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1 Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser,

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<strong>Liebe</strong> <strong>Kolleginnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Kollegen</strong>,<br />

<strong>liebe</strong> <strong><strong>Leser</strong>innen</strong> <strong>und</strong> <strong>Leser</strong>,<br />

mit dem ersten Heft in diesem Jahr lege ich Ihnen wieder ein Schwergewicht<br />

auf den Schreibtisch. Die fleißig einreichenden <strong>Kollegen</strong> haben mich dazu<br />

befähigt. Die wirtschaftlich eigentlich gebotene Auswahl fiel mir zu schwer.<br />

Ich hoffe, Sie teilen meine Bewertung.<br />

Mitursächlich für den Umfang ist aber natürlich auch der Beitragsteil. Die<br />

Auseinandersetzung um das Für <strong>und</strong> Wider eines Arbeitsvertragsgesetzes<br />

hält an <strong>und</strong> der Arbeitsrechtsausschuss des Deutschen AnwaltVereins hat<br />

sich, wie in diesem Heft wiedergegeben, erneut <strong>und</strong> mit Nachdruck dafür<br />

eingesetzt, das Projekt voranzutreiben. Die mit großer Mehrheit getroffene<br />

Entscheidung des Ausschusses war getragen sowohl von Mitgliedern, die sich<br />

eher auf der Arbeitnehmerseite betätigen als auch von solchen, die mehr auf<br />

der Arbeitgeberseite tätig sind <strong>und</strong> natürlich von denen, die nicht festgelegt<br />

sind. Das hat andere, die sich der einen oder anderen Seite verpflichtet fühlen,<br />

auf den Plan gerufen, für ihre Seite zu streiten. Die Arbeitsgemeinschaft gibt<br />

ihren Mitgliedern in den AE natürlich gern Raum für solche Diskussionen.<br />

Für mich als Mitglied des Arbeitsrechtsausschusses ist die Ablehnung<br />

des Arbeitsvertragsgesetzentwurfes durch die exponierten Vertreter der<br />

Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmerseite – natürlich aus unterschiedlichen<br />

Gründen – der beste Beleg dafür, dass der Arbeitsvertragsgesetzentwurf<br />

die richtige Linie verfolgt, nämlich die des Ausgleichs. Aber machen Sie sich<br />

selbst ein Bild davon. Die Beiträge in diesen AE geben Ihnen reichlich Anlass<br />

dazu.<br />

Einzelne Entscheidungen aus einem Heft hervorzuheben, stellt einen immer<br />

wieder vor die Qual der Wahl. In diesem Heft möchte ich Sie besonders auf<br />

die Entscheidung Nr. 107 hinweisen, in der der BGH mit der in diverse Richtungen<br />

wuchernden Rechtsprechung der Amtsgerichte zur Deckungspflicht<br />

bei außergerichtlicher Vertretung aufräumt <strong>und</strong> nahezu alle Hindernisse, die<br />

aufgebaut wurden, über Bord wirft. Wer jetzt unter der Drohung mit einer<br />

von ihm für rechtswidrig erachteten Kündigung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages<br />

gedrängt wird, darf sofort einen Rechtsanwalt mit Aussicht<br />

auf Deckung durch den Rechtsschutzversicherer einschalten. Sicher fällt den<br />

Rechtsschutzversicherern ein neues nicht tragfähiges Argument ein (keine<br />

Deckung so genannter wirtschaftlicher Interessen bei der Verhandlung über<br />

die Abfindungshöhe), doch wird die Widerstandsfähigkeit solcher Argumente<br />

nur noch marginal sein.<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 1 17.02.2009 12:08:04<br />

Editorial<br />

1


Editorial<br />

2 01/09<br />

Im Übrigen überlasse ich es Ihnen, Ihre persönlichen Trüffel aus den mitgeteilten<br />

Entscheidungen zu „erschnüffeln“.<br />

Mögen sie Ihnen nützen!<br />

Berlin, März 2009<br />

Ihr<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht<br />

AE200901.PDF 2 17.02.2009 12:08:04


Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Einsenderliste 4<br />

Aufsätze<br />

Michael Schubert, Jens Peter Hjort, Ute Kahl, Detlef Fricke: Der Professorenentwurf zum ArbVG – Ein Danaergeschenk 5<br />

Dr. Jobst-Hubertus Bauer: Der Professorenentwurf zum ArbVG – Kein Danaergeschenk, sondern sinnvolle<br />

Diskussionsgr<strong>und</strong>lage! 14<br />

Beiträge<br />

Stellungnahmen des DAV durch den Ausschuss Arbeitsrecht<br />

– zur Diskussion über die Schaffung eines einheitlichen Arbeitsvertragsgesetzes (ArbVG) 16<br />

– zu der geplanten Neufassung der Richtlinie des Europäischen Parlaments <strong>und</strong> des Rates über die Einsetzung<br />

eines europäischen Betriebsrates oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung <strong>und</strong> Anhörung der<br />

Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen <strong>und</strong> Unternehmergruppen 17<br />

Marcus Schneider-Bodien: Gr<strong>und</strong>sätze der Beförderungsauswahl im öffentlichen Dienst 21<br />

Terminankündigung 26<br />

Inhaltsverzeichnis der Entscheidungen<br />

Entscheidungen 30<br />

Allgemeines Vertragsrecht 30<br />

Bestandsschutz 46<br />

Betriebsverfassungsrecht/Personalvertretungsrecht 65<br />

Tarifrecht 68<br />

Sonstiges 75<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren 88<br />

Rezension<br />

Prof. Dr. Reinhard Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche 91<br />

Stichwortverzeichnis 93<br />

Impressum 90<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 3 17.02.2009 12:08:04<br />

Seite<br />

3


Liste der AE-Einsender<br />

Liste der AE-Einsender<br />

AE kann ihr Informationsziel nur erreichen, wenn möglichst viele Entscheidungen aus der Mitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft<br />

Arbeitsrecht im DAV kommen. Wir nennen daher hier regelmäßig mit Dank <strong>und</strong> Lob diejenigen, die sich um die AE besonders<br />

verdient gemacht haben.<br />

Berrisch Hansjörg Gießen<br />

Mansholt Werner Darmstadt<br />

Graumann Ingo Iserlohn<br />

Kelber, Dr. Markus Berlin<br />

Lodzik Michael Darmstadt<br />

Neef, Dr. Klaus Hannover<br />

Bauer Dietmar Wiehl<br />

Bauer Bertram Ansbach<br />

Behrens Walter Hamburg<br />

Brötzmann, Dr. Ulrich Mainz<br />

Dribusch Bernhard Detmold<br />

Faecks Friedhelm Marburg<br />

Franzen Klaus-Dieter Bremen<br />

Geus Franz Schweinfurt<br />

Gosda Ralf Ahlen<br />

Gravenhorst, Dr. Wulf Düsseldorf<br />

Gussen, Dr. Heinrich Rheda-Wiedenbrück<br />

Heinemann Bernd St. Augustin<br />

Hilligus Kurt-Jörg Neustadt i.Holst.<br />

Höser, Dr. Jürgen Frechen<br />

Jung Nikolaus Oberursel<br />

Koch, Dr. Friedemann Berlin<br />

Böse Rainer Essen<br />

Clausen Dirk Nürnberg<br />

Crämer Eckart Dortm<strong>und</strong><br />

Daniels Wolfgang Berlin<br />

Eckert, Dr. Helmut Offenbach<br />

Fischer Ulrich Frankfurt/Main<br />

Fromlowitz Horst Essen<br />

Gehrmann Dietrich Aachen<br />

Goergens Dorothea Hamburg<br />

Grimm, Dr. Detlev Köln<br />

Heimann Marco Cham<br />

Hennige, Dr. Susanne Gütersloh<br />

Herbert, Dr. Ulrich Coburg<br />

Hertwig, Dr. Volker Bremen<br />

Hesse, Dr. Walter Berlin<br />

Hjort Jens Hamburg<br />

Keller Thomas München<br />

Kern Jan H. Hamburg<br />

Krafft Alexander Öhringen<br />

Krügermeyer-<br />

Kalthoff Rolf Köln<br />

Kühn Stefan Karlsruhe<br />

Kunzmann, Dr. Walter Euskirchen<br />

4 01/09<br />

Einsender mit mehr als 40 Entscheidungen<br />

Einsender mit mehr als 20 Entscheidungen<br />

Einsender mit mehr als 10 Entscheidungen<br />

Einsender mit 5 – 9 Entscheidungen<br />

Schrader, Dr. Peter Hannover<br />

Puhr-Westerheide Christian Duisburg<br />

Schmitt Jürgen Stuttgart<br />

Tschöpe, Dr. Ulrich Gütersloh<br />

Zeißig, Dr. Rolf Berlin<br />

Krutzki Gottfried Frankfurt a.M.<br />

Lampe, Dr. Christian Berlin<br />

Müller-Knapp Klaus Hamburg<br />

Müller-Wiechards Wolfram Lübeck<br />

Peter Michael Bad Honnef<br />

Rütte Klemens Hamm<br />

Schaefer Rolf Hannover<br />

Schmalenberg, Dr. Werner Bremen<br />

Schramm Joachim Lübbecke<br />

Schulz, Dr. Georg R. München<br />

Seidemann, Dr. Gisbert Berlin<br />

Sparla Franz Aachen<br />

Thiele Volker Düren<br />

Weber Axel Frankfurt/M.<br />

Weberling, Prof. Dr. Johannes Berlin<br />

Link Jochen Villingen<br />

Matissek Reinhard Kaiserslautern<br />

Matyssek Rüdiger Ratingen<br />

Müller Steffen Iserlohn<br />

Pouyadou, Dr. Richard M. Augsburg<br />

Preßer Wolfgang Neunkirchen<br />

Pütter, Dr. Albrecht Flensburg<br />

Richter Klaus Bremen<br />

Richter, Dr. Hanns-Uwe Heidelberg<br />

Schäder, Dr. Gerhard München<br />

Schäfer Dieter Essen<br />

Schipp, Dr. Johannes Gütersloh<br />

Schwirtzek, Dr. Thomas Berlin<br />

Straub, Dr. Dieter München<br />

Striegel Bernhard Kassel<br />

Struckhoff Michael H. München<br />

Theissen-<br />

Graf Schweinitz Ingo Hagen<br />

Thieme Hans Frankfurt/M.<br />

Thon Horst Offenbach<br />

Vrana-Zentgraf Silke Darmstadt<br />

Zahn Thomas Berlin<br />

Zirnbauer Ulrich Nürnberg<br />

AE200901.PDF 4 17.02.2009 12:08:04


Der Professorenentwurf zum ArbVG – Ein Danaergeschenk? *<br />

Rechtsanwalt Michael Schubert, Freiburg, Rechtsanwalt Jens Peter Hjort, Hamburg<br />

Rechtsanwältin Ute Kahl, Hamburg, Rechtsanwalt, Fachanwalt für ArbeitsR Detlef Fricke, Hannover **<br />

Das von der Bertelsmann-Stiftung finanzierte Projekt eines<br />

Entwurfs zu einem Arbeitsvertragsgesetz als Zusammenfassung<br />

der privatrechtlichen, speziell: vertragsrechtlichen Gesetzesbestimmungen<br />

zum Arbeitsrecht ist seit der Veröffentlichung<br />

der ersten Entwurfsfassung durch die Professoren Henssler<br />

<strong>und</strong> Preis von verschiedenen Seiten z.T. geradezu euphorisch<br />

begrüßt worden. 1 Auch der Ausschuss Arbeitsrecht des<br />

Deutschen Anwaltvereins sprach sich deutlich für die Schaffung<br />

eines einheitlichen Arbeitsvertragsrechts aus. 2 Auf den<br />

ersten Blick erscheint es faszinierend für den Rechtsanwender,<br />

wenn die in zahlreichen Einzelgesetzen verstreuten Regelungen<br />

– z.B. BGB, GewO, HGB, KSchG, TzBfG, EntgFZG, BUrlG,<br />

ArbzG, AGG – endlich „übersichtlich“ in ein Gesetz aufgenommen<br />

werden.<br />

Aus verschiedenen Gründen wird diese Begeisterung von uns,<br />

die sich die anwaltliche Vertretung von Arbeitnehmerinteressen<br />

zur Aufgabe gemacht haben, nicht geteilt. Eine kritische<br />

Auseinandersetzung – sowohl mit dem Konzept einer<br />

gesonderten Normierung der vertragsrechtlichen Regelungen<br />

des Arbeitsrechts, als auch mit dem Inhalt des vorliegenden<br />

Entwurfs – ist vielmehr u.E. überfällig. Sie findet auch bereits<br />

statt <strong>und</strong> hat ihren Niederschlag in einer Reihe von Aufsätzen<br />

3 <strong>und</strong> Tagungen 4 gef<strong>und</strong>en. Allerdings – das sei hier nicht<br />

verschwiegen – finden diese eher sehr kritischen Positionen<br />

kaum Eingang in die Veröffentlichungspraxis u.a. der NZA.<br />

Der Ausschuss Arbeitsrecht des Deutschen Anwaltvereins behauptete:<br />

„Nicht nur die Anwaltschaft – <strong>und</strong> zwar unabhängig<br />

davon, ob deren Tätigkeitsschwerpunkt auf Arbeitnehmeroder<br />

Arbeitgeberseite liegt – unterstützt daher den Entwurf<br />

der Professoren.“ 5 Man möchte meinen, dass ein kritischer<br />

Diskurs nicht überall gern gesehen ist <strong>und</strong> – dank der Möglichkeiten<br />

der Bertelsmann-Stiftung 6 die Befürworter des ArbVG-E<br />

gut organisiert sind.<br />

Deshalb sind sich die Autoren dieses Beitrags auch in der<br />

Einschätzung einig, dass ungeachtet dessen, dass in den verbleibenden<br />

Monaten dieser Legislaturperiode mit einer Befassung<br />

des B<strong>und</strong>estages nicht zu rechnen ist, der Entwurf doch<br />

für kommende Perioden <strong>und</strong> u.U. anderer Regierungsmehrheiten<br />

als Blaupause dienen kann, das geltende Arbeitsrecht<br />

gr<strong>und</strong>legend zu Lasten der Beschäftigten umzuwälzen – umso<br />

nötiger bereits jetzt die kritische Befassung.<br />

In der NZA-Beilage 1/2007 (zu Heft 21/2007) haben die Autoren<br />

des Entwurfs, die Professoren Henssler <strong>und</strong> Preis, ihren<br />

überarbeiteten Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsge-<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

setzes mit Stand November 2007 vorgestellt. Noch in den<br />

Leitlinien des Entwurfs mit Stand August 2006 hieß es, es<br />

handele sich um die bloße „Ablösung eines unübersichtlichen<br />

Richterrechts durch Modifikation richterrechtlich ausgebildeter<br />

Rechtsgr<strong>und</strong>sätze“ 7 . Auch im Vorwort zur Entwurfsfassung<br />

von November 2007 behaupteten die Verfasser, dass nur eine<br />

* So benannt nach der Warnung des Laokoon in Vergils Aeneis<br />

2, 49: „Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentis.“<br />

(„Was das auch ist, ich fürchte die Danaer, auch wenn sie<br />

Geschenke bringen.“) – Mit dem Geschenk der Danaer (Griechen)<br />

war das Trojanische Pferd gemeint.<br />

** Die Autoren sind Mitglieder der b<strong>und</strong>esweiten Anwaltskooperation<br />

ArbeitnehmerAnwaelte.<br />

1 Vgl. etwa die Präsidentin des BAG, Ingrid Schmidt, NZA<br />

aktuell Heft 5 2008, S. IX f.; U. Fischer, Rechtsfort- oder<br />

Rückschritt durch Rechtsstillstand – Das Arbeitsvertragsgesetz:<br />

Fata Morgana oder „Wenn nicht jetzt, wann dann?“,<br />

NZA 2006, 1395; Hromodka, Arbeitnehmer, Arbeitnehmergruppen<br />

<strong>und</strong> Arbeitnehmerähnliche im Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes,<br />

NZA 2007, 838; positiv auch B<strong>und</strong>esarbeitsminister<br />

Olaf Scholz im SPIEGEL-Gespräch, in:<br />

Der SPIEGEL Nr. 8/2008, 18.2.2008, S. 41; Die Gutachter<br />

selbst im Vorwort zum Diskussionsentwurf Stand November<br />

2007, NZA-Beilage 1/2007 (zu Heft 21/2007): „In der<br />

Fachöffentlichkeit stieß der Entwurf nahezu einhellig auf ein<br />

überaus positives Echo. Richterschaft <strong>und</strong> Anwaltschaft begrüßten<br />

die systematische Transparenz <strong>und</strong> Schlüssigkeit des<br />

Vorhabens. Die Tragfähigkeit des Ansatzes wurde im April<br />

2007 seitens der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung<br />

durch Verleihung des „Preises für gute Gesetzgebung“ gewürdigt.“<br />

2 Siehe unter Nachrichten, NZA Heft 20/2008, S. VIII.<br />

3 Insbes. in AuR 6/2008, S. 197 – 220, Schüren, in: AuR<br />

9/2008, S. 293 ff.; Kahl/Fricke, in: AiB 5/2008, S. 265 ff.;<br />

Wroblewski, NZA 2008, S. 622 ff.<br />

4 U.a. der VDJ in Frankfurt http://www.vdj.de/index.<br />

php?id=25,295,0,0,1,0 <strong>und</strong> Friedrich-Ebert-Stiftung, Tagungsbericht:<br />

Beschäftigungsfördernd? Sozialverträglich?<br />

Zukunftsfähig?, Erfurt 2008.<br />

5 NZA 20/2008, S. VIII.<br />

6 Werner Biermann/Arno Klönne, Agenda Bertelsmann – Ein<br />

Konzern stiftet Politik, 2. Auflage Köln 2007/2008.<br />

7 NZA-Beilage zu Heft 23/2006.<br />

8 NZA-Beilage 1/2007 zu Heft 21/2007.<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 5 17.02.2009 12:08:04<br />

5


Aufsätze/Beiträge<br />

„ganz geringe Zahl materieller“, „in der Gesamtschau sehr ausgewogener“<br />

Änderungen vorgenommen worden sei. 8<br />

Diese Selbstdarstellung erweist sich allerdings bei näherem<br />

Hinsehen als unzutreffend. Tatsächlich enthält der ArbVG-<br />

Entwurf – neben einer sehr geringen Zahl von im Vergleich<br />

zur geltenden Rechtslage für Arbeitnehmer günstigeren Regelungen<br />

– gerade in den besonders praxisrelevanten Bereichen<br />

eine Vielzahl den Arbeitnehmerschutz zum Teil gravierend<br />

verschlechternder <strong>und</strong> auch keineswegs bloß der bisherigen<br />

Rechtslage bzw. der BAG-Rechtsprechung entsprechender Regelungsvorschläge.<br />

Unsere Einschätzung wollen wir exemplarisch – nach einer<br />

einführenden allgemeinen Bewertung des Kodifizierungsansatzes<br />

von Henssler/Preis (I.) – anhand der Themenfelder „Binnenflexibilität“<br />

im Arbeitsverhältnis (II.) <strong>und</strong> betriebsbedingte<br />

Kündigung (III.) verdeutlichen.<br />

I. Arbeitsvertragsgesetz versus<br />

Arbeitsgesetzbuch<br />

Art. 30 Abs. 1 Einigungsvertrag 9 bestimmt als Aufgabe des<br />

gesamtdeutschen Gesetzgebers, das Arbeitsvertragsrecht<br />

sowie das öffentlich-rechtliche Arbeitszeitrecht einschließlich<br />

der Zulässigkeit von Sonn- <strong>und</strong> Feiertagsarbeit <strong>und</strong> den<br />

besonderen Frauenarbeitsschutz möglichst bald einheitlich<br />

neu zu kodifizieren <strong>und</strong> zugleich den öffentlich-rechtlichen<br />

Arbeitsschutz in Überstimmung mit dem Recht der Europäischen<br />

Gemeinschaften <strong>und</strong> dem damit konformen Teil des<br />

Arbeitsschutzrechts der Deutschen Demokratischen Republik<br />

(in der es bekanntlich ein Arbeitsgesetzbuch gab) zeitgemäß<br />

neu zu regeln. Im Ergebnis fordert der Einigungsvertrag<br />

also – u.E. aus gutem Gr<strong>und</strong> – entgegen anderslautender<br />

Behauptungen 10 nicht eine isolierte Kodifizierung des Arbeitsvertragsrechts,<br />

sondern ein mit dem EU-Recht abgestimmtes<br />

Arbeitsgesetzbuch.<br />

Tatsache ist, dass es in 14 von 25 in dem von Henssler/Braun<br />

herausgegebenen Werk zum Arbeitsrecht in Europa 11 dargestellten<br />

europäischen Staaten (davon in 10 EU-Staaten) ein Arbeitsgesetzbuch<br />

gibt, darunter Frankreich, Spanien, Portugal,<br />

Luxemburg. 12 Dagegen existiert lediglich in Belgien <strong>und</strong> Finnland<br />

ein Arbeitsvertragsgesetz. 13 Das Arbeitsrecht der übrigen<br />

EU-Staaten ist dagegen – wie in Deutschland – von einer Vielzahl<br />

von Einzelgesetzen geprägt – zum erheblichen Teil auch<br />

Umsetzung von EU-Richtlinien i.S. einheitlicher Kodifizierung<br />

der entsprechenden privatrechtlichen <strong>und</strong> öffentlichrechtlichen<br />

Bestimmungen.<br />

Tatsächlich stellt gerade die Beschränkung auf die Kodifizierung<br />

des Individualrechts in Form des Arbeitsprivatrechts eine<br />

erhebliche Schwierigkeit des vorliegenden Entwurfs dar. Denn<br />

Arbeitsrecht als – insbesondere – Arbeitnehmerschutzrecht<br />

6 01/09<br />

ist gerade durch privatrechtlich <strong>und</strong> öffentlichrechtlich ausgestaltete<br />

Schutzkonzepte <strong>und</strong> zugleich individualrechtliche<br />

<strong>und</strong> kollektivrechtliche Rechtswahrnehmung geprägt. Gerade<br />

diesen Zusammenhang muss der Anwender aus dem Gesetz<br />

erkennen können, um zu wissen „woran er ist“ – auch der<br />

Arbeitnehmer oder Arbeitgeber ohne juristische Kenntnisse.<br />

Das Herauslösen individualrechtlicher Berechtigungen aus bestehenden<br />

gesetzlichen Zusammenhängen führt dazu, dass<br />

Inhalte vom Rechtsanwender übersehen, verkannt oder gar<br />

verändert werden. Das ist alles andere als praktisch sinnvoll.<br />

Ein Beispiel: § 29 Abs. 3 ArbVG-E regelt, dass der Arbeitgeber<br />

Kurzarbeit anordnen darf, wenn die Voraussetzungen des<br />

§ 169 SGB III erfüllt sind oder von der Agentur für Arbeit<br />

bejaht werden. Die erste Variante gibt dem Arbeitgeber eine<br />

eigenständige Entscheidungsmöglichkeit. Er kann Kurzarbeit<br />

anordnen, auch wenn die Agentur zuvor überhaupt nicht beteiligt<br />

wurde. Damit wird das Verfahren des § 19 KSchG <strong>und</strong><br />

§ 169 ff. SGB III, d. h. die Verbindung von individualrechtlicher<br />

Befugnis <strong>und</strong> öffentlichrechtlicher Überprüfung, aufgelöst. Ein<br />

mögliches Ergebnis wäre, dass die Agentur es anders sieht<br />

als der Arbeitgeber <strong>und</strong> kein Kurzarbeitergeld zahlt – <strong>und</strong> der<br />

Arbeitnehmer mit erheblich gekürzten Bezügen da steht (was<br />

die bisherige Verbindung aus privatrechtlichem <strong>und</strong> öffentlichrechtlichem<br />

Schutzkonzept gerade vermeiden soll).<br />

Ein weiteres Beispiel: In §§ 101 ff. ArbVG-E (Elternzeit) fehlen<br />

die gerade aus Arbeitnehmersicht (aber auch für die Beurteilung<br />

im Einzelfall aus Arbeitgebersicht) hochgradig relevanten<br />

Regelungen zur Gewährleistung des Elterngeldes.<br />

Ein rechtssuchender Arbeitnehmer müsste diese Regelungen<br />

dann in einem anderen Gesetz (Rumpf-BEEG) ausfindig machen,<br />

statt alles Relevante in einem Gesetz (jetziges BEEG) zu<br />

finden.<br />

Und noch ein weiteres Beispiel ist § 67 ArbVG-E. Dieser regelt<br />

die Informations- <strong>und</strong> Erörterungspflicht des Arbeitgebers,<br />

der bekanntermaßen in § 13 AGG sowie §§ 81 ff. BetrVG<br />

ein Beschwerderecht des Arbeitnehmers entspricht. Soll das<br />

Beschwerderecht des Arbeitnehmers entfallen, wird also das<br />

9 Vertrag zwischen der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland <strong>und</strong><br />

der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung<br />

der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom<br />

31.8.1990 BGBl II S. 889.<br />

10 So U. Fischer, a.a.O., NZA 2006, 1395.<br />

11 Henssler/Braun – Hrsg.-, Arbeitsrecht in Europa, 2. Aufl.<br />

2007.<br />

12 Vgl. Henssler/Braun, a.a.O., S. 356, 752, 1104, 1394; weiter<br />

von den EU-Staaten: Lettland, Litauen, Polen, Slowakische<br />

Republik, Tschechien, Ungarn, vgl. S. 718, 736, 1042,<br />

1339, 1480, 1575.<br />

13 Vgl. Henssler/Braun, a.a.O., S. 137, 313.<br />

AE200901.PDF 6 17.02.2009 12:08:04


BetrVG geändert oder handelt es sich um Parallelregelungen,<br />

die nebeneinander stehen? Diese Frage stellt sich erst recht<br />

dann, wenn eine im Gesetzentwurf vorgesehene zum Nachteil<br />

des Arbeitnehmers verschlechternde tarifliche Regelung<br />

existiert.<br />

Rudolf Buschmann hat an anderer Stelle 14 darauf hingewiesen,<br />

dass gerade inhaltliche Regelungen <strong>und</strong> Verfahren z. B. im<br />

NachweisG, im ArbeitszeitG, im Teilzeit- <strong>und</strong> BefristungG <strong>und</strong><br />

im AGG, Ausfluss <strong>und</strong> Umsetzung (oder zumindest versuchte<br />

Umsetzung) europäischer Richtlinien sind. In den ArbVG-<br />

Entwurf wird aber lediglich die individualrechtliche Befugnis –<br />

diese zudem mit gravierenden Defiziten – transportiert. Was<br />

bleibt dann z. B. vom öffentlichrechtlichen Schutz im ArbZG?<br />

Die zu erwartende Antwort, alle öffentlichrechtlichen, kollektivrechtlichen<br />

<strong>und</strong> verfahrensrechtlichen Regelungen seien<br />

nicht betroffen, befriedigt nicht. Gesetzestechnisch b<strong>liebe</strong>n<br />

neben dem ArbVG diverse Rumpfgesetze bestehen (mit<br />

welchem konkreten „Restbestand“ wird von den Entwurfsverfassern<br />

nicht mitgeteilt). Die praktische Handhabung<br />

würde so gerade auch für Nichtjuristen erschwert <strong>und</strong> nicht<br />

erleichtert. Es besteht sogar die Gefahr, dass der öffentlichrechtliche<br />

<strong>und</strong> kollektivrechtliche Schutz vernachlässigt<br />

oder übersehen wird. Ansonsten setzt spätestens hier wieder<br />

die „Sucharbeit“ ein, deren Vermeidung die Verfasser doch<br />

gerade proklamieren. Auch die Umbenennung des Entwurfs<br />

in ein Arbeitsverhältnisgesetz wird hier nicht helfen.<br />

II. „Binnenflexibilität“ im Arbeitsverhältnis<br />

Die Unrichtigkeit der Behauptung bloß ganz geringer materieller<br />

<strong>und</strong> in der Gesamtschau ausgewogener Änderungen<br />

<strong>und</strong> die tatsächliche Tendenz des Entwurfs zeigt sich exemplarisch<br />

an den vorgeschlagenen Regelungen zur Arbeitsleistung<br />

(§§ 25 bis 33 ArbVG-E) <strong>und</strong> zur Änderung von Arbeitsbedingungen<br />

(§§ 96 – 98 ArbVG-E). Tatsächlich ist kennzeichnend<br />

für den Entwurf eine angestrebte außerordentliche Ausweitung<br />

der „Binnenflexibilität“, zu deren Ermöglichung mehrfach<br />

zu Lasten der Arbeitnehmer die Grenzen des Vertragsbestandsschutzes<br />

(pacta sunt servanda) in auch rechtsdogmatisch<br />

fragwürdiger Weise gesprengt werden. Dies sei an<br />

folgenden Beispielen verdeutlicht:<br />

1. § 29 Abs. 1 ArbVG-E (Erweiterte Arbeitspflicht aus<br />

betrieblichen Gründen)<br />

§ 29 Abs. 1 des ArbVG-E, sieht vor, dass der Arbeitnehmer<br />

aus dringenden betrieblichen Gründen an einem von der arbeitsvertraglichen<br />

Vereinbarung abweichenden Ort zu arbeiten<br />

oder eine von der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht<br />

abweichende Tätigkeit auszuüben hat, soweit nicht überwiegende<br />

persönliche Gründe des Arbeitnehmers dem entgegenstehen.<br />

Hierdurch wird das arbeitgeberseitige Direktionsrecht<br />

erheblich erweitert.<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

Bisher darf der Arbeitgeber sein Direktionsrecht aus § 106<br />

GewO nur zur Ausfüllung der arbeitsvertraglich festgelegten<br />

Leistungspflicht einsetzen. 15 Die im ArbVG-E vorgeschlagene<br />

Regelung würde dem Arbeitgeber aber ermöglichen, aus dringenden<br />

betrieblichen Gründen auch arbeitgeberseitige Weisungen<br />

entgegen der arbeitsvertraglichen Regelung zu erteilen.<br />

2. Zu § 96 ArbVG-E (Änderungsvorbehalt)<br />

Dass der Entwurf von Henssler <strong>und</strong> Preis insbesondere seinen<br />

eigenen Anspruch der Systematisierung <strong>und</strong> Klarstellung bestehender<br />

arbeitsrechtlicher Regelungen nicht erfüllen kann,<br />

zeigt sich auch in § 96 ArbVG-E. Dort sind Änderungsvorbehalt<br />

<strong>und</strong> ähnliche Vereinbarungen in Arbeitsverträgen geregelt.<br />

Eine Vereinbarung, die dem Arbeitgeber das Recht zur einseitigen<br />

Änderung z.B. der Vergütung, insbesondere den Widerruf<br />

außertariflicher Gehaltsbestandteile erlaubt, unterlag<br />

nach der Rechtsprechung des BAG bisher der AGB-Kontrolle<br />

gem. § 308 Nr. 4 <strong>und</strong> 307 BGB unter Beachtung der arbeitsrechtlichen<br />

Besonderheiten gem. § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB 16 .<br />

Gemäß § 308 Nr. 4 BGB ist ein einseitiges Widerrufsrecht des<br />

Arbeitgebers gr<strong>und</strong>sätzlich unwirksam, es sei denn, dieses<br />

ist für den anderen Vertragsteil zumutbar. Letzteres ist nach<br />

der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts dann der Fall,<br />

wenn der Widerruf nicht gr<strong>und</strong>los erfolgen soll, sondern wegen<br />

der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument<br />

der Anpassung notwendig ist. Auch im Arbeitsverhältnis<br />

müsse in diesem Sinne ein Gr<strong>und</strong> für den Widerruf bestehen.<br />

Unabhängig davon, ob der Gr<strong>und</strong> als sachlich, hinreichend<br />

triftig oder schwerwiegend bezeichnet werde, müsse<br />

jedenfalls die gebotene Interessenabwägung zu einer Zumutbarkeit<br />

der Klausel für den Arbeitnehmer führen. Dies richte<br />

sich in Anlehnung an § 307 BGB insbesondere nach der Art<br />

<strong>und</strong> Höhe der Leistung, die widerrufen werden soll, nach der<br />

Höhe des verbleibenden Verdienstes <strong>und</strong> der Stellung des<br />

Arbeitnehmers im Unternehmen. Unter Berücksichtigung aller<br />

Gesichtspunkte müsse der Widerrufsgr<strong>und</strong> den Widerruf<br />

typischerweise rechtfertigen 17 .<br />

14 Vgl. R. Buschmann, Vortrag vor dem Erfurter Forum für<br />

Arbeits- <strong>und</strong> Sozialrecht, Friedrich-Ebert-Stiftung, vom<br />

13.2.2008 – Ein Entwurf für ein Arbeitsvertragsgesetz – das<br />

Verhältnis des Entwurfs zum europäischen <strong>und</strong> internationalen<br />

Arbeitsrecht – auch zur Kritik der Defizite hinsichtlich<br />

TzBfG, AGG u.a.<br />

15 vgl. HK-ArbR/Becker, § 106 GewO Rn 5 <strong>und</strong> 20; BAG, vom<br />

02.04.1996 – 1 AZR 743/95 NZA 97, 112 ff.<br />

16 BAG, Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 364/04 NZA 2005,<br />

465 ff. sowie BAG, Urteil vom 11.10.2006 – 5 AZR 721/05<br />

NZA 2007, 87 ff.; Hk-ArbR/Boemke/Ulrici, § 308 Rn 49 ff.<br />

17 BAG, vom 12.01.2005 a.a.O.<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 7 17.02.2009 12:08:04<br />

7


Aufsätze/Beiträge<br />

§ 96 ArbVG-E sieht in Abs. 1 Satz 1 dagegen vor, dass ein<br />

Änderungsvorbehalt der Inhaltskontrolle nach Maßgabe des<br />

§ 18 ArbVG-E unterliegt. Diese Vorschrift regelt in Abs. 7, dass<br />

Abreden, die unmittelbar die Höhe des Arbeitsentgelts, die<br />

vereinbarte Arbeitsleistung oder die Dauer der Arbeitszeitregeln<br />

betreffen, einer Inhaltskontrolle ausschließlich nach<br />

Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 unterliegen. In diesem Abs. 6<br />

Satz 2 wiederum wird festgelegt, dass sich eine unangemessene<br />

Benachteiligung auch daraus ergeben könne, dass die<br />

Bestimmung nicht klar <strong>und</strong> verständlich ist. Abs. 6 Satz 1 normiert<br />

dagegen, was im Allgemeinen unter einer unangemessenen<br />

Benachteiligung zu verstehen ist <strong>und</strong> wie sich eine<br />

solche auf die konkrete Bestimmung auswirkt. Allgemeine<br />

Vertragsbedingungen sind danach unwirksam, soweit sie den<br />

Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu <strong>und</strong> Glauben<br />

unangemessen benachteiligen, insbesondere, wenn sie<br />

mit wesentlichen Gr<strong>und</strong>gedanken einer gesetzlichen Regelung<br />

nicht zu vereinbaren sind (vgl. § 307 Abs. 1 Satz 1 <strong>und</strong><br />

Abs. 2 Nr. 1 BGB).<br />

Das Zusammenspiel der verschiedenen Vorschriften führt zu<br />

einem höchst verwirrenden Normgefüge. Offensichtlich soll<br />

ein Änderungsvorbehalt, der z.B. das Arbeitsentgelt betrifft,<br />

nur daran gemessen werden, ob diese Bestimmung klar<br />

<strong>und</strong> verständlich ist. Dies ergibt sich aus der Formulierung<br />

„unterliegen einer Inhaltskontrolle ausschließlich nach Abs. 6<br />

Satz 2 ... “ § 18 Abs. 6 Satz 1 dagegen wird lediglich an<br />

zweiter Stelle <strong>und</strong> damit ergänzend genannt, so dass unklar<br />

ist, ob hier in der zweiten Stufe eine Prüfung anhand der<br />

Generalklausel (Gebote von Treu <strong>und</strong> Glauben, insbesondere<br />

die Abweichung von wesentlichen Gr<strong>und</strong>gedanken einer<br />

gesetzlichen Regelung) erfolgen soll 18 oder ob der Verweis<br />

auf diese Bestimmung allein dazu dient, die Rechtsfolge<br />

einer unangemessenen Benachteiligung zu normieren („Bestimmungen<br />

in Allgemeinen Vertragsbedingungen sind<br />

unwirksam, soweit sie den Arbeitnehmer ( ... ) unangemessen<br />

benachteiligen ( ... )). Sprachlich angelehnt scheint der<br />

Verweis in § 18 Abs. 7 Satz 1 ArbVG-E an § 307 Abs. 3 Satz 2<br />

BGB, der Kontrollfreiheit in Bezug auf die Angemessenheit bei<br />

bestimmten Vertragsklauseln vorsieht. 19 Eine Angemessenheitskontrolle<br />

wie in § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB <strong>und</strong> damit eine<br />

Interessenabwägung 20 über die Prüfung des Transparenz- <strong>und</strong><br />

Bestimmtheitsgebotes hinaus, wäre damit ausgeschlossen.<br />

Prüfungsmaßstab wäre eine rein formale Anforderung. Das<br />

Kriterium der Zumutbarkeit aus § 308 Nr. 4 BGB würde ebenfalls<br />

komplett entfallen. Hierdurch würde auf die vom B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

geforderte Einzelfallabwägung verzichtet <strong>und</strong><br />

den Arbeitgebern erheblich erleichtert, Vereinbarungen über<br />

Änderungen von Vertragsbedingungen in den Arbeitsvertrag<br />

aufzunehmen. Durch diese Änderung würde das durch die<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgericht entwickelte Verbot<br />

der Übertragung des Wirtschaftsrisikos des Unternehmers<br />

auf den Arbeitnehmer 21 aufgeweicht, da die Erleichterung<br />

einseitiger Änderungen von Vertragsbedingungen zur Folge<br />

8 01/09<br />

hätte, dass der Arbeitgeber zu Lasten der Vorhersehbarkeit für<br />

den Arbeitnehmer auf inner- <strong>und</strong> außerbetriebliche Ereignisse<br />

reagieren könnte.<br />

Widersprüchlich ist im Gesamtzusammenhang zudem § 96<br />

Abs. 1 Satz 2 ArbVG-E. Dort heißt es: „Sie (die Vereinbarung eines<br />

Änderungsvorbehalts) ist unangemessen benachteiligend,<br />

wenn in der Vereinbarung weder Zweck noch der Gr<strong>und</strong> für<br />

die vorbehaltene Änderung in allgemeiner Form geregelt ist.“<br />

Ist dies ein zusätzliches Kriterium, das bei der Überprüfung der<br />

Angemessenheit eines Änderungsvorbehaltes zum Arbeitsentgelt<br />

zu berücksichtigen ist? Und wie steht die Regelung in<br />

§ 96 Abs. 1 Satz 2 ArbVG-E zum zitierten § 18 Abs. 7 ArbVG-E,<br />

der für Abreden, die unmittelbar das Arbeitsentgelt betreffen<br />

ausschließlich auf § 18 Abs. 6 Satz 2 (i.V.m. Abs. 6 Satz 1)<br />

verweist? Soll es in diesen Fällen auf einen Zweck <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong><br />

nicht mehr ankommen? Damit wären die Gr<strong>und</strong>sätze des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

zur Zulässigkeit von Widerrufsvorbehalten<br />

dann vollends aufgegeben. Selbst wenn dies jedoch nicht<br />

gemeint sein sollte, so wäre auch hier eine rein formale Anforderung<br />

normiert, auf die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer<br />

käme es nicht mehr an.<br />

3. Zu § 97 ArbVG-E (Änderungskündigung)<br />

Zur Möglichkeit der Abweichung vom Vertragsinhalt durch<br />

Direktionsrecht <strong>und</strong> der Erleichterung der Änderung von<br />

Vertragsbedingungen durch Widerrufsvorbehalte kommt die<br />

Ausweitung der Möglichkeit zur Änderungskündigung hinzu.<br />

Bisher gilt hier § 2 KSchG i.V.m. § 1 Abs. 2 <strong>und</strong> 3 KSchG. Die<br />

entscheidende Änderung, die Henssler <strong>und</strong> Preis vornehmen<br />

wollen, liegt hier in der Streichung des Wortes „dringende“.<br />

Nunmehr sollen betriebliche Gründe, denen der Vorrang vor<br />

den Interessen des Arbeitnehmers an dem unveränderten<br />

Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses zukommt, eine Änderungskündigung<br />

sozial rechtfertigen. Das Merkmal der Dringlichkeit<br />

ist jedoch kein bedeutungsloses Annex zum betrieblichen<br />

Erfordernis.<br />

18 Siehe zum Meinungsstreit, ob im Rahmen des bestehenden<br />

§ 307 BGB bereits ein Verstoß gegen das Transparenzgebot<br />

zur Unwirksamkeit führt oder ob zusätzlich die ernsthafte<br />

Gefahr einer inhaltlichen Benachteiligung des Verwenders<br />

gegeben sein muss: Hk-ArbR/Boemke/Ulrici, § 307 BGB<br />

Rn 22 unter Verweis auf BGH, vom 05.11.1998, III ZR<br />

95/97, BGHZ 140, 25, 31 (Verstoß gegen Transparenzgebot<br />

ausreichend) <strong>und</strong> wohl auch BAG, vom 21.04.2005, 8 AZR<br />

425/04, NZA 2005, 1053, 1055<br />

19 vgl. Hk-ArbR/Boemke/Ulrici, § 307 BGB Rn 33.<br />

20 vgl. Hk-ArbR/Boemke/Ulrici, § 307 BGB Rn 5.<br />

21 BAG, vom 11.10.2006 – 5 AZR 721/05 NZA 2007, 87 ff.;<br />

Hk-ArbR/Boemke/Ulrici, § 308 Rn 50.<br />

AE200901.PDF 8 17.02.2009 12:08:04


Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts sind betriebliche<br />

Erfordernisse für eine Kündigung, die sich aus innerbetrieblichen<br />

oder außerbetrieblichen Gründen ergeben, nur<br />

dann dringend, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist,<br />

der betrieblichen Lage durch andere Maßnahmen auf technischem,<br />

organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet als<br />

durch eine Kündigung zu entsprechen. Hierin liege keine verdeckte<br />

Überprüfung der freien unternehmerischen Organisationsentscheidung,<br />

sondern durch das Erfordernis der Dringlichkeit<br />

werde dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen.<br />

22 Nach allem streichen Henssler <strong>und</strong> Preis auch in diesem<br />

Zusammenhang ein Tatbestandsmerkmal, das der Rechtsprechung<br />

bisher dazu gedient hat, die Verhältnismäßigkeit<br />

der arbeitgeberischen Entscheidung zu überprüfen <strong>und</strong> ein<br />

etwaiges Übermaß zu verhindern.<br />

III. Gr<strong>und</strong>legende Änderungen zur<br />

betriebsbedingten Kündigung<br />

Die hier dargestellte erhebliche Erweiterung der „Binnenflexibilität“<br />

im Arbeitsverhältnis ist, wie bereits angedeutet, jedoch<br />

nicht das einzige „Zugeständnis“ der Professoren Henssler <strong>und</strong><br />

Preis an die Arbeitgeberseite. Auch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

soll nach dem vorliegenden Entwurf für ein<br />

Arbeitsvertragsgesetz in vielfacher Hinsicht erheblich erleichtert<br />

<strong>und</strong> damit der bestehende Kündigungsschutz abgebaut<br />

werden.<br />

Dies ist vorgesehen etwa durch Erleichterung der Kündigung<br />

vor Arbeitsaufnahme (§ 108 Abs. 2 ArbVG-E), Erleichterung<br />

der außerordentlichen Kündigung (§ 112 ArbVG-E), (optionale)<br />

Verlängerung der (kündigungsschutzlosen) Wartefrist<br />

(§ 115 Abs. 1 S. 1 ArbVG-E), Erleichterung der personenbedingten<br />

Kündigungen insbesondere bei „Leistungsschwäche“<br />

(§ 115 Abs. 3 ArbVG-E), Einschränkung der Prüfung anderer<br />

Beschäftigungsmöglichkeiten auf personen- <strong>und</strong> betriebsbedingte<br />

Kündigungen (§ 116 Abs. 2 – 4 ArbVG-E) <strong>und</strong> Festschreibung<br />

des „Kleinbetriebs“ mit 10 Arbeitnehmern (§ 118<br />

Abs. 1 ArbVG-E). Verzahnt sind diese Regelungen mit generell<br />

legalisierter Beseitigung des Beschäftigungsanspruchs bei<br />

Kündigung (Freistellungsrecht, § 26 Abs. 2 ArbVG-E) <strong>und</strong><br />

(optionaler) Beseitigung des Annahmeverzugsvergütungsanspruchs<br />

zwischen einem die Beendigung feststellenden Urteil<br />

(z.B. des Arbeitsgerichts) <strong>und</strong> einem späteren doch wieder<br />

den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses feststellenden Urteil<br />

(z.B. des LAG) (§ 57 Abs. 3 ArbVG-E).<br />

Es ist handgreiflich, dass gerade die Beseitigung des Beschäftigungsanspruchs<br />

gem. § 26 Abs. 2 ArbVG-E, <strong>und</strong> die<br />

Beseitigung des Annahmverzugsvergütungsanspruchs gem.<br />

§ 57 Abs. 3 ArbVG-E dogmatisch mit dem Vertragsbestandsschutz<br />

(„pacta sunt servanda“) als Gr<strong>und</strong>element des Vertragsrechts<br />

23 nicht vereinbar sind <strong>und</strong> zu einer in der Praxis<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

sehr gravierenden Benachteiligung der Arbeitnehmer im<br />

Kündigungsschutzprozess führen würden.<br />

Besonders deutlich wird die Tendenz des Entwurfs jedoch<br />

an den vorgeschlagenen Regelungen zur betriebsbedingten<br />

Kündigung:<br />

Wie ohne Weiteres aus dem Text der §§ 115 Abs. 2 <strong>und</strong> 117<br />

Abs. 1 bis 3 ArbVG-E ersichtlich, handelt es sich dabei nicht<br />

um eine bloße Einbringung (ggf. noch Präzisierung) der bisherigen<br />

gesetzlichen Regelungen zur betriebsbedingten Kündigung,<br />

sondern um gr<strong>und</strong>legende Neuregelungen in maßgeblichen<br />

Punkten.<br />

1. Zu § 115 Abs. 2 ArbVG-E (betriebliche Gründe)<br />

Preis <strong>und</strong> Henssler schlagen hier schlicht die vollständige Liquidierung<br />

des seit der Erstfassung des Kündigungsschutzgesetzes<br />

vom 10.8.1951 24 bestehenden Gesetzeswortlauts vor. Sie<br />

wollen damit offensichtlich einer – soweit ersichtlich – erst<br />

seit dem Urteil des 2. Senats des BAG, v. 22.11.1973 25 verfestigten,<br />

allein die „freie Unternehmerentscheidung“ zum Ausgangspunkt<br />

für die Rechtfertigung für die Beseitigung von<br />

Arbeitsplätzen nehmenden BAG-Rechtsprechung die Weihen<br />

des Gesetzes verleihen <strong>und</strong> ihr endgültig zum Durchbruch<br />

verhelfen.<br />

a) Preis selbst hat bislang darauf hingewiesen, dass diese<br />

Rechtsprechung vom Gesetz nicht gedeckt ist, da „die freie<br />

Unternehmerentscheidung weder ausdrückliches noch ungeschriebenes<br />

Tatbestandsmerkmal des § 1 KSchG ist.“ 26 „Würde<br />

man den Wortlaut des Gesetzes ernst nehmen, (was Juristen/innen<br />

ja durchaus tun sollten) gäbe es keine prüfungsrelevanten<br />

unternehmerischen Entscheidungen. Es dürften nur<br />

betriebliche, also mehr oder minder arbeitstechnische oder<br />

organisatorische Erfordernisse die Kündigung bedingen.“ 27<br />

Zum zusätzlichen Merkmal der Dringlichkeit heißt es bei Preis:<br />

„Das Merkmal der Dringlichkeit verleiht dem Interesse des<br />

Arbeitnehmers am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses<br />

zusätzliches Gewicht. Hierdurch wird die unternehmerische<br />

Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers eingeschränkt.“ Das<br />

„Merkmal der Dringlichkeit“... „schützt ... den Arbeitnehmer<br />

22 BAG, vom 18.10.1990 – 2 AZR 183/89 NZA 1990, 734 ff.<br />

23 So BAG, vom 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, juris Rn 19; BAG,<br />

vom 7.12.2005 – 5 AZR 535/04, juris Rn 34.<br />

24 BGBl I 1951, S. 499 ff.; wortgleich dann auch i.d.F. des<br />

KSchG vom 14.8.1969 BGBl 1969, 10006 ff.<br />

25 BAG, vom 22.1.1973 – 2 AZR 543/72 – AP § 1 KSchG<br />

betriebsbedingte Kündigung Nr. 22.<br />

26 So Stahlhacke-Preis, Kündigung <strong>und</strong> Kündigungsschutz im<br />

Arbeitsverhältnis, 9. Aufl. 2005, § 2 Rn 933.<br />

27 Stahlhacke-Preis, a.a.O., Rn 935.<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 9 17.02.2009 12:08:04<br />

9


Aufsätze/Beiträge<br />

vor einer betriebsbedingten Kündigung, die ohne wirtschaftliche<br />

Notwendigkeit allein zur Gewinnmaximierung<br />

ausgesprochen wird.“ 28<br />

Während der bisherige Gesetzestext dem Schutzanspruch der<br />

Arbeitnehmer dadurch Rechnung trägt, dass auf – vom Arbeitgeber<br />

darzulegende <strong>und</strong> zu beweisende – gerade auf<br />

den Betrieb (dessen Bestand <strong>und</strong> Fortentwicklung) bezogene<br />

objektive Notwendigkeiten (betriebliche Erfordernisse) abgestellt<br />

wird, die Rechtmäßigkeit betriebsbedingter Kündigungen<br />

also an diesem im Ergebnis auf den Erhalt von Betrieb<br />

<strong>und</strong> Arbeitsplätzen abzielenden Maßstab gemessen wird, <strong>und</strong><br />

als zusätzliche Schranke noch die Dringlichkeit gegeben sein<br />

muss, wird eben dieses Schutzkonzept durch den Formulierungsvorschlag<br />

von Preis <strong>und</strong> Henssler vollständig aufgegeben.<br />

Dies unternehmen die Verfasser des Entwurfs ausgerechnet<br />

in einer Situation, in der – seit Mitte 2008 unbestreitbar –<br />

die katastrophalen Folgen einer allein auf Gewinnmaximierung<br />

ausgerichteten Unternehmenspolitik <strong>und</strong> einer diese begünstigenden<br />

staatlichen Deregulierung für die Finanzmärkte<br />

<strong>und</strong> mittlerweile für die Weltwirtschaft manifest geworden<br />

sind. Die einer solchen Unternehmenspolitik entsprechende<br />

Dominanz des Wettbewerbs um Personalkostenreduzierung<br />

großer Konzerne <strong>und</strong> Hedgefonds 29 hat schon in den vergangenen<br />

Jahren zu beträchtlichen Arbeitsplatzvernichtungen<br />

durch keineswegs in wirtschaftlicher Notlage befindliche<br />

internationale Konzerne geführt – vgl. nur AEG/Electrolux,<br />

Nürnberg, <strong>und</strong> Nokia, Bochum. Bis in die CDU/CSU hinein wird<br />

mittlerweile ein erhöhter Arbeitnehmerschutz gegenüber derartigen<br />

Vorgehensweisen verlangt. 30 Eine Überprüfung der<br />

bisherigen BAG-Rechtsprechung <strong>und</strong> eine Rückbesinnung auf<br />

den Gesetzeswortlaut – bzw. sogar eine Präzisierung des Gesetzeswortlauts<br />

(vgl. den ver.di-Vorschlag: Abbau von Stellen<br />

zur Gewinnsteigerung kein dringendes betriebliches Erfordernis)<br />

31 – wäre also gerade geboten <strong>und</strong> nicht weitere Deregulierung.<br />

