeschäft mit rechtlichen Nachteilen verbun-<br />

den ist, so beispielsweise die Schenkung einer Kommanditbetei-<br />

ligung.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

41<br />

______________________________________________________________<br />

� Achtung: Schenkt der gesetzliche Vertreter, würde eine iso-<br />

lierte Beurteilung des Verpflichtungs- und des Erfüllungsge-<br />

schäfts dazu führen, dass auch das rechtlich nachteilige Erfül-<br />

lungsgeschäft gem. § 181, letzter Halbsatz BGB ohne Beteili-<br />

gung eines Pflegers geschlossen werden könnte. Damit würde<br />

der von §§ 107, 181 BGB bezweckte Schutz weitgehend entfal-<br />

len. Bei Schenkungen des gesetzlichen Vertreters muss daher<br />

die Frage, ob die Schenkung lediglich vorteilhaft ist, aus einer<br />

Gesamtbetrachtung des schuldrechtlichen und des dinglichen<br />

Vertrages heraus beantwortet werden (BGHZ 78, 28, 34).<br />

OLG Hamm NJW-RR 2000, 1611: Die Schenkung von Wohnungseigentum<br />

begründet für den Minderjährigen nicht lediglich einen rechtlichen<br />

Vorteil, wenn sie mit dem Eintritt in den Verwaltervertrag verbunden<br />

ist.<br />

cc) Achtung 2<br />

Es ist auch in diesem Zusammenhang streng zwischen Verpflich-<br />

tungs- und Verfügungsgeschäften zu trennen (Abstraktionsprin-<br />

zip, vgl. o.):<br />

(1) Die vertragliche Übernahme einer Verpflichtung führt bei Minder-<br />

jährigen zu einem rechtlich bedeutsamen Nachteil und löst das<br />

Zustimmungserfordernis aus.<br />

(2) Bei den Verfügungsgeschäften ist weiter zu differenzieren:<br />

(a) Eine Verfügung, die auf der Seite des Minderjährigen zu einem<br />

Rechtsverlust führt, ist stets zustimmungsbedürftig.<br />

Beispiel: Der Minderjährige überträgt sein Eigentum an ei-<br />

nem Fahrrad auf Erwerber A (vgl. § 929 S. 1 BGB).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

42<br />

______________________________________________________________<br />

(b) Eine Verfügung, die für den Minderjährigen (lediglich) einen<br />

rechtlichen Vorteil begründet, ist grundsätzlich zustimmungsfrei.<br />

Beispiel: Der Minderjährige kauft bei A ein Fahrrad und er-<br />

hält dieses nach § 929 S. 1 BGB übereignet.<br />

Hier liegt hinsichtlich der Verfügung über das Eigentum an dem<br />

Fahrrad nach § 929 S. 1 BGB trotz Unwirksamkeit des Verpflich-<br />

tungsgeschäfts (Kaufvertrag) ein zustimmungsfreies Rechtsge-<br />

schäft vor.<br />

dd) Achtung 3<br />

Neutrale Geschäfte, die für den Minderjährigen weder rechtliche<br />

Vorteile noch Nachteile bringen, sind zustimmungsfrei, da der<br />

Minderjährige insoweit nicht schutzbedürftig ist.<br />

ee) Achtung 4<br />

Beispiel: Rechtsgeschäfte, die ein Minderjähriger als Vertre-<br />

ter eines anderen vornimmt (vgl. § 165 BGB).<br />

Die Einwilligung kann nicht mit der Genehmigung gleichgesetzt<br />

werden (vgl. § 183 S. 1 BGB einerseits und § 184 Abs. 1 BGB<br />

andererseits).<br />

ff) § 183 Sätze 1 und 2 BGB beachten – freie Widerruflichkeit der<br />

Einwilligung!<br />

gg) § 110 BGB (Sondernorm der Einwilligung in Form konkludenten<br />

Verhaltens)<br />

hh) § 184 Abs. 1 BGB (Rückwirkung der Genehmigung)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

43<br />

______________________________________________________________<br />

ii) § 108 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BGB (Schweigen als Willenserklä-<br />

rung)<br />

kk) § 111 BGB: Bei einseitigen Rechtsgeschäften ist nur eine Einwil-<br />

ligung, d.h. eine vorherige Zustimmung, möglich -<br />

Beispiele für einseitige Rechtsgeschäfte sind: Die Auslobung<br />

nach § 657 BGB; die Anfechtung gem. §§ 119 ff. BGB; Kün-<br />

digung und Rücktritt.<br />

4. Übersicht 5: Rechtsgeschäfte Minderjähriger<br />

Ledigl.<br />

rechtl. vorteilhaft<br />

Beschränkte Geschäftsfähigkeit<br />

Einwilligung<br />

(+)<br />

Willenserklärung<br />

wirksam<br />

Rechtsgeschäfte Minderjähriger<br />

Nicht ledigl.<br />

rechtl. vorteilhaft<br />

Einseitige<br />

Rechtsgeschäfte<br />

(§ 111<br />

BGB)<br />

Einwilligung<br />

(-)<br />

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Geschäftsunfähigkeit<br />

(§ 104<br />

Nr. 1 BGB)<br />

Willenserklärung<br />

nichtig (§ 105<br />

Abs. 1 BGB)<br />

Verträge<br />

schwebend<br />

unwirksam<br />

(§ 108<br />

BGB)


Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

44<br />

______________________________________________________________<br />

VII. Anfechtung<br />

� Achtung: Eine einmal wirksame Willenserklärung bleibt<br />

grundsätzlich auch dann wirksam, wenn der Erklärende später<br />

die Erklärung bereut. Diesbezüglich stellt das Anfechtungsrecht<br />

eine Ausnahme dar. Es gestattet unter bestimmten Vorausset-<br />

zungen, dass man sich von einer einmal wirksam abgegebenen<br />

Willenserklärung wieder lösen kann.<br />

1. Vorbemerkungen<br />

a) Das Gesetz unterscheidet zwischen bewussten und unbewuss-<br />

ten Willensmängel.<br />

υ Die bewussten Willensmängel sind geregelt in den §§ 116–<br />

118 BGB. § 116 BGB erfasst den sog. geheimen Vorbehalt,<br />

§ 117 das Scheingeschäft und § 118 BGB die sog. Scherzerklä-<br />

rung.<br />

� Achtung: Kein Scheingeschäft i.S.d. § 117 BGB liegt vor,<br />

wenn der von den Parteien erstrebte Rechtserfolg gerade die<br />

Gültigkeit des Rechtsgeschäfts voraussetzt. Nach BGH DB<br />

1997, 325 ist ein Darlehensvertrag ein Schein- und kein Strohge-<br />

schäft, wenn die Parteien übereinstimmend davon ausgehen,<br />

dass der als Darlehensnehmer Bezeichnete nicht haften soll.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

45<br />

______________________________________________________________<br />

υ Die unbewussten Willensmängel erfassen die §§ 119 –120<br />

BGB. Diese werden nachfolgend mit den Willensmängeln wegen<br />

Täuschung und Drohung (§ 123 BGB) behandelt, denn in diesen<br />

Fällen wird unter den Voraussetzungen der §§ 119, 120, 123<br />

BGB ein Anfechtungsrecht begründet.<br />

b) Ziel der Anfechtung ist es, eine einmal wirksam in die Welt ge-<br />

setzte Willenserklärung wieder „aus der Welt zu schaffen“ (vgl.<br />

§ 142 Abs. 1 BGB).<br />

� Klausurhinweis: Die Anfechtung wird in einer Prüfungsklau-<br />

sur, die nach dem Gutachtenstil zu bearbeiten ist, ausgehend<br />

von § 142 Abs. 1 BGB angesprochen, denn § 142 Abs. 1 BGB<br />

enthält für den Fall der „erfolgreichen“ Anfechtung die sodann<br />

maßgebliche Rechtsfolge, nämlich Nichtigkeit von Anfang an.<br />

� Ergo: Die Prüfung einer Anfechtung in der Klausur mit § 142<br />

Abs. 1 BGB (= die Rechtsfolge) und nicht mit § 119 Abs. 1 BGB<br />

usw. (= Anfechtungsgrund) beginnen!<br />

c) Einen Sonderfall der Anfechtung stellt die Insolvenzanfechtung<br />

nach §§ 129 ff. InsO dar.<br />

S. auch die Vorschriften des Gesetzes über die Anfechtung von<br />

Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenz-<br />

verfahrens (AnfG, Schönfelder Nr. 111).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

46<br />

______________________________________________________________<br />

<strong>2.</strong> Übersicht 6<br />

Irrtums<br />

Anfechtung wegen<br />

Arglistiger Täuschung<br />

(§ 123 BGB)<br />

Erklärungsirrtum: § 119 I, <strong>2.</strong> Alt. BGB<br />

Inhaltsirrtum: § 119 I, 1. Alt. BGB<br />

Eigenschaftsirrtum: § 119 II BGB<br />

Falsche Übermittlung: § 120 BGB<br />

a) Irrtumsanfechtung (§§ 119, 120 BGB)<br />

Widerrechtl.<br />

Drohung<br />

(§ 123 BGB)<br />

Auch wenn der Erklärende eine wirksame Erklärung mit Rechts-<br />

folgewillen abgegeben hat, kann zwischen Wille und Erklärung<br />

ein Widerspruch bestehen, nämlich dann, wenn der Erklärende<br />

eine Erklärung anderen Inhalts abgeben wollte oder wenn er bei<br />

der Willensbildung von falsche Voraussetzungen ausgegangen<br />

ist.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

47<br />

______________________________________________________________<br />

§ 120 BGB stellt die irrtümlich unrichtig übermittelte Erklärung<br />

dem Irrtum in der Erklärungshandlung (§ 119 Abs. 1, <strong>2.</strong> Alt. BGB)<br />

gleich.<br />

OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 20.11.2002, Az.: 9 U 94/02 [Anfechtungsrecht<br />

nach § 120 BGB bei Kaufvertrag, der via Internet „online“<br />

verabredet worden ist]: Das OLG entscheidet, dass bei einem<br />

Kaufvertrag, der über das Internet „online“ geschlossen worden ist, der<br />

Verkäufer ein Anfechtungsrecht nach § 120 BGB hat, wenn der Kaufpreis,<br />

zu dem der Käufer bestellt hat, in Folge einer fehlerhaften Formeländerung<br />

in der Software des Providers niedriger war als dies nach<br />

dem Willen des Verkäufers tatsächlich der Fall sein sollte.<br />

In diesem Zusammenhang macht das OLG deutlich, dass Erklärungen<br />

mittels Computer auf menschliche Handlungen zurückzuführen und<br />

daher als Willenserklärungen dem jeweiligen Betreiber zuzurechnen<br />

seien.<br />

b) Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123<br />

Abs. 1, 1. Alt. BGB) und Anfechtung wegen wider-<br />

rechtlicher Drohung (§ 123 Abs. 1, <strong>2.</strong> Alt. BGB)<br />

Üblicherweise wird auch die Täuschung und die Drohung zu den<br />

Willensmängeln gerechnet, obwohl es in diesen Fällen nicht um<br />

ein Auseinanderfallen von Wille und Erklärung geht, sondern um<br />

eine unzulässige Beeinträchtigung der Freiheit der Willensent-<br />

schließung.<br />

� Achtung 1: Weder der Irrtum nach §§ 119 – 120 BGB noch<br />

die Täuschung oder Drohung i.S.v. § 123 BGB berühren die (ur-<br />

sprüngliche) Wirksamkeit der Willenserklärung! Diese Wirksam-<br />

keit kann lediglich im Wege der Anfechtung mit Rückwirkung<br />

(vgl. §142 Abs. 1 BGB) beseitigt werden.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

48<br />

______________________________________________________________<br />

� Achtung 2: Für die Fallprüfung gilt: Bevor die Voraussetzun-<br />

gen einer wirksamen Anfechtung geprüft werden, muss zunächst<br />

positiv festgestellt worden sein, dass eine (zunächst) wirksame<br />

Willenserklärung vorliegt. In den Fällen, in denen es schon an ei-<br />

ner wirksamen Willenserklärung fehlt, kommt es auf das Vorlie-<br />

gen der Voraussetzungen einer Anfechtung grundsätzlich nicht<br />

an!<br />

3. Irrtumsanfechtung<br />

a) Übersicht<br />

aa) Erklärungsirrtum: § 119 Abs. 1, <strong>2.</strong> Alt. BGB (Auseinanderfallen<br />

von Wille und Erklärung)<br />

bb) Inhaltsirrtum: § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB (Auseinanderfallen von<br />

Wille und Erklärung)<br />

cc) Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften: § 119 Abs. 2<br />

BGB – Der Erklärende irrt nicht über die Erklärungshandlung o-<br />

der den Erklärungsinhalt, sondern über Eigenschaften des Ge-<br />

schäftsgegenstandes und damit über die außerhalb der Erklä-<br />

rung liegende Wirklichkeit. § 119 Abs. 2 BGB ist nach h.M. ein<br />

Fall eines ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtums.<br />

dd) Anfechtbarkeit wegen falscher Übermittlung: § 120 BGB<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

49<br />

______________________________________________________________<br />

b) Typische Fälle eines Erklärungsirrtums<br />

Das Versprechen, Verschreiben, Vergreifen -<br />

Beispiel: Verkäufer V übermittelt Käufer K fernmündlich ein<br />

Verkaufsangebot. Statt „400,00 €“ (= der eigentlich von V ge-<br />

wollte Preis) verspricht sich V und erklärt „40,00 €“ (= das tat-<br />

sächlich Erklärte).<br />

Nimmt K das Angebot von V an, so ist zwar zunächst ein Kauf-<br />

vertrag (Inhalt: Preis = 40,00 €) wirksam zustande gekommen,<br />

jedoch kann V gegenüber K seine auf Abschluss des Kaufvertra-<br />

ges gerichtete Willenserklärung nach § 119 Abs. 1, <strong>2.</strong> Alt. BGB<br />

anfechten und damit die (rückwirkende, vgl. § 142 Abs. 1 BGB)<br />

Nichtigkeit des Kaufvertrages bewirken.<br />

c) Inhaltsirrtum<br />

In diesen Fällen entspricht der äußere Tatbestand der Erklärung<br />

(= das, was tatsächlich und nach außen hin erklärt wird), dem<br />

Willen des Erklärenden, dieser irrt sich aber über Bedeutung o-<br />

der Tragweite der von ihm abgegebenen Erklärung. Der Erklä-<br />

rende weiß, was er sagt, er weiß aber nicht, was er damit sagt.<br />

Beispiele: Bestellung von 25 Gros Rollen WC-Papier (=<br />

3.600 Rollen) in der Annahme, es handele sich um 25 große<br />

Rollen; Verkauf des Grundstücks mit der Flurbuchbezeich-<br />

nung „A“ in dem Glauben, Vertragsgegenstand sei das dem<br />

selben Verkäufer gehörende Nachbargrundstück „B“; A will<br />

den Fliesenlegermeister B beauftragen, ruft aber bei Fliegen-<br />

legermeister C an.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

50<br />

______________________________________________________________<br />

d) Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften<br />

aa) Grundsätze<br />

Eigenschaften einer Person oder Sache sind neben den auf der<br />

natürlichen Beschaffenheit beruhenden Merkmalen auch die tat-<br />

sächlichen oder rechtlichen Verhältnisse und Beziehungen zur<br />

Umwelt, soweit sie nach der Verkehrsanschauung für die Wert-<br />

schätzung oder Verwendbarkeit von Bedeutung sind. Unter<br />

§ 119 Abs. 2 BGB fallen allerdings nur solche rechtlichen oder<br />

tatsächlichen Verhältnisse, die in der Sache selbst ihren Grund<br />

haben oder von ihr ausgehen; sie dürfen nicht nur mittelbar auf<br />

die Sache Einfluss haben.<br />

bb) Eigenschaften einer Person<br />

Beispiele: Alter; Geschlecht; politische Einstellung; Konfes-<br />

sion; berufliche Fähigkeiten; Kreditwürdigkeit (nicht aber hin-<br />

sichtlich des Schuldners im Rahmen eines Bürgschaftsver-<br />

sprechens, da der Bürgschaftsfall eine risikotypische Gefahr<br />

darstellt!); Vorstrafen; Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässig-<br />

keit bei solchen Verträgen, die auf eine vertrauensvolle Zu-<br />

sammenarbeit der Vertragsparteien ausgelegt sind.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

51<br />

______________________________________________________________<br />

� Achtung: Erheblich sind die vorgenannten Eigenschaften je-<br />

doch nur, wenn sie in unmittelbarer Beziehung zum Geschäftsin-<br />

halt stehen, so beispielsweise bei der Einstellung als Schreiner-<br />

meister die Eigenschaft des Arbeitnehmers als geprüfter Schrei-<br />

nermeister, nicht aber dessen Konfession oder Parteizugehörig-<br />

keit. Auf der anderen Seite ist der Arbeitsvertrag mit einem Re-<br />

dakteur einer Gewerkschaftszeitung unter Umständen anfecht-<br />

bar, wenn sich herausstellt, dass der Redakteur einer politischen<br />

Partei angehört, die nicht mit der Tendenz der Zeitung überein-<br />

stimmt.<br />

cc) Eigenschaften einer Sache<br />

Unter Eigenschaften einer Sache versteht man alle wertbilden-<br />

den Faktoren.<br />

Beispiele: Herkunft, bei einem Kunstwerk insbesondere sei-<br />

ne Echtheit; Herstellungsjahr; Fahrleistung (eins Kraftfahr-<br />

zeugs); Lage und Bebaubarkeit eines Grundstücks; der Um-<br />

satz eines Erwerbsgeschäfts.<br />

Nicht dagegen der Wert oder Marktpreis oder auch das Ei-<br />

gentum an einer Sache.<br />

dd) Verkehrswesentlichkeit<br />

Nach § 119 Abs. 2 BGB kommen nur Eigenschaften in Betracht,<br />

„die im Verkehr als wesentlich angesehen werden“. Damit sollen<br />

solche Eigenschaften ausgeschlossen werden, die nur aus der<br />

Sicht des Erklärenden – subjektiv – erheblich, objektiv aber un-<br />

erheblich sind. Es ist stets auf den typischen wirtschaftlichen<br />

Zweck des Geschäfts abzustellen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

52<br />

______________________________________________________________<br />

e) Prüfungsschema 5 (Irrtumsanfechtung)<br />

Prüfungsschema 5: Irrtumsanfechtung<br />

A. Prüfungspunkte<br />

I. Rechtlich anerkannter Irrtum<br />

1. § 119 Abs. 1, <strong>2.</strong> Alt. BGB<br />

<strong>2.</strong> § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB<br />

3. § 119 Abs. 2 BGB<br />

II. Kausalität zwischen Irrtum und Willenserklärung („da-<br />

durch“)<br />

III. Anfechtungserklärung (§ 143 Abs. 1 BGB)<br />

IV. Frist: Unverzüglich = ohne schuldhaftes Zögern (§ 121<br />

Abs. 1 S. 1 BGB)<br />

B. Rechtsfolgen<br />

I. Nichtigkeit von Anfang an) - § 142 Abs. 1 BGB<br />

II. Schadenersatz (§ 122 BGB) – Vertrauensschaden (sog.<br />

negatives Interesse)<br />

� Anmerkung 1: Was die Anfechtungserklärung nach § 143<br />

Abs. 1 BGB betrifft (o. A. III.), so muss der Erklärende erkennen<br />

lassen, dass er das Rechtsgeschäft wegen eines Willensman-<br />

gels nicht gelten lassen will. Dabei braucht er das Wort „anfech-<br />

ten“ nicht verwenden. So kann etwa die Rückforderung des Ge-<br />

leisteten oder das Bestreiten der Verpflichtung ausreichen, um<br />

darin eine wirksame Anfechtungserklärung nach § 143 Abs. 1<br />

BGB zu sehen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

53<br />

______________________________________________________________<br />

� Anmerkung 2: Hinsichtlich der Anfechtungsfrist nach § 121<br />

Abs. 1 BGB ist zu beachten, dass die Frist mit der Kenntnis von<br />

dem Anfechtungsgrund, also des Irrtums i.S.v. § 119 Abs. 1,<br />

Abs. 2 BGB zu laufen beginnt. Insoweit genügt das bloße Ken-<br />

nenmüssen (= fahrlässiges Nichtkennen) ebenso wenig wie das<br />

Vorliegen von bloßen Verdachtsgründen im Hinblick auf eine e-<br />

ventuell bestehende Möglichkeit einer Anfechtung.<br />

4. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123<br />

Abs. 1, 1. Alt. BGB)<br />

� Achtung: Der Grund für die Anfechtung liegt hier beim An-<br />

fechtungsgegner!<br />

Prüfungsschema 6: Anfechtung wegen arglistiger Täu-<br />

A. Prüfungspunkte<br />

I. Täuschungshandlung<br />

II. Täuschungserfolg (Irrtum)<br />

schung<br />

III. Kausalität zwischen Täuschung und Willenserklärung<br />

IV. Widerrechtlichkeit (fehlt beispielsweise bei unzulässigen<br />

Fragen während eines Bewerbungsgesprächs)<br />

V. Arglist (erfordert einen Täuschungswillen, d.h. der Täu-<br />

schende muss die Unrichtigkeit seiner Angaben kennen)<br />

VI. Anfechtungserklärung (§ 143 Abs. 1 BGB)<br />

VII. Frist gem. § 124 BGB<br />

B. Rechtsfolge: § 142 Abs. 1 BGB; kein Schadensersatzan-<br />

spruch!<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

54<br />

______________________________________________________________<br />

� Ergo: Die Anfechtung nach § 123 BGB ist für den Anfechten-<br />

den günstiger als eine Anfechtung nach § 119 BGB.<br />

BAG NZA 1996, 371: Die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderteneigenschaft<br />

eines Stellenbewerbers ist auch dann uneingeschränkt<br />

zulässig, wenn die Behinderung, auf der die Anerkennung<br />

beruht, tätigkeitsneutral ist. Die unrichtige Beantwortung der Frage<br />

nach der Schwerbehinderteneigenschaft kann die Anfechtung des Arbeitsvertrages<br />

wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB rechtfertigen.<br />

BGH NJW 2000, 2894: Für die Frage ob die Rechtslage des Getäuschten<br />

beeinträchtigt ist, kommt es auf den Zeitpunkt der Abgabe<br />

der Anfechtungserklärung an, nicht des Zugangs. Der Grundsatz von<br />

Treu und Glauben erfordert es nicht, dass der Anfechtungsberechtigte<br />

zunächst abwartet, ob der Täuschende die durch die Täuschung verursachte<br />

Beeinträchtigung alsbald beseitigt.<br />

5. Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123<br />

Abs. 1, <strong>2.</strong> Alt. BGB)<br />

� Achtung: Der Grund für die Anfechtung liegt hier – wie bei<br />

§ 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB – beim Anfechtungsgegner!<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

55<br />

______________________________________________________________<br />

Prüfungsschema 7: Anfechtung wegen widerrechtlicher<br />

A. Prüfungspunkte<br />

Drohung<br />

I. Drohung (in Aussicht stellen eines zukünftigen Übels)<br />

II. Kausalität zwischen Drohung und Willenserklärung<br />

III. Widerrechtlichkeit – Fallgruppen:<br />

1. Widerrechtlichkeit des Mittels (z.B. Drohung mit einem<br />

strafbaren oder sittenwidrigen Mittel)<br />

<strong>2.</strong> Widerrechtlichkeit des Zweckes: Der erzwungene Erfolg<br />

muss verboten oder sittenwidrig sein<br />

3. Inadäquanz von Mittel und Zweck: Die Willensbeeinflus-<br />

sung durch Drohung ist auch dann widerrechtlich, wenn<br />

zwar Mittel und Zweck für sich betrachtet nicht anstößig<br />

sind, aber ihre Verbindung – die Benutzung dieses Mittel<br />

zu diesem Zweck gegen das Anstandsgefühl aller billig<br />

und gerecht Denkenden verstößt<br />

IV. Subjektiv: Wille, den Bedrohten zu bestimmen<br />

V. Erklärung (§ 143 Abs. 1 BGB)<br />

VI. Frist gem. § 124 BGB<br />

B. Rechtsfolge: § 142 Abs. 1 BGB (s.o.)<br />

6. Problem: Dritter in § 123 Abs. 2 S. 1 BGB<br />

a) Grundsatz<br />

Verübt nicht der Erklärungsempfänger selbst, sondern ein Dritter<br />

die Täuschung, so kommt eine Anfechtung nur dann in Betracht,<br />

wenn der Erklärungsempfänger die Täuschung kannte oder ken-<br />

nen musste, d.h. fahrlässig nicht kannte (§ 123 Abs. 2 S. 1 BGB).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

56<br />

______________________________________________________________<br />

Beispiel: Der an einem Verkauf eines Kraftfahrzeuges des<br />

Verkäufers A völlig unbeteiligte D täuscht Käufer B über die<br />

Laufleistung des PKW.<br />

Hier ist eine Anfechtung durch B nur möglich, wenn A die Täu-<br />

schung durch D kannte oder zumindest kennen musste.<br />

b) Aber: Nicht Dritter i.S.d. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB ist der Vertreter,<br />

der Verhandlungsgehilfe oder eine sonstige Vertrauensperson<br />

des Erklärungsempfängers (Rechtsgedanke des § 278 BGB).<br />

BGH NJW 1996, 1051: Ein am Zustandekommen des Vertrages Beteiligter<br />

ist dann nicht als „Dritter“ i.S.d. Vorschriften des § 123 Abs. 2<br />

BGB anzusehen, wenn sein Verhalten mit dem des Anfechtungsgegners<br />

gleich zu setzen ist.<br />

BGH, Urt. v. 21.01.2003, Az. XI ZR 125/02 [Zur Frage der Zurechnung<br />

von Haustürgeschäftesituationen]: Nach Auffassung des BGH<br />

ist die Frage der Zurechnung einer Haustürsituation i.S. des § 1 Abs. 1<br />

HWiG [jetzt § 312 BGB n.F.] zu Lasten der kreditgebenden Bank nach<br />

den zu § 123 BGB entwickelten Grundsätzen zu bestimmen. Danach<br />

ist das Verhalten des Verhandlungsführers dem Erklärungsempfänger<br />

[Bank] dann zuzurechnen, wenn er dessen Angestellter, Mitarbeiter<br />

oder Beauftragter ist oder wenn er wegen seiner engen Beziehung zu<br />

diesem als dessen Vertrauensperson erscheint.<br />

OLG Koblenz, NJW-RR 2003, 119: Wird eine im Eigentum einer Erbengemeinschaft<br />

stehende Sache von den Eigentümern gemeinschaftlich<br />

verkauft und begeht dabei einer der Verkäufer dem Käufer gegenüber<br />

eine arglistige Täuschung, ohne dass die übrigen von der Täuschung<br />

wissen müssen, so ist der Käufer dennoch alle Verkäufern gegenüber<br />

zur Anfechtung berechtigt [das OLG lehnt die Anwendung von<br />

§ 123 Abs. 2 BGB ab, da dies nicht interessengerecht sei].<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

57<br />

______________________________________________________________<br />

VIII. (Offene) Stellvertretung: §§ 164 ff. BGB<br />

1. Ratio der Stellvertretung<br />

Ratio der Stellvertretung ist die tatsächliche oder rechtliche Un-<br />

fähigkeit, selbst zu handeln.<br />

Beispiele: Kaufmann A kann nicht gleichzeitig einen Vertrag<br />

in München und einen in Hamburg aushandeln. So bedient er<br />

sich eines Stellvertreters, der für ihn die Vertragsverhandlung<br />

in München oder Hamburg führt.<br />

Eine rechtliche Unfähigkeit selbst zu handeln, liegt etwa in<br />

Fällen vor, in denen juristische Personen (z.B. eine GmbH)<br />

Vertragspartner sein sollen. Diese sind aufgrund ihrer<br />

Rechtsnatur nicht zu einem eigenen Handeln in der Lage.<br />

<strong>2.</strong> Interessenlage im Rahmen der Stellvertretung<br />

a) Vertretener<br />

Der Vertretene will die „Früchte“ der Vertretung ernten. Daraus<br />

folgt, dass der Vertretene Vertragspartner werden muss.<br />

b) Vertreter<br />

Der Vertreter will „außen vor“ bleiben. Dies bedeutet, dass der<br />

Vertreter nicht Vertragspartner werden darf.<br />

c) Dritter<br />

Der Dritte (= Vertragspartner) will seinen Gegenüber kennen und<br />

u.U. Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn der Ver-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

58<br />

______________________________________________________________<br />

tretene nicht einsteht für das Handeln des Vertreters, vgl. § 179<br />

Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Vorstehendes bedeutet, dass der Vertre-<br />

ter sein Handeln für den Vertretenen deutlich machen muss.<br />

3. Abgrenzung der Stellvertretung<br />

a) Botenschaft<br />

Der Bote übermittelt eine fremde Willenserklärung. Er ist gewis-<br />

sermaßen „lebender Brief“. Da der Bote keine eigene Willenser-<br />

klärung abgibt, können auch Geschäftsunfähige Boten sein, der<br />

Minderjährigenschutz steht dem nicht entgegen.<br />

Der Stellvertreter überbringt stets eine eigene Willenserklärung.<br />

Da es sich bei der Abgabe einer eigenen Willenserklärung im<br />

fremden Namen um ein sog. neutrales Geschäft handelt, kann<br />

Stellvertretung auch durch beschränkt Geschäftsfähige erfolgen,<br />

§ 165 BGB.<br />

� Achtung: Ob im Einzelfall ein Handeln als Vertreter oder als<br />

Bote vorliegt, hängt nicht von dem zwischen dem Mittler (= Ver-<br />

treter) und dem Geschäftsherrn (= Vertretener) bestehenden In-<br />

nenverhältnis, sondern vom äußeren Auftreten ab. Bei der Erle-<br />

digung ganz bestimmter Besorgungen durch einen Mittler ist im<br />

Zweifel Tätigwerden als Bote anzunehmen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

59<br />

______________________________________________________________<br />

b) Mittelbare (verdeckte) Stellvertretung<br />

Im Fall der mittelbaren (= verdeckten Stellvertretung) handelt je-<br />

mand für einen anderen, ohne dies nach außen kundzutun<br />

(„Strohmann“).<br />

Beispiel: Das Kommissionsgeschäft, §§ 383 ff. HGB<br />

Konsequenz der lediglich mittelbaren Stellvertretung ist, dass es<br />

sich um ein Rechtsgeschäft des „Stellvertreters“ (beispielsweise<br />

des Kommissionärs) handelt, d.h. diese Rechtsgeschäfte sind<br />

wie eigene (des Kommissionärs) zu behandeln, der „Hintermann“<br />

(= Auftraggeber) wird nicht verpflichtet und er ist grundsätzlich<br />

nicht berechtigt, vertragliche Ansprüche gegenüber dem Ver-<br />

tragspartner geltend zu machen.<br />

c) Übersicht 7 (Zusammenfassung)<br />

Bote<br />

Handeln für einen anderen<br />

(offener) Stellvertreter<br />

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(verdeckter)<br />

Stellvertreter


Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

60<br />

______________________________________________________________<br />

4. Unzulässigkeit der Stellvertretung<br />

Stellvertretung ist überall dort unzulässig, wo höchstpersönlich<br />

gehandelt werden muss.<br />

Beispiel: § 2064 BGB<br />

Beachten Sie bitte unbedingt § 174 BGB: Zwar kann der Vertre-<br />

ter ein einseitiges Rechtsgeschäft an sich wirksam vornehmen.<br />

Mit Blick auf das Risiko einer möglichen Zurückweisung sollte er<br />

aber tunlichst mit einer (Original-)Vollmacht ausgestattet sein.<br />

Beispiel: Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch<br />

Rechtsanwalt oder Steuerberater<br />

BGH DB 2002, 89: Eine namens einer Gesellschaft bürgerlichen<br />

Rechts von einem alleinvertretungsberechtigten Gesellschafter abgegebene<br />

einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung kann von dem<br />

Empfänger gemäß § 174 S. 1 BGB zurückgewiesen werden, wenn ihr<br />

weder eine Vollmacht der anderen Gesellschafter, noch der Gesellschaftsvertrag<br />

oder eine Erklärung der anderen Gesellschafter beigefügt<br />

ist, aus der sich die Befugnis des handelnden Gesellschafters zur<br />

alleinigen Vertretung der Gesellschaft ergibt.<br />

BAG NJW 1992, 2046 [Kündigung durch Prokuristen ohne Vorlage einer<br />

Vollmachtsurkunde]: Wird die Kündigung von einem Prokuristen<br />

des Arbeitgebers ausgesprochen, dessen Prokura eingetragen und<br />

vom Registergericht bekannt gemacht worden ist, bedarf es für die<br />

Wirksamkeit der Kündigung nicht der Vorlage einer Vollmachtsurkunde<br />

durch den Prokuristen nach Maßgabe des § 174 S. 1 BGB. Der Gekündigte<br />

muss die Prokuraerteilung gem. § 15 Abs. 2 HGB gegen sich<br />

gelten lassen. Dies gilt auch dann, wenn der Prokurist entgegen § 51<br />

zeichnet.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

61<br />

______________________________________________________________<br />

5. Prüfung einer wirksamen Stellvertretung<br />

Die Prüfung einer wirksamen Stellvertretung erfolgt auf der ge-<br />

setzlichen Grundlage von § 164 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />

a) Prüfungsschema 8<br />

� Lernhinweis: Das nachfolgend aufgeführte Prüfungsschema<br />

ist von großer Bedeutung und dringend zu lernen!<br />

Prüfungsschema 8: Voraussetzungen Stellvertretung<br />

1. Eigene Willenserklärung des Vertreters (Abgrenzung zur<br />

Botenschaft)<br />

<strong>2.</strong> Erkennbarkeit des Willens im fremden Namen zu handeln<br />

(Offenkundigkeitsprinzip) – Bitte § 164 Abs. 1 S. 2 BGB<br />

beachten!<br />

3. Handeln innerhalb der eingeräumten Vertretungsmacht<br />

Kurz:<br />

υ Eigene Willenserklärung<br />

υ im fremden Namen<br />

υ mit Vertretungsmacht<br />

� Anmerkung: Mit Blick auf das oben erwähnte sog. Offenkun-<br />

digkeitsprinzip ist zu berücksichtigen, dass derjenige, der für ei-<br />

nen Gewerbetrieb auftritt, regelmäßig namens des Inhabers<br />

handelt (sog. unternehmensbezogene Geschäfte). Dabei sind<br />

falsche Vorstellungen des Geschäftspartners über den Inhaber<br />

des Gewerbebetriebs unschädlich.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

62<br />

______________________________________________________________<br />

b) Achtung 1: § 164 Abs. 2 BGB<br />

Nach § 164 Abs. 2 BGB ist eine Anfechtung nach § 119 Abs. 1,<br />

Abs. 2 BGB ausgeschlossen, wenn dem Offenkundigkeitsprinzip<br />

nicht Rechnung getragen wurde. Der für einen anderen Han-<br />

delnde wird sodann selbst aus dem Rechtsgeschäft berechtigt<br />

und verpflichtet, wenn er seinen Vertreterwillen für den Gegen-<br />

über nicht erkennbar gemacht hat.<br />

BGH NJW 1995, 43: Wer eine Willenserklärung im eigenen Namen<br />

abgegeben hat und sich darauf beruft, sie sei unternehmensbezogen,<br />

hat die Unternehmensbezogenheit zu beweisen. Zweifel gehen zu Lasten<br />

des Erklärenden.<br />

c) Achtung 2: Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip<br />

Eine bedeutsame Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip ist das<br />

Geschäft für den, den es angeht (Bargeschäfte des täglichen Le-<br />

bens): Bei Bargeschäften des täglichen Lebens ist es für die am<br />

Vertrag Beteiligten regelmäßig ohne größere Bedeutung, ob der<br />

Vertreter im eigenen oder im fremden Namen handelt. In diesen<br />

Fällen kommt mangels Schutzbedürftigkeit der Gegenpartei der<br />

Vertrag mit dem zustande, den es angeht, ohne dass der Vertre-<br />

terwille erkennbar gemacht zu werden braucht. Dies hat bei-<br />

spielsweise im Rahmen der Gewährleistungshaftung nach<br />

§§ 434 ff. BGB zur Konsequenz, dass Anspruchsinhaber jemand<br />

wird, den der Veräußerer bei Abschluss des Kaufvertrages nicht<br />

kennen gelernt hat.<br />

Entscheidende Voraussetzung für die beschriebene Ausnahme<br />

vom Offenkundigkeitsprinzip ist es stets, dass der Gegenpartei<br />

die Person des eigentlichen Vertragspartners, d.h. seine Identi-<br />

tät, gleichgültig ist.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

63<br />

______________________________________________________________<br />

Beispiel: A bittet die Freundin B, aus dem Supermarkt S 1 Li-<br />

ter Milch sowie 6 Eier mitzubringen. Bezahlt B die für A ge-<br />

kauften Sachen an der Kasse so kommt zwischen S und A<br />

ein Kaufvertrag zustande, ohne dass B ihre Vertreterrolle (=<br />

Handeln für A) hätte deutlich machen müssen.<br />

6. Rechtsfolge einer wirksamen Stellvertretung<br />

Der Vertretene ist rechtlich gebunden, er ist Vertragspartner mit<br />

allen Vor- und Nachteilen des mit Hilfe des Vertreters zustande<br />

gekommenen Vertrages, § 164 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />

7. Begriff der Vertretungsmacht<br />

a) Vertretungsmacht aus Gesetz<br />

Bespiele: § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB; § 35 GmbHG; § 78 AktG<br />

b) Vertretungsmacht aus Rechtsgeschäft<br />

Bei der Vertretungsmacht aus Rechtsgeschäft handelt es sich<br />

um die sog. Vollmacht, vgl. § 166 Abs. 2 S. 1 BGB.<br />

aa) Arten der Vollmacht<br />

Unterscheiden Sie bitte die folgenden Arten der Vollmacht, die<br />

sich durch die Form ihrer Erteilung voneinander unterscheiden:<br />

• Innenvollmacht (§ 167 Abs. 1, 1. Fall BGB)<br />

• Außenvollmacht (§ 167 Abs. 1, <strong>2.</strong> Fall BGB<br />

• Kundgemachte Innenvollmacht (§ 171 Abs. 1 BGB)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

64<br />

______________________________________________________________<br />

bb) Vollmacht und Grundverhältnis<br />

Zum Verhältnis zwischen der Vollmacht und dem ihrer Erteilung<br />

zugrunde liegenden Rechtsverhältnis s. § 168 S. 1 und 2 BGB.<br />

Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen:<br />

• Das Erlöschen der Vollmacht richtet sich in erster Linie nach<br />

dem Inhalt der Vollmacht, § 168 S. 1 BGB. Zu den Einzelhei-<br />

ten weiter u. cc).<br />

• Der Widerruf der Vollmacht ist grundsätzlich jederzeit zuläs-<br />

sig, auch wenn das Grundverhältnis fortbesteht (§ 168 S. 2<br />

BGB).<br />

• Das Grundverhältnis ist regelmäßig ein Geschäftsbesor-<br />

gungsvertrag (Auftrag, Dienstvertrag, Werkvertrag).<br />

Beispiel: A ist Büroangestellte und Sekretärin im Unter-<br />

nehmen des B. B erteilt A Vollmacht dahingehend, Ver-<br />

tragsabschlüsse bis zu einer Höhe von 10.000,00 € selb-<br />

ständig vornehmen zu können. Diese Vollmacht ist grund-<br />

sätzlich jederzeit frei widerruflich, lässt aber für diesen Fall<br />

das Grundverhältnis (= Dienst- bzw. Arbeitsvertrag) zwi-<br />

schen A und B unberührt. Gleiches gilt auch für die Proku-<br />

ra, § 52 Abs. 1 HGB.<br />

cc) Erlöschen der Vollmacht<br />

Bei dem Erlöschen der Vollmacht gilt der Schutz des Gutgläubi-<br />

gen als Grundprinzip, s. §§ 170, 171 Abs. 2, 172 Abs. 2, 173<br />

BGB.<br />

� Lernhinweis: Bitte lesen Sie die oben aufgeführten Normen<br />

sorgfältig nach!<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

65<br />

______________________________________________________________<br />

8. Duldungs- und Anscheinsvollmacht<br />

aa) Ratio<br />

� Lernhinweis: Alle Einzelheiten der Anscheins- und Dul-<br />

dungsvollmacht müssen Sie nicht beherrschen. Es genügt, wenn<br />

Sie sich einen „groben Überblick“ verschaffen, in dem Sie die<br />

nachfolgenden Ausführungen einmal aufmerksam nachlesen.<br />

Duldungs- und Anscheinsvollmacht sind Vollmachten kraft<br />

Rechtsschein. Sie werden im Ergebnis wie Vollmachten im<br />

Rechtssinne behandelt.<br />

bb) Voraussetzungen der Anscheins- und Duldungs-<br />

vollmacht<br />

Prüfungsschema 9: Anscheins-/Duldungsvollmacht<br />

1. Keine ausdrücklich erteilte, „echte“ Vollmacht (Einräumung<br />

von Vertretungsmacht hat nicht stattgefunden)<br />

<strong>2.</strong> Rechtsschein einer Vollmacht (jemand verhält sich so, als<br />

sei er wirksam bevollmächtigt)<br />

3. Rechtsschein muss durch „Vertretenen“ in zurechenbarer<br />

Weise gesetzt worden sein:<br />

a) Duldungsvollmacht: Kennen und Dulden des Verhaltens<br />

des Handelnden<br />

b) Anscheinsvollmacht: Erkennen können des Handelns des<br />

„Vertreters“ (= fahrlässiges Dulden des Handelns)<br />

4. Vertrauen des Dritten (= Vertragspartner) auf Rechts-<br />

schein<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

66<br />

______________________________________________________________<br />

9. Grenzen der Vertretungsmacht<br />

� Lernhinweis: Hierbei handelt es sich um einen sehr wichtigen<br />

Problemkreis. Bitte prägen Sie sich die nachfolgend beschriebe-<br />

nen Problemkonstellationen gut ein!<br />

a) Der Vertreter ohne Vertretungsmacht<br />

aa) Grundsatz<br />

Hat der Vertreter keine Vertretungsmacht, wirkt auch das<br />

Rechtsgeschäft, an dessen Zustandekommen er mitgewirkt hat,<br />

nicht für und gegen den Vertretenen, soweit es nicht zu einer<br />

nachträglichen Zustimmung (Genehmigung) gekommen ist.<br />

bb) Konsequenzen im Detail<br />

• Ein ohne Vertretungsmacht geschlossener Vertrag ist schwe-<br />

bend unwirksam, vgl. § 177 Abs. 1 BGB.<br />

• Der Vertrag kann aber durch Genehmigung (= nachträgliche<br />

Zustimmung) des Vertretenen wirksam werden, § 177 Abs. 1<br />

BGB. Die Genehmigung lässt den Vertrag rückwirkend wirk-<br />

sam werden (§§ 182, 184 Abs. 1 BGB).<br />

• Verweigert der Vertretene die Genehmigung, wird der Vertrag<br />

endgültig unwirksam, vgl. §§ 177 Abs. 2, 178 BGB.<br />

• Enttäuscht der Vertreter das Vertrauen des Geschäftspart-<br />

ners, weil er keine Vertretungsmacht besitzt und der Vertrete-<br />

ne das Vorgehen des Vertreters auch nicht nachträglich ge-<br />

nehmigt, so muss der Vertreter dem Geschäftsgegner dafür<br />

einstehen; zu den Einzelheiten s. § 179 BGB (Vorschrift bitte<br />

sorgfältig nachlesen!).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

67<br />

______________________________________________________________<br />

b) § 181 BGB: Das sog. Insichgeschäft<br />

§ 181 BGB beruht auf dem Grundgedanken, dass in bestimmten<br />

Fällen, in denen es an zwei – grundsätzlich gegensätzliche Inte-<br />

ressen vertretenden – Geschäftspartnern fehlt, eine Stellvertre-<br />

tung aus Gründen der Vermeidung einer Interessenkollision aus-<br />

zuscheiden hat.<br />

Es ist dabei wie nachfolgend geschildert zu unterscheiden:<br />

aa) Das Selbstkontrahieren (§ 181, 1. Alt. BGB)<br />

Der Vertreter kann grundsätzlich ein Rechtsgeschäft im Namen<br />

des Vertretenen nicht mit sich selbst abschließen (anders ist dies<br />

z.B. dann, wenn es ihm gestattet ist, § 181 BGB a.E.).<br />

bb) Die Mehrvertretung (§ 181, <strong>2.</strong> Alt. BGB)<br />

Gleiches wie oben unter aa) gilt auch für die sog. Mehrvertre-<br />

tung, ein Fall, in dem der Vertreter zugleich Vertreter eines Drit-<br />

ten ist.<br />

Beispiel: A hat von B Vollmacht erhalten, dessen Kraftfahr-<br />

zeug zu verkaufen. Gleichzeitig hat A von C Vollmacht erhal-<br />

ten, ein Kraftfahrzeug zu kaufen. A verkauft das Auto des B<br />

an C, wobei er jeweils auf Verkäufer- und Käuferseite als Ver-<br />

treter auftritt.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

68<br />

______________________________________________________________<br />

� Achtung: Neben den in § 181 BGB gesetzlich ausdrücklich<br />

geregelten Ausnahmen sind vor allem folgende Fälle des zuläs-<br />

sigen Insichgeschäfts zu beachten: § 125 Abs. 2 HGB; § 78 Abs.<br />

4 AktG; allgemein soll § 181 BGB auch dort nicht einschlägig<br />

sein, wo das Insichgeschäft dem Vertretenen lediglich einen<br />

rechtlichen Vorteil bringt. Bitte beachten Sie auch § 35 Abs. 4<br />

GmbHG!<br />

c) Missbrauch der Vertretungsmacht<br />

Wusste der Geschäftspartner, dass der Vertreter seine ihm durch<br />

den Vertretenen eingeräumte Vertretungsmacht überschreitet, ist<br />

er nicht schutzwürdig, eine wirksame Stellvertretung liegt nicht<br />

vor.<br />

Hatte sich der Geschäftsgegner mit dem Vertreter derart zu-<br />

sammen getan, dass man über die Zusammenarbeit den Vertre-<br />

tenen schädigen wollte (Fall der sog. Kollusion), ist das Rechts-<br />

geschäft nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig und es<br />

kommt für den Vertretenen ein Anspruch nach § 826 BGB<br />

(Schadensersatz wegen vorsätzlicher und sittenwidriger Schädi-<br />

gung) in Betracht.<br />

BGH ZIP 1999, 1303: Gewährt die Inhaberin eines Sparguthabens ihrem<br />

Hausarzt eine umfassende Verfügungsvollmacht über das Sparkonto,<br />

die der Bevollmächtigte nur kurze Zeit nach der Eröffnung des<br />

Kontos dazu benutzt, das Sparguthaben aufzulösen, um eigenen Darlehensverbindlichkeiten<br />

bei seiner Bank zu tilgen, ist eine objektive Evidenz<br />

eines Vollmachtsmissbrauches zu bejahen.<br />

Nach h.M. reicht auf Seiten des Geschäftsgegners ein Kennen-<br />

müssen des Missbrauchs der Vertretungsmacht aus, wobei man<br />

unter einem solchen „Kennenmüssen“ nur Evidenzfälle versteht,<br />

d.h. solche, in denen jeder Vernünftige den Missbrauch der Ver-<br />

tretungsmacht erkannt hätte (BGHZ 127, 239, 241: „Massive<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

69<br />

______________________________________________________________<br />

Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Miss-<br />

brauchs“).<br />

10. Sonderproblem § 166 Abs. 1, 2 BGB<br />

a) § 166 Abs. 1 BGB: Nicht die Vorstellungen des Vertretenen, son-<br />

dern die des Vertreters sind maßgeblich.<br />

Beispiel: Für eine Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB kommt<br />

es nach § 166 Abs. 1 BGB darauf an, ob sich der Vertreter in<br />

einem entsprechenden, rechtlich relevanten Irrtum befunden<br />

hat. Ob sich daneben auch der Vertretene geirrt hat, ist we-<br />

der schädlich noch notwendig.<br />

BGH DB 2000, 1456: Auch bei der Auslegung eines beurkundungspflichtigen<br />

Rechtsgeschäfts [hier: Verkauf von GmbH-<br />

Geschäftsanteilen] muss sich der Vertretene, der das Handeln eines in<br />

seinem Namen auftretenden vollmachtslosen Vertreters nachträglich<br />

genehmigt, dessen Kenntnis und dessen Verständnis vom Inhalt der<br />

abgegebenen Erklärungen nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen.<br />

BGH, Urt. v. 2<strong>2.</strong>0<strong>2.</strong>2002, Az. V ZR 113/01 [Anfechtung wegen arglistiger<br />

Täuschung und vollmachtsloser Vertreter]: Das Anfechtungsrecht<br />

wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB steht einem in Anspruch<br />

genommenen Vertreter ohne Vertretungsmacht in Abwehr einer Haftung<br />

nach § 179 BGB zu.<br />

b) § 166 Abs. 2 BGB: Diese Bestimmung schränkt die Anwendung<br />

des § 166 Abs. 1 BGB aus Gründen des Schutzes vor Miss-<br />

brauch ein.<br />

Beispiel: A ist von B bevollmächtigt worden, für diesen (B)<br />

einen CD-Spieler von C zu kaufen. C hatte sich den CD-<br />

Spieler zuvor von D ausgeliehen, was B wusste. Der ah-<br />

nungslose A kauft das Gerät. D verlangt von B empört<br />

sein Eigentum.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

70<br />

______________________________________________________________<br />

Ein Anspruch von D gegen B könnte sich ergeben aus § 985<br />

BGB. Dies setzt voraus, dass B Besitzer und D Eigentümer des<br />

CD-Spielers ist. B ist Besitzer, vgl. § 854 Abs. 1 BGB. Fraglich ist<br />

aber, ob D Eigentümer ist. D war Eigentümer, er könnte jedoch<br />

sein Eigentum nach § 929 S. 1 i.V.m. § 932 Abs. 1 S. 1, Abs. 2<br />

BGB an B verloren haben. Dies setzt u.a. voraus, dass B gut-<br />

gläubig war, vgl. § 932 Abs. 1 S.1, Abs. 2 BGB. Dafür spricht,<br />

dass B durch den gutgläubigen A vertreten worden ist. Dessen<br />

Handeln wirkt nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich für und<br />

gegen B. Im Übrigen kommt es nach § 166 Abs. 1 BGB grund-<br />

sätzlich auf die Kenntnis des Vertreters an. Aber nach § 166 Abs.<br />

2 S. 1 BGB kann sich der „Bösgläubige“ (B) nicht hinter dem<br />

„Gutgläubigen“ (A) verstecken. Mithin hat B das Eigentum an<br />

dem CD-Spieler nicht wirksam erworben. Damit ist D Eigentümer<br />

geblieben. D kann den CD-Spieler von B gem. § 985 BGB her-<br />

aus verlangen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

71<br />

______________________________________________________________<br />

11. Stellvertretung im Handelsrecht: Prokura / Hand-<br />

lungsvollmacht / Handlungsgehilfe / Handelsvertre-<br />

ter<br />

a) Prokura (§§ 48 ff. HGB)<br />

aa) Begriff Prokura<br />

� Merke: Bei Prokura und Handlungsvollmacht handelt es sich<br />

um handelsrechtliche Vollmachten mit gesetzlich festgelegtem<br />

Umfang.<br />

bb) Erteilung der Prokura<br />

Die Erteilung der Prokura stellt eine empfangsbedürftige, aus-<br />

drückliche Willenserklärung dar, § 48 Abs. 1 HGB.<br />

cc) Erklärender<br />

Erklärender können nur der Inhaber selbst oder der gesetzliche<br />

Vertreter sein, § 48 Abs. 1 HGB. Ein Prokurist kann mithin keine<br />

Prokura erteilen.<br />

dd) Empfänger<br />

Empfänger der Erklärung können der Prokurist oder ein Dritter<br />

sein, §§ 164 Abs. 1, 171 Abs. 1 BGB.<br />

Kammergericht, DB 2001, 2707 [Erteilung von Prokura an juristische<br />

Person unzulässig]: Mit der weitaus überwiegenden Meinung im<br />

juristischen Schrifttum vertritt das Kammergericht die Auffassung, dass<br />

die Bestellung einer juristischen Person zum Prokuristen nach der geltenden<br />

gesetzlichen Regelung ausgeschlossen sei. Zwar möge der<br />

Wortlaut der §§ 48–53 HGB noch nicht zwingend gegen die Erteilung<br />

einer Prokura an eine juristische Person sprechen. Sie sei jedoch mit<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

72<br />

______________________________________________________________<br />

der sich aus diesen Bestimmungen ergebenden gesetzlichen Konzeption<br />

der Prokura nicht vereinbar. Nach der Vorschrift des Gesetzes beruhe<br />

die Erteilung der Prokura auf einem besonderen persönlichen<br />

Vertrauensverhältnis zwischen Prinzipal und Prokuristen. Dies ergäbe<br />

sich schon aus dem umfassenden, im Außenverhältnis nicht beschränkbaren<br />

Umfang der Vertretungsmacht des Prokuristen (§§ 49,<br />

50 HGB), komme aber insbesondere in dem Grundsatz zum Ausdruck,<br />

wonach die Prokura nicht übertragbar ist (§ 52 Abs. 2 HGB). Dem würde<br />

es widersprechen, wenn der Prokurist eine juristische Person wäre,<br />

deren jeweiliges Vertretungsorgan die Vertretungsmacht ausüben würde.<br />

Denn bei einem Wechsel des Vertretungsorgans käme es jedenfalls<br />

zu einem Wechsel des tatsächlich auftretenden Entscheidungsträgers,<br />

auf den der Prinzipal keinen Einfluss hätte und dem er durch Widerruf<br />

der Prokura nur unzureichend begegnen könnte. Damit würde<br />

der mit § 52 Abs. 2 HGB verfolgte Gesetzeszweck umgangen.<br />

ee) Eintragung in das Handelsregister<br />

Der Eintragung in das Handelsregister kommt lediglich deklarato-<br />

rische Bedeutung zu, vgl. § 53 Abs. 1 HGB.<br />

ff) Umfang der Prokura<br />

(1) Vertretungsmacht<br />

Grundsätzlich ist die Vertretungsmacht des Prokuristen unbe-<br />

schränkt, § 49 Abs. 1 HGB. Als bedeutsame Ausnahmen sind<br />

aber zu berücksichtigen:<br />

• § 49 Abs. 2 HGB (Erwerb von Grundstücken möglich!)<br />

• Sog. Prinzipalgeschäfte (z.B. §§ 31, 48 Abs. 1 HGB)<br />

• Sog. Grundlagengeschäfte (z.B. Geschäftsaufgabe, Antrag<br />

auf Insolvenzeröffnung)<br />

(2) Unbeschränkbarkeit der Prokura (§ 50 Abs. 1, 2 HGB)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

73<br />

______________________________________________________________<br />

(3) Weitere Beschränkungen der Vertretungsmacht<br />

Weiter Beschränkungen der Vertretungsmacht sind in den Fällen<br />

der Kollusion (§ 138 BGB) sowie in sonstigen Fällen des Miss-<br />

brauchs der Vertretungsmacht denkbar, vgl. o.<br />

gg) Erlöschen der Prokura - Gründe<br />

(1) Der Widerruf<br />

Nach § 52 Abs. 1 HGB ist die Prokura ohne Rücksicht auf das<br />

der Erteilung zugrunde liegende Rechtsverhältnis jederzeit wider-<br />

ruflich, unbeschadet des Anspruchs auf die vertragsmäßige Ver-<br />

gütung.<br />

BGHZ 17, 392: Ist im Gesellschaftsvertrag bestimmt, dass einem<br />

Kommanditisten Prokura zu erteilen ist, so kann die dem Kommanditisten<br />

daraufhin erteilte Prokura nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes<br />

wieder entzogen werden, vgl. § 127 HGB.<br />

(2) Erlöschen des Grundverhältnisses (§ 168 S. 1 BGB)<br />

(3) Tod des Prokuristen<br />

hh) Zeichnung des Prokuristen<br />

Nach § 51 HGB hat der Prokurist in der Weise zu zeichnen, dass<br />

er der Firma seinen Namen mit einem die Prokura andeutenden<br />

Zusatz beifügt. Bei der Vorschrift handelt es sich jedoch lediglich<br />

um eine sog. Ordnungsvorschrift, d.h. die nicht ordnungsgemäße<br />

Zeichnung lässt die Wirksamkeit der Stellvertretung im Übrigen<br />

unberührt!<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

74<br />

______________________________________________________________<br />

b) Die Handlungsvollmacht<br />

aa) Erteilung<br />

Erteilende einer Handlungsvollmacht können sein:<br />

• Kaufmann<br />

• Prokurist<br />

• Handlungsbevollmächtigter<br />

Die Erteilung ist eine einseitige, empfangsbedürftige, formfreie<br />

Willenserklärung. Die Eintragung der Handlungsvollmacht im<br />

Handelsregister ist nicht möglich.<br />

bb) Umfang der Handlungsvollmacht<br />

Der Umfang der Vertretungsmacht bei der Handlungsvollmacht<br />

orientiert sich an § 54 Abs. 1 HGB. Beschränkungen sind mög-<br />

lich nach § 54 Abs. 2, Abs. 3 HGB sowie in den Fällen der Prin-<br />

zipal- und Grundlagengeschäfte, vgl. o.<br />

cc) Erlöschen der Handlungsvollmacht<br />

Die Handlungsvollmacht erlischt durch Widerruf und durch das<br />

Ende des Grundverhältnisses (§ 168 BGB).<br />

dd) Speziell: Handlungsvollmacht der Ladenangestell-<br />

ten<br />

Wer in einem Laden oder in einem offenen Warenlager angestellt<br />

ist, gilt nach § 56 HGB als ermächtigt zu Verkäufen und Emp-<br />

fangnahmen, die in einem derartigen Laden oder Warenlager<br />

gewöhnlich geschehen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

75<br />

______________________________________________________________<br />

§ 56 HGB wird überwiegend als Tatbestand der Rechtsschein-<br />

haftung qualifiziert.<br />

Prüfungsschema 10: Voraussetzungen § 56 HGB<br />

1. Laden/offenes Warenlager<br />

<strong>2.</strong> Angestellt (mit Wissen und Wollen des Ladeninhabers)<br />

3. Gewöhnliche (= branchenübliche) Verkäufe / Empfang-<br />

nahmen von Sachen oder Willenserklärungen<br />

4. Dritter gutgläubig (Fahrlässigkeit schadet)<br />

Zu berücksichtigen ist, dass § 56 HGB nur den Verkauf, nicht<br />

aber den Kauf betrifft.<br />

Zudem ist es von Bedeutung, dass nahezu allgemein eine Ana-<br />

logie zu § 54 Abs. 3 HGB befürwortet wird.<br />

c) Der Handlungsgehilfe<br />

Die Vorschriften über den Handlungsgehilfen (§§ 59 ff. HGB) be-<br />

schreiben das Dienstverhältnis der kaufmännischen Angestellten<br />

und sind mithin arbeitsrechtlicher Natur.<br />

Besondere Bedeutung besitzen die Vorschriften der §§ 74 ff.<br />

HGB über das sog. (nachvertragliche) Wettbewerbsverbot. Die<br />

§§ 74 ff. HGB gelten entsprechend für alle sonstigen Arbeitneh-<br />

mer, auch wenn sie nicht Handlungsgehilfen sind (BAG NJW<br />

1990, 1870), i.Ü. auch für sozialabhängige freie Mitarbeiter.<br />

Achten Sie v.a. auf die nachfolgend aufgeführten gesetzlichen<br />

Bestimmungen:<br />

• § 74 HGB<br />

• § 74 a HGB<br />

• § 74 c HGB<br />

• § 75 a HGB<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

76<br />

______________________________________________________________<br />

d) Der Handelsvertreter<br />

aa) Nach § 84 Abs. 1 S. 1 HGB ist Handelsvertreter, wer als selb-<br />

ständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen<br />

anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen<br />

Namen abzuschließen. Der Begriff des Gewerbes ist im Sinne<br />

von § 1 Abs. 1 HGB zu verstehen. Demgemäß ist der Handels-<br />

vertreter Kaufmann, sofern die Voraussetzungen von § 1 Abs. 2<br />

HGB vorliegen oder er nach § 2 HGB in das Handelsregister ein-<br />

getragen ist. Allerdings finden die Vorschriften der §§ 85 ff. HGB<br />

gleichwohl auch dann Anwendung, wenn ein Eintrag ins Han-<br />

delsregister nicht erfolgt ist, § 84 Abs. 4 HGB. Dies beruht dar-<br />

auf, dass die §§ 85 ff. HGB weitestgehend durch die Schutzbe-<br />

dürftigkeit des Handelsvertreters geprägt sind. Eine solche<br />

Schutzbedürftigkeit besteht in besonderem Maße bei Kleinge-<br />

werbetreibenden.<br />

bb) Nachfolgend sollen einige bedeutsame Einzelfragen des Han-<br />

delsvertreters näher behandelt werden.<br />

(1) Die Selbständigkeit<br />

Die Selbständigkeit, die den Handelsvertreter kennzeichnet, ist in<br />

§ 84 Abs. 1 S. 2 HGB gesetzlich definiert. § 84 Abs. 1 S. 2 HGB<br />

hat über das Recht des Handelsvertreters hinaus große Bedeu-<br />

tung bei der Frage nach dem arbeitsrechtlichen Status eines Be-<br />

schäftigten. Die Selbständigkeit ist nämlich wichtiges Kriterium<br />

bei der Abgrenzung des freien Mitarbeiters von dem abhängig<br />

beschäftigten und weisungsgebundenen Arbeitnehmer.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

77<br />

______________________________________________________________<br />

(2) Handeln „für einen anderen Unternehmer“<br />

Der Handelsvertreter handelt nicht im eigenen Namen. Der Han-<br />

delsvertreter ist damit abzugrenzen gegenüber dem<br />

• Kommissionär (§§ 383 ff. HGB)<br />

• Vertragshändler<br />

• Franchisenehmer (handelt im eigenen Namen und auf eigene<br />

Rechnung)<br />

(3) Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters<br />

Das Entgelt des Handelsvertreters besteht in erster Linie in dem<br />

Anspruch auf die Provision nach § 87 HGB. Der Provisionsan-<br />

spruch stellt das Entgelt dar, das der Handelsvertreter für seine<br />

nach § 86 HGB geschuldete Leistung erhält und bildet damit die<br />

Gegenleistung des Unternehmers.<br />

Gem. § 89 b Abs. 1 HGB kann der Handelsvertreter von dem Un-<br />

ternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen<br />

angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit<br />

(1.) der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen<br />

Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat auch nach<br />

Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile<br />

hat,<br />

(<strong>2.</strong>) der Handelsvertreter in Folge der Beendigung des Ver-<br />

tragsverhältnisses Ansprüche auf Provision verliert, die er<br />

bei Fortsetzung desselben aus bereits abgeschlossenen<br />

oder künftig zustande kommenden Geschäften mit dem<br />

von ihm geworbenen Kunden hätte, und<br />

(3.) die Zahlung des Ausgleichs unter Berücksichtung aller<br />

Umstände der Billigkeit entspricht.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

78<br />

______________________________________________________________<br />

§ 89 b Abs. 1 HGB stellt in seinem Kern eine Vergütung für Leis-<br />

tungen des Handelsvertreters dar, die durch die Provision noch<br />

nicht voll abgegolten sind.<br />

BGH DB 1997, 425: Auch ein Vertragshändler kann unter Umständen<br />

den Anspruch aus § 89 b HGB geltend machen. Die Nichtigkeit des<br />

Vertragshändlervertrages steht der Geltendmachung nicht entgegen,<br />

wenn der Unternehmer die vom Vertragshändler hergestellten Geschäftsverbindungen<br />

künftig weiterhin nutzen kann.<br />

BGHZ 141, 248, 255 [zur Frage des Ausgleichsanspruchs eines im<br />

sog. Rotationssystem eingesetzten Handelsvertreters]: Der Eigenart<br />

des Vertragsverhältnisses der Parteien und damit einer angemessenen<br />

Berücksichtigung ihrer Interessen wird nur eine Berechnung gerecht,<br />

die von der Fiktion ausgeht, dass der Kläger nach der Beendigung des<br />

Vertragsverhältnisses diejenigen Bereiche, die er im letzten Jahr seiner<br />

Tätigkeit betreut hat, weiter betreuen wird. Damit sind die in diesem<br />

Zeitraum geworbenen Kunden als die vom Kläger geworbenen Kunden<br />

i.S.d. § 89 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HGB anzusehen.<br />

OLG München, NJW-RR 2003, 573 [Zur Frage des Handelsvertreterausgleichsanspruchs<br />

nach § 89 b HGB]: Nach Einschätzung des<br />

OLG München ist das sog. „Shop-Geschäft“ des Tankstellenpächters<br />

im Rahmen des Handelsvertreterausgleichs nach § 89 b HGB nicht zu<br />

berücksichtigen; die Bestimmung sei weder direkt noch analog anwendbar.<br />

OLG München, NJW-RR 2003, 541 [Zur Frage des Ausgleichsanspruchs<br />

nach § 89 b HGB für als Handelsvertreterin tätige GmbH]:<br />

Das OLG München ist der Auffassung, dass einer als Handelsvertreterin<br />

tätigen GmbH, die das Vertragsverhältnis aufgrund von Alter oder<br />

Krankheit ihres Gesellschafter-Geschäftsführers kündigt, dieser dann<br />

einen Ausgleichanspruch nach § 89 b HGB zustehen kann, wenn der<br />

Handelsvertretervertrag so ausgestaltet ist, dass das Vertragsverhältnis<br />

mit der Person des Geschäftsführers steht und fällt.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

79<br />

______________________________________________________________<br />

1<strong>2.</strong> Zum Abschluss: Die Stellvertretung in der Klausur<br />

� Lernhinweise: Sie erhalten nachfolgend eine Formulierungs-<br />

hilfe, die Sie in die Lage versetzen soll, typische Fallkonstellatio-<br />

nen der Stellvertretung ohne große Mühe sprachlich, d.h. „tech-<br />

nisch“ einwandfrei umzusetzen.<br />

Es soll gezeigt werden, wie Sie in einer Klausur mit dem Problem<br />

der Stellvertretung umzugehen haben. Beachten Sie dabei bitte,<br />

dass es sich bei dem dargestellten Prüfungsvorgehen um einen<br />

Beispielsfall handelt. Im konkret zu bearbeitenden Fall können<br />

sich geringfügige Abweichungen ergeben. Diese sind jedoch un-<br />

problematisch zu bewältigen, solange Sie sich die folgenden<br />

Grundzüge einmal näher angesehen haben.<br />

Vorbemerkungen: Die Beteiligten heißen<br />

• A = Vertragspartner 1<br />

• B = Vertragspartner 2 (der Vertretene)<br />

• C = Vertreter<br />

1. [Obersatz] Möglicherweise kann A (= Dritter = Vertragspart-<br />

ner) von B (= der Vertretene) mit Erfolg Zahlung des Kauf-<br />

preises in Höhe von 500,00 € nach § 433 Abs. 2 BGB geltend<br />

machen.<br />

<strong>2.</strong> [Benennen der Anspruchsvoraussetzungen] Dann müsste<br />

zwischen A und B ein Kaufvertrag i.S.v. § 433 Abs. 1 S. 1<br />

BGB wirksam zustande gekommen sein. Ein solcher Vertrag<br />

bedarf zweier inhaltlich übereinstimmender und in Bezug zu-<br />

einander abgegebener Willenserklärungen, Angebot und An-<br />

nahme.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

80<br />

______________________________________________________________<br />

3. [Subsumtion] Ein auf den Abschluss eines Kaufvertrages ge-<br />

richtetes Angebot könnte vorliegend in den Worten des A ge-<br />

sehen werden ...<br />

4. [Zwischenergebnis] Ein wirksames Angebot des A liegt vor.<br />

5. [Weitere Anspruchsvoraussetzung] Dieses Angebot müsste<br />

von B angenommen worden sein.<br />

� Achtung: Hier kommt nun das vertretungsspezifische E-<br />

lement der Fallprüfung!<br />

6. B selbst hat allerdings keine dahingehende Willenserklärung<br />

abgegeben. Fraglich ist aber, ob nicht die durch C geäußerte<br />

Erklärung nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB für und gegen den B<br />

wirkt. Dann müsste C den B wirksam vertreten haben.<br />

7. [Voraussetzung einer wirksamen Stellvertretung prüfen] Eine<br />

solche Stellvertretung setzt nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB zu-<br />

nächst voraus, dass ... (s.o.)<br />

8. [Zwischenergebnis] B ist durch C nach § 164 Abs. 1 S. 1<br />

BGB wirksam vertreten worden.<br />

9. Damit wirkt die von C gegenüber A abgegebene Willenserklä-<br />

rung [hier: Annahme des Angebotes des A] unmittelbar für<br />

und gegen den B. Mithin ist zwischen A und B ein Kaufver-<br />

trag wirksam zustande gekommen.<br />

Endergebnis: A kann von B Zahlung von 500,00 € gem.<br />

§ 433 Abs. 2 BGB verlangen.<br />

� Anmerkung: Natürlich kann ein Vertreter auch ein Ange-<br />

bot für den Vertretenen abgeben. Dann sind die Punkte 6. ff.<br />

bereits bei der Prüfung des Angebots zu erwähnen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

81<br />

______________________________________________________________<br />

IX. Bezug und Übereinstimmung der Willenserklärun-<br />

gen<br />

Bei der Frage des Bezugs, mehr aber noch bei der Übereinstim-<br />

mung der Willenserklärungen ist unter Umständen eine Ausle-<br />

gung notwendig. Dabei können auch außerhalb der Erklärung<br />

liegende Umstände heranzuziehen sein. Grundsätzlich hat eine<br />

Auslegung vom Empfängerhorizont her zu erfolgen. Maßgebliche<br />

Vorschriften sind §§ 133, 157 BGB.<br />

Beispiel [BGH WM 1996, 20 – Zur Auslegung der durch eine<br />

Spielbank gegenüber einem spielsüchtigen Spieler erklärten Spielsperre]:<br />

Eine wunschgemäß erteilte Spielsperre begründet grundsätzlich<br />

keine Ansprüche auf Ersatz von Spielverlusten, wenn die<br />

Spielbank die Sperre nicht durch ausreichende Kontrollen durchsetzt.<br />

Eine Spielbank hat auch bei einer verhängten Spielsperre<br />

keine Schutzpflichten, die auf die Wahrnehmung der Vermögensinteressen<br />

gerichtet sind.<br />

Beispiel [BGH DB 1997, 718 – Pflicht des Verkäufers zur Abtretung<br />

von Gewährleistungsansprüchen gegen Erstverkäufer bei<br />

Weiterverkauf eines Grundstücks unter Gewährleistungsausschluss?]:<br />

Beim Weiterverkauf eines Grundstücks, dessen Belastung<br />

mit einem Ölschaden vom Erstverkäufer arglistig verschwiegen<br />

wurde, unter Gewährleistungsausschluss, kann nach den konkreten<br />

Umständen des Einzelfalles Raum für eine ergänzende Vertragsauslegung<br />

dahingehend sein, dass die Parteien des Zweitvertrages<br />

die Abtretung etwaiger Gewährleistungsansprüche des Verkäufers<br />

gegen den Erstverkäufer vereinbart haben [hier bejaht].<br />

Beispiel [BGH DB 2000, 1555 – Irrtum der Kaufvertragsparteien<br />

über fehlende Umsatzsteuerpflicht]: Sind die Parteien irrtümlicher<br />

Weise davon ausgegangen, dass der Kaufvertrag über Bergwerkseigentum<br />

nicht der Umsatzsteuer unterliegt, kann die Frage, wer<br />

die tatsächlich angefallene Umsatzsteuer zu tragen hat, einer ergänzenden<br />

Vertragsauslegung zugänglich sein [hier ist der BGH<br />

der Auffassung, dass die Parteien bei einer angemessenen Abwägung<br />

ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner<br />

den Kaufpreis als Nettokaufpreis ausgewiesen hätten,<br />

weil dies die Käuferin im Fall mit Blick auf die Vorsteuerabzugsberechtigung<br />

wirtschaftlich im Ergebnis nicht nachteilig belastet hätte<br />

und eine andere Regelung der Veräußerin nicht zugemutet werden<br />

könnte].<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

82<br />

______________________________________________________________<br />

X. Fehlen von Nichtigkeitsgründen (sog. rechtshin-<br />

dernde Einwendungen)<br />

Als mögliche Nichtigkeitsgründe kommen v.a. in Betracht:<br />

1. Anfechtung (vgl. § 142 Abs. 1 BGB) dazu s.o.<br />

<strong>2.</strong> Gesetzesverstoß (§ 134 BGB)<br />

Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzli-<br />

ches Verbot verstößt, grundsätzlich nichtig.<br />

Beispiele: Kaufvertrag über Rauschgift; Kündigung des Arbeitsvertrages<br />

gegenüber einer Schwangeren (§ 9 Abs. 1 S.<br />

1 MuSchG).<br />

BGH DB 2001, 1459: Ein Steuerberater, der unerlaubt eine fremde<br />

Rechtsangelegenheit besorgt, hat keinen Anspruch auf Vergütung aus<br />

dem nichtigen Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 134 BGB mit Art. 1 § 1<br />

RBerG). Ist der Geschäftsbesorgungsvertrag eines Steuerberaters wegen<br />

Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB unwirksam,<br />

so kann diesem eine Vergütung aus ungerechtfertigter Bereicherung<br />

(§§ 812 ff. BGB) zustehen, wenn ihm nicht bewusst war, dass er<br />

gegen ein gesetzliches Verbot verstößt (§ 817 S. 2 BGB).<br />

3. Sittenverstoß (§ 138 BGB)<br />

a) Nach § 138 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten<br />

Sitten verstößt, ebenfalls nichtig. Unter dem Rechtsbegriff der<br />

„guten Sitten“ versteht man nach Ansicht der Rechtsprechung<br />

das „Gefühl aller billig und gerecht Denkenden“. Die Sittenwidrig-<br />

keit eines Rechtsgeschäfts kann entweder aus seinem Inhalt o-<br />

der seinem Gesamtcharakter folgen. Maßgebender Zeitpunkt ist<br />

der der Vornahme des Rechtsgeschäfts, nicht der des Eintritts<br />

der Rechtswirkungen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

83<br />

______________________________________________________________<br />

Beispiel: Nichtig nach § 138 Abs. 1 BGB ist regelmäßig ein<br />

Kreditvertrag, bei dem der vereinbarte Zins den marktüblichen<br />

Zins um relativ mehr als 100 % oder absolut um 12 %<br />

überschreitet (BGHZ 110, 338); nichtig sind Schmiergeldverträge.<br />

BGH DB 1997, 671 [Sittenwidrige Bürgschaft I]: Der BGH bejaht die<br />

Sittenwidrigkeit für den Fall, dass eine Sparkasse nach Auszahlung<br />

des Kredits an die GmbH gegenüber einem Gesellschafter der GmbH<br />

überraschend ein Bürgschaftsversprechen fordert und für den Fall der<br />

Nichtabgabe der Erklärung mit der sofortigen Kündigung des Kredits<br />

droht.<br />

BGH DB 2001, 2490 [Sittenwidrige Bürgschaft II]: Behauptet der<br />

Bürge, der als Mehrheitsgesellschafter oder Geschäftsführer die Haftung<br />

für die Gesellschaftsschulden übernommen hat, dies sei ohne eigenes<br />

wirtschaftliches Interesse allein aus enger persönlicher Verbundenheit<br />

zu einem Dritten geschehen, hat er sowohl diese Tatsache als<br />

auch die Kenntnis des Gläubigers davon zu beweisen. Weder aus der<br />

krassen finanziellen Überforderung des Bürgen noch aus dessen emotionaler<br />

Verbundenheit mit der die Gesellschaft wirtschaftlich beherrschenden<br />

Person folgt eine tatsächliche Vermutung zu Lasten des Kreditgebers.<br />

BGH DB 2002, 2593 [Sittenwidrige Bürgschaft III]: Die Besonderheit<br />

des vorliegenden Falles liegt darin, dass es sich bei dem Bürgen um<br />

den Kommanditisten einer KG handelte, der sich für die Gesellschaft<br />

verbürgt hatte. Der Leitsatz lautet wie folgt: „Die vom BGH entwickelten<br />

Grundsätze zur Sittenwidrigkeit von Mithaftung und Bürgschaft finanziell<br />

überforderter Angehöriger gelten grundsätzlich nicht für Kommanditisten<br />

einer KG, die für Verbindlichkeiten der KG die Mithaftung oder<br />

Bürgschaft übernehmen. Etwas anderes gilt, wenn der Kommanditist<br />

ausschließlich Strohmannfunktion hat, die Mithaftung oder Bürgschaft<br />

nur aus emotionaler Verbundenheit mit der hinter ihm stehenden Person<br />

übernimmt und beides für die kreditgebende Bank evident ist.“<br />

BGH WM 2000, 431: Bei dem Verkauf von Sondermünzen durch den<br />

gewerblichen Münzhandel kann für die Frage, ob der Käufer die Münzen<br />

zu sittenwidrig überhöhten Preisen erworben hat, nicht auf einen<br />

Vergleich der Verkaufspreise des Münzhandels mit dessen Rücknahmepreisen<br />

abgestellt werden. Es kommt vielmehr darauf an, ob die<br />

verabredeten Kaufpreise deutlich über denjenigen liegen, die von anderen<br />

Händlern für die selben Münzen beim Verkauf an Sammler gefordert<br />

werden.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

84<br />

______________________________________________________________<br />

� Achtung: Im Gesellschaftsrecht gilt u.U. Besonderes: Auf Beitrittserklärungen<br />

zu Kapitalgesellschaften findet § 138 BGB im Interesse<br />

des Verkehrsschutzes keine Anwendung; Gesellschafterbeschlüsse<br />

von Kapitalgesellschaften sind nur nichtig, wenn<br />

sie durch ihren Inhalt gegen die guten Sitten verstoßen (s. § 241<br />

Nr. 1 AktG, der auch für die GmbH gilt), sonstige Mängel müssen<br />

durch Anfechtungsklage geltend gemacht werden; bei Personengesellschaften<br />

finden i.d.R. die Gründsätze über die fehlerhafte<br />

Gesellschaft Anwendung.<br />

BGH DB 2002, 1822: Bei Rechtsgeschäften, die in der Absicht der<br />

Gläubigerbenachteiligung vorgenommen werden, gehen die besonderen<br />

Bestimmungen der Insolvenz- bzw. Gläubigeranfechtung den allgemeinen<br />

Regeln des § 138 Abs. 1 BGB vor. Etwas anderes gilt nur<br />

dann, wenn das Rechtsgeschäft besondere, über die Gläubigerbenachteiligung<br />

hinausgehende Umstände aufweist.<br />

b) § 138 Abs. 2 BGB (Wucher) ist wegen seiner engen tatbestandli-<br />

chen Voraussetzungen (subjektives Tatbestandsmerkmal: Aus-<br />

beutung einer Zwangslage usw.) von nur geringer praktischer<br />

Bedeutung. Rechtsgeschäfte, die nur zum Teil wucherisch i.S.d.<br />

§ 138 Abs. 2 BGB sind, können aber nach § 138 Abs. 1 BGB<br />

nichtig sein.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

85<br />

______________________________________________________________<br />

4. Formmangel<br />

a) Formen (Grundsätze)<br />

Grundsätzlich sind Willenserklärungen formfrei möglich. Aus-<br />

nahmsweise ist die Erklärung formgebunden.<br />

Beispiele für (gesetzliche) Formvorschriften: §§ 311 b<br />

Abs. 1 S. 1; 518 Abs. 1 S. 1; 623; 766 S. 1; 780; 781 BGB.<br />

OLG Köln NJW-RR 1996, 1484: Ein Kaufvertrag über ein Fertighaus<br />

bedarf dann der notariellen Beurkundung, wenn er mit einem Grundstückskaufvertrag<br />

nach dem Willen der Parteien derart rechtlich zusammenhängt,<br />

dass beide Verträge miteinander „stehen und fallen“<br />

sollen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Erwerb eines<br />

Grundstücks ausdrücklich zur Voraussetzung für die Leistungen des<br />

Veräußerers des Fertighauses gemacht wurde.<br />

BGH NJW 2000, 951: Ist eine als solche nicht beurkundungsbedürftige<br />

Vereinbarung von einem Grundstücksgeschäft abhängig, dieses aber<br />

nicht von ihr (einseitige Abhängigkeit), bleibt sie von dem Formgebot<br />

des § 313 BGB [a.F. = § 311 b Abs. 1 S. 1 BGB n.F.] frei.<br />

BGH NJW 2002, 1792: Vereinbaren die Parteien in einem Bauvertrag,<br />

dass der Bau nicht vor der Veräußerung eines abgetrennten Teils des<br />

Grundstücks des Bestellers erfolgen soll, ist der Bauvertrag jedenfalls<br />

dann nicht beurkundungsbedürftig, wenn der Besteller durch die Vereinbarung<br />

nicht auf diese Art der Finanzierung beschränkt wird. Verträge,<br />

die keine unmittelbare Verpflichtung zur Veräußerung oder zum<br />

Erwerb eines Grundstücks zum Inhalt haben, sind in entsprechender<br />

Anwendung des § 313 BGB [a.F.] nur dann formbedürftig, wenn die<br />

Veräußerung oder der Erwerb eines Grundstücks mittelbar durch die<br />

Vereinbarung von Nachteilen erzwungen wird.<br />

An Formen gibt es die nachfolgend aufgeführten:<br />

• Gesetzliche Schriftform (§ 126 Abs. 1 BGB)<br />

• Die elektronische Form (nach § 126 Abs. 3 BGB kann die<br />

elektronische Form die schriftliche Form ersetzen, wenn sich<br />

nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt, so beispielsweise in<br />

§ 623 letzter Halbsatz BGB; weitere Einzelheiten zur elektro-<br />

nischen Form regelt § 126 a BGB)<br />

• Textform (§ 126 b BGB), so beispielsweise in § 438 Abs. 4<br />

HGB (Schadenanzeige beim Frachtvertrag)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

86<br />

______________________________________________________________<br />

• Gewillkürte Schriftform (§§ 127 i.V.m. 126, 126 a, 126 b<br />

BGB)<br />

• Notarielle Beurkundung (BeurkG; s. auch §§ 126 Abs. 4,<br />

127 a, 128, 129 Abs. 2 BGB)<br />

• Öffentliche Beglaubigung (§ 129 BGB)<br />

BGH ZIP 1997, 2085: Die Schriftform des § 126 BGB erfordert keine<br />

körperliche Verbindung der einzelnen Blätter der Urkunde, wenn<br />

sich deren Einheit aus fortlaufender Paginierung, fortlaufender<br />

Nummerierung der einzelnen Bestimmungen, einheitlicher grafischer<br />

Gestaltung, inhaltlichem Zusammenhang des Textes oder<br />

vergleichbaren Merkmalen zweifelsfrei ergibt.<br />

b) Rechtsfolge eines Formmangels - s. dazu § 125 S. 1 und<br />

2 BGB<br />

c) Achtung 1: Ausnahmen vom Formgebot<br />

Es finden sich zahlreiche Ausnahmen zu den genannten Form-<br />

vorschriften. Bei der Stellvertretung ist § 167 Abs. 2 BGB zu be-<br />

achten. Hier gilt es vorsichtig zu sein, denn die Rechtsprechung<br />

hat sich bislang nicht zu einer einheitlichen Handhabung der<br />

Vorschrift durchringen können. Unabhängig von § 167 Abs. 2<br />

BGB soll die unwiderrufliche Vollmacht zum Grundstückskauf<br />

oder –erwerb (§ 311 b Abs. 1 S. 1 BGB) formpflichtig bleiben.<br />

Gleiches gilt nach BGH NJW 1996, 1467, 1469 für die Vollmacht<br />

zur Übernahme einer Bürgschaft und nach BFH WM 1983, 402<br />

auch für die Abtretung von Steuererstattungsansprüchen (anders<br />

aber beispielsweise die widerruflich erteilte Vollmacht zum Ab-<br />

schluss eines Ehevertrages, § 1410 BGB). Wegen des anderen<br />

Zwecks der Formvorschrift (Anlegerschutz) soll auch die unwi-<br />

derrufliche Vollmacht zur Abtretung von GmbH-Anteilen entge-<br />

gen § 15 Abs. 2 GmbHG formfrei sein (BGHZ 19, 72). Bitte be-<br />

rücksichtigen Sie auch § 350 HGB!<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

87<br />

______________________________________________________________<br />

Unter ganz engen Voraussetzungen kann eine Ausnahme vom<br />

Formgebot in den Fällen angenommen werden, in denen eine<br />

Berufung auf den Formmangel gegen Treu und Glauben ver-<br />

stößt.<br />

Beispiel (BGH WM 1996, 1143): Ist der Auftrag zur Ersteige-<br />

rung eines Grundstücks unter dem Gesichtspunkt einer Er-<br />

werbspflicht des Auftraggebers nach § 311 b Abs. 1 S. 1 BGB<br />

formbedürftig, so kann die Berufung des Beauftragten auf<br />

den Formmangel wegen dieser Erwerbspflicht des Auftrag-<br />

gebers gegen Treu und Glauben verstoßen [hier u.a. mit<br />

Hinweis auf das für den Beauftragten vorhandene Risiko, den<br />

Ersteigerungspreis aus eigenen Mitteln aufbringen zu müs-<br />

sen, verneint].<br />

d) Achtung 2: „Heilung“ des Formverstoßes<br />

Unter Umständen besteht die Möglichkeit der Heilung des Form-<br />

verstoßes.<br />

Beispiele: §§ 311 b Abs. 1 S. 2, 766 S. 2 BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

88<br />

______________________________________________________________<br />

E. Der Untergang von Ansprüchen (Beispiele)<br />

I. § 362 Abs. 1 BGB (Erfüllung)<br />

Nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt das Schuldverhältnis, wenn die<br />

geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Dabei fällt<br />

auf, dass in § 362 BGB der Schuldner selbst keine Erwähnung<br />

findet. Dies liegt daran, dass bei nicht persönlichen Leistungs-<br />

pflichten auch ein Dritter für den Schuldner leisten kann, §§ 267<br />

f. BGB. Umgekehrt ist die Leistung an einen Nichtgläubiger aus-<br />

reichend und führt zur Erfüllung, wenn sie durch Einwilligung o-<br />

der Genehmigung des Gläubigers gedeckt ist, §§ 362 Abs. 2,<br />

185 BGB.<br />

Eine andere als die geschuldete Leistung führt nur dann zur Er-<br />

füllung, wenn dies mit dem Einverständnis des Gläubigers ge-<br />

schieht, § 364 Abs. 1 BGB (Leistung an Erfüllung statt). Die Ü-<br />

bernahme einer neuen Verbindlichkeit durch den Schuldner –<br />

beispielsweise einer Wechselschuld – hat diese Wirkung aller-<br />

dings im Zweifel nicht, § 364 Abs. 2 BGB.<br />

II. Die Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB)<br />

Bei der Aufrechnung handelt es sich um ein sog. Erfüllungssur-<br />

rogat, d.h. auch die Aufrechnung hat erfüllende Wirkung.<br />

Aufgerechnet wird durch eine empfangsbedürftige Willenserklä-<br />

rung, § 388 BGB. Die Erklärung führt zum rückwirkenden Erlö-<br />

schen der von der Aufrechnung erfassten wechselseitigen Forde-<br />

rungen, § 389 BGB.<br />

Der wesentliche Vorteil für den die Aufrechnung Erklärenden<br />

liegt darin, dass dieser seine Forderung ohne gerichtliche Hilfe<br />

durchsetzen kann. Zu beachten ist außerdem, dass die Aufrech-<br />

nung selbst im Insolvenzverfahren des Schuldners grundsätzlich<br />

möglich bleibt, § 94 InsO. Der Aufrechnende erhält sodann nicht<br />

lediglich die Quote, sondern vollständige Befriedigung.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

89<br />

______________________________________________________________<br />

Prüfungsschema 11: Voraussetzungen<br />

Aufrechnung<br />

1. Gegenseitigkeit: Der Aufrechnende muss Gläubiger der<br />

Gegenforderung und Schuldner der Hauptforderung sein,<br />

der Aufrechnungsgegner Schuldner der Gegenforderung<br />

und Gläubiger der Hauptforderung, vgl. § 387 BGB<br />

<strong>2.</strong> Gleichartigkeit: Die sich gegenüberstehenden Forderun-<br />

gen müssen gleichartig sein, d.h. der Gegenstand der<br />

Leistung bedarf der Gleichartigkeit, vgl. § 387 BGB (das<br />

Erfordernis der Gleichartigkeit beschränkt die Aufrechnung<br />

im wesentlichen auf beiderseitige Geldforderungen; denk-<br />

bar ist die Aufrechnung allerdings auch bei Gattungs-<br />

schulden von vertretbaren Sachen)<br />

3. Wirksamkeit der Gegenforderung: Die zur Aufrechnung<br />

gestellte Forderung muss voll wirksam und fällig sein, d.h.,<br />

es muss sich um eine Forderung handeln, deren Erfüllung<br />

erzwungen werden kann und der keine Einreden entgegen<br />

stehen, vgl. § 387 BGB<br />

4. Erfüllbarkeit der Hauptforderung, gegen die der<br />

Schuldner aufrechnet, vgl. §§ 271, 387 BGB (nicht erfor-<br />

derlich ist dagegen, dass die Hauptforderung voll wirksam<br />

und fällig ist)<br />

5. Aufrechnungserklärung, vgl. § 388 S. 1 BGB<br />

� Achtung: Unter bestimmten Umständen ist die Aufrechnung<br />

ausgeschlossen. §§ 390–395 BGB enthalten gesetzliche Auf-<br />

rechnungsverbote. Beispiele weiterer gesetzlicher Aufrech-<br />

nungsverbote finden sich in § 66 AktG sowie in § 19 Abs. 2<br />

GmbHG.<br />

Auch sind vertragliche Aufrechnungsverbote, soweit ihnen keine<br />

gesetzlichen Vorschriften entgegenstehen, zu beachten.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

90<br />

______________________________________________________________<br />

III. Unmöglichkeit der Leistung<br />

1. § 275 BGB<br />

Keine Pflicht zur Leistung besteht dann, wenn diese für den<br />

Schuldner oder für Jedermann unmöglich ist, § 275 Abs. 1 BGB.<br />

Dabei spielt es nach neuerem Recht keine Rolle mehr, ob es<br />

sich um einen Fall anfänglicher oder nachträglicher, objektiver<br />

oder subjektiver Unmöglichkeit handelt. Zu berücksichtigen ist al-<br />

lerdings, dass der Ausschluss der Leistungspflicht ohne weiteres<br />

Zutun des Schuldners nur nach § 275 Abs. 1 BGB anzunehmen<br />

ist, nämlich dann, wenn die Leistung gar nicht mehr erbracht<br />

werden kann. Der Erfüllungsanspruch ist hier auch dann ausge-<br />

schlossen, wenn sich der Schuldner nicht auf die Unmöglichkeit<br />

der Leistung beruft (Fall der tatsächlichen Unmöglichkeit). Dage-<br />

gen soll der Schuldner lediglich eine Einrede haben, wenn die<br />

Leistung zwar noch erbracht werden kann, aber nicht mit dem<br />

vom Schuldner geschuldeten Aufwand, § 275 Abs. 2 BGB. Hier-<br />

nach kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit und<br />

solange die Leistung einen Aufwand erfordert, der in einem gro-<br />

ben Missverhältnis zu dem Interesse steht, dass der Gläubiger<br />

an der Leistung hat (sog. praktische Unmöglichkeit). Mit dem<br />

Begriff „Aufwand“ meint das Gesetz sowohl finanzielle Aufwen-<br />

dungen, wie auch den persönlichen Aufwand des Schuldners.<br />

Nach § 275 Abs. 3 BGB soll bei persönlich zu erbringenden Leis-<br />

tungen für die Einrede des Schuldners ausreichend sein, wenn<br />

ihm die Leistungserbringung unter Abwägung der beiderseitigen<br />

Interessen nicht zugemutet werden kann (beispielsweise in Fäl-<br />

len notwendiger Arzt- oder Gerichtstermine).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

91<br />

______________________________________________________________<br />

§ 275 Abs. 1<br />

BGB: Fall der<br />

tatsächlichen<br />

Unmöglichkeit<br />

Übersicht: Unmöglichkeit<br />

§ 275 Abs. 2<br />

BGB: Praktische<br />

Unmöglichkeit<br />

<strong>2.</strong> Sonderfall Gattungsschuld<br />

§ 275 Abs. 3<br />

BGB: Persönl.<br />

zu erbringende<br />

Leistungen /<br />

U nzumutbarkeit<br />

Wenn eine nur der Gattung nach bestimmte Sache geschuldet<br />

wird, erlangt für das Unmöglichwerden der Leistung des Schuld-<br />

ners die sog. Konkretisierung Bedeutung. Die Gattungsschuld<br />

ist regelmäßig eine Beschaffungsschuld, wenn nicht der Schuld-<br />

ner lediglich verpflichtet ist, aus seinem Vorrat zu liefern. Dies<br />

führt dazu, dass die Erfüllung objektiv wie subjektiv solange mög-<br />

lich bleibt, wie der Schuldner zur Beschaffung imstande ist. Un-<br />

erheblich ist es, wenn bereits beschaffte Stücke untergegangen<br />

sind. Dies ist erst dann anders, wenn der Schuldner einmal alles<br />

zur Leistung seinerseits erforderliche getan hat, § 243 Abs. 2<br />

BGB. Dann beschränkt sich die Schuld auf die beschafften (und<br />

nötigenfalls abgesendeten oder angebotenen) Stücke. Wenn<br />

diese untergehen, braucht der Schuldner keine neuen zu be-<br />

schaffen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

92<br />

______________________________________________________________<br />

IV. Unmöglichkeit der Gegenleistung<br />

1. § 326 BGB: Der Grundsatz<br />

Der Grundsatz des § 326 BGB lautet: Ohne Leistung keine Ge-<br />

genleistung.<br />

§ 326 Abs. 1 BGB verknüpft das rechtliche Schicksal von Leis-<br />

tung und Gegenleistung. Wenn die Leistung aus einem Grund<br />

unmöglich wird, den keine Partei zu vertreten hat, erlischt der<br />

Anspruch auf die Gegenleistung. Dies ist konsequent, da im ge-<br />

genseitigen Vertrag jede Partei ihre Leistung verspricht, um die<br />

Gegenleistung zu erhalten. So muss die auf einer Vertragsseite<br />

eintretende Unmöglichkeit auch Auswirkungen für die Pflicht(en)<br />

des Gegenüber haben.<br />

Die Wirkung des § 326 Abs. 1 BGB benötigt keine gestaltenden<br />

Willenserklärung einer Partei, vielmehr tritt diese Wirkung ohne<br />

weiteres ein.<br />

Zusätzlich gestattet § 326 Abs. 5 BGB dem Gläubiger ein Recht<br />

zum Rücktritt. Hat der Gläubiger die von ihm versprochene Ge-<br />

genleistung schon erbracht, soll er sie nach den Vorschriften ü-<br />

ber das Rücktrittsrecht (§§ 346 ff. BGB) zurück verlangen kön-<br />

nen, § 326 Abs. 4 BGB.<br />

<strong>2.</strong> Ausnahmen zum Grundsatz<br />

Bei Vorliegen besonderer Umstände wird die Gegenleistung<br />

auch dann geschuldet, wenn die Leistung nicht mehr erbracht<br />

werden kann – wichtige Beispiele:<br />

a) § 326 Abs. 2, <strong>2.</strong> Alt. BGB: Die Leistung wird unmöglich, wäh-<br />

rend sich der Gläubiger in Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB) be-<br />

findet.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

93<br />

______________________________________________________________<br />

Der Jurist formuliert: Mit dem Gläubigerverzug geht die Gegen-<br />

leistungsgefahr (auch Preisgefahr genannt) auf den Gläubiger<br />

über. Das meint die Gefahr, eine Leistung noch bezahlen zu<br />

müssen, die als solche nicht mehr gefordert werden kann.<br />

b) § 446 BGB: Beim Kauf geht die Gegenleistungsgefahr mit der<br />

Übergabe der Kaufsache auf den Käufer über, weil diese nun-<br />

mehr den Risiken aus der Sphäre des Käufers ausgesetzt ist.<br />

c) § 447 BGB (Versendungskauf)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