Preis <strong>und</strong> Henssler gehen aber sogar noch über die BAG-<br />

Rechtsprechung hinaus, indem sie den Begriff der betrieblichen<br />

Erfordernisse durch den subjektiven Begriff des „Bedürfnisses“<br />

„aufgr<strong>und</strong> einer nicht offensichtlich unsachlichen oder<br />

willkürlichen unternehmerischen Entscheidung“ ersetzen<br />

<strong>und</strong> das Merkmal der Dringlichkeit gänzlich fallen lassen –<br />

welches übrigens auch gerade nicht mit der in § 116 ArbGV-E<br />

thematisierten Verhältnismäßigkeit abgedeckt wird (§ 116<br />

ArbGV-E nimmt vielmehr nur § 1 Abs. 2 S. 2 <strong>und</strong> 3 KSchG in<br />

übrigens ebenfalls problematischer Einengung auf).<br />

b) Die vorgeschlagene gr<strong>und</strong>legende Gesetzesänderung ausgerechnet<br />

in einem Bereich, der den weitaus größten Teil<br />

aller Kündigungen in Deutschland betrifft (allein ca. 65% aller<br />

vom Arbeitgeber kündigungsweise beendeten Arbeitsverhältnisse<br />

32 <strong>und</strong> 59% aller Kündigungsklageverfahren 33 ) <strong>und</strong> damit<br />

10 01/09<br />

entscheidend für die Gewährleistung eines effektiven Kündigungsschutzes<br />

für die Arbeitnehmer ist, kann im Übrigen auch<br />

keine verfassungsrechtlichen Gründe für sich reklamieren.<br />

Bis zur Rechtsprechungsänderung des BAG 1973 wurde denn<br />

auch in zahlreichen LAG-Entscheidungen <strong>und</strong> auch in der<br />

BAG-Rechtsprechung die Rechtmäßigkeit betriebsbedingter<br />

Kündigungen eng am Gesetzeswortlaut geprüft. 34<br />

Die „Vorschaltung“ eines dem Gesetz nicht zu entnehmenden<br />

„Tatbestandsmerkmals“ der freien unternehmerischen<br />

Entscheidung als alleiniger Ausgangspunkt der betriebsbedingten<br />

Kündigung ist auch nach der Rechtsprechung des<br />

B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts gerade nicht etwa verfassungsrechtlich<br />

geboten. Nach der ständigen Rechtsprechung des<br />

B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts bis in die jüngste Zeit kommt im<br />

Gegenteil „der Unternehmerfreiheit kein absolutes Gewicht<br />

zu.“ 35 Art. 12 Abs. 1 GG schützt vielmehr sowohl – soweit<br />

28 Stahlhacke-Preis, a.a.O., Rn 952.<br />

29 Vgl. zu diesen Zusammenhängen: Wolter, Die Finanzmärkte,<br />

das Arbeitsrecht <strong>und</strong> die freie Unternehmensentscheidung,<br />

in: AuR 2008, S. 325 ff.<br />

30 Vgl. Interview mit dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten<br />

E. Stoiber, in: Der Spiegel 7/2006 vom 13.2.2006;<br />

vgl. auch die derzeitigen Appelle der B<strong>und</strong>eskanzlerin A.<br />

Merkel an die Arbeitgeber, auf Entlassungen während der<br />

Krise zu verzichten.<br />

31 Vgl. AuR 2005, S. 368.<br />

32 Pfarr/Ullmann/Bradtke/Schneider/Kimmich/Bothfeld, Der<br />

Kündigungsschutz zwischen Wahrnehmung <strong>und</strong> Wirklichkeit<br />

S. 51; Bielenski/Hartmann/Pfarr/Seifert, Die Beendigung<br />

von Arbeitsverhältnissen- Wahrnehmung <strong>und</strong><br />

Wirklichkeit, AuR 2003, 81 ff.<br />

33 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis <strong>und</strong> Kündigungsschutz<br />

im Arbeitsverhältnis S. 79.<br />

34 Vgl. Übersicht bei Boeddinghaus, Die alte <strong>und</strong> neue Rechtsprechung<br />

zur betriebsbedingten Kündigung, AuR 2001,<br />

6 ff. <strong>und</strong> in HK-ArbR-M. Schubert, § 1 KSchG Rn 426 ff.;<br />

vgl. etwa LAG Hamm BB 1952,376; LAG Düsseldorf, v.<br />

24.5.1952, DB 1952, 635; LAG Frankfurt, v. 25.11.1953,<br />

BB 1954, 228; LAG Stuttgart, v. 19.5.1954, BB 1954, 806;<br />

weitergehende Prüfung auch noch in BAG, v. 17.9.1957 –<br />

1 AZR 352/56 – AP KSchG 1958 § 13 Nr. 8; BAG, v.<br />

18.1.1960 – 1 AZR 70/58 – AP Truppenvertrag 1961<br />

Art. 44, Nr. 28; BAG, v. 25.6.1964 – 2 AZR 382/63, BAGE<br />

16, 134.<br />

35 So BVerfG v. 22.10.2004 – 1 BvR 1944/01, NZA 2005,<br />

41, 42; BVerfG 30.7.2003 – 1 BvR 792/03, AP GG Art. 12<br />

Nr. 134; BVerfG v. 6.10.1999 – 1 BvR 2100/99 – AP GG<br />

Art. 12 Nr. 112; zusammenfassend: HK-ArbR-M.Schubert,<br />

§ 1 KSchG, Rn 430 ff.<br />

AE200901.PDF 10 17.02.2009 12:08:04


wirtschaftliche Betätigung privatrechtlich ausgeübt wird –<br />

die unternehmerische Berufs- <strong>und</strong> Betätigungsfreiheit als<br />

auch gleichrangig die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers <strong>und</strong><br />

sein Interesse an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes. 36 Es<br />

handelt sich also von vornherein – auch als Aufgabe der<br />

Arbeitsgerichtsbarkeit – um eine Abwägung kollidierender<br />

Gr<strong>und</strong>rechte miteinander. Die unternehmerische Freiheit ist<br />

stets (sozial) geb<strong>und</strong>ene Freiheit <strong>und</strong> nicht den Arbeitnehmerschutzrechten<br />

vorgelagerte „Ausgangsfreiheit“. 37<br />

2. Zu § 117 Abs. 1 ArbVG-E (Sozialauswahl –<br />

Auswahlgesichtspunkte -)<br />

Preis <strong>und</strong> Henssler wollen die Sozialauswahl – dies übrigens<br />

ohne jeden Rückhalt in der Rechtsprechung des BAG – auf<br />

nur noch 2 Auswahlgesichtspunkte – Unternehmenszugehörigkeit<br />

(bisher: Betriebszugehörigkeit) <strong>und</strong> Unterhaltspflichten<br />

– reduzieren <strong>und</strong> selbst bei diesen 2 verbleibenden Gesichtspunkten<br />

noch gegenüber der bisherigen Gesetzesfassung in<br />

§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG zusätzliche Einschränkungen vornehmen.<br />

a) Für die Beseitigung der beiden weiteren der 4 gerade<br />

erst mit dem Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom<br />

24.12.2003 38 ab 1.1.2004 in den neu gefassten § 1 Abs. 3<br />

KSchG aufgenommenen Auswahlgesichtspunkte – nämlich<br />

Lebensalter <strong>und</strong> Schwerbehinderung – gibt es keinerlei<br />

Rechtfertigung. Im Gegenteil: Die Reduzierung auf nur 2<br />

Auswahlgesichtspunkte beseitigt endgültig die Möglichkeit<br />

einer sachgerechten Differenzierung bei der Sozialauswahl<br />

(die durch die Reduktion auf die 4 Auswahlgesichtspunkte<br />

ohnehin schon erheblich beeinträchtigt wurde). 39 Die beiden<br />

Auswahlgesichtspunkte sind zudem gerade für den Schutz<br />

von wegen ihres Lebensalters <strong>und</strong>/oder ihrer Behinderung<br />

besonders von Langzeitarbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmern<br />

unabdingbar.<br />

Sachliche Gesichtspunkte – etwa i.S. des AGG – diese beiden<br />

Auswahlgesichtspunkte herauszunehmen, bestehen nicht.<br />

aa) Insbesondere ist der Auswahlgesichtspunkt Lebensalter<br />

keineswegs durch den Auswahlgesichtspunkt Betriebszugehörigkeit<br />

(bzw. nunmehr „Unternehmenszugehörigkeit“<br />

– siehe hierzu noch nachfolgend) schon mit erfasst. Denn<br />

Sachgr<strong>und</strong> für erhöhten Sozialschutz mit zunehmender<br />

Dauer des Arbeitsverhältnisses ist der damit zunehmende<br />

Beitrag zum Wert des Unternehmens <strong>und</strong> die zunehmende<br />

persönliche Bindung des Arbeitnehmers 40 .<br />

Dagegen ist Sachgr<strong>und</strong> für erhöhten Sozialschutz mit zunehmendem<br />

Alter (<strong>und</strong> dies ist gemeint – insofern wäre<br />

eine gesetzliche Klarstellung sinnvoll) das sich erhöhende<br />

Risiko, keinen neuen Arbeitsplatz mehr zu finden <strong>und</strong> die<br />

regelmäßig größere Flexibilität jüngerer Arbeitnehmer, sich<br />

auf einen neuen Arbeitsplatz einzustellen <strong>und</strong> die größere<br />

Zumutbarkeit der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

für sie. 41 Deshalb liegt auch bei Berücksichtigung beider<br />

Gesichtspunkte keine unzulässige Diskriminierung jüngerer<br />

Arbeitnehmer vor.<br />

bb) Der Auswahlgesichtspunkt der Schwerbehinderung ist<br />

keineswegs deshalb „überflüssig“ 42 , weil vor Einbeziehung<br />

schwerbehinderter (<strong>und</strong> gleichgestellter) Menschen in die<br />

Sozialauswahl gem. §§ 85 ff. SGB IX die Zustimmung des<br />

Integrationsamts eingeholt werden muss. Denn gerade bei<br />

beabsichtigen betriebsbedingten Kündigungen erteilen die<br />

Integrationsämter regelmäßig die Zustimmung, da es sich<br />

nicht um Kündigungen handele, die mit der Behinderung im<br />

Zusammenhang stünden. Die Integrationsämter nehmen also<br />

gerade nicht eine „vorweggenommene Sozialauswahl“ vor<br />

(was sie auch mangels Vergleichsdaten anderer Arbeitnehmer<br />

gar nicht könnten). Erst im Rahmen der Sozialauswahl kann<br />

deshalb die erhöhte Schutzbedürftigkeit Schwerbehinderter<br />

vor dem Arbeitsplatzverlust zum Tragen kommen.<br />

b) Auch die Ersetzung des bisherigen Begriffs Betriebszugehörigkeit<br />

durch „Unternehmenszugehörigkeit“ ist nicht akzeptabel.<br />

Bislang ist anerkannt, dass damit wie in § 1 Abs. 1 KSchG der<br />

rechtlich ununterbrochene (ggf. also auch faktisch kurz unterbrochene)<br />

Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Arbeitgeber<br />

bzw. dessen Rechtsvorgängern gemeint ist. 43 Der Vorschlag<br />

von Henssler <strong>und</strong> Preis läuft aber darauf hinaus, dass gerade<br />

bei den (immer häufigeren) Fällen des Betriebsübergangs die<br />

vor dem Übergang bestehende Betriebszugehörigkeit nicht<br />

36 Vgl. BVerfG a.a.O.; BVerfG v. 6.10.1999 – 1 BvR 2100/99-;<br />

BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvR 15/87 –; BVerfG v.<br />

24.4.1991 – 1 BvR 1341/90.<br />

37 Vgl. hierzu näher: Dieterich, Unternehmerfreiheit <strong>und</strong><br />

Arbeitsrecht im Sozialstaat, AuR 2007, 65 ff.; Kühling,<br />

Freie Unternehmerentscheidung <strong>und</strong> Betriebsstilllegung,<br />

AuR 2003, 92 ff.; Stein, Inhaltskontrolle <strong>und</strong> Unternehmerentscheidungen,<br />

AuR 2003, 99 ff; HK-ArbR/M.Schubert,<br />

§ 1 KSchG Rn 421 ff. m.w.N.<br />

38 BGBl I 2003, S. 3002.<br />

39 Zur Kritik vgl. etwa Kittner/Däubler/Zwanziger- Kittner/Deinert,<br />

KSchR-Kommentar, 7 Aufl. 2008, Einleitung<br />

Rn 31.<br />

40 Vgl. BAG, v. 6.2.2003 – 2 AZR 623/01 –; BAG, v.<br />

5.12.2002 – 2 AZR 549/01.<br />

41 Vgl. ErfK-Oetker, 8. Aufl. 2008, zu § 1 KSchG Rn 332;<br />

Stahlhacke-Preis, a.a.O., Rn 1100.<br />

42 So aber Stahlhacke-Preis, a.a.O., Rn 1106a.<br />

43 Vgl. BAG v. 6.2.2003 – 2 AZR 623/01 –; ErfK-Oetker,<br />

a.a.O., § 1 KSchG Rn 41.<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 11 17.02.2009 12:08:04<br />

11


Aufsätze/Beiträge<br />

mehr mitgerechnet wird, da ja eine andere Unternehmenszugehörigkeit<br />

bestand. 44 Damit wird nicht nur der Schutzzweck<br />

des Auswahlgesichtspunkts unterlaufen, sondern auch § 613a<br />

BGB konterkariert.<br />

c) Der weitere Vorschlag, den Auswahlgesichtspunkt Unterhaltspflichten<br />

auf „im Zeitpunkt der Kündigung bestehende<br />

<strong>und</strong> dem Arbeitgeber bekannte Unterhaltspflichten“ zu reduzieren<br />

ist ebenfalls mit dem Schutzzweck unvereinbar.<br />

aa) Denn selbstverständlich ist ein Arbeitnehmer mit 3 Kindern,<br />

für die Unterhaltspflichten bestehen, auch dann schutzwürdiger<br />

als einer ohne Kind, wenn die 3 Kinder nicht ohne<br />

weiteres z.B. aus der Lohnsteuerkarte ersichtlich sind (die häufig<br />

gerade nicht die Unterhaltspflichten vollständig <strong>und</strong> richtig<br />

ersehen lässt). 45 Bislang hat Preis selbst die Auffassung vertreten,<br />

dass der Arbeitgeber hinsichtlich der Sozialdaten – insbesondere<br />

auch der Unterhaltspflichten – eine Aufklärungspflicht<br />

habe, die z.B. durch Erfassung mittels Fragebögen an<br />

die Arbeitnehmer auch unschwer erfüllt werden könne. 46<br />

Warum dies nun nicht mehr gelten soll, ist nicht ersichtlich.<br />

Auch hier ist die einzige „plausible“ Erklärung, dass die Autoren<br />

dem Interesse der Arbeitgeber an mit möglichst geringem<br />

Aufwand durchführbaren betriebsbedingten Kündigungen<br />

einen hinreichend differenzierenden Sozialschutz für Arbeitnehmer<br />

opfern wollen.<br />

bb) Die zusätzliche Beschränkung auf „im Zeitpunkt der Kündigung“<br />

(also des Zugangs des Kündigungsschreibens) bestehende<br />

Unterhaltspflichten widerspricht dem das Kündigungsschutzrecht<br />

tragenden Prognoseprinzip, wonach gerade auf<br />

die anzunehmenden Verhältnisse zum Zeitpunkt des Ablaufs<br />

der Kündigungsfrist abzustellen ist. Das muss auch für Unterhaltspflichten<br />

gelten (etwa absehbare Geburt eines weiteren<br />

Kindes, absehbare Arbeitslosigkeit des Ehepartners 47 ). Auch<br />

dieser Vorschlag ist im Übrigen in keiner Weise durch etwa<br />

bestehende BAG-Rechtsprechung gedeckt.<br />

3. Zu § 117 Abs. 2 ArbVG-E (Betriebsbezogenheit der<br />

Sozialauswahl)<br />

Während der Formulierungsvorschlag in § 117 Abs. 2 S. 1<br />

ArbVG-E (Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl) der ständigen<br />

BAG-Rechtsprechung entspricht 48 , wird mit dem<br />

Formulierungsvorschlag in Abs. 2 S. 2 mit dem Versuch den<br />

kündigungsschutzrechtlichen <strong>und</strong> den betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Betriebsbegriff bei der Sozialauswahl in Deckung<br />

zu bringen – ein bekanntlich breit diskutiertes Thema 49 –<br />

wiederum für bestimmte Fälle in problematischer Weise der<br />

Kündigungsschutz eingeschränkt.<br />

Insbesondere stellt der Vorschlag, anknüpfend an die Sonderregelung<br />

in § 4 Abs. 1 BetrVG (nach der u.U. tatsächliche Betriebsteile<br />

wegen räumlich weiter Entfernung oder Eigenständigkeit<br />

durch Aufgabenbereich <strong>und</strong> Organisation als betriebs-<br />

12 01/09<br />

verfassungsrechtliche „Betriebe“ fingiert werden) auch die Sozialauswahl<br />

auf derartige faktische Betriebsteile zu beschränken,<br />

einen gravierenden Eingriff in den Kündigungsschutz dar<br />

<strong>und</strong> steht abermals im Gegensatz zur BAG-Rechtsprechung.<br />

Das BAG geht vielmehr im Gegenteil davon aus, dass unabhängig<br />

von § 4 Abs. 1 BetrVG die Sozialauswahl auch auf<br />

Arbeitnehmer räumlich weit entfernter Betriebsteile zu erstrecken<br />

ist, sodass bei in der Praxis häufigen weiten örtlichen<br />

Verweisungsklauseln im Arbeitsvertrag eine Vergleichbarkeit<br />

der Arbeitnehmer des Hauptbetriebs mit den Arbeitnehmern<br />

in den Betriebsteilen (nicht als Betrieb verselbständigten Niederlassungen)<br />

gegeben ist. 50<br />

4. Zu § 117 Abs. 3 ArbVG-E (Vergleichbarkeit der<br />

Arbeitnehmer)<br />

Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus § 17 Abs. 3 ArbVG-<br />

E (Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern in der Sozialauswahl).<br />

a) Die jetzt im 1. HS (im Unterschied zu der noch in der<br />

Entwurfsfassung von August 2006) vorgeschlagene Formulierung<br />

– tätigkeitsbezogene Vergleichbarkeit bei Zuweisbarkeit<br />

der verbleibenden Tätigkeit kraft Direktionsrecht des Arbeitgebers<br />

– entspricht der BAG-Rechtsprechung. Danach ist davon<br />

auszugehen, dass in den Fällen, in denen der Arbeitsplatz<br />

des zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmers wegfällt, die<br />

sog. einseitige Austauschbarkeit genügt: Nur der Arbeitnehmer<br />

mit höherem Sozialschutz, dessen Arbeitsplatz weg fällt,<br />

muss also die Tätigkeit des vergleichbaren Arbeitnehmers,<br />

dessen Arbeitsplatz bestehen bleibt, wahrnehmen können.<br />

44 Vgl. z.B. die entsprechende BAG-Rechtsprechung zu Betriebsübergangsfällen<br />

bei § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG – BAG, v.<br />

10.11.2004 – 7 AZR 101/04-; ErfK/Müller-Glöge, a.a.O.,<br />

§ 14 TzBfG Rn 93.<br />

45 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 12.7.2006 – NZA-RR 2007,<br />

247, 248 m.w.N.<br />

46 Vgl. Stahlhacke-Preis, a.a.O., Rn 1106, 1106a; ebenso<br />

Gaul/Lunk, NZA 2004, 184, 187.<br />

47 Vgl. i.d.S. ErfK/Oetker, a.a.O., zu § 1 KSchG Rn 333;<br />

ArbG Berlin v. 16.2.2005 – 9 Ca 27525/04 –; BAG, v.<br />

21.4.2005 – 2 AZR 241/04.<br />

48 Vgl. z.B. BAG, v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03 – kündigungsschutzrechtlicher<br />

Betriebsbegriff.<br />

49 Vgl. z.B. HK-ArbR/Schmitt, 2008, § 1 KSchG, Rn 14, sowie<br />

HK-ArbR/Däubler, 2008, Einleitung, Rn 74 ff.<br />

50 Vgl. BAG, v. 3.6.2004 – 2 AZR 577/03 – EzA § 1 KSchG<br />

Soziale Auswahl Nr. 55; BAG, vom 13.3.2007 – 9 AZR<br />

433/06, AP BGB § 307 Nr. 26; BAG, vom 11.4.2006 – 9<br />

AZR 557/05 – EZA § 308 BGB 2002 Nr. 5; HK-ArbR/M.<br />

Schubert, § 1 KSchG, Rn 535, 537.<br />

AE200901.PDF 12 17.02.2009 12:08:04


Eben diese Auffassung wurde bislang auch von Preis vertreten.<br />

51<br />

b) Entscheidend ist jedoch: Die im 2. HS vorgeschlagene Reduzierung<br />

der tätigkeitsbezogenen Vergleichbarkeit generell<br />

(also selbst bei jahrzehntelanger Betriebszugehörigkeit) auf<br />

Fälle, in denen die Einarbeitungszeit maximal einen Monat<br />

beträgt, würde – wie den Autoren sicherlich klar ist – in der<br />

Praxis dazu führen, dass mit (ggf. schwer zu entkräftenden) Arbeitgeberbehauptungen<br />

einer mehr als einmonatigen Einarbeitungszeit<br />

in einer Großzahl aller Fälle die Vergleichbarkeit –<br />

<strong>und</strong> damit die Einbeziehung in die Sozialauswahl – bereits<br />

ausgehebelt werden könnte.<br />

Auch diese Einschränkung des Kündigungsschutzes ist gerade<br />

nicht durch die bisherige BAG-Rechtsprechung gedeckt.<br />

Nach bisher vorherrschender Auffassung sind „relativ kurze<br />

Einarbeitungszeiten“ einzuräumen, deren Länge jedoch von<br />

den Umständen des Einzelfalls abhängen, insbesondere Lebensalter<br />

<strong>und</strong> Betriebszugehörigkeit. Es können zur Orientierung<br />

etwa bei Umsetzung auf einen entsprechenden Arbeitsplatz<br />

im Betrieb übliche Einarbeitungszeiten herangezogen<br />

werden – die bekanntlich häufig durchaus mehrere Monate<br />

betragen. 52<br />

IV. Fazit<br />

1.1. Das Konzept eines Arbeitsvertragsgesetzes, in dem die<br />

privatrechtlichen Vorschriften zum Arbeitsverhältnis isoliert<br />

zusammengefasst werden, erscheint nur auf den ersten Blick<br />

anwenderfre<strong>und</strong>lich. Tatsächlich erhöht sich in vielen Bereichen<br />

die Gefahr durch Verkennen der Zusammenhänge mit<br />

öffentlichrechtlichen <strong>und</strong> kollektivrechtlichen Regelungen die<br />

Rechtslage nicht richtig zu beurteilen. Auch angesichts der Kodifizierung<br />

des Arbeitsrechts in den anderen EU-Staaten – in<br />

10 davon in Arbeitsgesetzbüchern – <strong>und</strong> der Gebotenheit der<br />

Richtlinienumsetzung durch entsprechende Gesetze spricht<br />

nicht viel für ein Arbeitsvertragsgesetz.<br />

2. Henssler <strong>und</strong> Preis segeln unter falscher Flagge. Ihr Entwurf<br />

ist bei zentralen Komplexen des Arbeitnehmerschutzes entgegen<br />

ihrer Selbstdarstellung nicht „ausgewogen“ <strong>und</strong> auch<br />

nicht im Wesentlichen ein „Restatement“. Vielmehr erfolgt gerade<br />

in besonders praxisrelevanten Bereichen wie dem Kündigungsschutz<br />

eine gravierende Verschiebung zu Lasten des<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

Arbeitnehmerschutzes. Zum Teil wird – auch rechtsdogmatisch<br />

– völliges Neuland betreten. An zahlreichen Stellen bestehen<br />

Unklarheiten hinsichtlich des Verhältnisses zu den bisherigen<br />

gesetzlichen Regelungen (Zurückbleiben von Rumpfgesetzen<br />

etc.). Wissenschaftliche Wahrhaftigkeit würde ein<br />

offenes Bekenntnis der Verfasser des Entwurfs zu ihren gravierenden<br />

Änderungsvorschlägen <strong>und</strong> einen offenen Diskurs<br />

darüber gebieten. Vermutlich besteht allerdings die – nicht<br />

unrealistische – Einschätzung, dass dann dem Projekt kein<br />

Erfolg beschieden sein wird.<br />

3. Die Finanzmarktkrise, die sich zu einer veritablen Wirtschaftskrise<br />

ausgeweitet hat, hat doch eindrucksvoll die<br />

Verheißungen des Neoliberalismus widerlegt, dass die immer<br />

stärkere Flexibilisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen,<br />

der weitgehende Verzicht auf Regulierung <strong>und</strong> Aufsicht,<br />

die reine Orientierung am Shareholder Value zu einer<br />

nachhaltig besseren Wirtschaftssituation führen würde. Im<br />

Gegenteil: Wir erleben das Zusammenbrechen der Märkte<br />

<strong>und</strong> die ersten Einbrüche auf dem Arbeitsmarkt. Der ArbVG-E<br />

steht aber im Geist des Neoliberalismus. Die ohnehin sich<br />

vollziehende Erosion des Normalarbeitsverhältnisses <strong>und</strong><br />

der Verlust flächendeckender Tarifbindung würde noch<br />

beschleunigt werden, wenn dieser Entwurf sich realisieren<br />

ließe. Die ökonomischen Erkenntnisse über das Scheitern<br />

des Neoliberalismus sollten Anlass genug sein, solchen<br />

neoliberalen arbeitsrechtlichen Gesetzesbestrebungen nicht<br />

näher zu treten.<br />

Nach allem ist das ArbVG ein auf den ersten Blick durchaus<br />

ansprechend verpacktes „Geschenk“ insbesondere an<br />

die Arbeitsvertragsparteien, dass bei näherer Betrachtung<br />

unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes <strong>und</strong><br />

damit auch von auf Arbeitnehmerseite tätigen Rechtsanwälten/innen<br />

jedoch dankend abgelehnt werden muss.<br />

51 Vgl. BAG, v. 18.10.2006 –2 AZR 676/05-; Stahlhacke-<br />

Preis, a.a.O., Rn 1085; ErfK/Oetker, a.a.O., § 1 KSchG<br />

Rn 323; Küttner- Personalbuch 2008/Eisemann, Kündigung,<br />

betriebsbedingte, Rn 31.<br />

52 Vgl. BAG, v. 15.6.1989 – 2 AZR 580/88 –; Küttner-<br />

Personalbuch 2008/Eisemann, Kündigung, betriebsbedingte,<br />

Rn 31; ErfK/Oetker, a.a. O., zu § 1 KSchG Rn 325.<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 13 17.02.2009 12:08:05<br />

13


Aufsätze/Beiträge<br />

Der Professorenentwurf zum ArbVG –<br />

Kein Danaergeschenk, sondern sinnvolle Diskussionsgr<strong>und</strong>lage!<br />

Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Stuttgart *<br />

Der Beitrag von Schubert/Hjort/Kahl/Fricke 1 beweist einmal<br />

mehr, dass die B<strong>und</strong>esregierung ihrem Auftrag, ein einheitliches<br />

Arbeitsvertragsrecht zu schaffen 2 , nicht gerecht wird,<br />

wenn sie meint, zunächst müssten sich Gewerkschaften <strong>und</strong><br />

Arbeitgeberverbände einig sein, bevor der Gesetzgeber tätig<br />

werde. Die Vorstellungen darüber, wie ein Arbeitsvertragsgesetzbuch<br />

aussehen sollte, sind auf Arbeitnehmer- <strong>und</strong><br />

Arbeitgeberseite schlicht zu unterschiedlich, um von ihnen<br />

einen gemeinsamen Lösungsvorschlag erwarten zu können.<br />

Wie extrem die Meinungen auseinandergehen, zeigt sich<br />

exemplarisch am Kündigungsschutz. So fordern Gewerkschaften<br />

<strong>und</strong> ihnen nahestehende Arbeitnehmeranwälte 3 bei der<br />

betriebsbedingten Kündigung eine 180-Grad-Kehrtwendung,<br />

indem sie die seit Jahrzehnten ständige Rechtsprechung<br />

des 2. Senats zur sog. freien Unternehmerentscheidung<br />

kippen möchten. Dagegen wird von Arbeitgeberseite eine<br />

moderne Arbeitsmarktordnung gefordert, die es den Arbeitsvertragsparteien<br />

überlässt, schon im Arbeitsvertrag eine<br />

nicht angreifbare Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen<br />

Zahlung einer Abfindung zu vereinbaren 4 .<br />

Deshalb hat der heterogen zusammengesetzte Arbeitsrechtsausschuss<br />

des Deutschen AnwaltVereins (DAV) gut daran getan,<br />

den Gesetzgeber mit seiner Stellungnahme vom Oktober<br />

2008 5 daran zu erinnern, seiner „ureigensten Aufgabe nachzukommen“,<br />

nämlich dem „Gesetzemachen“. Dabei wird natürlich<br />

nicht verkannt, dass mit einer Verwirklichung eines Arbeitsvertragsgesetzes<br />

in dieser Legislaturperiode nicht mehr<br />

zu rechnen ist. Allerdings sollte die im Herbst dieses Jahres<br />

neu zu wählende B<strong>und</strong>esregierung die Sache nicht weiter auf<br />

die lange Bank <strong>und</strong> insbesondere auf keine (vermeintlich existierende)<br />

gemeinsame Bank von Arbeitgebern <strong>und</strong> Gewerkschaften<br />

schieben.<br />

Die verdienstvolle Vorarbeit von Henssler <strong>und</strong> Preis erleichtert<br />

der kommenden B<strong>und</strong>esregierung die Arbeit, weil es sich<br />

bei dem Entwurf (Stand: Oktober 2007) um eine im besten<br />

Sinne vernünftige Diskussionsgr<strong>und</strong>lage handelt. Wie viel am<br />

Ende von dem Entwurf übrig bleibt, ist Sache des Gesetzgebers.<br />

Dem Arbeitsrechtsausschuss des DAV geht es auch<br />

nicht darum, ob das Arbeitsvertragsgesetz schlussendlich<br />

mehr oder weniger Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerrechte<br />

regelt. Im Vordergr<strong>und</strong> steht vielmehr, dass überhaupt ein<br />

Arbeitsvertragsgesetz geschaffen wird, das nicht nur für<br />

Arbeitsrechtsexperten, sondern auch die sonstige Praxis<br />

(einigermaßen) verständlich ist <strong>und</strong> handwerklich hohen<br />

Ansprüchen genügt. Dem kommt der Professorenentwurf<br />

14 01/09<br />

schon sehr nahe, auch wenn sicherlich die eine oder andere<br />

Bestimmung systematisch noch besser eingeordnet bzw.<br />

klarer formuliert werden müsste. So ist z.B. nicht nachvollziehbar,<br />

weshalb der Geltungsbereich der §§ 115 bis 117<br />

ArbVG-E nach § 118 Abs. 1 ArbGV-E (auf Unternehmen mit<br />

i.d.R. nicht mehr als zehn Arbeitnehmern ausschließlich der<br />

zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten) in betrieblicher<br />

Hinsicht begrenzt werden soll. § 116 Abs. 1 ArbVG-E bestimmt,<br />

dass „eine Kündigung unwirksam ist, wenn der mit<br />

ihr verfolgte Zweck durch eine gleich geeignete, für den<br />

Arbeitnehmer mildere Maßnahme vermieden werden kann,<br />

der berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder Dritter nicht<br />

entgegenstehen“. Die wörtliche Anwendung von § 118 Abs. 1<br />

ArbVG-E hätte demgemäß zur Folge, dass dieser Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satz<br />

auch für Kündigungen während der<br />

Wartezeit nach § 115 Abs. 1 ArbGV-E gilt. Das wäre aber<br />

eine aus Arbeitgebersicht nicht hinnehmbare Ausdehnung<br />

des Kündigungsschutzes; das Prinzip der Kündigungsfreiheit<br />

während der Wartezeit wäre aufgegeben.<br />

Sicherlich lässt sich über die eine oder andere Kritik von Schubert<br />

u.a. reden. So ist in der Tat die Beschränkung auf die Kodifizierung<br />

des Individualrechts 6 ein Problem. Natürlich wäre<br />

es besser, wenn das gesamte Arbeitsrecht, also einschließlich<br />

des kollektiven <strong>und</strong> des öffentlichen Arbeitsrechts sowie des<br />

arbeitsrechtlichen Verfahrensrechts, in einem Arbeitsgesetzbuch<br />

geregelt werden könnte. So wünschenswert dies auch<br />

wäre, so wenig realistisch ist aber eine solche Vorstellung.<br />

Deshalb auf eine Kodifizierung des Individualarbeitsrechts zu<br />

verzichten, würde über das Ziel hinausschießen. Was sonstige<br />

Einzelpunkte der Kritik anbelangt, so werden manche eher polemisch<br />

<strong>und</strong>/oder irreführend vorgebracht. Geradezu abwegig<br />

* Der Autor ist Mitglied des Arbeitsrechtsausschusses des<br />

Deutschen AnwaltVereins.<br />

1 AE 1/2009, S. 5 ff.<br />

2 Vgl. Art. 30 des Einigungsvertrags.<br />

3 Vgl. Schubert/Hjort/Kahl/Fricke, a.a.O., III.<br />

4 So die Forderung der BDA, Geschäftsbericht 2008, S. 52.<br />

Noch weiter geht mein Vorschlag, NZA 2005, 1046, den<br />

Kündigungsschutz durch ein reines Abfindungsrecht zu<br />

ersetzen <strong>und</strong> dabei auch die Mitwirkung des Betriebsrats<br />

nach § 102 BetrVG entfallen zu lassen.<br />

5 AE 1/2009, S. 16.<br />

6 Schubert/Hjort/Kahl/Fricke, a.a.O., I.<br />

AE200901.PDF 14 17.02.2009 12:08:05


ist es, aus Arbeitnehmersicht die Ersetzung des bisherigen Begriffs<br />

„Betriebszugehörigkeit“ durch „Unternehmenszugehörigkeit“<br />

unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BAG zu § 14<br />

Abs. 2 Satz 2 TzBfG abzulehnen, wonach §§ 117, 118 ArbVG-E<br />

„darauf hinauslaufen“ würden, „dass gerade bei den (immer<br />

häufigeren) Fällen des Betriebsübergangs die vor dem Übergang<br />

bestehende Betriebszugehörigkeit nicht mehr mitgerechnet<br />

wird, da ja eine andere Unternehmenszugehörigkeit<br />

bestand“ 7 . Den vier Kritikern will ich dabei zu Gute halten, dass<br />

sie keine bewusste Irreführung vornehmen wollen. Dann müssen<br />

sie sich aber vorwerfen lassen, Sinn <strong>und</strong> Zweck von § 14<br />

Abs. 2 Satz 2 TzBfG <strong>und</strong> die dazu ergangene höchstrichterliche<br />

Rechtsprechung nicht verstanden zu haben. § 14 Abs. 2<br />

Satz 2 TzBfG schließt die Befristung nach Satz 1 aus, wenn<br />

mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder<br />

unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Diese Voraussetzung<br />

ist nur erfüllt, wenn auf beiden Seiten Identität der Arbeitsvertragsparteien<br />

bestanden hat. Eine Gesamtrechtsnachfolge,<br />

insbesondere eine Verschmelzung nach § 2 UmwG genügt<br />

deshalb ebenso wenig wie eine Anstellung bei einem anderen<br />

Konzernunternehmen 8 . Ebenso findet § 14 Abs. 2 Satz 2<br />

TzBfG bei einem nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers<br />

vollzogenen Betriebsübergang gem. § 613a BGB auf eine spätere<br />

Einstellung durch den neuen Betriebsinhaber keine Anwendung<br />

9 . Wechselt dagegen ein Arbeitnehmer infolge von<br />

§ 613a BGB auf einen Betriebsinhaber, scheidet der Arbeitnehmer<br />

dann aus dem Arbeitsverhältnis aus <strong>und</strong> wird er später<br />

erneut von einem der beiden früheren Arbeitgeber angestellt,<br />

so sind diese daran gehindert, einen neuen Arbeitsvertrag<br />

mit dem früheren Arbeitnehmer ohne Sachgr<strong>und</strong> zu befristen<br />

10 . Deshalb kann kein Zweifel daran bestehen, dass bei<br />

einer Umstellung von „Betriebszugehörigkeit“ auf „Unternehmensuntergehörigkeit“<br />

im Rahmen eines Arbeitgeberwechsels<br />

nach § 613a BGB die frühere Unternehmenszugehörigkeit<br />

selbstverständlich angerechnet wird. Das entspricht im Übrigen<br />

auch dem allgemeinen Verständnis von § 613a BGB, in<br />

Bezug auf rechtliche Besitzstände „Betriebszugehörigkeit“ mit<br />

„Unternehmenszugehörigkeit“ gleichzusetzen 11 .<br />

Was den materiellen Inhalt eines Arbeitsvertragsgesetzes anbelangt,<br />

stimme ich Schubert/Hjort/Kahl/Fricke 12 dahingehend<br />

zu, dass es sich bei Art. 12 Abs. 1 GG um keine Einbahnstraße<br />

zu Gunsten von Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerinteressen<br />

handelt. Deshalb wird ein Arbeitsvertragsgesetzbuch immer<br />

für beide Seiten zu schluckende „Kröten“ enthalten. Und so<br />

ist es auch bei dem Entwurf von Henssler <strong>und</strong> Preis. Bewertet<br />

man die Vorschläge insgesamt, ist nicht zu erkennen, dass die<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

Arbeitnehmerseite zu kurz kommt. Es ist seltsam: Wird der<br />

Entwurf von Henssler <strong>und</strong> Preis in Arbeitgebergremien diskutiert,<br />

wird vertreten, er sei aus Arbeitgebersicht nicht ausgewogen<br />

genug. Deshalb ist es unverständlich, den unabhängigen<br />

<strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong> ihrer fachlichen Kompetenz äußerst angesehenen<br />

Autoren des Entwurfs vorzuwerfen, sie „segelten<br />

unter falscher Flagge“ 13 . Es lassen sich im Professorenentwurf<br />

in der Tat viele Punkte aufzeigen, die für die Arbeitgeberseite<br />

nachteilig sind. Das gilt nicht nur für die schon erwähnte Ausdehnung<br />

des Kündigungsschreibens auf die Wartezeit (§ 118<br />

Abs. 1 i.V.m. § 115 Abs. 1 ArbVG-E), sondern auch für die Erstreckung<br />

der Sozialauswahl auf Betriebe für die Betriebsräte<br />

nach § 3 BetrVG gebildet worden sind (§ 117 Abs. 2 Satz 2<br />

ArbVG-E) <strong>und</strong> die Ausdehnung der Höhe der Abfindung auf –<br />

alters- <strong>und</strong> dienstzeitenunabhängig – 18 Monatsverdienste<br />

(u.U. sogar darüber hinaus, § 120 Abs. 1 ArbVG-E) ist kein<br />

„Peanut“. Nicht einzusehen ist weiter, warum ein Widerrufsrecht<br />

für Aufhebungsverträge nach § 134 ArbVG-E eingeführt<br />

<strong>und</strong> die Klagefrist (§ 135 ArbVG-E) von drei Wochen auf einen<br />

Monat verlängert werden soll. Diese „Mängelliste“ ließe sich<br />

aus Arbeitgebersicht beliebig verlängern.<br />

Die von beiden Arbeitsrechtslagern geäußerte Kritik erinnert<br />

an Tarifverhandlungen: Der gordische Knoten muss<br />

irgendwann mit oder ohne Einschaltung eines Schlichters<br />

durchschlagen werden. Wenn dann der Arbeitgeberverband<br />

<strong>und</strong> die zuständige Gewerkschaft vor die Kameras treten<br />

<strong>und</strong> beide mit dem Ergebnis unzufrieden sind, kann das<br />

Ergebnis so schlecht nicht sein. Ohne „Schlichter“ geht es bei<br />

dem Arbeitsvertragsgesetzbuch nicht. Diese Rolle obliegt<br />

dem Gesetzgeber. Wenn dann beide Seiten unzufrieden<br />

sein sollten, kann von einem sozialpolitisch vertretbaren<br />

Kompromiss gesprochen werden.<br />

7 Schubert/Hjort/Kahl/Fricke, a.a.O., III.2.b).<br />

8 BAG, v. 10.11.2004, NZA 2005, 514; BAG, v. 18.10.2006,<br />

FA 2007, 141; Bauer/Fischinger, DB 2007, 1410, 1413.<br />

9 BAG, v. 18.8.2005, NZA 2006, 145.<br />

10 ErfK/Müller-Glöge, 9. Aufl. 2009, § 14 TzBfG Rn 93.<br />

11 Vgl. Bauer/v. Steinau-Steinrück, in: Hölters, Handbuch des<br />

Unternehmens- <strong>und</strong> Beteiligungskaufs, 6. Aufl. 2005, Teil<br />

VI, Rn 157. Zu den Besitzständen zählen z.B.: Verlängerte<br />

Kündigungsfristen gem. § 622 BGB, Wartezeit gem. § 1<br />

KSchG.<br />

12 A.a.O., unter III.1.b).<br />

13 Schubert/Hjort/Kahl/Fricke, a.a.O., IV.2.<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 15 17.02.2009 12:08:05<br />

15


Aufsätze/Beiträge<br />

Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss<br />

Arbeitsrecht<br />

zur Diskussion über die Schaffung eines einheitlichen Arbeitsvertragsgesetzes (ArbVG) *<br />

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) ist der freiwillige Zusammenschluss<br />

der deutschen Rechtsanwältinnen <strong>und</strong> Rechtsanwälte.<br />

Der DAV mit derzeit 66.000 Mitgliedern vertritt die<br />

Interessen der deutschen Anwaltschaft auf nationaler, europäischer<br />

<strong>und</strong> internationaler Ebene.<br />

Chance vertan – Verfassungsauftrag weiterhin ignoriert<br />

Die große Koalition ignoriert weiterhin den sich aus dem Einigungsvertrag<br />

ergebenden Verfassungsauftrag, ein einheitliches<br />

Arbeitsvertragsrecht zu schaffen. Zur Erinnerung: Laut<br />

Art. 30 des Einigungsvertrages ist es „Aufgabe des gesamtdeutschen<br />

Gesetzgebers, das Arbeitsvertragsrecht ... möglichst<br />

bald einheitlich zu kodifizieren“. Der Einigungsvertrag<br />

trat vor fast 20 Jahren in Kraft, nämlich am 29.09.1990.<br />

Ein solches einheitliches Arbeitsvertragsgesetzes haben<br />

bekanntlich die Professoren Henssler, gegenwärtiger Präsident<br />

des Deutschen Juristentages, <strong>und</strong> Preis, gleichfalls<br />

einer der renomiertesten deutschen Arbeitsrechtslehrer, vor<br />

Kurzem nach Beteiligung von Experten der Öffentlichkeit<br />

präsentiert. Somit hätte die große Chance bestanden, nicht<br />

nur den Auftrag des Einigungsvertrages zu erfüllen, sondern<br />

endlich das über zahllose Gesetze verstreute Arbeitsrecht<br />

zu vereinheitlichen. Die Vorteile für alle Beteiligten hätten<br />

auf der Hand gelegen: Ein verbraucherfre<strong>und</strong>liches <strong>und</strong><br />

transparentes Arbeitsrecht aus einem Guss, eine Verjüngung<br />

<strong>und</strong> Entschlackung teils überkommener alter Regelungen, die<br />

Schaffung klarer <strong>und</strong> damit investitionsfreudiger Rahmenbedingungen<br />

in einer der größten Volks wirtschaften weltweit<br />

<strong>und</strong> letztlich ein den aktuellen Entwicklungen angepasster<br />

Arbeitnehmerschutz.<br />

16 01/09<br />

Nicht nur die Anwaltschaft – <strong>und</strong> zwar unabhängig davon,<br />

ob deren Tätigkeitsschwerpunkt auf Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberseite<br />

liegt – unterstützt daher den Entwurf der Professoren.<br />

Dies tut auch eine Vielzahl anderer unabhängiger<br />

Gremien. Zuletzt hat sich der Herr B<strong>und</strong>espräsident vor dem<br />

67. Deutschen Juristentag in Erfurt für die baldige Verabschiedung<br />

eines Arbeitsvertragsgesetzes („Segen für die Arbeitnehmer<br />

<strong>und</strong> Arbeitgeber in Deutschland“) ausgesprochen.<br />

Warum also verweigert sich die große Koalition nach wie vor,<br />

ihrer ureigensten Aufgabe nachzuk ommen, dem Gesetzemachen?<br />

Die Antwort überrascht: Laut B<strong>und</strong>esregierung müssen<br />

sich nämlich die Gewerkschaften <strong>und</strong> die Arbeitgeberverbände<br />

zuvor einig sein, damit der Gesetzgeber aktiv wird.<br />

Daran fehle es. Diese Haltung zeugt nicht nur von einem<br />

zumindest zweifelhaften Verständnis des Auftrages an ein gewähltes<br />

Parlament, sondern ist auch Ausdruck eines unzutreffenden<br />

Verständnisses der Arbeitswelt. Denn ungeachtet der<br />

unbestrittenen Bedeutung von Gewerkschaften <strong>und</strong> Arbeitgeberverbänden<br />

gibt es in Deutschland mehrheitlich Arbeitsvertragsparteien,<br />

die von keinem dieser Verbände vertreten<br />

werden (wollen). Deren Bedürfnisse nach einem zeitgemäßen<br />

<strong>und</strong> einheitlichen Arbeitsrecht bleiben somit weiterhin unberücksichtigt.<br />

Der Deutsche Anwalt Verein wird sich daher weiterhin mit<br />

Nachdruck dafür einsetzen, dass der Gesetzgeber endlich ein<br />

einheitliches Arbeitsvertragsrecht schafft.<br />

* Berlin, im Oktober 2008, Stellungnahme Nr. 59/2008, abrufbar<br />

unter www.anwaltverein.de<br />

AE200901.PDF 16 17.02.2009 12:08:05


Aufsätze/Beiträge<br />

Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss<br />

Arbeitsrecht<br />

zu der geplanten Neufassung der<br />

RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES<br />

über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens<br />

zur Unterrichtung <strong>und</strong> Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden<br />

Unternehmen <strong>und</strong> Unternehmensgruppen<br />

in der Fassung vom 2. Juli 2008 *<br />

Vorbemerkung<br />

Die Überprüfung <strong>und</strong> Anpassung der Richtlinie 94/45/EG des<br />

Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen<br />

Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens<br />

zur Unterrichtung <strong>und</strong> Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit<br />

operierenden Unternehmen <strong>und</strong> Unternehmensgruppen<br />

hätte gemäß Artikel 15 der RL 94/45/EG bereits<br />

im Jahre 1999 erfolgen sollen. Nach mehreren Anläufen soll<br />

nunmehr die Revision der Euro-Betriebsräterichtlinie zügig erfolgen.<br />

Dies wird von dem Arbeitsrechtsausschuss ausdrücklich<br />

begrüßt, zumal sich in der Praxis immer wieder Rechtsunsicherheiten<br />

aufgr<strong>und</strong> der z.T. unpräzisen <strong>und</strong> in vielen Punkten<br />

auch nur vagen Bestimmungen der Richtlinie 94/45/EG<br />

ergeben haben.<br />

Der Entwurf der Richtlinie in der Fassung vom 2. Juli 2008<br />

enthält keine gr<strong>und</strong>legende Überarbeitung der Richtlinie. Vielmehr<br />

werden hier lediglich punktuell im Lichte der Erfahrungen<br />

der vergangenen Jahre Nachbesserungen <strong>und</strong> Präzisierungen<br />

vorgenommen. An der Gr<strong>und</strong>struktur der Richtlinie<br />

wird ebenso wenig etwas geändert wie an den prinzipiellen<br />

Rechten des Europäischen Betriebsrats.<br />

In einem Punkt soll es allerdings eine Neuregelung geben,<br />

die auf die bisherige Praxis erhebliche Auswirkungen haben<br />

kann. Hierbei handelt es sich um eine Bestimmung, die den<br />

Fortbestand der sog. Art. 13-Vereinbarungen in Zukunft in<br />

verstärktem Maße in Frage stellt. Bei diesen Vereinbarungen<br />

handelt es sich um vor dem 22. September 1996 abgeschlossene<br />

Vereinbarungen, die sich aufgr<strong>und</strong> der Sonderregelung<br />

in Artikel 13 der Richtlinie 94/45/EG nicht an den gesetzlichen<br />

Mindestanforderungen für Europäische Betriebsräte messen<br />

lassen müssen.<br />

Erklärtes Ziel des Vorschlags zur Neufassung der Richtlinie ist<br />

neben der Beseitigung von Rechtsunsicherheiten <strong>und</strong> praktischen<br />

Problemen bei der Anwendung die Erhöhung der Effizienz<br />

der Beteiligung von Europäischen Betriebsräten. Ob<br />

dieses Ziel mittels des derzeit vorliegenden Entwurfs erreicht<br />

werden kann, mag zumindest in Teilen bezweifelt werden.<br />

Zu dem Entwurf im Einzelnen<br />

Konkret sieht der Arbeitsrechtsausschuss des DAV hinsichtlich<br />

folgender Aspekte Änderungs- <strong>und</strong> Verbesserungsbedarf:<br />

1. In Artikel 1 Abs. 3 des RL-Entwurfs ist vorgesehen, dass<br />

die Unterrichtung <strong>und</strong> Anhörung auf der „je nach behandeltem<br />

Thema relevanten Leitungs- <strong>und</strong> Vertretungsebene“ zu erfolgen<br />

hat. Diese Formulierung ist wenig präzise <strong>und</strong> kann in der<br />

Praxis große Probleme aufwerfen, da hierdurch der Eindruck<br />

entsteht, dass nicht die zentrale Leitung, sondern die jeweils<br />

relevante Leitungs- <strong>und</strong> Vertretungsebene – ggf. sogar in einem<br />

anderen Mitgliedstaat – nach der Richtlinie Verpflichteter<br />

ist.<br />

Um derartige Zweifelsfragen gar nicht erst aufkommen zu<br />

lassen, sollte geregelt werden, dass Unterrichtung <strong>und</strong> Anhörung<br />

durch die zentrale Leitung zu erfolgen haben, wobei<br />

die Aufgaben von der zentralen Leitung im Innenverhältnis<br />

an die relevante Leitungs- <strong>und</strong> Vertretungsebene übertragen<br />

werden können. Damit wäre klargestellt, dass Anspruchsgegner<br />

bei Streitigkeit immer die zentrale Leitung bleibt. Dies ist<br />

im Übrigen auch bei etwaigen gerichtlichen Auseinandersetzungen<br />

von Relevanz, die gr<strong>und</strong>sätzlich am Sitz der zentralen<br />

Leitung zu führen <strong>und</strong> nach dem Recht des entsprechenden<br />

Mitgliedstaats zu entscheiden sind.<br />

2. In Artikel 2 Abs. 1f) des RL-Entwurfs wird der Begriff der<br />

„Unterrichtung“ als „Übermittlung von Informationen durch den<br />

Arbeitgeber an die Arbeitnehmervertreter“ definiert, wobei bezüglich<br />

der inhaltlichen Ausgestaltung der Unterrichtung darauf<br />

hingewiesen wird, dass sie „dem Zweck angemessen“ sein<br />

* Berlin, im November 2008, Stellungnahme Nr. 66/2008 abrufbar<br />

unter www.anwaltverein.de<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 17 17.02.2009 12:08:05<br />

17


Aufsätze/Beiträge<br />

muss <strong>und</strong> den Arbeitnehmervertretern ermöglichen muss, die<br />

„möglichen Auswirkungen eingehend zu prüfen <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

Anhörungen mit dem zuständigen Organ des betreffenden<br />

gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der<br />

gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe vorzubereiten.“<br />

Im Interesse der Erhöhung der Rechtssicherheit <strong>und</strong> -klarheit<br />

sollte die Regelung dahingehend präzisiert werden, dass die<br />

Unterrichtung unter „rechtzeitiger Vorlage der erforderlichen<br />

Unterlagen“ zu erfolgen hat. Eine entsprechende Formulierung<br />

findet sich bereits heute in §§ 32, 33 EBRG.<br />

3. Bezüglich der Definition des Begriffs der „Anhörung“ in<br />

Artikel 2 Abs. 1g) des RL-Entwurfs fällt auf, dass es hier eine<br />

Unstimmigkeit mit der Formulierung in Ziffer 1a) Anhang I<br />

gibt. Während es nach der Definition in Artikel 2 Abs. 1g)<br />

bei der Anhörung um die Einrichtung eines „Dialogs <strong>und</strong> eines<br />

Meinungsaustauschs“ geht, ist in Ziffer 1a) des Anhangs I<br />

davon die Rede, dass die Anhörung in einer Weise zu erfolgen<br />

hat, die es den Arbeitnehmervertretern gestattet, mit der<br />

zentralen Leitung „zusammenzukommen“. Diese Formulierung<br />

lässt darauf schließen, dass Anhörung – was der Definition in<br />

Artikel 2 Abs. 1g) gerade nicht entnommen werden kann –<br />

immer auch eine physische Komponente haben muss. Entsprechendes<br />

klingt an in Ziffern 2 <strong>und</strong> 3 des Anhangs I, wo<br />

geregelt ist, dass der Europäische Betriebsrat das Recht hat,<br />

einmal jährlich bzw. bei außergewöhnlichen Umständen auch<br />

häufiger mit der zentralen Leitung „zusammenzutreten“. Auch<br />

die englische Fassung des Anhangs lässt darauf schließen,<br />

dass regelmäßig an ein physisches Zusammentreffen gedacht<br />

zu sein scheint (hier heißt es „meet“ bzw. „information and<br />

consultation meeting“).<br />

Im Interesse der Rechtsklarheit <strong>und</strong> Rechtssicherheit wäre es<br />

wünschenswert, wenn sich der Europäische Gesetzgeber einer<br />

einheitlichen Terminologie bedienen <strong>und</strong> hierbei präziser<br />

regeln würde, welche Rechte der Europäische Betriebsrat in<br />

welchen Fällen hat.<br />

So sollte in der Definition der Anhörung in Artikel 2 Abs. 1g)<br />

zunächst klargestellt werden, dass der Dialog <strong>und</strong> der Meinungsaustausch<br />

sowohl mündlich (was eine Kommunikation<br />

per Telefon- oder Videokonferenz einschließt) als auch schriftlich<br />

erfolgen kann, wobei sichergestellt sein muss, dass die Arbeitnehmervertreter<br />

eine mit Gründen versehene (mündliche<br />

oder schriftliche) Antwort auf ihre Stellungnahme erhalten.<br />

Ungeachtet dessen erscheint des sinnvoll, für die jährliche<br />

Konferenz, wie in Ziffer 2 des Anhangs I vorgesehen, ein<br />

Treffen vorzuschreiben. Aus Klarstellungsgründen wird angeregt,<br />

in Ziffer 2 des Anhangs I den Begriff „zusammenzutreten“<br />

durch „zusammenzutreffen“ oder „zusammenzukommen“<br />

zu ersetzen. Im Falle des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände<br />

sollte es allerdings je nach Fallkonstellation möglich<br />

18 01/09<br />

sein, die erforderliche Anhörung mündlich oder schriftlich vorzunehmen.<br />

Gerade bei außergewöhnlichen Umständen kann<br />

es schon aus praktischen Gründen geboten sein, den Parteien<br />

eine flexible <strong>und</strong> schnelle Reaktion auf die aktuellen Entwicklungen<br />

zu ermöglichen. Hier sind insbesondere moderne Mittel<br />

der Kommunikation sehr hilfreich, um Zeitverzögerungen<br />

zu verhindern. Die Formulierung in Ziffer 3 des Anhangs I<br />

sollte dementsprechend modifiziert werden.<br />

Im Übrigen sei angemerkt, dass der letzte Absatz in Ziffer<br />

1a) des Anhangs I u.E. nicht zur Klarheit beiträgt <strong>und</strong><br />

daher ersatzlos gestrichen werden kann. Es ist sinnvoller, etwaige<br />

Ergänzungen in die allgemeine Definition in Artikel 2<br />

Abs. 1g) des RL-Entwurfs aufzunehmen.<br />

4. Wenig präzise ist des weiteren die Formulierung in Ziffer<br />

3 des Anhangs I. Hier ist an zwei Stellen davon die Rede,<br />

dass der Europäische Betriebsrat einzubinden ist, wenn Entscheidungen<br />

getroffen werden. Dies ist unscharf <strong>und</strong> mag zur<br />

Rechtsunsicherheit führen. Wie sich aus der Ratio des Anhörungsrechts<br />

<strong>und</strong> ausdrücklich auch aus Nr. 23 der Erwägungsgründe<br />

ergibt, soll die Anhörung gerade bei der Entscheidungsfindung<br />

von Nutzen sein <strong>und</strong> muss demgemäß vor dem<br />

Abschluss der Entscheidungsfindung erfolgen.<br />

Es sollte daher in Ziffer 3 des Anhangs I heißen: „Treten außergewöhnliche<br />

Umstände ein oder sollen Entscheidungen getroffen<br />

werden ( ... )“ sowie am Ende der Ziffer 3 „Im Falle einer<br />

Sitzung ( ... .), welche unmittelbar von diesen Umständen oder<br />

geplanten Entscheidungen betroffen sind.“<br />

5. Ein ähnliches Problem wie oben in Ziffer 1 ausgeführt<br />

stellt sich bezüglich der Neuregelung in Artikel 4 Abs. 4.<br />

Danach soll nicht nur die zentrale Leitung, sondern zusätzlich<br />

auch „jede Leitung eines zu einer gemeinschaftsweit operierenden<br />

Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmens“ verantwortlich<br />

sein, die nach Artikel 5 notwendigen Informationen<br />

zur Verfügung zustellen. Dies bedeutet in der Konsequenz,<br />

dass jede auch noch so unbedeutende Tochtergesellschaft auf<br />

Erfüllung dieser Pflichten verklagt werden kann. Das bisherige<br />

Prinzip, wonach für Klagen jeweils die Gerichte am Sitz der<br />

zentralen Leitung zuständig sind, müsste demnach aufgegeben<br />

werden. § 82 Abs. 2 ArbGG müsste dahingehend ergänzt<br />

werden, dass die Arbeitsgerichte auch für entsprechende Informationsansprüche<br />

gegen deutsche Konzerngesellschaften<br />

nach Artikel 4 Abs. 4 zuständig sind.<br />

Auch wenn es Fallkonstellationen geben mag, in denen eine<br />

entsprechende Verpflichtung der einzelnen Konzerngesellschaften<br />

erforderlich ist, um die Rechte wirksam durchzusetzen,<br />

empfiehlt es sich klarzustellen, dass die Verpflichtung<br />

zur Information gegenüber der zentralen Leitung besteht.<br />

Diese wäre Gläubigerin des Anspruchs. Dies vermeidet<br />

unkoordinierte Schritte der Arbeitnehmervertreter in den<br />

Mitgliedstaaten, die dazu führen könnten, dass gegen jedes<br />

AE200901.PDF 18 17.02.2009 12:08:05


einzelne Konzernunternehmen vorgegangen wird. Diese<br />

Gefahr besteht umso mehr, als Art. 4 Abs. 4 nicht erkennen<br />

lässt, dass das Recht auf Information durch die einzelnen<br />

Unternehmen nur dann geltend gemacht werden kann, wenn<br />

die zentrale Leitung die erforderlichen Informationen selbst<br />

nicht beschafft bzw. beschaffen kann oder Zweifel über die<br />

Frage bestehen, wer zentrale Leitung einer gemeinschaftsweit<br />

operierenden Unternehmensgruppe ist.<br />

6. Bezüglich der Neufassung des Artikel 5 Abs. 2b) ist es<br />

zwar zu begrüßen, dass zukünftig eine Repräsentanz der Arbeitnehmer<br />

aus jedem Mitgliedstaat unabhängig von der Beschäftigtenzahl<br />

vermieden werden soll. Damit wird die Bildung<br />

eines besonderen Verhandlungsgremiums zweifellos erleichtert.<br />

Die Formulierung lässt jedoch viele Fragen offen. So deuten<br />

zwar die Ausführungen in der Gesetzesbegründung (Nr. 38)<br />

darauf hin, dass Mitgliedstaaten, die zwar mehr als 50 Arbeitnehmer,<br />

jedoch weniger als 10 % der Gesamtbelegschaft beschäftigen,<br />

keinen Vertreter in das besondere Verhandlungsgremium<br />

entsenden können. Die Formulierung in Artikel 5<br />

Abs. 2b) lässt diesbezüglich aber Zweifel aufkommen. Es erscheint<br />

demgemäß notwendig, dass der Gesetzgeber klarstellt,<br />

wie in Fällen vorgegangen werden soll, in denen die<br />

Beschäftigtenzahl in einem Mitgliedstaat bei unter 10 % der<br />

in allen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer, jedoch<br />

über 50 Arbeitnehmern liegt. Ggf. müsste dabei auch klargestellt<br />

werden, ob Vertreter eines Mitgliedstaats jeweils eine<br />

Stimme pro Kopf haben oder ob sich das Stimmrecht nach<br />

der Prozentzahl der vertretenen Arbeitnehmer bestimmt.<br />

Im übrigen stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, mit dem<br />

Schwellenwert von „mindestens 50 Arbeitnehmern“ eine neue<br />

Grenze einzuführen. Es sollte geprüft werden, ob man sich<br />

nicht auch in dieser Frage an den in der Richtlinie bereits angelegten<br />

Schwellenwerten von 100 oder 150 Arbeitnehmern<br />

orientieren kann (vgl. Artikel 2 Abs. 1a) <strong>und</strong> Artikel 4 Abs. 1).<br />

7. Problematisch erscheint des weiteren die in Artikel 5<br />

Abs. 2c) vorgesehene Regelung, wonach „die Zusammensetzung<br />

des besonderen Verhandlungsgremiums <strong>und</strong> der Beginn<br />

der Verhandlungen“ u.a. „den zuständigen europäischen Arbeitnehmer-<br />

<strong>und</strong> Arbeitgeberverbänden“ mitzuteilen sind. Sinn dieser<br />

Regelung ist der Wunsch der Kommission, die Rolle der<br />

Arbeitnehmervertreter zu stärken.<br />

Die geplante Regelung ist jedoch in mehrfacher Hinsicht missglückt:<br />

Erstens ergibt sich aus dem Wortlaut nicht hinreichend<br />

deutlich, wer die Unterrichtungspflicht hat, das besondere<br />

Verhandlungsgremium oder die zentrale Leitung. Zweitens<br />

deutet die Formulierung in Artikel 5 Abs. 2c) auf eine Verpflichtung<br />

hin, im Erwägungsgr<strong>und</strong> 27 ist jedoch lediglich<br />

davon die Rede, dass die Arbeitnehmer- <strong>und</strong> Arbeitgeberverbände<br />

unterrichtet werden „können “. Drittens stellt sich<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

die Frage, ob immer zweifelsfrei feststeht, wer überhaupt der<br />

„zuständige“ Arbeitnehmerverband ist. Dies gilt insbesondere<br />

bei nicht tarifgeb<strong>und</strong>enen Konzernen oder Mischkonzernen.<br />

8. Zu begrüßen ist, dass in Artikel 5 Abs. 4 nunmehr klargestellt<br />

wird, dass es sich bei Sachverständigen auch um „Vertreter<br />

der einschlägigen Arbeitnehmerverbände“ handeln kann.<br />

Es fällt allerdings auf, dass eine entsprechende klarstellende<br />

Ergänzung in Anhang I Ziffer 6 fehlt. Zugleich ist dort jedoch<br />

die Einschränkung enthalten, dass Sachverstände hinzugezogen<br />

werden können, „sofern dies zur Erfüllung der Aufgaben<br />

des Europäischen Betriebsrats erforderlich ist“. Der Ausschuss<br />

regt an, Artikel 5 Abs. 4 um den Hinweis auf die Erforderlichkeit<br />

zu ergänzen <strong>und</strong> in Anhang I Ziffer 6 klarstellend aufzunehmen,<br />

dass es sich bei Sachverständigen auch um Gewerkschaftsvertreter<br />

handeln kann.<br />

9. Der Mindestinhalt einer Vereinbarung mit dem besonderen<br />

Verhandlungsgremium nach Artikel 6 wurde in Artikel 6<br />

Abs. 2 um einige klarstellende Regelungen ergänzt, wobei in<br />

Artikel 6 Abs. 2e) <strong>und</strong> g) jeweils nur davon die Rede ist, dass<br />

derartige Regelungen „gegebenenfalls“ aufgenommen werden<br />

können. Damit ist zwar einerseits klargestellt, dass die übrigen<br />

Anforderungen zwingend sind. Andererseits ist die Vorgehensweise<br />

jedoch systematisch nicht sehr überzeugend. Es<br />

wäre aus Sicht des Ausschusses vorzugswürdig, in Artikel 6<br />

Abs. 2 zunächst alle zwingenden Regelungsinhalte <strong>und</strong> in einem<br />

neuen Abs. 3 die fakultativen Regelungen aufzuführen.<br />

10. In den Katalog des Artikel 6 Abs. 2g) ist aufgenommen<br />

worden, dass die Vereinbarung Regelungen über eine<br />

Neuaushandlung sowie ein Vorgehen bei einer Änderung der<br />

Struktur enthalten sollen. Dies ist ein wichtiger Hinweis, da<br />

in der Praxis immer wieder große Probleme daraus resultierten,<br />

dass die Vereinbarung keine hinreichende Verfahrensregelung<br />

bzw. keine Lösungsmechanismus bei Strukturveränderungen<br />

vorsehen (vgl. hierzu auch unten Ziffer 14). Gerade<br />

deshalb sollte u.E. allerdings erwogen werden, dies nicht nur<br />

als fakultativen, sondern als zwingenden Bestandteil der Vereinbarung<br />

in Artikel 6 Abs. 2 aufzunehmen.<br />

11. Systematisch nicht sehr gelungen erscheint die neue Regelung<br />

in Artikel 10 Abs. 1 betreffend die Kostentragungspflicht.<br />

Zum einen ist in Artikel 6 Abs. 2e) bereits geregelt,<br />

dass die Parteien eine Vereinbarung über die bereitzustellenden<br />

finanziellen <strong>und</strong> materiellen Mittel treffen müssen. Dies<br />

macht den Hinweis in Artikel 10 Abs. 1 an sich überflüssig.<br />

Zum anderen könnte die gewählte Formulierung dafür sprechen,<br />

dass der europäische Gesetzgeber davon ausgeht, dass<br />

kein Kostenerstattungsanspruch in dem Sinne besteht, wie<br />

wir ihn aus dem Betriebsverfassungsrecht kennen, sondern<br />

dass der Europäische Betriebsrat mit einem Budget arbeiten<br />

kann bzw. muss. So ist auch in Ziffer 7 des Anhangs davon<br />

die Rede, dass die zentrale Leitung die Mitglieder des Europäischen<br />

Betriebsrats mit den erforderlichen finanziellen <strong>und</strong><br />

01/09<br />

AE200901.PDF 19 17.02.2009 12:08:05<br />

19


Aufsätze/Beiträge<br />

materiellen Mitteln auszustatten hat. Im Gegensatz dazu ist<br />

bezüglich des Besonderen Verhandlungsgremiums in Artikel<br />

5 Abs. 6 von einer Kostentragungspflicht die Rede. Hier sollte<br />

nochmals reflektiert werden, welches Konzept der Europäische<br />

Gesetzgeber verfolgt, eine Kostenerstattungspflicht oder<br />

ein Budgetierungsverfahren. Hilfsweise könnte der Europäische<br />

Gesetzgeber die Beantwortung dieser Frage auch in die<br />

Hände der Mitgliedstaaten legen, die bei der Umsetzung klare<br />

Vorgaben machen könnten.<br />

12. Die in Artikel 12 Abs. 2 aufgenommene Regelung, wonach<br />

in der Vereinbarung festgelegt werden soll, wie die Abstimmung<br />

zwischen der Unterrichtung <strong>und</strong> Anhörung des Europäischen<br />

Betriebsrats <strong>und</strong> der einzelstaatlichen Arbeitnehmervertretung<br />

zu erfolgen hat, gehört u.E. systematisch in<br />

den Katalog der fakultativen Bestandteile der Vereinbarung<br />

in Artikel 6 (siehe hierzu oben Ziffer 9).<br />

13. Wie oben bereits angemerkt, wird in der Praxis die Regelung<br />

in Artikel 13 Abs. 3 am meisten für Konfliktstoff sorgen.<br />

Nach dieser Regelung sind neue Verhandlungen nach Artikel<br />

5 aufzunehmen, wenn dies die zentrale Leitung wünscht oder<br />

mindestens 100 Arbeitnehmer oder ihre Vertreter dies beantragen<br />

<strong>und</strong><br />

• wenn sich die Struktur des gemeinschaftsweit operierenden<br />

Unternehmens bzw. der gemeinschaftsweit operierenden<br />

Unternehmensgruppe wesentlich ändert <strong>und</strong> entsprechende<br />

Bestimmungen über das Vorgehen in derartigen<br />

Fällen in der Vereinbarung fehlen oder<br />

• wenn sich die Struktur wesentlich ändert <strong>und</strong> Konflikte<br />

zwischen Bestimmungen von zwei oder mehr geltenden<br />

Vereinbarungen bestehen.<br />

Diese Regelung ist deshalb politisch brisant, weil damit in<br />

vielen Fällen ein Hebel bestehen kann, die vor dem 22. September<br />

1996 abgeschlossenen <strong>und</strong> nicht an der Richtlinie zu<br />

messenden Vereinbarungen durch neue Vereinbarungen zu<br />

ersetzen. Problematisch sind hierbei mehrere Aspekte:<br />

Es ist bereits unklar, ob auch dann eine Neuverhandlung<br />

durch die Arbeitnehmervertreter verlangt werden kann,<br />

wenn wesentliche Strukturänderungen vor dem Inkrafttreten<br />

der Neufassung der Richtlinie stattgef<strong>und</strong>en haben, ohne<br />

dass die Vereinbarung entsprechend angepasst wurde. Das<br />

20 01/09<br />

derzeitige Recht sieht nur eine fakultative Anpassung der<br />

Altvereinbarungen bei Strukturänderungen vor.<br />

Ferner ist völlig offen, wann von einer „wesentlichen Strukturänderung“<br />

gesprochen werden kann <strong>und</strong> was geschieht, wenn<br />

eine solche nicht vorliegt.<br />

Nach dem Erwägungsgr<strong>und</strong> 39 kann eine wesentliche<br />

Strukturänderung beispielsweise durch eine Fusion, eine<br />

Übernahme oder eine Spaltung verursacht werden. Diese<br />

Erläuterung ist zwar nachvollziehbar, hilft allerdings bezüglich<br />

der Frage, wann eine Strukturänderung wesentlich ist,<br />

nicht weiter. Es liegt nahe, zur Präzisierung dieses Begriffs<br />

quantitative <strong>und</strong> qualitative Vorgaben zu machen, indem auf<br />

Veränderungen hinsichtlich der zentralen Leitung, ihres Bestands<br />

oder ihres Sitzes, hinsichtlich der Zahl der betroffenen<br />

Beschäftigten, die Bedeutung betroffener Geschäftsbereiche<br />

bezüglich der Umsatz- oder Gewinnerwartung o.ä. abgestellt<br />

wird. Denkbar ist auch, als maßgeblich festzulegen, ob die<br />

zentrale Leitung im Anschluss an die Strukturänderung auf<br />

ein anderes Unternehmen – ggf. sogar in einem anderen<br />

Mitgliedstaat – übergegangen ist. Dieser Umstand kommt<br />

insbesondere dann zum Tragen, wenn ein gemeinschaftsweit<br />

tätiges Unternehmen oder eine gemeinschaftsweit tätige<br />

Unternehmensgruppe, für das/die eine Altvereinbarung<br />

abgeschlossen wurde, von einem anderen Unternehmen<br />

bzw. einer Unternehmensgruppe übernommen wird, für<br />

das/die bereits eine Altvereinbarung oder eine Vereinbarung<br />

nach Maßgabe des geltenden Rechts geschaffen wurde.<br />

Denn die Errichtung mehrerer Europäischer Betriebsräte<br />

oder entsprechender Anhörungsverfahren innerhalb einer<br />

Unternehmensgruppe kommt nur auf der Gr<strong>und</strong>lage einer<br />

Vereinbarung zwischen der (neuen) zentralen Leitung <strong>und</strong><br />

den Arbeitnehmervertretern in Betracht.<br />

Der europäische Gesetzgeber wird sich der Aufgabe, dies zu<br />

präzisieren, nicht entziehen können. Tut er dies dennoch,<br />

bleibt in der Praxis nur die Möglichkeit, auf eine entsprechende<br />

Judikatur zu warten. Dies ist mit hohem Risiko für<br />

die Unternehmen verb<strong>und</strong>en, weil betroffene Arbeitnehmervertreter<br />

z. B. in Frankreich im Wege der einstweiligen Verfügung<br />

einen Anspruch auf Unterlassung einer Strukturänderung<br />

durchsetzen können, wenn die vermeintlich unwirksame<br />

Vereinbarung über die Errichtung eines Europäischen<br />

Betriebsrats nicht ordnungsgemäß beachtet wurde.<br />

AE200901.PDF 20 17.02.2009 12:08:05


Gr<strong>und</strong>sätze der Beförderungsauswahl im öffentlichen Dienst<br />

Verwaltungsgericht Düsseldorf rügt die Stadt Düsseldorf im Eilverfahren<br />

(Beschluss vom 24. Juni 2008, 13 L 528/08)<br />

Rechtsanwalt Marcus Schneider-Bodien, Düsseldorf<br />

Ausgangspunkt für verwaltungsgerichtliche Eilverfahren im<br />

Beamtenrecht sind häufig fehlerhafte Ermessensausübungen<br />

durch die Behörden. Diese versuchen von vornherein, feststehende<br />

Bewerber in eine freie Beförderungsplanstelle einzuweisen,<br />

obwohl andere Bewerber von ihren Beurteilungen<br />

her für die Stelle besser geeignet sind. Ausgangspunkt des<br />

vorliegenden Verfahrens war ein Auswahlverfahren, bei dem<br />

zwei Bewerber etwa gleich gute Gesamturteile aufwiesen. In<br />

drei Einzelkriterien ergab sich jedoch ein klarer Qualifikationsvorsprung<br />

eines Bewerbers. Gleichwohl hat die Behörde den<br />

Konkurrenten nach Durchführung eines Auswahlgespräches<br />

mit der Begründung für die Stelle vorgesehen, er sei im Auswahlgespräch<br />

besser gewesen. Dies hat das Verwaltungsgericht<br />

Düsseldorf als offensichtlich fehlerhaft bewertet. Zusammenfassend<br />

ergibt sich aus der Entscheidung folgendes:<br />

I. Verfahren<br />

Ein Beamter hat zwar keinen Anspruch auf Übertragung eines<br />

Beförderungsamtes. Er hat aber ein Recht darauf, dass<br />

der Dienstherr bzw. der für diesen handelnde Dienstvorgesetzte<br />

eine rechts-, insbesondere ermessensfehlerfreie Entscheidung<br />

über die Vergabe des Beförderungsamtes trifft.<br />

Materiell-rechtlich hat der Dienstherr bei seiner Entscheidung<br />

darüber, wem von mehreren für eine Beförderung in Betracht<br />

kommenden Beamten er die Stelle übertragen will, dass Prinzip<br />

der Bestenauslese zu beachten (Artikel 33 Abs. 2 Gr<strong>und</strong>gesetz<br />

[GG], §§ 7 Abs. 1, 25 Abs. 6 Satz 1 Beamtengesetz für das<br />

Land NRW [Landesbeamtengesetz – LBG]).<br />

Ein derartiger Anspruch ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren<br />

nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sicherungsfähig.<br />

Will hiernach ein übergangener Bewerber die vorläufige<br />

Nichtbesetzung einer Beförderungsstelle erreichen, so muss<br />

er glaubhaft machen, dass die Vergabe an den Mitbewerber<br />

sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zu seinen Lasten<br />

rechtsfehlerhaft erweist <strong>und</strong> dass im Falle der fehlerfreien<br />

Durchführung des Auswahlverfahrens seine Beförderung<br />

jedenfalls möglich erscheint.<br />

1. Anlassbeurteilung bzw. aktuelle<br />

Regelbeurteilung<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

Basis für die Beförderungsentscheidung ist hier zunächst die<br />

Stellenausschreibung. An Hand der Stellenausschreibung ist<br />

es dann in erster Linie Sache der aktuellen dienstlichen Beurteilungen<br />

der Bewerber (z.B. einer Anlassbeurteilung) über die<br />

Auswahlkriterien verlässlich Auskunft zu geben.<br />

Bei gleichlautendem Gesamturteil muss der Dienstherr der<br />

Frage nachgehen, ob die Einzelfeststellungen in den aktuellen<br />

dienstlichen Beurteilungen eine Prognose über die zukünftige<br />

Bewährung im Beförderungsamt ermöglichen (inhaltliche<br />

Ausschöpfung der Beurteilungen).<br />

Er darf sich im Rahmen des Qualifikationsvergleichs nicht<br />

ohne weiteres auf das Gesamturteil aktueller Beurteilungen<br />

beschränken. Führt die Auswertung der Einzelfeststellungen<br />

zu dem Ergebnis, dass ein Beamter für das Beförderungsamt<br />

besser qualifiziert ist als sein Mitbewerber, dann wird dies<br />

auch die Bedeutung älterer Beurteilungen regelmäßig in den<br />

Hintergr<strong>und</strong> drängen.<br />

Bei der Würdigung von Einzelfeststellungen einer Beurteilung<br />

kommt dem Dienstherrn ein gerichtlich nur eingeschränkt<br />

überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung<br />

des Dienstherrn, bestimmte Einzelfeststellungen zur Begründung<br />

eines Qualifikationsvorsprungs heranzuziehen oder<br />

ihnen keine Bedeutung beizumessen, ist im Gr<strong>und</strong>satz nur<br />

dann zu beanstanden, wenn der in diesem Zusammenhang<br />

anzuwendende Begriff oder der gesetzliche Rahmen, in dem<br />

sich der Dienstherr frei bewegen kann, verkannt worden ist,<br />

wenn ein unrichtiger Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e gelegt worden<br />

ist oder allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder<br />

sachfremde Erwägungen angestellt worden sind. Im Interesse<br />

effektiver Rechtsschutzgewährung trifft den Dienstherrn<br />

dabei eine – unter Umständen erhöhte – Begründungs- <strong>und</strong><br />

Substantiierungspflicht, wenn er sich aufdrängenden oder<br />

zumindest nahe liegenden Unterschieden in den dienstlichen<br />

Beurteilungen der Konkurrenten keine Bedeutung beimessen<br />

will.<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 21 17.02.2009 12:08:05<br />

21


Aufsätze/Beiträge<br />

2. Ältere Beurteilungen<br />

Wenn die Bewertung der aktuellen Beurteilungen keinen Qualifikationsvorsprung<br />

einen Bewerbers erkennen lässt, dann ist<br />

auf ältere Beurteilungen zurückzugreifen.<br />

3. Auswahlgespräch<br />

Erst dann, wenn diese älteren Beurteilungen einen Qualifikationsvorsprung<br />

eines Bewerbers nicht belegen, kann auch<br />

ein strukturiertes Bewerber- oder Auswahlgespräch zur Abr<strong>und</strong>ung<br />

der dienstlichen Beurteilungen oder vergleichbarer<br />

Leistungsnachweise herangezogen werden.<br />

Verfehlt wäre es demnach, einen Bewerber in das Beförderungsamt<br />

einzuweisen, der anderen Bewerbern aufgr<strong>und</strong> der<br />

heranzuziehenden Beurteilungen unterlegen war <strong>und</strong> ihm<br />

dann aufgr<strong>und</strong> eines besseren Ergebnisses im Auswahlgespräch<br />

die Stelle zuzuweisen (Verwaltungsgericht Düsseldorf,<br />

Beschluss vom 24.06.2008 – 13 L 528/08).<br />

Ebenso fehlerhaft ist es, wenn ein Dienstherr (hier die Stadt<br />

Düsseldorf!) ein Auswahlverfahren nur zum Schein durchführt,<br />

die Auswahlkriterien dem von ihm favorisierten Bewerber anpasst<br />

<strong>und</strong> so die Rechte der anderen Bewerber bezüglich der<br />

Durchführung eines fairen Auswahlverfahrens rechtswidrig<br />

beeinträchtigt werden (vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf,<br />

Beschluss vom 23.10.2007 – 26 L 1464/07, veröffentlicht<br />

jeweils unterwww.justiz.nrw.de).<br />

Falls im gerichtlichen Verfahren derartige Auswahlfehler,<br />

glaubhaft gemacht werden können, dass bei einer ermessensfehlerfreien<br />

Entscheidung die Möglichkeit bzw. die<br />

überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der übergangene<br />

Bewerber die Stelle bekommt, besteht ein Anordnungsanspruch<br />

darauf, dass der Dienstherr unter Beachtung<br />

der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts eine neue<br />

Entscheidung trifft.<br />

Tenor: Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen<br />

Anordnung untersagt, die bei ihr ausgeschriebene Stelle einer<br />

Sachgebietsleiterin/ eines Sachgebietsleiters (Bes.-Gruppe A<br />

13 g.D. BBO bzw. Verg.-Gruppe lll/lla BAT) in der Abteilung<br />

Versicherung, Rente <strong>und</strong> Rehabilitation -zentral- in der Rentenbestandssachbearbeitung<br />

– Dezernate 1 bis 3 – mit dem<br />

Beigeladenen zu besetzen, solange über die Bewerbung der<br />

Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts<br />

nicht erneut entschieden worden ist.<br />

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, mit<br />

Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen,<br />

die dieser selbst trägt.<br />

Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.<br />

22 01/09<br />

Aus den Gründen:<br />

Der am 28. März bei Gericht eingegangene, sinngemäß mit<br />

dem Entscheidungstenor übereinstimmende Antrag hat Erfolg.<br />

Der Antrag ist zulässig.<br />

Der Antragstellerin fehlt insbesondere nicht das erforderliche<br />

Rechtsschutzinteresse für das vorliegende Eilverfahren, obwohl<br />

sie bis zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung<br />

noch keine Klage gegen die ihr Beförderungsbegehren<br />

ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin erhoben hat.<br />

Der mit Schreiben vom 27. März 2008 eingelegte Widerspruch<br />

geht ins Leere, weil es eines Vorverfahrens nicht bedarf<br />

(§ 179a Landesbeamtengesetz – LBG). Eine einstweilige<br />

Anordnung kann aber nach dem eindeutigen Wortlaut von<br />

§ 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)<br />

schon vor Klageerhebung ergehen. Einem entsprechenden<br />

Antrag fehlt das Rechtsschutzbedürfnis nur dann, wenn das<br />

Verwaltungsverfahren bereits bestandskräftig abgeschlossen<br />

ist.<br />

Für die Erfolglosigkeit eines Antrags nach § 123 VwGO speziell<br />

für den Fall des Eintritts der Bestandskraft einer Konkurrentenmitteilung<br />

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-<br />

Westfalen, Beschluss vom 4. Dezember 1992 –6B4064/92 –,<br />

juris; ebenso Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss<br />

vom 17. Januar 1995 -1 TG 1483/94 –, juris; allgemein Happ,<br />

in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 123 Rn 43; Kopp/Schenke,<br />

Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl., § 123 Rn 18.<br />

Dies ist hier nicht der Fall. Gegen die Ablehnungsentscheidung<br />

der Antragsgegnerin vom 6. März 2008 kann die Antragstellerin,<br />

da sie keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, gemäß“<br />

§§ 74, 58 Abs. 2 VwGO binnen eines Jahres Klage erheben.<br />

Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.<br />

(http://www.justiz.nm.de/nme/ovgs/vg_duesseldoff/j2008/13<br />

_L_528_08beschluss200... 13.10.2008)<br />

Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 13.10.2008, 13 L 528/08).<br />

Der Antrag ist auch begründet.<br />

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung<br />

zur Sicherung eines Rechts des Antragstellers nur getroffen<br />

werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung<br />

des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses<br />

Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.<br />

Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit<br />

§§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO) das Bestehen<br />

eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) <strong>und</strong> die<br />

besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgr<strong>und</strong>) glaubhaft zu<br />

machen.<br />

Für das von der Antragstellerin verfolgte Begehren besteht<br />

ein Anordnungsgr<strong>und</strong>. Die Antragsgegnerin hat nämlich die<br />

AE200901.PDF 22 17.02.2009 12:08:05


Absicht, die hier streitige Stelle so bald wie möglich mit<br />

dem Beigeladenen zu besetzen. Durch dessen Ernennung <strong>und</strong><br />

Einweisung in die freie Beförderungsplanstelle würde das von<br />

der Antragstellerin geltend gemachte Recht auf diese Stelle<br />

endgültig vereitelt.<br />

Die Antragstellerin hat ebenfalls einen Anordnungsanspruch<br />

glaubhaft gemacht.<br />

Ein Beamter hat zwar keinen Anspruch auf Übertragung eines<br />

Beförderungsamtes. Er hat aber ein Recht darauf, dass<br />

der Dienstherr bzw. der für diesen handelnde Dienstvorgesetzte<br />

eine rechts-, insbesondere ermessensfehlerfreie Entscheidung<br />

über die Vergabe des Beförderungsamtes trifft.<br />

Materiell-rechtlich hat der Dienstherr bei seiner Entscheidung<br />

darüber, wem von mehreren für eine Beförderung in Betracht<br />

kommenden Beamten er die Stelle übertragen will, das Prinzip<br />

der Bestenauslese zu beachten (Art. 33 Abs. 2 Gr<strong>und</strong>gesetz<br />

[GG], §§ 7 Abs. 1, 25 Abs. 6 Satz 1 Beamtengesetz für das Land<br />

Nordrhein-Westfalen [Landesbeamtengesetz – LBG]). Der Anspruch<br />

auf Beachtung dieser Gr<strong>und</strong>sätze ist nach § 123 Abs. 1<br />

Satz 1 VwGO sicherungsfähig. Will hiernach der Antragsteller<br />

die vorläufige Nichtbesetzung einer Beförderungsstelle erreichen,<br />

so muss er glaubhaft machen, dass deren Vergabe an<br />

den Mitbewerber sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit<br />

als zu Lasten des Antragstellers rechtsfehlerhaft erweist <strong>und</strong><br />

dass im Falle der fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens<br />

die Beförderung des Antragstellers jedenfalls möglich<br />

erscheint.<br />

(Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,<br />

Beschluss vom 5. Mai 2006 –1B41/06 –, m.w.N., NRWE <strong>und</strong><br />

juris).<br />

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nach dem gegenwärtigen<br />

Sach- <strong>und</strong> Streitstand ist es überwiegend wahrscheinlich,<br />

dass die von der Antragsgegnerin im Rahmen des Beförderungsauswahlverfahrens<br />

getroffene Auswahlentscheidung zu<br />

Lasten der Antragstellerin rechtsfehlerhaft zustande gekommen<br />

ist.<br />

Die Entscheidung der Antragsgegnerin über die Stellenbesetzung<br />

zu Gunsten des Beigeladenen ist zwar formell nicht<br />

zu beanstanden. Insbesondere hat der Personalrat dem Besetzungsvorschlag<br />

zu Gunsten der Beigeladenen unter dem<br />

4. März 2008 zugestimmt (vgl. §§ 66 Abs. 1, 72 Abs. 1 Satz 1<br />

Nr. 2 Landespersonalvertretungsgesetz). Es bestehen jedoch<br />

durchgreifende Bedenken gegen die materielle Rechtmäßigkeit<br />

der Beförderungsentscheidung.<br />

Es ist in erster Linie Sache der aktuellen dienstlichen Beurteilungen<br />

der Bewerber, über die Auswahlkriterien des § 7 LBG<br />

verlässlich Auskunft zu geben. Bei gleichlautenden Gesamturteilen<br />

muss der Dienstherr der Frage nachgehen, ob die Einzelfeststellungen<br />

in aktuellen dienstlichen Beurteilungen eine<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

Prognose über die zukünftige Bewährung im Beförderungsamt<br />

ermöglichen (inhaltliche Ausschöpfung). Er darf sich im<br />

Rahmen des Qualifikationsvergleichs nicht ohne weiteres auf<br />

das Gesamturteil aktueller Beurteilungen beschränkt. Führt<br />

die Auswertung der Einzelfeststellungen zu dem Ergebnis,<br />

dass ein Beamter für das Beförderungsamt besser qualifiziert<br />

ist als seine Mitbewerber, dann wird dies auch die Bedeutung<br />

älterer Beurteilungen regelmäßig in den Hintergr<strong>und</strong> drängen.<br />

Bei der Würdigung von Einzelfeststeilungen einer Beurteilung<br />

kommt dem Dienstherrn ein gerichtlich nur eingeschränkt<br />

überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung<br />

des Dienstherrn, bestimmte Einzelfeststellungen zur Begründung<br />

eines Qualifikationsvorsprungs heranzuziehen<br />

oder ihnen keine Bedeutung beizumessen, ist im Gr<strong>und</strong>satz<br />

deshalb nur dann zu beanstanden, wenn der in diesem<br />

Zusammenhang anzuwendende Begriff oder der gesetzliche<br />

Rahmen, in dem sich der Dienstherr frei bewegen kann,<br />

verkannt worden ist, wenn ein unrichtiger Sachverhalt zu<br />

Gr<strong>und</strong>e gelegt worden ist oder allgemein gültige Wertmaßstäbe<br />

nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen<br />

angestellt worden sind. Im Interesse effektiver Rechtsschutzgewährung<br />

trifft den Dienstherrn dabei eine – u.U. erhöhte –<br />

Begründungs- <strong>und</strong> Substantiierungspflicht, wenn er sich aufdrängenden<br />

oder zumindest naheliegenden Unterschieden<br />

in den dienstlichen Beurteilungen der Konkurrenten keine<br />

Bedeutung beimessen will. (Oberverwaltungsgericht für das<br />

Land Nordrhein-Westfalen, etwa Beschlüsse vom 27. Februar<br />

2004–6B2451/03 –, NVwZ-RR 2004, 626; vom 27. September<br />

2005–6B1163/05 –, veröffentlicht in juris <strong>und</strong> NRWE; vom<br />

21. November 2005 – 1 B 1202/05 –, NWVBI 2006, 189 <strong>und</strong><br />

vom 15. November 2007 -6 B 1254/07-, DVBI 2008, 133).<br />

Sind Bewerber um ein Beförderungsamt aktuell als im wesentlichen<br />

gleich qualifiziert anzusehen, ist für die Auswahlentscheidung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auch auf ältere Beurteilungen als<br />

zusätzliche Erkenntnismittel zurückzugreifen. Bei ihnen handelt<br />

es sich ebenfalls um Erkenntnisse, die über Eignung, Befähigung<br />

<strong>und</strong> fachliche Leistung des Beurteilten Aufschluss<br />

geben können <strong>und</strong> die in diesem Falle gegenüber Hilfskriterien<br />

vorrangig heranzuziehen sind. Zwar verhalten sie sich<br />

nicht zu dem aktuellen Leistungsstand, gleichwohl können<br />

sie bei einem Vergleich von Bewerbern bedeutsame Rückschlüsse<br />

<strong>und</strong> Prognosen auch über die künftige Bewährung in<br />

einem Beförderungsamt ermöglichen, ihre zusätzliche Berücksichtigung<br />

ist deswegen mit Blick auf Art. 33 Abs. 2 GG nicht<br />

nur zulässig, sondern geboten, wenn eine Stichentscheidung<br />

unter zwei oder mehr im wesentlichen gleich beurteilten Beamten<br />

zu treffen ist. (B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht, Urteile vom<br />

19. Dezember 2002 –2C31.01 –, ZBR 2003, 359 (360); vom<br />

27. Februar 2003 – 2 C 16.02 –, ZBR 2003, 420 (421) <strong>und</strong> vom<br />

21. August 2003 –2C14.02 –, ZBR 2004, 101 (103); Oberverwaltungsgericht<br />

für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 23 17.02.2009 12:08:05<br />

23


Aufsätze/Beiträge<br />

vom 22. Dezember 2003 – 6 B 2321/03 –, veröffentlicht in juris<br />

<strong>und</strong> NRWE; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschlüsse vom<br />

6. Januar 2005-2 L 3391/04- <strong>und</strong> vom 18. Februar 2008-13 L<br />

1817/07-, beide NRWE <strong>und</strong> juris).<br />

Zwar ist es in erster Linie Sache der (aktuellen) dienstlichen<br />

Beurteilungen der Bewerber, über die Auswahlkriterien des<br />

§ 7 LBG verlässlich Auskunft zu geben. Jedoch ist in der<br />

Rechtsprechung anerkannt, dass im Einzelfall die besondere<br />

Eignung eines Mitbewerbers für das angestrebte Amt eine<br />

bessere Beurteilung des unterlegenen Bewerbers ausgleichen<br />

kann. (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-<br />

Westfalen, Beschluss vom 13. Juni 1991 – 6 B 1023/91 –;<br />

Beschluss vom 18. April 1996 –6B709/96 –; Beschluss vom<br />

2. Oktober 1997 – 6 B 1661/97).<br />

Zusätzlich zu den dienstlichen Beurteilungen der Bewerber<br />

kann auch dem durch ein strukturiertes Bewerber- oder Auswahlgespräch<br />

vermittelten Eindruck eine gewisse Aussagekraft<br />

beigemessen werden in dem Sinne, dass dieses Gespräch<br />

der Abr<strong>und</strong>ung des sich aus dienstlichen Beurteilungen<br />

oder vergleichbaren Leistungsnachweisen ergebenden<br />

Bildes dienen kann. Der Dienstherr kann also etwa bei einem<br />

sich aus den dienstlichen Beurteilungen ergebenden Qualifikationsgleichstand<br />

mehrerer Bewerber im Rahmen des ihm<br />

zustehenden weiten Ermessens das Ergebnis derartiger Gespräche<br />

als weiteres Kriterium für die Begründung der Auswahlentscheidung<br />

heranziehen. (Oberverwaltungsgericht für<br />

das Land Nordrhein-Westfalen, etwa Beschlüsse vom 12. Dezember<br />

2005 – 6 B 1845/05 –, NVwZ-RR 2006, 343 <strong>und</strong> vom<br />

19. Januar 2006 –1B1587 –, NRWE <strong>und</strong> juris).<br />

Soweit ersichtlich hat sich die Antragsgegnerin bei ihrer Auswahlentscheidung<br />

an diesen Vorgaben orientiert. Sie ist dabei<br />

jedoch nicht fehlerfrei verfahren. Wie die Antragsgegnerin bei<br />

der Auswahlentscheidung vorgegangen ist, ergibt sich vor<br />

allem aus ihren im vorliegenden gerichtlichen Verfahren abgegebenen<br />

Stellungnahmen vom 11. April 2008 <strong>und</strong> 19. Mai<br />

2008. Zur Zulässigkeit einer nachträglichen Plausibilisierung<br />

einer Auswahlentscheidung: Oberverwaltungsgericht für das<br />

Land Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 13. April 2005 – 6<br />

B 2711/04 – <strong>und</strong> vom 13. Mai 2004 -1 B 300/04 –, juris.<br />

Zusammengefasst hat danach die Antragsgegnerin in Bezug<br />

auf die Anlassbeurteilungen der Antragstellerin <strong>und</strong> des Beigeladenen<br />

vom 19. Oktober 2007 zunächst einmal festgestellt,<br />

dass beide gleichlautend die Gesamtnote 2 Punkte (Leistungen,<br />

die die Anforderungen übertreffen) erhalten haben. Bei<br />

den ihrer Einschätzung nach für die ausgeschriebene Stelle<br />

besonders bedeutsamen Einzelmerkmalen 2.2.3 (Flexibilität<br />

<strong>und</strong> Initiative) <strong>und</strong> 2.1 (Qualität der Arbeitsergebnisse) hätten<br />

ebenfalls beide jeweils dieselbe Punktzahl erreicht. Bei zwei<br />

weiteren Einzelmerkmalen (2.2.2 Urteils- <strong>und</strong> Entscheidungsvermögen<br />

<strong>und</strong> 2.5.1 Organisation <strong>und</strong> Steuerung des Verantwortungsbereichs),<br />

die im Hinblick auf das Stellenprofil wich-<br />

24 01/09<br />

tig seien, habe die Antragstellerin um zwei Punkte bzw. einen<br />

Punkt besser abgeschnitten, woraus sich zu ihren Gunsten<br />

ein minimaler Vorsprung ergeben habe. Auch ihre längere Erfahrung<br />

als Sachgebietsleiterin führe zu einem gewissen Vorsprung<br />

der Antragstellerin. Ergänzend sei auf die älteren Beurteilungen<br />

zurückgegriffen worden. Die Antragstellerin habe<br />

jeweils die Gesamtnote 2 Punkte in der Besoldungsgruppe<br />

A 12 erhalten, der Beigeladene die Gesamtnote 1 Punkte<br />

(Leitungen, die die Anforderungen in herausragender Weise<br />

übertreffen) in der Besoldungsgruppe A 11. Insoweit habe sich<br />

keine deutliche Unterscheidung ergeben, weil allgemein die<br />

Beurteilungsergebnisse mit 2 Punkten häufig seien, während<br />

die Gesamtnote 1 Punkt nur sehr selten vergeben werde.<br />

Im Hinblick auf die sehr nahe beieinander liegenden Beurteilungsergebnisse<br />

seien die unter Ziffer 3 der dienstlichen Beurteilungen<br />

(besondere Interessen, Kenntnisse <strong>und</strong> Fähigkeiten<br />

sowie sonstige Feststellungen von dienstlichem Belang)<br />

aufgeführten Umstände berücksichtigt worden. Durch seine<br />

umfangreichen koordinierenden Tätigkeiten ergebe sich ein<br />

deutlicher Vorsprung für den Beigeladenen. Nach dem ausgeschriebenen<br />

Stellenprofil seien die koordinierenden Aufgaben<br />

von wesentlicher Bedeutung. Schließlich hat die Antragsgegnerin<br />

auch noch das Ergebnis des Auswahlgespräches, das am<br />

26. November 2007 stattgef<strong>und</strong>en hat, bei ihrer Entscheidung<br />

berücksichtigt. Dieses Auswahlgespräch sei ebenfalls zugunsten<br />

des Beigeladenen ausgegangen. Im Gegensatz zur Antragstellerin<br />

habe sich dabei ein äußerst aktives <strong>und</strong> konstruktives<br />

Bild des Beigeladenen mit umfangreichen inhaltlichen<br />

Vorschlägen ergeben.<br />

Die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin ist fehlerhaft,<br />

soweit es um die dienstlichen Beurteilungen geht.<br />

Die Antragsgegnerin hat im Rahmen der inhaltlichen Ausschöpfung<br />

der dienstlichen Beurteilungen der Antragstellerin<br />

<strong>und</strong> des Beigeladenen vom 19. Oktober 2007 nicht dargetan,<br />

weshalb sie dem Einzelmerkmal 2.4.2 (Verhalten gegenüber<br />

Vorgesetzten) keine Bedeutung beigemessen hat. Der Beigeladene<br />

hat insoweit 2 Punkte bekommen, die Antragstellerin<br />

aber 1 Punkt. Dem sich daraus ergebenden Vorsprung der<br />

Antragstellerin kommt nicht von vorneherein eine nur untergeordnete<br />

Bedeutung zu, weil die zu besetzende Steile in<br />

die Verwaltungshierarchie eingeb<strong>und</strong>en ist, die Stelleninhaberin<br />

also auch mit den entsprechenden Vorgesetzten zusammenarbeiten<br />

muss. Demnach trifft die Antragsgegnerin eine<br />

Begründungs- <strong>und</strong> Substantiierungspflicht, wenn sie diesem<br />

Umstand keine Bedeutung beimessen will. Dem ist sie aber<br />

nicht nachgekommen. Vielmehr hat sie den Vorsprung der<br />

Antragstellerin bei dem Einzelmerkmal 2.4.2 mit keinem Wort<br />

erwähnt.<br />

Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin im Rahmen der<br />

inhaltlichen Ausschöpfung nicht hinreichend dargetan <strong>und</strong><br />

nachvollziehbar begründet, weshalb sie der Antragstellerin<br />

AE200901.PDF 24 17.02.2009 12:08:05


im Hinblick auf zwei weitere Einzelmerkmale, nämlich 2.2.2<br />

(Urteils <strong>und</strong> Entscheidungsvermögen) <strong>und</strong> 2.5.1 (Organisation<br />

<strong>und</strong> Steuerung des Verantwortungsbereichs) nur einen minimalen<br />

Vorsprung zugebilligt hat, zumal diese Einzelmerkmale<br />

nach Einschätzung der Antragsgegnerin im Hinblick auf das<br />

Stellenprofil wichtig sind. Bei beiden Einzelmerkmalen hat die<br />

Antragstellerin besser abgeschnitten als der Beigeladene, bei<br />

2.5.1 um einen Punkt <strong>und</strong> bei 2.2.2 sogar um zwei Punkte.<br />

Was die Berücksichtigung älterer Beurteilungen angeht, sei<br />

an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass auf diese<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nur dann zurückgegriffen werden kann, wenn<br />