94<br />

______________________________________________________________<br />

F. Durchsetzbarkeit von Ansprüchen (sog. rechts-<br />

hemmende Einwendungen = Einreden) - Beispiele<br />

I. Dauernde Einrede der Verjährung<br />

� Achtung: Bitte beachten Sie den Unterschied zwischen der<br />

Verjährung und einer Ausschlussfrist. Während bei der Verjäh-<br />

rung der Anspruch trotz Fristablaufs bestehen bleibt, erlischt bei<br />

der Ausschlussfrist das Recht mit Ablauf der Frist. Die Aus-<br />

schlussfrist ist mithin eine rechtsvernichtende Einwendung, die<br />

das Gericht von Amts wegen zu prüfen hat. §§ 121, 124 BGB<br />

sowie § 256 Abs. 6 AktG sind Beispiele für Ausschlussfristen.<br />

Die Verjährung ist stets geltend zu machen („über Einreden<br />

muss man reden“). Die Einrede kann auch außergerichtlich er-<br />

hoben werden.<br />

� Achtung: Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat so-<br />

wohl das allgemeine Verjährungsrecht im allgemeinen Teil des<br />

BGB wie auch die Verjährungsvorschriften im besonderen<br />

Schuldrecht vollständig neu geregelt. Nachfolgend soll auf die<br />

Bestimmungen des allgemeinen Teils näher eingegangen wer-<br />

den. Die einschlägigen Bestimmungen des besonderen Schuld-<br />

recht folgen im sachlichen Zusammenhang mit der Darstellung<br />

dieses Teils des BGB.<br />

Das „neue“ Verjährungsrecht gilt grundsätzlich nicht für bereits<br />

vor dem 01.01.2002 begründete Ansprüche. Insoweit ist die Ü-<br />

berleitungsvorschrift in Art. 229 § 6 EGBGB maßgebend.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

95<br />

______________________________________________________________<br />

Die §§ 194–217 BGB regeln die Verjährung von Ansprüchen. Da<br />

nur Ansprüche und nicht auch sonstige Rechte der Verjährung<br />

unterliegen, wird in § 218 BGB die Auswirkung der Verjährung<br />

auf das Gestaltungsrecht Rücktritt besonders geregelt.<br />

1. Dauer und Beginn der Verjährung<br />

a) Die regelmäßige Verjährung<br />

aa) Dauer<br />

Die regelmäßige Verjährung beträgt nach § 195 BGB drei Jahre.<br />

Dieser Frist unterfallen mit Ausnahme der in den §§ 196, 197<br />

BGB geregelten Fälle grundsätzlich alle Ansprüche, soweit sich<br />

für diese in BGB keine speziellen Regelungen finden lassen (so<br />

beispielsweise im besonderen Schuldrecht §§ 438, 634 a, 852 S.<br />

2 BGB).<br />

bb) Beginn der Frist<br />

Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist<br />

grundsätzlich mit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch ent-<br />

standen ist und der Gläubiger sowohl von den anspruchsbegrün-<br />

denden Tatsachen als auch von der Person des Schuldners<br />

Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müss-<br />

te. Der Anspruch muss entstanden sein. Entstanden ist ein An-<br />

spruch grundsätzlich dann, wenn er klageweise geltend gemacht<br />

werden kann, wofür die Fälligkeit des Anspruchs Voraussetzung<br />

ist.<br />

Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat erstmals für die<br />

Verjährung im allgemeinen Teil des BGB die Voraussetzung auf-<br />

gestellt, dass der Gläubiger von den anspruchsbegründenden<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

96<br />

______________________________________________________________<br />

Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt ha-<br />

ben oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Das<br />

subjektive Element des § 199 BGB n.F. soll dem Ausgleich zu-<br />

gunsten des Gläubigers dienen, und zwar in solchen Fällen, in<br />

denen ansonsten Ansprüche verjährt wären, bevor der Gläubiger<br />

überhaupt wissen konnte, dass ihm ein Anspruch zusteht.<br />

Die gesetzliche Neuregelung führt für den Schuldner im Einzelfall<br />

zu einem beträchtlichen Maß an Rechtsunsicherheit. Der Frist-<br />

beginn ist für ihn u.U. nicht vorhersehbar, da er in bestimmten<br />

Fällen nicht weiß, wann der Gläubiger die nötige Kenntnis erlangt<br />

hat oder zumindest hätte erlangen müssen.<br />

Da § 199 Abs. 1 BGB an für den Schuldner nicht immer erkenn-<br />

bare Umstände anknüpft, muss es im wohl verstandenen Inte-<br />

resse der Rechtssicherheit Höchstfristen geben, die unabhängig<br />

von der Kenntnis des Gläubigers ablaufen. Einzelheiten regeln<br />

die Absätze 2–4 in § 199 BGB.<br />

b) Verjährungsfrist bei Rechten an einem Grundstück<br />

Für die Verjährung bei Rechten an einem Grundstück ist § 196<br />

BGB maßgeblich.<br />

c) 30-jährige Verjährungsfrist<br />

§ 197 BGB enthält Fälle einer 30-jährigen Verjährungsfrist. Dazu<br />

gehören beispielsweise rechtskräftig festgestellte Ansprüche,<br />

§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

97<br />

______________________________________________________________<br />

<strong>2.</strong> Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der<br />

Verjährung<br />

a) Grundsätzliches<br />

Es gibt bestimmte Ereignisse, die den Ablauf einer Verjährungs-<br />

frist beeinflussen. Das geltende Recht erkennt drei Fallgruppen:<br />

• Die Verjährungshemmung, d.h. die Nichteinrechnung be-<br />

stimmter Zeiten in die Verjährungsfrist, §§ 203–209 BGB<br />

• Die Ablaufhemmung als Unterfall der Hemmung, d.h. die<br />

Verjährungsfrist läuft höchstens eine bestimmte Zeit nach<br />

Wegfall von Gründen ab, die der Geltendmachung des An-<br />

spruchs entgegen stehen, §§ 211 f. BGB<br />

• Die Unterbrechung der Verjährung, d.h. ein Neubeginn der<br />

Verjährung, § 212 BGB<br />

Während bislang die Unterbrechung der Verjährung der „Normal-<br />

fall“ war und die Hemmung die Ausnahme, ist dieses Verhältnis<br />

durch die Schuldrechtsmodernisierung umgekehrt worden. Der<br />

Regelfall der Verjährung ist nunmehr die Hemmung.<br />

Ablaufhemmung<br />

(§§ 210, 211 BGB)<br />

Beeinflussung der Verjährung<br />

von Ansprüchen<br />

Hemmung (Regelfall)<br />

– u.a.<br />

§§ 203, 204; s.<br />

auch § 209 BGB<br />

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Neubeginn -<br />

§ 212 BGB


Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

98<br />

______________________________________________________________<br />

b) Die einzelnen Hemmungstatbestände<br />

Die einzelnen Hemmungstatbestände finden sich in §§ 203 ff.<br />

BGB. Bedeutsamste Vorschrift ist § 204 BGB. Dort findet sich in<br />

Nr. 1 die Klageerhebung sowie in Nr. 3 die Zustellung eines<br />

Mahnbescheides als besonders wichtige Fälle der Hemmung.<br />

Praktisch von größerer Relevanz ist daneben § 204 Abs. 1 Nr. 7<br />

BGB (Zustellung des Antrags auf Durchführung eines selbstän-<br />

digen Beweisverfahrens nach §§ 485 ff. ZPO).<br />

c) Die Fälle der Ablaufhemmung<br />

Fälle der Ablaufhemmung enthalten §§ 210, 211 BGB. In § 210<br />

BGB ist die Ablaufhemmung bei nicht Vollgeschäftsfähigen be-<br />

stimmt, § 211 BGB befasst sich mit der Ablaufhemmung in Nach-<br />

lassfällen.<br />

d) Fälle des Neubeginns der Verjährung<br />

Nach § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB beginnt die Verjährung erneut,<br />

wenn der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch<br />

durch Abschlagszahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder<br />

in anderer Weise anerkennt. Unter einem Anerkenntnis im Sinne.<br />

dieser Bestimmung ist das rein tatsächliche Verhalten des<br />

Schuldners gegenüber dem Gläubiger, aus dem sich das Be-<br />

wusstsein vom Bestehen des Anspruchs unzweideutig ergibt, zu<br />

verstehen. Einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung bedarf es<br />

nicht. Das Anerkenntnis ist eine sog. geschäftsähnliche Hand-<br />

lung, deren Rechtsfolgen unabhängig vom Willen des Schuld-<br />

ners eintreten. Ein wirksames Anerkenntnis setzt Geschäftsfä-<br />

higkeit voraus.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

99<br />

______________________________________________________________<br />

Beispiele für Anerkennungshandlungen: Stundungsge-<br />

such; Saldenbestätigung; Bitte um wohlwollende Prüfung der<br />

wirtschaftlichen Lage; Hergabe eines Wechsels oder<br />

Schecks; Erklärung, zur Abgabe eines Anerkenntnisses<br />

grundsätzlich bereit zu sein; die Aufrechnung gegenüber ei-<br />

ner unbestrittenen Forderung.<br />

3. Rechtsfolgen der Verjährung<br />

Nach § 214 Abs. 1 BGB ist der Schuldner nach dem Eintritt der<br />

Verjährung berechtigt, die Leistung zu verweigern. Damit handelt<br />

es sich bei der Verjährung wie bisher um eine im Prozess zu er-<br />

hebende Einrede, die den Bestand des Anspruchs unberührt<br />

lässt und diesen dauerhaft hemmt, vgl. o.<br />

Nach § 218 S. 1 BGB ist der Rücktritt wegen nicht oder nicht ver-<br />

tragsgemäß erbrachter Leistung unwirksam, wenn der Anspruch<br />

auf die Leistung oder der Nacherfüllungsanspruch verjährt ist<br />

und der Schuldner sich hierauf beruft. Hintergrund für diese Re-<br />

gelung ist der Umstand, dass das Schuldrechtsmodernisierungs-<br />

gesetz die Wandlung (nach bisherigem Recht ein Anspruch) zu<br />

einem Rücktrittsrecht und dadurch zu einem an sich unverjährba-<br />

ren Gestaltungsrecht gemacht hat. Der „neue“ § 218 BGB stellt<br />

sicher, dass der Verkäufer (Unternehmer) sich trotz dieser Ände-<br />

rung in der rechtlichen Konstruktion wie bisher auf Verjährung<br />

berufen kann, wenn der Käufer (Besteller) sich nach Ablauf der<br />

Verjährungsfrist wegen eines Mangels vom Vertrag lösen will. Er<br />

begründet ein Einrederecht, dass in seinen Voraussetzungen der<br />

Einrede der Verjährung gleich steht.<br />

II. Vorübergehende Einrede des nicht erfüllten Vertra-<br />

ges (§§ 320 Abs. 1 S. 1, 322 Abs. 1 BGB; s. auch § 273 BGB)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

100<br />

______________________________________________________________<br />

G. Zusammenfassung<br />

Prüfungsschema 12:<br />

Abschluss schuldrechtlicher Verträge<br />

A. Wirksames Angebot<br />

I. Wirksame Willenserklärung<br />

1. Handlungswille<br />

<strong>2.</strong> Erklärungswille<br />

3. Geschäftswille<br />

II. Abgabe<br />

III. Zugang (§§ 130–132 BGB)<br />

IV. Wirksamkeit des Angebots (§§ 104 ff. BGB)<br />

1. Nichtigkeit<br />

a) Geschäftsunfähigkeit (§§ 104, 105 BGB)<br />

aa) Geschäftsunfähigkeit gegeben?<br />

bb) Gesetzliche Vertretung (v.a. §§ 1629 ff. BGB)<br />

b) Beschränkte Geschäftsfähigkeit (§ 106 BGB)<br />

aa) Beschränkte Geschäftsfähigkeit gegeben? § 107 BGB<br />

bb) Zustimmung des gesetzlichen Vertreters?<br />

c) Scherz- und Scheinerklärung: §§ 117, 118 BGB<br />

d) Formnichtigkeit, § 125 BGB<br />

e) Gesetzesverstoß, § 134 BGB<br />

f) Sittenverstoß, § 138 BGB<br />

<strong>2.</strong> Anfechtung<br />

V. Inhalt: § 133 BGB (Achtung: Für den Inhalt ist der Emp-<br />

fängerhorizont entscheidend!)<br />

B. Wirksame Annahme<br />

I. Wirksame Willenserklärung, s.o.<br />

II. Abgabe und Zugang: § 130 BGB<br />

Willensbetätigung in § 151 BGB; u.U. auch Schweigen als<br />

Annahme (Ausnahme!)<br />

III. Rechtzeitigkeit der Annahme? §§ 146–150 BGB<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

101<br />

______________________________________________________________<br />

IV. Konsequenz? Erforderlich ist u.U. Auslegung der Annah-<br />

meerklärung (Dissens / Konsens / offener Dissens / ver-<br />

steckter Dissens, §§ 154 f. BGB)<br />

V. Wirksamkeit der Annahme, s.o.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

102<br />

______________________________________________________________<br />

3. <strong>Kapitel</strong>: Das Recht der<br />

Leistungsstörungen<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

103<br />

______________________________________________________________<br />

3. <strong>Kapitel</strong>: Das Recht der Leistungsstörungen<br />

� Lernhinweis: Das Recht der Leistungsstörungen hat sich<br />

durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2002 in bedeut-<br />

samen Teilen gegenüber der bisherigen Rechtslage verändert.<br />

Soweit dies aus methodischen Gründen notwendig ist, werden<br />

die bisherige und die jetzt geltende Rechtslage dargestellt<br />

A. Einleitung<br />

� Lernhinweis: Das Recht der Leistungsstörungen gehört seit<br />

jeher zu den prüfungsrelevanten Themenbereichen. Hier heißt<br />

es, gut gerüstet zu sein. Nach meiner Erfahrung reicht es nicht,<br />

wenn Sie die nachfolgenden Ausführungen lediglich einmal<br />

durchlesen!<br />

I. Zum Begriff der Leistungsstörung<br />

Eine Leistungsstörung liegt immer dann vor, wenn das Ziel der<br />

ordnungsgemäßen Befriedigung des Gläubigers ganz oder teil-<br />

weise misslingt. Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszuge-<br />

hen:<br />

• Durch die freiwillige Vereinbarung zwischen Schuldner und<br />

Gläubiger kommt es zum Entstehen eines (vertraglichen)<br />

Schuldverhältnisses (= Verhältnis von Rechten und Pflichten<br />

zwischen mindestens zwei Personen). Davon zu unterschei-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

104<br />

______________________________________________________________<br />

den ist das gesetzliche Schuldverhältnis (z.B. nach § 823<br />

Abs. 1 BGB durch Begehung einer unerlaubten Handlung).<br />

• Kraft des Schuldverhältnisses ist der Schuldner verpflichtet,<br />

an den Gläubiger die geschuldete(n) Leistung(en) zu bewir-<br />

ken, d.h. der Schuldner muss durch Erfüllung (vgl. § 362 Abs.<br />

1 BGB) das Schuldverhältnis zum Erlöschen bringen (rechts-<br />

technische Konsequenz: Der Anspruch geht durch Erfüllung<br />

unter, dem Schuldner steht gegenüber dem Gläubiger eine<br />

sog. rechtsvernichtende Einwendung zu – vgl. o.).<br />

• Die Einzelheiten dessen, was der Schuldner zu leisten hat,<br />

ergeben sich aus den zwischen Schuldner und Gläubiger ge-<br />

troffenen Vereinbarungen (vertragliches Schuldverhältnis).<br />

Dabei ist generell für sog. Gattungsschulden (= Leistungsge-<br />

genstände, die nur ihrer Gattung sowie u.U. noch nach<br />

Stückzahl, Menge oder Gewicht bestimmt sind) ergänzend<br />

§ 243 Abs. 1 BGB zu beachten. Danach hat der Schuldner<br />

einer Gattungssache eine solche von „mittlerer Art und Güte“<br />

zu leisten.<br />

II. Das System der Leistungsstörungen (hier: Allgemeines<br />

Schuldrecht)<br />

Sowohl das vertragliche als auch das gesetzliche Schuldverhält-<br />

nis verfolgen das Ziel der ordnungsgemäßen Befriedigung des<br />

Gläubigers. Erst wenn der Gläubiger von dem Schuldner alles<br />

erhalten hat, wozu Letzterer kraft eines wirksam bestehenden<br />

Schuldverhältnisses verpflichtet ist, erlischt das Schuldverhältnis,<br />

§ 362 Abs. 1 BGB, vgl. o..<br />

Da die Widrigkeiten des Lebens zahlreich sind, kann es durch-<br />

aus geschehen, dass das Ziel des Schuldverhältnisses, nämlich<br />

die Befriedigung des Gläubigers, nicht erreicht, die Erbringung<br />

der geschuldeten Leistung „gestört“ wird.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

105<br />

______________________________________________________________<br />

Hierbei ist in mehrfacher Hinsicht zu unterscheiden:<br />

1. Was ist passiert?<br />

Zunächst ist zu fragen, um welche Art der Störung es sich über-<br />

haupt handelt. Eine Vereitelung der Erfüllung der Pflicht(en) des<br />

Schuldners kann gegeben sein, wenn<br />

• die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht (mehr) mög-<br />

lich ist, sog. Unmöglichkeit,<br />

• die Leistung verspätet erfolgt, sog. Verzug,<br />

• die Leistung „nicht wie geschuldet“ erbracht wird, vgl. § 281<br />

Abs. 1 S. 1 BGB, die sog. Schlechterfüllung<br />

υ Achtung: Ander dieser Einteilung (Unmöglichkeit / Schuldner-<br />

verzug / positive Vertragsverletzung) hat sich durch das neue<br />

Schuldrecht nichts geändert, auch wenn die Leistungsstörungen<br />

nunmehr durch den Begriff der „Pflichtverletzung“ (s. v.a. § 280<br />

Abs. 1 BGB) umfasst werden. Letzten Endes lässt sich die alte<br />

Dreiteilung der Leistungsstörungen aber weiter verwenden (Me-<br />

dicus, Bürgerliches Recht, 19. A. 2002, RN 238).<br />

<strong>2.</strong> Wer war`s?<br />

Weiter ist zu unterscheiden, wodurch die Vereitelung der Befrie-<br />

digung des Gläubigers verursacht wurde:<br />

• Lag es an einem verantwortlichen Verhalten des Schuldners<br />

selbst?<br />

• Führte ein verantwortliches Handeln des Gläubigers zu der<br />

Störung der Leistung?<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

106<br />

______________________________________________________________<br />

• Waren andere Umstände ursächlich für das Nichteintreten<br />

des Leistungserfolges (Leistungsstörung, die von nieman-<br />

dem/von beiden Seiten zu vertreten ist)?<br />

3. Die Bestrafung der Schuldigen<br />

Hat man eine Störung im Schuldverhältnis festgestellt, ist<br />

schließlich zu fragen, welche Rechte dem Gläubiger (u.U. auch<br />

dem Schuldner) zustehen, ob und gegebenenfalls wie der<br />

Schuldner/Gläubiger zu „bestrafen“ ist.<br />

Was die möglichen Rechte des Gläubigers betrifft, so kommen<br />

hierbei in erster Linie in Betracht:<br />

• Befreiung des Schuldners von seiner Primärleistungspflicht, § 275<br />

BGB.<br />

• Verpflichtung des Schuldners statt oder neben der primär geschul-<br />

deten Leistung einen andere Leistung (v.a. Schadenersatz) erbrin-<br />

gen zu müssen, §§ 278-292, 311 a II 1 BGB).<br />

Bei der Berechnung des Schadensersatzanspruches sind vor allem<br />

§§ 249 ff. BGB zu beachten (bitte §§ 249–255 BGB sorgfältig le-<br />

sen!).<br />

• Möglichkeit des Rücktritts vom gegenseitigen Vertrag (§§ 323-326<br />

BGB). Dadurch werden die noch nicht erfüllten Leistungspflichten<br />

beseitigt. Etwaig schon Geleistetes kann zurückgefordert werden,<br />

§§ 346 ff. BGB.<br />

Befreiung von<br />

der Primärleistungspflicht<br />

Übersicht: (Mögliche) Rechtsfolgen einer<br />

Leistungsstörung<br />

Statt der<br />

primär geschuldeten<br />

Leistung<br />

Verpflichtung zur<br />

Erbringung einer anderen<br />

Leistung, v.a.<br />

Schadensersatz<br />

Neben der<br />

primär geschuldeten<br />

Leistung<br />

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Rücktritt vom<br />

gegenseitigen<br />

Vertrag<br />

Rückforderung<br />

des<br />

schon Geleisteten


Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

107<br />

______________________________________________________________<br />

� Achtung: Der Gesetzgeber hat ein Gesetz zur Änderung<br />

schadensersatzrechtlicher Vorschriften verabschiedet. Das Ge-<br />

setz ist zum 01.08.2002 in Kraft treten. Es enthält die folgenden<br />

wesentlichen Neuerungen (Einzelheiten s. in einem der folgen-<br />

den <strong>Kapitel</strong>):<br />

_ Verbesserung der Rechtsstellung von Kindern bei Unfällen<br />

im Straßen- und Bahnverkehr. Grundsätzlicher Aus-<br />

schluss der Haftung und des Mitverschuldens von Kindern<br />

unter 10 Jahren.<br />

_ Haftungsausschluss des Kraftfahrzeug-Halters und des<br />

Bahnbetriebsunternehmers nur noch bei „höherer Gewalt“.<br />

_ Einführung eines allgemeinen Anspruchs auf Schmer-<br />

zensgeld, der über die bereits jetzt erfasste außervertrag-<br />

liche Verschuldenshaftung hinaus auch die Gefährdungs-<br />

haftung und die Vertragshaftung mit einbezieht.<br />

_ Begrenzung des Schmerzensgeldanspruches – mit Aus-<br />

nahme der Vorsatzhaftung – auf Schäden, die unter Be-<br />

rücksichtigung ihrer Art und Dauer nicht unerheblich sind<br />

_ Änderung der Sachschadensabrechnung<br />

_ Ausweitung der Kraftfahrzeug-Halterhaftung auf unentgelt-<br />

lich beförderte Fahrzeuginsassen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

108<br />

______________________________________________________________<br />

B. Überblick über die gesetzlichen Regelungen des<br />

Leistungsstörungsrechts nach allgemeinem<br />

Schuldrecht<br />

� Achtung: Nachfolgend wird die gesetzliche Lage unter Be-<br />

rücksichtigung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes dar-<br />

gestellt. Dieses gilt seit 01.01.2002 für alle seit diesem Zeitpunkt<br />

verabredeten Verträge.<br />

I. Die Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 BGB<br />

Im Mittelpunkt des Leistungsstörungsrechts nach allgemeinem<br />

Schuldrecht steht<br />

§ 280 Abs. 1 BGB.<br />

Diese Bestimmung sieht für jeden Fall einer schuldhaften Pflicht-<br />

verletzung einen Schadenersatzanspruch vor.<br />

Der Begriff „Pflichtverletzung“ ist ein Oberbegriff. Er erfasst sämt-<br />

liche Leistungsstörungen (vgl. o.).<br />

§ 280 Abs. 1 BGB ist Anspruchsgrundlage für<br />

Beispiele:<br />

„einfachen“ Schadensersatz.<br />

_ Ersatz von Schäden, die aus einer Verletzung von Sorg-<br />

falts- oder Aufklärungspflichten herrühren.<br />

_ Schäden, die durch die Verletzung von Verkehrssiche-<br />

rungspflichten entstanden sind.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

109<br />

______________________________________________________________<br />

Von dem einfachen Schadensersatz i.S.d. § 280 Abs. 1 BGB ist<br />

der<br />

Schadensersatz statt der Leistung<br />

zu unterscheiden. Bei dem Schadensersatz statt der Leistung<br />

handelt es sich um den früheren Schadensersatz wegen Nichter-<br />

füllung. Wird ein solcher verlangt, müssen zusätzliche Voraus-<br />

setzungen erfüllt sein, vgl. §§ 280 Abs. 3, 281, 282, 283 BGB.<br />

Begehrt der Gläubiger Ersatz des<br />

Verzögerungsschadens<br />

(Schadensersatz neben der Leistung), so ist dies nach § 280<br />

Abs. 2 BGB nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des<br />

§ 286 BGB möglich.<br />

II. § 280 BGB als umfassende Regelung des Scha-<br />

densersatzes<br />

Die zahlreichen, sowohl im allgemeinen wie auch im besonderen<br />

Schuldrecht bis Ende 2001 geregelten Schadensersatznormen<br />

fallen als jeweils eigenständige Anspruchsgrundlagen weg und<br />

werden durch § 280 BGB ersetzt. Dies gilt auch für die (bislang<br />

lediglich gewohnheitsrechtlich anerkannte) c.i.c. (culpa in contra-<br />

hendo – vgl. o.), die nunmehr in § 311 BGB eine gesetzliche Re-<br />

gelung erfährt.<br />

� Achtung: § 311 Abs. 2, 3 BGB regeln lediglich das vorvertrag-<br />

liche Schuldverhältnis an sich. Anspruchsgrundlage im Falle ei-<br />

ner Pflichtverletzung bleibt stets § 280 BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

110<br />

______________________________________________________________<br />

Zusammenfassung: Einheitliche Regelung des Schadenser-<br />

satzes in § 280 BGB<br />

1. Einfacher Schadensersatz (§ 280 Abs. 1 BGB)<br />

<strong>2.</strong> Verzögerungsschaden (§§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB): § 280<br />

Abs. 1 BGB bleibt auch für den Verzögerungsschaden Anspruchsgrundlage.<br />

Die Norm wird aber nach § 280 Abs. 2 BGB<br />

durch § 286 BGB ergänzt. Danach setzt der Ersatz des Verzögerungsschadens<br />

Verzug i.S.d. § 286 BGB voraus.<br />

3. Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 Abs. 1, Abs. 3,<br />

281, 282, 283 BGB): Macht der Gläubiger Schadenersatz statt<br />

der Leistung geltend, knüpft das Gesetz wegen der stärkeren<br />

Belastung des Schuldners hieran weitere Voraussetzungen:<br />

a) Schadensersatz wegen Verzuges oder Schlechtleistung<br />

(§§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB): Schadenersatz statt der<br />

Leistung kann der Gläubiger in diesen Fällen grundsätzlich erst<br />

dann geltend machen, wenn er dem Schuldner eine Nachfrist<br />

zur ordnungsgemäßen Erfüllung gesetzt hat und diese Frist erfolglos<br />

verstrichen ist.<br />

b) Schadensersatz wegen Verletzung einer sonstigen Pflicht<br />

(§§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 282 BGB): Verletzt der Schuldner eine<br />

Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB (sog. Schutzpflicht), d.h. eine<br />

Pflicht, die nichts mit der geschuldeten Leistung selbst zu tun<br />

hat, so kann der Gläubiger die weitere Erfüllung ablehnen und<br />

Schadenersatz statt der Leistung verlangen, wenn die Pflichtverletzung<br />

einen Grad angenommen hat, angesichts dessen<br />

dem Gläubiger ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet<br />

werden kann. Mangels Anspruchs auf die Leistung ist eine<br />

Fristsetzung hier überflüssig. Da der Schuldner, der eine Pflicht<br />

aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt, „nicht wie geschuldet“ leistet,<br />

besteht an sich für § 282 BGB neben § 281 BGB kaum Bedürfnis.<br />

Er ist überflüssig, aber unschädlich (Palandt-Heinrichs,<br />

BGB, 6<strong>2.</strong> Aufl. 2003, § 282, RN 2).<br />

c) Schadensersatz statt der Leistung bei Ausschluss der Leistungspflicht<br />

(§§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB): Hier ist der<br />

Schuldner nach § 275 Abs. 1 kraft Gesetzes oder nach<br />

§§ 275 Abs. 2 oder Abs. 3 BGB aufgrund Einrede von seiner<br />

Pflicht zur Leistung frei geworden, vgl. o.. In diesen Fällen kann<br />

der Gläubiger sodann Schadensersatz verlangen, wenn der<br />

Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat. Eine Fristsetzung<br />

mit Ablehnungsandrohung ist nicht notwendig. Dies ergibt<br />

sich für § 275 Abs. 1 BGB unschwer aus dem Umstand,<br />

dass eine Leistungspflicht nicht besteht. Gleiches gilt aber auch<br />

für § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB, da der Schuldner durch Geltendmachung<br />

der Einrede erklärt hat, er werde nicht leisten.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

111<br />

______________________________________________________________<br />

Prüfungsschema 13: Schadenersatz nach § 280 Abs. 1 BGB<br />

1. Vorliegen eines Schuldverhältnisses<br />

a) Vertragliches Schuldverhältnis oder<br />

b) gesetzliches Schuldverhältnis oder<br />

c) vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2, 3 BGB)<br />

<strong>2.</strong> Begehen einer Pflichtverletzung<br />

a) Verletzung von Sorgfalts-, Schutz- oder Obhutspflichten,<br />

vgl. § 241 Abs. 2 BGB<br />

b) Verletzung von Aufklärungs- oder Beratungspflichten<br />

c) Verletzung sonstiger Nebenpflichten (beispielsweise<br />

Pflicht zur Verschwiegenheit)<br />

3. Vertretenmüssen<br />

a) Grundsatz 1: Vertretenmüssen des Schuldners wird nach<br />

§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB widerlegbar vermutet (Ausnahme<br />

z.B. nach § 619 a BGB für Haftung des Arbeitnehmers!)<br />

b) Grundsatz 2: Schuldner haftet nach §§ 276, 278 BGB für<br />

Vorsatz und Fahrlässigkeit durch Fehlverhalten in eigener<br />

Person sowie bei Fehlverhalten von Erfüllungsgehilfen<br />

c) Ausnahmen zu o. a), b) v.a.:<br />

aa) Übernahme einer Garantie i.S.d. § 276 BGB<br />

bb) Schuldnerverzug, § 287 S. 2, 1. Halbsatz BGB<br />

cc) Übernahme eines Beschaffungsrisikos i.S.d. § 276 BGB<br />

dd) Gesetzliche Milderungen des Haftungsmaßstabes (bei-<br />

spielsweise §§ 521, 599 BGB)<br />

4. Schaden<br />

5. Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

112<br />

______________________________________________________________<br />

III. Das Rücktrittsrecht<br />

§§ 323, 324, 326 Abs. 5 BGB bestimmen ein von dem Vertre-<br />

tenmüssen unabhängiges Rücktrittsrecht.<br />

Der Gläubiger kann nach § 325 BGB vom Vertrag zurücktreten<br />

und Schadensersatz verlangen. Mit der Regelung in § 325 BGB<br />

wurde eine in der Vergangenheit (d.h. vor der Reform des<br />

Schuldrechts) bestehende Unbilligkeit beseitigt, die dann ent-<br />

stand, wenn vorschnell der Rücktritt erklärt wurde, da nach dem<br />

bis 31.1<strong>2.</strong>2001 geltenden Recht das Prinzip entweder (Scha-<br />

densersatz) oder (Rücktritt) galt.<br />

IV. Gesetzliche Regelung bis 31.1<strong>2.</strong>2001 richterrecht-<br />

lich abgeleiteter Rechtsinstitute seit 2002<br />

1. Wegfall bzw. Störung der Geschäftsgrundlage<br />

§ 313 BGB enthält eine Regelung des Rechtsinstituts des Weg-<br />

falls der Geschäftsgrundlage. Die Bezeichnung als „Störung“<br />

liegt in dem Umstand begründet, dass auch solche Fälle erfasst<br />

sein sollen, bei denen die Geschäftsgrundlage von Anfang an<br />

fehlte.<br />

Bis zur Änderung des Gesetzes durch die Schuldrechtsmoderni-<br />

sierung ging man überwiegend davon aus, dass eine mit Hilfe<br />

des Rechtsinstituts gesuchte Vertragsanpassung kraft Gesetzes<br />

eintrete. Dies ist nach dem Wortlaut von § 313 BGB nun nicht<br />

mehr der Fall, denn die Bestimmung spricht ausdrücklich von ei-<br />

nem Anspruch auf Vertragsanpassung.<br />

Nach § 313 Abs. 3 BGB kann die Störung der Geschäftsgrundla-<br />

ge auch zur Auflösung des Vertrages führen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

113<br />

______________________________________________________________<br />

<strong>2.</strong> Verschulden bei Vertragsschluss und positive Ver-<br />

tragsverletzung<br />

Durch die Einfügung von § 241 Abs. 2 BGB durch das Schuld-<br />

rechtsmodernisierungsgesetz ist klargestellt, dass sich aus ei-<br />

nem Schuldverhältnis für die Beteiligten auch Sorgfaltspflichten<br />

im Hinblick auf die Rechte und Rechtsgüter des anderen Teiles<br />

ergeben können. Damit sind diese Nebenpflichten als eine<br />

Grundlage der bislang lediglich richterrechtlich bestimmten posi-<br />

tiven Vertragsverletzung nunmehr im Gesetz verankert.<br />

Gleiches gilt im Ergebnis für die culpa in contrahendo. Hier findet<br />

sich eine gesetzliche Regelung in § 311 Abs. 2, 3 BGB.<br />

� Achtung: Anspruchsgrundlage für Schadenersatzansprüche<br />

in den Fällen der culpa in contrahendo sowie der Schlechterfül-<br />

lung ist § 280 BGB, vgl. o.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

114<br />

______________________________________________________________<br />

C. § 280 BGB (u.a.): Details zur Pflichtverletzung im<br />

Schuldverhältnis<br />

I. Grundlegende Voraussetzungen der Norm<br />

§ 280 Abs. 1 BGB kennt drei wesentliche Voraussetzungen:<br />

• Schuldverhältnis<br />

• Pflichtverletzung<br />

• Verschulden<br />

Mit „Schuldverhältnis“ spricht § 280 Abs.1 S. 1 BGB in erster Li-<br />

nie Verträge an. Gemeint sind aber auch gesetzliche Schuldver-<br />

hältnisse (z.B. als Folge einer unerlaubten Handlung, vgl. u.a.<br />

§ 823 Abs. 1 und 2, 826 BGB).<br />

Nach der gesetzlichen Regelung kommt es auf die Art der<br />

Pflichtverletzung nicht an. Die bislang im Gesetz nicht veranker-<br />

ten Rechtsinstitute der positiven Vertragsverletzung und der cul-<br />

pa in contrahendo sind erfasst, vgl. o.<br />

§ 280 Abs. 1 BGB enthält zudem eine Anspruchsgrundlage für<br />

den Verzögerungsschaden, der bislang einer gesonderte Norm<br />

über den Schuldnerverzug zugeordnet war. Zu beachten ist aber,<br />

dass nach § 280 Abs. 2 BGB unverändert die Voraussetzungen<br />

des Verzuges (§ 286 BGB) gegeben sein müssen (s.o.). An-<br />

spruchsgrundlage bleibt – auch für den Verzögerungsschaden -<br />

§ 280 Abs. 1 BGB.<br />

§ 280 Abs. 1 BGB erfasst die Fälle des Schadenersatzes wegen<br />

Unmöglichkeit, § 275 BGB. Auch hierbei handelt es sich um eine<br />

Pflichtverletzung i.S.d. Norm.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

115<br />

______________________________________________________________<br />

II. Das Vertretenmüssen des Schuldners (§ 280 Abs. 1<br />

S. 2 BGB)<br />

Grundfall des Vertretenmüssens ist das eigene Verschulden des<br />

Schuldners, mithin Vorsatz oder Fahrlässigkeit, vgl. § 276 Abs. 1<br />

S. 1, Abs. 2 BGB.<br />

Ein Vertretenmüssen kann aber auch ohne eigenes Verschulden<br />

des Schuldners gegeben sein. So regelt § 276 Abs. 1 S. 1, <strong>2.</strong><br />

Halbs. BGB, dass sich eine strengere oder mildere Haftung aus<br />

anderen Bestimmungen oder aus dem Inhalt des Schuldverhält-<br />

nisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder<br />

eines Beschaffungsrisikos durch den Schuldner ergeben kann,<br />

s.o..<br />

υ Beachte: Aufgrund des Vorerwähnten ergibt sich, dass streng<br />

genommen zwischen dem „Vertretenmüssen“ i.S.d. § 280 Abs. 1<br />

S. 1 und S. 2 BGB und dem „Verschulden“ zu unterscheiden ist.<br />

1. Sonderfall: Übernahme eines Beschaffungsrisikos<br />

Die Regelung des § 276 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach die Übernah-<br />

me eines Beschaffungsrisikos eine Schuld unabhängiger Haftung<br />

begründen kann, knüpft an den Rechtsgedanken des aufgeho-<br />

benen § 279 BGB a.F. (Unvermögen bei Gattungsschulden) an.<br />

Sie stellt aber nicht mehr auf die Gattungsschuld, sondern auf<br />

die vom Schuldner übernommene Beschaffungspflicht ab. Auch<br />

der Schuldner einer Stückschuld kann eine Beschaffungspflicht<br />

übernehmen. Hauptanwendungsfall bleibt aber die Gattungs-<br />

schuld (§ 243 BGB).<br />

Da der Schuldner einer Gattungsschuld nicht ein bestimmtes,<br />

sondern irgendein Stück der Gattung schuldet, ergibt sich schon<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

116<br />

______________________________________________________________<br />

aus dem Inhalt seiner Leistungspflicht – unabhängig von § 276<br />

Abs. 1 S. 1 BGB – das seine Schuld fortbesteht, solange die ge-<br />

schuldete Leistung beschafft werden kann. Das gilt aber nur für<br />

die sog. marktbezogene Gattungsschuld. Soll der Schuldner<br />

nach dem Inhalt des abgeschlossenen Vertrages aus seinem<br />

Vorrat liefern (Vorratsschuld), übernimmt er kein Beschaffungsri-<br />

siko.<br />

<strong>2.</strong> Sonderfall: Übernahme einer Garantie<br />

Die Vorschrift des § 276 Abs. 1 S. 1 BGB stellt klar, dass sich<br />

aus einer vom Schuldner übernommenen Garantie eine ver-<br />

schuldensunabhängige Einstandspflicht ergeben kann, aber nicht<br />

muss. Bei jeder Garantieübernahme muss ihr Inhalt durch Aus-<br />

legung (§§ 133, 157 BGB) ermittelt werden.<br />

Eine Garantie kann ausdrücklich oder stillschweigend übernom-<br />

men werden. Sie ist – in Anlehnung an die Rechtsprechung zu<br />

kaufvertraglich begründeten Zusicherungen – anzunehmen,<br />

wenn der Schuldner durch eine Erklärung, die Vertragsinhalt ge-<br />

worden ist, dem Gläubiger zu erkennen gibt, dass er für den Be-<br />

stand der garantierten Eigenschaft und alle Folgen ihres Fehlens<br />

einstehen will (vgl. BGHZ 132, 55, 58).<br />

3. Sonderfall: Geldschulden<br />

Gegenüber einem Anspruch auf Geld kann sich der Schuldner<br />

nicht auf § 275 BGB berufen. Kann der Schuldner eine Geld-<br />

schuld oder eine andere Leistungsverpflichtung wegen finanziel-<br />

ler Leistungsunfähigkeit nicht erfüllen, hat er die Nichterfüllung<br />

unabhängig von einem Verschulden zu vertreten. Die Rechtspre-<br />

chung hatte diesen Grundsatz früher aus dem durch das Schuld-<br />

rechtsmodernisierungsgesetz aufgehobenen § 279 BGB (Un-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

117<br />

______________________________________________________________<br />

vermögen bei Gattungsschulden) hergeleitet. Er ergibt sich aber<br />

bereits aus dem der Rechts- und Wirtschaftsordnung zugrunde-<br />

liegenden Prinzip unbeschränkter Vermögenshaftung.<br />

4. Beweislast für das Vertretenmüssen<br />

Grundsätzlich hat jede Partei die für sie günstigen Tatsachen zu<br />

beweisen. Dies würde bedeuten, dass derjenige, der einen An-<br />

spruch aus § 280 Abs. 1 BGB herzuleiten sucht, die Beweislast<br />

für das Vertretenmüssen zu tragen hat. Dadurch entstehen für<br />

den Anspruchssteller jedoch im Einzelfall kaum zu überwindende<br />

Beweisschwierigkeiten. Das Gesetz nimmt darauf Rücksicht und<br />

verlagert die Beweislast daher auf den Schuldner, wenn es in<br />

§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB heißt:<br />

„Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung<br />

nicht zu vertreten hat.“<br />

� Achtung: Für die übrigen Anspruchsvoraussetzungen des<br />

§ 280 Abs. 1 BGB gilt die erwähnte Beweislastregel des § 280<br />

Abs. 1 S. 2 BGB nicht. Es bleibt also bei dem Grundsatz, dass<br />

der Anspruchssteller für die ihm günstigen Anspruchsvorausset-<br />

zungen darlegungs- und beweisbelastet ist.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

118<br />

______________________________________________________________<br />

5. Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte<br />

a) Grundsätze<br />

§ 278 BGB stellt im Rahmen eines bestehenden Schuldverhält-<br />

nisses das Verschulden von gesetzlichen Vertretern und Erfül-<br />

lungsgehilfen dem eigenen Verschulden des Schuldners gleich.<br />

§ 278 BGB begründet damit eine Art von Erfolgshaftung (Pa-<br />

landt-Heinrichs, a.a.O., § 278, RN 1).<br />

§ 278 BGB selbst ist keine Anspruchsgrundlage, sondern eine<br />

Zurechnungsnorm.<br />

§ 278 BGB beruht auf dem Gedanken, dass der Schuldner ge-<br />

genüber dem Gläubiger für seinen Geschäfts- und Gefahrenkreis<br />

verantwortlich ist und das zu diesem auch die vom Schuldner<br />

eingesetzten Hilfspersonen gehören (BGH NJW 1996, 465). Wer<br />

den Vorteil der Arbeitsteilung in Anspruch nimmt, soll auch deren<br />

Nachteile tragen, nämlich das Risiko, dass der an seiner Stelle<br />

handelnde Gehilfe schuldhaft rechtlich geschützte Interessen des<br />

Gläubigers verletzt (BGHZ 95, 132; Palandt-Heinrichs, a.a.O.)<br />

b) Schuldverhältnis<br />

§ 278 BGB gilt nur im Rahmen bestehender Schuldverhältnisse.<br />

Dabei ist es unerheblich, ob es sich um ein vertragliches oder ein<br />

gesetzliches Schuldverhältnis handelt. Nicht ausreichend ist es,<br />

wenn erst durch die Handlung des Erfüllungsgehilfen oder des<br />

gesetzlichen Vertreters ein (gesetzliches) Schuldverhältnis ent-<br />

steht.<br />

Beispiel: Malermeister U lässt die Malerarbeiten an den Au-<br />

ßenwänden des Hauses von A durch seinen Gesellen B<br />

durchführen. Im Zuge dieser Arbeiten lässt B von dem Bau-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

119<br />

______________________________________________________________<br />

gerüst aus Unachtsamkeit einen Farbeimer umfallen, der den<br />

zufällig vorbeikommenden Passanten P verletzt.<br />

Es braucht U für die Verletzung von P nicht aus einem beste-<br />

henden Schuldverhältnis (hier: Werkvertrag nach § 631 BGB)<br />

einstehen; in Betracht kommt allenfalls eine Haftung des U nach<br />

§ 831 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />

Anders wäre der Fall allerdings zu beurteilen gewesen, wenn<br />

Auftraggeber A bei Durchführung der Arbeiten von B verletzt<br />

worden wäre, da zwischen U und A ein Schuldverhältnis i.S.d.<br />

§§ 631 ff. BGB (Werkvertrag) besteht.<br />

c) Begriff „Erfüllungsgehilfe“<br />

� Merke: Erfüllungsgehilfe ist jeder, der nach den tatsächlichen<br />

Gegebenheiten des Falles mit dem Willen des Schuldners bei<br />

der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine<br />

Hilfsperson tätig wird; auf ein soziales Abhängigkeitsverhältnis<br />

kommt es nicht an.<br />

Beispiele für Erfüllungsgehilfen: Subunternehmer im<br />

Rahmen eines Werkvertrages; Werkunternehmer, der vom<br />

Vermieter beauftragt wurde, die Wohnung des Mieters zu re-<br />

novieren.<br />

BGH NJW 1996, 451: Beschränkt sich die Tätigkeit eines Grundstücksmaklers<br />

auf das Anbieten reiner Maklerdienste ohne Einbindung<br />

in die Erfüllung von Haupt- oder Nebenpflichten einer Vertragspartei,<br />

kommt eine Zurechnung nach § 278 BGB nicht in Betracht.<br />

Ist einem Grundstücksmakler von einer der späteren Kaufvertragsparteien<br />

die Führung der wesentlichen Vertragsverhandlungen<br />

überlassen worden, so ist er von ihr im Regelfall zur Erfüllung<br />

der vorvertraglichen Sorgfaltspflichten herangezogen worden,<br />

und zwar auch dann, wenn ihm ein eigener Verhandlungsspielraum<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

120<br />

______________________________________________________________<br />

nicht eingeräumt worden ist; dies rechtfertigt die Anwendung des<br />

§ 278 BGB.<br />

d) Begriff „gesetzlicher Vertreter“<br />

Der Begriff „gesetzlicher Vertreter“ ist im weiteren Sinn des Han-<br />

delns mit Wirkung für andere zu verstehen. Darunter fallen ne-<br />

ben Inhabern der elterlichen Sorge u.a. der Vormund, der Be-<br />

treuer, Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter.<br />

� Achtung: § 278 BGB ist nicht auf verfassungsmäßig berufene<br />

Vertreter einer juristischen Person anwendbar. Diese sind Orga-<br />

ne (s. §§ 31, 89 BGB!).<br />

Für OHG und KG gilt grundsätzlich das selbe wie für juristische<br />

Personen.<br />

Die Anwendung von § 31 BGB analog auf die Gesellschaft bür-<br />

gerlichen Rechts war sehr umstritten (dafür nunmehr BGH, Urt.<br />

v. 24.<strong>2.</strong>2003, NJW 2003, 1445).<br />

e) Abgrenzung Erfüllungsgehilfe - Verrichtungsgehilfe<br />

Nicht miteinander zu verwechseln sind der Erfüllungsgehilfe<br />

(nach § 278 BGB) und der Verrichtungsgehilfe (nach § 831<br />

BGB).<br />

Zwar kann eine Person sowohl Erfüllungsgehilfe als auch Ver-<br />

richtungsgehilfe sein, gleichwohl kennen diese beiden Arten von<br />

Hilfspersonen jeweils andere Voraussetzungen und unterschei-<br />

den sich im Übrigen in rechtlicher Hinsicht vielfältig.<br />

§ 278 BGB ist – wie ausgeführt – eine Zurechnungsnorm, § 831<br />

Abs. 1 S. 1 BGB ist Anspruchsgrundlage.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