Bewerber um ein Beförderungsamt aktuell als im wesentlichen<br />

gleich qualifiziert anzusehen sind, d.h. auch die inhaltliche<br />

Ausschöpfung keinen erheblichen Vorsprung eines<br />

Bewerbers ergeben hat. Liegt diese Voraussetzung vor <strong>und</strong><br />

werden ältere dienstliche Beurteilungen des einen Bewerbers<br />

älteren dienstlichen Beurteilungen des anderen Bewerbers<br />

gegenübergestellt, kann man daraus in der Regel nur etwas<br />

ableiten, wenn sich die jeweiligen Beurteilungen (zumindest<br />

weitgehend) auf dieselben Beurteilungszeiträume beziehen.<br />

Ist das nicht der Fall, ist ein Vergleich allenfalls eingeschränkt<br />

möglich. Sollen die älteren Beurteilungen dennoch für die<br />

Auswahlentscheidung herangezogen werden, hat das eine<br />

erhöhte Begründungs<strong>und</strong> Substantiierungspflicht zur Folge,<br />

d.h. die dafür maßgeblichen besonderen Erwägungen müssen<br />

eingehend dargelegt werden <strong>und</strong> einer rechtlichen Nachprüfung<br />

standhalten.<br />

Daran hat sich die Antragsgegnerin hier nicht gehalten. Sie<br />

hat ergänzend auf die älteren Beurteilungen der Antragstellerin<br />

<strong>und</strong> des Beigeladenen zurückgegriffen. Das kann nur<br />

so verstanden werden, dass damit insbesondere auch die<br />

Beurteilungen gemeint sind, die der aktuellen Beurteilung<br />

vom 19. Oktober 2007 unmittelbar vorausgegangen sind. Das<br />

sind zum einen die dienstliche Beurteilung der Antragstellerin<br />

vom 30. August 2007 (Beurteilungszeitraum 1. Januar 2004<br />

bis 31. Dezember 2006) <strong>und</strong> zum anderen die dienstliche Beurteilung<br />

des Beigeladenen vom 4. Mai 2005 (Beurteilungszeitraum<br />

1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2004). Demnach<br />

ist dem Beigeladenen, anders als der Antragstellerin, für den<br />

Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006 keine<br />

dienstliche Beurteilung erteilt worden. Diesen Umstand hätte<br />

die Antragsgegnerin bei der von ihr vorgenommenen Gegenüberstellung<br />

der älteren Beurteilungen der Antragstellerin<br />

<strong>und</strong> des Beigeladenen würdigen müssen. Sie hat ihm jedoch<br />

keine Bedeutung beigemessen, ohne das im Einzelnen darzulegen<br />

<strong>und</strong> zu begründen. Vielmehr hat sie ohne weiteres<br />

aus dem Vergleich der älteren dienstlichen Beurteilungen der<br />

beiden Bewerber abgeleitet, dass sich insoweit keine deutliche<br />

Unterscheidung ergebe, <strong>und</strong> darauf aufbauend unter<br />

Berücksichtigung weiterer Aspekte ihre Auswahlentscheidung<br />

zugunsten des Beigeladenen getroffen.<br />

Aufsätze/Beiträge<br />

Diese Rechtsfehler sind auch im Sinne der dargestellten Anforderungen<br />

kausal, weil es bei einer erneuten Auswahlentscheidung<br />

nicht unmöglich erscheint, dass diese zu Gunsten<br />

der Antragstellerin ausfällt. Da die Auswahlentscheidung zu<br />

Gunsten des Beigeladenen bereits aus den dargelegten Gründen<br />

fehlerhaft ist, kann dahinstehen, ob sie auch noch unter<br />

anderen Gesichtspunkten zu beanstanden ist. Es sei jedoch<br />

auf Folgendes hingewiesen:<br />

Soweit die Antragstellerin geltend macht, der Beigeladene<br />

habe keine ausreichende Erfahrung als Sachgebietsleiter,<br />

dürfte ein Fehler bei der Auswahlentscheidung nicht vorliegen.<br />

Zwar wird in der Stellenausschreibung ausgeführt,<br />

dass Erfahrungen als „Sachgebietsleiter/in“ in der Rentenbestandssachbearbeitung<br />

erwartet werden. Daneben sind zur<br />

Beschreibung des Stellenprofils aber noch eine Reihe weiterer<br />

Merkmale aufgeführt. Es ist Sache des Dienstherrn, die<br />

Merkmale des Stellenprofils ggf. unterschiedlich zu gewichten<br />

<strong>und</strong> eine Rangfolge festzulegen. So ist die Antragsgegnerin<br />

hier verfahren. Sie hat insbesondere dem Merkmal „Koordination<br />

von dezernatsübergreifenden Aufgaben innerhalb der<br />

Rentenbestandsdezernate 1 bis 3“ eine größere Bedeutung<br />

zugemessen als der Erfahrung als Sachgebietsleiter. Es ist<br />

nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin dabei sachwidrige<br />

Erwägungen angestellt hätte oder von falschen Tatsachen<br />

ausgegangen wäre. Dass der Beigeladene tatsächlich, wenn<br />

auch nur für verhältnismäßig kurze Zeit (seit dem 28. Februar<br />

2007), als Sachgebietsleiter tätig war, kann auch die<br />

Antragstellerin nicht ernsthaft in Abrede stellen.<br />

Die Antragstellerin steht ferner auf dem Standpunkt, dass die<br />

Anlassbeurteilung des Beigeladenen vom 19. Oktober 2007<br />

wegen Verstoßes gegen die Beurteilungsrichtlinien (BRL) nicht<br />

bei der Auswahlentscheidung hätte berücksichtigt werden<br />

dürfen. Dem dürfte aber nicht zu folgen sein. Zwar soll bei<br />

Anlassbeurteilungen der Beurteilungszeitraum wenigstens ein<br />

Jahr betragen, § 4 Abs. 3 BRL. Wie sich aus der Formulierung<br />

„soll“ ergibt, gilt dieses aber nur im Regelfall. Demnach<br />

dürfte im Falle des Beigeladenen § 4 Abs. 2 BRL vorgehen,<br />

wonach bei Aufstieg in der Funktionsebene (z. B. Sachgebietsleiter)<br />

seit der letzten Beurteilung der Beurteilungszeitraum<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich mit dem Tag der Zugehörigkeit zu dieser Funktionsebene<br />

beginnt. Der Beigeladene ist aber erst seit dem<br />

28. Februar 2007 Sachgebietsleiter.<br />

Bei einer erneuten Entscheidung über die Bewerbung der<br />

Antragstellerin wird die Antragsgegnerin insbesondere das<br />

dargelegte Stufenverhältnis zwischen inhaltlicher Ausschöpfung<br />

aktueller dienstlicher Beurteilungen einerseits <strong>und</strong> Berücksichtigung<br />

älterer dienstlicher Beurteilungen andererseits<br />

zu beachten haben. Soweit neben den dienstlichen Beurteilungen<br />

im Einzelfall die besondere Eignung eines Mitbewerbers<br />

berücksichtigt werden soll, ist zu beachten, dass das nur<br />

bei Vorliegen ganz besonderer Umstände zulässig ist, die im<br />

Einzelnen darzulegen sind <strong>und</strong> einer rechtlichen Nachprüfung<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 25 17.02.2009 12:08:05<br />

25


Inhalt: Entscheidungen<br />

standhalten müssen. Denn nach ihrem Sinn <strong>und</strong> Zweck sollen<br />

die dienstlichen Beurteilungen gr<strong>und</strong>sätzlich allein Gr<strong>und</strong>lage<br />

der Auswahlentscheidung sein.<br />

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3<br />

VwGO. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt <strong>und</strong> sich somit<br />

einem Kostenrisiko nicht ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3<br />

Terminankündigung<br />

26 01/09<br />

VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass er etwaige eigene<br />

außergerichtliche Kostenselbst tragen muss. Die Festsetzung<br />

des Streitwertes richtet sich nach § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 3<br />

Nr. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kammer hat im Hinblick<br />

auf die Vorläufigkeit des Begehrens in Übereinstimmung<br />

mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das<br />

Land Nordrhein-Westfalen den halben Auffangwert angesetzt.<br />

Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht <strong>und</strong> der Deutsche Arbeitsgerichtsverband e. V. veranstalten<br />

im Mai 2009 ein Europarechtliches Symposion.<br />

Themen <strong>und</strong> Referenten:<br />

14. Mai 2009<br />

Grußwort<br />

Olaf Scholz, B<strong>und</strong>esminister für Arbeit <strong>und</strong> Soziales<br />

Kollektives Arbeitsrecht in Europa – Überblick über das Arbeitskampfrecht<br />

<strong>und</strong> das Tarifsystem der Mitgliedsstaaten<br />

Prof. Dr. Abbo Junker, Universität München<br />

Nationale Koalitionsfreiheit vs. europäische Gr<strong>und</strong>freiheiten<br />

– aus deutscher Sicht:<br />

Dr. Bertram Zwanziger, Richter am B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

– aus schwedischer Sicht:<br />

Michael Koch, Präsident National Labour Court, Stockholm<br />

Das Verhältnis der Gr<strong>und</strong>freiheiten zu den Gemeinschaftsgr<strong>und</strong>rechten<br />

Prof. Dr. Skouris, Präsident des Gerichtshofes der Europäischen<br />

Gemeinschaften<br />

15. Mai 2009<br />

Inhaltsverzeichnis der Entscheidungen<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Seite<br />

1. Abwerbung, unlauterer Wettbewerb, zulässige<br />

<strong>und</strong> unzulässige Abwerbungsversuche, Passivlegitimation<br />

eines Angestellten des Wettbewerbers 30<br />

2. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Passivlegitimation<br />

eines Vermittlers für Geltendmachung<br />

eines Entschädigungsanspruchs 31<br />

3. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, geschlechtsbezogene<br />

Benachteiligung 31<br />

Aktuelle Tendenzen in der europäischen Rechtsentwicklung<br />

zum Individualarbeitsrecht<br />

– aus deutscher Sicht:<br />

Prof. Dr. Monika Schlachter, Universität Trier<br />

– aus europäischer Sicht:<br />

Prof. Dr. Ulrich Runggaldier, Universität Wien<br />

Alle Informationen sowie die Möglichkeit zur Online-Anmeldung<br />

finden Sie unter www.bag-symposion.de <strong>und</strong><br />

www.b<strong>und</strong>esarbeitsgericht.de.<br />

Seite<br />

4. Altersteilzeit, Berechnung des Aufstockungsbetrages,<br />

Einbeziehung einer Tantiemeforderung in<br />

das Regelarbeitsentgelt?; Gleichbehandlungsanspruch<br />

für eine persönliche Zulage 31<br />

5. Annahmeverzug, Anrechnung von Zwischenverdienst<br />

32<br />

6. Annahmeverzug, Prozessvergleich, keine Anrechung<br />

anderweitig erzielten Verdienstes bei<br />

widerruflicher Freistellung des Arbeitnehmers 32<br />

AE200901.PDF 26 17.02.2009 12:08:05


Seite<br />

7. Arbeitnehmerhaftung, deklatorisches Schuldanerkenntnis<br />

32<br />

8. Arbeitnehmerhaftung, Organhaftung, Aufwendungen<br />

des Geschädigten, Buchhaltungsfehler,<br />

Haftung 32<br />

9. Arbeitnehmerstatus, Redakteur, Auslegung eines<br />

Urteilstenors 33<br />

10. Arbeitnehmerstatus, Beendigung einer Organstellung,<br />

Vereinbarung gegen § 84 Abs. 1 AktG, Vertretungsfunktion<br />

des Aufsichtsrats 33<br />

11. Arbeitnehmerstatus, (keine) Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes<br />

auf eine Tätigkeit im Rahmen<br />

eines freiwilligen sozialen Jahres 33<br />

12. Arbeitsvertrag, Übernahme einer vom Direktionsrecht<br />

nicht umfassten Tätigkeit führt zur Änderung<br />

des Vertragsinhalts 34<br />

13. Arbeitsunfall, Schmerzensgeld, Haftungsausschluss,<br />

Minijobber 15<br />

14. Altersaufhebungsvertrag, Anfechtung wegen Drohung,<br />

Verspätung des Vorbringens in der Berufungsinstanz,<br />

verspätetes Beweisangebot 15<br />

15. Aufhebungsvertrag, Täuschung, Schadenersatzanspruch<br />

gegen den Insolvenzverwalter 36<br />

16. Betriebliche Altersversorgung, Versorgungszusage,<br />

Unverfallbarkeit 36<br />

17. Betriebliche Altersversorgung, Versorgungszusage,<br />

mehrere Beschäftigungsverhältnisse 37<br />

18. Betriebliche Altersversorgung, VBL, Berechnung<br />

der Startguthaben für rentenferne Jahrgänge,<br />

Feststellungsinteresse trotz Ende der Versicherungszugehörigkeit<br />

37<br />

19. Betriebliche Übung, gegenläufige 39<br />

20. Direktionsrecht, Versetzung, einstweilige Verfügung,<br />

Ges<strong>und</strong>heitsgefahr, Kinderbetreuung,<br />

örtliche Zuständigkeit 40<br />

21. Direktionsrecht, einstweilige Verfügung gegen zugewiesenen<br />

Arbeitsplatz 40<br />

22. Direktionsrecht, Personalgespräche, Anspruch auf<br />

Unterlassung, einstweilige Verfügung 41<br />

23. Geldbußen, Erstattung durch Arbeitgeber bei<br />

Verstößen eines Lkw-Fahrers gegen Verkehrsvorschriften<br />

42<br />

24. Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz, Zielvereinbarung,<br />

Stichtagsregelung, Betriebstreue 42<br />

Inhalt: Entscheidungen<br />

Seite<br />

25. Mutterschutzlohn oder Entgeltfortzahlung, auch<br />

eine „unerwünschte“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung<br />

führt (nur) zur Entgeltfortzahlung 43<br />

26. Überst<strong>und</strong>en, Vergütungsanspruch, Darlegungs<strong>und</strong><br />

Beweislast, Bedeutung des Verhaltens des<br />

Arbeitgebers, unwirksame Berufung auf eine<br />

Ausschlussfrist 44<br />

27. Vergütung, betriebliche Übung, gegenläufige,<br />

Sonderzahlung 45<br />

28. Vergütung, Schuldanerkenntnis, deklatorisches 45<br />

29. Zeugnis, Vergleich, Entwurfsrecht des Arbeitnehmers,<br />

Bindungswirkung 45<br />

30. Zeugnisinhalt, Bindung an vereinbarten Inhalt, soweit<br />

nichts anderes vorbehalten 45<br />

Bestandsschutz<br />

31. Änderungskündigung, Bestimmtheitserfordernis 46<br />

32. Arbeitsvertrag, Anfechtung wegen Verschweigen<br />

der Schwerbehinderteneigenschaft, unzulässige<br />

Frage nach AGG? 47<br />

33. Befristung des Arbeitsvertrages, Sachgr<strong>und</strong>, mittelbare<br />

Vertretung 48<br />

34. Befristung, Vertretung, Inkongruenz von Sachgr<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Vertragsdauer 48<br />

35. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Hochschulrecht,<br />

Facharztausbildung 48<br />

36. Befristung des Arbeitsvertrages, gerichtlicher Vergleich,<br />

Treu <strong>und</strong> Glauben 48<br />

37. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Schriftformerfordernis,<br />

Anforderungen an eine Unterschrift 49<br />

38. Beschäftigung als Rabbiner nach einer fristlosen<br />

Kündigung im Wege der einstweiligen Verfügung 49<br />

39. Beschäftigungsanspruch in der Kündigungsfrist,<br />

einstweilige Verfügung, Verbindung mit Beschäftigungsanspruch<br />

nach § 102 Abs. 5 BetrVG für die<br />

Dauer des Kündigungsrechtsstreits, Unzulässigkeit<br />

vertraglicher Freistellungsklauseln 49<br />

40. Betriebsübergang, Unterrichtung über die Haftungsverteilung<br />

nach § 613a Abs. 2 BGB, Ausübung<br />

des Widerspruchsrechts 51<br />

41. Betriebsbedingte Kündigung, Interessenausgleich<br />

mit Namensliste, Auskunftspflichten zu den Gründen<br />

der Sozialauswahl 51<br />

42. Betriebsbedingte Kündigung, konkurrierende<br />

Sonderkündigungsschutzrechte/tarifliche Unkündbarkeiten<br />

51<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 27 17.02.2009 12:08:06<br />

27


Inhalt: Entscheidungen<br />

Seite<br />

43. Betriebsbedingte Kündigung, Darlegung der unternehmerischen<br />

Entscheidung 53<br />

44. Betriebsbedingte Kündigung in einer Werkstatt<br />

für Behinderte 53<br />

45. Betriebsbedingte Kündigung, Betriebsübergang<br />

bei Neuvergabe von Rettungsdienstaufträgen 53<br />

46. Betriebsbedingte Kündigung, Austauschkündigung,<br />

Aufgabenverlagerung 53<br />

47. Betriebsbedingte Kündigung, soziale Auswahl bei<br />

freier höherwertiger Stelle 53<br />

48. Bühnenschiedsgerichtsbarkeit, Nichtverlängerungsanzeige,<br />

Aufhebungsklage, künstlerische<br />

Tätigkeit, Gewandmeisterin, Ausforschungsbeweisantrag<br />

53<br />

49. Krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung<br />

mit sozialer Auslauffrist 54<br />

50. Krankheitsbedingte Kündigung ohne betriebliches<br />

Eingliederungsmanagement 54<br />

51. Kündigung, Rechtsbedingung, Weiterbeschäftigung,<br />

einstweilige Verfügung, wirtschaftliche<br />

Notlage 55<br />

52. Kündigung, Treu <strong>und</strong> Glauben, Ehegattenarbeitsverhältnis<br />

56<br />

53. Kündigungserklärung, Zurückweisung nach § 174<br />

BGB 56<br />

54. Kündigungsfrist, Altersdiskriminierung durch<br />

Nichtanrechnung der Beschäftigungszeiten vor<br />

dem 25. Lebensjahr 56<br />

55. Kündigungsschutzgesetz, Anwendbarkeit bei Vertragsunterbrechungen,<br />

Probezeitvereinbarung,<br />

treuwidrige Kündigung 57<br />

56. Kündigungsschutzklage, nachträgliche Zulassung,<br />

Ausgangskontrolle Rechtsanwalt 58<br />

57. Kündigungsschutzklage, nachträgliche Zulassung,<br />

Unkenntnis von Klagefrist, Erkrankung im Ausland 58<br />

58. Kündigungsschutzklage, nachträgliche Zulassung<br />

wegen Täuschung durch den Arbeitgeber 59<br />

59. Sonderkündigungsschutz, Restitutionsklage, Restitutionsgr<strong>und</strong>,<br />

Anerkennung als Schwerbehinderter,<br />

Verwaltungsakt, Verwaltungsbehörde,<br />

Vorfrist, Negativtest, Aussetzung des Kündigungsschutzverfahrens<br />

59<br />

60. Verhaltensbedingte Kündigung eines Busfahrers<br />

wegen Verstoß gegen Alkoholverbot 59<br />

61. Verhaltensbedingte Kündigung, Diebstahl, fehlerhafte<br />

Ware 59<br />

28 01/09<br />

Seite<br />

62. Verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung<br />

wegen verspäteteter Krankmeldung 59<br />

63. Verhaltensbedingte Kündigung, Servicekraft, Bonierungsvorschriften<br />

59<br />

64. Verhaltensbedingte (Verdachts-)Kündigung, dringender<br />

Verdacht, Erklärungspflicht des Arbeitnehmers,<br />

§ 626 II <strong>und</strong> Ermittlungsrecht des Arbeitgebers<br />

60<br />

65. Verhaltensbedingte Kündigung, Arbeitsverweigerung<br />

aus Gewissensgründen (Religion) 61<br />

66. Verhaltensbedingte Kündigung, sexuelle Belästigung,<br />

schwerer oder weniger schwerer Unwertgehalt<br />

63<br />

67. Verhaltensbedingte Kündigung, Verdachtskündigung,<br />

Anhörung § 626 II BGB 65<br />

Betriebsverfassungs-/Personalvertretungsrecht<br />

68. Arbeitgebervertreter, Ablehnung der Person<br />

durch den Betriebsrat 65<br />

69. Beschlussverfahren, Behandlung nach Recht <strong>und</strong><br />

Billigkeit, Durchsetzungsanspruch des Betriebsrates,<br />

Rechtsschutzbedürfnis 67<br />

70. Betriebsratsschulung, Schulung kommunikativer<br />

Fähigkeiten 67<br />

71. Betriebsratstätigkeit, Reisezeit, Vergütung, Freizeitausgleich<br />

67<br />

72. Betriebsratswahl, Anfechtung, gemeinsamer Betrieb<br />

68<br />

73. Sozialplanabfindung, Auslegung von Interessenausgleich<br />

<strong>und</strong> Sozialplan 68<br />

74. Sozialplan, Kappungsgrenze, Altersdiskriminierung<br />

68<br />

Tarifrecht<br />

75. BAT, Sonderzahlung, Rückzahlungspflicht aufgehoben<br />

68<br />

76. Bühnenschiedsgerichtsbarkeit, Befristung, Schriftform<br />

69<br />

77. Eingruppierung, Auslegung von Eingruppierungsrichtlinien<br />

69<br />

78. Eingruppierung, Energieelektroniker, Entgeltrahmen-Abkommen<br />

für die Metall- <strong>und</strong> Elektroindustrie<br />

Rheinland-Pfalz (ERA) vom 06.07.2004 69<br />

79. Eingruppierung ERA NRW, „Können“ liegt nur bei<br />

Nachweis standardisierter Ausbildungsgänge vor,<br />

zum Nachweis von Selbstständigkeit <strong>und</strong> Abstimmungsprozessen<br />

69<br />

AE200901.PDF 28 17.02.2009 12:08:06


Seite<br />

80. Einzelhandel, Auslegung des Tarifbegriffes „Urlaubszeiten“<br />

71<br />

81. Öffnungsklausel für Betriebsvereinbarung, Einigungsstelle,<br />

offensichtlich unzuständig, Zusatzurlaub,<br />

Nachtarbeit 71<br />

82. Orchestermusiker, Auslegung des § 12 Abs. 2 S. 1<br />

TVK – Zur Durchführung der Instandsetzung erforderliche<br />

Fahrtkosten, also vom Arbeitgeber zu<br />

erstattende „Instandsetzungskosten“ 71<br />

83. Kirchliches Arbeitsrecht, Rechtskontrolle, Angemessenheitskontrolle<br />

<strong>und</strong> Inhaltskontrolle von<br />

AVR, Eingruppierung <strong>und</strong> Übergangsregelung<br />

nach der Einführung gliedkirchlich-diakonischer<br />

Arbeitsvertragsrichtlinien 72<br />

84. (Gewillkürte) Tarifpluralität, Spartentarifvertrag<br />

Nahverkehr NW <strong>und</strong> TV Versorgungsbetriebe 74<br />

85. Tarifvertragsbindung, Betriebsübergang, Kündigungsrecht<br />

nach Transformation 75<br />

Sonstiges<br />

86. Anhörungsrüge gegen LAG-Urteil 75<br />

87. Arbeitnehmerüberlassung, Verstoß gegen Schriftformerfordernis,<br />

zur Haftung des Verleihers bei<br />

Schlechtleistung des Leiharbeitnehmers, Entreicherung<br />

76<br />

88. Berufung, Verwerfung als unzulässig bei Säumnis<br />

in der mündlichen Verhandlung 77<br />

89. Brutto- <strong>und</strong> Nettoentgeltforderungen 77<br />

90. Elterngeld, Bemessung nach § 2 Abs. 1 Satz 1<br />

BEEG, Modifizierung des Zuflussprinzips, Steuerklassenwechsel<br />

77<br />

91. Kostenerstattung Anwaltskosten, unzuständiges<br />

Gericht 78<br />

92. Kostenfestsetzung, außergebührenrechtlicher Einwand<br />

78<br />

93. Kostenfestsetzungsbeschluss, Kostengr<strong>und</strong>entscheidung,<br />

Urteilsberichtigung 78<br />

94. Kostenfestsetzung, Ratenzahlungsvereinbarung 78<br />

95. Kostenprivilegierung, Beendigung des Verfahrens,<br />

Ruhen, Erledigung 79<br />

96. Kündigungsschutzklage, Aussetzung, vorgreiflicher<br />

Rechtsstreit 79<br />

97. (Kein) Ordnungsgeld gegen Partei, wenn Entschuldigung<br />

des Nichterscheinens nicht zu vertreten ist 79<br />

Inhalt: Entscheidungen<br />

Seite<br />

98. Örtliche Zuständigkeit, Verweisungsbeschluss,<br />

Bindungswirkung, „greifbare Gesetzwidrigkeit“,<br />

Außendienstmitarbeiter, rechtliches Gehör 79<br />

99. Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, maßgeblicher<br />

Zeitpunkt 79<br />

100. Prozesskostenhilfe, Hinweispflicht, Zustellung einer<br />

fristgeb<strong>und</strong>enen Auflage 79<br />

101. Prozesskostenhilfe, Insolvenz 80<br />

102. Prozesskostenhilfe, Erwerbstätigenfreibetrag auch<br />

für Einkünfte unterhalts-berechtigter Personen 80<br />

103. Prozesskostenhilfe, Abfindung als Vermögen, aktuelle<br />

Höhe des Schonvermögens 80<br />

104. Prozesskostenhilfe, Beiordnung eines auswärtigen<br />

Rechtsanwalts, Reisekosten, Beschwerderecht für<br />

weitergehende Antragstellung 81<br />

105. Rechtsweg; Arbeitsgerichtsbarkeit; vermögenswirksame<br />

Leistung; Rückzahlung 82<br />

106. Rechtsweg, Zusammenhangsklage 82<br />

107. Rechtsschutzversicherung, Eintrittspflicht bei Kündigungsandrohung<br />

des Arbeitgebers 82<br />

108. Sachverständiger, Ablehnung, Rechtsmittel 83<br />

109. Schwerbehindertenvertreter, Erstattung von<br />

Schulungs- <strong>und</strong> Reisekosten, Verfahrensart, Vorabentscheidung<br />

muss ausdrücklich gefordert<br />

werden 83<br />

110. Sozialversicherungspflicht bei Urlaubsgewährung<br />

während widerruflicher Freistellung 85<br />

111. Verfrühungsschaden bei zeitlich befristeter Unkündbarkeit<br />

86<br />

112. Zwangsvollstreckung, Einstellung, unersetzlicher<br />

Nachteil, Weiterbeschäftigungspflicht 87<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

113. Streitwert, Änderungskündigung bei Annahme<br />

unter Vorbehalt; wiederkehrende Leistung bei<br />

Abhängigkeit von Änderungskündigung 88<br />

114. Streitwert bei Herausgabe eines Leasing-Fahrzeuges<br />

88<br />

115. Streitwert, nachvertragliches Wettbewerbsverbot 88<br />

116. Streitwert bei mehreren streitigen Beendigungstatbeständen<br />

(hier: auflösende Bedingung <strong>und</strong><br />

Maximalbefristung) 89<br />

117. Streitwert, Vergleichsmehrwert, Sozialplanabfindung<br />

89<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 29 17.02.2009 12:08:06<br />

29


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Seite<br />

118. Streitwert, Beschlussverfahren, Feststellung Gemeinschaftsbetrieb<br />

89<br />

119. Streitwert, Beschlussverfahren, Zustimmungsersetzungsverfahren,<br />

Eingruppierung 89<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

1. Abwerbung, unlauterer Wettbewerb, zulässige <strong>und</strong> unzulässige<br />

Abwerbungsversuche, Passivlegitimation eines<br />

Angestellten des Wettbewerbers<br />

Zum Sachverhalt:<br />

Die Verfügungsklägerin ist die frühere Arbeitgeberin des Verfügungsbeklagten.<br />

Ein Konkurrenzverbot ist nicht vereinbart.<br />

Der Verfügungsbeklagte ist bei einem Konkurrenzunternehmen<br />

der Verfügungsklägerin tätig. Er sprach einen früheren<br />

<strong>Kollegen</strong> wegen einer Tätigkeit bei seiner neuen Firma an,<br />

vertrauend auf sein Recht zum Wettbewerb. Die frühere Arbeitgeberin<br />

nahm dies zum Anlass, ihn auf Unterlassung von<br />

Abwerbungsversuchen in Anspruch zu nehmen.<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

1. Der erstgenannte Antrag der Verfügungsklägerin auf Untersagung<br />

von Anrufen auf deren Dienst- oder Dienstmobiltelefonen<br />

zum Zwecke der Abwerbung ist unbegründet, da die<br />

vom Verfügungsbeklagten getätigten Anrufe beim Zeugen A<br />

nicht über eine erste kurze Kontaktaufnahme hinausgegangen<br />

sind <strong>und</strong> sich daher zumindest unter diesem Gesichtspunkt<br />

nicht als wettbewerbswidrig im Sinne der §§ 3, 4 Nr. 10<br />

UWG darstellen.<br />

a) Nach den zu dieser Problematik ergangenen gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Entscheidungen des B<strong>und</strong>esgerichtshofes vom<br />

04.03.2004 (I ZR 221/01 = NJW 2004, 2080 ff.) <strong>und</strong> vom<br />

09.02.2006 (I ZR 73/02 = NJW 2006, 1665 ff.) ist nicht jeder<br />

Abwerbungsversuch von Mitarbeitern eines Wettbewerbers<br />

an dessen Arbeitsplatz als wettbewerbswidrig einzustufen.<br />

Vielmehr liegt ein Wettbewerbsverstoß nur dann vor, wenn<br />

der Anruf über eine erste kurze Kontaktaufnahme hinausgeht.<br />

Dies ergibt sich aus der Interessenabwägung des abwerbenden<br />

Unternehmens einerseits sowie des betroffenen<br />

Mitarbeiters <strong>und</strong> seines Arbeitgebers andererseits. Die zulässige<br />

Kontaktaufnahme muss sich auf das dazu Notwendige<br />

beschränken, wobei auf eine bestimmte Dauer des Gesprächs<br />

nicht abgestellt werden kann. Im Rahmen der ersten Kontaktaufnahme<br />

hält sich eine kurze Vorstellung des Abwerbenden<br />

bzw. seines Unternehmens, die Darstellung des Zwecks<br />

des Anrufes <strong>und</strong> die Feststellung, ob der Angerufene an<br />

einer Kontaktaufnahme als solcher <strong>und</strong> zu diesem Zeitpunkt<br />

Interesse hat.<br />

... die drei Telefonate (erschöpften sich) ihrem Inhalt nach<br />

30 01/09<br />

Seite<br />

120. Streitwert, Beschlussverfahren, Aufhebung von<br />

personellen Einzelmaßnahmen <strong>und</strong> Feststellung<br />

deren Rechtswidrigkeit 89<br />

121. Streitwert eines Verfahrens gem. §§ 22, 13 Abs. 2<br />

Ziff. 3 BetrVG 89<br />

darin, dass der Verfügungsbeklagte mit dem Zeugen A <strong>und</strong><br />

dem Mitarbeiter B einen Termin vereinbaren wollte, wobei<br />

im Laufe der Gespräche klar wurde, dass es um das Angebot<br />

einer neuen Arbeitsstelle ging. Dies sowie die hierbei<br />

erteilte Information über die angebliche Fortführung der Wartungsarbeiten<br />

bei der Firma F. ab dem 01.01.2009 durch ein<br />

anderes Unternehmen, hielt sich im Rahmen eines üblichen,<br />

ersten kurzen Kontaktgespräches, wodurch der Zeuge A nicht<br />

in unangemessener Weise in seiner Arbeitstätigkeit für die<br />

Verfügungsklägerin gestört bzw. behindert worden ist.<br />

2. Dagegen steht der Verfügungsklägerin gemäß §§ 3, 4<br />

Nr. 10, 8 Abs. 1 UWG ein Anspruch gegen den Verfügungsbeklagten<br />

auf Unterlassung künftiger Abwerbungsversuche<br />

mittels unwahrer, täuschender bzw. irreführender Angaben<br />

zu.<br />

a) Irreführende Angaben bei der Anwerbung, die geeignet<br />

sind, die Entscheidung des Beschäftigten zu beeinflussen,<br />

sind unlauter im Sinne des § 3 UWG (vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkamm,<br />

UWG, 26. AufI., § 4 Rn 10.108b). Die<br />

Verfügungsklägerin hat glaubhaft gemacht, dass der Verfügungsbeklagte<br />

im Rahmen des dritten Telefonats gegenüber<br />

dem Zeugen A wahrheitswidrig sinngemäß erklärt hat, er<br />

habe ab dem 01.01.2009 das Unternehmen F. unter sich bzw.<br />

er werde ab dem 01.01.2009 die Wartungsarbeiten bei der<br />

Firma F. durchführen. ...<br />

c) Hierbei handelt es sich um eine unwahre Angabe, die<br />

geeignet gewesen ist, den Zeugen A in seiner Entscheidung<br />

zum Wechsel des Arbeitgebers zu beeinflussen. Es lag auf der<br />

Hand, dass der Zeuge interessiert sein konnte, seinen Arbeitsplatz<br />

an der Einsatzstelle zu behalten. Dies wäre nicht möglich<br />

gewesen, wenn die Wartungs- <strong>und</strong> Störungsbeseitigungsarbeiten<br />

im Unternehmen der Firma F. von der Verfügungsklägerin<br />

auf ein anderes Unternehmen übergegangen wären.<br />

Der Verfügungsbeklagte ist auch passivlegitimiert.<br />

Dabei ist von seinem unwiderlegten Vortrag auszugehen, er<br />

habe nicht als Inhaber eines eigenen Unternehmens, sondern<br />

für seinen neuen Arbeitgeber Firma ... gehandelt. Etwas anderes<br />

konnte auch nicht der Zeuge A bek<strong>und</strong>en, der erklärt<br />

hat, der Verfügungsbeklagte habe ihm gegenüber erwähnt, er<br />

gehe jetzt da <strong>und</strong> dorthin, wobei er den Namen einer Firma<br />

genannt habe. Der Zeuge meinte heraus zu hören, dass der<br />

Verfügungsbeklagte als Arbeitnehmer zu einer anderen Firma<br />

gewechselt sei.<br />

Gleichwohl ist der gegen den Verfügungsbeklagten gerich-<br />

AE200901.PDF 30 17.02.2009 12:08:06


tete Anspruch begründet. Der von ihm unternommene Abwerbungsversuch<br />

stellt eine Wettbewerbshandlung im Sinne<br />

des § 3 UWG dar, da nach der gesetzlichen Definition des § 2<br />

Abs. 1 Nr. 1 UWG hierunter jede Handlung einer Person mit<br />

dem Ziel zu verstehen ist, zugunsten des eigenen oder eines<br />

fremden Unternehmens den Absatz oder den Bezug von Waren<br />

oder die Erbringung oder den Bezug von Dienstleistungen,<br />

einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte <strong>und</strong> Verpflichtungen<br />

zu fördern. Soweit der spezielle Beispielstatbestand<br />

des § 4 Nr. 10 UWG auf die Eigenschaft als „Mitbewerber“<br />

abstellt, kommt es aufgr<strong>und</strong> der Zurechnungsnorm des § 8<br />

Abs. 2 UWG hinsichtlich der Wettbewerbereigenschaft nicht<br />

auf die Person des Mitarbeiters, sondern auf das ihn beschäftigende<br />

Unternehmen an.<br />

■ Landgericht Heilbronn<br />

vom 18. Dezember 2008, 8 O. 385/08 St.<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Bernd M. Heinemann, Bonner<br />

Straße 158-160, 53757 Sankt Augustin, Tel.: 02241/21012,<br />

Fax: 02241/21568<br />

kontakt@heinemann-<strong>und</strong>-coll.de;<br />

www.heinemann-<strong>und</strong>-coll.de<br />

2. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Passivlegitimation<br />

eines Vermittlers für Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs<br />

1. Schuldner des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2<br />

Satu 1 AGG ist ausschließlich der potentielle Arbeitgeber des<br />

Bewerbers für die ausgeschriebene Stelle.<br />

2. Dieser Anspruch kann zur Wahrung der zweimonatigen<br />

Ausschlussfrist gemäß § 15 Abs. 4 Satz1 AGG nur gegenüber<br />

dem potentiellen Arbeitgeber selbst oder einem von ihm bevollmächtigten<br />

Vertreter (§ 164 Abs. 1 BGB i.V.m. § 164 Abs. 3<br />

BGB) geltend gemacht werden.<br />

3. Der Berufung auf den Ablauf der Ausschlussfrist des § 15<br />

Abs. 4 Satz 1 AGG kann im Einzelfall das Treu- <strong>und</strong> Glauben-<br />

Gebot (§ 242 BGB) entgegenstehen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 14. Februar 2008, 11 Sa 1939/07, Rev. zugel.<br />

3. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, geschlechtsbezogene<br />

Benachteiligung<br />

Eine zum Schadensersatz verpflichtende Benachteiligung wegen<br />

des Geschlechts liegt nicht vor, wenn die Stelle einer<br />

Erzieherin in einem Mädcheninternat nur für eine Frau ausgeschrieben<br />

<strong>und</strong> besetzt wird, wenn ein nicht unerheblicher<br />

Teil der Arbeitszeit mit Nachtdienst (25%) belegt ist, bei dem<br />

auch die Schlafräume, Waschräume <strong>und</strong> Toiletten der Internatsschülerinnen<br />

betreten werden müssen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 20. März 2008, 2 Sa 51/08<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

4. Altersteilzeit, Berechnung des Aufstockungsbetrages,<br />

Einbeziehung einer Tantiemeforderung in das Regelarbeitsentgelt?;<br />

Gleichbehandlungsanspruch für eine persönliche<br />

Zulage<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten über die Verpflichtung zur Zahlung eines<br />

Aufstockungsbetrages während der Aktivphase der Altersteilzeit<br />

sowie zur Zahlung einer weiteren Tantieme.<br />

Der Kläger hat seit dem Jahr 1984 ... Anspruch auf Zahlung<br />

einer Jahrestantieme, die rückwirkend für das jeweils abgelaufene<br />

Kalenderjahr gezahlt wird. ...<br />

Mit seiner .. Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Beklagte<br />

habe es rechtswidrig unterlassen, bei der Tantiemezahlung<br />

den Aufstockungsbetrag zu berücksichtigen. Es handele<br />

sich hierbei um eine variable Vergütung. Diese sei nach<br />

§ 5 Abs. 1 des Tarifvertrages über Altersteilzeit auch während<br />

der Altersteilzeit zu zahlen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> schulde die<br />

Beklagte auch die Zahlung des Aufstockungsbetrages nach<br />

§ 5 Abs. 1 TVG für diese Tantiemenzahlung. ... Hinsichtlich<br />

der zusätzlichen Tantieme für persönliche Leistungen hat der<br />

Kläger angeführt, es seien allen Abteilungsleitern der Niederlassung<br />

Nürnberg solche Sonderzahlungen gewährt worden.<br />

Diese seien von der Erfüllung der Zielvereinbarungen abhängig.<br />

Er selbst habe seine Zielvorgaben wie in den Vorjahren<br />

erfüllt. Es sei unzulässig, ihn von der persönlichen Zulage auszunehmen;<br />

auch ihm ständen daher weitere 10% als persönliche<br />

Zulage zu. Auch auf diesen zusätzlichen Tantiemebetrag<br />

müsse die Beklagte den Aufstockungsbetrag von 30% zahlen.<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

II. ... 1. Zutreffend hat das Arbeitsgericht den Anspruch des<br />

Klägers auf Zahlung der eingeklagten Aufstockungsbeträge<br />

verneint.<br />

a. Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich ein Anspruch<br />

auf diese Zahlung nicht aus der zwischen den Parteien<br />

abgeschlossenen Altersteilzeitvereinbarung. Dort ist in § 3<br />

Ziff. 1 ausdrücklich festgehalten, dass der Kläger für die Dauer<br />

der Altersteilzeit „die Hälfte seines bisherigen Bruttoarbeitsentgelts,<br />

insgesamt also € 2.779,00 brutto/Monat, sowie<br />

die Hälfte der vermögenswirksamen Leistungen“ erhalten<br />

solle. In § 3 Ziff. 2 ist angeführt, dass er „zusätzlich eine<br />

Netto-Aufstockungszahlung in Höhe von 30% des unter<br />

der Ziffer 1 genannten Arbeitsentgelts“ erhalte. In § 3 Ziff. 3<br />

ist dann aufgeführt, dass während der passiven Phase der<br />

Altersteilzeit kein Anspruch auf Jahrestantieme erwachse.<br />

Die Kammer kann nicht erkennen, inwieweit diese Regelung<br />

Unklarheiten enthalten soll. Die Vereinbarung sieht mit der<br />

Formulierung „des unter der Ziffer 1 genannten Arbeitsentgelts“<br />

eindeutig vor, dass nur hierfür, also auf den Betrag<br />

von 2.779,00 € brutto, Aufstockungszahlungen geleistet<br />

würden. Die Jahrestantieme ist in diesem Betrag gerade<br />

nicht enthalten. Die Vereinbarung könnte tarifwidrig oder<br />

gesetzeswidrig sein – unklar ist sie jedoch nicht.<br />

AE200901.PDF 31 17.02.2009 12:08:06<br />

31


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

b. Die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung verstößt<br />

nicht gegen gesetzliche Bestimmungen. Das Altersteilzeitgesetz<br />

sieht Aufstockungsbeträge in Höhe von 20% auf<br />

das „Regelarbeitsentgelt“ vor (§ 3 Abs. 1 Nr. 1a) ATG). Diese<br />

Aufstockung kann „auch weitere Entgeltbestandteile umfassen“.<br />

Schon diese Regelung zeigt in klarer Weise, dass eine<br />

gesetzliche Pflicht zur Aufstockung von zusätzlichen Entgeltbestandteilen<br />

außerhalb des „Regelarbeitsentgelts“ nicht besteht.<br />

Dieses „Regelarbeitsentgelt“ wird in § 6 Abs. 1 S. 1 ATG<br />

definiert als „das auf einen Monat entfallende vom Arbeitgeber<br />

regelmäßig zu zahlende sozialversicherungspflichtige<br />

Arbeitsentgelt“. ...<br />

c. Die Verpflichtung zur Aufstockung der Tantieme besteht<br />

auch nicht wegen insoweit zwingender tariflicher Vorschriften.<br />

Dies gilt selbst dann, wenn man – hypothetisch unterstellt<br />

– der Auffassung des Klägers folgen würde, die zwischen<br />

den Arbeitsvertragsparteien getroffene Vereinbarung<br />

über die Altersteilzeit müsse sich am Altersteilzeitabkommen<br />

messen lassen. Dort ist in § 5 Abs. 1 zunächst festgehalten,<br />

dass der Arbeitnehmer die Hälfte seines bisherigen Bruttoarbeitsentgelts<br />

erhalte, welches er für eine Arbeitsleistung bei<br />

bisheriger wöchentlicher Arbeitszeit zu beanspruchen hätte.<br />

Zwar ist dort auch geregelt, dass dieses Entgelt „einschließlich<br />

aller Zulagen“, zu denen, wie die Berechnungsvorschrift zeigt,<br />

auch „variable Entgeltbestandteile“ zählen, umfasst. Andererseits<br />

haben es die Tarifparteien für notwendig erachtet, für<br />

die tariflichen Sonderzahlungen des § 3 Ziff. 3 MTV <strong>und</strong> des<br />

§ 13 Ziff. 9 MTV eine eigenständige Regelung treffen zu müssen.<br />

Diese Sonderzahlungen unterfallen damit nicht dem Begriff<br />

der „Zulagen“ oder der „variablen Entgeltbestandteile“ im<br />

Sinne von § 5 Abs. 1 des Altersteilzeitabkommens.. Wäre dies<br />

anders, hätte es dieser Sonderregelung nicht bedurft. ...<br />

3. Anspruch hat der Kläger allerdings auf Zahlung des eingeklagten<br />

Betrages der persönlichen Sonderzuwendung. Dieser<br />

Anspruch besteht aus Gründen der Gleichbehandlung. Der<br />

Kläger hat in der Berufung klargestellt, dass sein Vorbringen<br />

dahingehend zu verstehen sei, dass die anderen Abteilungsleiter<br />

in der Niederlassung sämtlich einen persönlichen<br />

Zuschlag von 10% der Erfolgstantieme erhalten hätten. Die<br />

Beklagte hat dem nicht widersprochen. Sie hat auch keine<br />

nachvollziehbaren Gründe dargelegt, warum eine Differenzierung<br />

zu Ungunsten des Klägers erfolgt sei. Ihre Einwendungen,<br />

im Bereich einer Sondervergütung von nur etwa 1%<br />

des Jahresentgeltes bestehe ein nicht am Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz<br />

zu messendes Ermessen des Arbeitgebers, findet im<br />

Gesetz keine Gr<strong>und</strong>lage. Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt,<br />

einzelne Arbeitnehmer von Leistungen, die er vergleichbaren<br />

anderen Arbeitnehmern gewährt, auszunehmen außer er<br />

könnte hierfür einen sachlichen Gr<strong>und</strong> geltend machen. Mit<br />

der Zahlung an die anderen Abteilungsleiter hat die Beklagte<br />

ein erkennbares <strong>und</strong> generalisierendes Prinzip aufgestellt. Es<br />

ist ihr ohne Sachgr<strong>und</strong> nicht gestattet, den Kläger von dieser –<br />

im Bereich der Abteilungsleiter generellen – Leistung auszunehmen<br />

(Einzelheiten vgl. Preis, in: Erfurter Kommentar, a.a.O.,<br />

32 01/09<br />

§ 611 BGB Rn 72 ff.; Kania, in: Küttner, a.a.O., „Gleichbehandlung“<br />

Rn 4 ff.). ...<br />

■ Landesarbeitsgericht Nürnberg<br />

vom 13. August 2008, 6 Sa 73/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Prof. Dr. Klaus Neef, Podbielskistraße<br />

33, 30163 Hannover, Tel.: 0511/215 55 63 -33,<br />

Fax: 0511/215 55 63-43<br />

kanzlei@neef-schrader-straube.de;<br />

www.neef-schrader-straube.de<br />

5. Annahmeverzug, Anrechnung von Zwischenverdienst<br />

Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer muss sich im Annahmeverzugszeitraum<br />

nur solchen Zwischenverdienst anrechnen<br />

lassen, der kausal durch das Freiwerden der Arbeitskraft<br />

ermöglicht wurde (im Anschluss an BAG, Urteil vom<br />

06.09.1990 – 2 AZR 165/90).<br />

2. Eine Anrechnung scheidet daher regelmäßig aus, wenn<br />

hinsichtlich Teilzeittätigkeit <strong>und</strong> Zwischenverdiensttätigkeit<br />

keine Kollision der Arbeitszeiten besteht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 10. Dezember 2007, 14 Sa 1148/07<br />

6. Annahmeverzug, Prozessvergleich, keine Anrechung<br />

anderweitig erzielten Verdienstes bei widerruflicher<br />

Freistellung des Arbeitnehmers<br />

Wird in einem Prozessvergleich die widerrufliche Freistellung<br />

des Arbeitnehmers unter Fortzahlung seiner Bezüge bis zum<br />

Ende seines Arbeitsverhältnisses vereinbart, braucht sich der<br />

Arbeitnehmer mangels einer dahingehenden Regelung anderweitig<br />

erzielten Verdienst nicht anrechnen zu lassen, muss<br />

allerdings auf eine unter Beachtung von Treu <strong>und</strong> Glauben<br />

erfolgte Aufforderung des Arbeitgebers seine Tätigkeit bei<br />

diesem wieder aufnehmen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 20. April 2007, 6 Sa 162/07, Revision zugel.<br />

7. Arbeitnehmerhaftung, deklatorisches Schuldanerkenntnis<br />

Ein Arbeitnehmer kann sich durch ein deklaratorisches<br />

Schuldanerkenntnis wirksam verpflichten, die noch offenen<br />

Rechnungsbeträge aus von ihm vermittelten K<strong>und</strong>engeschäften<br />

auszugleichen. Darin liegt keine unzulässige Verschärfung<br />

der Regelungen über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 11. Dezember 2007, 9 Sa 1063/07<br />

8. Arbeitnehmerhaftung, Organhaftung, Aufwendungen<br />

des Geschädigten, Buchhaltungsfehler, Haftung<br />

1. Nimmt eine Angestellte (zumindest bedingt) vorsätzlich<br />

Falschbuchungen vor, ist sie verpflichtet, dem Arbeitgeber die<br />

von diesem aufgewendeten Kosten für die Neuerstellung der<br />

Buchhaltung zu ersetzen.<br />

AE200901.PDF 32 17.02.2009 12:08:06


2. Das zuständige Vorstandsmitglied des Arbeitgebers haftet<br />

gesamtschuldnerisch, wenn der nach § 93 (2) AktG zu<br />

führende Entlastungsbeweis nicht gelingt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 7. März 2008, 9 Sa 652/07<br />

9. Arbeitnehmerstatus, Redakteur, Auslegung eines Urteilstenors<br />

1. Ist in einem Statusprozess entsprechend dem Klageantrag<br />

durch arbeitsgerichtliches Urteil festgestellt worden, dass<br />

ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien besteht, so kann<br />

trotz der gegenwartsbezogenen Formulierung der Tenor dahin<br />

auszulegen sein, dass die Arbeitnehmereigenschaft bereits<br />

ab Beginn des Beschäftigungsverhältnisses bestanden<br />

hat.<br />

2. Soweit die Tätigkeit eines Redakteurs darin besteht, Beiträge<br />

aus dem Archivmaterial der R<strong>und</strong>funk- <strong>und</strong> Fernsehanstalt<br />

zu erstellen <strong>und</strong> neu zu gestalten, vor Ort Beiträge<br />

nach der Konzeption des Redaktionsleiters zu drehen <strong>und</strong> zu<br />

interviewen, die Aufgaben des Redakteurs vom Dienst wahrzunehmen,<br />

die Bildregie im Studio <strong>und</strong> vor Ort zu übernehmen<br />

sowie die Redaktionsleitung zu vertreten, <strong>und</strong> er dabei<br />

inhaltlichen <strong>und</strong> zeitlichen Weisungen unterliegt, ist die Arbeitnehmereigenschaft<br />

zu bejahen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 22. Januar 2008, 9 Sa 1053/07<br />

10. Arbeitnehmerstatus, Beendigung einer Organstellung,<br />

Vereinbarung gegen § 84 Abs. 1 AktG, Vertretungsfunktion<br />

des Aufsichtsrats<br />

1. Wird mit einem Vorstandsmitglied, das vorher nicht in<br />

einem Arbeitsverhältnis zur Aktiengesellschaft stand, im Anstellungsvertrag<br />

vereinbart, dass allgemein für den Fall der<br />

Beendigung der Organstellung dieses Anstellungsverhältnis<br />

unverändert als Arbeitsverhältnis weitergeführt wird, <strong>und</strong> will<br />

das Vorstandsmitglied nunmehr gerichtlich geklärt wissen,<br />

dass ein Arbeitsverhältnis besteht, so ist die Klage gegen<br />

die Aktiengesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat (<strong>und</strong><br />

nicht durch den Vorstand) zu richten.<br />

2. Materiellrechtlich ist eine solche Vertragsgestaltung unwirksam.<br />

Hierdurch wird der Sinn <strong>und</strong> Zweck des § 84 Abs. 1<br />

AktG umgangen.<br />

3. Ob dies auch dann gilt, wenn schon bei Abschluss des<br />

Anstellungsvertrages ein Arbeitsverhältnis bestand oder aufgr<strong>und</strong><br />

einer konkreten Personalplanung des Arbeitgebers ersichtlich<br />

ist, dass bei Beendigung der Organstellung unabhängig<br />

von den Beendi-gungsgründen für das (ehemalige) Vorstandsmitglied<br />

ein geeigneter freier Arbeitsplatz vorhanden<br />

sein wird, kann offen bleiben.<br />

4. Für eine Umgehung des § 84 Abs. 1 AktG spricht hier ferner,<br />

dass der Anstellungsvertrag nach dem Willen der Parteien<br />

unbefristet hätte durchgeführt werden sollen, in den ersten<br />

60 Monaten des Anstellungsverhältnisses das Recht zur or-<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

dentlichen Kündigung nur für die Aktiengesellschaft ausgeschlossen<br />

war <strong>und</strong> die genaue Tätigkeit in einem künftigen<br />

Arbeitsverhältnis unbestimmt blieb.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin<br />

vom 23. April 2004, 15 Sa 193/08, Revision eingelegt zum AZ:<br />

5 AZR 522/08<br />

11. Arbeitnehmerstatus, (keine) Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes<br />

auf eine Tätigkeit im Rahmen eines<br />

freiwilligen sozialen Jahres<br />

Die Klägerin wandte sich vor dem Arbeitsgericht gegen die<br />

Kündigung <strong>und</strong> die Kündigungsfrist ihres Vertrages über die<br />

Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres. Ihr Antrag auf<br />

Prozesskostenhilfe wurde jedoch zurückgewiesen.<br />

Aus den Gründen:<br />

... 2. Die Klägerin hat beantragt festzustellen, dass ein<br />

Arbeitsverhältnis vorliegt (Formulierung wie bei einer Kündigungsschutzklage).<br />

Ein Arbeitsverhältnis liegt jedoch nicht<br />

vor, da die Klägerin im freiwilligen sozialen Jahr (FSJ) beschäftigt<br />

ist. Teilnehmer des FSJ sind mangels eines privatrechtlichen<br />

Vertrags über die Tätigkeit keine Arbeitnehmer<br />

oder Auszubildende i.S.d. BBiG (BAG, 12.02.1992 – 7 ABR<br />

42/91, AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 52). Gem. § 15 Abs. 1 JFDG<br />

(Jugendfreiwilligendienstegesetz) ist auf das Rechtsverhältnis<br />

der Klägerin weiter das FSJG anzuwenden. Hierzu führt das<br />

BAG a.a.O. aus:<br />

„a) Nach § 15 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen<br />

Jahres vom 17. 8. 1964 (BGBl I, S. 640), zuletzt geändert<br />

durch Gesetz vom 18.12.1989 (BGBl I, S. 2261), finden auf eine<br />

Tätigkeit im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres die Arbeitsschutzbestimmungen<br />

<strong>und</strong> das B<strong>und</strong>esurlaubsgesetz Anwendung.<br />

Nach dieser Regelung ist die Tätigkeit im Rahmen<br />

eines freiwilligen sozialen Jahres weder ein Arbeitsverhältnis<br />

noch einem Arbeitsverhältnis völlig gleichgestellt. Vielmehr<br />

handelt es sich um ein Rechtsverhältnis eigener Art, auf das<br />

nicht alle arbeitsrechtlichen Bestimmungen, sondern nur die<br />

ausdrücklich genannten, anzuwenden sind. Diese Aufzählung<br />

ist abschließend.“<br />

Das Fehlen eines Arbeitsverhältnisses ergibt sich auch daraus,<br />

dass das Rechtsverhältnis der Klägerin sich gr<strong>und</strong>sätzlich aus<br />

der Zuweisung in das FSJ ergibt. Die Rechtsbeziehung zu der<br />

Stelle, bei der die Klägerin tätig ist, mag zusätzlich durch<br />

einen Vertrag geregelt werden, dieser ist aber eben kein<br />

Arbeitsvertrag.<br />

3. Auch wenn man den Antrag als Kündigungsschutzantrag<br />

„eigener Art“ auslegt <strong>und</strong> die begehrte Feststellung eines<br />

Arbeitsverhältnisses aus dem Antragswortlaut heraus interpretiert,<br />

hat die Klage keine Aussicht auf Erfolg, denn die<br />

Kündigungsschutzvorschriften, insbesondere das KSchG <strong>und</strong><br />

der vom Klägerinvertreter analog herangezogene § 622 BGB,<br />

finden entgegen der Ansicht des Vertreters der Klägerin keine<br />

Anwendung. Dies ergibt sich schon aus dem Zitat des BAG<br />

(die Ansicht des Klägerinvertreters, dass es zu dieser Frage bis-<br />

AE200901.PDF 33 17.02.2009 12:08:06<br />

33


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

her keine höchstrichterliche Rechtsprechung gebe, widerlegt<br />

bereits die zitierte Entscheidung). Auch die Argumentation<br />

des Klägerinvertreters, die Anwendbarkeit der „Arbeitsschutzbestimmungen“<br />

meine auch die Kündigungsschutzregelungen,<br />

hält einer systematischen Analyse des Gesetzestextes<br />

nicht stand. Denn das Gesetz sieht neben den „Arbeitsschutzbestimmungen“<br />

auch ausdrücklich die Anwendung des BUrIG<br />

vor. Da es sich bei diesem Gesetz völlig eindeutig um ein<br />

Arbeitnehmerschutzgesetz handelt, ergibt der Gegenschluss,<br />

dass die „Arbeitsschutzbestimmungen“ nur solche im engeren<br />

Sinne (also v.a. der technische Arbeitsschutz <strong>und</strong> das ArbZG)<br />

sind. Dafür spricht auch, dass das BUrIG auf arbeitnehmerähnliche<br />

Personen anwendbar ist, § 622 BGB hingegen nicht (mit<br />

Sonderausnahmen im Heimarbeiterrecht, dort aber eigens geregelt).<br />

■ Arbeitsgericht Lübeck<br />

vom 8. September 2008, 6 Ca 2077b/08<br />

Zutreffend hat das Arbeitsgericht Prozesskostenhilfe wegen<br />

fehlender Erfolgsaussicht versagt, § 114 ZPO. Insoweit wird<br />

zur Vermeidung von Wiederholungen auf den angefochtenen<br />

Beschluss sowie den Beschluss vom 08.09.2008 zur Nichtabhilfe<br />

verwiesen.<br />

Ergänzend ist daraufhin zu verweisen, dass das Gesetz<br />

zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJG)<br />

nicht bezweckte, Arbeitsverhältnisse zu regeln. Vielmehr<br />

verfolgt der Freiwilligendienst u.a. das Ziel der Stärkung<br />

der Selbstbestimmung, der Selbstverantwortung <strong>und</strong> des<br />

Selbstbewusstseins junger Menschen. Der Freiwilligendienst<br />

ist ganztägig als überwiegend praktische Hilfstätigkeit in<br />

gemeinwohlorientierten Einrichtungen gestaltet. Dabei erfolgt<br />

eine pädagogische Begleitung. Dies zeigt, dass die<br />

erzieherische Komponente im Vordergr<strong>und</strong> steht. Zwar soll<br />

der/die Freiwillige Hilfstätigkeiten erbringen, jedoch nicht als<br />

Arbeitnehmer.<br />

Die Kündigungsfrist ist auch nicht unangemessen kurz bemessen.<br />

Bei einem Dienstverhältnis kann die Kündigung, wenn<br />

die Vergütung nach Monaten bemessen ist, spätestens am<br />

15. zum Schluss des Kalendermonats ausgesprochen werden.<br />

Diese Frist ist eingehalten.<br />

Das Arbeitsgericht hat daher zu Recht Prozesskostenhilfe wegen<br />

fehlender Erfolgsaussicht versagt. Die Beschwerde ist daher<br />

zurückzuweisen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein<br />

vom 24. September 2008, 2 Ta 163/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Michael Kösters, An der Untertrave<br />

81-83, 23552 Lübeck, Tel.: 0451/8890818,<br />

Fax: 0451/8890820<br />

luebeck@msbh.de; www.msbh.de<br />

34 01/09<br />

12. Arbeitsvertrag, Übernahme einer vom Direktionsrecht<br />

nicht umfassten Tätigkeit führt zur Änderung des Vertragsinhalts<br />

Aus dem Tatbestand: ...<br />

Der ... Kläger ist bei der Beklagten, einem Buchhandel mit<br />

einem b<strong>und</strong>esweiten Filialnetz <strong>und</strong> regelmäßig mehr als<br />

10 Arbeitnehmern ausschließlich der Auszubildenden, seit<br />

dem 15.10.1996 beschäftigt. Er wurde ... mit Arbeitsvertrag<br />

vom 15.10.1996 als Kassierer ... eingestellt. Nachdem er im<br />

Januar 1999 ... versetzt worden war, setzte ihn die Beklagte<br />

jedoch nicht mehr als Kassierer ein, sondern übertrug ihm<br />

Hausmeister- <strong>und</strong> Haustechnikaufgaben, die er von da an<br />

kontinuierlich wahrnahm. ...<br />

Mit Schreiben vom 08.02.2008 wies die Beklagte den Kläger<br />

dann an, am 11.02.2008 eine Tätigkeit als Kassierer ... aufzunehmen.<br />

...<br />

Der Kläger ... ist ... der Ansicht, dass die Beklagte nicht berechtigt<br />

sei, ihm eine Tätigkeit als Kassierer zuzuweisen. Er sei bei<br />

der Beklagten nur in den ersten ca. 6 Monaten seiner Tätigkeit<br />

als Kassierer, anschließend aber ausschließlich <strong>und</strong> ausdrücklich<br />

als (Haus-)Techniker beschäftigt worden. Mit Schreiben<br />

vom 30.10.2000 habe ihm die Beklagte auch ausdrücklich bescheinigt,<br />

dass er seit Januar 1999 ... als Techniker eingestellt<br />

sei. Dementsprechend sei die Beklagte nun nicht befugt, die<br />

arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit einseitig zu ändern.<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

1.2. Die Beklagte hat ... die sich aus dem Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien ergebenden Grenzen des Direktionsrechts mit<br />

ihrer Weisung an den Kläger, eine Tätigkeit als Kassierer aufzunehmen,<br />

überschritten. Auch wenn der Kläger laut Arbeitsvertrag<br />

vom 15.10.1996 als Kassierer eingestellt worden ist, so<br />

hat er diese Tätigkeit unstreitig doch nur kurze Zeit ausgeübt<br />

<strong>und</strong> ist zumindest seit Januar 1999 nicht mehr als Kassierer,<br />

sondern ausschließlich aus Haustechniker eingesetzt worden.<br />

Diese Funktion ist seitens der Beklagten auch gegenüber Dritten<br />

offiziell als Tätigkeit des Klägers angegeben worden, so z.<br />

B. im Schreiben der Beklagten vom 30.10.2000. Es ist deshalb<br />

nach Auffassung der Kammer von dem seltenen Fall einer<br />

Verfestigung der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit zur vertraglich<br />

vereinbarten Tätigkeit auszugehen. Dies vor allem auch<br />

deshalb, weil der Arbeitsvertrag der Parteien vom 15.10.1996<br />

keine Versetzungsklausel <strong>und</strong> damit auch kein erweitertes Direktionsrecht<br />

der Beklagten beinhaltet. Hat die Beklagte den<br />

Kläger aber über einen Zeitraum von mindestens 9 Jahren<br />

ausschließlich mit der Tätigkeit eines Haustechnikers beschäftigt,<br />

obwohl der Arbeitsvertrag kein erweitertes Direktionsrecht<br />

vorsieht, dann kann dies, auch unter Berücksichtigung<br />

von §§ 133, 157 BGB, nur als dauerhafte Änderung des ursprünglichen<br />

Vertragsinhaltes bezüglich der arbeitsvertraglich<br />

geschuldeten Tätigkeit verstanden werden. Ist aber die Tätigkeit<br />

eines Haustechnikers arbeitsvertraglich geschuldet, dann<br />

kann die Beklagte dem Kläger im Rahmen ihres Direktionsrechts,<br />

also durch einseitige Weisung, keine andere Tätigkeit<br />

AE200901.PDF 34 17.02.2009 12:08:06


zuweisen, zumal der Arbeitsvertrag der Parteien gerade kein<br />

erweitertes Direktionsrecht beinhaltet.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 10. Juli 2008, 4 Ca 4703/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Friedemann Koch, Marburger<br />

Straße 16, 10789 Berlin, Tel.: 030/212 48 99-0,<br />

Fax: 030/212 48 99-20<br />

kanzlei@friedemann-koch.de; www.friedemann-koch.de<br />

Anmerkung:<br />

Die Schlussfolgerung des Urteils ist nicht zwingend. Folgen<br />

kann man der konkludenten Änderung des Arbeitsvertrages.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich ist von dem „schonensten“ Umgang mit dem<br />

Vertrag auszugehen. Das führt zu einer Erweiterung des Direktionsrechtes,<br />

nicht zu einem Ausschluss der bisherigen Tätigkeit,<br />

der den Arbeitnehmer bestandsrechtlich benachteiligt.<br />

(me)<br />

13. Arbeitsunfall, Schmerzensgeld, Haftungsausschluss,<br />

Minijobber<br />

1. Es besteht kein berechtigter Anlass, die bereits mehrfach<br />

vom BVerfG bejahte verfassungsrechtliche Zulässigkeit des<br />

Haftungsausschlusses nach § 104 I 1 SGB VII bei Arbeitsunfällen<br />

so genannter Minijobber anders zu bewerten.<br />

(amtlicher Leitsatz)<br />

2. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber Minijobbern,<br />

die Flurförderfahrzeuge bedienen, entgegen den Unfallverhütungsvorschriften<br />

<strong>und</strong> anders als bei Vollzeitkräften keine<br />

Sicherheitsschuhe zur Verfügung gestellt hat, begründet nicht<br />

den Vorwurf, er habe vorsätzlich den Unfall (Überfahren eines<br />

Fußes) <strong>und</strong> dessen Folgen (Bruch des Fußes) verursacht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 29. Januar 2008, 9 Sa 1208/07<br />

14. Altersaufhebungsvertrag, Anfechtung wegen Drohung,<br />

Verspätung des Vorbringens in der Berufungsinstanz,<br />

verspätetes Beweisangebot<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

II. ... 1. Entgegen der Auffassung des Klägers musste das<br />

erstinstanzliche Gericht den Sachvortrag der Beklagten nicht<br />

als verspätet zurückweisen. Die Zurückweisung verspäteten<br />

Vorbringens der Parteien nach § 56 Abs. 2 ArbGG setzt –<br />

abgesehen davon, dass eine Zurückweisung nur in Betracht<br />

kommt, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung<br />

des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern<br />

würde – voraus, dass die Partei über die Folge der<br />

Versäumung der gesetzten Frist belehrt worden ist (§ 56<br />

Abs. 2 Satz 2). Die Belehrung muss in jedem Fall erfolgen,<br />

auch dann, wenn die Partei durch einen Verbandsvertreter<br />

oder durch einen Anwalt vertreten ist, dem die Bedeutung<br />

der Fristsetzung nach § 56 Abs. 2 bekannt ist (BGH, vom<br />

11.07.1985 –IZR145/83 – NJW 1986, 133; 16.05.1991 – Hl<br />

ZR 82/90 – NJW 1991, 2773 f.). Ein entsprechender Hinweis<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

ist jedoch erstinstanzlich nicht erfolgt. Schon deshalb kam<br />

eine Zurückweisung in der Berufungsinstanz nach § 67 Abs. 2<br />

ArbGG nicht in Betracht. Auch eine Zurückweisung nach<br />

§ 67 Abs. 3 ArbGG scheidet vorliegend aus, denn in der<br />

Fristüberschreitung durch die Beklagte liegt keine besonders<br />

schwerwiegende Verletzung ihrer Prozessförderungspflicht,<br />

so dass eine grobe Nachlässigkeit nicht bejaht werden kann.<br />

Mit dem am 02.11.2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen<br />

Schriftsatz bestand bis zum Kammertermin am 27.11.2007<br />

noch genügend Möglichkeit zur Stellungnahme <strong>und</strong> hat der<br />

Kläger auch mit Schriftsatz vom 22.11.2007 Stellung genommen.<br />

Zudem war er selbst im Termin am 27.11.2007 anwesend<br />

<strong>und</strong> konnte somit eventuell weiteren Vortrag halten. Selbst<br />

wenn die Kammer jedoch davon ausginge, dass die Angriffs<strong>und</strong><br />

Verteidigungsmittel im ersten Rechtszug nicht rechtzeitig<br />

vorgebracht wurden, können diese nach § 67 Abs. 3 ZPO nur<br />

zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien<br />

Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des<br />

Rechtsstreits verzögern würde. Im Hinblick darauf, dass die<br />

Berufung im Arbeitsgerichtsverfahren nach wie vor eine volle<br />

Tatsacheninstanz eröffnet <strong>und</strong> neuer Sachvortrag gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zulässig ist,<br />

mithin im Arbeitsgerichtsverfahren keine revisionsähnliche<br />

Einschränkung des Prüfungsmaßstabs wie neuerdings nach<br />

§ 513 Abs. 1 i.V.m. § 546 ZPO stattfindet, die entsprechende<br />

Anwendung der ZPO-Vorschriften vielmehr nach § 64 Abs. 4<br />

Satz 1 ArbGG an den Vorbehalt geknüpft ist, dass das Arbeitsgerichtsgesetz<br />

nichts besonderes bestimmt, kann von einer<br />

Verspätung im Streitfall nicht ausgegangen werden.<br />

2. Zu Recht hat das Arbeitsgericht entschieden, dass der<br />

zwischen den Parteien vereinbarte Arbeitsvertrag nicht durch<br />

die Anfechtung des Altersaufhebungsvertrags mit Schreiben<br />

vom 02.07.2007 wieder aufgelebt ist. ...<br />

2.2.1. Soweit der Kläger behauptet, die Beklagte habe<br />

angekündigt, ihn bei Nichtunterzeichnung des Altersaufhebungsvertrags<br />

in die Altersstafette zu versetzen, liegt hierin<br />

keine widerrechtliche Drohung mit einem empfindlichen<br />

Übel. Soweit die Altersstafette eine Reduktion der wöchentlichen<br />

Arbeitszeit mit entsprechender Gehaltsreduzierung<br />

(die teilweise durch eine Bruttozuschusszahlung wiederum<br />

aufgestockt wird) vorsieht, konnte eine solche Maßnahme<br />

nicht einseitig im Wege des Direktionsrechts umgesetzt<br />

werden. Der Kläger selbst hat in seiner Berufungserwiderung<br />

vorgetragen, dass die Beklagte davon habe ausgehen<br />

können, dass er nicht „freiwillig“ in die Altersstafette gehen<br />

würde. Dass die Beklagte dem Kläger vorgespiegelt hätte, sie<br />

könne ihn im Wege des Direktionsrechts in die Altersstafette<br />

versetzen, hat der Kläger hingegen selbst nicht behauptet.<br />

Soweit die Beklagte eine solche Maßnahme über eine<br />

eventuelle Änderungskündigung hätte durchsetzen können,<br />

stellt der Hinweis der Beklagten, gegebenenfalls von ihren<br />

rechtlichen Möglichkeiten nach den geltenden tariflichen <strong>und</strong><br />

betrieblichen Regelungen Gebrauch machen zu wollen, keine<br />

widerrechtliche Drohung mit einem empfindlichen Übel dar,<br />

AE200901.PDF 35 17.02.2009 12:08:06<br />

35


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

sondern lediglich den Hinweis auf die Regelungsinstrumente<br />

die in tariflichen <strong>und</strong> betrieblichen Vereinbarungen ihren<br />

Niederschlag gef<strong>und</strong>en haben.<br />

2.2.2. Selbst wenn die Kammer jedoch zu Gunsten des Klägers<br />

davon ausgeht, dass er mit den Regelungen der Altersstafette<br />

<strong>und</strong> einer sich daraus ergebenen Verschlechterung<br />

seiner materiellen Arbeitsbedingungen bedroht worden<br />

war, konnte dies vorliegend nicht zum Erfolg der Klage führen.<br />

Die Beweislast für alle Voraussetzungen des § 123 BGB trägt<br />

der Anfechtende. Einen Erweis für seine Behauptung, er sei<br />

mit der Androhung, ihn in die Altersstafette zu versetzen,<br />

bedroht worden, hat der Kläger jedoch bis zum Termin vor<br />

dem Landesarbeitsgericht am 10.09.2008 nicht angetreten.<br />

Obwohl es eines Hinweises auf die Beweislast nach § 123 BGB,<br />

deren Kenntnis das Gericht zudem voraussetzen konnte, nicht<br />

bedurft hätte, hat das Gericht mit Hinweis vom 02.09.2008 –<br />

wie zuvor schon die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom<br />

11.08.2008 – ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kläger<br />

die Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast für die Anfechtungsgründe<br />

trägt. Ein Beweisantritt des Klägers erfolgte hierauf jedoch<br />

nicht.<br />

Soweit sich der Kläger im Kammertermin am 10.09.2008 erstmals<br />

zum Beweis dafür, dass er bei Abschluss des Altersaufhebungsvertrages<br />

bedroht worden sei, auf die Zeugenvernehmung<br />

des Herrn T berufen hat, war dieser Beweisantritt<br />

verspätet <strong>und</strong> daher nicht mehr zuzulassen, § 67 Abs. 4 Satz 2<br />

ArbGG. Ob ein Vorbringen verspätet ist oder noch zugelassen<br />

werden kann, richtet sich ausschließlich nach § 67 ArbGG, der<br />

§ 531 ZPO als Spezialregelung eindeutig vorgeht. Das folgt<br />

aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG. Diese Bestimmung verweist auf<br />

die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Berufung<br />

nur insoweit, als das Arbeitsgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt.<br />

Eine solche andere Bestimmung trifft § 67 ArbGG<br />

(vgl. BAG, vom 25.01.2005 – 9 AZR 44/04 -AP Nr. 22 zu § 1<br />

AEntG; BAG, vom 15.02.2005 – 9 AZN 892/04 – AP Nr. 50<br />

zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz). Nach § 67 Abs. 4 ArbGG<br />

sind neue Angriffs- <strong>und</strong> Verteidigungsmittel, die nicht bereits<br />

aus anderen Gründen als verspätet zurückzuweisen sind, vom<br />

Berufungskläger in der Berufungsbegründung vorzubringen.<br />

Hierzu gehören auch Beweisantritte. Eine Fristsetzung durch<br />

das Landesarbeitsgericht ist angesichts der nach § 66 Abs. 1<br />

Satz 1 u. 2 ArbGG festgelegten Fristen nicht möglich. Es handelt<br />

sich insoweit um eine gesetzliche Ausschlussfrist (vgl.<br />

Germelmann, ArbGG, 6. Aufl., § 67 Rn 23). Der Kläger hat sich<br />

erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2008 <strong>und</strong><br />

damit weit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist auf<br />

Herrn T als Zeugen für seine Behauptung, er sei widerrechtlich<br />

bedroht worden, berufen. Nach § 67 Abs. 4 Satz 1 ArbGG sind<br />

neue Angriffs- <strong>und</strong> Verteidigungsmittel nur dann zuzulassen,<br />

wenn sie erst nach Berufungsbegründung entstanden sind<br />

oder wenn das verspätete Vorbringen der freien Überzeugung<br />

des Landesarbeitsgerichts nach die Erledigung des Rechtsstreits<br />

verzögern würde oder nicht auf einem Verschulden der<br />

Partei beruht.<br />

36 01/09<br />

Die Möglichkeit, Herrn T als Zeugen zu benennen, ist keineswegs<br />

erst nach der Berufungsbegründung entstanden. Insoweit<br />

ist der verspätete Beweisantritt als schuldhaftes Verhalten<br />

i.S.v. § 67 Abs. 4 ArbGG zu qualifizieren. Dabei ist darauf<br />

hinzuweisen, dass der Begriff des Verschuldens im Bereich des<br />

§ 67 Abs. 4 ArbGG ein anderer ist als derjenige, der in § 67<br />

Abs. 3 ArbGG, welcher eine grobe Nachlässigkeit verlangt.<br />

§ 67 Abs. 4 ArbGG nennt demgegenüber keinen besonderen<br />

Verschuldensmaßstab, woraufhin auch leichte Fahrlässigkeit<br />

ausreichend ist (vgl. BAG, vom 23.06.2005 – 2 AZR 193/04 –<br />

AP Nr. 11 zu § 138 ZPO). Die Zulassung dieses Beweisantritts<br />

hätte die Erledigung des Rechtsstreits offensichtlich auch verzögert,<br />

da der als Zeuge benannte Herr T nicht an der Gerichtsstelle<br />

anwesend war <strong>und</strong> der Rechtsstreit somit hätte<br />

vertagt werden müssen. Für die Kammer war es zudem nicht<br />

möglich, durch zumutbare <strong>und</strong> damit prozessrechtlich gebotene<br />

Maßnahmen der Terminsvorbereitung die Notwendigkeit<br />

eines neuen Termins zu verhindern <strong>und</strong> so eine Verzögerung<br />

zu vermeiden (vgl. BVerfG, vom 22.02.1999 –1BvR<br />

2486/97 – NJW-RR 1999, 1079 f.). Wie bereits ausgeführt, hat<br />

sich der Kläger – trotz entsprechenden gerichtlichen Hinweises<br />

– erstmals in der Kammerverhandlung am 10.09.2008 auf<br />

Herrn T als Zeugen berufen. Für eine vorbereitende Ladung<br />

des Herrn T bestand für die Kammer deshalb weder eine gesetzliche<br />

Gr<strong>und</strong>lage noch ein Anlass.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 10. September 2008, 17 Sa 231/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter Schrader, Podbielskistraße<br />

33, 30163 Hannover, Tel.: 0511/215 55 63 -33,<br />

Fax: 0511/215 55 63-43<br />

kanzlei@neef-schrader-straube.de;<br />

www.neef-schrader-straube.de<br />

15. Aufhebungsvertrag, Täuschung, Schadenersatzanspruch<br />

gegen den Insolvenzverwalter<br />

1. Ein Schadensersatzanspruch eines Arbeitnehmers gegen<br />

den Insolvenzverwalter nach § 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB<br />

kommt in Betracht, wenn der Insolvenzverwalter dem Arbeitnehmer<br />

wider besseren Wisses vorspiegelt, der Betrieb werde<br />

definitiv geschlossen <strong>und</strong> ein Betriebsübergang sei ausgeschlossen,<br />

<strong>und</strong> hierdurch den Abschluss eines Aufhebungsvertrags<br />

erreicht.<br />

2. Ergibt sich die Möglichkeit einer Betriebsfortführung erst<br />

später, kann ein solcher Schadensersatzanspruch hingegen<br />

nicht eingreifen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 10. Dezember 2007, 14 Sa 1108/07<br />

16. Betriebliche Altersversorgung, Versorgungszusage,<br />

Unverfallbarkeit<br />

Werden mit einem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit<br />

der Erteilung einer Versorgungszusage die betrieblichen<br />

Versorgungsrichtlinien erörtert, die u. a. eine Wartezeitre-<br />

AE200901.PDF 36 17.02.2009 12:08:06


gelung (Mindestdienstzeit) enthalten <strong>und</strong> hinsichtlich der<br />

Unverfallbarkeits-bestimmungen auf die gesetzlichen Vorschriften<br />

verweisen, <strong>und</strong> wird dabei von dem Arbeitgeber<br />

erklärt, nach fünfjähriger Tätigkeit habe der Arbeitnehmer<br />

einen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung, so wird<br />

damit keine von den Versorgungsrichtlinien abweichende<br />

Versorgungszusage erteilt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 15. Januar 2008, 9 Sa 1039/07<br />

17. Betriebliche Altersversorgung, Versorgungszusage,<br />

mehrere Beschäftigungsverhältnisse<br />

1. Scheidet ein Arbeitnehmer mit einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft<br />

aus dem ersten Arbeitsverhältnis aus<br />

<strong>und</strong> begründet er später mit der Arbeitgeberin ein weiteres<br />

Beschäftigungsverhältnis, das nicht nahtlos an das erste Arbeitsverhältnis<br />

heranreicht, so beginnt die Unverfallbarkeitsfrist<br />

für die im zweiten Arbeitsverhältnis erteilte Versorgungszusage<br />

mit dem Beginn dieses neuen Beschäftigungsverhältnisses.<br />

2. Die im zweiten Arbeitsverhältnis erteilte Versorgungszusage<br />

kann dahin auszulegen sein, dass sie die im ersten Beschäftigungsverhältnis<br />

erdiente Versorgungsanwartschaft ablösen<br />

soll, sofern sie mit einem höheren Betrag unverfallbar<br />

wird.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 15. Januar 2008, 9 Sa 1142/07<br />

18. Betriebliche Altersversorgung, VBL, Berechnung der<br />

Startguthaben für rentenferne Jahrgänge, Feststellungsinteresse<br />

trotz Ende der Versicherungszugehörigkeit<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Der Kläger beanstandet die ihm von der Beklagten auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage ihrer neu gefassten Satzung mitgeteilte Startgutschrift.<br />

Die beklagte Versorgungsanstalt des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> der<br />

Länder (VBL) zahlt Versicherten im öffentlichen Dienst eine<br />

Zusatzrente, mit der die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

aufgestockt wird. Mit Ablauf des 31.12.2001 hat<br />

die Beklagte ihr Zusatzversorgungssystem umgestellt von einer<br />

an der Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgung<br />

auf ein auf die Verzinsung von Beiträgen ausgerichtetes<br />

Punktemodel. Danach errechnet sich die bei Eintritt des Versicherungsfalls<br />

zu leistende Betriebsrente aus der Summe der<br />

erworbenen Versorgungspunkte.<br />

Der Systemwechsel beruht auf einer Einigung der Tarifvertragsparteien<br />

des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung<br />

vom 01.03.2002 (ATV). Die Tarifregelungen hat die<br />

VBL durch eine Neufassung ihrer Satzung (VBLS) rückwirkend<br />

zum 01.01.2002 umgesetzt. Die neue Satzung enthält auch<br />

... Regelungen zu den Rentenanwartschaften der über den<br />

Umstellungsstichtag hinaus bei ihr pflichtversicherten Arbeitnehmer<br />

(Rentenanwärter – §§ 78 ff. VBLS). Die Anwartschaften<br />

werden wertmäßig festgestellt <strong>und</strong> als so genannte Start-<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

gutschriften auf die neuen Versorgungskonten übertragen.<br />

Dabei wird unterschieden zwischen rentennahen Jahrgängen<br />

(die am 01.01.2002 das 55. Lebensjahr vollendet haben <strong>und</strong><br />

nicht dem Tarifgebiet Ost unterliegen) <strong>und</strong> den übrigen, so<br />

genannten rentenfernen Jahrgängen. ... Die Anwartschaften<br />

der ca. 1,7 Millionen Rentenfernen berechnen sich gemäß § 79<br />

Abs. 1 Satz 1 VBLS nach § 18 Abs. 2 BetrAVG. § 18 Abs. 2 BetrAVG<br />

in der hier maßgeblichen, am 01.01.2001 in Kraft getretenen<br />

Fassung enthält Regelungen zur Höhe betrieblicher<br />

Versorgungsrentenanwartschaften für Arbeitnehmer, die vor<br />

Eintritt des Versorgungsfalles aus einem Arbeitsverhältnis im<br />

öffentlichen Dienst ausgeschieden sind.<br />

Der am 05.01.1947 geborene Kläger gehört zu den rentenfernen<br />

Jahrgängen. In der Mitteilung vom 11.12.2002 hat die<br />

Beklagte die Rentenanwartschaft des Klägers zum 31.12.2001<br />

auf 468,28 € beziffert <strong>und</strong> ihm dementsprechend eine Startgutschrift<br />

von 117,07 Versorgungspunkten erteilt. Der Arbeitgeber<br />

des Klägers ist zum 31.12.2002 aus dem Zusatzversorgungssystem<br />

ausgeschieden. ...<br />

Auf die Berufung der Parteien hat das OLG Karlsruhe entschieden:<br />

Es wird festgestellt, dass die von der Beklagten gemäß ihrer<br />

Satzung erteilte Startgutschrift den Wert der von dem Kläger<br />

bis zum 31.12.2001 erlangten Anwartschaft auf eine bei Eintritt<br />

des Versicherungsfalles zu leistende Betriebsrente nicht<br />

verbindlich festlegt.<br />

Aus den Gründen:<br />

II.2. Die Klage ist begründet, soweit ... die Feststellung begehrt<br />

wird, dass die von der Beklagten erteilte Startgutschrift<br />

den Wert der von dem Kläger bis zum 31.12.2001 erlangten<br />

Anwartschaft auf eine bei Eintritt des Versicherungsfalles zu<br />

leistende Betriebsrente nicht verbindlich festlegt. Denn die<br />

Bestimmungen der neuen Satzung der Beklagten, auf denen<br />

die mitgeteilte Startgutschrift beruht, sind für das Versicherungsverhältnis<br />

des Klägers unwirksam. Die übrigen Klageanträge<br />

sind unbegründet. Dementsprechend ist die Verurteilung<br />

der Beklagten durch das Landgericht auf deren Berufung<br />

hin abzuändern. Soweit das Landgericht die Klage im Übrigen<br />

abgewiesen hat, hat die Berufung des Klägers keinen Erfolg.<br />

a. Mit Urteil vom 14.11.2007 – IV ZR 74/06 –, veröffentlicht<br />

bei Juris sowie in BGHZ 174, 127, hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

erstmals gr<strong>und</strong>legend zur Umstellung des Zusatzversorgungssystems<br />

der Beklagten <strong>und</strong> den Startgutschriftenregelungen<br />

für die rentenfernen Pflichtversicherten (§§ 33 Abs. 1 Satz 1<br />

ATV, 78, 79 Abs. 1 VBLS jeweils i.V. mit § 18 Abs. 2 BetrAVG in<br />

der seit 01.01.2001 geltenden Fassung) Stellung genommen.<br />

Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat – in Übereinstimmung mit dem<br />

erkennenden Senat als Berufungsgericht – ausgeführt, dass<br />

die Satzung der Beklagten auch ohne Zustimmung der Versicherten<br />

geändert <strong>und</strong> vom bisherigen Gesamtversorgungssystem<br />

auf das neue Punktemodell (Betriebsrentensystem) habe<br />

umgestellt werden dürfen (a.a.O. unter B 11). Einer Inhaltskontrolle<br />

nach den AGB-rechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen<br />

Gesetzbuches (§§ 307 ff. BGB) sei die Übergangsrege-<br />

AE200901.PDF 37 17.02.2009 12:08:06<br />

37


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

lung jedenfalls als maßgebliche Gr<strong>und</strong>entscheidung der Tarifpartner<br />

entzogen. Auch solche Satzungsänderungen dürften<br />

jedoch nicht gegen die Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>gesetzliche<br />

Wertentscheidungen verstoßen. Da die Beklagte als Anstalt<br />

des öffentlichen Rechts (§ 1 Satz 1 VBLS) eine öffentliche<br />

Aufgabe wahrnehme, sei die gerichtliche Kontrolle ihrer<br />

Satzungsbestimmungen nach ständiger Rechtsprechung neben<br />

der Prüfung, ob die Rechtsvorschriften der Europäischen<br />

Gemeinschaft beachtet sind, jedenfalls darauf zu erstrecken,<br />

ob ein Verstoß gegen das Gr<strong>und</strong>gesetz – auch gegen Art. 14<br />

Abs. 1 Satz 1 GG – vorliege (a.a.O. unter B II 2 m.w.N.).<br />

b. In Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs auf die Startgutschriftenregelungen<br />

hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof die beiderseitigen<br />

Revisionen zurückgewiesen. ... Der B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

hat im Wesentlichen ausgeführt:<br />

Die Übergangsregelung in § 79 Abs. 1 VBLS ziele mit ihrem<br />

Verweis auf § 18 Abs. 2 BetrAVG im Gr<strong>und</strong>satz darauf ab,<br />

den rentenfernen Versicherten bei der Berechnung ihrer<br />

Startgutschrift die nach dem Betriebsrentengesetz bis zum<br />

Umstellungsstichtag unverfallbar gewordenen Rentenanwartschaften<br />

in das neue Betriebsrentensystem zu übertragen. In<br />

der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes erworbene<br />

Rentenanwartschaften stünden, jedenfalls soweit sie die nach<br />

dem Betriebsrentengesetz unverfallbaren Beträge übersteigen<br />

sollen, nicht unter dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG.<br />

Art. 14 Abs. 1 GG schütze nur Rechtspositionen, die einem<br />

Rechtssubjekt bereits zustehen. Bloße Chancen <strong>und</strong> Erwartungen<br />

würden nicht geschützt. Beruhe eine Rechtsposition<br />

auf privatrechtlichen Vereinbarungen, sei deren Inhalt entscheidend.<br />

Weitergehende Ansprüche schaffe Art. 14 Abs. 1<br />

GG nicht. Durchgreifende Bedenken gegen die Annahme, die<br />

Versicherten der Beklagten hätten bis zum Umstellungsstichtag<br />

über ihre nach dem Betriebsrentengesetz unverfallbar<br />

gewordenen Anwartschaften hinaus eine von Art. 14 Abs. 1<br />

GG als Eigentum geschützte Rechtsposition erlangt, ergäben<br />

sich zum einen daraus, dass die arbeitsrechtlichen Ansprüche<br />

der Versicherten auf einer tarifvertraglichen Regelung<br />

basierten, zum anderen aus den versicherungsrechtlichen<br />

Besonderheiten der den Versicherten nach der früheren Satzung<br />

der Beklagten in Aussicht gestellten Gesamtversorgung.<br />

Frühere Tarifverträge könnten durch spätere abgelöst werden<br />

(so genannte Zeitkollisionsregel). Stünde Art. 14 Abs. 1 GG<br />

einem solchen Änderungsvorbehalt entgegen, würde die<br />

verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3<br />

GG) der Sozialpartner eingeschränkt. Durch eine auf den<br />

tarifrechtlichen Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>und</strong> den vereinbarten Versicherungsbedingungen<br />

beruhende Änderung der Leistung<br />

verwirkliche sich lediglich eine von Anfang an bestehende<br />

Schwäche der tarifvertraglich begründeten Rechtspositionen.<br />

Die tarifautonome Gestaltung sei insoweit von gesetzlichen<br />

Regelungen zu unterscheiden. Der Gesetzgeber verfüge nicht<br />

über ebenso weitreichende, privatautonome oder tarifautonome<br />

Gestaltungsmittel. Dem Rechnung tragend enthalte<br />

38 01/09<br />

auch die Satzung der Beklagten in § 14 einen ausdrücklichen<br />

Änderungsvorbehalt (a.a.O. unter B II 4).<br />

Der besonders geschützte Besitzstand der Versicherten beschränke<br />

sich auf den Rentenbetrag, der ihnen bei einem<br />

Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst am Umstellungsstichtag<br />

nach den Bestimmungen des Betriebsrentengesetzes<br />

als unverfallbar sicher zugestanden hätte. Das dreistufige Prüfungsschema,<br />

welches das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht zur Präzisierung<br />

der Gr<strong>und</strong>sätze des Vertrauensschutzes <strong>und</strong> der Verhältnismäßigkeit<br />

bei sich verschlechternden Versorgungsregelungen<br />

entwickelt habe, sei wegen des Schutzes der Tarifautonomie<br />

(Art. 9 Abs. 3 GG) auf tarifvertragliche Änderungen nicht<br />

übertragbar. Auch die Tarifvertragsparteien seien zwar an die<br />

aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden<br />

allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätze des Vertrauensschutzes <strong>und</strong> der Verhältnismäßigkeit<br />

geb<strong>und</strong>en. Wegen der verfassungsrechtlich<br />

privilegierten Stellung der Sozialpartner sei die Kontrolldichte<br />

aber erheblich geringer als bei anderen privatrechtlichen Regelungen<br />

(a.a.O. unter B II 5a). Daneben seien nicht nur die<br />

Beklagte als Anstalt des öffentlichen Rechts, sondern auch die<br />

Tarifvertragsparteien an den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.<br />

3 Abs. 1 GG) geb<strong>und</strong>en (a.a.O. unter B II 6).<br />

Hieran gemessen sei die Berechnung des geschützten Besitzstandes<br />

nach den §§ 33 Abs. 1 Satz 1 ATV, 78, 79 Abs. 1<br />

VBLS jeweils i.V. mit § 18 Abs. 2 BetrAVG in der seit 01.01.2001<br />

geltenden Fassung im Gr<strong>und</strong>satz nicht zu beanstanden (a.a.O.<br />

unter B III).<br />

Zu keinem Zeitpunkt hätten die bei der Beklagten versicherten<br />

Arbeitnehmer darauf vertrauen können, dass ihre unverfallbaren<br />

Anwartschaften <strong>und</strong> daran anknüpfend der von ihnen<br />

erdiente Teilbetrag nach § 2 BetrAVG oder sogar nach<br />

einem zu ihren Gunsten modifizierten § 2 BetrAVG berechnet<br />

würden. Das ergebe sich nicht nur daraus, dass die Regelung<br />

des § 2 BetrAVG ihrerseits tarifdispositiv sei (§ 17 Abs. 3<br />

BetrAVG), sondern vor allem aus dem Umstand, dass der<br />

Gesetzgeber mit § 18 BetrAVG ausdrücklich eine Sonderregelung<br />

für den öffentlichen Dienst, geschaffen habe. ...<br />

Dass bei der Errechnung der Startgutschrift die für die Ermittlung<br />

der Voll-Leistung von der Höchstversorgung in Abzug<br />

zu bringende voraussichtliche gesetzliche Rente gemäß den<br />

§§ 33 Abs. 1 Satz 1 ATV, 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS i.V. mit § 18<br />

Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 Buchst, f BetrAVG nach dem bei der Berechnung<br />

von Pensionsrückstellungen allgemein zulässigen<br />

Verfahren (dem so genannten Näherungsverfahren) zu ermitteln<br />

sei, begegne im Gr<strong>und</strong>satz keinen verfassungsrechtlichen<br />

Bedenken. ...<br />

Ob dagegen die von Art. 3 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen<br />

zulässiger Typisierung <strong>und</strong> Standardisierung durch die<br />

ausschließliche Anwendung des Näherungsverfahrens überschritten<br />

seien, das heißt ein Maß erreichten, das nach Art. 3<br />

Abs. 1 GG nicht mehr hingenommen werden könne, hänge<br />

sowohl von der Intensität möglicher Benachteiligungen als<br />

auch von der Zahl der Betroffenen ab (vgl. BVerfGE 100, 59,<br />

90; 111, 115, 137). Diese Frage könne der Senat aufgr<strong>und</strong><br />

AE200901.PDF 38 17.02.2009 12:08:06


der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts noch<br />

nicht abschließend beurteilen. Die Übergangsregelung für<br />

rentenferne Versicherte verstoße jedenfalls anderweitig<br />

gegen Art. 3 Abs. 1 GG <strong>und</strong> sei deshalb ... unwirksam.<br />

Insoweit erhielten die Tarifvertragsparteien im Rahmen der<br />

ohnehin anstehenden Nachverhandlungen Gelegenheit, die<br />

Auswirkungen des Näherungsverfahrens erneut zu prüfen<br />

(a.a.O. unter B III 4 f.).<br />

Durchgreifenden Bedenken gegen die Vereinbarkeit mit Art. 3<br />

Abs. 1 GG begegne der nach den §§ 33 Abs. 1 Satz 1 ATV, 79<br />

Abs. 1 Satz 1 VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 BetrAVG der Startgutschriftenberechnung<br />

zugr<strong>und</strong>e zu legende Versorgungssatz<br />

von 2,25 % für jedes Jahr der Pflichtversicherung. Zwar sei die<br />

Regelung systemkonform <strong>und</strong> für sich genommen rechtlich<br />

unbedenklich, soweit sie auf die Pflichtversicherungsjahre<br />

abstelle <strong>und</strong> diesen einen jeweils festen Prozentsatz zuordne.<br />

Der in § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG vorgesehene<br />

Prozentsatz von 2,25 pro Pflichtversicherungsjahr, der über<br />

§ 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS <strong>und</strong> § 33 Abs. 1 Satz 1 ATV für die<br />

Berechnung der Startgutschrift maßgebend sei, führe jedoch<br />

zu einer sachwidrigen <strong>und</strong> damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG<br />

verstoßenden Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe<br />

der rentenfernen Versicherten. Sie benachteilige Akademiker<br />

sowie all diejenigen, die aufgr<strong>und</strong> besonderer Anforderungen<br />

eines Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst, etwa einer abgeschlossenen<br />

Berufsausbildung oder eines Meisterbriefes in<br />

einem handwerklichen Beruf, erst später in den öffentlichen<br />

Dienst einträten. Weder das Modell der Standardrente eines<br />

Durchschnittsverdieners in der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

noch das bei der Berechnung der anzurechnenden Sozialversicherungsrente<br />

anzuwendende Näherungsverfahren<br />

lieferten stichhaltige Argumente dafür, den maßgeblichen<br />

Prozentsatz unter Berücksichtigung der gesamtversorgungsfähigen<br />

Zeit von 44,44 Jahren zu bestimmen <strong>und</strong> ihn dann<br />

lediglich mit der Zahl der erreichten Pflichtversicherungsjahre<br />

zu multiplizieren, obwohl dieser in aller Regel niedriger sei<br />

als die erreichte gesamtversorgungsfähige Dienstzeit. Wegen<br />

der zu verzeichnenden Systembrüche <strong>und</strong> Ungereimtheiten<br />

können die Höhe der Versorgungsquote allein mit den<br />

Besonderheiten des Versorgungssystems des öffentlichen<br />

Dienstes <strong>und</strong> einem Recht zur Standardisierung nicht gerechtfertigt<br />

werden. Einer Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit<br />

des § 18 Abs. 2 BetrAVG im Wege der Richtervorlage nach<br />

Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG habe es nicht bedurft. Allein die im<br />

Tarifvertrag <strong>und</strong> in der Satzung getroffene Regelung sei zu<br />

überprüfen gewesen (a.a.O. unter B III 5).<br />

Die dargelegte Verfassungswidrigkeit <strong>und</strong> die sich daraus ergebende<br />

Unwirksamkeit dieser Detailregelung des Tarifvertrages<br />

vom 1. März 2002 <strong>und</strong> der neuen Satzung der Beklagten<br />

änderten an der Wirksamkeit der Systemumstellung als solcher<br />

nichts. Unwirksam sei lediglich die in den §§ 78 Abs. 1<br />

<strong>und</strong> 2, 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 BetrAVG für<br />

die rentenfernen Versicherten getroffene Übergangsregelung,<br />

was zur Folge habe, dass die erteilte Startgutschrift einer aus-<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

reichenden rechtlichen Gr<strong>und</strong>lage entbehre. Sie lege damit,<br />

wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend ausgesprochen<br />

habe, den Wert der vom Kläger bis zum Umstellungsstichtag<br />

erdienten Anwartschaft auf eine bei Eintritt des Versicherungsfalles<br />

zu leistende Rente nicht verbindlich fest. Eine<br />

Neuregelung sei mit Blick auf Art. 9 Abs. 3 GG den Tarifvertragsparteien<br />

vorbehalten. ...<br />

Der (Urteils-)Feststellung steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber<br />

des Klägers zum 31.12.2002 aus der Beteiligung bei<br />

der Beklagten ausgeschieden ist. Auch bei dieser Sachlage ist<br />

die Rechtskontrolle nach den für betriebs- <strong>und</strong> pflichtversicherungstreue<br />

Versicherte geltenden Regelungen vorzunehmen.<br />

Ebenso wie bei jedem Versicherten, dessen Arbeitgeber<br />

bislang weiterhin im Zusatzversorgungssystem verb<strong>liebe</strong>n ist,<br />

kann auch beim Kläger erst bei Eintritt des Versicherungsfalles<br />

festgestellt werden, welche Rentenleistung (Versorgungsrente,<br />

Versicherungsrente) der Versicherte nach der VBLS a.F.<br />

in welcher Höhe beanspruchen könnte. In dem Zeitpunkt, auf<br />

den die Rentenanwartschaft des Klägers mit der angegriffenen<br />

Startgutschrift festgeschrieben wurde, war ihr Arbeitgeber<br />

noch im Pflichtversicherungssystem <strong>und</strong> demnach auch<br />

er „versicherungstreu“. Es kann auch nicht ausgeschlossen<br />

werden, dass der Kläger bei Eintritt des Versicherungsfalls, z.<br />

B. wegen eines späteren Arbeitgeberwechsels oder im Falle<br />

einer Rückkehr des bisherigen Arbeitgebers zur beklagten<br />

Anstalt, wieder bei der Beklagten pflichtversichert sein wird<br />

<strong>und</strong> infolge dessen nach den Regeln der alten Satzung eine<br />

Versorgungsrente wird beanspruchen können (§ 37 Abs. 1a<br />

VBLS a. F.). Die von der Beklagten erteilte Startgutschrift ist<br />

darauf gerichtet, die Anwartschaft auch für einen solchen Fall<br />

bereits jetzt verbindlich festzulegen. Daher kann sich auch der<br />

anwartschaftsberechtigte Kläger auf eine Satzungskontrolle<br />

nach den Regeln für betriebs- bzw. versicherungstreue Versicherte<br />

berufen (vgl. schon Senatsurteil vom 20.09.2007 -12<br />

U 23/07 – unter B III 2a).<br />

■ Oberlandesgericht Karlsruhe<br />

vom 18. November 2008, 12 U 378/04 (08)<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Franz Sparla, Kackertstraße 11,<br />

52072 Aachen-Laurensberg, Tel.: 0241/9329596,<br />

Fax: 0241/9493810<br />

kontakt@Sparla-Rechtsanwaelte.de;<br />

www.Sparla-Rechtsanwaelte.de<br />

19. Betriebliche Übung, gegenläufige<br />

1. Eine gegenläufige betriebliche Übung setzt voraus, dass<br />

der Arbeitgeber in besonderer Weise klar <strong>und</strong> unmissverständlich<br />

seinen Willen zum Ausdruck bringt, sich von<br />

der bestehenden betrieblichen Übung zu lösen <strong>und</strong> einen<br />

Rechtsanspruch für die Zukunft auszuschließen (Anschluss an<br />

BAG, v. 4.5.1999, NZA 1999, 1162.<br />

2. Diesen Anforderungen wird nicht genügt, wenn der Arbeitgeber<br />

nunmehr in den Lohnabrechnungen vermerkt: „Die<br />

AE200901.PDF 39 17.02.2009 12:08:06<br />

39


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Zahlung des Weihnachtsgeldes ist eine freiwillige Leistung<br />

<strong>und</strong> begründet keinen Rechtsanspruch!“<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 22. Januar 2008, 9 Sa 1184/07, Rev. zugel.<br />

20. Direktionsrecht, Versetzung, einstweilige Verfügung,<br />

Ges<strong>und</strong>heitsgefahr, Kinderbetreuung, örtliche Zuständigkeit<br />

1. Macht eine Arbeitnehmerin, die an einen anderen Arbeitsort<br />

– hier: von K. nach F. – versetzt werden soll, geltend,<br />

sie habe einen Anspruch auf Beschäftigung am bisherigen<br />

Arbeitsort, so ist die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts<br />

am bisherigen Arbeitsort gegeben (sog. doppelrelevante Tatsache).<br />

2. Der Einwand, es bestehe bei der längeren Anreise zu dem<br />

anderen Arbeitsort eine erhöhte Thrombosegefahr, bedarf<br />

einer nachvollziehbarer Begründung, wenn der Arbeitgeber<br />

der Arbeitnehmerin anbietet, an den Verkehrstagen in einem<br />

ICE zwischen K. <strong>und</strong> F. zu fahren.<br />

3. Die Arbeitnehmerin hat im einstweiligen Verfügungsverfahren<br />

auf Beschäftigung am bisherigen Arbeitsort ein ärztliches<br />

Attest vorzulegen, mit dem die Richtigkeit der behaupteten<br />

Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung glaubhaft gemacht wird.<br />

4. Die Betreuung eines Kleinkindes nach Arbeitsschluss ist<br />

jedenfalls dann nicht als Verfügungsgr<strong>und</strong> anzuerkennen,<br />

wenn Verwandte oder Bekannte bis zur erstinstanzlichen<br />

Entscheidung des Hauptsacheverfahrens auf Beschäftigung<br />

am bisherigen Arbeitsort diese Betreuung übernehmen<br />

können.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 20. Dezember 2007, 9 Ta 350/07<br />

21. Direktionsrecht, einstweilige Verfügung gegen zugewiesenen<br />

Arbeitsplatz<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten im Wege der einstweiligen Verfügung<br />

um die Art <strong>und</strong> Weise der Beschäftigung der Verfügungsklägerin<br />

im Betriebe der Verfügungsbeklagten, dies für die Dauer<br />

eines bereits anhängig gemachten Hauptsacheverfahrens (2<br />

Ca 556/08), welches – u. a. – den selben Streit betrifft.<br />

Die im Jahr 1961 geborene <strong>und</strong> verheiratete Klägerin hat 2<br />

minderjährige Kinder, welche sich im 3. bzw. 5. Schuljahr befinden.<br />

Bei der Beklagten ist sie seit August 1987 als kaufmännische<br />

Angestellte aufgr<strong>und</strong> schriftlichen Arbeitsvertrages<br />

... beschäftigt ...<br />

Unter dem 23.07.1997 schlossen die Parteien eine Zusatzvereinbarung<br />

zum Arbeitsvertrag, wonach die Tätigkeit der<br />

Klägerin ab dem 01.07.1997 mit „Vertriebsunterstützung“ angegeben<br />

wurde <strong>und</strong> hierzu am Wohnsitz der Klägerin ein<br />

„Home-Office-Platz“ eingerichtet wurde. ...<br />

In der Folgezeit wurden der Klägerin Tätigkeiten im Bereich<br />

des Einkaufs, der Abteilung Warenwirtschaftssysteme/Vertrieb<br />

sowie ab November 2005 die Betreuung angegliederter Un-<br />

40 01/09<br />

ternehmen übertragen. Zeitweise war sie Leiterin eines von 2<br />

Vertriebsteams der Verfügungsbeklagten. ...<br />

Durch Schreiben der Beklagten vom 30.01.2008 ... forderte<br />

(sie) die Verfügungsklägerin auf, sich in der (Zentrale) einzufinden;<br />

dort befinde sich künftig ihr Arbeitsplatz.<br />

Die der Verfügungsklägerin insoweit zugewiesene Tätigkeit<br />

besteht in der Annahme von Telefongesprächen sowie in<br />

der Verarbeitung von Kreditorenrechnungen ... Die der Verfügungsklägerin<br />

zugewiesene Arbeitszeit lautet auf 15.30 bis<br />

18.30 Uhr. Die Zuweisung dieser Arbeitsbedingungen hat die<br />

Verfügungsklägerin unter Vorbehalt angenommen. Im vorliegenden<br />

Eilverfahren wendet sie sich gegen diese Arbeitsbedingungen.<br />

Die Verfügungsklägerin beanstandet die ihr zugewiesene Tätigkeit,<br />

bei welcher es sich um die Bedienung der Telefonzentrale<br />

<strong>und</strong> ganz überwiegend die bloße Weiterleitung von Telefonanrufen<br />

handele sowie ansonsten um Tätigkeiten, welche<br />

jeder Azubi erledigen könne. Dies sei nicht vertragsgerecht.<br />

Die Telefonzentrale könne sie im Übrigen auch im Wege der<br />

Rufweiterleitung von ihrem Home-Office aus bedienen. Für<br />

etwaige später noch eingehende Anrufe könne ein Anrufbeantworter<br />

geschaltet werden. ...<br />

Die ihr zugewiesene Tätigkeit als Telefonistin sei nicht gleichwertig<br />

mit ihrer vertragsgerechten Tätigkeit. Sie habe zudem<br />

Anspruch auf Beschäftigung im Home-Office. ...<br />

Die Verfügungsklägerin meint, die vorliegende Regelung sei<br />

auch eilbedürftig <strong>und</strong> dringend erforderlich. Sie benötige<br />

nämlich den Nachmittag für die Betreuung der Kinder <strong>und</strong><br />

deren Hausaufgabenbetreuung. Sie müsse ihr jüngeres Kind<br />

auf die weiterführende Schule vorbereiten. Das ältere Kind<br />

habe Hausaufgaben aus einem zu weit gestreuten Fächerkanon<br />

zu erledigen, als dass die 71-jährige Großmutter das Kind<br />

hierbei angemessen betreuen könne.<br />

Es gebe auch keinerlei betriebliche Gründe, warum sie nicht<br />

zur betriebsüblichen Arbeitszeit am Vormittag eingesetzt werden<br />

könne.<br />

Zudem leide die Verfügungsklägerin der beschriebenen Situation<br />

wegen unter nervösen Magenschmerzen, Kreislaufstörungen<br />

<strong>und</strong> Depressionen. ...<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die Verfügungsklage ist abzuweisen, denn es fehlt an einem<br />