121<br />

______________________________________________________________<br />

Zu den weiteren Einzelheiten s.u. im <strong>Kapitel</strong> „Unerlaubte Hand-<br />

lung“.<br />

f) Weitere Einzelheiten<br />

Wesentlich ist, dass der Erfüllungsgehilfe/gesetzliche Vertreter in<br />

die Erbringung der dem Schuldner obliegenden Leistungshand-<br />

lung eingeschaltet worden ist.<br />

Beispiel: Der Malerlehrling des U streicht den Flur des A und<br />

zerstört dabei eine wertvolle Vase.<br />

Problem 1: Eine Haftung nach § 278 BGB scheidet dann aus,<br />

wenn der Erfüllungsgehilfe nur „bei Gelegenheit“ seiner Tätigkeit<br />

dem Gläubiger einen Schaden zufügt.<br />

Beispiel: Fall wie zuvor – nunmehr ergreift B die Gelegenheit<br />

und lässt bei A ein paar wertvolle Taschenuhren „mitgehen“.<br />

Hier fehlt es an dem notwendigen Zusammenhang zwischen der<br />

durch den Erfüllungsgehilfen eigentlich vorzunehmenden Hand-<br />

lung (hier: Anstreicherarbeiten) und der nur „anlässlich“ dieser<br />

Handlung weiterhin vorgenommenen Schädigungshandlung<br />

(hier: Diebstahl). Mithin haftet U für den durch den Diebstahl ein-<br />

getretenen Schaden grundsätzlich nicht über § 278 BGB (anders<br />

kann aber im Einzelfall dann zu entscheiden sein, wenn U eine<br />

Organisationspflichtverletzung/Aufsichtspflichtverletzung vorge-<br />

worfen werden kann).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

122<br />

______________________________________________________________<br />

� Merke: Der Schuldner hat nur dann für ein Fehlverhalten sei-<br />

nes Gehilfe einzustehen, wenn die Handlung des Gehilfen, wäre<br />

sie von dem Schuldner begangen worden, eine vertragsspezifi-<br />

sche Pflicht des Schuldners ist.<br />

Problem 2: Personen, die bei der Vorbereitung der Leistung des<br />

Schuldners tätig waren: Fraglich ist insoweit, ob die in der Her-<br />

stellungskette dem Endverbraucher näherstehenden Personen<br />

für ein Verschulden der entfernter stehenden Personen nach<br />

§ 278 BGB einzustehen haben.<br />

• Im Verhältnis zwischen dem Produkthersteller und dem<br />

Verkäufer ist eine Haftung des Verkäufers über § 278 BGB<br />

für ein schadenstiftendes Fehlverhalten des Produktherstel-<br />

lers abzulehnen.<br />

• Gleiches gilt im Verhältnis zwischen einem Bauunternehmer<br />

und dem Vorprodukthersteller: § 278 BGB findet keine An-<br />

wendung, wenn der Vorprodukthersteller einen bei dem<br />

Endabnehmer eingetretenen Schaden zu verantworten hat.<br />

g) Rechtsfolge § 278 BGB<br />

Das Verhalten des Gehilfen ist wie eigenes Verhalten des<br />

Schuldners zu beurteilen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

123<br />

______________________________________________________________<br />

h) Zusammenfassung (Prüfungsschema 14: Die Vorausset-<br />

zungen des § 278 BGB)<br />

Prüfungsschema 14: Voraussetzungen § 278 BGB<br />

1. Vorliegen eines bestehenden Schuldverhältnisses<br />

<strong>2.</strong> Gesetzlicher Vertreter/Erfüllungsgehilfe<br />

3. Schuldhaftes Handeln des gesetzlichen Vertre-<br />

ters/Erfüllungsgehilfen<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

124<br />

______________________________________________________________<br />

III. Die Unmöglichkeit der Leistung als Fall der Pflicht-<br />

verletzung i.S.d. § 280 BGB<br />

1. „Tatsächliche“ Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1<br />

BGB<br />

Die Neufassung des § 275 Abs. 1 BGB erfasst nunmehr, d.h.<br />

nach der Schuldrechtsmodernisierung folgende Formen der Un-<br />

möglichkeit:<br />

• Objektive und subjektive Unmöglichkeit<br />

• Anfängliche und nachträgliche Unmöglichkeit<br />

• Nicht zu vertretende und zu vertretende Unmöglichkeit<br />

• Teilweise und vollständige Unmöglichkeit<br />

Anders als in der bis zum 31.1<strong>2.</strong>2001 geltenden Fassung des<br />

Gesetzes ist der Fall der anfänglichen objektiven Unmöglich-<br />

keit nicht mehr mit der Nichtigkeit des Vertrages als Rechtsfolge<br />

verbunden, vgl. § 311 a Abs. 1 BGB. Es ist lediglich der An-<br />

spruch des Gläubigers auf Erfüllung ausgeschlossen.<br />

Nach § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf die Leistung aus-<br />

geschlossen, soweit die Leistung dem Schuldner oder jedermann<br />

unmöglich ist. Hinsichtlich der Gründe für die Unmöglichkeit er-<br />

gibt sich im Umkehrschluss aus § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB,<br />

dass § 275 Abs. 1 BGB nur die Fälle „wirklicher“ bzw. „tatsächli-<br />

cher“ Unmöglichkeit regelt, nicht dagegen die faktische sowie die<br />

moralische Unmöglichkeit (dazu ausführlicher u.).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

125<br />

______________________________________________________________<br />

a) Objektive und subjektive Unmöglichkeit<br />

Objektive Unmöglichkeit ist gegeben, wenn niemand die Leistung<br />

erbringen kann. Subjektive Unmöglichkeit (= Unvermögen) liegt<br />

vor, wenn dem Schuldner die Leistung nicht möglich, wohl aber<br />

die Leistungserbringung durch einen Dritten möglich ist.<br />

Beispiel: V veräußert dem K ein dem D gehörendes Kraft-<br />

fahrzeug. Dieses war dem D vor einigen Wochen gestohlen<br />

worden. Davon hatte K nichts gewusst.<br />

V kann K kein Eigentum an dem Kraftfahrzeug verschaffen,<br />

selbst dann nicht, wenn K gutgläubig i.S.d. § 932 BGB sein soll-<br />

te, da an gestohlenen Sachen kein Eigentum erworben werden<br />

kann, § 935 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Anspruch des K gegenüber V<br />

auf Erfüllung aus § 433 Abs. 1 BGB, wäre sodann nach § 275<br />

Abs. 1 BGB ausgeschlossen.<br />

� Achtung: Wäre D grundsätzlich bereit, das Kraftfahrzeug an<br />

V zu veräußern, so läge kein Fall der Unmöglichkeit nach § 275<br />

Abs. 1 BGB vor. Damit bestünde der Erfüllungsanspruch des K<br />

gegenüber V unverändert fort. Sodann käme es aber darauf an,<br />

ob der von D gegenüber V geforderte Kaufpreis so hoch ist, dass<br />

von V nicht mehr erwartet werden kann, dass er diesen Preis be-<br />

zahlt, um das Kraftfahrzeug an K übereignen zu können. Dies ist<br />

keine Frage des § 275 Abs. 1 BGB, sondern vielmehr des § 275<br />

Abs. 2 BGB, auf den sich V gegenüber K berufen müsste!<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

126<br />

______________________________________________________________<br />

b) Anfängliche und nachträgliche Unmöglichkeit<br />

Die Unterscheidung zwischen anfänglicher und nachträglicher<br />

Unmöglichkeit hängt von dem Zeitpunkt, zu dem die Unmöglich-<br />

keit eintritt, ab. Maßgebendes Kriterium ist der Zeitpunkt des Ver-<br />

tragsschlusses, vgl. § 311 a Abs. 1 BGB. Kann die geschuldete<br />

Leistung bereits im Zeitpunkt der Begründung des Schuldver-<br />

hältnisses nicht erbracht werden, ist ein Fall anfänglicher Un-<br />

möglichkeit gegeben.<br />

� Achtung: Der Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist für die Un-<br />

terscheidung zwischen anfänglicher und nachträglicher Unmög-<br />

lichkeit selbst dann entscheidend, wenn der Vertrag aufschie-<br />

bend bedingt oder befristet ist!<br />

c) Vollständige und teilweise Unmöglichkeit<br />

In den Fällen vollständiger Unmöglichkeit besteht ein Hindernis<br />

für die Leistung bezüglich der gesamten Leistung. Teilweise Un-<br />

möglichkeit dagegen führt dazu, dass der Schuldner hinsichtlich<br />

des noch möglichen Teiles leistungspflichtig bleibt, vgl. § 275<br />

Abs. 1 BGB („soweit“). Teilweise Unmöglichkeit kann nur bei teil-<br />

baren Leistungen vorliegen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

127<br />

______________________________________________________________<br />

d) Rechtsfolge des § 275 Abs. 1 BGB<br />

Das Vorliegen der Voraussetzungen von § 275 Abs. 1 BGB führt<br />

zum Fortfall der Leistungsverpflichtung des Schuldners kraft Ge-<br />

setzes, s.o..<br />

� Achtung: Das Vertretenmüssen der Unmöglichkeit ist für die<br />

Beurteilung der Verpflichtung zur Leistung hinsichtlich der Pri-<br />

märpflicht ohne Relevanz. Sowohl die nicht zu vertretende als<br />

auch die zu vertretende Unmöglichkeit schließen einen Anspruch<br />

auf Erbringung der primär geschuldeten Leistung aus. Der<br />

Grundsatz lautet:<br />

Niemand kann eine unmögliche Leistung fordern.<br />

e) Sonderfall: Vorübergehende Unmöglichkeit<br />

Fälle vorübergehender Unmöglichkeit zeichnen sich dadurch<br />

aus, dass die Leistung während eines bestimmten Zeitraumes<br />

nicht erbracht werden kann. Eine ausdrückliche gesetzliche Re-<br />

gelung hierüber gibt es nicht.<br />

Klassischer Fälle: Verhängung eines Embargos; Liefereng-<br />

pass<br />

Vorübergehende Leistungshindernisse stehen nach h.M. der<br />

dauernden Unmöglichkeit nur dann gleich, wenn<br />

• ein sog. absolutes Fixgeschäft vorliegt oder<br />

• wenn zur Zeit des Eintritts des Leistungshindernisses dessen<br />

Behebung nicht absehbar und dem Gläubiger ein weiteres<br />

Abwarten nicht zumutbar ist, vgl. § 242 BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

128<br />

______________________________________________________________<br />

_ Beim absoluten Fixgeschäft ist die Einhaltung der Leistungszeit<br />

derart zum Inhalt der Leistungsverpflichtung geworden, dass die<br />

Nichteinhaltung eines bestimmten Termins zur Unmöglichkeit der<br />

Leistung führt.<br />

Beispiel: Lieferung von Weihnachtsbäumen zum Weih-<br />

nachtsfest; das Taxi zum Bahnhof.<br />

� Achtung: Anders das sog. relative Fixgeschäft - § 323 Abs.<br />

2 Nr. 2 BGB und § 376 HGB (Fixhandelskauf): U.a. Entbehrlich-<br />

keit der Fristsetzung (Vorschriften bitte unbedingt nachlesen!).<br />

_ Bei den gem. § 242 BGB der endgültigen Unmöglichkeit<br />

gleichzustellenden Leistungshindernissen ist unter Berücksichti-<br />

gung sämtlicher Umstände und der Belange beider Parteien zu<br />

entscheiden, ob dem Gläubiger ein Abwarten zugemutet werden<br />

kann oder nicht. Bedeutung erlangt diese Unterscheidung v.a.<br />

deshalb, weil sich bei der vorübergehenden Unmöglichkeit die<br />

Abgrenzung zum bloßen Verzug stellt. Davon abhängig ist wie-<br />

derum die richtige Wahl der Anspruchsgrundlage:<br />

- Ist ein Fall der Unmöglichkeit gegeben, kann der Gläubiger<br />

Schadenersatz statt der Leistung nach §§ 280, 283 BGB gel-<br />

tend machen bzw. nach § 326 Abs. 5 BGB den Rücktritt er-<br />

klären, ohne dass dem Schuldner eine Frist zur Leistung ge-<br />

setzt werden müsste.<br />

- Ist das Recht der Unmöglichkeit nicht einschlägig, so ist ein<br />

Fall nicht bzw. nicht vertragsgemäßer Leistung gegeben. Hier<br />

ist dem Schuldner vor dem Verlangen nach Schadenersatz<br />

bzw. der Erklärung des Rücktritts nach § 281 Abs. 1 S. 1<br />

BGB bzw. § 323 Abs. 1 BGB eine angemessene Frist für die<br />

Leistung zu bestimmen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

129<br />

______________________________________________________________<br />

<strong>2.</strong> „Praktische“/„faktische“ Unmöglichkeit<br />

Nach § 275 Abs. 2 BGB kann der Schuldner die Leistung ver-<br />

weigern, sobald diese einen Aufwand erfordert, der unter Beach-<br />

tung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von<br />

Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leis-<br />

tungsinteresse des Gläubigers steht.<br />

Obwohl Abs. 2 im Gegensatz zu Abs. 1 des § 275 BGB als Ein-<br />

rede ausgestaltet ist, ist er ebenso wie Abs. 1 ein Schuldbefrei-<br />

ungsgrund.<br />

§ 275 Abs. 2 BGB ist eine eng auszulegende, nur in Extremfällen<br />

anwendbare Sondernorm (Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 275, RN<br />

27). Bei der Beurteilung des Vorliegens eines groben Missver-<br />

hältnisses sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichti-<br />

gen.<br />

Beispiele: Eine Anwendung von § 275 Abs. 2 BGB kommt in<br />

Betracht, wenn die Wiederherstellung einer beschädigten<br />

Mietsache offensichtlich grob unverhältnismäßige Kosten<br />

verursachen würde (BGH NJW-RR 1991, 204: Muldenkipper,<br />

Miete DM 10.380,00, Reparaturkosten DM 147.000,00; OLG<br />

Karlsruhe NJW-RR 1995, 849: Teilzerstörtes 200 Jahre al-<br />

tes Haus, umfangreiche Reparaturmaßnahmen, die einer<br />

Neuherstellung gleichstehen).<br />

Ein Verschulden des Schuldners kann den ihm zuzumutenden<br />

Aufwand erhöhen.<br />

� Achtung: Persönliche Interessen des Schuldners werden im<br />

Rahmen des § 275 Abs. 2 BGB nicht berücksichtigt. Der nach<br />

§ 275 Abs. 2 S. 1 BGB maßgebliche Aufwand ist allein am Leis-<br />

tungsinteresse des Gläubigers zu messen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

130<br />

______________________________________________________________<br />

Von § 275 Abs. 2 S. 1 BGB werden die Fälle der sog. „wirtschaft-<br />

lichen“ Unmöglichkeit i.S. einer bloßen Leistungserschwerung für<br />

den Schuldner nicht erfasst. Hierbei kann es sich im Einzelfall<br />

um einen solchen handeln, der nach den Grundsätzen des Weg-<br />

falls der Geschäftsgrundlage zu behandeln ist (s. dazu § 313<br />

BGB).<br />

3. „Moralische“ Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 3 BGB)<br />

Hat der Schuldner Leistungen aufgrund eines Arbeits-, Dienst-<br />

oder Werkvertrages persönlich zu erbringen, übernimmt § 275<br />

Abs. 3 BGB die Funktion von § 275 Abs. 2 BGB. Abgesehen von<br />

den Unterschieden beim Anwendungsbereich gelten die darge-<br />

stellten Grundsätze des Abs. 2 auch für Abs. 3 von § 275 BGB.<br />

Ergibt eine Abwägung des entgegenstehenden Hindernisses mit<br />

dem Leistungsinteresse des Gläubigers, dass die Leistung dem<br />

Schuldner nicht zugemutet werden kann, so wird dieser auf Ein-<br />

rede von seiner Leistungspflicht frei.<br />

Beispiele: Tod oder schwere Erkrankung eines nahen Ange-<br />

hörigen; Behinderung des Weges zur Arbeit durch widrige<br />

Wetterverhältnisse.<br />

� Achtung: § 275 BGB bestimmt in den Absätzen 1-3 lediglich<br />

die Folge der Unmöglichkeit für die Primärpflicht des Schuldners.<br />

Damit fehlt es an einer Aussage, inwieweit der Schuldner Se-<br />

kundärpflichten ausgesetzt ist. Mit den Rechten des Gläubigers<br />

befassen sich die Absätze 1-3 des § 275 BGB nicht. § 275 Abs.<br />

4 BGB enthält lediglich sog. Rechtsgrundverweisungen auf inso-<br />

weit einschlägige Normen, die es noch zu behandeln gilt.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

131<br />

______________________________________________________________<br />

4. Konsequenzen von § 275 Absätze 1-3 BGB für die<br />

Gegenleistung im Rahmen gegenseitiger Verträge<br />

Bei gegenseitigen Verträgen stellt sich neben der Frage nach<br />

dem Schicksal der Leistung die nach den Konsequenzen des<br />

§ 275 BGB für die Gegenleistung. Hierfür ist § 326 BGB maß-<br />

geblich.<br />

• § 326 Abs. 1 S. 1 BGB: Braucht der Schuldner nach § 275<br />

Abs. 1–3 BGB nicht zu leisten, entfällt der Anspruch auf die<br />

Gegenleistung. Damit trägt der zu Leistung verpflichtete<br />

Schuldner im Falle der Unmöglichkeit die Preis- bzw. Gegen-<br />

leistungsgefahr bis zur vollständigen Erfüllung. Er wird zwar<br />

selbst von seiner Verpflichtung frei (§ 275 Abs. 1 BGB), erhält<br />

aber auch keine Gegenleistung.<br />

• Ausnahmen zu § 326 Abs. 1 S. 1 BGB: Zu der Regel des<br />

§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB gibt es Ausnahmen, wonach zu einem<br />

früheren Zeitpunkt die Preisgefahr auf den Gläubiger über-<br />

geht. Die wichtigsten Fälle sind:<br />

- § 326 Abs. 2 BGB<br />

- § 446 BGB<br />

- § 447 BGB<br />

- §§ 644, 645 BGB<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

132<br />

______________________________________________________________<br />

IV. Schuldnerverzug<br />

Eine Pflichtverletzung i.S.d. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB ist auch dann<br />

gegeben, wenn der Schuldner in den sog. Schuldnerverzug ge-<br />

rät, d.h. der Schuldner bleibt in zeitlicher Hinsicht hinter seinen<br />

Verpflichtungen aus dem Schuldverhältnis zurück.<br />

Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung ist nach § 280<br />

Abs. 2 BGB nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 286<br />

BGB zu leisten.<br />

Prüfungsschema 15: Voraussetzungen des Schuldnerverzu-<br />

ges<br />

1. Wirksamer Anspruch aus Schuldverhältnis<br />

<strong>2.</strong> Nichtleistung<br />

3. Fälligkeit<br />

4. Einredefreiheit<br />

5. Mahnung, wenn nicht<br />

a) Entbehrlichkeit (§ 286 Abs. 2 BGB)<br />

b) Ablauf von 30 Tagen (§ 286 Abs. 3 BGB)<br />

6. Vertretenmüssen<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

133<br />

______________________________________________________________<br />

V. Schlechterfüllung<br />

Ein weiterer Fall der Pflichtverletzung im Schuldverhältnis ist<br />

dann gegeben, wenn der Schuldner seine Leistung „nicht wie<br />

geschuldet“ erbringt. Der Schuldner bleibt hier qualitativ hinter<br />

der von ihm geschuldeten Leistung zurück. Fälle dieser Art nennt<br />

man Schlechterfüllung oder auch Schlechtleistung.<br />

Eine Leistungsstörung i.d.S. ist nur dann anzunehmen, wenn ei-<br />

ne Primärpflicht des Schuldners im Raum steht. „Nicht wie ge-<br />

schuldet“ bedeutet, dass dem Gläubiger ein Anspruch i.S. einer<br />

Primärleistung zugestanden haben muss.<br />

VI. Verletzung nicht leistungsbezogener Nebenpflich-<br />

ten<br />

Neben der Nichtleistung aus Gründen der Unmöglichkeit, des<br />

Schuldnerverzuges und der Schlechterfüllung kommt noch eine<br />

letzte Gruppe von Pflichtverletzungen in Betracht – die Verlet-<br />

zung „sonstiger“ Pflichten aus dem Schuldverhältnis i.S.d. § 241<br />

Abs. 2 BGB.<br />

Bei den „sonstigen Pflichten“ geht es um die Verletzung von<br />

nicht leistungsbezogenen Pflichten, auf deren Erfüllung der<br />

Gläubiger keinen Primäranspruch hat. Gemeint sind mit dieser<br />

Fallgruppe v.a. die Fälle, die man bis zum 31.1<strong>2.</strong>2001 als Fälle<br />

der c.i.c. und pVV begriffen hat.<br />

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1. c.i.c.<br />

Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

134<br />

______________________________________________________________<br />

Übersicht: Pflichtverletzungen i.S.d.<br />

Unmög-<br />

lichkeit § 280 Abs. 1 BGB<br />

Pflichtverletzungen (§ 280 Abs. 1 BGB)<br />

Schuldnerverzug <br />

Schlechterfüllung<br />

i.e.S.<br />

Verletzung<br />

„sonstiger“<br />

Pflichten<br />

§ 311 Abs. 2, 3 BGB i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB ist als Normierung<br />

des vor der Schuldrechtsreform lediglich gewohnheitsrechtlich<br />

anerkannten Rechtsinstituts der c.i.c. anzusehen.<br />

Nach § 311 Abs. 2 BGB kann ein Schuldverhältnis auch im vor-<br />

vertraglichen Bereich, d.h. vor Vertragsschluss entstehen.<br />

Mit Blick auf § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist zu beachten, dass es in-<br />

soweit nicht darauf ankommt, ob später ein Vertrag tatsächlich<br />

geschlossen wird oder nicht.<br />

Nach § 311 Abs. 3 S. 1 BGB kann ein Schuldverhältnis mit<br />

Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB auch mit solchen Personen zu-<br />

stande kommen, die selbst nicht Vertragspartei werden sollen.<br />

Damit sind insbesondere die Fälle der Eigenhaftung des Ver-<br />

treters oder sonstiger Verhandlungsgehilfen gemeint. Erfasst ist<br />

mithin auch die sog. Sachwalterhaftung. Bei Sachwaltern han-<br />

delt es sich um solche Personen, die wegen ihrer besonderen<br />

Sachkunde in hohem Maße das persönliche Vertrauen des an-<br />

deren Teils in Anspruch nehmen und diesem erst dadurch die<br />

Gewähr für eine ordnungsgemäße Durchführung insbesondere<br />

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<strong>2.</strong> pVV<br />

Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

135<br />

______________________________________________________________<br />

riskanter Geschäfte geben. Es handelt sich in erster Linie um die<br />

Haftung von Sachverständigen oder anderen Auskunftsperso-<br />

nen, die nicht selbst ein Eigeninteresse an dem Abschluss eines<br />

Vertrages haben, dennoch aber durch ihre Äußerungen maßgeb-<br />

lich zum Vertragsschluss beigetragen haben.<br />

� Achtung: § 311 Abs. 3 BGB erfasst nicht den Vertrag mit<br />

Schutzwirkung zu Gunsten Dritter (dazu später).<br />

Mit der Regelung von Schutzpflichten in § 241 Abs. 2 BGB ist<br />

bestimmt, dass sich aus einem Schuldverhältnis für die Beteilig-<br />

ten Sorgfaltspflichten mit Blick auf die Rechte und Rechtsgüter<br />

des anderen Teiles ergeben können. Die Verletzung solcher<br />

Pflichten kann Ansprüche aus § 280 BGB auslösen. Mithin ist die<br />

vor der Schuldrechtsreform lediglich gewohnheitsrechtlich akzep-<br />

tierte pVV gesetzlich verankert.<br />

D. Der Ersatz vergeblicher Aufwendungen (§ 284 BGB)<br />

An Stelle von Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläu-<br />

biger nach § 284 BGB Ersatz der Aufwendungen verlangen, die<br />

er im Vertrauen auf den Inhalt der Leistung gemacht hat und bil-<br />

ligerweise machen durfte.<br />

§ 284 BGB ist kein Schadensersatzanspruch, sondern ein Auf-<br />

wendungsersatzanspruch. Allerdings zeigt der Wortlaut („an Stel-<br />

le von Schadenersatz“), dass auch hier die Voraussetzungen<br />

vorliegen müssen, unter denen der Gläubiger Schadensersatz<br />

statt der Leistung verlangen kann. Dies sind entweder §§ 280<br />

Abs. 1, Abs. 3, 281 (= Verzögerung bzw. Schlechtleistung) oder<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

136<br />

______________________________________________________________<br />

§§ 280 Abs. 1, 3; 283 (= Ausschluss der Leistungspflicht nach<br />

§ 275 BGB wegen Unmöglichkeit).<br />

� Achtung: Ersatz vergeblicher Aufwendungen konnte der<br />

Gläubiger eines Schadensersatzanspruches nach bisherigen<br />

Recht nur verlangen, soweit zu seinen Gunsten eine sog. Ren-<br />

tabilitätsvermutung sprach. Danach hatte der Gläubiger, der<br />

einen Vertrag zu anderen als Erwerbszwecken geschlossen hat-<br />

te, keinen Schadensersatzanspruch, wenn seine im Hinblick auf<br />

den Vertrag gemachten Aufwendungen wegen eines Vertrags-<br />

bruches des Schuldners fehlschlugen. Dieses offensichtliche un-<br />

billige Ergebnis hat das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz<br />

durch Einfügung von § 284 BGB korrigiert.<br />

§ 284 BGB ist nach seinem Normzweck (Schließung einer Rege-<br />

lungslücke, s.o.) auf Verträge, die zur erwerbswirtschaftlichen<br />

Zwecken geschlossen worden sind, nicht anwendbar. Insoweit<br />

ist zum Schutz des Gläubigers die Rentabilitätsvermutung aus-<br />

reichend (Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 284, RN 4).<br />

Beispiele: Käufer eines Bildes, das nicht geliefert wird, hat<br />

Bilderrahmen erworben; allgemein Verträge, wenn sie nicht<br />

zur Gewinnerzielung, sondern zu einem ideellen oder kon-<br />

sumtiven Zweck abgeschlossen worden sind (Veranstaltun-<br />

gen von Parteien, Gewerkschaften, Familienfeste, Kauf eines<br />

Einfamilienhauses, Fernsehgerät, Einbauküche).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

137<br />

______________________________________________________________<br />

E. Herausgabe des Ersatzes (§ 285 BGB)<br />

§ 285 BGB gewährt dem Gläubiger gegen den Schuldner einen<br />

Anspruch auf Herausgabe dessen, was Letzterer als Ersatz für<br />

den Umstand erlangt hat, der zur Befreiung des Schuldners von<br />

seiner Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1–3 BGB geführt hat. Ein<br />

Surrogat tritt mithin an die Stelle der primär geschuldeten Leis-<br />

tung.<br />

� Achtung: § 285 BGB ist kein Sekundäranspruch. Der Schuld-<br />

ner bleibt auch dann zur Herausgabe des Ersatzgegenstandes<br />

verpflichtet, wenn er die Unmöglichkeit seiner Leistung nicht zu<br />

vertreten hat!<br />

Beispiele für Erlangung eines Surrogats: Schadenersatzan-<br />

sprüche gegenüber Dritten wegen Zerstörung, Beschädigung<br />

oder Entwendung der geschuldeten Sache; Anspruch gegen-<br />

über einer Versicherungsgesellschaft auf Auszahlung der<br />

Versicherungssumme.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

138<br />

______________________________________________________________<br />

4. <strong>Kapitel</strong>: Dritte im Schuldverhältnis<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

139<br />

______________________________________________________________<br />

4. <strong>Kapitel</strong>: Dritte im Schuldverhältnis<br />

A. Vertrag zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB)<br />

I. Die Beteiligten an einem Vertrag zu Gunsten Dritter<br />

1. Schuldner: Sog. Versprechender (der Schuldner verspricht et-<br />

was)<br />

<strong>2.</strong> Gläubiger: Sog. Versprechensempfänger (er „empfängt“ das<br />

Versprechen des Schuldners)<br />

3. Dritter: Begünstigter (er ist der „Nutznießer“)<br />

Beispiele: Der von der Krankenkasse abgeschlossene Kran-<br />

kenhausvertrag als Vertrag zu Gunsten des Patienten; die<br />

Beauftragung eines Rechtsanwaltes durch den Haftpflichtver-<br />

sicherer als Vertrag zu Gunsten des Versicherungsnehmers;<br />

Vertrag, den der Arbeitgeber zur Altersversorgung mit Be-<br />

triebs- oder Unterstützungskassen schließt als Vertrag zu<br />

Gunsten des/der Arbeitnehmer(s).<br />

II. Unterscheidung<br />

1. Der echte Vertrag zu Gunsten Dritter<br />

<strong>2.</strong> Der unechte Vertrag zu Gunsten Dritter<br />

Bei einem unechten Vertrag zu Gunsten Dritter existiert kein ei-<br />

gener Anspruch des Dritten gegen den Versprechenden.<br />

Für die Unterscheidung zwischen einem echten und einem un-<br />

echten Vertrag zu Gunsten Dritter ist die Frage maßgeblich, was<br />

Schuldner und Gläubiger ihrer Vereinbarung zugrunde gelegt<br />

haben, vgl. § 328 Abs. 2 BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

140<br />

______________________________________________________________<br />

B. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte<br />

I. Warum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte?<br />

Neben dem eigentlichen Vertrag zu Gunsten Dritter, der für den<br />

Dritten einen Anspruch auf die vereinbarte Leistung begründet<br />

(s.o.), hat die Rechtsprechung als besondere Art der Drittberech-<br />

tigung den Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter ausge-<br />

bildet. Zwar steht der Anspruch auf die geschuldete Leistung al-<br />

lein dem Gläubiger zu; es soll jedoch Fälle geben, in denen der<br />

Dritte in der Weise in die vertraglichen Sorgfalts- und Ob-<br />

hutspflichten einbezogen ist, dass er bei deren Verletzung ver-<br />

tragliche Schadenersatzansprüche geltend machen kann. Der<br />

Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter ist das Ergebnis<br />

ergänzender Vertragsauslegung.<br />

(Lehr-)Beispiel: Großmutter G bestellt Installateur K, um im<br />

Badezimmer den Boiler zu reparieren. K schickt seinen Lehr-<br />

ling L, der die Reparatur durchführen soll. Da der durch K ü-<br />

beraus sorgfältig ausgewählte L heute ausnahmsweise sehr<br />

unsorgfältig arbeitet, kommt es zu einer „kleineren“ Explosion<br />

des Boilers, wodurch die gerade das Badezimmer betretende<br />

Enkelin E der G erheblich verletzt wird. E verlangt von K den<br />

Ersatz von ihr entstandenen Krankenhauskosten.<br />

Wäre in diesem Fall G verletzt worden, so würden sich diesbe-<br />

züglich keine Probleme stellen, denn G könnte wegen Schlecht-<br />

erfüllung des Werkvertrages (§§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1) i.V.m.<br />

§ 278 BGB den ihr entstandenen Schaden ersetzt verlangen.<br />

Für E ist die Situation zunächst eine andere: E ist nicht Vertrags-<br />

partnerin des K und gelangt so nicht unmittelbar in den Genuss<br />

von § 280 Abs. 1 BGB als Anspruchsgrundlage für den Ersatz<br />

des ihr entstandenen Schadens. Im Übrigen scheitert ein An-<br />

spruch auf Schadenersatz aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB gegen-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

141<br />

______________________________________________________________<br />

über K an der Regelung in § 831 Abs. 1 S. 2 BGB (sog. Exkulpa-<br />

tion). Es bleibt allein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegenüber<br />

dem (regelmäßig wirtschaftlich schwachen) L.<br />

Die Lösung dieses Problems ergibt sich aus dem (im Gesetz<br />

nicht geregelten) Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwirkung<br />

für Dritte. Damit entsteht ein Anspruch der E gegen K aus § 280<br />

Abs. 1 BGB (hier: i.V.m. § 278 BGB). Dies hat für E zudem den<br />

Vorteil, dass eine dem § 831 Abs. 1 S. 2 BGB vergleichbare Re-<br />

gelung bei § 278 BGB nicht existiert!<br />

(Praxis-)Beispiel: BGH DB 1997, 572 [Haftung eines Steu-<br />

erberaters gegenüber Dritten wegen fälschlicher Bescheini-<br />

gung der Ordnungsgemäßheit der Buchführung bei Erstellung<br />

eines Jahresabschlusses]: Dient ein von einem Steuerberater<br />

erstellter Jahresabschluss, der fälschlich einen Gewinn aus-<br />

weist, einer Bank als Grundlage für eine Kreditentscheidung,<br />

so kann nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen wer-<br />

den, dass der Kredit nicht ausgereicht worden wäre, wenn<br />

der Jahresabschluss den in Wirklichkeit eingetretenen Verlust<br />

deutlich gemacht hätte. Allerdings kann der verklagte Steuer-<br />

berater diesen Anscheinsbeweis erschüttern.<br />

Als Anspruchsgrundlage des Bankinstituts kommt hier erneut<br />

§ 280 Abs. 1 BGB bezogen auf eine Schlechterfüllung des<br />

Dienst- bzw. Geschäftsbesorgungsvertrages i.V.m. den<br />

Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten<br />

Dritter in Betracht.<br />

BGH DB 1998, 515: In die Schutzwirkungen eines Vertrages über die<br />

Erstattung eines Gutachtens durch einen öffentlich bestellten Sachverständigen<br />

zum Wert eines Grundstücks sind alle diejenigen einbezogen,<br />

denen das Gutachten nach seinem erkennbaren Zweck für Entscheidungen<br />

über Vermögensdispositionen vorgelegt werden soll. Dazu<br />

können Darlehensgeber und Bürgen gehören.<br />

Der BGH führt in den Entscheidungsgründen näher aus: „In die<br />

Schutzwirkungen eines Vertrages über die Erstattung eines Gutachtens<br />

durch einen öffentlich bestellten Sachverständigen zum Wert ei-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

142<br />

______________________________________________________________<br />

nes Grundstücks sind alle diejenigen einbezogen, denen das Gutachten<br />

nach seinem erkennbaren Zweck für Entscheidungen über Vermögensdispositionen<br />

vorgelegt werden soll. Dazu gehörte im vorliegenden<br />

Fall die Klägerin als potentielle Kreditgeberin der vorgesehenen<br />

Kreditmaßnahme (Umschuldung). Entsprechend dem Zweck des Gutachtens,<br />

dem Dritten gegenüber Vertrauen zu erwecken und Beweiskraft<br />

zu besitzen, steht eine Gegenläufigkeit der Interessen des Auftraggebers<br />

und des Dritten dessen Einbeziehung in den Schutzbereich<br />

des Vertrags nicht entgegen. Das ist in der Rechtsprechung des BGH<br />

insbesondere für den Fall eines Immobilienkaufs anerkannt, gilt in gleicher<br />

Weise aber auch für den hier vorliegenden Fall einer Grundstücksbeleihung.<br />

[...] Das besondere Vertrauen, dass dem Gutachten<br />

eines öffentlich bestellten Sachverständigen im Geschäftsverkehr beigemessen<br />

wird, setzt voraus, dass der Sachverständige das Gutachten<br />

nach bestem Wissen und Gewissen erstellt hat und dafür Dritten<br />

gegenüber einsteht. [...] Auch wenn die Ausgestaltung des Drittschutzes<br />

durch die Vertragsparteien grundsätzlich deren Gestaltungsfreiheit<br />

unterliegt, kann aus der Unkenntnis der Person, die in den Schutzbereich<br />

des Vertrages fallen kann, nicht deren Nichteinbeziehung in den<br />

Schutzbereich abgeleitet werden. Dies gilt insbesondere in den Fällen,<br />

in denen die vertraglich geschuldete Leistung Bedeutung für eine Darlehensgewährung<br />

haben soll; die Rechtsprechung des BGH hat es hier<br />

genügen lassen, wenn erkennbar war, dass die Ausarbeitung für einen<br />

Käufer oder einen Kreditgeber bestimmt war. Daran ist festzuhalten.<br />

Das bedeutet allerdings nicht, dass der Kreis der unter die Schutzpflicht<br />

fallenden Personen uferlos ausgeweitet werden dürfte; es ist<br />

vielmehr erforderlich, dass die Schutzpflicht auf eine überschaubare,<br />

klare abgrenzbare Personengruppe beschränkt wird. Kommen mehrere<br />

Darlehensgeber in Betracht, besteht kein rechtliches Hindernis, sie<br />

alle in den Schutzbereich einzubeziehen. Gleiches gilt grundsätzlich,<br />

wenn es sich um komplexe Darlehens- oder Finanzierungsvorgänge<br />

handelt, bei denen etwa wie hier im Rahmen einer einheitlichen Finanzierungsmaßnahme<br />

ein Teil des Darlehens nur gegen weitere Sicherheiten<br />

gewährt wird. Allerdings muss auch hier der Kreis der geschützten<br />

Dritten überschaubar bleiben. Dies ist bei Einbeziehung des bürgenden<br />

Kreditinstituts, auf dessen Bürgschaft hier ein weiterer (höherer)<br />

Darlehensbetrag gewährt wird, indessen der Fall.“<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

143<br />

______________________________________________________________<br />

II. Voraussetzungen eines Vertrages mit Schutzwir-<br />

kung für Dritte<br />

Prüfungsschema 16: Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte<br />

1. Enger und überschaubarer Personenkreis<br />

<strong>2.</strong> Leistungsnähe<br />

3. Verantwortlichkeit des Vertragspartners für den (geschütz-<br />

ten) Dritten<br />

4. Punkte 1.–3. müssen für den Schuldner bei Vertrags-<br />

schluss erkennbar gewesen sein („erkennbar“ heißt nicht,<br />

dass der Schuldner die Voraussetzungen tatsächlich auch<br />

erkannt hat!)<br />

C. Die Abtretung (Zession) nach §§ 398 ff. BGB<br />

I. Die Beteiligten<br />

1. Alter Gläubiger (Zedent)<br />

<strong>2.</strong> Neuer Gläubiger (Zessionar)<br />

3. Schuldner (keinerlei Mitwirkung erforderlich!)<br />

Beispiel: A hat eine Forderung gegen B und will C diese<br />

Forderung abtreten. Auf diese Weise soll C neuer Gläubiger<br />

des B werden. Dies ist unter den Voraussetzungen der<br />

§§ 398 ff. BGB möglich.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

144<br />

______________________________________________________________<br />

II. Voraussetzungen (Prüfungsschema 17)<br />

Prüfungsschema 17: Die Abtretung<br />

(§§ 398 ff. BGB)<br />

1. Wirksamer Vertrag (§§ 145 ff. BGB)<br />

<strong>2.</strong> Bestehen der Forderung<br />

3. Übertragbarkeit der Forderung (fehlende Übertragbarkeit<br />

z.B. nach §§ 399, 400 BGB)<br />

4. Bestimmbarkeit der Forderung<br />

III. Schutz des Dritten<br />

1. § 404 BGB<br />

<strong>2.</strong> § 407 Abs. 1 BGB<br />

BGH DB 1997, 1276 [Zahlung an bisherigen Gläubiger und Schutz<br />

nach § 407 BGB]: Der Schuldner kann sich nach Treu und Glauben<br />

dann nicht auf § 407 BGB berufen, wenn in Folge seiner Organisation<br />

die für ihn zur Erfüllung der abgetretenen Forderung Berechtigten nicht<br />

die Möglichkeiten hatten, eine Abtretungsanzeige zur Kenntnis zu<br />

nehmen.<br />

IV. Sonderproblem der (Sicherungs-)Abtretung: Glo-<br />

balzession/verlängerter Eigentumsvorbehalt<br />

Die praktisch wichtigsten Fälle der Sicherungsabtretung sind die<br />

Fälle der Globalzession, das typische Sicherungsmittel des<br />

Geldkreditgebers, und der verlängerte Eigentumsvorbehalt, das<br />

typische Sicherungsmittel des Warenkreditgebers – s. dazu Kre-<br />

ditsicherungsrecht!<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

145<br />

______________________________________________________________<br />

5. <strong>Kapitel</strong>: Besonderheiten einzelner<br />

Schuldverhältnisse<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

146<br />

______________________________________________________________<br />

5. <strong>Kapitel</strong>: Besonderheiten einzelner Schuldverhält-<br />

nisse<br />

A. Der Kaufvertrag (§§ 433 ff. BGB)<br />

I. Überblick über das reformierte Recht<br />

1. Sachmangel - Rechtsmangel<br />

Aufgrund des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes wird begriff-<br />

lich zwar nach wie vor zwischen einem Sachmangel (§ 434 BGB)<br />

und einem Rechtsmangel (§ 435 BGB) unterschieden. Es lösen<br />

jedoch beide Mängel nach § 437 BGB identische Rechtsfolgen<br />

aus, so dass die Unterscheidung zwischen einem Sach- und ei-<br />

nem Rechtsmangel ihre eigentliche Bedeutung grundsätzlich ver-<br />

loren hat.<br />

<strong>2.</strong> Pflicht des Verkäufers nach § 433 Abs. 1 S. 2 BGB<br />

Nach § 433 Abs. 1 S. 2 BGB hat der Verkäufer dem Käufer die<br />

Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. Solan-<br />

ge dies nicht der Fall ist, hat der Verkäufer den Kaufvertrag nicht<br />

erfüllt. Aus diesem Grunde gibt das Gesetz dem Käufer nach<br />

§ 439 BGB im Falle der Lieferung einer mangelhaften Sache<br />

dem Käufer ein Anspruch auf Nacherfüllung durch Mangelbesei-<br />

tigung oder Nachlieferung.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

147<br />

______________________________________________________________<br />

3. Lieferung einer mangelhaften Sache - Rechtsfolgen<br />

Durch Lieferung einer mangelhaften Sache verletzt der Verkäufer<br />

den Kaufvertrag. Dies führt sowohl beim Rechts- wie auch beim<br />

Sachmangel zur Auslösung der Vorschriften über die Leistungs-<br />

störungen.<br />

a) In erster Linie steht dem Käufer ein Anspruch auf Nacherfüllung<br />

zu, §§ 437 Nr.1, 439 BGB.<br />

b) Nach §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 BGB kann der Käufer vom Kauf-<br />

vertrag zurücktreten.<br />

Der Rücktritt ist ein einseitiges Gestaltungsrecht. Der Käufer<br />

muss dem Verkäufer grundsätzlich eine Nachfrist zur Nacherfül-<br />

lung setzen, bevor er nach § 323 Abs. 1 BGB den Rücktritt erklä-<br />

ren kann. Die Entbehrlichkeit der Fristsetzung ergibt sich nach<br />

§§ 323 Abs. 2, 440 BGB.<br />

c) Der Käufer kann nach §§ 437 Nr. 2, 441 BGB die Kaufsache<br />

mängelbehaftet behalten und sodann den Kaufpreis mindern; wie<br />

schon beim Rücktritt (o. a)) aber grundsätzlich erst nach erfolgter<br />

Nachfristsetzung zur Nacherfüllung.<br />

d) Hat der Verkäufer den Mangel zu vertreten, kann der Käufer<br />

nach § 437 Nr. 3 BGB Schadenersatz statt der Leistung verlan-<br />

gen - nach § 311 a Abs. 2 BGB soweit der Mangel bereits bei<br />

Vertragsschluss vorlag und nicht behebbar ist, im Übrigen nach<br />

§ 281 Abs. 1 BGB. Letzteren Falles muss der Verkäufer den<br />

Mangel i.S.d. § 276 BGB zu vertreten haben.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

148<br />

______________________________________________________________<br />

Rechtsfolgen bei Lieferung einer<br />

mangelhaften Sache<br />

In erster Linie Nacherfüllung: §§ 437 Nr.1, 437 (Grds. Vorrang der<br />

Nacherfüllung!)<br />

Grds. erst nach erfolglosem Begehren auf Nacherfüllung:<br />

Rücktritt vom<br />

Vertrag: §§ 437<br />

Nr. 2, 323 I BGB –<br />

grds. Nachfrist<br />

erforderlich<br />

Minderung des<br />

Kaufpreises: §§ 437<br />

Nr. 2, 441 BGB<br />

Nach § 311 a BGB bei Leistungshindernissen<br />

bei Vertragsschluss<br />

I.Ü. nach §§ 437 Nr. 3, 280, 281,<br />

283 BGB (zu § 281 BGB s. nachfolgend)<br />

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Schadensersatz<br />

statt/neben den<br />

sonstigen Rechten:


Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

149<br />

______________________________________________________________<br />

II. Pflichten der Vertragsparteien<br />

1. Pflichten des Verkäufers<br />

a) Die Pflichten des Verkäufers beschreibt § 433 Abs. 1 S. 1 BGB:<br />

• Übergabe der (mangelfreien) Kaufsache und<br />

• Verschaffung des Eigentums an der Kaufsache<br />

� Achtung: Hier geht es allein um Verpflichtungen des Ver-<br />

käufers. Der Eigentumswechsel (= Verfügung!) vollzieht sich als-<br />

dann nach den §§ 929 ff. BGB (Abstraktionsprinzip beachten –<br />

s.o. <strong>2.</strong> <strong>Kapitel</strong>!)<br />

b) Bei einer Gattungsschuld gilt § 243 Abs. 1 BGB: Lieferung einer<br />

Sache mittlerer Art und Güte.<br />

� Achtung: Nach § 243 Abs. 2 BGB wird die Gattungs- zur<br />

Stückschuld (Problem der Konkretisierung).<br />

Exkurs: Die sog. Konkretisierung<br />

Nach § 243 Abs. 2 BGB wird die Gattungsschuld zur Stück-<br />

schuld, wenn der Schuldner das „seinerseits Erforderliche“ getan<br />

hat. Was dies genau ist, hängt von den zwischen Schuldner und<br />

Gläubiger getroffenen Vereinbarungen ab.<br />

Bei einer sog. Bringschuld muss die Sache dem Gläubiger an<br />

seinem Wohnsitz in einer Annahmeverzug begründenden Weise<br />

(§§ 293 ff. BGB) tatsächlich angeboten werden.<br />

Bei einer sog. Schickschuld genügt hingegen die Übergabe an<br />

die Transportperson (beispielsweise im Falle des Versendungs-<br />

kaufs).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

150<br />

______________________________________________________________<br />

Bei einer sog. Holschuld genügt das Ausscheiden aus der Ge-<br />

samtmenge und das wörtliche Angebot zur Leistung.<br />

� Achtung: Haben die Parteien keine Vereinbarung im o.g.<br />

Sinne getroffen, so ist nach § 269 Abs. 1 BGB von einer Hol-<br />

schuld auszugehen!<br />

Wohnsitz<br />

Gläubiger<br />

Wohnsitz<br />

Schuldner<br />

Wohnsitz<br />

Schuldner<br />

Exkurs Ende<br />

Leistungsort =<br />

Ort, an dem der<br />

Schuldner die<br />

Leistungshandlung<br />

vorzunehmen hat<br />

Übersicht:<br />

Bringschuld<br />

Schickschuld<br />

Holschuld<br />

Erfolgsort = Ort,<br />

am dem der Leistungserfolg<br />

eintritt<br />

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Wohnsitz<br />

Gläubiger<br />

Wohnsitz<br />

Gläubiger<br />

Wohnsitz<br />

Schuldner


Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

151<br />

______________________________________________________________<br />

<strong>2.</strong> Pflichten des Käufers<br />

Die Verpflichtungen des Käufers ergeben sich aus § 433 Abs. 2<br />

BGB:<br />

• Kaufpreiszahlung (Hauptpflicht); nicht rechtzeitige Zahlung<br />

löst u.U. Verzugsfolgen aus (s.o.)<br />

• Abnahme der Kaufsache (= regelmäßige Nebenpflicht);<br />

nicht rechtzeitige Abnahme kann – u.a. – einen Fall des<br />

Annahmeverzugs begründen (§§ 293 ff. BGB)<br />

III. Der Begriff des Mangels im Kaufrecht<br />

1. § 434 Abs. 1 BGB<br />

Nach § 434 Abs. 1 BGB ist die Sache frei von Sachmängeln,<br />

wenn sie bei Gefahrübergang die<br />

vereinbarte Beschaffenheit<br />

hat. Durch das Abstellen auf die „vereinbarte Beschaffenheit“ gilt<br />

nach dem Gesetz in erster Linie der sog. subjektive Fehlerbeg-<br />

riff – die Sache ist dann mit Mängeln behaftet, wenn sie zum<br />

Nachteil des Käufers von dem Zustand abweicht, den die Partei-<br />

en bei Abschluss des Kaufvertrages (ausdrücklich oder konklu-<br />

dent) verabredet haben.<br />

Häufig wird zwischen den Parteien des Kaufvertrages über die<br />

Beschaffenheit der Kaufsache nicht gesprochen. Nach § 434<br />

Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB ist die Sache auch dann mangelhaft,<br />

wenn sie sich nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte<br />

Verwendung eignet.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

152<br />

______________________________________________________________<br />

Die Verwendung muss - zumindest konkludent – vertraglich ver-<br />

einbart worden sein. Die lediglich einseitige Erwartung des Käu-<br />

fers, die Sache in einer bestimmten Art und Weise verwenden zu<br />

können, führt nicht zur Annahme eines Mangels.<br />

Ist weder eine bestimmte Beschaffenheit der Sache verabredet,<br />

noch gibt es eine nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwen-<br />

dung, so entscheidet letztlich,<br />

ob sich die Sache für die gewöhnliche Verwendung eignet<br />

und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der glei-<br />

chen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sa-<br />

§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB.<br />

che erwarten kann,<br />

In diesem Zusammenhang spielt also die „Normalbeschaffen-<br />

heit“ eine Rolle, vgl. § 3 Produkthaftungsgesetz. Die mithin<br />

maßgeblich berechtigten Erwartungen eines durchschnittlichen<br />

Dritten werden dabei u.a. durch den allgemeinen Zustand der<br />

Sache, ihr Alter und wesentlich auch durch den verabredeten<br />

Kaufpreis bestimmt.<br />

Danach gilt im Einzelnen folgendes:<br />

• Jeder Qualitätsmangel ist ein Sachmangel.<br />

Beispiele: Neuwagen wird mit Schäden am Lack ausgelie-<br />

fert; Fahrleistung eines Kraftfahrzeuges übertrifft erheblich<br />

den angezeigten Stand gefahrener Kilometer; Programmab-<br />

lauf einer Software ist gestört; Leistung der Hardware ist<br />

nicht ausreichend für die zugleich veräußerte Software.<br />

• U.U. kann auch der bloße Verdacht, die Kaufsache könne<br />

mangelhaft sein, einen Mangel darstellen, nämlich dann,<br />

wenn bereits der Verdacht den Gebrauch der Sache beein-<br />

trächtigt und der Verdacht durch den Käufer durch Einlei-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

153<br />

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tung zumutbarer Maßnahmen nicht ausgeräumt werden<br />

kann.<br />

Beispiele: Verdacht, Fleisch sei mit Salmonellen befallen<br />

(BGH NJW 1972, 1462, 1463).<br />

• Auch Nutzungsbeschränkungen können sich als Sachman-<br />

gel darstellen<br />

Beispiel: Baugrundstück, das gar nicht oder nur einge-<br />

schränkt bebaut werden kann.<br />

• Im Übrigen führen auch die tatsächlichen, rechtlichen, wirt-<br />

schaftlichen oder sozialen Beziehungen der Sache zu ihrer<br />

Umwelt zur Annahme eines Sachmangels.<br />

Beispiel: Veräußertes Grundstück liegt in der Nähe einer<br />

Kläranlage, von der zu bestimmten Zeiten erhebliche Ge-<br />

ruchsbelästigungen ausgehen.<br />

Nach BGH, Urt. v. 16.7.2003, Az. VIII ZR 243/02 ist ein als Neufahrzeug<br />

verkauftes Kraftfahrzeug nicht mehr als „fabrikneu“ und<br />

damit mangelhaft dann anzusehen, wenn in dem Zeitpunkt, in<br />

dem der Kaufvertrag abgeschlossen worden ist, ein Modellwechsel<br />

stattgefunden hat.<br />

Zu beachten ist im Rahmen des § 434 Abs. 1 BGB schließlich<br />

§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB. Zu der Beschaffenheit nach S. 2 Nr. 2<br />

von § 434 Abs. 1 BGB gehören danach auch Eigenschaften, die<br />

der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers,<br />

des Herstellers oder seines Gehilfen insbesondere in der Wer-<br />

bung oder bei der Kennzeichnung über bestimmte Eigenschaften<br />

der Sache erwarten kann, es sei denn, dass der Verkäufer die<br />

Äußerung nicht kannte und auch nicht kennen musste, dass sie<br />

im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in gleichwertiger Weise be-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

154<br />

______________________________________________________________<br />

richtigt war oder dass sie die Kaufentscheidung nicht beeinflus-<br />

sen konnte.<br />

<strong>2.</strong> § 434 Abs. 2 BGB<br />

Nach § 434 Abs. 2 BGB sind zwei Fälle des Montagefehler zu<br />

unterscheiden:<br />

• Nach § 434 Abs. 2 S. 1 BGB hat der Verkäufer die Pflicht<br />

zur Montage der Kaufsache übernommen. Wird diese Mon-<br />

tage durch den Verkäufer oder dessen Erfüllungsgehilfen<br />

unsachgemäß durchgeführt, geht das Gesetz vom Vorlie-<br />

gen eines Sachmangels aus.<br />

• Im Fall von § 434 Abs. 2 S. 2 BGB montiert der Käufer<br />

selbst. Hier ist ein Sachmangel gegeben, wenn die Monta-<br />

geanleitung fehlerhaft ist (sog. „Ikea-Klausel“).<br />

� Achtung: Ist die Montageanleitung fehlerhaft, so kann auch<br />

der Veräußerer bei seinem Vorlieferanten Ansprüche geltend<br />

machen, hier nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB (Nacherfüllung<br />

durch Lieferung einer einwandfreien Montageanleitung, gegebe-<br />

nenfalls auch Rücktritt nach §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 BGB).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

155<br />

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3. § 434 Abs. 3 BGB<br />

§ 434 Abs. 3 BGB erweitert den Fehlerbegriff noch einmal. Ei-<br />

nem Sachmangel steht es danach gleich, wenn der Verkäufer ei-<br />

ne andere oder eine zu geringe Menge liefert.<br />

a) Die Falschlieferung<br />

aa) Grundsätzliches<br />

Die Lieferung einer falschen Sache (sog. aliud) ist begrifflich kein<br />

Sachmangel, sondern ist ihm lediglich gleichgestellt und rechtlich<br />

ebenso zu behandeln (Palandt-Putzo, a.a.O., § 434, RN 52).<br />

Damit soll die im Einzelfall schwierige Abgrenzung zwischen<br />

Sachmangel und Aliud-Lieferung entfallen.<br />

Bei § 434 Abs. 3 BGB kommt es – anders als bei dem aufgeho-<br />

benen § 378 HGB – grundsätzlich nicht darauf an, ob die Abwei-<br />

chung genehmigungsfähig ist, auch nicht beim Handelskauf (Pa-<br />

landt-Putzo, a.a.O., s. aber auch nachfolgend bb)!).<br />

Bei der Falschlieferung ist es von Bedeutung, zwischen dem<br />

Gattungskauf und dem Stückkauf zu unterscheiden.<br />

• Beim Gattungskauf schuldet der Verkäufer lediglich die Lie-<br />

ferung einer Sache, die aus der vereinbarten Gattung stammt<br />

und von mittlerer Art und Güte ist (vgl. § 243 Abs. 1 BGB). Ist<br />

dies nicht der Fall, so kann der Käufer nach §§ 437 Nr. 1, 439<br />

BGB Nacherfüllung verlangen.<br />

• Beim Stückkauf hat der Käufer eine ganz bestimmte Sache<br />

erworben. Der Verkäufer kann hier nur mit dieser Sache erfül-<br />

len. Existiert die Sache und wird an ihrer Stelle eine andere<br />

geliefert, so kann der Käufer Erfüllung durch Lieferung der<br />

vertraglich geschuldeten Sache verlangen. Existiert der Kauf-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

156<br />

______________________________________________________________<br />

gegenstand hingegen gar nicht, so verletzt der Veräußerer<br />

seine Pflicht aus dem Kaufvertrag. Der Käufer kann hier nach<br />

§§ 437 Nr. 2, 326 Abs. 5, 323 Abs. 1 BGB ohne Nachfristset-<br />

zung zurücktreten und – wenn der Veräußerer den Mangel zu<br />

vertreten hat – nach §§ 437 Nr. 3, 311 a Abs. 2 BGB Scha-<br />

denersatz statt der Leistung verlangen.<br />

bb) Problem: Offensichtliches Abweichen der geliefer-<br />

ten von der bestellten Ware<br />

Beispiel: Lieferung von roten Socken statt Rotwein<br />

Nach derzeit wohl h.M. kann in einem solchen Fall die Abwei-<br />

chung nicht dem Sachmängelrecht unterstellt werden, denn zu-<br />

mindest die verhältnismäßige Minderung des Kaufpreises nach<br />

§ 441 BGB lässt sich hier nicht durchführen. In derartigen Fällen<br />

bleibt der Erfüllungsanspruch hinsichtlich der geschuldeten Sa-<br />

che bestehen und die gelieferte Ware muss nach § 812 Abs. 1 S.<br />

1, 1. Alt. BGB zurückgegeben werden (so Medicus, Bürgerliches<br />

Recht, 19. A. 2002, RN 288).<br />

Gleiches gilt nach h.M. für den Fall, dass der Verkäufer irrtümlich<br />

eine wertvollere Sache als die geschuldete liefert.<br />

Beispiel: Lieferung eines Mercedes S-Klasse statt der geschul-<br />

deten A-Klasse.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

157<br />

______________________________________________________________<br />

b) Die Zuwenig-Lieferung<br />

Hier kann der Käufer im Regelfall lediglich die Lieferung der noch<br />

fehlenden Menge verlangen.<br />

Wird eine zu große Menge geliefert, ist nach § 812 Abs. 1 S. 1,<br />

1. Alt. abzuwickeln (Palandt-Putzo, a.a.O.). Der Verkäufer kann<br />

nicht den Kaufpreis für die zuviel gelieferte Ware verlangen, auch<br />

wenn der Käufer das zuviel Gelieferte behält und den Verkäufer<br />

nicht auf die Mehrlieferung aufmerksam macht (Palandt-Putzo,<br />

a.a.O.).<br />

� Achtung: Durch die Erweiterung des Mangelbegriffes im BGB<br />

durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ist eine für das<br />

Handelsgesetzbuch bedeutsame Änderung eingetreten - § 378<br />

HGB a.F. wurde aufgehoben. § 378 HGB a.F. enthielt die Erwei-<br />

terung der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit auf Falschlie-<br />

ferung, Zuviel- und Zuwenig-Lieferung.<br />

4. § 435 BGB<br />

§ 435 BGB erfasst den Rechtsmangel. Er ist dem Sachmangel<br />

im Ergebnis gleichgestellt.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

158<br />

______________________________________________________________<br />

IV. Die Rechte des Käufers bei Lieferung einer mangel-<br />

haften Kaufsache (Zusammenfassung)<br />

1. §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB (Recht auf Nacherfüllung)<br />

<strong>2.</strong> §§ 437 Nr. 2, 323/326 Abs. 5 BGB (Rücktritt)<br />

3. §§ 437 Nr. 2, 441 BGB (Minderung)<br />

4. §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281, 283, 311 a Abs. 2 BGB<br />

(Schadensersatz)<br />

V. Der Verbrauchsgüterkauf (§§ 474-479 BGB)<br />

1. Einführung<br />

§§ 474 ff. BGB befassen sich mit dem Verbrauchsgüterkauf.<br />

Darunter versteht das Gesetz den Fall, dass ein Verbraucher von<br />

einem Unternehmer eine bewegliche Sache kauft, § 474 Abs. 1<br />

S. 1 BGB (Legaldefinition). Ausgenommen sind gebrauchte Sa-<br />

chen, die in einer öffentlichen Versteigerung verkauft werden, an<br />

der der Verbraucher persönlich teilnehmen kann, § 474 Abs. 1 S.<br />

2 BGB.<br />

� Achtung: Auch im Anwendungsbereich der §§ 474 ff. BGB<br />

(Verbrauchsgüterkauf) finden die §§ 433 ff. BGB grundsätzlich<br />

Anwendung (Ausnahmen: § 474 Abs. 2 BGB!). Insoweit ergän-<br />

zen die Bestimmungen 474 ff. BGB das „allgemeine“ Kaufrecht.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

159<br />

______________________________________________________________<br />

a) Verkäufer = Unternehmer i.S.d. § 14 BGB<br />

Nach § 474 Abs. 1 S. 1 BGB muss für den Verbrauchsgüterkauf<br />

in persönlicher Hinsicht der Verkäufer Unternehmer sein. Wer<br />

Unternehmer ist, definiert § 14 BGB. Danach ist Unternehmer<br />

eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige<br />

Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts<br />

in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen<br />

Tätigkeit handelt, § 14 Abs. 1 BGB. Eine rechtsfähige Personen-<br />

gesellschaft wiederum ist eine Personengesellschaft, die mit der<br />

Fähigkeit ausgestattet ist, Rechte zu erwerben und Verbindlich-<br />

keiten einzugehen, § 14 Abs. 2 BGB.<br />

Die Terminologie entspricht dem Unternehmensbegriff des HGB.<br />

Allerdings ist „Unternehmer“ nach Maßgabe des Werkvertrags-<br />

rechts (§§ 631 ff. BGB) der Hersteller, d.h. der Auftragnehmer,<br />

der i.S.d. §§ 13 f. BGB auch Verbraucher sein kann (Palandt-<br />

Heinrichs, a.a.O., § 14, RN 1). Mithin erfasst der Unternehmer-<br />

begriff des § 14 Abs. 1 BGB mit Blick auf natürliche Personen<br />

• Kaufleute (unabhängig von ihrer Handelsregistereintragung)<br />

• Sonstige nicht kaufmännische (Klein-)Gewerbetreibende so-<br />

wie<br />

• Angehörige der freien Berufe und Landwirte.<br />

Folgt man dem Rechtsgedanken des § 344 HGB, gelten Rechts-<br />

geschäfte eines Unternehmers als unternehmerisch getätigt.<br />

Der Unternehmerbegriff umfasst auch eine nebenberufliche un-<br />

ternehmerische Betätigung sowie Hilfs- und Nebengeschäfte,<br />

ungewöhnliche Verträge und vorbereitende bzw. abwickelnde<br />

Geschäfte (Palandt-Heinrichs, a.a.O., RN 2).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

160<br />

______________________________________________________________<br />

b) Käufer = Verbraucher i.S.d. § 13 BGB<br />

Nach § 474 Abs. 1 S. 1 BGB muss der Käufer Verbraucher i.S.d.<br />

§ 13 BGB sein, mithin eine natürliche Person, die ein Rechtsge-<br />

schäft zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen<br />

noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet wer-<br />

den kann. Auch hier sind die Zweifelsfälle problematisch.<br />

Schwierig kann eine Abgrenzung vor allem bei Vertragsab-<br />

schlüssen von Kaufleuten oder Freiberuflern hinsichtlich solcher<br />

Gegenstände sein, die – wie beispielsweise Kraftfahrzeuge –<br />

sowohl beruflich als auch privat genutzt werden sollen (sog. dual<br />

use). Abzustellen ist hier auf die beabsichtigte überwiegende<br />

Nutzung. Ist diese privater Natur, sollen die verbraucherschutz-<br />

rechtlichen Vorschriften zur Anwendung gelangen. Eine im juris-<br />

tischen Schrifttum verbreitete Auffassung spricht sich dafür aus,<br />

in Zweifelsfällen (d.h. wenn nicht zweifelsfrei eine überwiegend<br />

private oder gewerbliche bzw. freiberufliche Nutzung des Ver-<br />

tragsgegenstandes feststellbar ist) im Interesse eines wirksamen<br />

Verbraucherschutzes den Kunden immer als „Verbraucher“ zu<br />

behandeln (umstr.).<br />

Der Arbeitnehmer ist auch Verbraucher, wenn er etwa Arbeits-<br />

kleidung oder einen Pkw für die Fahrt zur Arbeit erwirbt. Keine<br />

Verbraucherverträge sind dagegen Arbeitsverträge und die zur<br />

Änderung oder Aufhebung eines Arbeitsvertrages geschlossenen<br />

Verträge (Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 13, RN 3 m.w.N., str.); ar-<br />

gumentiert wird u.a. mit Hinweis darauf, dass es sich bei einem<br />

Arbeitsvertrag usw. nicht um einen Vertriebsvertrag handelt.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

161<br />

______________________________________________________________<br />

c) Keine Anwendung der §§ 474 ff. BGB<br />

Aus dem zuvor gesagten ergibt sich, dass §§ 474 ff. BGB nicht<br />

gelten, wenn ein<br />

• Unternehmer an einen anderen Unternehmer veräußert<br />

• Verbraucher an einen anderen Verbraucher veräußert<br />

• Verbraucher an einen Unternehmer verkauft.<br />

d) Verkauf beweglicher Sachen<br />

Die Sonderbestimmungen der §§ 474 ff. BGB gelten nur für den<br />

Kauf beweglicher Sachen. Damit finden die Regeln keine An-<br />

wendung auf den Grundstückskaufvertrag, aber auch nicht auf<br />

die Veräußerung von Strom, Wasser, Gas, sofern diese nicht in<br />

begrenztem Volumen oder in einer bestimmten Menge verkauft<br />

werden.<br />

<strong>2.</strong> Der Schutz des Verbrauchers im Detail<br />

a) § 474 Abs. 2 BGB<br />

Nach § 474 Abs. 2 BGB findet die Gefahrtragungsregel des<br />

§ 447 BGB (Versendungskauf) keine Anwendung, so dass die<br />

Preisgefahr nach § 446 BGB erst dann auf den Käufer übergeht,<br />

wenn ihm die Sache auch übergeben worden ist. Damit spielt es<br />

zukünftig keine Rolle mehr,<br />

• ob der Verkäufer den Transport durch eigenes Personal oder<br />

durch Dritte vornehmen lässt,<br />

• ob die Beschädigung des Transportgutes auf dem Transport<br />

erfolgte oder die Sache bereits vor dem Verladen mangelhaft<br />

gewesen ist; schließlich ist es auch unerheblich,<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

162<br />

______________________________________________________________<br />

• ob die Beschädigung während des Transportes durch<br />

schuldhaftes Verhalten der zum Transport bestimmten Person<br />

eingetreten ist.<br />

� Merke: Der Käufer einer Ware muss im Rahmen des<br />

Verbrauchsgüterkaufes die Ware nur dann bezahlen, wenn<br />

sie ihm in einem mangelfreien Zustand übergeben wird.<br />

b) § 475 BGB<br />

aa) § 475 Abs. 1 BGB erklärt zahlreiche Bestimmungen der §§ 433<br />

ff. BGB als vertragsfest, d.h. es kann im Rahmen des<br />

Verbrauchsgüterkaufes vor Mitteilung eines Mangels an den Un-<br />

ternehmer eine Vereinbarung, die die gesetzlichen Regelungen<br />

zum Nachteil des Verbrauchers abändert, nicht getroffen werden.<br />

Eine Ausnahme macht § 475 Abs. 3 BGB für den Schadenser-<br />

satzanspruch. Hier gilt es jedoch die §§ 307-309 BGB zu beach-<br />

ten. Nach § 309 Nr. 7 a) BGB ist in allgemeinen Geschäftsbe-<br />

dingungen ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für<br />

Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der<br />

Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Ver-<br />

wenders oder einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverlet-<br />

zung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des<br />

Verwenders beruhen, unwirksam!<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

163<br />

______________________________________________________________<br />

bb) Nach § 475 Abs. 2 BGB kann die Verjährung der in § 437 BGB<br />

bezeichneten Ansprüche vor Mitteilung eines Mangels an den<br />

Unternehmer nicht durch Rechtsgeschäft erleichtert werden,<br />

wenn die Vereinbarung zu einer Verjährungsfrist ab dem gesetz-<br />

lichen Verjährungsbeginn von<br />

bei gebrauchten Sachen von<br />

führt.<br />

weniger als zwei Jahren,<br />

weniger als einem Jahr<br />

� Achtung: Vorstehendes bedeutet, dass ein Unternehmer bei<br />

Veräußerung gebrauchter Waren stets eine Gewährleistungsfrist<br />

von einem Jahr einzuräumen hat. Schon dies setzt aber voraus,<br />

dass es eine Abrede gibt, die die reguläre Frist (2 Jahre) auf ein<br />

Jahr verkürzt!<br />

c) § 476 BGB<br />

Zeigt sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein<br />

Sachmangel, so wird nach § 476 BGB vermutet, dass die Sache<br />

bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese<br />

Vermutung ist mit der Art der Sache oder des Mangels unverein-<br />

bar.<br />

§ 476 BGB stellt eine gesetzliche Vermutung dahingehend auf,<br />

dass ein Sachmangel, der sich innerhalb von sechs Monaten seit<br />

Gefahrübergang zeigt, auch schon zum maßgebenden Zeitpunkt<br />

des § 433 Abs. 1 S. 2 BGB vorlag. In Folge der gesetzlichen<br />

Vermutung muss der Unternehmer beweisen, dass die Sache<br />

(entgegen der Regel des § 363 BGB) bei Gefahrübergang den<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

164<br />

______________________________________________________________<br />

Sachmangel, der sich danach gezeigt hat, noch nicht aufgewie-<br />

sen hatte. Ein solcher Fall kann insbesondere dann vorliegen,<br />

wenn der Sachmangel durch unsachgemäßen Gebrauch des<br />

Käufers oder derjenigen Person entstanden ist, denen der<br />

Verbraucher die Sache überlassen hat, aber auch durch ein zu-<br />

fälliges Ereignis, das sich auf die Sache ausgewirkt hat (Palandt-<br />

Putzo, a.a.O., § 476, RN 8).<br />

Zu beachten ist, dass das Gesetz dann eine Ausnahme der Be-<br />

weislastumkehr annimmt, wenn die Vermutung mit der Art der<br />

Sache oder des Mangels unvereinbar ist (so beispielsweise bei<br />

gebrauchten Sachen, bei denen die von vornherein anzuneh-<br />

mende unterschiedliche Abnutzung zu berücksichtigen ist, insbe-<br />

sondere bei Kraftfahrzeugen).<br />

d) § 477 BGB<br />

§ 477 BGB enthält Sonderbestimmungen für Garantien. Interes-<br />

sant ist vor allem, welche Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen<br />

die Vorgaben von § 477 Abs. 1 BGB eintreten sollen.<br />

§ 477 Abs. 3 BGB stellt klar, dass Verstöße gegen die Vorgaben<br />

die Wirksamkeit der Garantieverpflichtung unberührt lässt. Im<br />

Übrigen ist die Bestimmung des § 477 BGB für die Auslegung<br />

von Garantieerklärungen von Bedeutung. Es kommt bei Zweifeln<br />

zu einer verbraucherfreundlichen Auslegung, vgl. auch § 305<br />

c Abs. 2 BGB. Im Übrigen kann ein Verstoß gegen § 477 BGB<br />

wettbewerbsrechtlich von Bedeutung werden.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

165<br />

______________________________________________________________<br />

3. Sonderfall: Der Rückgriff des Unternehmers<br />

(§§ 478, 479 BGB)<br />

§§ 478 und 479 BGB sollen sicherstellen, dass der Verbraucher-<br />

schutz nicht zu Lasten des Einzelhandels ausgeht. Selbstver-<br />

ständlich hat auch der Einzelhändler Ansprüche auf Gewährleis-<br />

tung aus § 437 BGB, doch wird dies durch §§ 478, 479 BGB er-<br />

gänzt.<br />

a) § 478 Abs. 1 BGB<br />

Wenn der Unternehmer die verkaufte neu hergestellte Sache als<br />

Folge ihrer Mangelhaftigkeit zurücknehmen musste oder der<br />

Verbraucher den Kaufpreis gemindert hat, bedarf es für die in<br />

§ 437 BGB bezeichneten Rechte des Unternehmers gegen den<br />

Unternehmer, der ihm die Sache verkauft hat (Lieferant), wegen<br />

des vom Verbraucher geltend gemachten Mangels einer sonst<br />

erforderlichen Fristsetzung nicht.<br />

� Achtung: § 478 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Einzel-<br />

händler die Kaufsache gerade wegen des Mangels zurückneh-<br />

men musste. Die Bestimmung erfasst nicht die Fälle der Kulanz.<br />

b) § 478 Abs. 3 BGB<br />

Nach § 478 Abs. 3 BGB kommt die Beweislastregel des § 476<br />

BGB auch dem Einzelhändler im Verhältnis zu seinem Lieferan-<br />

ten zugute. Im Übrigen wird der Fristbeginn erst mit dem Über-<br />

gang der Gefahr auf den Verbraucher bestimmt.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

166<br />

______________________________________________________________<br />

c) Aufwendungsersatzanspruch nach § 478 Abs. 2<br />

BGB<br />

Nach § 478 Abs. 2 BGB kann der Unternehmer von seinem Lie-<br />

feranten Ersatz verlangen, wenn er einem Verbraucher die neu<br />

hergestellte Sache verkauft hat und diesem ersatzpflichtig ge-<br />

worden ist, weil die Sache einen Sachmangel aufwies, der schon<br />

beim Gefahrübergang vom Lieferanten auf den Letztverkäufer<br />

vorhanden war.<br />

Prüfungsschema 18: Voraussetzungen § 478 Abs. 2 BGB<br />

1. Verkauf einer neu hergestellten, nicht gebrauchten Sache<br />

<strong>2.</strong> Verkauf durch Unternehmer (= Letztverkäufer)<br />

3. Verkauf an Verbraucher<br />

4. Aufwendungen, die der Verkäufer aus § 439 Abs. 2 BGB<br />

zum Zweck der Nacherfüllung wegen eines Sachmangels<br />

erbracht hat<br />

5. Vorhandensein eines Mangels, der die Aufwendungen<br />

verursacht hat<br />

6. Vorhandensein des Mangels zum Zeitpunkt des Gefahr-<br />

übergangs vom Lieferanten auf den Unternehmer, der an<br />

dem Verbraucher verkauft hat.<br />

Zu beachten ist, dass der Aufwendungsersatzanspruch nach<br />

§ 478 Abs. 2 BGB nach § 479 Abs. 1 BGB innerhalb von zwei<br />

Jahren ab der Ablieferung der Sache an den jeweiligen Käufer<br />

innerhalb der Lieferkette verjährt. Dadurch verjährt der Aufwen-<br />

dungsersatzanspruch des Unternehmers ebenso wie seine Män-<br />

gelansprüche des § 437 BGB. Problematisch wird es, wenn man<br />

bedenkt, dass es damit viele Fälle geben wird, in denen die Ab-<br />

lieferung an den jeweiligen Händler innerhalb der Lieferkette viel<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

167<br />

______________________________________________________________<br />

früher erfolgt als die Ablieferung an den Endverbraucher. Daher<br />

sieht § 479 Abs. 2 BGB eine Ablaufhemmung vor.<br />

� Achtung: Die Verjährung der in den §§ 437, 478 Abs. 2 BGB<br />

genannten Ansprüche tritt im Verhältnis Letztverkäufer - Lieferant<br />

frühestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt ein, in dem der Un-<br />

ternehmer die Ansprüche des Verbrauchers erfüllt hat, § 479<br />

Abs. 2 BGB.<br />

d) § 478 Abs. 5 BGB<br />

§ 478 Abs. 5 BGB dehnt die Regressansprüche des Lieferanten<br />

nach den erwähnten Grundsätzen auf die übrigen Verträge in der<br />

Lieferkette aus. Dadurch soll erreicht werden, dass die durch die<br />

Mangelhaftigkeit der Ware verursachten Nachteile letztlich von<br />

demjenigen zu tragen sind, in dessen Verantwortungsbereich sie<br />

entstanden sind.<br />

e) § 377 HGB<br />

Die Kaufverträge innerhalb der Lieferkette sind in der Regel<br />

Handelsgeschäfte, so dass § 377 HGB gilt. § 478 Abs. 6 BGB<br />

stellt klar, dass die Bestimmung des § 377 HGB unberührt bleibt.<br />

� Merke: Rügt der Käufer in der Lieferkette nicht unverzüglich<br />

nach Maßgabe des § 377 HGB, so gilt die Ware in Ansehung<br />

des Mangels als genehmigt (§ 377 Abs. 2 HGB).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

168<br />

______________________________________________________________<br />

VI. Verjährung von Mängelansprüchen (§ 438 BGB)<br />

1. Bisherige Rechtslage<br />

Nach der bisherigen Rechtslage kam es wegen der kurzen Ver-<br />

jährungsfrist von i.d.R. lediglich sechs Monaten nach § 477 BGB<br />

a.F. teilweise zu unbefriedigenden Ergebnissen, wenn sich der<br />

Fehler erst nach Ablauf der Verjährungsfrist zeigte. Die Recht-<br />

sprechung versuchte Abhilfe in Form von Hilfskonstruktionen zu<br />

schaffen, die allesamt darauf hinaus liefen, den Anwendungsbe-<br />

reich der §§ 195 ff. BGB a.F., insbesondere die 30-jährige Ver-<br />

jährung nach § 195 BGB a.F. zu eröffnen.<br />

<strong>2.</strong> Aktuelle Rechtslage<br />

a) Gleichsetzung von Sach- und Rechtsmangel<br />

Die Verjährung der kaufvertraglichen Mängelansprüche richtet<br />

sich nach § 438 BGB. Es wird nicht mehr unterscheiden zwi-<br />

schen Sach- und Rechtsmängeln.<br />

b) Einheitliche Systematik der Verjährung auch für<br />

Gestaltungsrechte<br />

Rechtsdogmatisch ist zukünftig zu unterscheiden zwischen den<br />

in § 437 Nr. 1 und 3 BGB geregelten Ansprüchen (Nachlieferung<br />

und Schadensersatz) und den in § 437 Nr. 2 BGB bestimmten<br />

Gestaltungsrechten (Rücktritt und Minderung).<br />

Nach § 194 BGB können nur Ansprüche verjähren, Gestaltungs-<br />

rechte hingegen nicht. Um gleichwohl eine einheitliche Systema-<br />

tik der Verjährung zu erreichen, wurde in § 438 Abs. 4 BGB<br />

(Rücktritt) und in § 438 Abs. 5 BGB (Minderung) bestimmt, dass<br />

§ 218 Abs. 1 BGB für den Rücktritt bzw. die Minderung gilt. Da-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

169<br />

______________________________________________________________<br />

nach ist die Ausübung des Gestaltungsrechts nur solange mög-<br />

lich, wie der Anspruch auf Nacherfüllung (§§ 437 Nr. 1, 439<br />

BGB) nicht verjährt ist, also genau zwei Jahre lang.<br />

c) Grundsatz: 2 Jahre Verjährungsfrist<br />

Grundsätzlich verjähren die kaufrechtlichen Mängelansprüche<br />

nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB in zwei Jahren. Der Verjährungs-<br />

beginn ist in § 438 Abs. 2 BGB festgelegt und entspricht der bis-<br />

herigen Rechtslage. Danach ist bei Grundstücken die Übergabe,<br />

im Übrigen die Ablieferung maßgeblich.<br />

d) 5-jährige Verjährungsfrist<br />

§ 438 Abs. 1 Nr. 2 a) BGB legt die Verjährungsfrist auf 5 Jahre<br />

fest, wenn ein Bauwerk verkauft wird. Damit wird die bisherige<br />

Rechtsprechung Gesetz, die immer dann die Vorschriften des<br />

§ 638 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. (= frühere Verjährung beim Werkver-<br />

trag) heranzog, wenn eine Pflicht des Verkäufers zur mangelfrei-<br />

en Herstellung eines Bauwerks bestand.<br />

� Achtung: Durch die vorstehende Regelung ist im Zusammen-<br />

hang mit dem Erwerb eines Bauwerkes die Unterscheidung zwi-<br />

schen Kauf- und Werkvertragsrecht letztlich hinfällig geworden.<br />

Neu ist § 438 Abs. 1 Nr. 2 b) BGB, der einen Gleichlauf der Ver-<br />

jährungsfristen im Verhältnis Werkbesteller zu Bauunternehmer<br />

und Bauunternehmer zu Baustofflieferant herstellt. Auch der<br />

Baustofflieferant soll fünf Jahre lang im Verhältnis zum Bauun-<br />

ternehmer für Mängel des Werkes haften, die auf die mangelhaf-<br />

te Lieferung des Baustoffhändlers zurückzuführen sind.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

170<br />

______________________________________________________________<br />

� Achtung: Bislang haftete der Lieferant dem weiterverarbei-<br />

tenden Unternehmer nur sechs Monate, während der Unterneh-<br />

mer im Verhältnis zum Werkbesteller der 5-jährigen Verjährungs-<br />

frist des § 638 Abs. 1 S. 1 BGB (a.F.) unterlag.<br />

e) 30-jährige Verjährungsfrist<br />

In besonderen Fällen verjähren die Ansprüche nach § 438 Abs. 1<br />

Nr. 1 BGB erst in 30 Jahren.<br />

f) Fall der Arglist<br />

Handelte der Verkäufer mit Arglist, so greift über § 438 Abs. 3<br />

BGB die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB (3 Jahre)<br />

ein. Diese beginnt allerdings nur unter den Voraussetzungen des<br />

§ 199 Abs. 1 BGB (Kenntnis von Schuldner und anspruchsbe-<br />

gründenden Umständen!). Die 5-Jahresfrist bei Bauwerksmän-<br />

geln gem. § 438 Abs. 1 Nr. 2 BGB wird durch die Ablaufhem-<br />

mung des § 438 Abs. 3 S. 2 BGB in jedem Falle sichergestellt.<br />

g) Hemmung und Neubeginn der Verjährung<br />

Für die Hemmung und den Neubeginn der Verjährung gelten<br />

§§ 203 ff. BGB. Untersucht der Verkäufer auf das Nachbesse-<br />

rungsverlangen des Käufers die Sache und stellt keine Mängel<br />

fest, so dürfte auf § 203 Abs. 1 BGB („Verhandlung“) abzustellen<br />

sein.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

171<br />

______________________________________________________________<br />

VII. Exkurs Handelsrecht: Die Untersuchungs- und Rü-<br />

geobliegenheit (§ 377 HGB)<br />

1. Allgemeines<br />

§ 377 HGB schützt den Verkäufer vor der Inanspruchnahme<br />

durch den Käufer wegen der nach längerer Zeit nur schwer fest-<br />

stellbaren Mängel und wegen der Einfachheit und Schnelligkeit<br />

im Handelsverkehr (BGHZ 110, 138).<br />

Die Vorschrift gilt beim zweiseitigen Handelskauf (§§ 343, 344<br />

HGB), auch von Hardware mit nicht speziell für den Käufer her-<br />

gestellter Software (BGH, a.a.O., S. 130), über § 381 HGB u.a.<br />

auch für Verträge, die die Lieferung herzustellender oder zu er-<br />

zeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand haben.<br />

Prüfungsschema 19: Voraussetzungen der Rügeobliegen-<br />

heit (§ 377 HGB)<br />

1. Beidseitiger Handelskauf (§§ 343, 344 HGB)<br />

<strong>2.</strong> Kein Ausschluss von § 377 HGB<br />

a) Ausschluss durch Parteivereinbarung<br />

b) § 377 Abs. 5 HGB<br />

3. Ablieferung der Ware (u.U. auch Ablieferung an Dritte)<br />

4. Mangel der Ware (§ 434 BGB)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

172<br />

______________________________________________________________<br />

<strong>2.</strong> Einzelheiten zur Rügeobliegenheit<br />

a) Begriff „Obliegenheit“<br />

Bei der Rüge handelt es sich nicht um eine Rechtspflicht, son-<br />

dern um eine Obliegenheit, d.h. der Käufer verliert Rechte,<br />

wenn er sich nicht an die Vorgaben der Bestimmung des § 377<br />

HGB hält, § 377 Abs. 2 HGB.<br />

b) Begriff „Rüge“<br />

Die Rüge ist eine formlose Anzeige, die die Mängel einzeln auf-<br />

führen muss (empfangsbedürftige Erklärung).<br />

BGH NJW 1996, 2228: Zu der Anzeige des Käufers gemäß § 377 Abs.<br />

1 HGB wegen eines Mangels der Ware gehört nicht, dass der Käufer<br />

auch mitteilt, welche Rechte er wegen des Mangels geltend machen<br />

will.<br />

c) Begriff „unverzüglich“<br />

Soweit es die Frist hinsichtlich der notwendigen Untersuchung<br />

betrifft, spricht das Gesetz von „unverzüglich“. Unverzüglich ist<br />

definiert in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Definition gilt auch für<br />

das HGB. Allerdings sind § 377 Abs. 2 und 3 HGB zu beachten.<br />

Die Frist beginnt mit der Ablieferung.<br />

OLG Köln, NJW-RR 1999, 565: Unter Ablieferung ist nicht erst die Ankunft<br />

der Ware am endgültigen Bestimmungsort zu verstehen, sondern<br />

schon derjenige Vorgang, durch den der Käufer in Erfüllung des Vertrages<br />

die Möglichkeit erlangt, sich durch einseitigen Akt sofort den<br />

Gewahrsam der Ware zu verschaffen, diese zu untersuchen und darüber<br />

tatsächlich zu verfügen. Zu den offenen Mängeln gehören auch<br />

diejenigen, die der Käufer bei einer nach ordnungsgemäßem Geschäftsgang<br />

tunlichen Überprüfung alsbald nach der Ablieferung erkennen<br />

kann. Bei gleichartigen Massengütern genügt der Käufer seiner<br />

Untersuchungsobliegenheit durch Entnahme von repräsentativen,<br />

d.h. sinnvoll auf die Gesamtmenge verteilten Stichproben.<br />

BGH DB 2000, 567: Auch beim Kauf von Standard-Software ist die<br />

Kaufsache mangels anderweitiger Vereinbarung dann „abgeliefert“,<br />

wenn sie vom Verkäufer in Erfüllungsabsicht derart in den Machbe-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

173<br />

______________________________________________________________<br />

reich des Käufers gebracht wird, dass dieser sie auf das Vorhandensein<br />

von Mängeln untersuchen kann. Haben die Parteien eines beiderseitigen<br />

Handelskaufs vereinbart, dass die fehlerhafte Ware vom Verkäufer<br />

nachgebessert werden soll, so hat der Käufer nach Beendigung<br />

der Nachbesserungsarbeiten zur Erhaltung seiner Rechte die Kaufsache<br />

unverzüglich erneut zu untersuchen und verbliebene oder neue<br />

Mängel wiederum unverzüglich zu rügen.<br />

BGH NJW 1996, 1537 [Schuhleder]: Der Käufer, der in langjähriger<br />

Geschäftsbeziehung vom Verkäufer regelmäßig gleichartige, mangelfreie<br />

Ware bezieht, darf darauf vertrauen, dass der Verkäufer ihn auf<br />

Änderungen der Beschaffenheit der Ware hinweist. Das Unterlassen<br />

eines solchen Hinweises kann zu einem Schadensersatzanspruch des<br />

Käufers aus positiver Vertragsverletzung führen, wenn die Ware in<br />

Folge der geänderten Beschaffenheit einen Mangel aufweist. Es gilt<br />

§ 377 Abs. 3 HGB entsprechend.<br />

� Merke: Die Rüge soll den Verkäufer über Mängel informieren,<br />

nicht über die Geltendmachung von Rechten durch den Käufer.<br />

Ratio der gesetzlichen Regelung ist es nämlich im wesentlichen,<br />

den Verkäufer vor einer durch zunehmenden Zeitablauf größer<br />

werdenden Beweisnot zu schützen, vgl. o.<br />

Für die Frist bezüglich der Rüge gilt gleichfalls das Gebot der<br />

Unverzüglichkeit, s.o.<br />

BGH, Urt. v. 17.09.2002, Az. X ZR 248/00 [Zur Untersuchungs- und<br />

Rügeobliegenheit nach § 377 HGB]: Der BGH befasst sich mit einer<br />

Vielzahl von Fragen im Zusammenhang mit den Obliegenheiten nach<br />

§ 377 HGB. Die wesentlichen Aussagen des Gerichts lauten wie folgt:<br />

- Die Obliegenheit des Erwerbers aus § 377 Abs. 1 HGB bemisst sich<br />

danach, was unter Berücksichtigung aller Umständen nach ordnungsgemäßem<br />

Geschäftsgang tunlich ist.<br />

- Ein bestehender Handelsbrauch kann die Art und den Umfang der<br />

Rügepflicht beeinflussen; ein bestehender Handelsbrauch kann aber<br />

nicht von jeder Untersuchungspflicht entbinden; gäbe es einen solchen,<br />

so wäre dies ein unbeachtlicher Missbrauch.<br />

- Ist eine sachliche gebotene und zumutbare Art der Untersuchung<br />

nicht branchenüblich, so verdient eine solche Übung keinen rechtlichen<br />

Schutz<br />

- Allgemein ist die nach § 377 Abs. 1 HGB vorzunehmende Untersuchung<br />

auf solche Mängel auszurichten, die bei einer mit verkehrsüblicher<br />

Sorgfalt durchgeführten Überprüfung der Ware sichtbar werden;<br />

dabei sind die Anforderungen durch eine Interessenabwägung zu ermitteln.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

174<br />

______________________________________________________________<br />

- Ob im Einzelfall verschärfte Untersuchungsanforderungen zum Tragen<br />

kommen, hängt von der Natur der Ware, von den Branchengepflogenheiten<br />

sowie vor allem von dem Gewicht der zu erwartenden Mangelfolgen<br />

und von etwaigen Auffälligkeiten der gelieferten Ware oder<br />

früheren, nach wie vor als Verdacht fortwirkenden Mangelfällen ab.<br />

Dem Käufer aus früheren Lieferungen bekannte Schwachstellen der<br />

Ware müssen eher geprüft werden als das Vorliegen von Eigenschaften,<br />

die bislang nie gefehlt haben.<br />

- Die Zusicherung einer Eigenschaft schließt die Anwendung von § 377<br />

HGB nicht aus. Hat der Käufer Anlass und durch zumutbare Maßnahmen<br />

Gelegenheit, die Einhaltung der Qualitätszusagen durch den Verkäufer<br />

zu überprüfen, so ist er hierzu auch im Rahmen von § 377 HGB<br />

gehalten.<br />

- Bei der wiederholten Lieferung gleichartiger Waren ist in der Regel<br />

jede Einzellieferung zu untersuchen und zu rügen.<br />

- Ein Verzicht auf die Rechtsfolgen des § 377 Abs. 2 HGB seitens des<br />

Verkäufers kann auch stillschweigend erklärt werden; dafür genügt jedoch<br />

nicht die bloße Aufnahme von Verhandlungen über die vom Erwerber<br />

gerügten Mängel. Vielmehr bedarf es eindeutiger Umstände,<br />

die auf einen Verzicht auf die Genehmigungsfiktion des § 377 Abs. 2<br />

HGB schließen lassen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

175<br />

______________________________________________________________<br />

b) Rechtsfolgen bei nicht ordnungsgemäßer Rüge<br />

� Achtung: Ausgangspunkt der Überlegungen zu den Rechts-<br />

folgen bei nicht ordnungsgemäßer Rüge bildet § 377 Abs. 2<br />

HGB. Bei dieser Bestimmung handelt es sich zugleich um den<br />

„Aufhänger“ in der Klausur. Die Ware gilt nach § 377 Abs. 2 BGB<br />

„als genehmigt“.<br />

Rügt der Käufer ordnungsgemäß und fristgerecht i.S.v. § 377<br />

Abs. 1, 3 HGB, erhält er sich seine Rechte. Neue Rechte des<br />

Käufers entstehen hingegen nicht. Erfüllt der Käufer seine Rüge-<br />

obliegenheit nicht oder zu spät, tritt ein Rechtsverlust bezüglich<br />

des Mangels ein. Die Genehmigung i.S.v. § 377 Abs. 2 HGB<br />

meint die Billigung der Ware hinsichtlich des konkreten Mangels,<br />

nicht erkannte oder auch einfach nicht erkennbare Mängel blei-<br />

ben hiervon unberührt.<br />

• Soweit der Käufer im Rahmen eines beidseitigen Handelsge-<br />

schäfts einen Mangel i.S.d. § 434 BGB nicht unverzüglich<br />

rügt, verliert der Käufer sämtliche Gewährleistungsansprüche<br />

aus § 437 BGB.<br />

• Anders ist dies lediglich bei der Verletzung weiterer kaufver-<br />

traglicher Nebenpflichten durch den Verkäufer, soweit diese<br />

nicht durch § 434 BGB erfasst sind.<br />

Beispiel: Anspruch auf Schadensersatz wegen ungenü-<br />

gender Verpackung, soweit der Anspruch auch dann be-<br />

standen hätte, wenn die Ware mangelfrei geliefert worden<br />

wäre (wieder anders, wenn die Verpackung zur Ware ge-<br />

hört!).<br />

• Unberührt bleiben auch Ansprüche unerlaubter Handlung und<br />

Produkthaftung.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

176<br />

______________________________________________________________<br />

aa) Sonderfall: Falschlieferung<br />

Bei der Falschlieferung sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:<br />

• Fall 1: Tatsächlich gelieferte Ware ist weniger wert als die<br />

bestellte Ware – dann besteht eine Zahlungspflicht bezüglich<br />

des vereinbarten Kaufpreises (str.), dies folgt aus § 377 Abs.<br />

2 HGB (gleiches gilt bei gleichwertiger – anderer – Ware)<br />

• Fall 2: Die tatsächlich gelieferte Ware ist mehr wert als die<br />

bestellte Ware – dann besteht keine Zahlungsverpflichtung<br />

bezüglich des entsprechend höheren Kaufpreises (sehr str.);<br />

argumentiert wird damit, dass das Rügeversäumnis nur zu<br />

einem Verlust von Käuferrechten führe, § 377 HGB aber kei-<br />

ne weitergehenden Verkäuferrechte begründen möchte, so-<br />

weit der Verkäufer mit dem vereinbarten Kaufpreis nicht zu-<br />

frieden sei, stehe ihm die Kondiktion nach §§ 812 ff. BGB of-<br />

fen.<br />

OLG Hamm NJW-RR 2003, 613: Die Frage, ob die Lieferung und<br />

rügelose Entgegennahme einer – im Vergleich zur bestellten – höherwertigen<br />

Ware dazu führt, dass der Besteller auch die erhöhte<br />

Vergütung zu bezahlen hat, ist umstritten. Soweit die Auffassung<br />

vertreten wird, die Versäumung der Rüge solle dem Käufer, nicht<br />

dem Verkäufer zum Nachteil gereichen, ist dem nicht zu folgen.<br />

Diese Begründung bietet keine Rechtfertigung dafür, dass der<br />

Kaufpreis – und damit der Vertragsinhalt – durch die versäumte<br />

Rüge geändert wird.<br />

bb) Sonderfall: Zuwenig-Lieferung<br />

Wird weniger als zugesagt geliefert, hat der Verkäufer Anspruch<br />

auf Zahlung des vollen Kaufpreises und es besteht kein Recht<br />

des Käufers auf Nachforderung der nicht gelieferten Menge,<br />

BGHZ 91, 300. Nach h.M. soll dies auch dann gelten, wenn sich<br />

die Minderlieferung unschwer kennen lässt.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