Verfügungsgr<strong>und</strong>, nämlich dem erforderlichen Eilbedürfnis.<br />

Will ein Arbeitnehmer im Wege der einstweiligen Verfügung<br />

erreichen, dass eine vom Arbeitgeber durch Ausübung des<br />

Direktionsrechts verfügte Versetzung rückgängig gemacht<br />

wird, so muss er darlegen <strong>und</strong> glaubhaft machen, dass er<br />

schwerwiegende Nachteile erleiden würde, wenn er eine<br />

Entscheidung in der Hauptsache abwarten müsste (LAG,<br />

vom 26.08.1992, 2 Sa 624/92). Die gegen eine Versetzung<br />

gerichtete einstweilige Verfügung setzt als Verfügungsgr<strong>und</strong><br />

glaubhaft zu machende, durch die Versetzung verursachte<br />

schwerwiegende Nachteile voraus, die es abzuwehren gilt<br />

(LAG Köln, vom 10.02.1995, 13 Sa 1367/94). Entsprechendes<br />

gilt – hier entschieden für den Fall der Beschäftigung während<br />

AE200901.PDF 40 17.02.2009 12:08:07


der laufenden Kündigungsfrist – bzgl. darzulegender wesentlicher<br />

Nachteile <strong>und</strong> damit besonderer zusätzlicher Gründe<br />

über das generelle Vorliegen eines Verfügungsanspruchs<br />

hinaus (LAG Köln, vom 08.12.1998, 5 Ta 304/98).<br />

Schwerwiegende bzw. wesentliche Nachteile, welche durch<br />

einen Verweis der Verfügungsklägerin auf das gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

jeweils zu führende Hauptsacheverfahren entstehen könnten,<br />

sind nicht schlüssig vorgetragen. Solche liegen zum einen<br />

nicht darin, dass eine Beschäftigung mit geringwertigeren<br />

Aufgaben im Falle des Obsiegens des Arbeitnehmers im<br />

Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig zu machen wäre<br />

(LAG Köln, 2 Sa 624/92). Sie liegen auch nicht darin, dass die<br />

Kinderbetreuung der Verfügungsklägerin an den Nachmittagen<br />

während der nunmehr ihr abverlangten Arbeitszeiten<br />

nicht gewährleistet wäre, denn die Kinderbetreuung ist<br />

gewährleistet:<br />

Insoweit verweist die Verfügungsklägerin selbst auf die Betreuung<br />

der Kinder durch deren Großmutter. Soweit im Übrigen<br />

auch eine Kinderbetreuung seitens des Vaters dieser Kinder<br />

in den Nachmittagsst<strong>und</strong>en in Betracht kommt, verhält<br />

sich die Antragsschrift hierzu nicht.<br />

Nicht ersichtlich <strong>und</strong> im Übrigen nicht konkret dargelegt ist,<br />

dass durch ein Abwarten der Entscheidung in dem gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

einzuhaltenden Hauptsacheverfahren der schulische<br />

Lebensweg der Kinder erheblich beeinträchtigt wurde.<br />

Zum einen ist davon auszugehen, dass im Rahmen eines funktionierenden<br />

Schulsystems die schulische Bildung von den<br />

Schulen geleistet wird; zum anderen macht die Verfügungsklägerin<br />

auch nicht deutlich, dass dies womöglich in ihrem<br />

Falle nicht geschehe (warum?) <strong>und</strong> ebenso wenig, warum sie<br />

die einzige Person sei, die solches zu leisten bzw. die nicht<br />

dargestellten Mängel in der schulischen Bildung auszugleichen<br />

vermöge. Der hierzu gehaltene Sachvortrag erscheint<br />

der Kammer unzureichend.<br />

Soweit die Verfügungsklägerin zudem Bezug nimmt auf bei<br />

ihr eingetretene Ges<strong>und</strong>heitsbeeinträchtigungen, ist keineswegs<br />

unstreitig, dass diese durch die Direktionsmaßnahme<br />

der Verfügungsbeklagten adäquat kausal verursacht wären.<br />

Solches ergibt sich auch aus dem vorliegenden Attest des Dr.<br />

... nicht, denn dieses geht ersichtlich von einer im Rahmen<br />

der Anamnese vorgenommenen Schilderung der Verfügungsklägerin<br />

persönlich aus. Eine Objektivierung dessen hat nicht<br />

stattgef<strong>und</strong>en.<br />

Zudem:<br />

Die Verfügungsklägerin hat sich ausdrücklich – unter Vorbehalt<br />

– mit der arbeitgeberseitig erteilten Weisung einverstanden<br />

erklärt, dies nämlich unter dem Vorbehalt, die Weisung<br />

auf ihre Berechtigung hin überprüfen zu lassen. Dies bedingt<br />

die Hinnahme der Weisung <strong>und</strong> deren Befolgung jedenfalls<br />

bis zur Abänderung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens –<br />

<strong>und</strong> zwar regelmäßig des Hauptsacheverfahrens.<br />

Die erkennende Kammer hält dafür, dass dieser erklärte Vorbehalt<br />

– ähnlich wie im Falle der Vorbehaltsannahme bei<br />

Änderungskündigung (vgl. dazu LAG Köln, vom 06.12.2001,<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

6 Sa 874/01, NZA – RR 2003, 82; LAG Köln, vom 25.01.2002, 11<br />

Sa 1109/01) – einseitig nicht mehr zurückgenommen werden<br />

kann, so dass die Verfügungsklägerin an ihrer Annahme unter<br />

Vorbehalt festzuhalten ist. Ähnlich wie im Falle der unter Vorbehalt<br />

der sozialen Rechtfertigung angenommenen Arbeitsbedingungen<br />

nach Ausspruch einer Änderungskündigung ist<br />

<strong>und</strong> bleibt die Verfügungsklägerin nach der Rechtsauffassung<br />

der erkennenden Kammer verpflichtet, zunächst unter den<br />

hingenommenen Arbeitsbedingungen ihre Tätigkeit bei der<br />

Verfügungsbeklagten fortzusetzen.<br />

Ob die der Verfügungsklägerin zugewiesene Tätigkeit inhaltlich<br />

dem materiellen Beschäftigungsanspruch der Verfügungsklägerin<br />

gerecht wird, ist nicht aufgr<strong>und</strong> einer nur summarischen<br />

Überprüfung im Eilverfahren, sondern im Rahmen<br />

des laufenden Hauptsacheverfahrens zu überprüfen; jedenfalls<br />

erweisen sich die der Verfügungsklägerin angesonnenen<br />

Bedingungen nicht als in einem so offensichtlichen Maße<br />

rechtsunwirksam, dass der Weisung der Verfügungsbeklagten<br />

dies sozusagen „auf der Stirn geschrieben“ stünde.<br />

■ Arbeitsgericht Bonn<br />

vom 12. März 2008, 2 Ga 4/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Stephan Pauly, Kurt-<br />

Schumacher-Straße 16, 53113 Bonn, Tel.: 0228/6209010,<br />

Fax: 0228/6209091<br />

pauly@pauly-rechtsanwaelte.de;<br />

www.pauly-rechtsanwaelte.de<br />

22. Direktionsrecht, Personalgespräche, Anspruch auf Unterlassung,<br />

einstweilige Verfügung<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren<br />

zur Zulässigkeit von Personalgesprächen mit dem Ziel einer<br />

Arbeitsvertragsänderung. ...<br />

Mit Schreiben vorm 29.07.2008 erhielt die Klägerin von der<br />

Beklagten ein Vertragsangebot, wonach sich (u.a.) das Jahreseinkommen<br />

... reduzieren soll. .. Die Klägerin wurde zwecks<br />

Annahme des Vertragsangebotes der Beklagten eine Bedenkzeit<br />

von 2 Wochen eingeräumt. Die Klägerin nahm das Vertragsangebot<br />

der Beklagten nicht an, so dass am 14.08.2008<br />

die Klägerin zu einem Personalgespräch eingeladen wurde.<br />

An diesem Personalgespräch nahm weiter als Betriebsratsmitglied<br />

Herr K. <strong>und</strong> die Standortleiterin Frau P. teil. Gegenstand<br />

des Personalgespräches war die Nichtunterzeichnung des von<br />

der Beklagten vorgelegten Arbeitsvertrages durch die Klägerin.<br />

In diesem Gespräch hat die Klägerin eine Unterzeichnung<br />

des Vertragsangebotes abgelehnt. Streitig ist die Erklärung<br />

der Standortleiterin in diesem Zusammenhang, dass sie erklärt<br />

habe, dass sie im nächsten Gespräch von der Klägerin eine<br />

Unterschrift erwarte. ... Die Klägerin hat sich nach diesem Gespräch<br />

an den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin<br />

gewandt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin verfasste<br />

ein Schreiben mit Datum vom 15.08.2008 mit dem Inhalt, dass<br />

die Klägerin zu weiteren Personalgesprächen mit dem Zweck<br />

AE200901.PDF 41 17.02.2009 12:08:07<br />

41


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

einer Änderung ihres Vertrages verschont werden soll. Dieses<br />

Schreiben wurde per Fax an die Beklagte versandt.<br />

Ein weiteres Personalgespräch wurde mit der Klägerin am<br />

20.08.2008 bzw. 21.08.2008 geführt, in dem die Klägerin nochmals<br />

erklärt hat, dass sie nicht bereit ist, den geänderten Arbeitsvertrag<br />

zu unterschreiben. ...<br />

Unstreitig ist, dass durch die Beklagte nach Erhalt des anwaltlichen<br />

Schreibens des Prozessbevollmächtigten der Klägerin<br />

das für den 25.08.2008 bestimmte Personalgespräch von der<br />

Standortleiterin abgesagt wurde. ...<br />

Mit der am 26.08.2008 eingereichten einstweiligen Verfügung<br />

begehrt nunmehr die Klägerin die Unterlassung von weiteren<br />

Personalgesprächen, die eine Änderung des Arbeitsvertrages<br />

der Klägerin zum Gegenstand haben. Den Verfügungsanspruch<br />

begründet die Klägerin insbesondere damit, dass<br />

die wiederholten Personalgespräche die Klägerin psychisch<br />

unter Druck setzen <strong>und</strong> einen eindeutigen Verstoß gegen das<br />

Maßregelungsverbot gemäß § 612a BGB darstelle. Darüber<br />

hinaus verletze die Beklagte die Fürsorgepflichten, in dem<br />

durch die Anordnung wiederholter Personalgespräche das Direktionsrecht<br />

der Beklagten überschritten werde. In Folge dieser<br />

mehrfachen Personalgespräche leide die Klägerin bereits<br />

unter Schlafstörungen, so dass weitere ges<strong>und</strong>heitliche Beeinträchtigungen<br />

nicht ausgeschlossen werden könnten. Aus<br />

diesen Gründen sei es auch der Klägerin nicht zuzumuten, die<br />

Entscheidung des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Der zulässige Antrag ist unbegründet. ...<br />

Die Klägerin begehrt die Regelung eines einstweiligen Zustandes<br />

in Bezug auf ein Rechtsverhältnis insbesondere über<br />

dessen Inhalt Meinungsverschiedenheiten bestehen. So besteht<br />

der Streit insbesondere darüber, inwieweit die Beklagte<br />

im Rahmen ihres Direktionsrechtes die Klägerin mehrfach zu<br />

einem Personalgespräch auffordern kann, welches zum Inhalt<br />

hat, den bestehenden Arbeitsvertrag der Klägerin vom<br />

21.04.2006 hinsichtlich der Vergütung, Urlaubsanspruch <strong>und</strong><br />

der wöchentlichen Arbeitszeit zum Nachteil der Klägerin abzuändern.<br />

Dem Antrag auf einstweilige Verfügung lag insbesondere<br />

der Umstand zu Gr<strong>und</strong>e, dass durch den Beklagten<br />

der Klägerin ein abänderndes Vertragsangebot mit dem<br />

Arbeitsvertrag vom 29.07.2008 zwecks Annahme vorgelegt<br />

wurde. Unstreitig ist, dass die Klägerin in den geführten Personalgesprächen<br />

mehrfach erklärt hat, dass sie diese der Klägerin(ihr?)<br />

angebotenen Änderungen in Gestalt des Vertragsangebotes<br />

vom 29.07.2008 nicht annimmt. Unstreitig ist auch,<br />

dass die Beklagte am 25.08. das für diesen Tag vorgesehene<br />

weitere Personalgespräch mit der Klägerin abgesagt hat mit<br />

dem Hinweis, dass keine weiteren bzw. vorläufig keine weiteren<br />

Gespräche mit der Klägerin geplant seien. In der letzten<br />

mündlichen Verhandlung ist auch nochmals vom Prozessbevollmächtigten<br />

der Beklagten erklärt worden, dass es weitere<br />

Personalgespräche, im Hinblick auf das vorgelegte Vertragsangebot<br />

vom 29.07.2008, mit der Klägerin nicht mehr geben<br />

wird. Mit dieser Erklärung hat die Beklagte deutlich zu erken-<br />

42 01/09<br />

nen gegeben, dass sie die Ablehnung des Vertragsangebotes<br />

seitens der Klägerin akzeptiert. Selbst wenn die Beklagte erklärt<br />

haben soll, dass vorläufig kein weiteres Personalgespräch<br />

mit der Klägerin geführt wird, ändert diese Erklärung auch<br />

nichts daran, dass es der Beklagten im Rahmen ihres Direktionsrechtes<br />

erlaubt ist, Personalgespräche mit der Klägerin<br />

anzuordnen <strong>und</strong> durchzuführen. Die Ausübung des Direktionsrechts<br />

muss stets billigem Ermessen entsprechen. Dies<br />

setzt voraus, dass die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen<br />

<strong>und</strong> die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt<br />

werden. Die Ausübung des Direktionsrechts überschreitet<br />

die durch § 315 BGB gezogenen Grenzen, wenn der<br />

Arbeitgeber damit zu Lasten seines Arbeitnehmers allein seine<br />

Interessen durchzusetzen versucht (BAG, Urteil 19.05.1992,<br />

EzA Nr. 39 zu § 315 BGB). Da aber das Vertragsangebot der<br />

Beklagten vom 29.07.2008 nicht mehr ein Streitgegenstand<br />

zwischen den Parteien ist, fehlt es für den vorliegenden Fall<br />

an der erforderlichen Eilbedürftigkeit der von der Klägerin begehrten<br />

Regelung. Auch ist die einstweilige Verfügung nicht<br />

mehr zur Abwehr wesentlicher Nachteile erforderlich. Soweit<br />

mit der Klägerin weitere Personalgespräche geführt werden<br />

<strong>und</strong> die Beklagte neue Vertragsangebote unterbreitet, hat die<br />

Klägerin jederzeit die Möglichkeit zu entscheiden, ob sie dieses<br />

Vertragsangebot annimmt oder nicht. Des Weiteren hat<br />

sie auch die Möglichkeit, zu solchen Gesprächen eine Person<br />

ihres Vertrauens hinzuzuziehen. Einer einstweiligen Regelung<br />

bedarf es unter den dargelegten Gründen nicht. ...<br />

■ Arbeitsgericht Erfurt<br />

vom 9. September 2008, 8 Ga 20/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter Schrader, Podbielskistraße<br />

33, 30163 Hannover, Tel.: 0511/215 55 63 -33,<br />

Fax: 0511/215 55 63-43<br />

kanzlei@neef-schrader-straube.de;<br />

www.neef-schrader-straube.de<br />

23. Geldbußen, Erstattung durch Arbeitgeber bei Verstößen<br />

eines Lkw-Fahrers gegen Verkehrsvorschriften<br />

Ein LKW-Fahrer, der innerhalb der Europäischen Gemeinschaft<br />

am grenzüberschreitenden Straßenverkehr teilnimmt, muss<br />

etwaige Geldbußen wegen Verstößen gegen Straßenverkehrsvorschriften<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich aus dem eigenen Vermögen<br />

tragen (im Anschluss an BAG, Urteil v. 25.01.2001, 8 AZR<br />

465/00).<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 10. April 2008, 10 Sa 892/06<br />

24. Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz, Zielvereinbarung, Stichtagsregelung,<br />

Betriebstreue<br />

Stichtagsregelungen sind auch im Zusammenhang mit Zielvereinbarungen<br />

nicht gr<strong>und</strong>sätzlich wirkungslos.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 24. April 2008, 11 Sa 87/08, Rev. zugel.<br />

AE200901.PDF 42 17.02.2009 12:08:07


25. Mutterschutzlohn oder Entgeltfortzahlung, auch eine<br />

„unerwünschte“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung führt<br />

(nur) zur Entgeltfortzahlung<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten um Entgeltansprüche im Zusammenhang<br />

mit einem Beschäftigungsverbot. ...<br />

Bei der Klägerin bestand eine Schwangerschaft. Ab dem<br />

27.09.2007 wurde sie stationär behandelt. Hierüber existiert<br />

eine ärztliche Bescheinigung ... , in welcher als Diagnose „Cervixinsuffizienz“<br />

bescheinigt wird. Am 24.10.2007 suchte die<br />

Klägerin die gynäkologische Gemeinschaftspraxis Dr. ... auf,<br />

welche die Vertretung für die behandelnde Frauenärztin, Frau<br />

Dr. ... übernommen hatte. Durch die Gemeinschaftspraxis<br />

wurde mit Datum vom 24.10.2007 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung<br />

als Folgebescheinigung ausgestellt. Diese gibt<br />

eine bestehende Arbeitsunfähigkeit seit dem 27.09.2007 –<br />

dem Tag der Krankenhausaufnahme – bis voraussichtlich zum<br />

07.01.2008 an. ... Unter dem Datum 03.12.2007 erteilte Frau<br />

Dr. ... eine ärztliche Bescheinigung, ausweislich derer wegen<br />

einer Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung von Mutter <strong>und</strong> Kind in der Zeit<br />

vom 24.10. bis 12.12.2007 ein totales Beschäftigungsverbot<br />

galt (vgl. BI/25 d. A.). Ein weiteres Beschäftigungsverbot<br />

wurde mit ärztlichem Attest vom 13.12.2007 für den Zeitraum<br />

13.12.2007 bis 07.01.2008 ausgesprochen. ...<br />

Mit ihrer am 21.12.2007 zum Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven<br />

erhobenen Klage machte die Klägerin zunächst Entgelt<br />

für November 2007 <strong>und</strong> für den Zeitraum vom 01.12.<br />

bis 10.12.2007 geltend. ... Mit Schriftsatz vom 11.06.2008<br />

erweiterte die Klägerin die Klage um Zahlung für weitere<br />

Zeiträume, sodass sie zuletzt Leistungen während eines bestehenden<br />

Beschäftigungsverbotes für den Zeitraum 24.10.2007<br />

bis 07.01.2008 verlangt.<br />

Die Klägerin trägt vor, dass das attestierte Beschäftigungsverbot<br />

die nicht wegzudenkende Ursache für das Nichtleisten<br />

der Arbeit gewesen sei. Dieses ging ausschließlich<br />

auf die Schwangerschaft zurück. Es habe von vornherein<br />

eine Risiko-Schwangerschaft bestanden, welche zu dem<br />

stationären Aufenthalt geführt habe. Insofern hätte bereits<br />

seit dem 27.09.2007 eine Gefahr für Leben <strong>und</strong> Leib bzw.<br />

für die Ges<strong>und</strong>heit des Kindes bestanden. Aus ihr nicht<br />

nachvollziehbaren Gründen sei sie jedoch zunächst nur<br />

arbeitsunfähig krankgeschrieben worden. .. Erst später sei<br />

das Beschäftigungsverbot durch die behandelnde Gynäkologin<br />

ausgesprochen worden. Jedenfalls habe sie die erst<br />

nachträgliche Ausstellung der ärztlichen Bescheinigung über<br />

das Beschäftigungsverbot nicht zu vertreten. ...<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die zulässige Klage ist unbegründet<br />

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung des Entgeltes<br />

durch die Beklagte aufgr<strong>und</strong> eines ausgesprochenen Beschäftigungsverbotes<br />

für den Zeitraum 24.10.2007 bis 07.01.2008.<br />

Gem. § 11 Abs. 1 MuSchG ist schwangeren Arbeitnehmerinnen,<br />

soweit sie nicht Mutterschaftsgeld nach den Vorschriften<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

der RVO beziehen können, vom Arbeitgeber mindestens der<br />

Durchschnittsverdienst der letzten dreizehn Wochen oder der<br />

letzten drei Monate vor Beginn des Monats in welchem die<br />

Schwangerschaft eingetreten ist, weiter zu gewähren, wenn<br />

sie u. a. wegen eines Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1<br />

MuSchG teilweise oder völlig mit der Arbeit aussetzen (§ 11<br />

Abs. 1 Satz 1 MuSchG). Nach § 3 Absatz 1 MuSchG dürfen<br />

werdende Mütter nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem<br />

Zeugnis Leben oder Ges<strong>und</strong>heit von Mutter oder Kind<br />

bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet sind. ...<br />

Allerdings besteht der Anspruch auf Mutterschutzlohn nach<br />

§ 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG nur dann, wenn allein das mutterschutzrechtliche<br />

Beschäftigungsverbot dazu führt, dass die<br />

Schwangere mit der Arbeit aussetzt. ... Nach der Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichtes kommt es darauf an, ob ein<br />

krankhafter Zustand – sei es im Zusammenhang mit Schwangerschaft,<br />

sei es unabhängig von dieser – zu der Arbeitsunfähigkeit<br />

der Schwangeren führt. Ist dies der Fall, hat der Arzt<br />

eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen.<br />

Das parallel ausgesprochene Beschäftigungsverbot hat dann<br />

zwar immer noch Wirkungen der §§ 3 Abs. 1, 21, 24 MuSchG,<br />

begründet jedoch keine Vergütungspflicht nach § 11 MuSchG.<br />

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin<br />

zitierten Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts (Urteil<br />

vom 13.02.2002, a.a.O.). Dort findet sich zwar die von den<br />

Prozessbevollmächtigten der Klägerin zitierten Passage: „Deshalb<br />

kommt es dann, wenn die entscheidende Verschlechterung<br />

der Ges<strong>und</strong>heit erst durch die Fortführung der Beschäftigung<br />

eintreten würde, darauf an, ob die Ursache hierfür ausschließlich<br />

in der Schwangerschaft begründet ist. in diesem<br />

Fall, ist das sich verwirklichende Risiko des § 3 Abs. 1, § 11<br />

MuSchG dem Arbeitgeber zugewiesen, die Arbeitsunfähigkeit<br />

dagegen subsidiär. Bei einer anderen Auslegung liefe § 11<br />

MuSchG weitgehend leer.“ (Rz 21 in juris).<br />

Diese Feststeilung hat das BAG jedoch in einem anderen Zusammenhang<br />

getroffen. Streitgegenständlich war in dem dort<br />

zu beurteilenden Sachverhalt, dass eine bestehende Krankheit<br />

bei Fortführung der Beschäftigung eine weitere Verschlechterung<br />

der Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> erst dadurch die Unfähigkeit zur Arbeitsleistung<br />

bewirkt. Insofern ist zu unterscheiden zwischen<br />

einer Krankheit, die zu einer Arbeitsunfähigkeit führt <strong>und</strong> solchen<br />

Krankheiten, welche ohne Arbeitsunfähigkeit bestehen.<br />

Vorliegend ist der Fall jedoch anders gelagert. Bereits seit dem<br />

27.09.2007 bestand bei der Klägerin eine Arbeitsunfähigkeit<br />

Sie hatte sich in stationäre Behandlung begeben <strong>und</strong> es lag<br />

eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung<br />

kommt ein hoher Beweiswert hinsichtlich<br />

ihrer Richtigkeit zu. ... Die Klage hätte insoweit dann<br />

Erfolg haben können, wenn die Klägerin dargelegt hätte, dass<br />

die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu Unrecht ausgestellt<br />

wurde, eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit also überhaupt<br />

nicht vorgelegen hätte <strong>und</strong> die Arbeitsleistung allein<br />

wegen des Beschäftigungsverbotes unterb<strong>liebe</strong>n ist.<br />

AE200901.PDF 43 17.02.2009 12:08:07<br />

43


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

■ Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven<br />

vom 11. Juni 2008, 8 Ca 8096/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klaus-Dieter Franzen, Schwachhauser<br />

Heerstr. 25 28211 Bremen, Tel.: 0421-200730,<br />

Fax: 0421-200 73 99<br />

franzen@dasgsetz.de; www.dasgesetz.de<br />

26. Überst<strong>und</strong>en, Vergütungsanspruch, Darlegungs- <strong>und</strong><br />

Beweislast, Bedeutung des Verhaltens des Arbeitgebers,<br />

unwirksame Berufung auf eine Ausschlussfrist<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Klägerin war vom 01.02.2006 bis zum 31.03.2007 bei der<br />

Beklagten als Diplom-Psychologin beschäftigt. ...<br />

Zum Thema Überst<strong>und</strong>en/Mehrarbeit existiert bei der Beklagten<br />

eine Betriebsvereinbarung. Wegen der Einzelheiten wird<br />

auf diese Betriebsvereinbarung (Bl. 35 ff. d. A.) Bezug genommen.<br />

In der Personalabteilung der Beklagten wurden monatliche<br />

St<strong>und</strong>enlisten geführt. In diesen Listen war bezogen auf den<br />

jeweiligen Mitarbeiter, so auch bezogen auf die Klägerin, zunächst<br />

einmal die jeweils tägliche Sollst<strong>und</strong>enzahl maschinenschriftlich<br />

eingetragen. In der letzten Spalte dieser Liste war<br />

auch der aktuelle Überst<strong>und</strong>enstand dokumentiert. In diese<br />

Liste wurden handschriftlich jeweils an den einzelnen Tagen<br />

etwaige Überst<strong>und</strong>en der Mitarbeiter eingetragen. In den Monaten<br />

Februar, März, April, Mai, November <strong>und</strong> Dezember<br />

2006 wurden bezogen auf die Klägerin die entsprechenden<br />

handschriftlichen Eintragungen der monatlichen Überst<strong>und</strong>en<br />

von der Vorgesetzten ... gegengezeichnet. ...<br />

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte sei verpflichtet, die<br />

auf dem Bogen für den Monat Dezember 2006 handschriftlich<br />

ausgewiesenen Überst<strong>und</strong>en im Umfang von 384,75 € abzugelten.<br />

Zwar seien entsprechend § 5.2 des Arbeitsvertrages angefallene<br />

Überst<strong>und</strong>en regelmäßig durch Freizeit abzugelten. Da<br />

dieses aber bei der Klägerin aufgr<strong>und</strong> der Beendigung des<br />

Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich gewesen sei, seien<br />

die Überst<strong>und</strong>en auszubezahlen. Eine Gewährung von Freizeit<br />

durch die Beklagte sei nicht erfolgt. Die Überst<strong>und</strong>enabgeltungsansprüche<br />

seien auch nicht gemäß § 15 des Arbeitsvertrages<br />

verfallen. ...<br />

Die Klägerin (verweist) ... im Hinblick auf die geltend gemachte<br />

Mehrarbeitsvergütung ...<br />

auf die arbeitsvertraglichen Vorschriften in §§ 5, 6 des Arbeitsvertrages.<br />

Sie verweist zudem auf die Regelungen der<br />

Betriebsvereinbarung.<br />

Die Beklagte bestreitet, dass die von der Klägerin behaupteten<br />

Überst<strong>und</strong>en tatsächlich angefallen seien. Sie bestreitet<br />

zudem, dass die Überst<strong>und</strong>en angeordnet worden seien.<br />

Soweit Überst<strong>und</strong>en ... gegengezeichnet worden seien, habe<br />

es sich nur um eine nachträgliche Gegenzeichnung der in den<br />

jeweiligen Monaten geleisteten Überst<strong>und</strong>en <strong>und</strong> nicht um<br />

eine Bestätigung der Summierung der Überst<strong>und</strong>en, wie sie<br />

44 01/09<br />

am Ende der Aufzeichnungen enthalten sei, gehandelt. Die<br />

Summierung habe nur statistischen Zwecken gedient. Sie<br />

habe kein Anerkenntnis der Summierung dargestellt. Die<br />

schriftliche Erfassung der Überst<strong>und</strong>en durch die Personalabteilung<br />

... habe keine Außenwirkung haben sollen. Im<br />

Übrigen sei (die Personalabteilung) nicht berechtigt gewesen,<br />

durch die statistischen Summierungen der Überst<strong>und</strong>en<br />

gegenüber den einzelnen Mitarbeitern die Fortschreibung<br />

anzuerkennen. Sie habe außerdem in regelmäßigen Abständen<br />

insbesondere bei Vorlage der Monatsaufzeichnungen die<br />

Klägerin darauf hingewiesen, sie solle die monatlichen Überst<strong>und</strong>en<br />

abfeiern, da sie sonst verfallen könnten. Dieses habe<br />

die Klägerin schlicht <strong>und</strong> er-greifend ignoriert.<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

2) Die Klage ist aber weitgehend begründet, insofern die<br />

Klägerin von der Beklagten die Abgeltung von Überst<strong>und</strong>en<br />

begehrt. ...<br />

a) Der Beklagten ist zuzugeben, dass der Arbeitnehmer, der<br />

in einem Rechtsstreit von seinem Arbeitgeber die Vergütung<br />

von Überst<strong>und</strong>en fordert, beim Bestreiten der Überst<strong>und</strong>en<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich im Einzelnen darlegen <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

beweisen muss, an welchen Tagen <strong>und</strong> zu welchen Tageszeiten<br />

er über die übliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet<br />

hat (BAG, Urteil vom 03.11.2004, 5 AZR 648/03, zitiert nach<br />

Juris-Datenbank). Gleichzeitig ist in der Rechtsprechung aber<br />

auch anerkannt, dass es Fallsituationen geben kann, in denen<br />

sich insofern die Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast hinsichtlich<br />

der Darlegung eines Mehrarbeitsvergütungsanspruches ändern<br />

können (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom<br />

22.04.2004, 1 Sa 358/03, zitiert nach Juris-Datenbank).<br />

b) Nach diesen Gr<strong>und</strong>sätzen war die Klägerin entgegen der<br />

Ansicht der Beklagten vorliegend nicht verpflichtet, im Einzelnen<br />

die Ableistung <strong>und</strong> Anordnung jeder einzelnen Überst<strong>und</strong>e<br />

darzulegen.<br />

Ausweislich der von der Klägerin vorgelegten monatlichen<br />

St<strong>und</strong>enzettel wurden bei der Beklagten die Überst<strong>und</strong>en in<br />

der Personalabteilung monatlich summiert. Ausweislich der<br />

maschinenschriftlichen Eintragungen ergaben sich erhebliche<br />

abgeleistete Überst<strong>und</strong>en zu Gunsten der Klägerin. Wenn<br />

aber die Personalabteilung der Beklagten solche Überst<strong>und</strong>enlisten<br />

zu wie auch immer gearteten statistischen Zwecken<br />

führte, so ist davon auszugehen, dass es sich bei den dort<br />

geleisteten Überst<strong>und</strong>en auch tatsächlich um angefallene<br />

<strong>und</strong> angeordnete Überst<strong>und</strong>en gehandelt hat. Insofern wäre<br />

es prozessual Sache der Beklagten gewesen, im Einzelnen<br />

darzulegen, dass die maschinenschriftlich aufgezeichneten<br />

Überst<strong>und</strong>en nicht angefallen <strong>und</strong> nicht angeordnet worden<br />

sind. Ein solcher Sachvortrag ist nicht erfolgt.<br />

Zudem hat auf den vorbezeichneten Listen teilweise die Vorgesetzte<br />

der Klägerin die monatlich angefallenen Überst<strong>und</strong>en<br />

gegengezeichnet. Auch insofern geht das Gericht davon<br />

aus, dass die monatlich gegengezeichneten Überst<strong>und</strong>en angefallen<br />

<strong>und</strong> auch angeordnet worden sind. Auch insofern<br />

AE200901.PDF 44 17.02.2009 12:08:07


hätte es der Beklagten oblegen, im Einzelnen darzustellen,<br />

dass entgegen dieser Abzeichnung die konkreten monatlichen<br />

Überst<strong>und</strong>en nicht angeordnet wurden <strong>und</strong> angefallen<br />

sind. ...<br />

d) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Anspruch der<br />

Klägerin auf Überst<strong>und</strong>enabgeltung nicht gemäß § 15 des<br />

Arbeitsvertrages verfallen.<br />

Insofern ist der Beklagten allerdings zuzugeben, dass nach<br />

der arbeitsvertraglichen Regelung sämtliche Ansprüche beider<br />

Seiten aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist<br />

von vier Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend<br />

zu machen sind. Die Klägerin hat die Abgeltung von<br />

Überst<strong>und</strong>en – soweit ersichtlich – erstmals im Februar 2007<br />

geltend gemacht. Gleichwohl ist ein Verfall der Überst<strong>und</strong>enansprüche<br />

nicht eingetreten.<br />

Dies ergibt sich einerseits zunächst daraus, dass die Zahl der<br />

Überst<strong>und</strong>en in den von der Personalleitung der Beklagten<br />

geführten Listen unabhängig von der Frist des § 15 des Arbeitsvertrages<br />

fortgeschrieben wurde. Im Verlaufe des Jahres<br />

2006 sind unter dem Gesichtspunkt des Verfalls keinerlei<br />

Überst<strong>und</strong>en in diesen Personallisten gekürzt worden.<br />

Zudem sollten Überst<strong>und</strong>enansprüche ausweislich §2–5<br />

der Betriebsvereinbarung vom 12.05.2004 erst dann verfallen,<br />

wenn der Teamleiter dem Mitarbeiter eine konkrete<br />

Möglichkeit gegeben hatte, die Überst<strong>und</strong>en auszugleichen.<br />

Außerdem sollte hiernach zur Vermeidung eines Verfalls der<br />

Überst<strong>und</strong>en zusätzlich nach sechs Wochen eine Erinnerung<br />

durch die Personalabteilung erfolgen.<br />

Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Teamleiter/die Teamleiterin<br />

der Klägerin eine konkrete Möglichkeit gegeben hat,<br />

Überst<strong>und</strong>en über das tatsächlich in Anspruch genommene<br />

überst<strong>und</strong>enfrei hinaus auszugleichen. Es ist von der Beklagten<br />

zudem auch nicht substantiiert dargelegt worden, dass<br />

die Personalabteilung die Klägerin insofern konkret erinnert<br />

hat. Zwar hat die Beklagte behauptet, die Personalabteilung<br />

habe die Klägerin in regelmäßigen Abständen aufgefordert,<br />

die monatlichen Überst<strong>und</strong>en abzufeiern. Wann konkret diese<br />

Aufforderungen erfolgt sind, hat die Beklagte aber nicht dargelegt.<br />

Zudem hat die Beklagte auch nicht dargelegt, in welchen<br />

konkreten Zeiträumen die Klägerin ... die Überst<strong>und</strong>en<br />

abfeiern sollte.<br />

Nach alledem ist ein Verfall von Überst<strong>und</strong>en nicht eingetreten.<br />

■ Arbeitsgericht Arnsberg<br />

vom 8. April 2008, 3 Ca 1026/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Hansjörg Berrisch, Frankfurter<br />

Straße 15, 35390 Gießen, Tel.: 0641/948480,<br />

Fax: 0641/9494820<br />

info@linder-berrisch.de; www.arbeitsrecht-giessen.de<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

27. Vergütung, betriebliche Übung, gegenläufige, Sonderzahlung<br />

Es liegt kein Verzicht auf Zahlung eines 13. Monatseinkommens<br />

auch für die Zukunft in der zweimaligen widerspruchslosen<br />

Hinnahme einer Nichtzahlung.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 23. November 2007, 4 Sa 1154/07<br />

28. Vergütung, Schuldanerkenntnis, deklatorisches<br />

Erteilt ein Arbeitnehmer auf Aufforderung des Arbeitgebers<br />

über seinen Bonusanspruch eine Rechnung in Höhe des vom<br />

Arbeitgeber zugestandenen Betrages, so kann damit ein deklaratorischer<br />

Schuldanerkennungsvertrag zustande gekommen<br />

sein.<br />

Dieses Schuldanerkenntnis umfasst nicht die ohnehin nicht<br />

disponible Art der Vergütung als Werklohn bzw. Entgelt aus<br />

Geschäftsbesorgung oder als Arbeitseinkommen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 8. Januar 2008, 9 Sa 1170/07<br />

29. Zeugnis, Vergleich, Entwurfsrecht des Arbeitnehmers,<br />

Bindungswirkung<br />

1. Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einem gerichtlichen<br />

Vergleich, dem Arbeitnehmer „gemäß dessen Vorlage“ ein gutes<br />

„Dienstzeugnis“, das sich auch auf Führung <strong>und</strong> Leistung<br />

erstreckt, zu erteilen, so stellt dies ein Schuldanerkenntnis dar.<br />

2. Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, ein Zeugnis entsprechend<br />

dem vom Arbeitnehmer vorgelegten Entwurf<br />

zu erteilen. Dies gilt bis zur Grenze offenk<strong>und</strong>igen Rechtsmissbrauchs.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 2. April 2008, 29 Ca 13.850/07, Berufung zugelassen<br />

30. Zeugnisinhalt, Bindung an vereinbarten Inhalt, soweit<br />

nichts anderes vorbehalten<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten um den Inhalt eines Endzeugnisses<br />

... Im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses einigten<br />

sich die Parteien auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

... Im Rahmen dieses ... Vergleichs ... verpflichtete sich die<br />

Beklagte, dem Kläger ein qualifiziertes Zeugnis, „in Anlehnung<br />

an das bereits erteilte Zwischenzeugnis“ zu erteilen. ...<br />

Die Beklagte erteilte dem Kläger ... ein Endzeugnis, welches inhaltlich<br />

wesentlich von dem Zwischenzeugnis abweicht. Hiergegen<br />

wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage. ...<br />

Die Beklagte hält sich angesichts angeblich nach Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses bekannt gewordenen Fehlverhaltens<br />

des Klägers nicht für verpflichtet, ein Endzeugnis wie im<br />

Vergleich versprochen, zu erteilen. ...<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

... Der Kläger hat gegen die Beklagte aus dem Vergleich ...<br />

einen Anspruch auf das begehrte Zeugnis.<br />

AE200901.PDF 45 17.02.2009 12:08:07<br />

45


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Soweit die Beklagte vorträgt, nachträglich in Erfahrung<br />

gebrachte Tatsachen über das Verhalten des Klägers während<br />

der Dauer des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen es<br />

nicht mehr, dem Kläger ein Zeugnis in Anlehnung an das<br />

Zwischenzeugnis zu erteilen, ist dieser Sachvortrag rechtlich<br />

unerheblich. Denn die Beklagte hatte sich in diesem Vergleich<br />

vertraglich verpflichtet, dem Kläger ein Endzeugnis<br />

mit einem bestimmten Inhalt zu erteilen. Sie hatte diese<br />

Verpflichtung nicht davon abhängig gemacht, dass ihr keine<br />

neue Tatsachen über Verhaltensweisen des Klägers während<br />

der Dauer des Arbeitsverhältnisses bekannt wurden. Damit ist<br />

die Beklagte an ihre vertragliche Verpflichtung, die wirksam<br />

ist, <strong>und</strong> nach wie vor Bestand hat, geb<strong>und</strong>en. Mithin war sie<br />

antragsgemäß zu verurteilen, bzw. das Versäumnisurteil vom<br />

24.01.2008 aufrecht zu erhalten.<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 4. September 2008, 6 Ca 9134/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Jürgen Höser, Kölner<br />

Straße 2, 50226 Frechen, Tel.: 02234-1820-0,<br />

Fax: 02234/1820-10<br />

office@hdup.de; www.hdup.de<br />

Bestandsschutz<br />

31. Änderungskündigung, Bestimmtheitserfordernis<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten<br />

Änderungskündigung.<br />

Die Beklagte stellt Kunststoffverpackungen her. Der Kläger ist<br />

seit dem 01.12.1991 bei der Beklagten zuletzt als Bereichsleiter<br />

Tiefziehen mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt<br />

von 4.037,00 Euro beschäftigt. ...<br />

Zum 01.01.2001 wurde dem Kläger auch die Aufgabe eines<br />

Assistenten der Produktionsleitung übertragen. Nachdem der<br />

Kläger sich in diese Aufgabe eingearbeitet hatte, wurde er<br />

(mit Schreiben vom 11.11.2002) ab dem 01.11.2002 in seiner<br />

Funktion als Assistent höhergruppiert. ... Gleichzeitig wurde<br />

ihm (mit einem weiteren Schreiben vom 11.11.2002) eine<br />

Prämienzusage erteilt. ...<br />

Gleichzeitig erhielt der Kläger für mögliche anfallende Überst<strong>und</strong>en<br />

eine Fixprämie in Höhe von 1.000,00 Euro brutto<br />

monatlich ausbezahlt. ...<br />

Mit Schreiben vom 24.01.2008 versetzte die Beklagte den<br />

Kläger als Produktionsanlagenführer in den Produktbereich<br />

PET.<br />

Nachdem der Kläger die freiwillige Übernahme des Arbeitsplatzes<br />

abgelehnt hatte, kündigte die Beklagte mit Schreiben<br />

vom 14.03.2008 das Arbeitsverhältnis des Klägers zum<br />

Ablauf des 30.09.2008. Gleichzeitig bot sie an den Abschluss<br />

eines neuen Arbeitsverhältnisses zu neuen Arbeitsbedingungen.<br />

... In der Änderungskündigung heißt es wörtlich:<br />

„Zugleich bieten wir Ihnen mit Wirkung ab dem 01.10.2008<br />

46 01/09<br />

den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages zu folgenden<br />

Bedingungen an:<br />

1. Tätigkeit als Produktionsanlagenführer PET<br />

2. Eingruppierung in die tarifliche Lohngruppe 6<br />

3. Eine übertarifliche Zulage als Bruttost<strong>und</strong>enlohn von<br />

2,00 €.“<br />

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen<br />

sozial ungerechtfertigt sei. Die mit der Änderung<br />

verb<strong>und</strong>enen Lohneinbußen seien ihm nicht zumutbar. ...<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die Klage ist zulässig <strong>und</strong> begründet.<br />

Die Änderungskündigung vom 14.03.2008 ist rechtsunwirksam,<br />

weil das Änderungsangebot nicht hinreichend bestimmt<br />

ist. ...<br />

Dem gekündigten Arbeitnehmer muss ersichtlich sein, welche<br />

wesentlichen Arbeitsbedingungen künftig gelten sollen <strong>und</strong><br />

welchen Inhalt das Arbeitsverhältnis zukünftig haben soll.<br />

Nur so kann der Arbeitnehmer seine Entscheidung über das<br />

Angebot in Kenntnis aller wesentlichen Vertragsbedingungen<br />

bzw. Änderung treffen. Dabei genügt eine Bestimmbarkeit<br />

des Angebots. Der Inhalt der Offerte ist nach den Regeln<br />

der §§ 133, 157 BGB zu interpretieren <strong>und</strong> zu bestimmen.<br />

Ist danach das Änderungsangebot nicht hinreichend bestimmt<br />

oder bestimmbar, so führt dies zur Unwirksamkeit<br />

der Änderungskündigung (BAG, vom 16.09.2004, 2 AZR<br />

628/03). Hinsichtlich des Inhalts eines Änderungsangebots<br />

ist aber der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen<br />

(§ 133 BGB). Deshalb können <strong>und</strong> müssen auch außerhalb<br />

des Kündigungsschreibens liegende, zur Erforschung des<br />

Angebotsinhalts geeignete Umstände herangezogen <strong>und</strong><br />

berücksichtigt werden. Nur so kann der Auslegungsregel des<br />

§ 133 BGB Rechnung getragen werden.<br />

Diesen Bestimmtheitsanforderungen genügt das Änderungsangebot<br />

der Beklagten vorliegend nicht. Es ist nicht ersichtlich,<br />

woraus sich bei der Änderungskündigung für den Kläger<br />

die zukünftigen Arbeitsbedingungen ergeben sollen. Insbesondere<br />

kann dem Änderungsangebot nicht entnommen<br />

werden, ob die mit Schreiben vom 11.11.2002 zugesagten<br />

Prämien sowie die Vereinbarung zur Arbeitszeitgestaltung erhalten<br />

bleiben sollen. Der Kläger war seit dem 11.11.2002<br />

aus der Arbeitszeiterfassung herausgenommen <strong>und</strong> erhielt<br />

hierfür eine Ausgleichszahlung in Höhe von 1.000,00 Euro<br />

brutto. Diese war ausdrücklich nicht Teil der gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Vergütungsregelung, wie sich aus den zwei unterschiedlichen<br />

Schreiben vom 11.11.2002 ergibt. Insbesondere handelt es<br />

sich nach diesen Schreiben bei den 1.000,00 Euro nicht um die<br />

im Monatsbetrag zu berücksichtigende übertarifliche Zulage.<br />

Vielmehr handelt es sich um eine monatliche Fixprämie, wie<br />

die Prämienzusage vom 11.11. wiedergibt. Dem Änderungsangebot<br />

der Beklagten vom 14.03.2008 ist in Bezug hierauf<br />

nicht zu entnehmen, ob diese Prämienregelung weiter Bestand<br />

haben soll. Dass dies nicht der Fall ist, war für den<br />

Kläger nach eigenen Angaben nicht offensichtlich. Im Übrigen<br />

ergibt es sich auch nicht aus den sonstigen Begleitumstän-<br />

AE200901.PDF 46 17.02.2009 12:08:07


den. Soweit die Beklagte vorträgt, dass die Prämienzusage<br />

unmittelbar mit der Position des Klägers in der Vergangenheit<br />

zu tun hatte, ist dies nicht ohne weiteres erkennbar. Denn<br />

der Kläger war in der Vergangenheit nach dem 11.11.2002<br />

jedenfalls noch in einer weiteren Funktion, nämlich als Bereichsleiter<br />

tätig. Auch in dieser Position hat er weiterhin die<br />

zugesagten Prämien erhalten <strong>und</strong> erhielt zudem die Fixprämie<br />

dafür, dass seine Arbeitszeit nicht erfasst wurde. Somit ergibt<br />

sich auch aus den Umständen, dass die Fixprämie nicht nur<br />

für die Position als Assistent der Produktionsleitung zugesagt<br />

worden ist, sondern auch für die Tätigkeit als Bereichsleiter<br />

gelten sollte, vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist es für den Kläger<br />

nicht zweifelsfrei erkennbar, ob die entsprechenden Zusagen<br />

mit dem Änderungsangebot vom 14.03. weiter aufrechterhalten<br />

bleiben sollen. Auch die weiteren betrieblichen Umstände<br />

rechtfertigen diese Annahme nicht. Insbesondere gibt es bei<br />

der Beklagten keine kollektivrechtlichen Regelungen, die die<br />

Herausnahme aus der Arbeitszeiterfassung oder eine Prämienregelung<br />

regelt. Die Tatsache allein, dass weitere Produktionsanlagenführer<br />

eine solche Prämienregelung nicht haben,<br />

rechtfertigt die Annahme nicht, dass sich aus den Umständen<br />

ergibt, dass diese Regelung für den Kläger nach der neuen<br />

arbeitsvertraglichen Regelung nicht mehr gelten sollte. Insoweit<br />

ergibt sich auch aus dem Vortrag der Beklagten, dass der<br />

Kläger als Produktionsanlagenführer PET eine Sonderstellung<br />

weiterhin behalten würde, da er der einzige Produktionsanlagenführer<br />

in diesem Bereich ist. Da das Änderungsangebot<br />

der Beklagten vom 14.03.2008 damit nicht die erforderliche<br />

Bestimmtheit aufweist, war die Klage insoweit abzuweisen. Es<br />

kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob die Änderung der<br />

Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt war.<br />

■ Arbeitsgericht Siegburg<br />

vom 19. November 2008, 3 Ca 855/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Bernd. M. Heinemann, Bonner<br />

Straße 158-160, 53757 Sankt Augustin, Tel.: 02241/21012,<br />

Fax: 02241/21568<br />

kontakt@heinemann-<strong>und</strong>-coll.de;<br />

www.heinemann-<strong>und</strong>-coll.de<br />

32. Arbeitsvertrag, Anfechtung wegen Verschweigen der<br />

Schwerbehinderteneigenschaft, unzulässige Frage nach<br />

AGG?<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit verschiedener<br />

von der Beklagten ausgesprochener Kündigungen sowie<br />

Vertragsanfechtungen der Beklagten auf Gr<strong>und</strong> der Schwerbehinderteneigenschaft<br />

des Klägers ...<br />

Mit Schreiben ... seines Prozessbevollmächtigten vom<br />

17.07.2008 ... teilte der Kläger der Beklagten mit, dass der<br />

Kläger schwerbehindert ist mit einem GdB von 100. ...<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ... II. 2. ... Die von der Beklagten<br />

erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrages geht ins<br />

Leere, weil ein Anfechtungsrecht nicht bestand, insbesondere<br />

nicht auf Gr<strong>und</strong> von § 123 Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

kann seine dem Vertragsschluss zu Gr<strong>und</strong>e liegende Willenserklärung<br />

anfechten, wer – neben dem hier nicht vorliegenden<br />

Fall einer Drohung – durch arglistige Täuschung zur<br />

Abgabe dieser Willenserklärung bestimmt worden ist.<br />

Dies setzt objektiv voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung<br />

oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner<br />

einen Irrtum erregt <strong>und</strong> ihn zur Abgabe einer Willenserklärung<br />

veranlasst hat. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann die Täuschung<br />

auch in einem Verschweigen von Tatsachen bestehen, allerdings<br />

nur dann, wenn der Schweigende zur Offenbarung<br />

der entsprechenden Tatsache auch ungefragt verpflichtet ist.<br />

Daraus folgt, dass nicht jede falsche Angabe des Arbeitnehmers<br />

bei Einstellungsverhandlungen bereits eine arglistige<br />

Täuschung i.S.d. § 123 BGB darstellt, sondern nur eine falsche<br />

Antwort auf eine zulässig gestellte Frage (vgl. ArbG Herne,<br />

Urt. v. 31.03.2006 – 1 Ca 2452/05 – juris Rn 89; Suckow, in:<br />

Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, 2. Auflage 2008, § 11 Rn 68<br />

m.w.N.). ...<br />

Soweit das BAG in seiner früheren Rechtsprechung die Frage<br />

nach einer Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich für zulässig gehalten hat, kann dies nach<br />