177<br />

______________________________________________________________<br />

� Achtung: Im Falle einer sog. „offenen“ Minderlieferung, die<br />

aus einem Lieferschein, der Rechnung oder aufgrund ergänzen-<br />

der Informationen des Verkäufers ersichtlich ist, liegt der Fall<br />

wiederum anders. Hierin ist nämlich nach h.M. eine konkludente<br />

Vertragsänderung zu sehen. Folge ist, dass der Käufer zwar ei-<br />

nerseits nichts mehr verlangen kann, andererseits aber auch nur<br />

zur Zahlung des entsprechend geringeren Kaufpreises verpflich-<br />

tet ist.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

178<br />

______________________________________________________________<br />

B. Überlassungsverträge<br />

I. Miete (§§ 535 ff. BGB)<br />

1. Pflichten der Vertragsparteien<br />

Die Pflichten der Vertragsparteien bestimmen sich im wesentli-<br />

chen nach § 535 BGB. Durch den Mietvertrag wird der Vermieter<br />

verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während<br />

der Mietzeit zu gewähren, § 535 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Vermieter<br />

hat die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen<br />

Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während<br />

der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten, § 535 Abs. 1 S. 2<br />

BGB. Der Mieter wiederum ist verpflichtet, dem Vermieter den<br />

vereinbarten Mietzins zu entrichten, § 535 Abs. 2 BGB.<br />

Die Miete ist ein sog. Dauerschuldverhältnis.<br />

<strong>2.</strong> Leistungsstörungen<br />

a) § 536 BGB<br />

b) § 536 a BGB (Schadensersatzanspruch), wenn<br />

• Mangel bei Abschluss des Vertrages vorhanden ist,<br />

• späterer Mangeleintritt vom Vermieter zu vertreten ist oder<br />

• Vermieter in Verzug mit Mängelbeseitigung kommt<br />

c) Anspruch auf Aufwendungsersatz wegen eines Mangels nach<br />

§ 536 a Abs. 2 BGB<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

179<br />

______________________________________________________________<br />

II. Leasing<br />

1. Begriff „Leasing“<br />

Mit dem Begriff „Leasing“ werden sehr unterschiedliche Geschäf-<br />

te bezeichnet.<br />

Der BGH zieht für das Leasing grundsätzlich die mietrechtlichen<br />

Vorschriften entsprechend heran.<br />

Merke: Ein Leasingvertrag zeichnet sich grundsätzlich dadurch<br />

aus, dass der sog. Leasinggeber eine (Leasing)Sache dem sog.<br />

Leasingnehmer gegen ein in Raten zu zahlendes Entgelt zum<br />

Gebrauch überlässt, wobei Gefahr und Haftung für Instandhal-<br />

tung, Sachmängel, Untergang und Beschädigung der Sache al-<br />

lein den Leasingnehmer treffen, der Leasinggeber dafür seine<br />

Ansprüche gegen Dritte (insbesondere gegen den Lieferanten<br />

des Gutes) dem Leasingnehmer überträgt.<br />

Kaufvertrag, §§ 433 ff. BGB<br />

Leasinggeber Hersteller<br />

Leasingvertrag<br />

Leasingnehmer<br />

Ansprüche aus Mängelhaftung, 434 ff. BGB<br />

Abtretung der Ansprüche aus Mängelhaf-<br />

tung, §§ 398 ff. BGB<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

180<br />

______________________________________________________________<br />

<strong>2.</strong> Arten des Leasing (Auswahl)<br />

a) Das Finanzierungsleasing: Leasingvertrag, bei dem der Lea-<br />

singnehmer für die Amortisation der von dem Leasinggeber für<br />

die Anschaffung der Leasingsache gemachten Aufwendungen<br />

und Kosten einzustehen hat. Voraussetzung für das Finanzie-<br />

rungsleasing ist eine längere Mietzeit (meist 3-7 Jahre), oft mit<br />

Verlängerungs- oder Kaufoption. Hierbei handelt es sich um die<br />

in der Praxis häufigste Form des Leasing.<br />

b) Das Operating-Leasing: Dabei ist die Vertragsdauer unbe-<br />

stimmt oder eine sehr kurze Grundmietzeit vereinbart, die Kündi-<br />

gung erleichtert oder gar jederzeit möglich. Diese Form des Lea-<br />

sing eignet sich v.a. für solche Güter, bei denen der Leasing-<br />

nehmer nicht weiß, wie lange er sie benötigt und ob er sie erwer-<br />

ben will.<br />

c) Das Hersteller-Leasing: Besonderheit dieser Art des Leasing ist<br />

der Umstand, dass der Lieferant (= Hersteller oder Händler)<br />

selbst Leasinggeber ist. Es fehlt mithin das für den Leasingver-<br />

trag ansonsten typische Dreiecksverhältnis. In der Regel liegt ein<br />

Miet- oder Teilzahlungskauf vor oder reine Miete, wenn jedes<br />

Optionsrecht fehlt.<br />

d) Das Null-Leasing: Dabei handelt es sich um eine im Kraftfahr-<br />

zeug- und Elektrofachhandel gebräuchliche Form des Leasing.<br />

Von einem Null-Leasing spricht man, wenn dem Leasingnehmer<br />

die Sache für eine bestimmte Zeit gegen periodisch fällig wer-<br />

dende Raten ohne Zins zum Gebrauch überlassen wird und nach<br />

Ablauf des Vertrages von ihm für einen bei Vertragsschluss fest-<br />

gesetzten Preis bindend zum Erwerb des Eigentums angeboten<br />

wird.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

181<br />

______________________________________________________________<br />

e) Sale–and–Lease–back–Vereinbarung: Hier ist der Leasing-<br />

nehmer zunächst Eigentümer des Leasinggutes. Letzteres wird<br />

vom Leasingnehmer an den Leasinggeber verkauft und übereig-<br />

net, um es sodann (zurück) zu leasen.<br />

3. Mängelhaftung, insbesondere das Problem des<br />

Rücktritts<br />

Eine Haftung des Leasinggebers besteht wegen des regelmäßig<br />

verabredeten Mängelhaftungsausschlusses jedenfalls dann<br />

nicht, wenn der Leasinggeber seine Ansprüche auf Mängelhaf-<br />

tung gegen den Hersteller/Lieferanten an den Leasingnehmer<br />

abgetreten hat.<br />

Für den Rücktritt gilt folgendes: Da der Leasingvertrag zwischen<br />

Leasinggeber und Leasingnehmer neben dem „Anschaffungsver-<br />

trag“ zwischen Leasinggeber und Drittem (= Verkäufer, Herstel-<br />

ler, Lieferant pp.) steht, muss es im Falle des Rücktritts zu einer<br />

Verknüpfung kommen. Die Rechtsprechung bemüht dazu das<br />

Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, nunmehr<br />

gesetzlich in § 313 BGB geregelt. Der „Wegfall“ des Kaufs durch<br />

Rücktritt soll die Geschäftsgrundlage für den Leasingvertrag ent-<br />

fallen lassen (BGHZ 81, 298).<br />

Exkurs: Wegfall bzw. Störung der Geschäftsgrundlage<br />

In § 313 BGB kodifiziert das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz die<br />

von Rechtsprechung und Lehre für Störungen der Geschäftsgrundlage<br />

entwickelten Rechtsgrundsätze. Diese ermöglichen unter bestimmten,<br />

im Zweifel eng zu interpretierenden Voraussetzungen bei Störungen<br />

der Geschäftsgrundlage eine Anpassung des Vertragsinhalts an<br />

veränderte Verhältnisse und schränken im Rahmen ihres Anwen-<br />

dungsbereichs den Grundsatz der Vertragstreue ein. Eine Abweichung<br />

zum bisherigen Recht weist das Gesetz in § 313 BGB insoweit auf, als<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

182<br />

______________________________________________________________<br />

Anpassung „verlangt werden“ kann. Das Gesetz gibt dem durch die<br />

Störung Benachteiligten mithin einen Anspruch auf Anpassung. Es er-<br />

folgt – anders als dies in der bisherigen Rechtsprechung gesehen wur-<br />

de – keine Anpassung kraft Gesetzes.<br />

� Achtung: Nach der gesetzlichen Regelung in § 313 BGB ist<br />

das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage als Ein-<br />

rede ausgestaltet.<br />

Beispiele: Gemeinsamer Irrtum über steuerliche Folgen eines<br />

Geschäfts (u.U. aber auch – vorrangig – ergänzende Ver-<br />

tragsauslegung!); Abfindungsvereinbarungen über Schadens-<br />

ersatzansprüche sind anzupassen, wenn beide Parteien von ir-<br />

rigen Vorstellungen über den Schadensumfang ausgegangen<br />

sind; nicht schon das Scheitern einer in Aussicht genommenen<br />

Finanzierung<br />

III. Pacht (§§ 581 ff. BGB)<br />

Beachten Sie die Verweisung auf die Mietvorschriften (§ 581<br />

Abs. 2 BGB)!<br />

IV. Leihe (§§ 598 ff. BGB)<br />

V. Darlehen (§§ 488 ff./§§ 607 ff. BGB)<br />

Die Leihe und das Darlehen dürfen nicht miteinander verwech-<br />

selt werden. Die Leihe ist stets unentgeltlich.<br />

Die Schuldrechtsreform hat eine Unterscheidung zwischen ei-<br />

nem Gelddarlehensvertrag sowie einem Sachdarlehensvertrag<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

183<br />

______________________________________________________________<br />

mit sich gebracht, §§ 488 ff. BGB einerseits, §§ 607 ff. BGB an-<br />

dererseits.<br />

Beim Gelddarlehen ist zudem auf den Verbraucherdarlehensver-<br />

trag gesondert zu achten (§§ 491 ff. BGB).<br />

C. Dienst- , Werk- und Werklieferungsvertrag<br />

I. Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB)<br />

1. Abgrenzung Dienstvertrag - Werkvertrag<br />

Zu beachten ist, dass der Dienstverpflichtete - anders als der<br />

Werkunternehmer - keinen bestimmten Erfolg, sondern lediglich<br />

ein Bemühen in Richtung der versprochenen Dienste schuldet.<br />

Dies führt u.U. zu einer schwierigen Abgrenzung zwischen Werk-<br />

und Dienstvertrag.<br />

Beispiele für Dienstverträge: Arztvertrag (z.B. Vertrag mit<br />

Zahnarzt auf Heilbehandlung oder Verschönerung des Gebis-<br />

ses); Vertrag mit Rechtsanwalt über Dauerberatung; Ber-<br />

gungsvertrag usw.<br />

Beispiele für Werkverträge: Architektenvertrag; Bauvertrag;<br />

Vertrag mit Friseur über Dauerwelle; Vertrag über laufende<br />

Gebäudereinigung, die persönlich und in Abwesenheit des Auf-<br />

traggebers zu erbringen ist; Vertrag mit Schornsteinfeger; Ver-<br />

trag mit Statiker; verpflichtet sich der Verkäufer eines ge-<br />

brauchten Kfz die TÜV-Abnahme selbst noch herbeizuführen,<br />

soll es sich dabei ebenfalls noch um eine werkvertragliche<br />

Leistungsverpflichtung handeln; Wartung (Inspektion) eines<br />

Kraftfahrzeuges usw.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

184<br />

______________________________________________________________<br />

<strong>2.</strong> Nichtige/anfechtbare Dienstverträge<br />

Auch Dienstverträge sind nichtig oder anfechtbar. Allerdings sind<br />

Nichtigkeit und Anfechtbarkeit unter bestimmten Voraussetzun-<br />

gen nur für die Zukunft (ex nunc) zu berücksichtigen. Sinn und<br />

Zweck dieses Umstandes ist der Schutz des Dienstverpflichte-<br />

ten, der im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages Dienste<br />

geleistet hat.<br />

3. Beendigung des Dienstvertrages<br />

a) Durch Zeitablauf (§ 620 Abs. 1 BGB)<br />

b) Durch Kündigung<br />

Bei der Kündigung ist allerdings wie folgt zu unterscheiden:<br />

aa) Ordentliche Kündigung: §§ 621, 622, 624, BGB<br />

bb) Außerordentliche Kündigung: §§ 626, 627 BGB.<br />

� Achtung: Im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzge-<br />

setzes (KSchG) kann die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses<br />

nur aus den dort genannten Gründen erfolgen (s. v.a. §§ 1, 4, 13,<br />

23 KSchG).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

185<br />

______________________________________________________________<br />

4. Exkurs: Arbeitsrecht<br />

Während den §§ 611 ff. BGB alle Arten von Dienstverhältnissen<br />

unterfallen, regelt das Arbeitsrecht Rechtsfragen, die im Zusam-<br />

menhang mit abhängiger Beschäftigung verbunden sind (so z.B.<br />

im KSchG, MuSchG, EntgeltFG usw.). Der Arbeitsvertrag ist mit-<br />

hin ein spezieller Fall des Dienstvertrages.<br />

Nachfolgend soll ein paar wenigen, bedeutsamen Fragestellun-<br />

gen des Arbeitsrechts nachgegangen werden.<br />

a) Abgrenzung Arbeits-/Dienstverhältnis<br />

aa) Warum abgrenzen?<br />

Die Abgrenzung zwischen einem Arbeits- und einem Dienstver-<br />

hältnis ist unter zwei Gesichtspunkten von rechtlicher Relevanz:<br />

• Zuständigkeit der Arbeitsgerichte (s. v.a. § 2 Abs. 1 Nr. 3<br />

ArbGG) _ Arbeitnehmerbegriff im verfahrensrechtlichen Sinne<br />

nach § 5 ArbGG<br />

• Anwendbarkeit des Individualarbeitsrechts (z.B. KSchG) _<br />

Arbeitnehmerbegriff i.S. des materiellen (Individual-<br />

)Arbeitsrechts<br />

bb) Abgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs im materiell-<br />

rechtlichen Sinne<br />

(1) Die h.M. grenzt auf der Grundlage der sog. Vertragstheorie ab.<br />

Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund freier Bereitschaft für ei-<br />

nen Anderen eine im wesentlichen von diesem bestimmte Arbeit<br />

leistet. Dienstnehmer ist hingegen derjenige, der im wesentlichen<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

186<br />

______________________________________________________________<br />

frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit (sowie den Ort<br />

seiner Arbeit) bestimmen kann, vgl. § 84 Abs. 1 S. 2 HGB.<br />

Für ein Arbeitsverhältnis sprechen<br />

• Weisungsabhängigkeit<br />

• Eingliederung in fremde Arbeitsorganisation<br />

• Verpflichtung, bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten<br />

• Vollständige Inanspruchnahme der Arbeitskraft<br />

• Arbeit an einem bestimmten Ort (Arbeitsplatz)<br />

• Pflicht zur regelmäßigen Berichterstattung, einschließlich Ent-<br />

schuldigung bei Erkrankung<br />

• Unternehmerrisiko liegt beim Dienstberechtigten<br />

• Verrichtung untergeordneter Tätigkeit (Problem der abhängi-<br />

gen Selbständigkeit)<br />

BAG NZA 1997, 191: Tankwart als Arbeitnehmer<br />

BAG DB 1997, 2127: Ob im konkreten Fall eine Partei Arbeitnehmer<br />

oder arbeitnehmerähnliche Person ist, richtet sich ausschließlich<br />

danach, ob sie persönlich abhängig oder zwar rechtlich selbständig,<br />

aber wirtschaftlich abhängig und einem Arbeitnehmer vergleichbar<br />

schutzwürdig ist; demnach kann gegebenenfalls auch ein<br />

Franchisenehmer Arbeitnehmer sein.<br />

BAG NZA 1998, 364: Der Frachtführer i.S.d. § 425 HGB ist grundsätzlich<br />

kein Arbeitnehmer; wird die Tätigkeit des Transporteurs<br />

stärker eingeschränkt, als es aufgrund gesetzlicher Regelungen<br />

oder wegen versicherungsrechtlicher Obliegenheiten geboten ist,<br />

so kann das Rechtsverhältnis aber als ein Arbeitsverhältnis anzusehen<br />

sein.<br />

BAG NZA 1998, 368: Zeitungszusteller können Arbeitnehmer wie<br />

auch Selbständige sein. Muss der Zusteller weitere Mitarbeiter einsetzen,<br />

um sein Arbeitsvolumen zu bewältigen, spricht dies gegen<br />

einen Arbeitnehmerstatus.<br />

LAG Düsseldorf DB 1998, 207: Sargträger trotz Gewerbeanmeldung<br />

Arbeitnehmer!<br />

BAG NZA 2000, 535: Ob ein Versicherungsvertreter (hier: Einfirmenvertreter)<br />

Arbeitnehmer oder Selbständiger ist, bestimmt sich<br />

nach § 84 Abs. 1 S. 2 HGB. Maßgeblich sind die Umstände des<br />

Einzelfalles. Vertragliche Pflichten des Versicherungsvertreters, die<br />

nicht die geschuldete Tätigkeit, sondern ein sonstiges Verhalten<br />

betreffen, sind zur Abgrenzung regelmäßig nicht geeignet.<br />

BAG NZA 1998, 939: Der Gesellschafter einer GmbH, dem mehr<br />

als 50 % der Stimmen zustehen, kann auch dann kein Arbeitnehmer<br />

dieser Gesellschaft sein, wenn er nicht Geschäftsführer ist. Ob<br />

der Gesellschafter tatsächlich Leitungsmacht ausübt, ist unerheblich.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

187<br />

______________________________________________________________<br />

� Achtung 1: Die Bezeichnung im Anstellungsvertrag ist irrele-<br />

vant. Maßgeblich ist das tatsächlich „gelebte“ Rechtsverhältnis.<br />

� Achtung 2: Das Vorstehende bezieht sich auf den Begriff des<br />

Arbeitnehmers im arbeitsrechtlichen Sinne. Davon zu unter-<br />

scheiden ist die Unterscheidung zwischen selbständiger und un-<br />

selbständiger Tätigkeit im Sozialversicherungsrecht und Steuer-<br />

recht. Der sog. geringfügig Beschäftigte ist sowohl von sozialver-<br />

sicherungsrechtlich wie auch steuerrechtlich besonderer Bedeu-<br />

tung, weil für ihn besondere Regelungen gelten. Dies ist im Ar-<br />

beitsrecht nicht der Fall. Ein geringfügig Beschäftigter ist Arbeit-<br />

nehmer, wie auch die Vollzeitkraft Arbeitnehmer ist. Insoweit ist<br />

die geringfügige Beschäftigung vor dem Hintergrund des Arbeit-<br />

nehmerstatus keine arbeitsrechtlich gesondert zu betrachtende<br />

Kategorie des Rechts.<br />

(2) Grundsätzlich keine Arbeitnehmer sind<br />

• Beamte und Richter, vgl. § 5 Abs. 2 ArbGG<br />

• Familienangehörige, die aufgrund familienrechtlicher Bindung<br />

Arbeit leisten (vgl. §§ 1353, 1360; 1619 BGB)<br />

• Grundsätzlich: Gesellschafter von Personengesellschaften<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

188<br />

______________________________________________________________<br />

� Achtung: Ob Gesellschafter und Organmitglieder juristischer<br />

Personen im Arbeitsrecht als Arbeitnehmer zu bewerten sind,<br />

kann allerdings nicht allgemein gesagt werden. In einer BGB-<br />

Gesellschaft kann der Mitgesellschafter nicht in einem Arbeits-<br />

verhältnis zu einem anderen Gesellschafter stehen. Auch kann<br />

ein Vorstandsmitglied einer AG aus gesellschaftsrechtlichen<br />

Gründen kein Arbeitnehmer sein. Bei Geschäftsführern einer<br />

GmbH kann die Arbeitnehmereigenschaft aber nicht generell<br />

verneint werden, da die von der gesellschaftsrechtlichen Wei-<br />

sungsgebundenheit geprägte Organstellung des Geschäftsfüh-<br />

rers (§ 37 GmbHG) mit einer persönlichen Abhängigkeit verbun-<br />

den sein kann. Bei einem sog. Fremdgeschäftsführer, also bei<br />

einem Geschäftsführer, der an der Gesellschaft überhaupt nicht<br />

beteiligt ist, wird in der Regel eine persönliche Abhängigkeit zu<br />

bejahen sein, zumal dieser keinerlei Unternehmerrisiko trägt und<br />

normalerweise ein von der Ertragslage der GmbH unabhängiges<br />

Gehalt bezieht.<br />

b) Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis (hier:<br />

Schlechterfüllung)<br />

aa) Grundsatz: Keine Gewährleistung<br />

� Merke: Der Arbeitnehmer ist nur zur Arbeitsleistung, nicht zur<br />

Herbeiführung eines bestimmten Erfolges verpflichtet; der Ar-<br />

beitnehmer ist weder zur Nachbesserung, noch zur Nachholung<br />

verpflichtet.<br />

Es bleibt dem Arbeitgeber in der Regel lediglich ein Schadener-<br />

satzanspruch aus (u.a.) § 823 Abs. 1 BGB. Mit diesem kann der<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

189<br />

______________________________________________________________<br />

Arbeitgeber gegebenenfalls die Aufrechnung gegenüber ausste-<br />

henden Entgeltzahlungsansprüchen des Arbeitnehmers erklären.<br />

bb) Einzelheiten der Haftung des Arbeitnehmers ge-<br />

genüber dem Arbeitgeber<br />

(1) Grundlegendes<br />

Für den Fall der Pflichtverletzung seitens des Arbeitnehmers<br />

kommt grundsätzlich ein Anspruch des Arbeitgebers auf Scha-<br />

densersatz u.a. nach § 280 Abs. 1 BGB in Betracht. Dies würde<br />

dazu führen, dass ein Arbeitnehmer bereits im Falle einfacher<br />

Fahrlässigkeit dem Arbeitgeber gegenüber zum Ersatze des ge-<br />

samten, dem Arbeitgeber entstandenen Schadens verpflichtet<br />

wäre. Die h.M. erkennt hierin eine Unbilligkeit und schafft daher<br />

im Falle betrieblich veranlasster Handlungen des Arbeitnehmers<br />

einen Interessenausgleich, d.h. ein Haftungsprivileg zu Gunsten<br />

des Arbeitnehmers. Dieses Privileg leitete das Bundesarbeitsge-<br />

richt bislang aus einer analogen Anwendung des § 254 BGB ab.<br />

Durch das Schuldrechtsreformgesetz will die nunmehr h.M. für<br />

den sog. innerbetrieblichen Schadenausgleich in § 276 BGB ei-<br />

ne Stütze sehen, da dort die Rede ist von einer „milderen Haf-<br />

tung“, die im Einzelfall dem Inhalt des Schuldverhältnisses zu<br />

entnehmen sein kann.<br />

BAG GrS DB 1994, 2237: Um den Arbeitgeber nicht mit dem allgemeinen<br />

Lebensrisiko des Arbeitnehmers zu belasten, muss die Tätigkeit,<br />

die zu dem Schaden geführt hat, durch den Betrieb veranlasst und<br />

aufgrund des Arbeitsvertrages geleistet worden sein.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

190<br />

______________________________________________________________<br />

(2) Haftungsprivileg nur bei gefahrgeneigter Arbeit?<br />

BAG, a.a.O.: Die Beschränkung der Haftungserleichterung ist aufzugeben,<br />

weil sonst Arbeitnehmer, die keine gefahrgeneigte Tätigkeit<br />

ausüben, bei Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten grundsätzlich<br />

den gesamten Schaden des Arbeitgebers tragen müssen. Ob und gegebenenfalls<br />

in welchem Umfang der Arbeitnehmer an den Schadensfolgen<br />

zu beteiligen ist, richtet sich im Rahmen einer Abwicklung der<br />

Gesamtumstände, insbesondere von Schadensanlass und Schadensfolgen,<br />

nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten.<br />

Maßgeblich Umstände im vorgenannten Sinne sind nach Auffas-<br />

sung des BAG (z.B. BAG NZA 1998, 140):<br />

• Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers<br />

• Gefahrgeneigtheit der Arbeit<br />

• Schadenshöhe<br />

• Vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch Versicherung<br />

deckbares Risiko (beispielsweise bei Kraftfahrzeugschäden)<br />

• Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb<br />

• Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risi-<br />

koprämie enthalten ist<br />

• U.U. auch die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers<br />

(Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Familien-<br />

verhältnisse und bisheriges Verhalten)<br />

(3) Insbesondere: Grad des Verschuldens des Arbeit-<br />

nehmers<br />

• Keine Haftungsbeschränkung bei vorsätzlichem und grund-<br />

sätzlich auch nicht bei grob fahrlässigem Verhalten des Ar-<br />

beitnehmers.<br />

S. aber: BAG NZA 1998,140: Auch bei grob fahrlässiger Schadensverursachung<br />

durch den Arbeitgeber sind Haftungserleichterungen<br />

nicht ausgeschlossen. Für die Abwicklung im Einzelfall<br />

kann es maßgeblich darauf ankommen, dass der Verdienst des<br />

Arbeitnehmers [hier: 3.500,00 DM brutto] in einem deutlichen Missverhältnis<br />

zum Schadensrisiko der Tätigkeit [Schaden hier:<br />

150.000,00 DM] steht [BAG spricht 20.000,00 DM zu].<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

191<br />

______________________________________________________________<br />

BAG NZA 2002, 612: Auch bei grober Fahrlässigkeit sind Haftungserleichterungen<br />

zu Gunsten des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen,<br />

wenn der Verdienst des Arbeitnehmers in einem deutlichen<br />

Missverhältnis zum verwirklichten Schadensrisiko der Tätigkeit<br />

steht. Liegt der zu ersetzende Schaden nicht über drei Bruttomonatseinkommen<br />

des Arbeitnehmers, besteht zu einer Haftungsbegrenzung<br />

keine Veranlassung. Lässt der inkassoberechtigte Restaurantleiter<br />

der MITROPA AG die Kellnerbrieftasche mit Einnahmen<br />

unverschlossen im Restaurantwagen zurück, um zu telefonieren,<br />

haftet er in der Regel dem Arbeitgeber für die abhanden gekommene<br />

Einnahmen wegen grob fahrlässig begangener positiver<br />

Vertragsverletzung.<br />

BAG DB 2002, 2050: Ein vorsätzlicher Pflichtverstoß führt nur<br />

dann zur vollen Haftung des Arbeitnehmers, wenn auch der Schaden<br />

vom Vorsatz umfasst ist. Im Übrigen setzt eine Haftungserleichterung<br />

auf Seiten des Arbeitnehmers stets voraus, dass die<br />

Tätigkeit betrieblich veranlasst ist. Betrieblich veranlasst sind nur<br />

solche Tätigkeiten des Arbeitnehmers, die ihm arbeitsvertraglich<br />

übertragen worden sind oder die er im Interesse des Arbeitgebers<br />

für den Betrieb ausführt.<br />

• Leichteste Fahrlässigkeit: Arbeitgeber haftet allein<br />

• Mittlere Fahrlässigkeit: Quotenmäßige Aufteilung<br />

BAG NZA 1995, 565: Eine Flugbegleiterin, die entgegen einschlägiger<br />

Dienstvorschriften bei einem Flug nach USA keinen Reisepass<br />

mit sich führt und damit eine von der Einreisebehörde gegen<br />

das Luftfahrtunternehmen verhängte Einreisestrafe von 3.000,00<br />

US $ verursacht, haftet ihrem Arbeitgeber wegen schuldhafter Verletzung<br />

des Arbeitsvertrages auf Schadensersatz. Die Haftung ist<br />

aber nach den Grundsätzen der Haftungsbeschränkung des Arbeitnehmers<br />

bei betrieblicher Tätigkeit zu mildern. Darüber hinaus<br />

ist bei der Haftungsquote ein Mitverschulden des Arbeitgebers zu<br />

berücksichtigen, wenn das Luftfahrtunternehmen keinerlei Kontrolle<br />

zur Überprüfung der Einreisedokumente der Flugbegleiterin vorgenommen<br />

hat [hier: Haftung zu ein Drittel].<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

192<br />

______________________________________________________________<br />

c) Die ordentliche (fristgemäße) Kündigung durch den<br />

Arbeitgeber<br />

Prüfungsschema 20: Die ordentliche Kündigung des Arbeit-<br />

nehmers durch den Arbeitgeber<br />

1. Kündigungserklärung ordnungsgemäß (Achtung: Schrift-<br />

formerfordernis nach § 623 BGB!)<br />

<strong>2.</strong> Zugang der Willenserklärung, § 130 BGB<br />

3. Ausschluss der ordentlichen Kündigung (z.B. kraft Ar-<br />

beitsvertrages oder – allgemein – bei befristeten Arbeits-<br />

verhältnissen nach § 620 Abs. 3 BGB i.V.m. § 15 Abs. 3<br />

TzBfG)<br />

4. Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung (z.B. nach § 9<br />

Abs. 3 MuSchG)<br />

5. Anhörung des Betriebsrates/Personalrates (z.B. § 102<br />

BetrVG)<br />

6. Kündigungsschutz nach dem KSchG – Begründungs-<br />

pflicht?<br />

a) Kündigungsschutzgesetz anwendbar (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs.<br />

1 KSchG)?<br />

b) Klagefrist eingehalten (§§ 4, 7 KSchG)<br />

c) Kündigung sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG)<br />

aa) Betriebsbedingte Kündigung<br />

bb) Verhaltensbedingte Kündigung<br />

cc) Personenbedingte Kündigung<br />

d) Soziale Auswahl bei der betriebsbedingten Kündigung (§ 1<br />

Abs. 3 KSchG)<br />

7. Außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes: „Mindestmaß<br />

gebotener sozialer Rücksichtnahme“ gewahrt?<br />

8. Kündigungsfrist abgelaufen (siehe v.a. § 622 BGB)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

193<br />

______________________________________________________________<br />

d) Die außerordentliche Kündigung durch den Arbeit-<br />

geber<br />

Prüfungsschema 21: Die außerordentliche Kündigung des<br />

Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber<br />

1. Kündigungserklärung ordnungsgemäß (s.o.)<br />

<strong>2.</strong> Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung (z.B. nach § 103<br />

BetrVG)<br />

3. Anhörung des Betriebsrates/Personalrates (z.B. § 102<br />

BetrVG)<br />

4. Wichtiger Grund<br />

a) Klagefrist (§§ 4, 13 Abs. 1 S. 2 KSchG), sofern Kündi-<br />

gungsschutzgesetz anwendbar<br />

b) Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 BGB)<br />

c) Vorliegen eines wichtigen Grundes<br />

II. Werkvertrag (§§ 631 ff. BGB)<br />

� Achtung: Anders als im Bereich des Kaufvertrages sind die<br />

durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz bedingten Ände-<br />

rungen im Bereich des Werkvertragsrechts weitaus weniger gra-<br />

vierend. Schon bislang hatte der Besteller einen Anspruch auf<br />

ein mangelfreies Werk. Zudem war der Besteller bei Mängeln<br />

dem Unternehmer immer schon verpflichtet, eine Chance zur<br />

Mangelbeseitigung einzuräumen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

194<br />

______________________________________________________________<br />

1. Pflichten der Vertragsparteien<br />

a) Pflichten des Unternehmers<br />

Der Unternehmer hat zum einen die Pflicht zur Herstellung des<br />

mangelfreien Werkes (§ 631 Abs. 1 BGB). Zudem treffen ihn<br />

sonstige Nebenpflichten, beispielsweise Obhutspflichten.<br />

b) Pflichten des Bestellers<br />

Der Besteller hat zunächst die Pflicht zur Entrichtung der Vergü-<br />

tung (§§ 631 Abs. 1, 632, 632 a, 641 BGB). Von großer Bedeu-<br />

tung ist die Abnahme, weil von ihr die Fälligkeit der Vergütung<br />

abhängt, § 641 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />

Unter einer Abnahme i.S.d. § 640 Abs. 1 BGB versteht man die<br />

reale Entgegennahme des Werkes – soweit tatsächlich möglich –<br />

zuzüglich der Billigung des Werkes als im wesentlichen vertrags-<br />

gemäß; s. auch § 646 BGB.<br />

Die Abnahme ist eine Hauptpflicht des Bestellers. Bei Verzug<br />

oder Nichterfüllung gelten § 644 Abs. 1 S. 2 BGB sowie die all-<br />

gemeinen Vorschriften.<br />

� Achtung: Beachten Sie die Vorschriften der<br />

§§ 640, 641, 641 a BGB!<br />

Zudem ist der Besteller u.U. zur Mitwirkung verpflichtet, vgl.<br />

§ 642 BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

195<br />

______________________________________________________________<br />

c) Gefahrtragung<br />

• § 644 Abs. 1 S. 1 BGB<br />

• § 644 Abs. 1 S. 2 BGB<br />

• § 645 Abs. 1 S. 1 BGB<br />

<strong>2.</strong> Mangelbegriff beim Werkvertrag<br />

Für die Frage nach dem Vorliegen eines Sachmangels im Rah-<br />

men eines Werkvertrages ist § 633 Abs. 2 BGB maßgeblich. Die<br />

Vorschrift entspricht weitgehend der Bestimmung beim Kaufver-<br />

trag, vgl. § 434 BGB.<br />

§ 633 Abs. 3 BGB befasst sich mit dem Rechtsmangel. Solche<br />

können bei den vom Unternehmer zu beschaffenden Zutaten<br />

vorkommen, ferner bei Werken, deren Gebrauch beispielsweise<br />

Patentschutzrechte Dritter verletzt und daher Unterlassungsan-<br />

sprüchen ausgesetzt ist. Rechtsmängel sind aufgrund des<br />

Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ausdrücklich den Sach-<br />

mängeln gleichgestellt, mithin ist insoweit nunmehr auch eine<br />

Minderung möglich.<br />

3. Die Rechte des Bestellers bei Mängeln (§§ 634, 635–<br />

638 BGB)<br />

a) Anspruch auf Nacherfüllung (§§ 634 Nr. 1, 635 BGB)<br />

Den Anspruch auf Nacherfüllung regeln §§ 634 Nr. 1, 635 BGB.<br />

Anders als im Kaufrecht steht es im Ermessen des Unterneh-<br />

mers, ob er den Mangel des Werkes beseitigt oder ob er ein<br />

neues Werk herstellt, § 635 Abs. 1 BGB. Dafür spricht der Um-<br />

stand, dass der Unternehmer das Werk selbst herstellt und daher<br />

beurteilen kann, welcher Weg (kosten-)günstiger ist.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

196<br />

______________________________________________________________<br />

Die im Zusammenhang mit der Nacherfüllung auftretenden Kos-<br />

ten hat nach § 635 Abs. 2 BGB der Unternehmer zu tragen.<br />

Bei Neuherstellung des Werkes hat der Unternehmer gegenüber<br />

dem Besteller einen Anspruch auf Rückgewähr des mangelhaf-<br />

ten Werkes nach Maßgabe der §§ 346–348 BGB (§ 635 Abs. 4<br />

BGB).<br />

b) Anspruch auf Selbstvornahme (§§ 634 Nr. 2, 637<br />

BGB)<br />

Grundsätzlich steht dem Besteller nach § 637 Abs. 1 BGB ein<br />

Recht zur Selbstvornahme dann zu, wenn der Unternehmer dem<br />

Verlangen nach Nacherfüllung nicht innerhalb der ihm gesetzten<br />

angemessenen Frist nachkommt oder die Nacherfüllung fehl-<br />

schlägt. Anders ist dies nur dann, wenn der Unternehmer die<br />

Nacherfüllung zu Recht verweigert. Die Fristsetzung zur Nacher-<br />

füllung ist nach § 637 Abs. 2 BGB in den dort bestimmten Fällen<br />

entbehrlich.<br />

Nach § 637 Abs. 3 BGB kann der Besteller von dem Unterneh-<br />

mer für die zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Aufwen-<br />

dungen Vorschuss verlangen. Der Anspruch geht auf einen<br />

Geldbetrag. Dieser muss die mutmaßlichen Kosten für die erfor-<br />

derlichen Selbstvornahmemaßnahmen einschließlich der sog.<br />

Regiekosten abdecken.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

197<br />

______________________________________________________________<br />

c) Rücktrittsrecht (§§ 634 Nr. 3, 1. Alt., 323, 326 Abs. 5<br />

BGB)<br />

Kommt der Unternehmer der Aufforderung zur Nacherfüllung<br />

nicht fristgerecht nach oder schlägt der Versuch der Nacherfül-<br />

lung fehl, so kann der Besteller vom Vertrag zurücktreten. Das<br />

Gesetz verweist auf das allgemeine Schuldrecht und das für<br />

Pflichtverletzungen dort geregelte Rücktrittsrecht im Rahmen ge-<br />

genseitiger Verträge nach § 323 BGB.<br />

d) Anspruch auf Minderung (§§ 634 Nr. 3, <strong>2.</strong> Alt., 638<br />

BGB)<br />

Das Minderungsrecht im Rahmen des Werkvertrages ist parallel<br />

zum Kaufrecht (s. dort § 441 BGB) ausgebildet.<br />

e) Anspruch auf Schadensersatz (§§ 634 Nr. 4, 280,<br />

281, 283, 311 a Abs. 2 BGB)<br />

f) Anspruch auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen<br />

(§§ 634 Nr. 4, 284 BGB)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

198<br />

______________________________________________________________<br />

3. Verjährung beim Werkvertrag (§ 634 a BGB)<br />

a) Verjährungsfristen<br />

Die in § 634 Nr. 1, 2 und 4 BGB bezeichneten Ansprüche verjäh-<br />

ren nach<br />

• § 634 a Abs. 1 Nr. 1 BGB innerhalb von zwei Jahren bei ei-<br />

nem Werk, dessen Erfolg in der Herstellung, Wartung oder<br />

Veränderung einer Sache oder in Erbringung von Planungs-<br />

oder Überwachungsleistungen hierfür besteht<br />

• § 634 a Abs. 1 Nr. 2 BGB in fünf Jahren bei einem Bauwerk<br />

und einem Werk, dessen Erfolg in der Erbringung von Pla-<br />

nungs- oder Überwachungsleistungen hierfür besteht<br />

• § 634 Abs. 1 Nr. 3 BGB in der regelmäßigen Verjährungs-<br />

frist bei sonstigen Werkleistungen (maßgebend mithin<br />

§§ 195 ff. BGB).<br />

Nach § 634 a Abs. 3 BGB verjähren die Ansprüche in der regel-<br />

mäßigen Verjährungsfrist, wenn der Unternehmer den Mangel<br />

arglistig verschwiegen hat. Für das Rücktrittsrecht nach § 634<br />

BGB gilt – da kein Anspruch im Rechtssinne - § 218 BGB; s.<br />

auch § 634 a Abs. 5 BGB für die Minderung.<br />

b) Fristbeginn (§ 634 a Abs. 2 BGB)<br />

Die Verjährung beginnt grundsätzlich mit der Abnahme zu laufen.<br />

Anders ist dies immer dort, wo auf die regelmäßige Verjährung<br />

verwiesen wird, da hierfür die nach § 199 BGB geforderte Kennt-<br />

nis maßgebend ist.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

199<br />

______________________________________________________________<br />

III. Werklieferungsvertrag<br />

Der Werklieferungsvertrag ist in § 651 BGB geregelt. Auf einen<br />

solchen Vertrag finden grundsätzlich die Vorschriften über den<br />

Kauf Anwendung, § 651 S. 1 BGB.<br />

D. Die Bürgschaft (§§ 765 ff. BGB) – s. Skript Kreditsiche-<br />

rungsrecht<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

200<br />

______________________________________________________________<br />

6. <strong>Kapitel</strong>: Geschäftsführung<br />

ohne Auftrag<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

201<br />

______________________________________________________________<br />

6. <strong>Kapitel</strong>: Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA),<br />

§§ 677 ff. BGB<br />

Vorbemerkungen<br />

Das Gesetz regelt in den §§ 662 ff. BGB den Auftrag und ähnli-<br />

che Verträge. Bedeutsam ist der Umstand, dass der Auftrag kraft<br />

Gesetzes unentgeltlich ist, § 662 BGB. Eine wichtige Anspruchs-<br />

grundlage des Auftragsrechts enthält<br />

§ 670 BGB (bitte sorgfältig lesen!).<br />

Aufwendungen i.S.d. § 670 BGB sind alle freiwilligen Vermö-<br />

gensopfer. Nach h.M. ist der Begriff der „Aufwendung“ um risiko-<br />

typische Schäden (Schaden = unfreiwillige Vermögensopfer) zu<br />

erweitern.<br />

Bitte beachten Sie auch § 672 BGB (sog. postmortale Voll-<br />

macht).<br />

Die §§ 675 ff. BGB enthalten Bestimmungen über den Ge-<br />

schäftsbesorgungsvertrag (dazu gehört z.B. der Vertrag mit ei-<br />

nem Rechtsanwalt über die Besorgung einer Rechtsangelegen-<br />

heit).<br />

Bitte berücksichtigen Sie zudem, dass §§ 676 a ff. BGB (nachle-<br />

sen!) über den Überweisungsvertrag, den Zahlungsvertrag und<br />

den Girovertrag seit 1999 in das Gesetz aufgenommen worden<br />

sind.<br />

Nachfolgend sind die Sachprobleme erläutert, die dann entste-<br />

hen, wenn es an einem Auftrag o.ä. fehlt und gleichwohl die Re-<br />

gelung wechselseitiger Interessen bestimmt werden muss. Letz-<br />

terem dienen die Vorschriften über die Geschäftsführung ohne<br />

Auftrag. Hierbei handelt es sich um ein gesetzliches Schuld-<br />

verhältnis.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

202<br />

______________________________________________________________<br />

A. Begriff und Ratio der Geschäftsführung ohne Auf-<br />

trag<br />

Die Vorschriften der §§ 677 ff. BGB schaffen einen Interessen-<br />

ausgleich in den Fällen, in denen jemand eine Handlung vor-<br />

nimmt, die eigentlich in den Rechtskreis eines anderen gehört.<br />

Dies beinhaltet<br />

• den Schutz und die Privilegierung des erwünscht und hilfreich<br />

Handelnden sowie<br />

• den Schutz des Einzelnen vor „Einmischung“ in die eigenen<br />

Angelegenheiten, vgl. § 677 BGB.<br />

Die „echte“ Geschäftsführung ohne Auftrag verlangt, dass eine<br />

Person im Interessenbereich eines anderen für eben diesen tätig<br />

wird, ohne dass insoweit eine vertragliche oder gesetzliche Ver-<br />

pflichtung oder sonstige Berechtigung bestanden hat.<br />

B. Die Beteiligten<br />

Rechtlich sind im wesentlichen zwei Personen maßgeblich:<br />

• Der „Helfer“ = der Geschäftsführer<br />

• Der „andere“ = der Geschäftsherr<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

203<br />

______________________________________________________________<br />

C. Die echte berechtigte GoA<br />

Eine echte berechtigte GoA setzt nach § 677 BGB Folgendes<br />

voraus:<br />

(1) Besorgung eines fremden Geschäfts durch den Geschäfts-<br />

führer für einen anderen<br />

(2) Ohne Auftrag oder sonstige Verpflichtung/Berechtigung<br />

(3) Geschäft muss dem Interesse und dem wirklichen oder<br />

mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entsprechen<br />

Sind sämtliche Voraussetzungen erfüllt, ist das gesetzliche<br />

Schuldverhältnis der Geschäftsführung ohne Auftrag i.S. der<br />

§§ 677 ff. BGB wirksam begründet. Daraus erwachsen Rechte<br />

und Pflichten der Beteiligten:<br />

I. Rechtsposition des Geschäftsführers<br />

Der Geschäftsführer ist berechtigt, nach §§ 683 S. 1, 670 BGB<br />

von dem Geschäftsherrn Ersatz seiner Aufwendungen zu ver-<br />

langen. Aufwendungen sind freiwillige Vermögensopfer, die der<br />

Geschäftsführer im Interesse des Geschäftsherrn „erlitten“ hat.<br />

Beispiel: Nachbar N fällt während urlaubsbedingter Abwe-<br />

sendheit eines Hausbewohners (B) Wasser auf, das unter der<br />

Wohnungseingangstür der Wohnung von B herausfließt. N<br />

vermutet einen größeren Wasserschaden, verständigt Hand-<br />

werker und vergütet diese nach ordnungsgemäßer Durchfüh-<br />

rung der Reparatur. Zudem hatte N für eine Öffnung der<br />

Wohnungstür durch einen Schlüsseldienst gesorgt. Nach der<br />

Rückkehr von B aus dem Urlaub verlangt N Ersatz der von<br />

ihm getätigten Aufwendungen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

204<br />

______________________________________________________________<br />

II. Rechtsposition des Geschäftsherrn<br />

Im Zusammenhang mit einer Geschäftsführung ohne Auftrag<br />

können sich insbesondere die folgenden Ansprüche des Ge-<br />

schäftsherrn ergeben:<br />

• Anspruch auf Unterrichtung von der Übernahme der Ge-<br />

schäftsführung, § 681 S. 1 BGB<br />

• Anspruch auf Auskunft und Rechenschaft nach § 681 S. 2<br />

i.V.m. § 666 BGB<br />

• Anspruch auf Herausgabe des aus der Geschäftsführung Er-<br />

langten, § 681 S. 2 i.V.m. § 667 BGB<br />

D. Die unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag<br />

Eine unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag liegt dann<br />

vor, wenn der Geschäftsführer ein Geschäft für den Geschäfts-<br />

herrn nicht in dessen Interesse oder entsprechend seinem Willen<br />

vornimmt. Dies führt nach § 678 BGB zu Schadensersatzansprü-<br />

chen des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsführer. Es ist al-<br />

lerdings die Ausnahme des § 679 BGB zu berücksichtigen. Ein<br />

Aufwendungsersatzanspruch des Geschäftsführers ist in diesem<br />

Fall nicht gegeben.<br />

E. Die Eigengeschäftsführung<br />

Von einer Eigengeschäftsführung ist dann die Rede, wenn je-<br />

mand ein (objektiv) fremdes Geschäft für sich selbst führt. Dabei<br />

ist wie folgt zu unterscheiden:<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

205<br />

______________________________________________________________<br />

I. Die vermeintliche Eigengeschäftsführung<br />

Das versehentliche Führen eines objektiv fremden Geschäftes<br />

als eigenes unterfällt nicht den Bestimmungen über die Ge-<br />

schäftsführung ohne Auftrag, § 687 Abs. 1 BGB. Hier ist vielmehr<br />

der Ausgleich zwischen den Parteien nach §§ 812 ff. BGB (sog.<br />

ungerechtfertigte Bereicherung) vorzunehmen.<br />

II. „Unechte“ GoA: Angemaßte Eigengeschäftsfüh-<br />

rung<br />

Eine „unechte“ Geschäftsführung ohne Auftrag ist dann gegeben,<br />

wenn sich jemand anmaßt, ein objektiv fremdes Geschäft als ei-<br />

genes zu führen und weiß, dass er hierzu nicht berechtigt ist.<br />

Hier regelt § 687 Abs. 2 S. 2 BGB Ansprüche des Geschäfts-<br />

herrn aus §§ 677, 678, 681 und 682 BGB.<br />

F. Zusammenfassung (Übersicht)<br />

Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB)<br />

1. Berechtigte<br />

GoA: § 677 BGB<br />

Anspruch des<br />

Geschäftsführers:<br />

§§ 683 S.<br />

1, 670 BGB<br />

<strong>2.</strong> Unberechtigte<br />

GoA<br />

§§ 678, 679, 684<br />

S. 1 BGB<br />

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3. EigenGF<br />

a) Vermeintliche<br />

E.: § 687 Abs. 1<br />

BGB<br />

b) Angemaßte E.:<br />

§ 687 Abs. 2 S. 1<br />

BGB


Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

206<br />

______________________________________________________________<br />

7. <strong>Kapitel</strong>: Unerlaubte Handlung<br />

(§§ 823 ff. BGB)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

207<br />

______________________________________________________________<br />

7. <strong>Kapitel</strong>: Unerlaubte Handlung (§§ 823 ff. BGB)<br />

A. Vorbemerkungen<br />

Das Recht der unerlaubten Handlung betrifft die Wiedergutma-<br />

chung eingetretener Schäden, die durch das unerlaubte (= delik-<br />

tische) Handeln von Personen verursacht werden, die in einen<br />

fremden Rechtskreis eingreifen.<br />

Beispiele: A überfährt mit seinem Kraftfahrzeug vorsätzlich<br />

den Hund des B; C schlägt D krankenhausreif; E zündet das<br />

Haus des F an; G beschädigt (fahrlässig) das Kraftfahrzeug<br />

des H ...<br />

Die Wiedergutmachung eines solchen Schadens erfolgt im Wege<br />

einer Schadenersatzpflicht zu Lasten des Schädigers (in den<br />

Beispielen A, C, E und G) und zu Gunsten des Geschädigten =<br />

Verletzten (hier B, D, F und H).<br />

� Achtung 1: Zunächst schwer verständlich ist die Tatsache<br />

dass auch das Recht der unerlaubten Handlung die Begründung<br />

von Schuldverhältnissen zum Inhalt hat. Der diesbezüglich häufig<br />

auftretende Irrtum beruht auf dem Umstand, dass man fälschli-<br />

cherweise Schuldverhältnis und Vertrag als Synonyme in dem<br />

Sinne begreift, dass Schuldverhältnisse nur aus Verträgen er-<br />

wachsen können (in der Tat schließen Schädiger und Geschä-<br />

digter ja keinen Vertrag miteinander!). Dieses Problem lässt sich<br />

jedoch ganz einfach lösen, wenn man sich noch einmal die be-<br />

reits aufgezeigte (Legal-)Definition des Schuldverhältnisses vor<br />

Augen führt: Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger be-<br />

rechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern (§ 241 Abs.<br />

1 S. 1 BGB). Hier ist von einem Vertrag zwischen den Parteien<br />

des Schuldverhältnisses nicht die Rede.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

208<br />

______________________________________________________________<br />

Nun muss man noch wissen, dass die im Rahmen des Delikts-<br />

rechts entstehenden Schuldverhältnisse im Gegensatz zu den<br />

bereits kennen gelernten vertraglichen Schuldverhältnissen ge-<br />

setzliche Schuldverhältnisse genannt werden, da Letztere ohne<br />

Vertrag allein aufgrund gesetzlicher Anordnung entstehen (eben-<br />

so wie die im vorhergehenden <strong>Kapitel</strong> besprochenen Ansprüche<br />

aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis der Geschäftsführung<br />

ohne Auftrag). Mithin setzen die Bestimmungen des Delikts-<br />

rechts nicht ein Schuldverhältnis voraus (wie z.B. § 434 BGB den<br />

Kaufvertrag), sondern sie begründen erst ein solches, ausgelöst<br />

durch das unerlaubte Handeln des Schädigers.<br />

� Achtung 2: Auch die Verletzung vertraglicher Pflichten kann<br />

zu einem Schadenersatzanspruch aus den §§ 823 ff. BGB füh-<br />

ren. Nach dem <strong>2.</strong> Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtli-<br />

cher Vorschriften gilt dies grundsätzlich auch für einen Anspruch<br />

auf Schmerzensgeld (§ 253 BGB n.F.). So kann sich etwa der<br />

Verkäufer eines gebrauchten Kraftfahrzeuges, der in Kenntnis<br />

der Schadhaftigkeit des Wagens diesen seinem Kunden ohne<br />

entsprechende Kenntnisübermittlung veräußert, sowohl Ansprü-<br />

chen aus Vertrag wie nach §§ 823 ff. BGB aussetzen, wenn der<br />

Kunde aufgrund der Mangelhaftigkeit des Autos einen Unfall ver-<br />

ursacht und sich dabei etwa eine Körperverletzung zuzieht.<br />

Grundsätzlich immer eingeschlossen ist dabei ein Anspruch auf<br />

Schmerzensgeld.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

209<br />

______________________________________________________________<br />

B. Die gesetzliche Regelung<br />

Die Vorschriften der unerlaubten Handlung nach §§ 823 ff. BGB<br />

enthalten zahlreiche Anspruchsgrundlagen. Die bedeutsamsten<br />

sind die Folgenden:<br />

• § 823 Abs. 1 BGB<br />

• § 823 Abs. 2 BGB<br />

• § 826 BGB<br />

• § 839 BGB<br />

• § 839 a BGB<br />

Bedeutsame Anspruchsgrundlagen unerlaubte Handlung<br />

(§§ 823 ff. BGB)<br />

§ 823<br />

Abs. 1<br />

§ 823 Abs.<br />

2 (Schutzgesetzverletzung)<br />

§ 826 (vorsätzl.,sittenwidrige<br />

Schädigung)<br />

§ 839<br />

(Amtshaftung)<br />

§ 839 a<br />

(Haftung<br />

Sachverständiger)<br />

Daneben gibt es zahlreiche weitere Anspruchsnormen wie bei-<br />

spielsweise §§ 824 Abs. 1, 831 Abs. 1 S. 1, 833 S. 1 BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

210<br />

______________________________________________________________<br />

C. Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB<br />

I. Prüfungsschema<br />

Prüfungsschema 22: § 823 Abs. 1 BGB<br />

1. Tatbestandsmäßiges Handeln des Schädigers<br />

a) Handeln<br />

aa) Grundsätzlich: positives Tun<br />

bb) Ausnahmsweise: Unterlassen, wenn Rechtspflicht zum<br />

Handeln besteht<br />

(1) Rechtspflicht zum Handeln aus Vertrag<br />

(2) Rechtspflicht zum Handeln aus Gesetz<br />

(3) Rechtspflicht zum Handeln aus Ingerenz<br />

b) Rechtsgutverletzung<br />

aa) Die ausdrücklich benannten Rechtsgüter<br />

bb) Sonstige = absolute Rechte<br />

<strong>2.</strong> Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Schädigers<br />

3. Verantwortlichkeit des Schädigers<br />

a) Verschuldensfähigkeit (§§ 827 f. BGB)<br />

b) Verschulden (grundsätzlich zumindest Fahrlässigkeit i.S.v.<br />

§ 276 Abs. 2 BGB)<br />

4. Schaden des Anspruchstellers<br />

Im Folgenden werden die Anspruchsvoraussetzungen des § 823<br />

Abs. 1 BGB im Detail behandelt.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

211<br />

______________________________________________________________<br />

1. Tatbestandsmäßiges Handeln<br />

a) Positives Tun/Unterlassen<br />

Tatbestandsmäßiges Handeln vollzieht sich in aller Regel im<br />

Wege des positiven Tuns.<br />

Beispiel: A schlägt B auf den Kopf und fügt ihm hierdurch ei-<br />

ne Wunde bei, die ärztlicher Behandlung bedarf.<br />

Möglich ist auch, dass die Rechtsgutsverletzung seitens des<br />

Schädigers durch ein Unterlassen hervorgerufen worden ist.<br />

Verantwortlichkeit für ein Unterlassen ist jedoch nur dann gege-<br />

ben, wenn der Schädiger aufgrund einer sog. Garantenstellung<br />

einer Rechtspflicht zum Handeln unterlag. Eine solche kann<br />

sich beispielsweise aus mit Blick auf das verletzte Rechtsgut be-<br />

stehenden Schutzpflichten ergeben.<br />

Beispiele: Pflichten aus natürlicher Verbundenheit (nahe An-<br />

gehörige, Ehepartner); Garantenstellung nach § 1626 BGB.<br />

Im Übrigen kann sich eine Garantenstellung auch daraus erge-<br />

ben, dass der Unterlassende eine Gefahrenquelle eröffnet hat<br />

oder für eine solche verantwortlich ist. Hauptanwendungsfall<br />

diesbezüglich ist die sog. Verkehrssicherungspflicht. Mit Letz-<br />

terer meint man die Pflicht, die von einer Gefahrenquelle ausge-<br />

henden Risiken durch die notwendigen und zumutbaren Vorkeh-<br />

rungen zu begrenzen, damit ein Schaden anderer nicht eintritt.<br />

Beispiel: Streupflicht bei Glatteis; Sicherung des gefahrlosen<br />

Betretens eines Hauses durch Wahrung der Verkehrssiche-<br />

rungspflicht in den Hausfluren.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

212<br />

______________________________________________________________<br />

b) Rechtsgutverletzung<br />

§ 823 Abs. 1 BGB schützt grundsätzlich nur die tatbestandlich<br />

näher benannten Rechtsgüter. Deren genaue Eingrenzung führt<br />

zu einer Reihe von Problemen.<br />

aa) Die ausdrücklich benannten Rechtsgüter<br />

• Verletzung des Rechtsgutes Leben = Tötung eines Menschen<br />

• Verletzung der Rechtsgüter Körper, Gesundheit = jeder Ein-<br />

griff, der zu einer Störung der körperlichen, geistigen oder<br />

seelischen Lebensvorgänge führt<br />

• Verletzung des Rechtsgutes Freiheit = Entziehung der kör-<br />

perlichen Bewegungsfreiheit<br />

• Verletzung des Rechtsgutes Eigentum = Einwirkung auf eine<br />

Sache durch Zerstörung, Beschädigung, Verunstaltung oder<br />

schlicht Entziehung<br />

bb) Sonstige (absolute) Rechte<br />

Sonstige Rechte sind mit Blick auf das ausdrücklich genannte<br />

Rechtsgut Eigentum als solche zu verstehen, die denselben<br />

rechtlichen Charakter wie das Eigentum haben und ebenso wie<br />

die Rechtsgüter Leben, Gesundheit und Freiheit von jedermann<br />

zu beachten sind. Daher sind sonstige Rechte absolute, d.h. ge-<br />

genüber jedermann, wirkende Rechte. Zu diesen gehören bei-<br />

spielsweise:<br />

• Dingliche Rechte (z.B. Hypothek, Grundschuld, Pfandrecht,<br />

Erbbaurecht)<br />

• Der unmittelbare und berechtigte Besitz (z.B. der Besitz<br />

des Mieters an der Mietwohnung)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

213<br />

______________________________________________________________<br />

• Der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb – hier-<br />

bei handelt es sich um einen „Auffangtatbestand“, der eine<br />

ansonsten bestehende Gesetzeslücke schließen soll; not-<br />

wendig ist ein unmittelbarer und betriebsbezogener Ein-<br />

griff, d.h. es ist eine unmittelbare Beeinträchtigung des Ge-<br />

werbebetriebs als solchem erforderlich, der Eingriff muss sich<br />

spezifisch gegen den betrieblichen Organismus oder die un-<br />

ternehmerische Entscheidungsfreiheit richten (kein Eingriff in<br />

den Bestand des Gewerbebetriebs bei nur mittelbaren Beein-<br />

trächtigungen durch ein außerhalb des Betriebes eingetrete-<br />

nes, mit seiner Wesenseigentümlichkeit nicht in Beziehung<br />

stehendes Schadensereignis).<br />

Beispiele für lediglich mittelbare Beeinträchtigungen:<br />

Unterbrechung einer Telefonleitung oder der Stromzufuhr<br />

in Folge eines durch Bauarbeiten hervorgerufenen Kabel-<br />

schadens; Verletzung eines Angestellten<br />

Beispiele für Verletzungen des Rechts am eingerichte-<br />

ten und ausgeübten Gewerbebetrieb: Geschäftsschädi-<br />

gende Kritik außerhalb eines Wettbewerbsverhältnisses,<br />

insbesondere durch vergleichende Warentests und Preis-<br />

vergleiche, sofern die Art der Kritik zu missbilligen ist (be-<br />

wusste Fehlurteile u.ä.); gewerkschaftlich ausgerufener<br />

Streik zur Durchsetzung eines tariflich nicht regelbaren<br />

Ziels (z.B. Gesetzesänderungen); Betriebsblockaden mit<br />

körperlicher oder psychischer Gewalt gegen Personen<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

214<br />

______________________________________________________________<br />

Zusammenfassung: Fallgruppen eines betriebsbezogenen<br />

Eingriffs<br />

1. Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung<br />

<strong>2.</strong> Schädigende Werturteile<br />

3. Aufruf zum Boykott und/oder darauf gerichtete Maßnahmen<br />

4. Blockade/sonstige physische Behinderung<br />

BGH, Urt. v. 10.1<strong>2.</strong>2002, Az. VI ZR 171/02, NJW 2003, 1040: Wird der<br />

Partner eines erfolgreichen und bekannten Eiskunstlaufpaares bei einem<br />

Verkehrsunfall verletzt, so kann die Partnerin von dem Schädiger<br />

keinen Ersatz des Schadens nach § 823 Abs. 1 BGB verlangen, der ihr<br />

durch den zeitweiligen unfallbedingten Ausfall des Partners entstanden<br />

ist; für einen Anspruch unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in den<br />

eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb fehlt es jedenfalls an<br />

einem betriebsbezogenen Eingriff.<br />

• Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 2<br />

Abs. 1 GG) – dies führt v.a. zu einem Schutz von Ehre und<br />

Privatsphäre<br />

� Achtung: § 823 Abs. 1 BGB gewährt keinen reinen Vermö-<br />

gensschutz! Vermögensbeschädigungen, die nicht zu einer<br />

Rechtsgutsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB geführt haben,<br />

begründen nur unter den Voraussetzungen der §§ 823 Abs. 2<br />

oder auch 826 BGB eine Ersatzpflicht des Schädigers.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

215<br />

______________________________________________________________<br />

<strong>2.</strong> Die Rechtswidrigkeit<br />

Das Handeln des Schädigers muss rechtswidrig (= widerrecht-<br />

lich) gewesen sein. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn sich<br />

der Schädiger auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann.<br />

Im Zivilrecht ist hierbei u.a. die Notwehr nach § 227 BGB zu be-<br />

rücksichtigen sowie allgemein die sog. Einwilligung des Verletz-<br />

ten (beispielsweise im Rahmen eines ärztlichen Heileingriffs).<br />

3. Verantwortlichkeit<br />

a) Bei der Verantwortlichkeit ist zunächst die Verschuldensfähig-<br />

keit zu prüfen, §§ 827 f. BGB.<br />

� Achtung: § 828 BGB ist durch das <strong>2.</strong> Gesetz zur Änderung<br />

schadensersatzrechtlicher Vorschriften 2002 wesentlich mo-<br />

difiziert und regelt nunmehr u.a., dass Kinder bis zur Vollendung<br />

des 10. Lebensjahres in bestimmten Fällen (v.a. Schaden bei<br />

Unfall im Zusammenhang mit Kraftfahrzeugen) grundsätzlich<br />

nicht die notwendige Verantwortlichkeit aufweisen (dazu näher<br />

nachfolgend in einem Exkurs).<br />

b) Im Übrigen muss nach § 823 Abs. 1 BGB Verschulden (= Vor-<br />

satz und Fahrlässigkeit) vorliegen.<br />

Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen der Verwirklichung des<br />

Tatbestandes. Fahrlässigkeit definiert sich nach § 276 Abs. 2<br />

BGB. Zu berücksichtigen ist, dass auch für das geringste Ver-<br />

schulden zu haften ist, soweit es kein anerkanntes Haftungspri-<br />

vileg gibt (so beispielsweise unter bestimmten Umständen im Ar-<br />

beitsrecht im Verhältnis Arbeitnehmer – Arbeitgeber, s.o.).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

216<br />

______________________________________________________________<br />

II. Rechtsfolgen – Schadensersatz und Umfang des<br />

Ersatzanspruches<br />

Rechtsfolge ist nach § 823 Abs. 1 BGB ein Schadensersatzan-<br />

spruch, zu dessen Einzelheiten sich die Norm selbst nicht ver-<br />

hält. In welchem Umfang Schadensersatz durch den Schädiger<br />

zu leisten ist, ist in den §§ 823 ff. BGB nicht näher bestimmt. In-<br />

soweit sind die Vorschriften des Allgemeinen Schuldrechts maß-<br />

geblich, nämlich die §§ 249 ff. BGB.<br />

1. Allgemeines zum Umfang des Anspruchs auf Scha-<br />

densersatz<br />

Den Grundsatz des Schadensersatzrechts nach allgemeinem<br />

Schuldrecht enthält § 249 Abs. 1 BGB. Danach hat derjenige, der<br />

zum Schadensersatze verpflichtet ist, den Zustand herzustellen,<br />

der bestehen würde, wenn der zum Ersatze verpflichtende Um-<br />

stand nicht eingetreten wäre (sog. Naturalrestitution).<br />

Das Gesetz unterscheidet zwischen materiellen und immateriel-<br />

len Schäden. Problematisch ist vor allem der immaterielle Scha-<br />

den, da dieser gesetzlichen Beschränkungen unterworfen ist.<br />

Wegen eines immateriellen Schadens kann nach § 253 Abs. 1<br />

BGB eine Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz<br />

bestimmten Fällen gefordert werden. Ist wegen einer<br />

• Verletzung des Körpers,<br />

• der Gesundheit,<br />

• der Freiheit oder<br />

• der sexuellen Selbstbestimmung<br />

Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der<br />

nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld<br />

gefordert werden, § 253 Abs. 2 BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

217<br />

______________________________________________________________<br />

� Achtung: Mit der Reform von § 253 BGB durch das <strong>2.</strong> Gesetz<br />

zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften 2002<br />

ist die bisherige Norm des § 847 BGB ersatzlos aufgehoben<br />

worden. Dies führt sowohl zu einer Reform der außervertragli-<br />

chen Haftung wie auch zu einer solchen für Fälle nicht-<br />

deliktischen Handelns (Einzelheiten in einem nachfolgenden Ex-<br />

kurs).<br />

<strong>2.</strong> Anspruch auf Schmerzensgeld<br />

� Lernhinweis: Mit Blick auf das Zweite Schadensersatzrechts-<br />

änderungsgesetz, welches zum 01.08.2002 zahlreiche Änderun-<br />

gen mit sich gebracht hat, wird mit Blick auf das Schmerzensgeld<br />

sowohl die bisherige Rechtslage wie auch das nunmehr maß-<br />

gebliche Recht dargestellt.<br />

a) Bisherige Rechtslage<br />

Für den Anspruch auf Schmerzensgeld war bislang v.a. § 847<br />

BGB maßgeblich. Allerdings reichte § 847 BGB a.F. als An-<br />

spruchsgrundlage nicht aus. Vielmehr bedurfte es zusätzlich<br />

stets eines Anspruches aus unerlaubter Handlung, beispielswei-<br />

se Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.<br />

Die Abhängigkeit zwischen dem Anspruch auf Schmerzensgeld<br />

und dem Schadenersatzanspruch aus unerlaubter Handlung be-<br />

deutete, dass außerhalb der Normen der §§ 823 ff. BGB ein<br />

Schmerzensgeldanspruch nicht in Betracht kommen konnte.<br />

Dies hatte u.a. Bedeutung für die Frage nach dem Ersatz imma-<br />

terieller Schäden bei Pflichtverletzungen im Vertragsrecht. Hier<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

218<br />

______________________________________________________________<br />

war ein Schmerzensgeldanspruch ausgeschlossen, wenn nicht<br />

mit vertraglichen Ansprüchen auch solche aus §§ 823 ff. BGB<br />

konkurrierten.<br />

b) Nunmehr geltendes Recht<br />

Einer der wesentlichen Neuerungen des Zweiten Schadenser-<br />

satzrechtsänderungsgesetzes ist die Einführung eines Schmer-<br />

zensgeldanspruches über § 253 BGB n.F. Diese Bestimmung<br />

sowie alle weiteren wesentlichen, mit dem Zweiten Schadenser-<br />

satzrechtsänderungsgesetz vorgesehenen Modifikationen des<br />

Rechts sind nachfolgend in einem Exkurs behandelt.<br />

--------------------------------------------------------------------------------------<br />

Exkurs: Neuregelungen des Haftungs- und Scha-<br />

densersatzrechts durch das Zweite Schadenser-<br />

satzrechtsänderungsgesetzes<br />

A. Einleitung<br />

� Achtung: Das Gesetz ist in seinen wesentlichen Teilen am<br />

01.08.2002 in Kraft getreten. Es steht nicht im Zusammenhang<br />

mit der Schuldrechtsmodernisierung, die bereits zum 01.01.2002<br />

umwälzende Änderungen des Zivilrechts mit sich gebracht hatte.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

219<br />

______________________________________________________________<br />

Das Zweite Schadensersatzrechtsänderungsgesetz betrifft u.a.<br />

die nachfolgend aufgeführten Punkte:<br />

_ Gewährung eines Anspruches auf Schmerzensgeld nach all-<br />

gemeinem Schadensrecht (§ 253 Abs. 2 BGB n.F.), mithin<br />

Ersatz des Nichtvermögensschadens auch bei Gefährdungs-<br />

und Vertragshaftung<br />

_ Einschränkung des Rechts zur Geltendmachung von Scha-<br />

denersatz auf Reparaturkostenbasis (§ 249 BGB n.F.)<br />

_ Neuregelung des Unfallverkehrsrechts bzw. der Straßenver-<br />

kehrsgefährdungshaftung (u.a. § 828 BGB n.F.; §§ 7, 17<br />

StVG n.F.)<br />

_ Sachverständigenhaftung nach § 839 a BGB<br />

_ Modifizierung von Haftungshöchstgrenzen, einschl. der Um-<br />

stellung auf Euro<br />

_ Reform der Arzneimittelhaftung<br />

B. § 253 Abs. 2 BGB n.F.<br />

� Beachte: Zugleich ist die bisherige Bestimmung des § 847<br />

BGB ersatzlos aufgehoben worden. Die im allgemeinen Scha-<br />

densrecht angesiedelte Norm des § 253 Abs. 2 BB n.F. führt so-<br />

wohl zu einer Reform der außervertraglichen Haftung für Fälle<br />

nicht-deliktischen Handelns wie auch zu einer solchen der Ver-<br />

tragshaftung. Beides soll nachfolgend erläutert werden.<br />

I. Schmerzensgeld und Vertragshaftung<br />

Das Zweite Schadensersatzrechtsänderungsgesetz führt erst-<br />

mals zur Erstreckung des Anspruchs auf Schmerzensgeld im Be-<br />

reich vertraglicher Haftung. Allerdings liegt der Schwerpunkt der<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

220<br />

______________________________________________________________<br />

gesetzgeberischen Reformbemühungen vorrangig im Bereich<br />

der Schutzpflichten, die jeden Vertrag begleiten und die die<br />

Schuldrechtsmodernisierung in § 241 Abs. 2 BGB manifestiert<br />

hat. Da in derartigen Fällen regelmäßig zugleich eine unerlaubte<br />

Handlung gegeben sein dürfte, sind die praktischen Auswirkun-<br />

gen von § 253 Abs. 2 BGB insoweit gering.<br />

� Achtung: Von nachhaltiger Tragweite ist die Neuregelung in<br />

§ 253 Abs. 2 BGB vor allem in zweifacher Hinsicht: Fälle der Haf-<br />

tung für den Erfüllungsgehilfen sowie solche der Garantiehaf-<br />

tung.<br />

1. § 278 BGB<br />

Eine deutliche Schwäche des Deliktsrechtes ist und bleibt die<br />

Entlastungsmöglichkeit des Geschäftsherrn nach § 831 Abs. 1 S.<br />

2 BGB. Nach bisher geltendem Recht scheiterte der Anspruch<br />

auf Schmerzensgeld nicht selten daran, dass dem Geschäfts-<br />

herrn die Exkulpation gelang und demzufolge dem Schmerzens-<br />

geldanspruch nach § 847 BGB eine wesentliche Voraussetzung<br />

fehlte. Dies hat sich geändert. Nunmehr eröffnet die Verankerung<br />

der Regelung des Ersatzes immateriellen Schadens in § 253<br />

Abs. 2 BGB die Einbeziehung von § 278 BGB, mit der Folge,<br />

dass eine Exkulpation ausscheidet. Damit bewirkt § 253 Abs. 2<br />

BGB bezüglich des Schmerzensgeldes eine Reform der Unter-<br />

nehmenshaftung.<br />

<strong>2.</strong> Garantiehaftung<br />

Durch die Schuldrechtsreform bedingt findet sich in § 276 Abs. 1<br />

S. 1 BGB in Form der sog. Garantiehaftung ein Fall nicht ver-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

221<br />

______________________________________________________________<br />

schuldensabhängiger Haftung. Die Norm nimmt insoweit das In-<br />

stitut der Eigenschaftszusicherung (im Kaufrecht § 463 BGB<br />

a.F.) auf. Weil § 253 BGB n.F. kein Erfordernis des Vertreten-<br />

müssens aufweist, kann somit in Fällen verschuldensunabhängi-<br />

ger (Garantie-)Haftung jetzt ein Anspruch auf Schmerzensgeld in<br />

Betracht kommen, der nach bisherigem Recht wegen der Veran-<br />

kerung von § 847 BGB im Deliktsrecht grundsätzlich verschul-<br />

densabhängig war.<br />

Bei jeder Garantieübernahme muss ihr Inhalt durch Auslegung<br />

nach §§ 157, 133 BGB ermittelt werden. Die Garantie kann aus-<br />

drücklich oder stillschweigend übernommen werden. Sie ist unter<br />

Berücksichtigung der Rechtsprechung zur kaufvertraglichen Zu-<br />

sicherung anzunehmen, wenn der Schuldner durch eine Erklä-<br />

rung, die Vertragsinhalt geworden ist, dem Gläubiger zu erken-<br />

nen gibt, dass er für den Bestand der garantierten Eigenschaft<br />

und alle Folgen ihres Fehlens einstehen will. Dabei ist aber un-<br />

klar, ob im Kauf- und Werkvertragsrecht eine Garantiehaftung<br />

Personenschäden und mithin Ansprüche auf Schmerzensgeld<br />

nur dann erfassen soll, soweit diese nach Auslegung der Garan-<br />

tie in die Garantie mit einbezogen sind.<br />

C. § 249 BGB n.F.<br />

Die Änderung des Gesetzes betrifft ganz maßgeblich die Be-<br />

schädigung von Fahrzeugen. Wird ein Fahrzeug beschädigt, so<br />

kann der Geschädigte die notwendigen Reparaturkosten vom<br />

Schädiger beanspruchen, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB n.F. Daran hat<br />

sich gegenüber der bisherigen Rechtslage nichts geändert. Un-<br />

verändert bleibt auch das Recht des Geschädigten, die Repara-<br />

turkosten auch dann verlangen zu können, wenn die Reparatur<br />

erst gar nicht durchgeführt wird, das Fahrzeug in Zahlung gege-<br />

ben, privat veräußert oder verschrottet wird. Beschränkt wird die-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

222<br />

______________________________________________________________<br />

ses Recht des Geschädigten lediglich durch die sog. 130 %-<br />

Grenze: Wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungs-<br />

wert des Fahrzeuges um mehr als 30 % übersteigen, kann der<br />

Geschädigte nicht mehr sein Integritätsinteresse durchsetzen,<br />

vielmehr muss er sich auf die Kosten für die Wiederbeschaffung<br />

verweisen lassen, welche im Übrigen um den Restwert des be-<br />

schädigten Fahrzeuges zu kürzen sind, sog. wirtschaftlicher To-<br />

talschaden.<br />

Neu ist hingegen, dass der Geschädigte im Falle einer nicht<br />

durchgeführten Reparatur nunmehr lediglich die um den Um-<br />

satzsteuersatz verminderten Reparaturkosten ersetzt verlangen<br />

kann.<br />

D. Änderungen im Verkehrsunfallrecht<br />

Das Gesetz zeichnet sich weiterhin durch zahlreiche Änderungen<br />

im Bereich der Verkehrsunfallhaftung aus. Diese betreffen zum<br />

einen eine Verbesserung der Stellung von Minderjährigen, zum<br />

anderen Modifikationen im Straßenverkehrsgesetz.<br />

I. Besserstellung von Minderjährigen<br />

� Achtung: § 828 Abs. 2 BGB a.F. wird durch zwei Absätze er-<br />

setzt:<br />

„(2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet<br />

hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem<br />

Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn<br />

einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn<br />

er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat.<br />

(3) Wer das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist,<br />

sofern seine Verantwortlichkeit nicht nach den Absätzen 1 oder<br />

2 ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen<br />

zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

223<br />

______________________________________________________________<br />

schädigenden Handlung nicht die zu Erkenntnis der Verantwortlichkeit<br />

erforderliche Einsicht hat.“<br />

Durch die Ergänzung von § 828 BGB werden Kinder vor Vollen-<br />

dung des 10. Lebensjahres grundsätzlich von einer Haftung für<br />

Schäden bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schie-<br />

nen- oder einer Schwebebahn freigestellt. Da § 282 BGB auch<br />

für den Mitverschuldenseinwand (§ 254 BGB, § 9 StVG, § 4<br />

HPflG) maßgebend ist, wirkt sich diese Änderung auch auf ihn<br />

aus, und führt dazu, dass Kindern unter 10 Jahren in den Fällen<br />

des neuen § 828 Abs. 2 BGB ein Mitverschulden nicht entge-<br />

gengehalten werden kann.<br />

Ausgenommen von der Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit sollen<br />

allerdings vorsätzlich herbeigeführte Schäden sein, da insoweit<br />

eine Überforderung des Kindes als schadensursächlich auszu-<br />

schließen ist.<br />

� Achtung: Zu beachten ist im Übrigen die Beibehaltung von<br />

§ 829 BGB, der aus Billigkeitsgründen im Einzelfall eine Ersatz-<br />

pflicht des nach § 828 BGB an sich nicht verantwortlichen Min-<br />

derjährigen gestattet.<br />

II. Änderung § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG)<br />

§ 7 StVG n.F. lautet wie folgt:<br />

„(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers,<br />

der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt<br />

zu werden, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit<br />

eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der<br />

Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehende<br />

Schaden zu ersetzen.<br />

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere<br />

Gewalt verursacht wird.<br />

(3) Benutzt jemand das Fahrzeug ohne Wissen und Willen des<br />

Fahrzeughalters, so ist er an Stelle des Halters zum Ersatz des<br />

Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

224<br />

______________________________________________________________<br />

des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Fahrzeugs<br />

durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet<br />

keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für<br />

den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm<br />

das Fahrzeug vom Halter überlassen worden ist. Die Sätze 1<br />

und 2 sind auf die Benutzung eines Anhängers entsprechend<br />

anzuwenden.“<br />

Mit der Neuformulierung in § 7 Abs. 2 StVG ist die Streichung<br />

des unabwendbaren Ereignisses, das dem Halter die Entlastung<br />

erlaubte, wenn die Sorgfalt eines „Idealfahrers“ eingehalten war,<br />

verbunden. Hintergrund der Gesetzesreform ist aber nicht so<br />

sehr die Problematik des unabwendbaren Ereignisses an sich<br />

gewesen, sondern vielmehr der bereits behandelte Minderjähri-<br />

genschutz. Als unabwendbares Ereignis betrachtete man näm-<br />

lich vor allem solche Fälle, in denen Kinder ohne die notwendige<br />

Rücksicht auf die Straße liefen und dem Autofahrer keine Chan-<br />

ce ließen sein Fahrzeug vor den Kind zum Stehen zu bringen.<br />

Trotz der Reform des § 828 Abs. 2 BGB wäre es in diesen Fällen<br />

bei dem Grundsatz geblieben, dass das verunglückte Kind kei-<br />

nen Schadenersatz erhält, ohne dass es auf Verschuldensfähig-<br />

keit oder Mitverschulden angekommen wäre. Nach neuem Recht<br />

trägt der Kraftfahrer das Risiko, dass Kinder sich grob verkehrs-<br />

widrig verhalten.<br />

Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich, dass die Bestim-<br />

mung des § 7 Abs. 2 StVG n.F. ihrem Sinn und Zweck nach nicht<br />

auf das Verhältnis zweier Kraftfahrzeughalter untereinander An-<br />

wendung finden kann. In diesem Sinne ist § 17 StVG n.F. zu ver-<br />

stehen. Mit der dort übernommenen Formulierung aus dem bis-<br />

herigen § 7 Abs. 2 StVG will der Gesetzgeber deutlich machen,<br />

dass es bei der bislang geübten Praxis verbleiben soll, wonach<br />

sich die Haftung im Verhältnis mehrerer Kraftfahrzeughalter un-<br />

tereinander sowie der Innenausgleich nach Entschädigung Drit-<br />

ter vorrangig durch die im Einzelfall festgestellten Verursa-<br />

chungs- und Verschuldensanteile bestimmt wird.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

225<br />

______________________________________________________________<br />

§ 17 StVG n.F. lautet wie folgt:<br />

„(1) Wird ein Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht<br />

und sind die beteiligten Fahrzeughalter einem Dritten kraft Gesetzes<br />

zum Ersatz des Schadens verpflichtet, so hängt im Verhältnis<br />

der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum<br />

Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von dem<br />

Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden<br />

vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht<br />

worden ist.<br />

(2) Wenn der Schaden einem der beteiligten Fahrzeughalter entstanden<br />

ist, gilt Absatz 1 auch für die Haftung der Fahrzeughalter<br />

untereinander.<br />

(3) Die Verpflichtung zum Ersatz nach Absatz 1 und 2 ist ausgeschlossen,<br />

wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis<br />

verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit<br />

des Fahrzeugs, noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen<br />

beruht. Als unabwendbar gilt ein Ereignis nur dann,<br />

wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede<br />

nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet<br />

hat. Der Ausschluss gilt auch für die Ersatzpflicht gegenüber<br />

dem Eigentümer eines Kraftfahrzeugs, der nicht Halter<br />

ist.<br />

(4) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 sind entsprechend anzuwenden,<br />

wenn der Schaden durch ein Kraftfahrzeug und einen<br />

Anhänger, durch ein Kraftfahrzeug und ein Tier oder durch ein<br />

Kraftfahrzeug und eine Eisenbahn verursacht wird.“<br />

III. Sonstige Änderungen im StVG<br />

Weitere Änderungen betreffen §§ 7 Abs.1, 8 Nr.2 sowie 8 a Abs.<br />

1 StVG.<br />

E. Sachverständigenhaftung (§ 839 a BGB)<br />

Mit der gesetzlichen Neuregelung in § 839 a BGB wird ein neuer<br />

Haftungstatbestand geschaffen. Dieser regelt die Haftung des<br />

gerichtlichen Sachverständigen für ein unrichtiges Gutachten ab-<br />

schließend. Unerheblich ist es, ob der Sachverständige beeidigt<br />

wurde. Sowohl der beeidigte als auch der unbeeidigte Sachver-<br />

ständige haften für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit.<br />

Mit der Regelung soll vor allem dem Umstand Rechnung getra-<br />

gen werden, dass der Rückgriff auf den Sachverständigen für<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

226<br />

______________________________________________________________<br />

den in einem Rechtsstreit auf Grund eines falschen Sachver-<br />

ständigengutachtens Unterlegenen oft die einzige Möglichkeit ist,<br />

materielle Gerechtigkeit zu erlangen. Dies birgt allerdings auch<br />

die Gefahr in sich, dass rechtskräftig abgeschlossene Prozesse<br />

im Gewand des Sachverständigenhaftungsprozesses neu aufge-<br />

rollt werden.<br />

Eine Ersatzpflicht des Sachverständigen soll nur insoweit be-<br />

gründet werden, als einem Prozessbeteiligten durch eine gericht-<br />

liche Entscheidung, die auf dem unrichtigen Gutachten beruht,<br />

ein Schaden entsteht. Damit ist beispielsweise eine Ersatzpflicht<br />

dann ausgeschlossen, wenn sich die Parteien angesichts des er-<br />

statteten Gutachtens vergleichsweise einigen.<br />

Zu weiteren Einzelheiten s. Wagner, Das Zweite Schadenser-<br />

satzrechtsänderungsgesetz, NJW 2002, 2049; www.eisenbeis-<br />

rechtsanwaelte.de<br />

Exkurs Ende<br />

----------------------------------------------------------------------------------------------<br />

3. Anspruch auf Ersatz von Verdienstausfallschäden<br />

Der Anspruch auf Schadensersatz im Bereich der unerlaubten<br />

Handlung umfasst auch den sog. Erwerbs- und Fortkommens-<br />

schaden, § 842 BGB.<br />

4. Entgangener Gewinn (§ 252 BGB)<br />

An sich ergibt sich die Verpflichtung des Schädigers, entgange-<br />

nen Gewinn zu ersetzen, bereits aus § 249 Abs. 1 BGB. Insoweit<br />

hat § 252 S. 1 BGB lediglich eine klarstellende Funktion.<br />

Unter entgangenem Gewinn versteht man alle Vermögensvortei-<br />

le, die im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses noch nicht<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

227<br />

______________________________________________________________<br />

zum Vermögen des Verletzten gehört haben, die ihm aber ohne<br />

dieses Ereignis zugeflossen wären (BGH NJW 2000, 2670).<br />

§ 252 S. 2 BGB enthält eine Beweiserleichterung. Der Ge-<br />

schädigte braucht nur die Umstände darzulegen und zu bewei-<br />

sen, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge<br />

oder den besonderen Umständen des Falles die Wahrscheinlich-<br />

keit des Gewinneintritts ergibt.<br />

5. Mitverschulden des Geschädigten (§ 254 BGB)<br />

Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Ge-<br />

schädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatze<br />

sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umstän-<br />

den, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend<br />

von dem einen oder dem anderen Teile verursacht worden ist,<br />

§ 254 Abs. 1 BGB.<br />

D. Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB<br />

(Schutzgesetzverletzung)<br />

Nach § 823 Abs. 2 BGB ist derjenige zum Schadensersatz ver-<br />

pflichtet, der „gegen einen den Schutz eines anderen bezwe-<br />

ckendes Gesetz verstößt“.<br />

Der Tatbestand von § 823 Abs. 2 BGB weist gegenüber § 823<br />

Abs. 1 BGB eine Reihe von Besonderheiten auf, die nachfolgend<br />

kurz behandelt werden sollen.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

228<br />

______________________________________________________________<br />

I. Erfassung reiner Vermögensschäden<br />

Die Norm des § 823 Abs. 2 BGB ahndet auch solche Verstöße,<br />

bei denen als Folge der Handlung des Schädigers ein bloßer<br />

Vermögensschaden entstanden ist, vgl. o.<br />

II. Verstoß gegen Schutzgesetz<br />

Eine weitere Besonderheit des § 823 Abs. 2 BGB gegenüber<br />

§ 823 Abs. 1 BGB ist die Voraussetzung eines Verstoßes gegen<br />

ein sog. Schutzgesetz.<br />

Schutzgesetz in diesem Sinne ist jede Rechtsnorm, die dem<br />

Schutz der Interessen anderer dienen soll, was bedeutet,<br />

dass die Norm ihrem Inhalt nach – durch Ausspruch eines be-<br />

stimmten Ge- oder Verbotes – den Schutz eines anderen be-<br />

zwecken muss. Letzteres ist dann der Fall, wenn die besagte<br />

Norm dazu dienen soll, dem Einzelnen Schutz vor der Verlet-<br />

zung seiner Rechte zu gewähren.<br />

� Merke: Ein Schutzgesetz erfordert<br />

(1.) eine Rechtsnorm, die<br />

(<strong>2.</strong>) den Schutz eines anderen bezweckt, d.h. gezielt der Ver-<br />

letzung von Individualinteressen vorbeugen will.<br />

Nicht Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sind somit solche<br />

Vorschriften, die ausschließlich die Allgemeinheit und hier insbe-<br />

sondere die Ordnung des Staates, seiner Verfassung und Ver-<br />

waltung zum Gegenstand ihres Schutzzweckes haben.<br />

Beispiele für Schutzgesetze finden sich v.a. im Strafgesetz-<br />

buch (StGB), dort z.B. die Vorschriften der §§ 123 StGB<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

229<br />

______________________________________________________________<br />

(Hausfriedensbruch), 223 ff. StGB (Körperverletzungsdelikte),<br />

242 StGB (Diebstahl), 263 StGB (Betrug).<br />

Neben diesen Strafvorschriften können aber auch Vorschrif-<br />

ten der Verfassung, des Bürgerlichen Rechts sowie u.a. auch<br />

des Handelsrechts Schutzgesetzcharakter besitzen. Im BGB<br />

zählen zu den Schutzgesetzen u.a. die §§ 226, 906, 1004<br />

BGB, im HGB §§ 177 a, 130 a, im GmbHG u.a. § 64 Abs. 1<br />

(zum Schutz derjenigen, die vor dem Zeitpunkt, in dem der<br />

Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen, bereits Gläu-<br />

biger waren).<br />

III. Zusammenfassung (Prüfungsschema 23)<br />

Prüfungsschema 23: § 823 Abs. 2 BGB<br />

1. Tatbestandsmäßiges Handeln des Schädigers<br />

a) Handeln<br />

b) Vorliegen eines Schutzgesetzes und Verstoß gegen das<br />

Schutzgesetz<br />

<strong>2.</strong> Rechtswidrigkeit<br />

3. Verantwortlichkeit des Schädigers<br />

4. Schaden des Anspruchstellers<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

230<br />

______________________________________________________________<br />

E. Vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB)<br />

§ 826 BGB ergänzt § 823 BGB. Die Norm gewährt auch ohne<br />

Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes einen Ersatzanspruch<br />

bei Vermögensbeschädigung.<br />

I. Das Merkmal der Sittenwidrigkeit in § 826 BGB<br />

Der Tatbestand des § 826 BGB verlangt ein Vorgehen des<br />

Schädigers, das „ gegen die guten Sitten“ verstößt. Ein solcher<br />

Sittenverstoß ist dann zu bejahen, wenn das schädigende Ver-<br />

halten gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht<br />

Denkenden verstößt – so die bis heute gültige Formulierung des<br />

Reichsgerichts, die auch bei der Begriffsfindung der Sittenwidrig-<br />

keit in § 138 BGB Anwendung findet und hier wie dort wenig<br />

Präzises aussagt! Es bleibt mithin bei einer Prüfung des Einzel-<br />

falles, wobei die nachfolgenden Überlegungen als Maßstab die-<br />

nen können:<br />

1. Bestimmend für den Begriff der „guten Sitten“ ist die herrschen-<br />

de Rechts- und Sozialmoral, wobei ein durchschnittlicher<br />

Maßstab anzulegen ist. Da auch bei Handlungen des Schädi-<br />

gers, die nur in bestimmten Gruppierungen der Gesellschaft<br />

(beispielsweise unter Kaufleuten) festzustellen sind, auf das all-<br />

gemeine Anstandsgefühl Rücksicht zu nehmen ist, dürfen<br />

„gruppenspezifische Auswüchse“ (z.B. schädigende Wettbe-<br />

werbshandlungen) die Schwelle der Sittenwidrigkeit nicht herauf-<br />

setzen.<br />

<strong>2.</strong> Allerdings ist es nicht ausreichend für die Feststellung der Sit-<br />

tenwidrigkeit, wenn eine bestimmte Handlung nur einfach als un-<br />

gerecht oder unbillig angesehen wird. Gerade etwa der Handels-<br />

verkehr ist darauf angewiesen, dass die Verfolgung eigener Inte-<br />

ressen weitgehend von staatlicher Lenkung unbeeinflusst bleibt,<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

231<br />

______________________________________________________________<br />

so dass die (u.U. im Einzelfall ungerechte und unbillige) Aus-<br />

übung von Rechten grundsätzlich auch dann als unproblema-<br />

tisch angesehen werden muss, wenn damit die Schädigung ei-<br />

nes anderen verbunden ist.<br />

3. Der Maßstab der Prüfung der Sittenwidrigkeit ist immer ein ob-<br />

jektiver. Die innere Einstellung des Täters kann nur ausnahms-<br />

weise dann relevant werden, wenn er sein Verhalten unter den<br />

Umständen des Einzelfalles als gerechtfertigt ansehen durfte.<br />

4. In jedem Fall bedarf es einer genauen und wohl abgewogenen<br />

Prüfung, bei der vor allem die gelungene Argumentation zählt.<br />

Besonderer Wert sollte dabei auf die Feststellung des Zwecks<br />

und des Beweggrundes des Schädigerverhaltens gelegt wer-<br />

den. Die Sittenwidrigkeit eines bestimmten Vorgehens einmal in<br />

dem durch das Verhalten verfolgten Zweck (z.B. gezielte Zufü-<br />

gung von Schaden) als auch in den für einen an sich erlaubten<br />

Zweck angewandten Mitteln (z.B. bestimmten Wettbewerbshand-<br />

lungen) verborgen sein.<br />

Beispiele für Fälle sittenwidrigen Handelns: Bewusst un-<br />

richtige Auskunft/Raterteilung, die den Geschädigten veran-<br />

lasst hat, die schadensstiftende Handlung vorzunehmen; vor-<br />

sätzliches Verschweigen von Unterschlagungen eines frühe-<br />

ren Mitarbeiters in einem Zeugnis des Arbeitgebers; Einzelfäl-<br />

le der Insolvenzverzögerung; planmäßiges Zusammenwirken<br />

des Schädigers mit einem Vertragspartner zum Schaden des<br />

Vertragsgegenübers; bewusste Ausnutzung des Missbrauchs<br />

der Vertretungsmacht.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

232<br />

______________________________________________________________<br />

II. Das Vorsatzerfordernis in § 826 BGB<br />

Eine weitere Besonderheit des § 826 BGB ist das Erfordernis<br />

des Vorsatzes auf Seiten des Schädigers. Vorsatz bedeutet das<br />

Bewusstsein, dass das Handeln den schädlichen Erfolg be-<br />

wirken wird. Der Vorsatz muss auch den ungefähren Umfang<br />

des Schadens mit umfassen. Es genügt jedoch sog. bedingter<br />

Vorsatz, d.h. es ist ausreichend, wenn der Schädiger die mögli-<br />

chen Folgen seines Handelns in seinen Willen aufgenommen hat<br />

und den Schadenseintritt billigend in Kauf nimmt (ergo: Der<br />

Täter muss den Erfolg seines Handelns nicht zielstrebig verfolgt<br />

haben!).<br />

Nicht erforderlich ist, dass der Täter das Bewusstsein der Sitten-<br />

widrigkeit besitzt. Allerdings ist zu verlangen, dass der Schädiger<br />

Bewusstsein von den Umständen besitzt, die die Sittenwidrigkeit<br />

ausmachen.<br />

F. Die Haftung für den Verrichtungsgehilfen (§ 831<br />

BGB)<br />

§ 831 BGB befasst sich mit der Haftung des Geschäftsherrn für<br />

einen Verrichtungsgehilfen. Die Haftung gründet auf der Vermu-<br />

tung eines eigenen Verschuldens des Geschäftsherrn bei Aus-<br />

wahl, Überwachung und Leitung der Hilfsperson bzw. bei Be-<br />

schaffung der erforderlichen Vorrichtungen oder Gerätschaften<br />

sowie auf die weitere Vermutung des ursächlichen Zusammen-<br />

hangs zwischen dem Verschulden des Geschäftsherrn und dem<br />

dem Dritten zugefügten Schaden. Allerdings kann der Ge-<br />

schäftsherr die Vermutungen nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB ent-<br />

kräften.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

233<br />

______________________________________________________________<br />

I. Abgrenzung zu § 278 BGB<br />

• Im Gegensatz zu § 278 BGB haftet der Geschäftsherr im<br />

Rahmen des § 831 BGB nicht für fremdes, sondern für eige-<br />

nes (vermutetes) Verschulden. Dies ergibt sich mittelbar<br />

aus § 831 Abs. 1 S. 2 BGB.<br />

• § 278 BGB regelt die Haftung für den Erfüllungsgehilfen in-<br />

nerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses; § 831 BGB<br />

betrifft hingegen die Haftung für den Verrichtungsgehilfen au-<br />

ßerhalb eines solchen Schuldverhältnisses.<br />

• § 278 BGB eröffnet dem Geschäftsherrn keine Möglichkeit,<br />

sich zu entlasten – anders die sog. Exkulpation nach § 831<br />

Abs. 1 S. 2 BGB.<br />

� Achtung: § 831 Abs. 1 S. 1 BGB ist Anspruchsgrundlage.<br />

§ 278 BGB ist Zurechnungsnorm. In der Klausur darf sich mithin<br />

§ 278 BGB im Obersatz nur in Verbindung mit einer Anspruchs-<br />

grundlage finden; hingegen ist die Benennung von § 831 Abs. 1<br />

S. 1 BGB im Obersatz ausreichend.<br />

II. Die Voraussetzungen des § 831 BGB im einzelnen<br />

1. Besteller<br />

„Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt“ (= Besteller oder<br />

auch Geschäftsherr), ist derjenige, der vom Geschädigten in An-<br />

spruch genommen werden kann. Diese regelmäßig unproblemati-<br />

sche Voraussetzung des § 831 Abs. 1 S. 1 BGB dient lediglich der<br />

Festlegung des Anspruchsgegners.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