Auffassung des Gerichts im Geltungsbereich der §§ 1,7 AGG<br />

in dieser allgemeinen Weise nicht mehr anerkannt werden<br />

(ebenso Schleusener, in: Schleusener/Suckow/Voigt, AGG,<br />

2. Auflage 2008, § 3 Rn 30; ferner bereits vor In-Kraft-Treten<br />

des AGG ArbG Herne, a.a.O. sowie LAG Hamm, Urt. v.<br />

19.10.2006 – 15 Sa 740/06 mit zustimmender Anmerkung<br />

Tolmein, in: jurisPR-ArbR 18/2007 Anmerkung 4).<br />

§ 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verbietet eine Benachteiligung<br />

schwer behinderter Beschäftigter durch den Arbeitgeber, wobei<br />

§ 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX hinsichtlich der Einzelheiten<br />

auf die Regelungen des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes<br />

verweist. Dieses verbietet in § 7 jede Benachteiligung<br />

aus in § 1 AGG genannten Gründen, also auch aus Gründen<br />

einer Behinderung. Unter Geltung des allgemeinen Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satzes<br />

muss daher die allgemeine Frage<br />

nach Vorliegen einer Schwerbehinderung als unmittelbare<br />

Benachteiligung des Bewerbers aufgefasst werden, es sei<br />

denn, sie ist aus Gründen des § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt<br />

(Schleusener, a.a.O., § 3 Rn 30). Daraus wiederum folgt, dass<br />

eine Anfechtung aus in § 1 AGG genannten Gründen nicht in<br />

Betracht kommt (Schleusener, a.a.O., § 7 Rn 30).<br />

In Betracht kommt allein ein Fragerecht des Arbeitgebers im<br />

Rahmen von § 5 AGG, beispielsweise wenn Ziel der Frage<br />

die Eingliederung des schwerbehinderten Menschen oder<br />

eine Steigerung der Beschäftigungsquote schwerbehinderter<br />

Menschen durch den Arbeitgeber ist (Schleusener, a.a.O., § 3<br />

Rn 31). Darüber hinaus ist ein Fragerecht des Arbeitgebers<br />

anzuerkennen hinsichtlich ges<strong>und</strong>heitlicher, seelischer oder<br />

ähnlicher Beeinträchtigungen des Bewerbers, durch die er zur<br />

Verrichtung der beabsichtigten vertraglichen Tätigkeit ungeeignet<br />

ist (Schleusener, a.a.O., § 3 Rn 32; ArbG Herne, a.a.O.;<br />

LAG Hamm, a.a.O.). Im gegebenen Falle muss dabei der Arbeitgeber<br />

darlegen, dass dem schwerbehinderten Menschen<br />

eine Anforderung für die beabsichtigte Tätigkeit fehlt, wenn<br />

AE200901.PDF 47 17.02.2009 12:08:07<br />

47


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

er dem festgelegten Anforderungsprofil entspricht (Schleusener,<br />

a.a.O., § 8 Rn 51).<br />

Ein generelles Fragerecht des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung<br />

oder der Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers<br />

kann mithin unter der Geltung der §§ 1, 7 AGG nicht<br />

mehr anerkannt werden. Unter Beachtung dessen kann auf<br />

Gr<strong>und</strong> des Vorbringens der Beklagten nicht festgestellt werden,<br />

dass sie daran anknüpfend zur Anfechtung des Arbeitsvertrages<br />

der Parteien nach § 123 BGB berechtigt gewesen<br />

wäre.<br />

Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei Einstellung<br />

des Klägers die Frage nach seiner möglichen Schwerbehinderteneigenschaft<br />

seitens der Beklagten aufgeworfen<br />

worden wäre. Sie hat dies zwar im Rahmen ihres Prozessvortrags<br />

andeutungsweise vorgebracht; wollte man dieses Vorbringen<br />

für substantiiert erachten, wäre die Beklagte in dieser<br />

Hinsicht jedenfalls beweisfällig geb<strong>liebe</strong>n, nachdem der Kläger<br />

ausdrücklich bestritten hat, dass bei Einstellung über eine<br />

mögliche Schwerbehinderung gesprochen worden wäre.<br />

Angesichts dessen käme ein Anfechtungsrecht der Beklagten<br />

allein dann noch in Betracht, wenn der Kläger auch ohne eine<br />

hierzu an ihn gerichtete Frage verpflichtet gewesen wäre,<br />

seine Schwerbehinderteneigenschaft zu offenbaren.<br />

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann davon im vorliegenden<br />

Falle aber nicht ausgegangen werden. Eine derart<br />

weitgehende Offenbarungspflicht des Bewerbers kann<br />

nur angenommen werden, wenn dieser aus Gründen seiner<br />

Schwerbehinderung zur Verrichtung der beabsichtigten vertraglichen<br />

Tätigkeit ungeeignet ist.<br />

Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Soweit die Beklagte<br />

meint, bei einem GdB v. 100 sei davon regelmäßig auszugehen,<br />

kann dem nicht gefolgt werden. Träfe die Auffassung<br />

der Beklagten zu, wäre nicht erklärlich, warum die Beklagte<br />

– wie geschehen – den Kläger über die gesetzliche Probezeit<br />

des § 1 Abs. 1 KSchG hinaus beschäftigt hat. Darüber<br />

hinaus hat die Beklagte selbst vorgetragen, der Kläger habe<br />

bei seiner Bewerbung gute Zeugnisse vorgelegt (so auch im<br />

Verfahren als Anlage K 11 zum Schriftsatz vom 06.10.2008,<br />

Bl. 169, 170 d.A.). Angesichts dessen erscheint die dazu von<br />

der Beklagten vorgebrachte Auffassung geradezu widerlegt,<br />

so dass auch angesichts des GdB v. 100 nicht davon ausgegangen<br />

werden kann, der Kläger sei für die Position bei<br />

der Beklagten ungeeignet oder in einem Maße eingeschränkt<br />

gewesen, die eine Offenbarungspflicht seiner Schwerbehinderteneigenschaft<br />

nach sich gezogen hätte. Eine Anfechtung<br />

des Arbeitsverhältnisses kommt daher auch unter diesem<br />

Aspekt nicht in Betracht. ...<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 7. Oktober 2008, 8 Ca 1261108 +8Ca15665/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ralf Dupré, Drewitzer Straße<br />

10, 13467 Berlin, Tel.: 030/4050810, Fax: 030/40508111<br />

info@rae-dupre.de; www.rae-dupre.de<br />

48 01/09<br />

33. Befristung des Arbeitsvertrages, Sachgr<strong>und</strong>, mittelbare<br />

Vertretung<br />

Der Sachgr<strong>und</strong> der Vertretung für die Befristung eines Arbeitsverhältnisses<br />

kann auch vorliegen, wenn der Arbeitgeber<br />

bei Vertragsschluss mit dem Vertreter dessen Aufgaben<br />

einem oder mehreren vorübergehend abwesenden Beschäftigten<br />

„gedanklich zuordnet“.<br />

Diese Variante der mittelbaren Vertretung setzt keinen neuen<br />

Arbeitsplan <strong>und</strong> die Einsparung der Aufgaben auf dem bisherigen<br />

Arbeitsplatz des vertretenen Arbeitnehmers voraus (im<br />

Anschluss an BAG, v. 15.02.2006, 7 AZR 232/05, NZA 2006,<br />

781).<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 11. Oktober 2007, 6 Sa 751/07, Revision eingelegt zum<br />

Aktenzeichen 7 AZR 59/08<br />

34. Befristung, Vertretung, Inkongruenz von Sachgr<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Vertragsdauer<br />

Die Wirksamkeit einer Befristung, die mit dem Sachgr<strong>und</strong> der<br />

Vertretung gerechtfertigt wird, muss nicht dadurch scheitern,<br />

dass zu Beginn des Vertrages für eine kurze Zeit ein Vertretungsfall<br />

nicht vorliegt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 14. Dezember 2007, 4 Sa 992/07<br />

35. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Hochschulrecht,<br />

Facharztausbildung<br />

Die Auslegung des § 57b Abs. 1 S 2 HRG ergibt, dass nur der<br />

Berufsgruppe der Ärzte in der Zeit nach abgeschlossener Promotion<br />

eine entsprechende länger befristete Beschäftigung<br />

ermöglicht werden sollte. Hierfür spricht der Wortlaut des<br />

Gesetzes sowie Sinn <strong>und</strong> Zweck. Die Verlängerung der Befristungszeit<br />

sollte den Erfordernissen der Facharztausbildung<br />

von mehreren Jahren Rechnung tragen. Die Auslegung führt<br />

zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten <strong>und</strong><br />

praktisch brauchbaren Lösung.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 11. Februar 2008, 8 Sa 1368/07, Revision eingelegt zum<br />

AZ 7 AZR 291/08<br />

36. Befristung des Arbeitsvertrages, gerichtlicher Vergleich,<br />

Treu <strong>und</strong> Glauben<br />

1. Gerichtlicher Vergleich im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 2<br />

Nr. 8 TzBfG ist auch ein Vergleich nach § 278 Abs. 6 Satz 1 1.<br />

Alternative BGB, bei dem die Parteien dem Gericht einen<br />

schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten <strong>und</strong> das Gericht<br />

das Zustandekommen <strong>und</strong> den Inhalt des Vergleichs<br />

durch Beschluss feststellt.<br />

2. Ein Arbeitnehmer handelt treuwidrig, wenn er bei einem<br />

bestehenden Streit über die Wirksamkeit einer Befristung einer<br />

weiteren Anschlussbefristung zustimmt, mit dem Arbeitgeber<br />

vereinbart, dies im Wege eines gerichtlichen Vergleichs<br />

AE200901.PDF 48 17.02.2009 12:08:08


zu tun <strong>und</strong> sich anschließend auf das Fehlen eines Sachgr<strong>und</strong>es<br />

im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG beruft.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 19. Dezember 2007, 3 Sa 1123/07, Rev. zugel.<br />

37. Befristung des Arbeitsverhältnisses, Schriftformerfordernis,<br />

Anforderungen an eine Unterschrift<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten sich darüber, ob ein befristeter Vertrag<br />

<strong>und</strong> seine Verlängerung formwirksam vereinbart worden sind.<br />

...<br />

Zwischen den Parteien wurde zunächst ein befristetes Arbeitsverhältnis<br />

mit Datum vom 25.12.2005 <strong>und</strong> einer Befristung bis<br />

zum 31.12.2006 abgeschlossen. Darüber hinaus wurde mit einer<br />

Verlängerungsabrede vom 19.12.2006 der Arbeitsvertrag<br />

weiter nach dem Teilzeit-<strong>und</strong> Befristungsgesetz befristet bis<br />

zum 31.12.2007.<br />

Mit Schreiben vom 08.11.2007 teilte dann die Beklagte mit,<br />

dass das befristete Arbeitsverhältnis nicht verlängert wird.<br />

Der Kläger ist der Auffassung, dass weder der erste befristete<br />

Vertrag noch dessen Verlängerung formwirksam abgeschlossen<br />

worden seien, da die Unterzeichnung durch den Prokuristen<br />

der Beklagten, Herrn X, nicht ordnungsgemäß erfolgt sei.<br />

Die Unterschrift könne nicht als formwirksame Unterschrift im<br />

Sinne von § 126 BGB anerkannt werden, weil es sich um eine<br />

Paraphe handeln würde. ...<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die Klage ist unbegründet. …<br />

Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom<br />

24.01.2008 dazu ausgeführt, dass das Erfordernis der eigenhändigen<br />

Unterschrift nicht verlange, dass unmittelbar bei<br />

Abgabe der schriftlichen Erklärung für den Erklärungsempfänger<br />

die Person des Ausstellers feststehen müsse. Dieser<br />

soll nur identifiziert werden können. Dazu bedarf es nach<br />

der überzeugenden Ausführung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichtes<br />

nicht der Lesbarkeit des Namenszuges. Vielmehr genügt<br />

ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden<br />

Schriftzug, der individuelle <strong>und</strong> entsprechend<br />

charakteristische Merkmale aufweist, welche die Nachahmung<br />

erschweren. Insgesamt muss sich der Schriftzug<br />

als Wiedergabe eines Namens darstellen <strong>und</strong> die Absicht<br />

einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lassen, selbst<br />

wenn die Unterschriftsleistung nur flüchtig niedergelegt<br />

<strong>und</strong> von einem starken sogenannten Abschleifungsprozess<br />

gekennzeichnet ist. Unter Berücksichtigung dieser Gr<strong>und</strong>sätze<br />

ist die Unterschrift des Herrn X als wirksame Unterzeichnung<br />

der Vereinbarung vom 19.12.2006 anzusehen. Es sind<br />

keine Kriterien dafür ersichtlich, dass es sich nur um einen<br />

sogenannten Notenschlüssel oder um eine reine Paraphe<br />

handelt. Für eine Paraphe ist üblicherweise kennzeichnend,<br />

dass nach dem kurzen Namenszug ein Punkt erfolgt. Dies<br />

ist vorliegend gerade unstreitig nicht erfolgt. Auch ist nicht<br />

davon auszugehen, dass es sich nur um einen sogenannten<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

reinen Notenschlüssel handelt, ohne jeglichen Hinweis auf<br />

Buchstaben, die auf einen Namenszug hinweisen. Immerhin<br />

ist der Anfangsbuchstabe B nach Auffassung der Kammer<br />

deutlich erkennbar <strong>und</strong> darüber hinaus sind weitere Ansätze<br />

von Buchstaben erkennbar, die auf eine Unterschriftsleistung<br />

des Namensgebers hinweisen. Der Prokurist, Herr X, hat<br />

im Übrigen auch den ersten Vertrag in gleicher Art Weise<br />

unterzeichnet. Der Kläger hat gegen den ersten Vertrag auch<br />

keinerlei Einwände in Bezug auf den Namenszug oder eine<br />

formunwirksame Unterschriftsleistung erhoben. Insgesamt<br />

ergibt sich somit nach Auffassung der Kammer, dass eine<br />

formwirksame Unterschriftsleistung vorliegt <strong>und</strong> somit eine<br />

wirksame Befristungsvereinbarung. Aus diesen Gründen ist<br />

die Klage insgesamt abzuweisen. ...<br />

■ Arbeitsgericht Bielefeld<br />

vom 29. Mai 2008, 1 Ca 3288/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Heinz Gussen, Rietberger<br />

Straße 2, 33378 Rheda-Wiedenbrück, Tel.: 05242/9204-0,<br />

Fax: 05242/9204-48<br />

rechtanwaelte@pgwc.de; www.pgwc.de<br />

38. Beschäftigung als Rabbiner nach einer fristlosen Kündigung<br />

im Wege der einstweiligen Verfügung<br />

Im Rahmen einer Beschäftigungsklage als Rabbiner nach einer<br />

fristlosen Kündigung im Wege einer einstweiligen Verfügung<br />

überwiegen die besonderen Belange des Arbeitnehmers an<br />

der Beschäftigung gegenüber den besonderen Belangen der<br />

J. Gemeinde wegen Art. 4 GG gr<strong>und</strong>sätzlich nicht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin<br />

vom 9. Mai 2008, 13 SaGa 739/08<br />

39. Beschäftigungsanspruch in der Kündigungsfrist,<br />

einstweilige Verfügung, Verbindung mit Beschäftigungsanspruch<br />

nach § 102 Abs. 5 BetrVG für die Dauer des<br />

Kündigungsrechtsstreits, Unzulässigkeit vertraglicher<br />

Freistellungsklauseln<br />

Aus dem Tatbestand: ... Dem Gericht liegt ein Arbeitsvertrag<br />

der Parteien vom 22.03.2000 vor, der unter Ziffer 11.4<br />

folgende Regelung enthält: „Die Firma behält sich vor, den<br />

Mitarbeiter nach Ausspruch der Kündigung unter Fortzahlung<br />

seiner Vergütung <strong>und</strong> unter Anrechnung etwaiger Urlaubs<strong>und</strong><br />

Gleitzeitansprüche von der Arbeit freizustellen oder ihn<br />

mit anderen Aufgaben zu betrauen.“ ... Mit Schreiben vom<br />

04.11.2008, der Verfügungsklägerin zugegangen am gleichen<br />

Tag, kündigte die Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis<br />

zum 28.02.2009. Gleichzeitig stellte die Verfügungsbeklagte<br />

die Verfügungsklägerin mit „sofortiger Wirkung unter Fortzahlung<br />

der Bezüge“ von der Arbeit frei unter Anrechnung auf<br />

Jahresurlaub 2008, anteiligen Jahresurlaub 2009 sowie eventuell<br />

vorhandener Zeitguthaben.<br />

Der Betriebsrat der Verfügungsbeklagten widersprach schriftlich<br />

der Kündigung. Auf den genauen Wortlaut des Wider-<br />

AE200901.PDF 49 17.02.2009 12:08:08<br />

49


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

spruchsschreibens (Blatt 26 der Akte) wird Bezug genommen.<br />

...<br />

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, die Verfügungsbeklagte<br />

müsse sie bis zum Ablauf der Kündigungsfrist beschäftigen.<br />

Ein überwiegendes, schutzwürdiges Interesse der<br />

Beklagten an der Nichtbeschäftigung der Klägerin bestehe<br />

nicht. Nach Ablauf der Kündigungsfrist ergebe sich der Verfügungsanspruch<br />

aus § 102 Abs. 5 BetrVG, da alle Tatbestandsvoraussetzungen<br />

erfüllt seien. ...<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig.<br />

Der von der Verfügungsklägerin gestellte Antrag, der einzelne<br />

Arbeitsbedingungen enthält, ist so auszulegen, dass es der<br />

Klägerin nach ihrem Klageziel auf Beschäftigung bzw. Weiterbeschäftigung<br />

wie vor Ausspruch der Kündigung ankommt.<br />

Ihr Klageziel ist es nicht, festgestellt zu wissen, welcher konkrete<br />

Arbeitsvertrag gilt. Das Gericht hat daher den Antrag so<br />

ausgelegt, dass die Klägerin die Weiterbeschäftigung zu den<br />

vor Ausspruch der Kündigung geltenden arbeitsvertraglichen<br />

Bedingungen als Montiererin verlangt, gleichgültig ob sie auf<br />

einem Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1999 oder aus dem Jahr<br />

2000 beruhen.<br />

Das Rechtsschutzbedürfnis für den besonderen Weiterbeschäftigungsanspruch<br />

nach § 102 Abs. 5 BetrVG ist gegeben.<br />

Die Klägerin kann diesen Anspruch bereits jetzt mit dem<br />

allgemeinen Beschäftigungsanspruch bis zum Ablauf der<br />

Kündigungsfrist verbinden. Da die Anspruchsvoraussetzungen<br />

des besonderen Weiterbeschäftigungsanspruchs bereits<br />

jetzt vorhanden sind, kann einheitlich in einem Verfahren<br />

hierüber entschieden werden. Der Verfügungsklägerin ist es<br />

aus Kostengründen nicht zuzumuten, ein weiteres Verfahren<br />

nach Ablauf der Kündigungsfrist durchzuführen. Sollten sich<br />

für die Beklagte Einwendungen gegen den besonderen<br />

Weiterbeschäftigungsanspruch der Verfügungsklägerin nach<br />

§ 102 Abs. 5 BetrVG ergeben, kann die Verfügungsbeklagte<br />

ihrerseits einen Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung<br />

zur Weiterbeschäftigung nach § 105 Abs. 5 Satz 3 BetrVG<br />

stellen.<br />

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist<br />

begründet.<br />

1. Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte<br />

einen Anspruch auf Beschäftigung als Montiererin bis<br />

zum Ablauf der Kündigungsfrist.<br />

a. Im bestehenden Arbeitsverhältnis hat der Arbeitnehmer<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich einen Anspruch auf tatsächliche vertragsgemäße<br />

Beschäftigung aus § 611 BGB i. V. mit dem<br />

allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Dieser<br />

allgemeine Beschäftigungsanspruch besteht gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

auch nach Ausspruch einer Kündigung bis zum Ablauf der<br />

Kündigungsfrist. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist tritt<br />

dieser allgemeine Beschäftigungsanspruch nur zurück wo<br />

überwiegend schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers<br />

entgegenstehen.<br />

50 01/09<br />

b. Der Beschäftigungsanspruch der Verfügungsklägerin wird<br />

nicht durch die Regelung in Ziffer 11.4 des Arbeitsvertrages<br />

der Parteien vom 22.03.2000 ausgeschlossen. Diese Regelung<br />

ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 Abs. 2 Nr. 1, § 306 Abs. 1 BGB<br />

unwirksam.<br />

Vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform wurde gemeinhin<br />

von der Zulässigkeit des vertraglichen Abbedingens des<br />

Beschäftigungsanspruchs ausgegangen. Dies hat sich seit<br />

dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform <strong>und</strong> der Geltung<br />

der §§ 305 ff. BGB auch für das Arbeitsrecht geändert. Die<br />

streitgegenständliche Freistellungsklausel verstößt gegen<br />

§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Ziffer 1 BGB <strong>und</strong> ist deshalb<br />

gemäß § 306 Abs. 1 BGB unwirksam. Es handelt sich um<br />

eine zu Lasten der Verfügungsklägerin unangemessene<br />

Benachteiligung. Sie ist mit wesentlichen Gr<strong>und</strong>gedanken<br />

gesetzlicher Regelungen nicht vereinbar.<br />

Die Freistellungsklausel kann auch nicht unter Berücksichtigung<br />

der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten aufrechterhalten<br />

werden gemäß § 310 Abs. 4 BGB. Es ist vielmehr gerade<br />

die arbeitsrechtliche Besonderheit, dass auch während<br />

der Kündigungsfrist ein Beschäftigungs-anspruch bejaht wird.<br />

Die Freistellungsklausel kann auch nicht geltungserhaltend<br />

reduziert werden dahingehend, dass die Ausübung des Freistellungsrechts<br />

der Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB unterworfen<br />

wird <strong>und</strong> unbillig lange Freistellungsdauern auf ein<br />

angemessenes Maß verkürzt werden könnten. Folge der Unwirksamkeit<br />

einer Vertragsklausel ist nämlich gemäß § 306<br />

Abs. 2 BGB die Geltung der gesetzlichen Vorschriften. Eine geltungserhaltende<br />

Reduktion auf das noch Zulässige ist daher<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich ausgeschlossen.<br />

Die von der Verfügungsbeklagten vorgenommene Freistellung<br />

ist auch nicht als einseitige Suspendierung wirksam. Eine<br />

Suspendierung ist im bestehenden Arbeitsverhältnis nur dann<br />

möglich bei erheblicher Gefährdung für die Ordnung des Betriebes<br />

oder bei Drohen von schweren Vertragsverletzungen.<br />

Hierzu wurde von der Verfügungsbeklagten nicht in ausreichendem<br />

Maß vorgetragen. ...<br />

2. Nach Ablauf der Kündigungsfrist hat die Verfügungsklägerin<br />

einen Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5<br />

Satz 1 BetrVG bis zum rechtkräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.<br />

Der bei der Verfügungsbeklagten bestehende Betriebsrat<br />

hat schriftlich am 03.11.2008 der Kündigung widersprochen<br />

<strong>und</strong> einen Widerspruchsgr<strong>und</strong> nach § 102 Abs. 3 Ziffer 3<br />

BetrVG unter Nennung des anderen Arbeitsplatzes, auf<br />

dem die Verfügungsklägerin künftig eingesetzt werden<br />

könnte, – „Packstube Abteilung APZ 3“ – vorgetragen. Dies<br />

ist ausreichend um auf Verlangen der Verfügungsklägerin<br />

den besonderen betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch<br />

nach Ablauf der Kündigungsfrist zu<br />

begründen.<br />

3. Ein Verfügungsgr<strong>und</strong> ist gegeben. Bei der Verpflichtung<br />

zur Erbringung der Arbeitsleistung handelt es sich um eine<br />

Fixschuld. Mit jedem Tag der Nichtbeschäftigung<br />

AE200901.PDF 50 17.02.2009 12:08:08


geht somit der Beschäftigungsanspruch der Verfügungsklägerin<br />

unwiederbringlich verloren. Wegen dieses Rechtsverlustes<br />

kommt auch eine Befriedigungsverfügung in Betracht.<br />

Bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren (1. Termin<br />

zur Verhandlung vor der Kammer Ende Februar 2009) wäre<br />

der Anspruch zum größten Teil untergegangen. Deshalb ist<br />

es auch unerheblich, wenn die Verfügungsklägerin den Beschäftigungsanspruch<br />

bis zum Ablauf der Kündigungsfrist im<br />

Hauptsacheverfahren in ihrer Klage nicht gestellt hatte. Es<br />

kann der Verfügungsklägerin nicht zugemutet werden, Anträge<br />

zu stellen, die sie im Kammertermin wieder für erledigt<br />

erklären müsste, da in Folge des Zeitablaufs im Hauptsacheverfahren<br />

über diesen Antrag hätte gar nicht mehr entschieden<br />

werden können. Die Tatsache, dass die Verfügungsklägerin<br />

erst ca. einen Monat nach Erhalt der Kündigung ihren Beschäftigungsanspruch<br />

im einstweiligen Verfügungsverfahren<br />

geltend gemacht hat, steht der Annahme der Eilbedürftigkeit<br />

nicht entgegen. Es kann der Verfügungsklägerin nicht nachteilhaft<br />

ausgelegt werden, dass sie zunächst den Versuch unternommen<br />

hatte, eine gütliche Einigung mit der Verfügungsbeklagten<br />

zu erzielen. Darüber hinaus ist der weitaus größere<br />

Teil des Beschäftigungsanspruches noch erfüllbar <strong>und</strong> kann<br />

daher von der Verfügungsklägerin, die erklärt hatte, dass sie<br />

arbeitsfähig sei, auch noch geltend gemacht werden. Der Verfügungsgr<strong>und</strong><br />

liegt daher vor.<br />

Der Verfügungsklage war daher stattzugeben.<br />

■ Arbeitsgericht München<br />

vom 10. Dezember 2008, 39 Ga 245/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Gerhard Schäder, Westendstraße<br />

146, 80339 München, Tel.: 089/5441460,<br />

Fax: 089/5441466<br />

schaeder@schaeder.de; www.schaeder.de<br />

40. Betriebsübergang, Unterrichtung über die Haftungsverteilung<br />

nach § 613a Abs. 2 BGB, Ausübung des Widerspruchsrechts<br />

1. Die Haftungsverteilung nach § 613a Abs. 2 BGB gehört zu<br />

den rechtlichen Folgen des Übergangs, über die nach § 613a<br />

Abs. 5 Nr. 3 BGB zu unterrichten ist.<br />

2. Bei der Prüfung, ob die Widerspruchsfrist nach § 613a BGB<br />

wegen einer unrichtigen oder unvollständigen Unterrichtung<br />

nicht in Gang gesetzt wurde, ist nicht darauf abzustellen, ob<br />

der Unterrichtsmangel kausal dafür war, dass der Arbeitnehmer<br />

dem Übergang zunächst nicht widersprochen hat.<br />

3. Für die Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 613a<br />

Abs. 6 BGB gibt es keine generelle Höchstfrist.<br />

4. Das Recht zur Ausübung des Widerspruchsrechts kann<br />

verwirkt werden. (Rn 71) Allein die Weiterarbeit bei dem Betriebserwerber<br />

erfüllt nicht das erforderliche Umstandsmoment.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 27. November 2007, 9 Sa 146/07, Revision eingelegt zum<br />

AZ 8 AZR 217/08<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

41. Betriebsbedingte Kündigung, Interessenausgleich mit<br />

Namensliste, Auskunftspflichten zu den Gründen der Sozialauswahl<br />

Eine betriebsbedingte Kündigung kann bei Vorliegen eines Interessenausgleiches<br />

mit Namensliste anlässlich einer Betriebsänderung<br />

gem. § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG nur auf grobe Fehler<br />

überprüft werden. Diese Privilegierung des Prüfungsmaßstabes<br />

umfasst jedoch nur den Grad etwaiger Fehler, ändert dagegen<br />

nichts an der Systematik des § 1 Abs. 3 KSchG. Auch<br />

bei Vorliegen eines Interessenausgleiches mit Namensliste hat<br />

der Arbeitgeber daher auf Verlangen des Arbeitnehmers die<br />

Gründe darzulegen, die zu der getroffenen Sozialauswahl geführt<br />

haben. Kommt er dem nicht nach, ist die angegriffene<br />

Kündigung bereits aus diesem Gr<strong>und</strong> als sozialwidrig anzusehen,<br />

ohne dass es auf den Prüfungsmaßstab der lediglich<br />

groben Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl noch ankäme<br />

(so BAG, vom 10.02.1999, 2AZR716/98, ArbG Berlin, vom<br />

11.09.2008 –1Ca6392/08).<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 11. September 2008, 1 Ca 6392/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Friedemann Koch, Marburger<br />

Straße 16, 10789 Berlin, Tel.: 030/212 48 99-0,<br />

Fax: 030/212 48 99-20<br />

kanzlei@friedemann-koch.de; www.friedemann-koch.de<br />

42. Betriebsbedingte Kündigung, konkurrierende Sonderkündigungsschutzrechte/tarifliche<br />

Unkündbarkeiten<br />

Aus dem Tatbestand: ...<br />

Die Klägerin ist seit dem 01.08.1991 bei der beklagten Kirchengemeinde<br />

als Kinderpflegerin im dortigen Kindergarten<br />

beschäftigt. ... Ferner war die Klägerin Mitglied der Mitarbeitervertretung<br />

zuletzt als Vorsitzende.<br />

Der Kindergarten wurde bisher mit 4 Gruppen <strong>und</strong> einem<br />

Personal für 298,375 Wochenst<strong>und</strong>en geführt. Die Beklagte<br />

beschäftigte hierzu 8 Kinderpflegerinnen <strong>und</strong> Erzieherinnen,<br />

die alle ordentlich nach § 36 Abs. 2 letzter Halbsatz AVR <strong>und</strong><br />

/oder nach § 19 MAVO ordentlich unkündbar sind sowie eine<br />

Leiterin. Im Jahr 2003 war die Stelle der Leiterin neu zu besetzen,<br />

wofür sich jedoch keine der vorhandenen Erzieherinnen<br />

bewarb. Die Beklagte stellte daraufhin Frau B. ein <strong>und</strong> gab<br />

ihr fortan ... nur befristete Arbeitsverträge. In der Kindertagesstättenbedarfsplanung<br />

des Westerwaldkreises für das Kindergartenjahr<br />

2007/2008 wurde jedoch nur noch ein Bedarf<br />

für 3 Gruppen ... vorgesehen. Hierüber hatte die Verbandsgemeinde<br />

die Beklagte vorab bereits im Januar 2007 informiert.<br />

Auf die Anfrage der Beklagten zum Abbau von 77 Personalst<strong>und</strong>en<br />

durch Verzicht aller Arbeitnehmerinnen auf einen Teil<br />

ihrer Arbeitszeit erhielt die Beklagte am 01.02.2007 eine negative<br />

Rückantwort der Mitarbeitervertretung. Der Verwaltungsrat<br />

der Beklagten beschloss daraufhin am 01.02.2007, den Kindergarten<br />

ab dem 01.09.2007 dementsprechend nur noch mit<br />

drei Gruppen zu führen <strong>und</strong> das Personal entsprechend den<br />

personellen Vorgaben der Landesverordnung zur Ausführung<br />

AE200901.PDF 51 17.02.2009 12:08:08<br />

51


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

des Kindertagesstättengesetzes an die danach nunmehr nur<br />

noch benötigten 202,125 Wochenst<strong>und</strong>en anzupassen, wodurch<br />

77 Wochenst<strong>und</strong>en <strong>und</strong> damit 2 Vollzeitkräfte entfielen.<br />

... Die Beklagte sprach sodann am 29.06.2007 schriftlich<br />

eine ausschließlich betriebsbedingte außerordentliche <strong>und</strong><br />

vorsorglich ordentliche Kündigung aus. Ebenso kündigte die<br />

Beklagte noch eine weitere Mitarbeiterin namens K., die nach<br />

dem verwandten Punkteschema die schlechteste Gesamtpunktzahl<br />

erzielte. Die Klägerin wies die zweit schlechteste<br />

Gesamtpunktzahl aus.<br />

Die Klägerin erhob gegen beide Kündigungen je eine Kündigungsschutzklage.<br />

...<br />

Die Klägerin trägt vor, eine ordentliche Kündigung sei bereits<br />

nicht möglich, da die Schließung der 4. Kindergartengruppe<br />

nicht die Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 MAVO erfülle. Auch<br />

läge kein wichtiger Gr<strong>und</strong> für eine fristlose Kündigung mit<br />

Auslauffrist vor. Die Beklagte habe nicht alle zumutbaren Anstrengungen<br />

unternommen, um den Betrieb in der bisherigen<br />

Größe weiter zu führen. Die Beklagte hätte insbesondere<br />

die befristete Stelle der Leiterin zum 31.12.2007 auslaufen<br />

lassen <strong>und</strong> dann einer anderen Mitarbeiterin im Wege der<br />

Änderungskündigung diesen Arbeitsplatz zuweisen müssen.<br />

Für den dann lediglich nötigen Abbau einer weiteren Stelle<br />

hätte die Beklagte die Arbeitszeiten aller Arbeitnehmerinnen<br />

entsprechend mittels Änderungskündigung kürzen müssen.<br />

Auch sei im Rahmen der Sozialauswahl aller Arbeitnehmerinnen<br />

nicht ausreichend die Mitgliedschaft in der Mitarbeitervertretung<br />

berücksichtigt worden.<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die zulässige Klage hat im Ergebnis keinen Erfolg, da sie insgesamt<br />

unbegründet ist. Denn das Arbeitsverhältnis wurde<br />

durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist mit<br />

Ablauf des 31.12.2007 wirksam aufgelöst. Die ebenfalls angegriffene<br />

vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung wurde<br />

damit gegenstandslos. ...<br />

1. Die Beklagte war vorliegend berechtigt, das Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien aus dringenden betrieblichen Erfordernissen<br />

außerordentlich nach § 626 Abs. 1 BGB zu kündigen.<br />

... Die nach § 19 Abs. 3 MAVO ausnahmsweise gegebene<br />

Möglichkeit der ordentlichen betriebsbedingten Kündigung<br />

eines Mitgliedes der Mitarbeitervertretung bei Schließung<br />

eines Teils der Einrichtung war vorliegend gleich aus zwei<br />

Gründen nicht einschlägig. Zum einem handelt es sich bei<br />

dem Abbau von 2 Vollzeitkräften wegen Schließung der<br />

4. Kindergartengruppe nicht um eine Teilschließung einer<br />

Einrichtung im Sinne dieser Regelung. ... Zum anderen ist<br />

vorliegend die Anwendbarkeit der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit<br />

nach § 19 MAVO auch aufgr<strong>und</strong> der ordentlichen<br />

Unkündbarkeit aufgr<strong>und</strong> der über 15-jährigen Betriebszugehörigkeit<br />

der Klägerin nach § 36 AVR ausgeschlossen.<br />

2. Eine außerordentliche Kündigung gegenüber einem ordentlich<br />

unkündbaren Arbeitnehmer ist aus betriebsbedingten<br />

Gründen unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist<br />

ausnahmsweise zulässig, wenn der Arbeitsplatz aufgr<strong>und</strong><br />

52 01/09<br />

einer unternehmerischen Entscheidung, die nur auf Rechtsmissbrauch<br />

zu überprüfen ist, weggefallen ist <strong>und</strong> der Arbeitgeber<br />

auch unter Einsatz aller zumutbaren Mittel, gegebenenfalls<br />

durch Umorganisation seines Betriebes, nicht weiterbeschäftigen<br />

kann. ... Diese Voraussetzungen waren hier<br />

gegeben.<br />

Soweit die Klägerin insoweit darauf verweist, dass ausreichende<br />

Anfragen vorlagen <strong>und</strong> etwa in D. für 27 Kinder keine<br />

freien Platze zur Verfügung standen, mit deren Aufnahme<br />

der Wegfall der 4. Gruppe verhindert werden könnte, so geht<br />

dieses Argument fehl. Denn nicht die Beklagte, sondern allein<br />

die Kreisverwaltung entscheidet, wie hoch der Bedarf ist <strong>und</strong><br />

mit welchen Maßnahmen gegebenenfalls ein Kinderüberhang<br />

in einer Gemeinde aufgefangen werden soll. ...<br />

b) Auch ist mit Ablauf der Kündigungsfrist die Beschäftigungsmöglichkeit<br />

für die Klägerin als Kinderpflegerin entfallen.<br />

Eine andere freie Einsatzmöglichkeit für die Klägerin auf<br />

einer ihr nach ihren Kenntnissen <strong>und</strong> Fähigkeiten zumutbaren<br />

freien Stelle war nicht gegeben. Insbesondere war die Klägerin<br />

unstreitig nicht geeignet, die Stelle der Kindergartenleiterin<br />

auszufüllen, so dass es keiner Entscheidung bedarf, ob die<br />

Befristungen der Arbeitsverträge mit Frau B. wirksam waren.<br />

Ferner stand der Beklagten auch keine andere zumutbare<br />

Umorganisationsmöglichkeit als milderes Mittel zu Verfügung.<br />

Insbesondere stellt das von der Klägerin vorgeschlagene Konzept<br />

des Auslaufenlassens der Befristung der Leiterin zum<br />

31.12.2007, die anschließende Besetzung dieser Position mit<br />

einer anderen Arbeitnehmerin der Beklagten zur Not mittels<br />

Änderungskündigung <strong>und</strong> das Aussprechen von Änderungskündigungen<br />

an alle Arbeitnehmerinnen zur Verringerung der<br />

Arbeitszeit kein solches milderes Mittel dar. ... Das Gericht ist ...<br />

an die Unternehmensentscheidung geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> kann diese<br />

allein auf Willkürlichkeit überprüfen.<br />

c) Auch bei ausnahmsweise zulässiger außerordentlichen<br />

Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer ist der Arbeitgeber<br />

zu einer sozialen Auswahl entsprechend § 1 Abs. 3 KSchG<br />

verpflichtet.<br />

Da vorliegend alle 8 Erzieherinnen <strong>und</strong> Kinderpflegerinnen ordentlich<br />

unkündbaren waren, musste eine Sozialauswahl entsprechend<br />

§ 1 Abs. 3 KSchG unter Einbeziehung der Klägerin<br />

vorgenommen werden.<br />

Denn in dieser besonderen Konstellation, dass alle vergleichbaren<br />

Arbeitnehmerinnen ordentlich unkündbar sind, hat die<br />

Klägerin keinen Anspruch auf Freikündigung eines besetzten<br />

Arbeitsplatzes entsprechend dem Gedanken des § 19 Abs. 3<br />

S. 2 MAVO. Ebenso wie im Rahmen der ähnlichen Regelung<br />

des § 15 Abs. 5 KSchG kommt eine Freikündigung dann nicht<br />

in Betracht, wenn der besetzte Arbeitsplatz ebenfalls durch<br />

einen ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer besetzt ist, da es<br />

für diese Kündigung an dem erforderlichen wichtigen Gr<strong>und</strong><br />

im Sinne des § 626 BGB fehlen würde (vgl. KR/Etzel, 8. Aufl,<br />

2007, § 15 KSchG Rn 126). Zudem stellt die vorliegende Kündigung<br />

gerade keine speziell gegen den einzelnen Mandatsträger<br />

an sich gerichtete Maßnahme dar, sondern ist vielmehr<br />

AE200901.PDF 52 17.02.2009 12:08:08


Folge der generellen Entscheidung, den Personalbestand entsprechend<br />

des Personalschlüssels der Landesverordnung an<br />

die geänderte Situation anzupassen. Die Privilegierung des<br />

§ 19 MAVO soll jedoch nicht speziell vor letzterem schützen.<br />

Vielmehr dient die Regelung insbesondere dazu, dass die Mitglieder<br />

der Mitarbeitervertretung nicht aus Furcht vor Entlassung<br />

davor zurückschrecken, ihre bisweilen nicht einfache<br />

<strong>und</strong> manchmal naturgemäß auch konfliktbehaftete Aufgabe<br />

durchzustehen (Bleistein/Thiel, 5. Aufl., § 19 MAVO, Rn 2).<br />

■ Arbeitsgericht Koblenz<br />

vom 13. Februar 2008, 4 Ca 1539/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Klaus Schmitt, Holzheimer<br />

Straße 1, 65549 Limburg,<br />

Tel.: 06431/4985-0, Fax: 06431/4985-111<br />

K.Schmitt@slp-anwaelte.de; www.slp-anwaelte.de<br />

Anmerkung:<br />

Die Entscheidung wurde nicht rechtskräftig, weil die Klägerin<br />

lt. Einsender in der für sie nicht aussichtsreichen Berufungsverhandlung<br />

ein bereits erstinstanzlich unterbreitetes<br />

Vergleichsangebot annahm. (me)<br />

43. Betriebsbedingte Kündigung, Darlegung der unternehmerischen<br />

Entscheidung<br />

1. Wird eine betriebsbedingte Kündigung auf eine unternehmerische<br />

Entscheidung gestützt, die allein den Abbau einer<br />

Hierarchieebene zum Ziel hat, erstrecken sich die gesteigerten<br />

Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers<br />

auch auf die Konkretisierung der Unternehmerentscheidung.<br />

2. Beinhaltet diese Entscheidung einen kurzfristigen Wechsel<br />

des Unternehmenskonzepts (hier: zunächst Umgestaltung<br />

einer Einzelhandelsfiliale zu einem MegaStore <strong>und</strong> drei Monate<br />

später Umbau zu einem Discount-Markt ohne Verkaufsleiter)<br />

bedarf es einer intensiven Prüfung, „ob die getroffene<br />

Unternehmerentscheidung nicht als sachwidrig oder willkürlich<br />

anzusehen war <strong>und</strong> ob sich“ der Arbeitgeber „nach § 162<br />

BGB angesichts der Vorgeschichte überhaupt auf das neue<br />

Unternehmenskonzept berufen durfte“.<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 13. Februar 2008, 2 AZR 1041/06<br />

eingereicht <strong>und</strong> formuliert von Rechtsanwalt Dr. Georg-R.<br />

Schulz, Josephspitalstr. 9, 80331 München,<br />

Tel. (089) 54 59 81-0, Fax: (089) 55 34 50,<br />

info@kanz-hans-schulz.de; www.kanz-hans-schulz.de<br />

44. Betriebsbedingte Kündigung in einer Werkstatt für<br />

Behinderte<br />

Nur der Wegfall der Werkstattfähigkeit oder die Aufhebung<br />

des Leistungsbescheides durch den Sozialleistungsträger oder<br />

beides zusammen kann zu einer Kündigung des Werkstattverhältnisses<br />

führen. Dies gilt für die ordentliche wie für die<br />

außerordentliche Kündigung. Ein Recht zur Kündigung des<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Werkstattverhältnisses unter anderen, erweiterten Voraussetzungen<br />

kann vertraglich im Werkstattvertrag nicht vereinbart<br />

werden.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 16. Januar 2008, 8 Sa 506/07<br />

45. Betriebsbedingte Kündigung, Betriebsübergang bei<br />

Neuvergabe von Rettungsdienstaufträgen<br />

Die Neuvergabe von Rettungsdiensten an einen anderen<br />

Auftragnehmer durch einen Landkreis ist auch ohne Übernahme<br />

eines nach Zahl <strong>und</strong> Sachk<strong>und</strong>e wesentlichen Teils<br />

des vom bisherigen Auftragnehmer eingesetzten Personals als<br />

Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB anzusehen, wenn<br />

der Landkreis für die Durchführung der Dienste sämtliche<br />

materiellen Betriebsmittel (wie Wachgebäude, Fahrzeuge<br />

<strong>und</strong> Ausrüstungsgegenstände) zur Verfügung stellt, ohne<br />

dass es darauf ankommt, ob diese Betriebsmittel vom neuen<br />

Auftragnehmer eigenwirtschaftlich genutzt werden (gegen<br />

LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 07.08.2001 – 8 (2) Sa 142/01).<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 19. Oktober 2007, 11 Sa 698/07<br />

46. Betriebsbedingte Kündigung, Austauschkündigung,<br />

Aufgabenverlagerung<br />

Fällt die Tätigkeit eines Arbeitnehmers im Rahmen einer betrieblichen<br />

Umorganisation nicht weg, sondern wird sie lediglich<br />

verlagert <strong>und</strong> anschließend von einem neu eingestellten<br />

Arbeitnehmer ausgeübt, so ist die betriebsbedingte Kündigung<br />

des Arbeitnehmers als sog. Austauschkündigung rechtsunwirksam.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 13. Februar 2008, 3 Sa 1238/07<br />

47. Betriebsbedingte Kündigung, soziale Auswahl bei<br />

freier höherwertiger Stelle<br />

Auf einen freien anderweitigen Arbeitsplatz kann sich ein<br />

Arbeitnehmer nicht berufen, wenn es sich dabei für ihn um<br />

eine Beförderungsstelle handelt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 14. Januar 2008, 14 Sa 1079/07<br />

48. Bühnenschiedsgerichtsbarkeit, Nichtverlängerungsanzeige,<br />

Aufhebungsklage, künstlerische Tätigkeit, Gewandmeisterin,<br />

Ausforschungsbeweisantrag<br />

Der Parteivereinbarung kommt in den Fällen, in denen die vertragliche<br />

Aufgabenstellung unterschiedliche inhaltliche Gestaltungsmöglichkeiten<br />

für den Vertrag offen lässt, besondere<br />

Bedeutung zu.<br />

Die Tätigkeiten einer Gewandmeisterin können sich als künstlerische<br />

Tätigkeiten darstellen.<br />

Sie ist eine Aufgabenstellung überwiegend künstlerischen Zu-<br />

AE200901.PDF 53 17.02.2009 12:08:08<br />

53


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

schnitts in der Regel auch dann, wenn vom Kostümbildner<br />

skizzierte Vorschläge zur Verfügung stehen.<br />

Bei der Fertigung selbst sind nämlich die Stückinterpretation<br />

des Regisseurs <strong>und</strong> die Einordnung der Kostüme in der Gesamtkonzept<br />

im Auge zu behalten. Hierbei bleibt ein ausreichendes<br />

Maß künstlerischer Gestaltungsfreiheit erhalten,<br />

wenn man berücksichtigt, dass dem Gewandmeister das Ensemble,<br />

die Rollenbesetzung <strong>und</strong> damit die jeweilige Person<br />

des Darstellers bekannt sind.<br />

Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen erwies sich<br />

der Tatsachenvortrag der Klägerin, sie sei tatsächlich überwiegend<br />

handwerklich <strong>und</strong> nicht künstlerisch tätig gewesen, als<br />

nicht hinreichend substantiiert.<br />

Eine Vernehmung der hierfür von der Klägerin benannten<br />

Zeugen hatte zu unterbleiben. Eine Beweisaufnahme würde<br />

einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen. Wird<br />

ein Beweis angetreten, bei dem es an der Bestimmtheit<br />

der zu beweisenden Tatsachen fehlt <strong>und</strong> sollen durch<br />

die beabsichtigte Beweiserhebung erst die Gr<strong>und</strong>lage für<br />

substantiierte Tatsachenbehauptungen gewonnen werden,<br />

ist dieser Beweisantritt unzulässig <strong>und</strong> unbeachtlich (vgl. nur<br />

BAG, vom 28.05.1998, 6 AZR 618/96 – AP Nr. 6 zu § 16 TV Ang<br />

B<strong>und</strong>espost).<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 5. März 2008, 8 Sa 723/07<br />

49. Krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung mit<br />

sozialer Auslauffrist<br />

1. Beträgt die krankheitsbedingte Fehlzeitenquote des Arbeitnehmers<br />

in den beiden letzten Jahren vor der Kündigung<br />

100%, in fünf der acht letzten Jahre weit mehr als 50% <strong>und</strong><br />

in keinem Jahr dieses Zeitraums unter 30% <strong>und</strong> wird dem<br />

Arbeitnehmer wenige Wochen vor Ausspruch der Kündigung<br />

eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zugebilligt, so<br />

liegt ein „sinnentleertes“ Arbeitsverhältnis im Sinne der BAG-<br />

Rechtsprechung zur außer-ordentlichen krankheitsbedingten<br />

Kündigung vor.<br />

2. Hat der Arbeitgeber in der Vergangenheit durch diverse<br />

Maßnahmen am Arbeitsplatz versucht, den ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Problemen des Arbeitnehmers Rechnung zu tragen <strong>und</strong> dabei<br />

die extrem hohen Fehlzeiten überdurchschnittlich lange hingenommen,<br />

so ist ihm dies im Rahmen der Interessenabwägung<br />

zugute zu halten. Keineswegs kann aus einem solchen<br />

Verhalten eine Verwirkung des Rechts zur krankheitsbedingten<br />

Kündigung abgeleitet werden.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 11. Juli 2007, 7 Sa 349/07<br />

50. Krankheitsbedingte Kündigung ohne betriebliches<br />

Eingliederungsmanagement<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen<br />

Kündigung.<br />

54 01/09<br />

Die im Juni 1964 geborene <strong>und</strong> nach einer Achillessehnen-<br />

Operation mit einem Grad der Behinderung von 80% schwerbehinderte<br />

Klägerin hat seit Mai 1985 mit der Beklagten in einem<br />

Arbeitsverhältnis als Maschinenbedienerin/Kontrolleurin<br />

gestanden. ...<br />

Die Klägerin war seit dem Jahre 1988 wiederholt infolge<br />

Krankheit arbeitsunfähig. Im Jahre 2001 leistete die Beklagte<br />

der Klägerin für 83 Arbeitstage Entgeltfortzahlung, im Jahre<br />

2002 für 151 Arbeitstage, im Jahre 2003 für 147 Arbeitstage,<br />

im Jahre 2004 für 113 Arbeitstage <strong>und</strong> im Jahre 2005 ... für<br />