234<br />

______________________________________________________________<br />

<strong>2.</strong> Verrichtungsgehilfe<br />

Die wohl entscheidende Frage ist in den meisten Fällen die, ob es<br />

sich bei dem Schädiger um einen Verrichtungsgehilfen handelt.<br />

Eine eindeutige Definition des Verrichtungsgehilfen ist bis heute<br />

nicht gefunden. Dennoch lässt sich grundsätzlich sagen, dass Ver-<br />

richtungsgehilfe derjenige ist, der von einem anderen (= Ge-<br />

schäftsherr) eine Tätigkeit übertragen bekommen hat und im<br />

Rahmen dieser Tätigkeit von den Weisungen des anderen mehr<br />

oder weniger abhängig ist. Dabei ist es ausreichend, wenn der<br />

Geschäftsherr die Tätigkeit „seines“ Verrichtungsgehilfen jederzeit<br />

beschränken, untersagen oder nach Zeit und Umfang näher<br />

bestimmen kann.<br />

Die möglichen Tätigkeiten des Verrichtungsgehilfen können vielfäl-<br />

tiger Natur sein. Es kann sich um entgeltliche oder unentgeltliche,<br />

einmalige oder auf Dauer gerichtete Tätigkeiten handeln. Das Ver-<br />

halten des Verrichtungsgehilfen kann ein tatsächliches (z.B. In-<br />

nenanstrich durch den Malergesellen) oder eine rechtliches (z.B.<br />

Abschluss eines Vertrages) sein.<br />

Zum Teil wird für den Verrichtungsgehilfen auch eine „soziale<br />

Abhängigkeit“ verlangt. Das Verhältnis einer in sozialer Hinsicht<br />

vorhandenen Unter- bzw. Überordnung trifft in der Tat auf zahlrei-<br />

che Fallkonstellationen zu; falsch ist es, daraus stets ein Erforder-<br />

nis nach sozialer Abhängigkeit abzuleiten. So kann etwa auch ein<br />

höherer Angestellter oder der Leiter eines gewerblichen Unter-<br />

nehmens Verrichtungsgehilfe sein, sofern insbesondere eine Wei-<br />

sungsabhängigkeit im oben näher bezeichneten Sinne festzustel-<br />

len ist. Letzteres ist jedoch nicht anzunehmen in den Fällen selb-<br />

ständiger Handwerksmeister, Bauunternehmer u.ä. -<br />

Beispiele aus der Rechtsprechung: Der Rechtsanwalt als<br />

Verrichtungsgehilfe seines Mandanten; Krankenhausarzt und<br />

Krankenhausschwester im Verhältnis zum Krankenhausträ-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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ger; der Bauunternehmer ist Geschäftsherr seiner Arbeiter;<br />

nicht Verrichtungsgehilfe ist der Taxifahrer im Verhältnis zum<br />

Fahrgast; nicht der Hotelier im Verhältnis zum Reiseveran-<br />

stalter.<br />

3. „In Ausführung der Verrichtung“<br />

Eine häufig übersehene Voraussetzung des § 831 BGB ist ein<br />

innerer Zusammenhang zwischen der schadensstiftenden<br />

Handlung des Verrichtungsgehilfen einerseits und seiner<br />

Tätigkeit für den Geschäftsherrn andererseits. § 831 BGB<br />

fordert die Herbeiführung eines Schadens „in Ausführung der<br />

Verrichtung“. Es muss hinsichtlich Zweck und Art der Verrichtung<br />

ein unmittelbarer innerer Zusammenhang zwischen der dem Ge-<br />

hilfen aufgetragenen Tätigkeit und der schädigenden Handlung<br />

bestehen. Fällt das Handeln des Gehilfen aus dem Kreis der Tä-<br />

tigkeiten heraus, der den üblichen Rahmen seines Handelns für<br />

den Geschäftsherrn insgesamt bildet, entfällt eine Haftung des<br />

Geschäftsherrn über § 831 BGB.<br />

� Achtung: Allein der bewusste und eigenmächtige Verstoß<br />

gegen eindeutige Weisungen des Geschäftsherrn macht das<br />

Gehilfenhandeln nicht schon zu einer außerhalb der Ausführung<br />

der Verrichtung stehenden Tätigkeit.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

236<br />

______________________________________________________________<br />

4. Ausschluss der Haftung (§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB)<br />

Die Ersatzpflicht des Geschäftsherrn tritt nicht ein, wenn ihn ent-<br />

gegen der Vermutung des § 831 BGB kein Verschulden trifft. Ein<br />

Verschulden liegt nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB nicht vor, „wenn<br />

_ [1. Alt.] der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Per-<br />

son [= Verrichtungsgehilfe] und, sofern er Vorrichtungen oder<br />

Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Ver-<br />

richtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder der Leitung<br />

die im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beobachtet oder<br />

_ [<strong>2.</strong> Alt.] wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorg-<br />

falt entstanden sein würde“.<br />

III. Zusammenfassung = Prüfungsschema 24<br />

Prüfungsschema 24: § 831 BGB<br />

1. Verrichtungsgehilfeneigenschaft<br />

<strong>2.</strong> Widerrechtliches Zufügen eines Schadens durch Verrich-<br />

tungsgehilfen i.S.d. §§ 823 ff. BGB<br />

3. In Ausführung der Verrichtung<br />

4. Schaden bei Anspruchsteller<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

237<br />

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8. <strong>Kapitel</strong>: Ungerechtfertigte Bereiche-<br />

rung (§§ 812 ff. BGB)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

238<br />

______________________________________________________________<br />

8. <strong>Kapitel</strong>: Ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 ff.<br />

BGB)<br />

A. Ratio<br />

Das Bereicherungsrecht stellt im Grundsatz eine Ausglei-<br />

chungsordnung dar. Dies soll der nachfolgend dargestellte<br />

„Minderjährigen-Fall“ verdeutlichen:<br />

Beispiel: Der 12-jährige A kauft im Fahrradgeschäft des B<br />

ein neues Fahrrad zum Preis von 500,00 €. Auf die Frage des<br />

B, ob er (A) auch soviel Geld bei sich habe, antwort A, er wol-<br />

le morgen wiederkommen und den Kaufpreis bezahlen. Da A<br />

schon sofort mit dem Fahrradfahren beginnen möchte, gibt B<br />

im Vertauen auf das Versprechen des A diesem das Fahrrad<br />

mit nach Hause. Die Eltern des A sind entsetzt über den Kauf<br />

des A und verweigern jede Zustimmung zu dem von A getä-<br />

tigten Geschäft.<br />

Fest steht, dass A und B keinen wirksamen Kaufvertrag ge-<br />

schlossen haben (vgl. §§ 106, 107, 108 Abs. 1 BGB). Dies be-<br />

deutet zunächst aber nur, dass dem B mangels Zustandekom-<br />

men eines Kaufvertrages ein Kaufpreisanspruch (nach § 433<br />

Abs. 2 BGB) gegen A nicht zusteht. Fraglich ist hingegen das<br />

Schicksal des Fahrrades. Dieses stand ursprünglich im Eigentum<br />

des B. Durch die rechtlich wirksame Übereignung nach § 929 S.<br />

1 BGB (dabei handelt es sich um ein für A lediglich rechtlich vor-<br />

teilhaftes Geschäft i.S. des § 107 BGB!), hat B sein Eigentum<br />

verloren.<br />

Ergo: B benötigt Hilfe, denn wer schon den Kaufpreisanspruch<br />

nicht durchzusetzen vermag (s.o.), sollte wenigstens sein Eigen-<br />

tum zurück erlangen können. Dafür stellt § 985 BGB keine ge-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

239<br />

______________________________________________________________<br />

eignete Anspruchsgrundlage dar, denn § 985 BGB setzt u.a. Ei-<br />

gentum auf Seiten des Anspruchstellers (hier B) voraus – das<br />

Eigentum an dem Fahrrad steht aber mittlerweile A und nicht<br />

mehr B zu (s.o.). Mithin bedarf es einer Anspruchsgrundlage, die,<br />

ohne Eigentum des B vorauszusetzen, B in die Lage versetzt,<br />

das Fahrrad zurückzuerhalten.<br />

Eine dafür geeignete Anspruchsgrundlage liefert § 812 Abs. 1 S.<br />

1, 1. Alt. BGB („Wer durch die Leistung eines anderen [...] etwas<br />

ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflich-<br />

tet“):<br />

• „Wer“ = A<br />

• „Durch die Leistung eines anderen“ = durch Leistung des B<br />

• „Etwas“ = Eigentum und Besitz an dem Fahrrad<br />

• „Ohne rechtlichen Grund erlangt“ = A erlangt Eigentum und<br />

Besitz ohne Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrages (= der<br />

rechtliche Grund!)<br />

• „Ist ihm zur Herausgabe verpflichtet“ = Rechtsfolge.<br />

Also: Über § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB erhält B einen An-<br />

spruch gegenüber A auf Herausgabe des Fahrrades.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

240<br />

______________________________________________________________<br />

B. Die vier Tatbestände des § 812 Abs. 1 BGB<br />

§ 812 Abs. 1 BGB regelt im Detail 4 unterschiedliche Fälle ge-<br />

setzlicher Schuldverhältnisse. Im einzelnen:<br />

_ § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB: Fall der Leistungskondiktion<br />

(Leistung = jede bewusste und zweckgerichtete Vermehrung<br />

fremden Vermögens)<br />

_ § 812 Abs. 1 S. 1, <strong>2.</strong> Alt. BGB: Die Bereicherung „in sonsti-<br />

ger Weise“ = Nichtleistungskondiktion, auch Eingriffskondikti-<br />

on genannt<br />

Schulbeispiel: Der eigenmächtige Ge- oder Verbrauch<br />

fremder Sachen<br />

_ § 812 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. BGB: Späterer Wegfall des<br />

Rechtsgrundes; hier war im Zeitpunkt der Leistung ein<br />

Rechtsgrund vorhanden, dieser ist aber später weggefallen<br />

(so beispielsweise im Falle des Eintritts einer auflösenden<br />

Bedingung oder im Falle der Vertragsaufhebung)<br />

_ § 812 Abs. 1 S. 2, <strong>2.</strong> Alt. BGB: Nichteintritt des mit einer<br />

Leistung bezweckten Erfolges; erforderlich ist, dass über den<br />

mit jeder Leistung notwendigerweise verfolgten Zweck hinaus<br />

ein besonderer, zukünftig eintretender Erfolg rechtlicher oder<br />

tatsächlicher Natur nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts von<br />

den Beteiligten vorausgesetzt, aber nicht eingetreten ist (bei-<br />

spielsweise die Hingabe einer Quittung in Erwartung der Zah-<br />

lung, die dann unterbleibt).<br />

Zu beachten ist, dass nur der Fall des § 812 Abs. 1 S. 1, <strong>2.</strong> Alt.<br />

BGB ein solcher der Nichtleistungskondiktion ist, die übrigen<br />

Tatbestände des § 812 BGB sind solche der Leistungskondik-<br />

tion.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

241<br />

______________________________________________________________<br />

Prüfungsschema 25: Voraussetzungen<br />

§ 812 Abs. 1 S.1, 1. Alt. BGB<br />

1. Jemand (= Anspruchsgegner) hat etwas erlangt („etwas“<br />

= jeder vermögenswerte Vorteil, z.B. Besitz und Eigentum<br />

an einer Sache)<br />

<strong>2.</strong> Durch Leistung (= jede zweckgerichtete Mehrung frem-<br />

den Vermögens) eines anderen<br />

3. Ohne rechtlichen Grund<br />

C. § 816 BGB<br />

§ 816 BGB regelt Fälle der Eingriffskondiktion. Die Norm ist<br />

von großer praktischer Bedeutung. Sie hat in erster Linie die<br />

Aufgabe, überall dort einen gerechten Ausgleich zu schaffen, wo<br />

das Gesetz im Interesse der Verkehrssicherheit, insbesondere<br />

zu Gunsten der Möglichkeit eines gutgläubigen Eigentumser-<br />

werbs, Verfügungen von Nichtberechtigten materiell-rechtlich für<br />

endgültig wirksam erklärt und ein sonstiger Ausgleich nicht erfol-<br />

gen kann.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

242<br />

______________________________________________________________<br />

I. § 816 Abs. 1 S. 1 BGB (Entgeltliche Verfügung eines<br />

Nichtberechtigten)<br />

Prüfungsschema 26: § 816 Abs. 1 S. 1 BGB<br />

1. Beklagter = Nichtberechtigter<br />

<strong>2.</strong> Kläger = Berechtigter (in der Regel vorheriger Eigentümer)<br />

3. Nichtberechtigter hat unbefugt eine Verfügung getroffen<br />

4. Wirksamkeit der Verfügung gegenüber dem Berechtigten<br />

5. Nichtberechtigter hat etwas erlangt<br />

II. § 816 Abs. 1 S. 2 BGB (Unentgeltliche Verfügung<br />

eines Nichtberechtigten)<br />

§ 816 Abs. 1 S. 2 BGB gestattet einen „Durchgriff“ nach dem<br />

Motto<br />

„wie gewonnen, so zerronnen“.<br />

III. § 816 Abs. 2 BGB (Verfügung an einen Nichtberech-<br />

tigten)<br />

Hier geht das Gesetz davon aus, dass der Leistende befreit<br />

bleibt, obwohl er an einen Nichtberechtigten geleistet hat (bei-<br />

spielsweise Leistung des Schuldners an ursprünglichen Gläubi-<br />

ger in Unkenntnis der Abtretung der Forderung oder eines sons-<br />

tigen Rechts nach §§ 407, 408, 413 BGB).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

243<br />

______________________________________________________________<br />

D. Umfang der Kondiktion<br />

1. § 818 Abs. 1 BGB: Herausgabe des tatsächlich Erlangten<br />

<strong>2.</strong> § 818 Abs. 2 BGB: Falls Herausgabe des tatsächlich Erlangten<br />

nicht möglich - Wertersatz<br />

3. § 818 Abs. 3 BGB: Kein Bereicherungsanspruch bei Wegfall der<br />

Bereicherung<br />

4. § 818 Abs. 4 BGB: Einwand des § 818 Abs. 3 BGB nicht möglich<br />

bei Rechtshängigkeit (vgl. §§ 253, 261 ZPO) des Bereicherungs-<br />

anspruchs<br />

5. § 819 BGB: § 818 Abs. 3 BGB (Wegfall der Bereicherung) gilt<br />

nicht bei Bösgläubigkeit des Empfängers<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

244<br />

______________________________________________________________<br />

9. <strong>Kapitel</strong>: Grundzüge des Sachenrechts<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

245<br />

______________________________________________________________<br />

9. <strong>Kapitel</strong>: Grundzüge des Sachenrechts<br />

In dem folgenden <strong>Kapitel</strong> geht es um den Erwerb und Verlust des<br />

Eigentums an beweglichen Sachen sowie des Grundeigentums<br />

nach den §§ 929 ff. bzw. §§ 873, 925 BGB sowie den Herausga-<br />

beanspruch nach § 985 BGB. Abschließend soll auf einige sons-<br />

tige dingliche (Sicherungs-)rechte näher eingegangen werden,<br />

wobei das Kreditsicherungsrecht einem gesonderten Skript vor-<br />

behalten ist.<br />

� Achtung: Beachten Sie bitte unbedingt, dass Anspruchs-<br />

grundlage eines sachenrechtlich gelagerten Falles, der sich mit<br />

einem Eigentumsherausgabeanspruch befasst, nur § 985 BGB<br />

sein kann, nicht die §§ 929 ff. BGB. Die §§ 929 ff. BGB benöti-<br />

gen Sie, um festzustellen, wer Eigentümer und mithin Berechtig-<br />

ter nach § 985 BGB ist; in den Obersatz gehört aber allein die<br />

Norm des § 985 BGB!<br />

Beispiel für den Aufbau einer Klausur mit sachenrechtlichen<br />

Elementen (eine ausführliche Behandlung der angesproche-<br />

nen Themenkreise erfolgt anschließend):<br />

(1) A könnte von B die Herausgabe des Buches nach<br />

§ 985 BGB verlangen [= Obersatz mit Anspruchs-<br />

grundlage].<br />

(2) Dies setzt voraus, dass A Eigentümer des Buches und<br />

B Besitzer des Buches ohne Recht zum Besitz ist<br />

(§§ 985, 986 BGB).<br />

(3) B ist Besitzer des Buches [dies ist i.d.R. völlig unprob-<br />

lematisch und daher im Urteilsstil abzuhandeln!].<br />

(4) Weiterhin müsste A Eigentümer sein. Ursprünglich war<br />

der X Eigentümer [ganz wichtig: § 985 BGB wird histo-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

246<br />

______________________________________________________________<br />

risch geprüft, d.h. Sie beginnen bei der Person, bei der<br />

Sie sicher Eigentum annehmen können – hier bei X].<br />

(5) X könnte jedoch sein Eigentum nach § 929 S. 1 BGB<br />

an A verloren haben. Dies wiederum setzt voraus ... [s.<br />

dazu u.]<br />

(6) [Ergebnis:] X hat nach § 929 S. 1 BGB wirksam das<br />

Eigentum an dem Buch an A verloren. A kann mithin<br />

als Eigentümer von Besitzer B nach § 985 BGB die<br />

Herausgabe des Buches verlangen.<br />

A. Erwerb und Verlust von Eigentum an beweglichen<br />

Sachen/Erwerb und Verlust von Grundeigentum<br />

� Merke: Kein Eigentumserwerb durch Kaufvertrag und andere<br />

Verpflichtungsgeschäfte – Abstraktionsprinzip!<br />

I. Vorbemerkungen<br />

1. Der Begriff der „Sache“<br />

Gegenstand des Sachenrechts sind „Sachen“. Der Sachbegriff<br />

ist in den §§ 90–103 BGB geregelt.<br />

a) Ausgangspunkt bildet § 90 BGB. Danach handelt es sich bei Sa-<br />

chen i.S.d. Gesetzes um körperliche Gegenstände. Keine Sa-<br />

chen sind Tiere, aber es gelten hier die für Sachen bestimmten<br />

Vorschriften entsprechend (§ 90 a BGB).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

247<br />

______________________________________________________________<br />

b) Des weiteren ist zu unterscheiden zwischen:<br />

• Vertretbaren und nicht vertretbaren Sachen (§ 91 BGB)<br />

• Verbrauchbaren und nicht verbrauchbaren Sachen (§ 92 Abs.<br />

1 BGB)<br />

• Sachgesamtheiten und Einzelsachen (§ 92 Abs.2 BGB)<br />

• Wesentlichen und nicht wesentlichen Bestandteilen (§ 93<br />

BGB) – wichtig v.a. für das Grundstücksrecht<br />

• Zubehör und Hauptsache (§§ 97, 98 BGB)<br />

• Früchten, Gebrauchsvorteilen und Nutzungen (§§ 99, 100<br />

BGB)<br />

� Lernhinweis: Bitte studieren Sie die vorgenannten Vorschrif-<br />

ten sorgfältig. Auf die Begrifflichkeiten wird noch zurückzukom-<br />

men sein.<br />

<strong>2.</strong> Unterscheidung von Eigentum und Besitz<br />

Während mit dem Eigentum die rechtliche Zuordnung zwi-<br />

schen einem Rechtsträger und einer Sache gemeint ist, bedeutet<br />

Besitz die im Rechtsverkehr anerkannte tatsächliche Herr-<br />

schaft einer Person über eine Sache.<br />

3. Einzelheiten über den Besitz<br />

An den Besitz lassen sich verschiedene Wirkungen knüpfen, ei-<br />

nige besonders bedeutsame sollen nachfolgend kurz aufgezeigt<br />

werden:<br />

a) Der Besitz wird durch das Gesetz geschützt (Schutzfunktion des<br />

Besitzes). Dies kommt u.a. in den Vorschriften der §§ 858–867<br />

und 1007 BGB zum Ausdruck.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

248<br />

______________________________________________________________<br />

b) Nach § 1006 BGB lässt der Besitz Eigentum vermuten.<br />

c) Das Gesetz unterscheidet verschiedene Arten des Besitzes:<br />

• Unmittelbarer Besitz (§§ 854, 855 BGB)<br />

• Mittelbarer Besitz (§ 868 BGB)<br />

• Alleinbesitz<br />

• Mitbesitz (§ 866 BGB)<br />

• Teilbesitz (§ 865 BGB)<br />

• Eigen- und Fremdbesitz (§ 872 BGB)<br />

• Rechtmäßiger und unrechtmäßiger Besitz<br />

• Fehlerhafter Besitz (§ 858 BGB)<br />

d) Als Anspruchsgrundlagen kraft Besitzes kommen vor allem in<br />

Betracht:<br />

• § 861 BGB<br />

• § 862 BGB<br />

• § 867 BGB<br />

• § 1007 BGB<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

249<br />

______________________________________________________________<br />

II. Erwerb und Verlust von Eigentum an beweglichen<br />

Sachen<br />

1. Eigentumserwerb vom Berechtigten nach § 929 S. 1<br />

BGB<br />

Beispiel einer Übereignung nach § 929 S. 1 BGB: A hat B<br />

sein Fahrrad verkauft (= Kaufvertrag i.S.d. § 433 Abs. 1 S. 1<br />

BGB = Verpflichtungsgeschäft). Damit auch das Eigentum an<br />

dem Fahrrad von A an B übergehen kann, ist es erforderlich,<br />

dass sich A und B über den Übergang des Eigentums einigen<br />

(Einigung) und das Fahrrad von A an B übergeben wird (Ü-<br />

bergabe).<br />

1. Einigung<br />

<strong>2.</strong> Übergabe<br />

Prüfungsschema 27: § 929 S. 1 BGB<br />

3. Verfügungsbefugnis<br />

[4. Einig sein]<br />

Zu den Voraussetzungen des § 929 S. 1 BGB im Einzelnen:<br />

a) Einigung<br />

Bei der Einigung handelt es sich um einen dinglichen Vertrag<br />

über die Übereignung, der ein darauf gerichtetes Angebot sowie<br />

eine Annahme verlangt, §§ 104 ff., 145 ff. BGB (s.o.).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

250<br />

______________________________________________________________<br />

b) Übergabe<br />

Bei der Übergabe handelt es sich um die Übertragung des un-<br />

mittelbaren Besitzes. Erforderlich ist die völlige Aufgabe des<br />

Besitzes durch den alten Eigentümer. Übergabe ist auch<br />

durch oder an Dritte möglich (z.B. wenn die Übergabe an eine<br />

von dem Erwerber entsprechend beauftragte Person erfolgt).<br />

c) Verfügungsbefugnis („Berechtigung“) des Veräuße-<br />

rers<br />

Der Veräußerer muss zur Verfügung befugt sein, d.h. es muss<br />

sich in seiner Person um den wahren, in seiner Verfügungsbe-<br />

fugnis nicht beschränkten Eigentümer handeln.<br />

Ist dies nicht der Fall, so wäre nunmehr die Vorschrift des § 932<br />

BGB zu prüfen (dazu nochfolgend).<br />

Beachte auch § 929 S. 2 BGB (sog. Übergabe „kurzer Hand“).<br />

<strong>2.</strong> Übergabesurrogate<br />

Die Übergabe der beweglichen Sache kann unter bestimmten<br />

Voraussetzungen ersetzt werden. Dies hindert einen Übergang<br />

des Eigentums im Einzelfall nicht.<br />

a) Eigentumsübergang nach §§ 929, 930 BGB<br />

aa) Grundsätze<br />

Statt der Übergabe kann ein sog. Besitzkonstitut vereinbart wer-<br />

den. § 930 BGB spricht davon, dass für den Fall, dass der Eigen-<br />

tümer im Besitz der Sache ist, die Übergabe dadurch ersetzt<br />

werden kann, dass zwischen ihm (Eigentümer) und dem Erwer-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

251<br />

______________________________________________________________<br />

ber ein Rechtsverhältnis vereinbart wird, vermöge dessen der<br />

Erwerber den mittelbaren Besitz erlangt. Letzteres setzt ein sog.<br />

Besitzkonstitut (= Besitzmittlungsverhältnis) voraus. Das Besitz-<br />

mittlungsverhältnis muss ein konkretes Besitzmittlungsverhältnis<br />

i.S.v. § 868 BGB sein.<br />

Beispiel einer Übereignung nach §§ 929, 930 BGB: A<br />

in Köln hat B in Hamburg sein Fahrrad veräußert. Auch hat A<br />

schon den Kaufpreis überwiesen. A will das Fahrrad aber<br />

noch für eine kürzere Radtour benutzen, B soll jedoch bereits<br />

jetzt Eigentümer werden.<br />

Der Eigentumsübergang im Beispielsfall geht wie folgt vor sich: A<br />

und B einigen sich darüber, dass das Eigentum von A an B ü-<br />

bergehen soll. Im Übrigen einigen sich A und B dahingehend,<br />

dass A weiterhin unmittelbarer Besitzer (des Fahrrades) bleibt,<br />

dass er zukünftig jedoch gegenüber B als Entleiher auftritt und B<br />

den mittelbaren Besitz vermittelt (B als mittelbarer Besitzer).<br />

� Achtung: Die Bestimmung des § 930 BGB ändert nichts an<br />

dem für eine wirksame Übertragung des Eigentums bestehenden<br />

Erfordernis der Einigung i.S.v. § 929 BGB. § 930 BGB ermöglicht<br />

lediglich die Ersetzung der Übergabe durch die Vereinbarung ei-<br />

nes Besitzmittlungsverhältnisses.<br />

Ein für die Praxis äußerst bedeutsamer Fall der Übereignung<br />

nach §§ 929, 930 BGB stellt die sog. Sicherungsübereignung<br />

dar.<br />

Beispiel: Bank B gewährt Unternehmer U ein (Geld-<br />

)Darlehen. Zur Sicherheit übereignet U der B einige Maschi-<br />

nen nach §§ 929, 930 BGB. Danach bleibt U (unmittelbarer)<br />

Besitzer der Maschinen, so dass er mit diesen ungestört wei-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

252<br />

______________________________________________________________<br />

ter arbeiten kann. B erhält hingegen Eigentum an den Ma-<br />

schinen und wird zugleich mittelbarer Besitzer an diesen.<br />

Durch das Eigentum erlangt B eine Sicherheit für den Fall,<br />

dass U in Zahlungsschwierigkeiten gerät.<br />

Bei einer Sicherungsübereignung sind grundsätzlich drei<br />

Rechtsverhältnisse zu unterscheiden:<br />

• Die gesicherte Forderung mit dem ihr zugrundeliegenden<br />

Rechtsverhältnis – ist die Forderung endgültig nicht entstan-<br />

den oder erloschen, so berührt dies die dingliche Rechtslage<br />

an dem Sicherungsgut nur, wenn das Entstehen der Forde-<br />

rung zur Bedingung für die Sicherungsübereignung gemacht<br />

wurde<br />

• Der Sicherungsvertrag: Hierbei handelt es sich um das<br />

grundsätzlich formlose schuldrechtliche Grundgeschäft der<br />

Sicherungsübereignung. Bei der Sicherungsübereignung von<br />

Waren oder auch Materiallagern erhält der Sicherungsgeber<br />

regelmäßig die Befugnis, im eigenen Namen im Rahmen ord-<br />

nungsgemäßer Wirtschaft über das Sicherungsgut zu verfü-<br />

gen. Verbunden wird damit eine sog. Vorausabtretung des<br />

Anspruchs auf die Gegenleistung.<br />

• Die Übereignung des Sicherungsgutes = abstraktes Verfü-<br />

gungsgeschäft nach §§ 929 ff.; 925 BGB<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

253<br />

______________________________________________________________<br />

� Beachte: Bei der Sicherungsübereignung stellt die Siche-<br />

rungsabrede als solche ein ausreichendes Besitzmittlungsver-<br />

hältnis dar, wenn sich aus ihr nur ergibt, dass der Sicherungsge-<br />

ber solange weiter besitzen darf, bis der Sicherungsnehmer die<br />

Sache zur Befriedigung seiner Forderung herausverlangt; es be-<br />

darf mithin keiner zusätzlichen Vereinbarung eines Leih-, Ver-<br />

wahrungs- oder Kommissionsverhältnisses. Da die Sicherungs-<br />

abrede die heute typischen Rechtsbeziehungen zwischen Siche-<br />

rungsgeber und Sicherungsnehmer hinreichend konkretisiert,<br />

reicht sie auch ohne nähere Ausgestaltung als Besitzmittlungs-<br />

verhältnis aus (Palandt-Bassenge, a.a.O., § 930 BGB, RN 9). Die<br />

Rechtsprechung gelangt zu diesem Ergebnis, in dem sie die Ab-<br />

rede „zur Sicherheit übereignet“ im o. angesprochenen Sinne<br />

auslegt (z.B. BGH NJW 1979, 2308).<br />

Weitere Einzelheiten zur Sicherungsübereignung finden sich in<br />

dem Skript Kreditsicherungsrecht.<br />

bb) Prüfungsschema 28<br />

1. Einigung<br />

Prüfungsschema 28: §§ 929, 930 BGB<br />

<strong>2.</strong> Übergabesurrogat = Vereinbarung eines Besitzkonstituts<br />

i.S.v. § 868 BGB<br />

3. Verfügungsbefugnis<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

254<br />

______________________________________________________________<br />

b) Übergabesurrogat nach §§ 929, 931 BGB (Abtretung<br />

des Herausgabeanspruches)<br />

Beispiel: A verleiht seinen PKW an B. Noch während B das<br />

Fahrzeug benutzt, entschließt sich A, das Auto an C zu ver-<br />

äußern.<br />

Eine Übereignung kann hier nach §§ 929, 931 BGB erfolgen.<br />

Abgetreten wird von A an C der Anspruch des A gegen B auf<br />

Rückgabe des Fahrzeuges nach § 604 Abs. 1 BGB.<br />

3. Der Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten<br />

a) Ratio<br />

Im Rahmen der Veräußerung beweglicher Sachen ermöglichen<br />

die §§ 932 ff. BGB einen (gutgläubigen) Erwerb des Eigentums<br />

vom Nichtberechtigten. Dahinter steht die Überlegung, dass un-<br />

ter besonderen Voraussetzungen ein Erwerb des Eigentums ei-<br />

ner beweglichen Sache auch dann möglich sein soll, wenn der<br />

Veräußerer nicht zugleich Eigentümer der Sache ist. Ratio hierfür<br />

sind letztlich Gesichtspunkte des Verkehrsschutzes.<br />

b) Funktionsweise des Erwerbs vom Nichtberechtig-<br />

ten<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

255<br />

______________________________________________________________<br />

aa) §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB (Prüfungsschema)<br />

Prüfungsschema 29: §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB<br />

1. Einigung<br />

<strong>2.</strong> Übergabe<br />

3. Gutgläubigkeit<br />

a) § 932 Abs. 2 BGB<br />

b) Gegenstand des guten Glaubens<br />

(1) Eigentum (§ 932 BGB)<br />

(2) Verfügungsbefugnis (§ 366 HGB)<br />

(3) Vertretungsmacht?<br />

4. Kein Ausschluss nach § 935 BGB<br />

a) Abhandenkommen = Verlust des Besitzes ohne oder ge-<br />

gen den Willen des Eigentümers (sog. natürlicher Wille<br />

ausreichend)<br />

aa) Irrtum und Täuschung begründen keine Unfreiwilligkeit<br />

bb) Drohung begründet Unfreiwilligkeit<br />

b) Fälle „freiwilliger“ Besitzaufgabe (z.B. Leihe)<br />

c) Beachte § 935 Abs. 2 BGB<br />

OLG Frankfurt, NJW-RR 1999, 927: Bei der Veräußerung eines Vorführwagens<br />

durch einen Vertragshändler steht einem gutgläubigen Erwerb<br />

nicht entgegen, dass der Kfz-Brief nicht vorgelegt wird, da der<br />

Käufer in der Regel darauf vertrauen darf, dass ein Kfz-Händler berechtigt<br />

ist, ihm einen dem Händler vom Hersteller fabrikneu gelieferten<br />

Vorführwagen zu übereignen (§§ 932 BGB; 366 HGB).<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

256<br />

______________________________________________________________<br />

bb) Erwerb vom Nichtberechtigten nach §§ 929 S. 1,<br />

930, 933 BGB<br />

Bei dem gutgläubigen Erwerb nach §§ 929 S. 1, 930, 933 BGB<br />

ist zu berücksichtigen, dass eine Übergabe erforderlich ist.<br />

cc) Erwerb vom Nichtberechtigten nach §§ 929 S. 1,<br />

931, 934 BGB<br />

4. Sonstige Fälle des Eigentumserwerbs bzw. -<br />

verlustes<br />

a) Aneignung durch Aufgabe und anschließende Inbesitznahme<br />

einer beweglichen Sache (§§ 959, 960 BGB)<br />

b) Ersitzung (§§ 937 ff. BGB)<br />

c) Sonderfall: §§ 946 ff. BGB (Verbindung, Vermi-<br />

schung, Verarbeitung)<br />

aa) Verbindung nach §§ 946 f. BGB<br />

Wird eine bewegliche Sache mit einem Grundstück dergestalt<br />

verbunden, dass sie wesentlicher Bestandteil des Grundstückes<br />

wird, so erstreckt sich das Eigentum an dem Grundstück auf die-<br />

se Sache, § 946 BGB. Ein Ausgleich für den Rechtsverlust ergibt<br />

sich aus § 951 BGB.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

257<br />

______________________________________________________________<br />

bb) Vermischung und Vermengung (§§ 948 i.V.m. 947<br />

BGB)<br />

Voraussetzung für die Vermischung in diesem Sinne ist der Ver-<br />

lust der körperlichen Abgrenzung einer Sache zu einer anderen<br />

(z.B. Flüssigkeiten). Bei der Vermengung lassen sich die einzel-<br />

nen Sachen mangels Kennzeichnung nicht mehr dem bisherigen<br />

Sacheigentümer zuordnen (z.B. bei Geld, Tieren, Baumateria-<br />

lien).<br />

cc) Verarbeitung nach § 950 BGB<br />

§ 950 BGB löst den Konflikt zwischen dem Eigentümer des Roh-<br />

stoffs und dem Hersteller zu Gunsten des Herstellers.<br />

Beispiele: Belichtung und Entwicklung von Fotopapier; Bau<br />

eines PKW aus Wrackteilen; Verarbeitung von Ton zu Zie-<br />

geln<br />

� Achtung 1: Maßgebend für den Begriff „Hersteller“ ist nicht,<br />

wer die verarbeitende Tätigkeit ausführt, sondern in wessen Na-<br />

men und Interesse die Verarbeitung nach der Verkehrsauffas-<br />

sung erfolgt. Eine fremdwirkende Verarbeitung ist daher möglich.<br />

� Achtung 2: Wird ein Stoff unter Eigentumsvorbehalt geliefert<br />

und vereinbaren Lieferant und Verarbeiter, dass sich der Eigen-<br />

tumsvorbehalt auf die Fertigware erstrecken soll, d.h. der Liefe-<br />

rant unter Ausschluss von § 950 BGB Eigentümer wird (sog.<br />

Hersteller- oder Verarbeitungsklausel), so bewirkt dies, dass der<br />

Lieferant ohne Durchgangserwerb des Verarbeiters Eigentümer<br />

der Fertigware wird.<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

258<br />

______________________________________________________________<br />

Exkurs 1: Der Eigentumsvorbehalt<br />

A. Allgemeines<br />

Der Eigentumsvorbehalt hat im Warenverkehr eine große Bedeu-<br />

tung. Er dient dem Sicherungsbedürfnis des Verkäufers, der den<br />

Kaufpreis nicht im voraus Zug um Zug gegen Übereignung der<br />

Kaufsache erhält. Der Zweck des Eigentumsvorbehalts wird da-<br />

durch erreicht, dass die dingliche Einigung nach §§ 929 ff. BGB<br />

unter der Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung steht (§ 158<br />

Abs. 1 BGB – Fall der aufschiebenden Bedingung, § 449 Abs. 1<br />

BGB). Die Sicherung führt zu einer Umsatzförderung, weil sie<br />

den Verkauf gegen Kredit erleichtert. Der Eigentumsvorbehalt<br />

wird in der Praxis durch den gutgläubigen Erwerb Dritter und den<br />

Verlust des Eigentums auf Grund Verbindung, Verarbeitung und<br />

Verbrauch gefährdet.<br />

B. Formen des Eigentumsvorbehalts<br />

I. Einfacher Eigentumsvorbehalt<br />

Der einfache Eigentumsvorbehalt erstreckt sich lediglich auf die<br />

verkaufte, unter Eigentumsvorbehalt übereignete Sache und er-<br />

lischt regelmäßig durch vollständige Zahlung des Kaufpreises.<br />

II. Erweiterter Eigentumsvorbehalt<br />

Bei dem erweiterten Eigentumsvorbehalt sind mehrere Unterar-<br />

ten zu unterscheiden:<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

259<br />

______________________________________________________________<br />

1. Weitergeleiteter Eigentumsvorbehalt<br />

Ein weitergeleiteter Eigentumsvorbehalt liegt dann vor, wenn der<br />

Käufer sich dem Verkäufer gegenüber verpflichtet, die unter Ei-<br />

gentumsvorbehalt gekaufte Sache nur in der Weise weiter zu<br />

übereignen, dass der Verkäufer Vorbehaltseigentümer bleibt (in<br />

der Praxis ungebräuchlich). Der weitergeleitete Eigentumsvorbe-<br />

halt verstößt bei vertragsgemäßem Weiterverkauf gegen § 9<br />

Abs. 1 AGBG a.F. (BGH NJW 1991, 2286) = § 307 Abs. 1 BGB<br />

n.F..<br />

<strong>2.</strong> Nachgeschalteter Eigentumsvorbehalt<br />

Ein nachgeschalteter Eigentumsvorbehalt liegt vor, wenn der<br />

Käufer, ohne den Eigentumsvorbehalt offen zu legen, die Sache<br />

seinerseits unter (eigenem) Eigentumsvorbehalt weiter veräußert<br />

(insbesondere im Zwischenhandel üblich). Soweit der nachge-<br />

schaltete Eigentumsvorbehalt mit dem Erstverkäufer abgespro-<br />

chen ist, wird dies regelmäßig mit einer Vorausabtretung verbun-<br />

den.<br />

3. Verlängerter Eigentumsvorbehalt<br />

Ein solcher liegt vor, wenn der Verkäufer und der Käufer verein-<br />

baren, dass an Stelle des (etwa durch Verarbeitung) erloschenen<br />

Eigentumsvorbehalts (s.o.) die neue Sache – das Arbeitsprodukt<br />

– oder die daraus entstehende Forderung treten soll.<br />

4. Der Kontokorrentvorbehalt<br />

Ein Kontokorrentvorbehalt ist gegeben, wenn der Eigentumsvor-<br />

behalt erst dann erlischt, wenn der Käufer alle oder zumindest<br />

einen bestimmten Teil der Forderungen aus der Geschäftsver-<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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bindung beglichen, insbesondere den Saldoausgleich herbeige-<br />

führt hat.<br />

5. Der Konzernvorbehalt<br />

Konzernvorbehalt bedeutet, dass der Kontokorrentvorbehalt<br />

(s.o.) auch auf Forderungen anderer Gläubiger, die zum selben<br />

Konzern des Vorbehaltseigentümers gehören, erstreckt wird.<br />

Außerhalb der Anwendung der §§ 305 ff. BGB n.F. war er grund-<br />

sätzlich zulässig; s. nunmehr aber § 449 Abs. 3 BGB n.F. (nicht<br />

erfasst allerdings der Konzernvorbehalt auf Käuferseite – ist der<br />

Fall, wenn der Eigentumsvorbehalt nicht erlöschen soll, solange<br />

Verbindlichkeiten von Dritten bestehen, die mit dem Käufer ver-<br />

bunden sind.<br />

Exkurs 2: Das Anwartschaftsrecht<br />

Ein dingliches Anwartschaftsrecht entsteht aufgrund des beding-<br />

ten Erwerbs bei der Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts<br />

(§§ 929 S. 1, 930, 931; 158 Abs. 1 BGB). Ein Anwartschaftsrecht<br />

ist dann gegeben, wenn von einem mehraktigen Entstehungstat-<br />

bestand eines Rechts bereits so viele Erfordernisse erfüllt sind,<br />

dass von einer gesicherten Rechtsposition des Erwerbers<br />

gesprochen werden kann, die der Veräußerer nicht mehr einsei-<br />

tig zerstören kann.<br />

Das Anwartschaftsrecht ist mehr als eine bloße Aussicht auf den<br />

Erwerb des Vollrechts, zugleich aber ein Weniger als Letzteres.<br />

Im Verhältnis zum Vollrecht steht das Anwartschaftsrecht als ein<br />

„wesensgleiches Minus“ dar.<br />

Die Übertragung des Anwartschaftsrechts vollzieht sich nach<br />

§§ 929 ff. BGB analog. Geschützt wird das Anwartschaftsrecht<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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u.a. nach § 823 Abs. 1 BGB (Sonstiges Recht). § 985 BGB findet<br />

gleichfalls analoge Anwendung.<br />

Weitere Einzelheiten zum Eigentumsvorbehalt sowie zum An-<br />

wartschaftsrecht s. Skript Kreditsicherungsrecht!<br />

III. Eigentum und andere dingliche Rechte an Gründ-<br />

stücken, insbesondere Erwerb und Verlust des<br />

Grundeigentums (sog. Immobiliarrecht)<br />

1. Übersicht<br />

Übersicht: Immobiliarrecht im BGB<br />

A. Allgemeine Vorschriften über Rechte an Grundstücken:<br />

§§ 873 – 902 BGB<br />

B. Einzelne Rechte<br />

I. Erwerb und Verlust des Eigentums an Grundstücken:<br />

§§ 925–928 BGB<br />

II. Dienstbarkeiten: §§ 1018 – 1093 BGB<br />

III. Vorkaufsrecht: §§ 1094 – 1104 BGB<br />

IV. Reallasten: §§ 1105 – 1112 BGB<br />

V. Hypothek, Grundschuld, Rentenschuld: §§ 1113 – 1203<br />

BGB<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

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<strong>2.</strong> Der Eigentumserwerb nach §§ 873, 925 BGB<br />

Prüfungsschema 30: Eigentumserwerb nach §§ 873, 925<br />

BGB<br />

1. Einigung zwischen Veräußerer und Erwerber (sog. Auf-<br />

lassung, § 925 BGB)<br />

<strong>2.</strong> Eintragung des Erwerbs im Grundbuch<br />

3. Einigsein im Zeitpunkt der Eintragung<br />

4. Berechtigung des Veräußerers (s. aber §§ 185, 892 BGB<br />

– zu § 892 BGB s. nachfolgend Prüfungsschema 31)<br />

5. Verfügungsbefugnis des Veräußerers (s. auch § 878<br />

BGB)<br />

3. Der gutgläubige Erwerb nach § 892 BGB<br />

Prüfungsschema 31: Gutgläubiger Erwerb nach § 892<br />

BGB<br />

1. Unrichtigkeit des Grundbuchs (Unrichtigkeit hinsichtlich<br />

eines Rechtes an einem Grundstück oder eines Rechts an<br />

einem Grundstücksrecht)<br />

<strong>2.</strong> Rechtsgeschäftlicher Erwerb i.S. eines Verkehrsge-<br />

schäfts (bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise muss auf<br />

Erwerberseite mindestens eine Person stehen, die nicht<br />

auf Veräußererseite steht)<br />

3. Gutgläubigkeit bzw. kein Widerspruch (es schaden po-<br />

sitive Kenntnis der fehlenden Berechtigung und ein einge-<br />

tragener Widerspruch)<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

263<br />

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Für den Erwerb bzw. Verlust des Eigentums an dem Grundstück<br />

gilt zunächst die Regel des § 873 BGB: Für die Übereignung ei-<br />

nes Grundstücks sind Einigung und Eintragung (in das Grund-<br />

buch) erforderlich. Die Form der Einigung (die sog. Auflassung)<br />

wird durch § 925 BGB bestimmt. Die Auflassung ist bedingungs-<br />

feindlich (§ 925 Abs. 2 BGB). Der gutgläubige Erwerb von<br />

Grundeigentum wird durch § 892 BGB geregelt. Die Einzelheiten<br />

der Eintragung in das Grundbuch bestimmt die Grundbuchord-<br />

nung (GBO).<br />

Zur Sicherung des Anspruchs auf Einräumung oder Aufhebung<br />

eines Rechtes an einem Grundstück oder eines Rechtes an ei-<br />

nem das Grundstück belastenden Rechte oder auf Änderung des<br />

Inhaltes oder Ranges eines solchen Rechtes kann eine Vormer-<br />

kung in das Grundbuch eingetragen werden (§ 883 Abs. 1 S. 1<br />

BGB).<br />

� Achtung: Bitte lesen Sie sorgfältig die §§ 883, 885, 886 und<br />

888 BGB!<br />

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Grundzüge Bürgerliches Recht<br />

264<br />

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B. Der Herausgabeanspruch des Eigentümers (§ 985<br />

BGB)<br />

I. Voraussetzungen von § 985 BGB (Prüfungsschema)<br />

Prüfungsschema 32: Herausgabeanspruch nach § 985<br />

1. Eigentum des Klägers<br />

<strong>2.</strong> Besitz des Beklagten<br />

BGB<br />

3. Unrechtmäßigkeit des Besitzes (§ 986 Abs. 1, 2 BGB) –<br />

II. Konsequenzen<br />

Besitzrechte vor allem aus Vertrag (z.B. Mieter)<br />

1. Herausgabeanspruch (§ 985 BGB), s.o.<br />

<strong>2.</strong> §§ 985 ff. BGB (sog. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis)<br />

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