(95) Arbeitsage. ...<br />

Im Jahre 2006 fielen bei der Klägerin weitere 60 krankheitsbedingte<br />

Fehltage an, für die die Beklagte wiederum Entgeltfortzahlung<br />

leistete. Die Klägerin war sodann im Jahre 2006<br />

an weiteren 163 Tagen krankheitsbedingt arbeitsunfähig, <strong>und</strong><br />

im Jahre 2008 bis zum 16. April an weiteren 77 Arbeitstagen.<br />

...<br />

Am 30. April 2008 ließ sich die Klägerin in der Neurologischen<br />

Hochschulambulanz ... untersuchen. ... In der Zeit vom 13.<br />

Dezember 2007 bis einschließlich 19. Mai 2008 nahm die<br />

Klägerin an einem großen interdisziplinären individualisierten<br />

Therapieprogramm im Rückenzentrum ... teil. ...<br />

Mit Schreiben vom 29. April 2008 kündigte die Beklagte<br />

das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31. Oktober 2008.<br />

Zuvor hörte sie hierzu den für den Betrieb der Beklagten<br />

gewählten Betriebsrat mit Schreiben vom 21. April 2008 nebst<br />

anliegender Begründung <strong>und</strong> Fehlzeitenübersicht an. Der<br />

Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom<br />

28. April 2008. Zur Begründung führte er aus, dass im Falle<br />

der Klägerin kein betriebliches Eingliederungsmanagement<br />

nach § 84 Abs. 2 SGB IX durchgeführt worden sei <strong>und</strong> bei<br />

der Auswahl ihres Arbeitsplatzes nur physische jedoch keine<br />

psychischen Belastungen untersucht worden seien. Wäre die<br />

Beklagte ihren Verpflichtungen aus dem Arbeitsschutzgesetz<br />

nachgekommen, so hätten sich vermutlich die Fehlzeiten<br />

verringert oder wären gar nicht erst vorgekommen.<br />

Zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin hatte die<br />

Beklagte bereits unter dem 01. Oktober 2007 die Zustimmung<br />

des Integrationsamtes beantragt. Zur Begründung verwies sie<br />

darauf, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin<br />

auch nach Aufhebung ihrer Kündigung zum 30. November<br />

2005 weiterhin sehr hoch seien. Soweit die Klägerin immer<br />

behauptet hätte, die Fehlzeiten seien einzig <strong>und</strong> allein darauf<br />

zurückzuführen, dass sie nicht behindertengerecht eingesetzt<br />

wurde, sei dies bei ihrem derzeitigen Arbeitsplatz berücksichtigt<br />

worden, auch wenn sich die Klägerin insoweit<br />

beklage, beim Betreten <strong>und</strong> Verlassen des Arbeitsbereiches<br />

ihre Schuhe wechseln zu müssen. In einem vom Integrationsamt<br />

eingeholten Gutachten der Fachärztin für Chirurgie-<br />

Sozialmedizin, Frau H., führt die Gutachterin aus, dass aus<br />

chirurgischer Sicht für die Klägerin zurzeit Arbeitsfähigkeit für<br />

eine leichte überwiegend sitzende Tätigkeit bestehe. Sie sei<br />

wie bisher als Prüferin einsetzbar. Unter Berücksichtigung der<br />

bisher dokumentierten Fehlzeiten in den letzten 10 Jahren<br />

AE200901.PDF 54 17.02.2009 12:08:08


müsse jedoch damit gerechnet werden, dass sich die Klägerin<br />

auch in Zukunft wegen verschiedener Diagnosen von<br />

verschiedenen Ärzten immer wieder Arbeitsunfähigkeit attestieren<br />

lassen werde. Bei dem Einsatz der Klägerin in ihrer<br />

Tätigkeit sei durch das Leiden eine besondere Gefahr für sie<br />

nicht gegeben. Die Klägerin sei in der Lage, vollschichtig einer<br />

leichten körperlichen Tätigkeit mit überwiegendem Sitzen<br />

nachzugehen, wobei aus chirurgischer Sicht auch keinerlei<br />

Bedenken gegen den Einsatz im Schichtsystem bestünden.<br />

Mit Bescheid vom 14. April 2008 stimmte das Integrationsamt<br />

der von der Beklagten beabsichtigten Kündigung zu. ...<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die gemäß der §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 256 Abs. 1 ZPO i.V. mit<br />

den §§ 4, 7, 23 Abs. 1 KSchG zulässige Klage ist unbegründet.<br />

...<br />

1. ...<br />

1.2. Die Kündigung ist durch einen in der Person der Klägerin<br />

liegenden Gr<strong>und</strong> sozial gerechtfertigt.<br />

Im Anschluss an die ständige Rechtssprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

(siehe u.a. BAG, Urteil vom 08.11.2007, 2 AZR<br />

292/06) sind auch häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten geeignet,<br />

eine Kündigung sozial zu rechtfertigen, sofern diese<br />

Fehlzeiten die betrieblichen bzw. wirtschaftlichen Interessen<br />

des Arbeitgebers auf Dauer erheblich beeinträchtigen <strong>und</strong><br />

dem Arbeitgeber nach Abwägung der beiderseitigen Interessen<br />

eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr<br />

zugemutet werden kann. Jährlich jeweils für einen Zeitraum<br />

von mehr als 6 Wochen aufzuwendende Entgeltfortzahlung<br />

stellt dabei schon eine erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigung<br />

dar. Des Weiteren indizieren Fehlzeiten aus den der<br />

Kündigung vorangegangenen 2-3 Kalenderjahren eine entsprechende<br />

künftige Entwicklung.<br />

Daran gemessen ist die Kündigung aufgr<strong>und</strong> der vergangenen<br />

<strong>und</strong> auch künftig zu besorgenden krankheitsbedingten<br />

Ausfallzeiten der Klägerin <strong>und</strong> den damit für die Beklagte<br />

verb<strong>und</strong>enen Beeinträchtigungen gerechtfertigt.<br />

1.2.1. Im Falle der Klägerin sind auch künftig erhebliche krankheitsbedingte<br />

Fehlzeiten zu prognostizieren.<br />

Die Klägerin vermochte das entsprechende aus den Fehlzeiten<br />

der jüngeren Vergangenheit abzuleitende Indiz für eine entsprechende<br />

künftige Entwicklung nicht zu erschüttern. Soweit<br />

sie sich darauf berufen hat, die Fehlzeiten seien maßgeblich<br />

auf einen nicht leidensgerechten Arbeitsplatz zurückzuführen,<br />

kann dies anhand des weiteren Vortrags der Klägerin <strong>und</strong><br />

der von ihr eingereichten ärztlichen Stellungnahmen nicht<br />

nachvollzogen werden. ... Danach leidet die Klägerin u.a.<br />

unter chronischer Bronchitis <strong>und</strong> Magenbeschwerden. Diese<br />

Fehlzeiten sind nicht in Verbindung mit ihrem Arbeitsplatz<br />

zu bringen. Angesichts dessen kann letztlich dahin stehen,<br />

ob der letzte Arbeitsplatz der Klägerin ihren orthopädischen<br />

Einschränkungen gerecht geworden ist. Die Jahre 2006 <strong>und</strong><br />

2007 zeigen deutlich, dass die Fehlzeiten der Klägerin nicht<br />

auf die Arbeitsbedingungen zurückgeführt werden können.<br />

Dies dürfte, wenn es hier auch nicht maßgeblich ist, auch<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

für die Rückenbeschwerden gelten. ... Nach dem Bericht des<br />

Rückenzentrums hat die Klägerin im Rahmen des die Behandlung<br />

abschließenden Gesprächs mitgeteilt, keine deutliche<br />

Verbesserung des psychischen <strong>und</strong> körperlichen Befindens zu<br />

verspüren. Sie leide unverändert nach 30 Min. Sitzen oder<br />

Stehen unter Rückenschmerzen von der rechten Schulter bis<br />

zum unteren Kreuz. Der Abschlussbericht weist insoweit die<br />

Diagnose Depressive Entwicklung, Chronifiziertes neuropathisches<br />

Schmerzsyndrom bzw. chronische Schmerzstörung in<br />

Verbindung mit medizinischen <strong>und</strong> psychologischen Faktoren<br />

aus. Dieses Krankheitsbild war indes bei Zugang der Kündigung<br />

noch nicht ausgeheilt. Nach dem Bericht des Rückenzentrums<br />

war insoweit noch nicht einmal eine baldige Besserung<br />

zu erwarten.<br />

1.2.2. Angesichts der im Falle der Klägerin gegebenen negativen<br />

Ges<strong>und</strong>heitsprognose, sind die wirtschaftlichen Interessen<br />

der Beklagten erheblich beeinträchtigt. ...<br />

1.2.3. Die abschließend vorzunehmende Interessenabwägung<br />

fällt zu Lasten der Klägerin aus. ...<br />

Da die Beklagte sich unter Einbeziehung des Integrationsamtes<br />

um einen leidensgerechten Arbeitsplatz für die Klägerin<br />

bemüht hat, der zuletzt von der Klägerin innegehabte Arbeitsplatz<br />

im Hinblick auf seine körperlichen Anforderungen von<br />

der Gutachterin des Integrationsamtes, wie auch den Ärzten<br />

des Rückenzentrums auch als leidensgerecht beurteilt worden<br />

ist, spielt es auch keine Rolle, ob die Beklagte vor Ausspruch<br />

der Kündigung ein förmliches betriebliches Eingliederungsmanagement<br />

durchgeführt hat. Dass dieses unterb<strong>liebe</strong>n ist,<br />

macht die Kündigung deshalb hier nicht unwirksam.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 19. September 2009, 6 Ca 7597/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Gisbert Seidemann,<br />

Budapester Straße 40, 10787 Berlin, Tel.: 030/254591-0,<br />

Fax: 030/254591-66<br />

p.osche@advocati.de; www.advocati.de<br />

51. Kündigung, Rechtsbedingung, Weiterbeschäftigung,<br />

einstweilige Verfügung, wirtschaftliche Notlage<br />

1. Kündigt ein Arbeitgeber nach der Zurückweisung seiner<br />

Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil, mit dem der<br />

Klage des Arbeitnehmers gegen eine erste Kündigung stattgegeben<br />

worden war, „hilfsweise <strong>und</strong> erneut“ das Arbeitsverhältnis,<br />

so kann dies dahin zu verstehen sein, er werde prüfen,<br />

ob eine Wiederaufnahme des Verfahrens entsprechend<br />

§§ 578 ff. ZPO in Betracht komme. Jedenfalls ist die zweite<br />

Kündigung an eine zulässige Rechtsbedingung geknüpft.<br />

2. Es fehlt der für eine einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung<br />

erforderliche Verfügungsgr<strong>und</strong>, wenn der Arbeitnehmer<br />

die Dringlichkeit mit seiner wirtschaftlichen Notlage<br />

begründet, er tatsächlich aber nach rechtskräftigem Obsiegen<br />

im ersten Kündigungsrechtsstreit seinen Vergütungsanspruch<br />

aus Annahmeverzug für die Zeit bis zum Ausspruch der erneuten<br />

Kündigung gegen den Arbeitgeber durchsetzen kann,<br />

AE200901.PDF 55 17.02.2009 12:08:08<br />

55


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

ggf. in einem gerichtlichen Eilverfahren, <strong>und</strong> er erneut einen<br />

Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben hat.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 20. Dezember 2007, 9 Ta 356/07<br />

52. Kündigung, Treu <strong>und</strong> Glauben, Ehegattenarbeitsverhältnis<br />

Es verstößt nicht gegen Treu <strong>und</strong> Glauben, wenn im Kleinbetrieb<br />

der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zu seiner Ehefrau<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> eines laufenden Scheidungsverfahrens<br />

kündigt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 9. Mai 2008, 6 Sa 598/08<br />

53. Kündigungserklärung, Zurückweisung nach § 174 BGB<br />

1. Nach § 55 Abs. 8 S. 2 NLO (juris LKreisO ND) kann in der<br />

Hauptsatzung die Vertretung für bestimmte Aufgabengebiete<br />

besonders geregelt werden. Hierzu ist erforderlich, dass einzelne<br />

Aufgabengebiete, für die die Vertretung in der allgemeinen<br />

Verwaltung erfolgen soll, in der Hauptsatzung genannt<br />

werden. Bestimmte Aufgabengebiete sind dabei solche, die<br />

der Rat durch ausdrückliche Regelungen in der Hauptsatzung<br />

bestimmt hat. Sie müssen eindeutig definiert sein.<br />

2. § 174 S. 1 BGB gilt sowohl seinem Wortlaut als auch seiner<br />

Stellung im BGB nach nur für den rechtsgeschäftlich bevollmächtigten<br />

Vertreter, jedoch nicht für einen Vertreter, dessen<br />

Vertretungsmacht nicht auf der Erteilung einer Vollmacht<br />

durch den Vertretenen, sondern auf gesetzlicher Gr<strong>und</strong>lage<br />

beruht.<br />

3. Aus der dem Personalleiter übergeordneten Stellung eines<br />

Bereichsleiters folgt nicht im Sinne des § 174 S 2 BGB,<br />

dass der (übergeordnete) Bereichsleiter neben dem Personalleiter<br />

stets zur Erklärung einer Kündigung befugt ist, ohne<br />

dass diese Berechtigung ausdrücklich oder durch sonstige<br />

Umstände bekannt gemacht wurde.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 28. April 2008, 9 Sa 1325/07, Nichtzulassungsbeschwerde<br />

eingelegt zum Aktenzeichen 2 AZN 684/08<br />

54. Kündigungsfrist, Altersdiskriminierung durch Nichtanrechnung<br />

der Beschäftigungszeiten vor dem 25. Lebensjahr<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

2.2 Die Kündigung vom 17. Oktober 2006 vermochte das<br />

Arbeitsverhältnis der Parteien unter Berücksichtigung der tariflichen<br />

Kündigungsfrist nach § 15 Abs. 2 MTV-EH, der jedenfalls<br />

kraft einzelvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis<br />

Anwendung findet, erst zum 31. Mai 2007 zu beenden.<br />

Danach beträgt die Kündigungsfrist 7 Monate, wenn das<br />

Arbeitsverhältnis mehr als 15 Jahre bestanden hat. Für die<br />

Berechnung der Beschäftigungsdauer waren unabhängig von<br />

dem Lebensalter der Klägerin sämtliche Zeiten seit Beginn<br />

des Arbeitsverhältnisses anzurechnen. Die Einschränkung in<br />

56 01/09<br />

§ 15 Abs. 2 Satz 4 MTV-EH, der die Nichtberücksichtigung von<br />

Zeiten vor der Vollendung des 25. Lebensjahres vorsieht, ist –<br />

ebenso wie der gleichlautende § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB – wegen<br />

Verstoßes gegen den europarechtlichen Gleichheitssatz<br />

nicht anzuwenden.<br />

2.2.1 Nach dem Gr<strong>und</strong>satz der Gleichbehandlung, wie er<br />

auch in der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November<br />

2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für<br />

die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung<br />

<strong>und</strong> Beruf (ABl. EG 2000 L 303 S. 16) ausgeformt ist, ist die<br />

unmittelbare <strong>und</strong> mittelbare Diskriminierung u.a. wegen des<br />

Alters verboten. Dabei bezieht sich der Begriff „Alter“ auf<br />

das Lebensalter. Das Gleichbehandlungsgebot verbietet mithin<br />

nicht nur eine Ungleichbehandlung wegen hohen Alters,<br />

sondern jede Anknüpfung an das Alter, sofern sie nicht durch<br />

eine Rechtfertigung – ausnahmsweise – gestattet ist (Annuß,<br />

BB 2006, 325-327). ...<br />

2.2.1.2 Ein Rechtfertigungsgr<strong>und</strong> für diese Ungleichbehandlung<br />

liegt nicht vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Primärrecht<br />

<strong>und</strong> Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 78/2000/EG, auf die als<br />

primärrechtskonforme Regelung zur Auslegung zurückgegriffen<br />

werden kann, eine unterschiedliche Behandlung wegen<br />

des Alters zulassen, wenn sie objektiv <strong>und</strong> angemessen <strong>und</strong><br />

durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist.<br />

Sinn <strong>und</strong> Zweck verlängerter Kündigungsfristen ist es, die<br />

berufliche Existenz der vom Arbeitsplatzverlust betroffenen,<br />

länger beschäftigten, in der Regel älteren Arbeitnehmer sichern<br />

zu wollen: Die Anpassung an eine veränderte berufliche<br />

Situation, die Suche nach einer anderen Arbeitsstelle <strong>und</strong> der<br />

möglichst nahtlose Übergang in eine neue Beschäftigung soll<br />

mit den längeren Kündigungsfristen erleichtert werden (vgl.<br />

BVerfG, 1. Senat, v. 16.11.1982<br />

1 BvL 16/75, 1 BvL 36/79 – BVerfGE 62, 256-294). Ein solches<br />

Ziel kann es jedoch nicht rechtfertigen, die von den<br />

Arbeitnehmern in jüngeren Jahren erdienten Betriebszugehörigkeitszeiten<br />

nicht in Betracht zu ziehen (Annuß, BB 2006,<br />

325, 326; Wolff, FA 2006, 260, 263). Denn wenn es Ziel ist,<br />

den älteren Arbeitnehmern eine längere Kündigungsfrist zu<br />

gewähren, wird dieses Ziel durch die Altersgrenze nicht erreicht.<br />

Jedenfalls für diejenigen (älteren) Arbeitnehmer, die<br />

ihre Betriebszugehörigkeit vor dem 25. Lebensjahr begonnen<br />

haben, bleiben diese Zeiten für ihre Kündigungsfristen außer<br />

Betracht. Für sie gilt im Ergebnis dieselbe Kündigungsfrist, wie<br />

für gleichaltrige Arbeitnehmer, die ihre Beschäftigung erst mit<br />

vollendetem 25. Lebensjahr begonnen haben. ...<br />

Auch bei einer Gesamtbetrachtung der tariflichen Regelungen<br />

(so zu § 622 BGB Tavakoli/Westhauser, DB 2008, 702, 706) lässt<br />

sich ein ausreichender Rechtfertigungsgr<strong>und</strong> nicht erkennen.<br />

Die Altersgrenze trifft nämlich junge Menschen ungleich. Jene<br />

Gruppe, die ohne oder nach nur kurzer Berufsausbildung früh<br />

eine Arbeitstätigkeit aufnimmt, ist härter betroffen als die<br />

andere Gruppe, die nach langer Ausbildung erst später in<br />

den Beruf eintritt (vgl. hierzu auch LAG Schleswig-Holstein,<br />

v. 28.05.2008 – 3 Sa 31/08 in juris). ...<br />

AE200901.PDF 56 17.02.2009 12:08:08


2.2.3 Gr<strong>und</strong>sätze des Vertrauensschutzes stehen der Nichtanwendung<br />

der Regelung zur Kappung der Betriebszugehörigkeitsjahre<br />

bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht<br />

entgegen.<br />

Dabei kann dahinstehen, ob es Vertrauensschutz für Diskriminierungshandlungen<br />

überhaupt geben kann. Denn dies<br />

würde bedeuten, dass der Diskriminierungstatbestand zu Lasten<br />

des sich gerade wehrenden Diskriminierten perpetuiert<br />

würde (Kreft, a.a.O., S. 43). Jedenfalls aber konnte die Beklagte<br />

bei Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung nicht<br />

in „schutzwürdiger Weise auf die Vereinbarkeit der tariflichen<br />

Norm mit Europarecht vertrauen.<br />

(wird ausgeführt). ...<br />

Fehlte es aber an einem Ansatzpunkt zur Gewährung von<br />

Vertrauensschutz, bedurfte es auch nicht unter diesem Gesichtspunkt<br />

einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 26. August 2008, 7 Sa 252/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Gisbert Seidemann,<br />

Budapester Straße 40, 10787 Berlin, Tel.: 030/254591-0,<br />

Fax: 030/254591-66<br />

p.osche@advocati.de; www.advocati.de<br />

55. Kündigungsschutzgesetz, Anwendbarkeit bei Vertragsunterbrechungen,<br />

Probezeitvereinbarung, treuwidrige<br />

Kündigung<br />

Der Kläger war mehrfach mit befristeten Verträgen als Lehrer<br />

tätig, jeweils unterbrochen durch die Sommerferien. Der letzte<br />

Vertrag war unbefristet <strong>und</strong> wurde innerhalb der vereinbarten<br />

Probezeit mangels Eignung gekündigt.<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

... B. ... I. Die Kündigung vom 12. Januar 2006 war nicht<br />

am Maßstab des Kündigungsschutzgesetzes zu messen. Sie<br />

bedurfte keines verhaltens- oder personenbedingten Kündigungsgr<strong>und</strong>es<br />

i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG. Das letzte Arbeitsverhältnis<br />

zwischen den Parteien hat zum Zeitpunkt des Zugangs<br />

der Kündigung noch keine sechs Monate bestanden.<br />

Es steht nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts<br />

auch nicht mit den vorausgegangenen Arbeitsverhältnissen in<br />

einem derart engen Zusammenhang, dass von einem ununterbrochenen,<br />

einheitlichen Arbeitsverhältnis auszugehen ist.<br />

...<br />

b) Wenn das Gesetz die sechsmonatige Wartezeit an einen<br />

ununterbrochenen rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses<br />

anknüpft, so schadet nach dem Wortlaut der Vorschrift<br />

schon jede rechtliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses,<br />

sei sie auch nur von kurzer Dauer. Eine solch enge Sichtweise<br />

würde aber dem Sinn <strong>und</strong> Zweck des Gesetzes nicht<br />

gerecht werden. Wird das Arbeitsverhältnis allein auf Veranlassung<br />

des Arbeitgebers für einen verhältnismäßig kurzen<br />

Zeitraum unterbrochen, so kann sich je nach den Umständen<br />

der Arbeitgeber auf die von ihm selbst gesetzte Ursache der<br />

Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses nicht berufen (vgl.<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

§ 162 BGB zu diesem Ansatz, st. Rspr. des Senats, vgl. zuletzt<br />

19. Juni 2007 – 2 AZR 94/06 – AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit<br />

Nr. 23 = EzA SGB IX § 90 Nr. 2). ...<br />

2. Es hält sich im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz,<br />

wenn das Landesarbeitsgericht unter Anwendung dieser<br />

Gr<strong>und</strong>sätze im Entscheidungsfall das Vorliegen eines engen<br />

sachlichen Zusammenhangs zwischen dem letzten unbefristeten<br />

Arbeitsverhältnis <strong>und</strong> dem vorangegangenen befristeten<br />

Arbeitsverhältnis der Parteien verneint <strong>und</strong> damit das<br />

Tatbestandsmerkmal des „ununterbrochenen Arbeitsverhältnisses“<br />

in § 1 Abs. 1 KSchG als nicht erfüllt angesehen hat.<br />

a) Zu Recht hebt das Berufungsgericht zunächst hervor, dass<br />

eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses vom 7. Juli 2005<br />

bis zum 17. August 2005, also ein Unterbrechungszeitraum<br />

von sechs Wochen, gr<strong>und</strong>sätzlich erheblich ist <strong>und</strong> man deshalb<br />

im Prinzip nicht von einem „ununterbrochenen“ Arbeitsverhältnis<br />

ausgehen kann. Dies gilt gr<strong>und</strong>sätzlich auch dann,<br />

wenn der Unterbrechungszeitraum mit den Sommerferien in<br />

den Schulen Nordrhein-Westfalens deckungsgleich ist.<br />

b) Weiter hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen,<br />

ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen den Arbeitsverhältnissen<br />

scheitere daran, dass der Kläger vor <strong>und</strong><br />

nach den Sommerferien in unterschiedlichen Schultypen <strong>und</strong><br />

Klassenstufen an Schulen in Nordrhein-Westfalen als Lehrer<br />

eingesetzt worden ist. ...<br />

Obwohl die Ausbildungsqualifikation des Klägers es ihm ermöglicht,<br />

an beiden Bildungseinrichtungen tätig zu werden,<br />

ist im Entscheidungsfall kein Beurteilungsfehler des Landesarbeitsgerichts<br />

erkennbar, weil unterschiedliche Anforderungen<br />

an einen Lehrer bei der Erteilung des Unterrichts in den verschiedenen<br />

Schultypen <strong>und</strong> unterschiedlichen Klassenstufen<br />

gestellt werden.<br />

c) Demgegenüber zeigt der Kläger keinen revisionsrechtlich<br />

relevanten Fehler auf.<br />

aa) Soweit er darauf verweist, das beklagte Land habe<br />

bereits ausreichend Gelegenheit gehabt, seine Eignung <strong>und</strong><br />

Leistung in den früheren Arbeitsverhältnissen zu erproben<br />

<strong>und</strong> zu beurteilen, so gilt dieser Umstand lediglich für seine<br />

frühere Tätigkeit an einem Berufskolleg mit einer durchaus<br />

anderen Schülerschaft. Auf Gr<strong>und</strong> der unterschiedlichen<br />

Schulstrukturen <strong>und</strong> der unterschiedlichen Schülerschaft<br />

einerseits <strong>und</strong> den daraus resultierenden unterschiedlichen<br />

Unterrichtsanforderungen <strong>und</strong> -vermittlungen andererseits,<br />

kann durchaus ein erneutes Beurteilungsbedürfnis bei einem<br />

Einsatz eines Lehrers in einem anderen Schultyp bestehen<br />

<strong>und</strong> anerkannt werden.<br />

bb) Der weitere Hinweis des Klägers auf die gleiche Vergütung<br />

(BAT IIa) rechtfertigt nicht notwendig eine andere Beurteilung.<br />

Die Tätigkeiten eines Lehrers an einem Gymnasium<br />

<strong>und</strong> einem Berufskolleg werden vergütungsmäßig als gleich<br />

angesehen. Angesichts der Tatsache, dass beide Schultypen<br />

auch die Sek<strong>und</strong>arstufe II umfassen, erscheint eine solche vergütungsmäßige<br />

Gleichbehandlung durchaus nachvollziehbar.<br />

Sie rechtfertigt jedoch noch nicht zwingend von einem engen<br />

AE200901.PDF 57 17.02.2009 12:08:08<br />

57


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

sachlichen Zusammenhang unterschiedlicher Tätigkeiten an<br />

unterschiedlichen Bildungseinrichtungen auszugehen.<br />

cc) Der Hinweis des Klägers auf die Sonderregelung des SR<br />

2y BAT lässt einen engen sachlichen Zusammenhang nicht<br />

erkennen. Die Protokollnotiz Nr. 4 zur Nr. 1 ... sieht lediglich<br />

eine bevorzugte Berücksichtigung bei der Einstellung auf<br />

Dauerarbeitsplätze vor, was im Übrigen im vorliegenden Fall<br />

geschehen ist. ...<br />

II. Die Kündigung vom 12. Januar 2006 ist auch nicht treuwidrig<br />

i.S.v. § 242 BGB.<br />

1. Bei der Prüfung der Treuwidrigkeit einer Kündigung ist<br />

§ 242 BGB im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG auszulegen <strong>und</strong><br />

anzuwenden.<br />

a) Für die Bestimmung des Inhalts <strong>und</strong> der Grenzen eines<br />

Kündigungsschutzes außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes<br />

sind die gr<strong>und</strong>rechtlichen Schutzpflichten <strong>und</strong> ihre<br />

Bedeutung zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts muss der Arbeitnehmer auch<br />

außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes<br />

über die zivilrechtlichen Generalklauseln vor einer<br />

sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts<br />

des Arbeitgebers geschützt werden (§§ 242, 138 BGB). Im<br />

Rahmen dieser Generalklauseln ist der objektive Gehalt der<br />

Gr<strong>und</strong>rechte, hier vor allem Art. 12 Abs. 1 GG, zu beachten.<br />

Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Der durch die<br />

Generalklauseln vermittelte Schutz darf allerdings auch nach<br />

der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts nicht<br />

dazu führen, dass außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes<br />

dem Arbeitgeber praktisch die dem Kündigungsschutzgesetz<br />

vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt<br />

werden. In sachlicher Hinsicht geht es darum, Arbeitnehmer<br />

vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden<br />

Kündigungen zu schützen (vgl. BVerfG, v. 27. Januar 1998 –<br />

1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169; zum Ganzen zuletzt BAG, v.<br />

28. Juni 2007 – 6 AZR 750/06 – AP BGB § 307 Nr. 27 = EzA<br />

BGB 2002 § 310 Nr. 5). ...<br />

Eine willkürliche Kündigung liegt aber nicht vor, wenn ein<br />

irgendwie einleuchtender Gr<strong>und</strong> für die Kündigung besteht<br />

(vgl. Senat, v. 28. August 2003 – 2 AZR 333/02 – AP BGB § 242<br />

Kündigung Nr. 17 = EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 4;<br />

zuletzt BAG, v. 28. Juni 2007 – 6 AZR 750/06 – AP BGB § 307<br />

Nr. 27 = EzA BGB 2002 § 310 Nr. 5). Für das Vorliegen von<br />

solchen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergeben<br />

soll, trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast<br />

(Senat, v. 22. Mai 2003 – 2 AZR 426/02 – AP KSchG 1969 § 1<br />

Wartezeit Nr. 18; v. 21. Februar 2001 – 2 AZR 15/00 – BAGE<br />

97, 92, 103). Dabei wird dem verfassungsrechtlich gebotenen<br />

Schutz des Arbeitnehmers durch eine abgestufte Darlegungs<strong>und</strong><br />

Beweislast Rechnung getragen. In einem ersten Schritt<br />

muss der Arbeitnehmer, soweit er die Überlegung des Arbeitgebers,<br />

die zu seiner Kündigung geführt hat, nicht kennt,<br />

lediglich einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit<br />

der Kündigung nach § 242 BGB indiziert. Der Arbeitgeber<br />

muss sich sodann nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen auf<br />

58 01/09<br />

diesen Vortrag einlassen, um ihn zu entkräften. Kommt der<br />

Arbeitgeber dem nicht nach, gilt der schlüssige Sachvortrag<br />

des Arbeitnehmers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden<br />

(vgl. Senat, v. 16. September 2004 – 2 AZR 447/03 – AP BGB<br />

§ 611 Kirchendienst Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 242 Kündigung<br />

Nr. 5).<br />

2. Gemessen hieran ist eine Treuwidrigkeit der Kündigung<br />

vom 12. Januar 2006 nicht erkennbar.<br />

Das beklagte Land hat das Arbeitsverhältnis gekündigt, weil<br />

nach der dienstlichen Beurteilung vom 10. Januar 2006 beim<br />

Kläger erhebliche Leistungs- <strong>und</strong> Eignungsmängel aufgetreten<br />

sein sollen. Das beklagte Land hat damit einen einleuchtenden<br />

Gr<strong>und</strong> für seine Kündigung vom 12. Januar 2006 vorgetragen.<br />

Der Kläger hat diesen nicht hinreichend entkräftet.<br />

Sein bloßes Bestreiten hierzu ist nicht ausreichend. ...<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 28. August 2008, 2 AZR 101/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klemens Rütte, Marker Allee 48,<br />

59063 Hamm, Tel.: 02381/13434, Fax: 02381/13433<br />

info@rae-stallmeister.de; www.rae-stallmeister.de<br />

56. Kündigungsschutzklage, nachträgliche Zulassung,<br />

Ausgangskontrolle Rechtsanwalt<br />

Die Sicherung des rechtzeitigen Eingangs einer Kündigungsschutzklage<br />

bei Gericht macht eine zuverlässige Fristen- <strong>und</strong><br />

Ausgangskontrolle des beauftragten Rechtsanwalts notwendig.<br />

Zu der Ausgangskontrolle gehört die Anordnung, dass<br />

die Erledigung der fristgeb<strong>und</strong>enen Sachen am Abend eines<br />

jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer<br />

dazu beauftragten Bürokraft nochmals selbständig überprüft<br />

wird. Eine Anordnung, zu prüfen, ob die ablaufenden Fristen<br />

im Fristenkalender gestrichen oder mit Häkchen als erledigt<br />

gekennzeichnet sind, genügt nicht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 23. Januar 2008, 5 Ta 320/07<br />

57. Kündigungsschutzklage, nachträgliche Zulassung, Unkenntnis<br />

von Klagefrist, Erkrankung im Ausland<br />

1. Die Unkenntnis von der Klagefrist des Kündigungsschutzgesetzes<br />

kann einen Arbeitnehmer nicht i..S. des § 5 KSchG<br />

entschuldigen. Es gehört zu den an jeden Arbeitnehmer<br />

zu stellenden Sorgfaltsanforderungen, dass er sich zumindest<br />

nach Ausspruch einer Kündigung unverzüglich darum<br />

kümmert, ob <strong>und</strong> wie er gegen eine Kündigung vorgehen<br />

kann <strong>und</strong> gegebenenfalls muss (BAG, v. 26.8.1993, NZA 1994,<br />

281; Stahlhacke/Vossen, Kündigung <strong>und</strong> Kündigungsschutz in<br />

Arbeitsverhältnis, Rn 1855).<br />

2. Krankheit rechtfertigt eine nachträgliche Zulassung einer<br />

Kündigungsschutzklage nur ausnahmsweise dann, wenn im<br />

Ergebnis das Krankheitsbild in Verbindung mit den sonstigen<br />

Begleitumständen sich derartig ausgewirkt haben, dass die<br />

Klageerhebung tatsächlich unmöglich geworden ist (ebenso<br />

LAG Köln, v. 19.3.2006, BeckRS 2006, 41425; LAG Rheinland-<br />

AE200901.PDF 58 17.02.2009 12:08:08


Pfalz, v. 3.8.2007, BeckRS 2007, 48186-; Ascheid/Preis/Schmidt,<br />

KSchG, § 5 Rn 38).<br />

3. Sind Unkenntnis von der Klagefrist <strong>und</strong> bestehende<br />

Erkrankung glaubhaft gemacht, so rechtfertigt dies eine<br />

nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage nur<br />

ausnahmsweise dann, wenn im Ergebnis das Krankheitsbild<br />

in Verbindung mit den sonstigen Begleitumständen sich<br />

derart ausgewirkt haben, dass eine Erk<strong>und</strong>igung, was gegen<br />

die Kündigung zu unternehmen ist, tatsächlich unmöglich<br />

war.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 28. Dezember 2007, 8 Ta 355/07<br />

58. Kündigungsschutzklage, nachträgliche Zulassung wegen<br />

Täuschung durch den Arbeitgeber<br />

1. Über sofortige Beschwerden gegen unter der Geltung des<br />

§ 5 KSchG in der bis zum 31.03.2008 geltenden Fassung ergangene<br />

Beschlüsse der Arbeitsgerichte über die nachträgliche<br />

Zulassung der Kündigungsschutzklage ist durch Beschluss<br />

zu entscheiden.<br />

2. Allein die Angabe des Arbeitgebers in einem Kündigungsschreiben,<br />

die Kündigung erfolge aus „dringenden betrieblichen<br />

Erfordernissen“ stellt ohne weitere Umstände keine<br />

Täuschung des Arbeitnehmers über die Erfolgsaussichten der<br />

Kündigungsschutzklage dar, die die nachträgliche Zulassung<br />

der Kündigungsschutzklage rechtfertigt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 23. Mai 2008, 9 Ta 85/08<br />

59. Sonderkündigungsschutz, Restitutionsklage, Restitutionsgr<strong>und</strong>,<br />

Anerkennung als Schwerbehinderter, Verwaltungsakt,<br />

Verwaltungsbehörde, Vorfrist, Negativtest, Aussetzung<br />

des Kündigungsschutzverfahrens<br />

1. Wird der im Kündigungsschutzprozess rechtskräftig unterlegene<br />

Arbeitnehmer nachträglich rückwirkend auf einen<br />

Zeitpunkt vor Ausspruch der streitigen Kündigung als schwerbehinderter<br />

Mensch i.S.v. § 85 SGB IX anerkannt, so stellt der<br />

Erlass des Anerkennungsbescheides einen Restitutionsgr<strong>und</strong><br />

i.S.v. § 580 Nr. 6 <strong>und</strong>/oder Nr. 7b ZPO dar.<br />

2. Liegt im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Anerkennung<br />

als schwerbehinderter Mensch i.S.v. § 85 SGB IX noch<br />

nicht vor, bleibt der Sonderkündigungsschutz gemäß § 90<br />

Abs. 2a, 2. Alt. SGB IX dennoch bestehen, wenn der Antrag<br />

auf Anerkennung so frühzeitig vor Kündigungszugang gestellt<br />

worden war, dass eine Entscheidung hierüber vor Ausspruch<br />

der Kündigung – bei ordnungsgemäßer Mitwirkung des Antragstellers<br />

– binnen der Frist des § 69 I 2 SGB IX möglich<br />

gewesen wäre. Der Antrag muss also mindestens drei Wochen<br />

vor Zugang der Kündigung gestellt worden sein. § 90 Abs. 2a,<br />

2. Alt. SGB IX erweist sich damit als Bestimmung einer Vorfrist<br />

(Anschluss an BAG, v. 1.3.2007, 2 AZR 217/06).<br />

3. Die nachträgliche Anerkennung als schwerbehinderter<br />

Mensch erst durch die Widerspruchsbehörde oder im Zuge<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

eines sozialgerichtlichen Verfahrens steht im Rahmen des<br />

§ 90 Abs. 2a, 2. Alt. SGB IX einer Anerkennung durch das<br />

Versorgungsamt selbst gleich.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 19. September 2007, 7 Sa 506/07<br />

60. Verhaltensbedingte Kündigung eines Busfahrers wegen<br />

Verstoß gegen Alkoholverbot<br />

1. Auch bei einem Busfahrer ist bei einem einmaligen Verstoß<br />

gegen ein absolutes Alkoholverbot eine Abmahnung<br />

nicht generell entbehrlich.<br />

2. Der Konsum einer Flasche Bier (0,33 Liter) in einer Arbeitspause<br />

2 St<strong>und</strong>en vor Beginn der Personenbeförderung<br />

durch einen langjährig beschäftigten Busfahrer rechtfertigt<br />

ohne vorherige Abmahnung nicht die fristlose Kündigung des<br />

Arbeitsverhältnisses.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 8. Februar 2008, 9 Sa 759/07<br />

61. Verhaltensbedingte Kündigung, Diebstahl, fehlerhafte<br />

Ware<br />

1. Entwendet ein Verkäufer aus dem Baumarkt, in dem er<br />

beschäftigt ist, 2 Kartons fehlerhafter Fliesen, so kann dies<br />

den Arbeitgeber zu einer fristlosen Kündigung jedenfalls dann<br />

berechtigten, wenn er die strikte Anweisung erteilt hatte,<br />

abgeschriebene Ware dürfe von Beschäftigten nur mit seiner<br />

Zustimmung mitgenommen werden, die Befolgung dieser<br />

Anweisung sei quasi deren „Lebensversicherung“.<br />

2. Bei einem vorsätzlichen Eigentumsdelikt zu Lasten des<br />

Arbeitgebers bedarf es vor Ausspruch der Kündigung keiner<br />

vorherigen Abmahnung.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 27. November 2007, 9 Sa 866/07<br />

62. Verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung wegen<br />

verspäteteter Krankmeldung<br />

Die Versäumung der Pflicht zur rechtzeitigen Mitteilung einer<br />

Arbeitsunfähigkeit gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG rechtfertigt<br />

nach einschlägiger Abmahnung regelmäßig keine außerordentliche<br />

Kündigung; in Betracht kann aber eine ordentliche<br />

Kündigung kommen (im Anschluss an BAG, Urteil vom<br />

15.01.1986 – 7 AZR 128/83 – AP Nr. 93 zu § 626 BGB).<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 7. Januar 2008, 14 Sa 1311/07<br />

63. Verhaltensbedingte Kündigung, Servicekraft, Bonierungsvorschriften<br />

Vergisst eine mit dem Verkauf von Snacks <strong>und</strong> Getränken in<br />

DB-Zügen betraute Servicekraft nach mehreren einschlägigen<br />

Abmahnungen erneut, verkaufte Waren den Bonierungsvorschriften<br />

entsprechend in die Kasse einzugeben, kommt eine<br />

ordentliche verhaltensbedingte Kündigung auch dann in Be-<br />

AE200901.PDF 59 17.02.2009 12:08:08<br />

59


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

tracht, wenn die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung<br />

wegen eines versuchten Vermögensdeliktes (noch) nicht vorliegen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 20. Juni 2007, 7 Sa 1373/06<br />

64. Verhaltensbedingte (Verdachts-)Kündigung, dringender<br />

Verdacht, Erklärungspflicht des Arbeitnehmers, § 626<br />

II <strong>und</strong> Ermittlungsrecht des Arbeitgebers<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten – soweit für vorliegendes Teilurteil von<br />

Belang – um die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen,<br />

hilfsweise ordentlichen Kündigung wegen des Verdachts<br />

des Betruges <strong>und</strong> der Untreue. ... Der 1960 geborene, verheiratete<br />

Kläger ist seit 1. Oktober 1979 bei der Beklagten tätig,<br />

zuletzt als Leiter Maschinenversand ...<br />

Die Beklagte stand seit mehreren Jahren in regelmäßiger Geschäftsbeziehung<br />

zur Lieferantin X, bei der im Jahr 2003 Verbrauchsmaterialien<br />

im Wert von ca. 350.000,00 Euro bestellt<br />

wurden. Am 14. August 2007 teilte der Leiter Finanz- <strong>und</strong><br />

Rechnungswesen ... dem Leiter der Rechtsabteilung der Beklagten<br />

telefonisch mit, im Zuge einer Innenrevision bei der<br />

Muttergesellschaft der ... seien Unregelmäßigkeiten bei der<br />

Lieferung <strong>und</strong> Abrechnung von Verbrauchsmaterialien aufgedeckt<br />

worden. Im Jahr 2003 seien fingierte Rechnungen über<br />

Verbrauchsgüter fakturiert, tatsächlich jedoch Konsumgüter<br />

berechnet <strong>und</strong> von der Beklagten bezahlt worden, die teilweise<br />

an drei Mitarbeiter der Beklagten privat geliefert worden<br />

seien, während die Verbrauchsgüter vielfach nicht zur<br />

Beklagten gelangt seien. Nachdem die Unregelmäßigkeiten<br />

am 21. August 2007 in einem Gespräch in ... unter Hinzuziehung<br />

eines für die Muttergesellschaft der ... tätigen Rechtsanwaltes<br />

für Steuer- <strong>und</strong> Steuerstrafrecht erläutert worden<br />

waren, leitete die Beklagte interne Aufklärungsmaßnahmen<br />

unter Einschaltung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ... ein.<br />

Nach einem ersten Treffen am 29. August 2007 mit der Wirtschaftsprüferin<br />

... <strong>und</strong> der Steuerberaterin wurde am 31. August<br />

2007 der Kläger als einer der drei betroffenen Mitarbeiter<br />

angehört. Er bestritt, mit der Sache irgendetwas zu tun zu<br />

haben. Am 21. September 2007 wurde der Auftrag erteilt, eine<br />

interne Revision vor Ort ... durchzuführen. Die Sonderuntersuchung<br />

fand vom 26. September bis 02. Oktober 2007 statt.<br />

Am 10. Oktober 2007 wurde der Beklagten auszugsweise der<br />

Bericht der Innenrevision der ... bzw. ihrer Muttergesellschaft<br />

zugeleitet. Am 13. November 2007 erhielt die Beklagte den<br />

Abschlussbericht. Am 19. November 2007 hörte sie erneut den<br />

Kläger im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden an. Der Kläger<br />

bestritt die ihm zur Last gelegten Vorwürfe.<br />

...<br />

Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit<br />

Schreiben vom 27. November 2007 ... außerordentlich fristlos,<br />

hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2008, hilfsweise zum<br />

nächstmöglichen Zeitpunkt. ...<br />

60 01/09<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

A. II. 1a) bb) ...<br />

1. Nach Dafürhalten der Kammer lag bei Ausspruch der fristlosen<br />

Kündigung vom 27. November 2007 der dringende Verdacht<br />

vor, dass der Kläger sich des Betruges (§ 263 StGB) bzw.<br />

der Untreue (§ 266 StGB) zu Lasten der Beklagten strafbar<br />

gemacht hat, da er in seiner Funktion als Leiter des Maschinenversandes<br />

Verbrauchsgüter bei der Lieferantin ... bestellt<br />

hat, statt deren Lieferung jedoch die Lieferung von Konsumgütern<br />

zum privaten Gebrauch an sich oder Dritte auf Kosten<br />

der Beklagten veranlasst hat. Hierbei kommt es im Hinblick<br />

auf die Kündigung nicht darauf an, ob die Vorwürfe der Beklagten<br />

zu sämtlichen Vorfällen aus ihrer zur Akte gereichten<br />

Aufstellung zutreffend sind. Jedenfalls steht für die Kammer<br />

aufgr<strong>und</strong> der Einlassungen des Klägers im Rechtsstreit fest,<br />

dass der Verdacht der Beklagten berechtigt war zumindest<br />

hinsichtlich des Vorwurfs, der Kläger habe auf Kosten der<br />

Beklagten die Lieferung u.a. eines Herdes <strong>und</strong> einer Mikrowelle<br />

an die Firma ... veranlasst, deren Geschäftsführer sein<br />

Schwiegervater ist. Die Beklagte hat vorgetragen, es existiere<br />

eine von ihr beglichene Rechnung vom 05. Juni 2003 – Rechnungsnummer<br />

05/38693 – über 2.923,00 Euro im Hinblick auf<br />

1.400 Kunststoffpaletten, die mit einer in den Unterlagen der<br />

Firma ... aufgef<strong>und</strong>enen Rechnung gleicher Rechnungsnummer<br />

über den gleichen Betrag zu den gelieferten Elektrogeräte<br />

übereinstimme. Unerheblich war für die Kammer hierbei,<br />

dass nach der von der Beklagten zur Akte gereichten Tabelle<br />

eine entsprechende vom Kläger unterzeichnete Anforderung<br />

bezüglich der Paletten fehlt. Allein die Tatsache, dass die<br />

Gegenstände über die Kostenstelle des Klägers abgerechnet<br />

worden sind <strong>und</strong> nach dem Vortrag der Beklagten an die<br />

Firma geliefert wurden, deren Geschäftsführer sein Schwiegervater<br />

ist <strong>und</strong> in der – nach den Mitteilungen gegenüber dem<br />

Betriebsrat – auch seine Frau beschäftigt ist, genügt, um von<br />

einer Veranlassung der Lieferung durch den Kläger ausgehen<br />

zu dürfen. Der Kläger hat diesen Vortrag der Beklagten nicht<br />

ausreichend bestritten, insbesondere konnte er sich nicht darauf<br />

zurückziehen, sein Bestreiten zu den Kündigungsvorwürfen<br />

lediglich auf die beiden von der Beklagten exemplarisch<br />

näher geschilderten Vorfälle (Kaffeemaschinen, Wiesenmäher)<br />

zu beschränken. Die Beklagte hat sämtliche gegenüber dem<br />

Kläger erhobenen Vorwürfe tabellarisch aufgelistet <strong>und</strong> die<br />

entsprechenden Belege in einem aufgearbeiteten Anlagenkonvolut<br />

beigefügt. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> musste der Kläger<br />

sich hinsichtlich des von der Beklagten behaupteten Verdachtes<br />

einer Straftat zu den einzelnen Vorfällen erklären. ...<br />

Da der Kläger dies nicht getan hat, gilt der Vortrag der Beklagten<br />

als zugestanden (§ 138 Abs. 3 2PO). ... Damit liegen<br />

ausreichende Anhaltspunkte für den dringenden Verdacht eines<br />

strafbaren Verhaltens des Klägers zu Lasten der Beklagten<br />

vor, den dieser im Rechtsstreit nicht ausgeräumt hat. Einer<br />

vorangegangenen Abmahnung bedurfte es trotz steuerbaren<br />

Verhaltens des Klägers vor diesem Hintergr<strong>und</strong> nicht. ...<br />

2. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte angesichts des<br />

AE200901.PDF 60 17.02.2009 12:08:08


dringenden Verdachts einer Straftat eine fehlerhafte Interessenabwägung<br />

bei Kündigungsausspruch vorgenommen hat,<br />

bestehen nicht. Trotz der langen Betriebszugehörigkeit des<br />

Klägers seit Oktober 1979 wiegt der Vertrauensbruch gegenüber<br />

der Beklagten so schwer, dass dieser eine Fortsetzung<br />

des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen<br />

Kündigungsfrist nicht zuzumuten war. Der Kläger ist als<br />

Leiter Maschinenversand verantwortlich für die ordnungsgemäße<br />

Abwicklung der von der Beklagten veranlassten Bestellungen.<br />

Gerade im Zusammenhang mit dieser ihm übertragenen<br />

Verantwortung hat sich der Kläger eine erhebliche Pflichtverletzung<br />

gegenüber der Beklagten zu schulden kommen<br />

lassen. Angesichts der Tatsache, dass der Beklagten zudem<br />

hierdurch ein – noch nicht in allen Einzelheiten geklärter –<br />

Schaden entstanden ist, der auch steuerrechtliche Weiterungen<br />

mit sich, bringt, überwiegt das Interesse der Beklagten an<br />

der fristlosen Kündigung das Interesse des Klägers an seiner<br />

Weiterbeschäftigung.<br />

b) Entgegen der Ansicht des Klägers hat die Beklagte auch<br />

die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB bei Ausspruch<br />

der Kündigung vom 27. November 2007 gewahrt.<br />

aa) Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche<br />

Kündigung wirksam nur innerhalb von zwei Wochen erklärt<br />

werden. Diese Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB<br />

in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den<br />

für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.<br />

...<br />

bb) Ausgehend hiervon hat die Beklagte die Ausschlussfrist<br />

des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eingehalten. Die Ausschlussfrist<br />

hat entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht nicht<br />

vor dem 19. November 2007 begonnen, da erst zu diesem<br />

Zeitpunkt die von der Beklagten eingeleitete Sonderuntersuchung<br />

durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ... einschließlich<br />

der internen Überprüfung des Abschlussberichtes<br />

beendet <strong>und</strong> der Kläger zum ermittelten Kündigungssachverhalt<br />

angehört war.<br />

Der gegenüber dem Kläger erhobene Kündigungsvorwurf erstreckt<br />

sich nicht lediglich auf eine einzige Tathandlung, sondern<br />

betrifft einen komplexen Sachverhalt, der eine Vielzahl<br />

von Bestellungen <strong>und</strong> Buchungen aus den Jahren 2002 <strong>und</strong><br />

2003 <strong>und</strong> damit aus einem weit zurückliegenden Zeitraum<br />

umfasst <strong>und</strong> in den nach Auffassung der Beklagten neben<br />

dem Kläger auch zwei seiner <strong>Kollegen</strong> verwickelt sind. Da ein<br />

Arbeitgeber vor dem Ausspruch einer Verdachtskündigung<br />

alles ihm mögliche zur Sachverhaltsaufklärung tun <strong>und</strong> auch<br />

entlastende Momente ermitteln muss, war die Beklagte gezwungen,<br />

sämtliche in Rede stehenden Bestellungen, Buchungen<br />

<strong>und</strong> Lieferungen zu ermitteln, nachzuvollziehen, zuzuordnen,<br />

zu Beweiszwecken zusammenzutragen <strong>und</strong> aufzuarbeiten.<br />

Dies gilt umso mehr, als der Kläger bis zuletzt bestritten<br />

hat, in die Vorfälle verwickelt zu sein. Da es sich um eine<br />

Vielzahl von Vorgängen handelt <strong>und</strong> zudem der Abgleich der<br />

doppelten Rechnungen nicht nur im Unternehmen der Beklagten,<br />

sondern auch bei der ... erforderlich war, entspricht es<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

der allgemeinen Lebenserfahrung, dass eine derartige Überprüfung<br />

einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt.<br />

Der Zeitraum von ca. drei Monaten, den die – nicht zur hektischen<br />

Eile an gehaltene – Beklagte vorliegend bis zum Abschluss<br />

ihrer Ermittlungsarbeiten am 16. November 2007 benötigt<br />

hat, ist nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden,<br />

da zeitliche Lücken in ihren nachvollziehbaren Aufklärungsmaßnahmen<br />

nicht ersichtlich sind.<br />

■ Arbeitsgericht Koblenz<br />

vom 6. Mai 2008, 3 Ca 2816/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Stephan Pauly, Kurt-<br />

Schumacher-Straße 16, 53113 Bonn, Tel.: 0228/6209010,<br />

Fax: 0228/6209091<br />

pauly@pauly-rechtsanwaelte.de;<br />

www.pauly-rechtsanwaelte.de<br />

65. Verhaltensbedingte Kündigung, Arbeitsverweigerung<br />

aus Gewissensgründen (Religion)<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten ... über die Wirksamkeit einer außerordentlichen<br />

sowie einer vorsorglichen ordentlichen Arbeitgeberkündigung<br />

<strong>und</strong> die Entfernung von zwei Abmahnungen<br />

aus der Personalakte der Klägerin.<br />

Die Klägerin war seit April 2000 als Mitarbeiterin in der Verwaltung<br />

bei der Beklagten beschäftigt. Im Dezember 2006<br />

wechselte sie von der Finanzbuchhaltung zum Bereich Bildung<br />

<strong>und</strong> Führungswesen. Dort gehörte es zu ihren Aufgaben,<br />

Führungsbuchungen entgegenzunehmen, zu bearbeiten<br />

<strong>und</strong> weiterzuleiten. Bei Antritt der neuen Stelle teilte die Klägerin<br />

ihrer Vorgesetzten mit dass sie Zeugin Jehovas sei <strong>und</strong><br />

ihre Religion das Feiern von Geburtstagen nicht vorsehe. Sie<br />

bat darum, möglichst wenig mit der Organisation von Kindergeburtstagen<br />

zu tun haben zu müssen. Die zunächst neben<br />

der Klägerin mit Führungsbuchungen betraute Mitarbeiterin<br />

übernahm im Juni 2007 endgültig eine andere Aufgabe, so<br />

dass die Klägerin zunehmend bei der Buchung von Führungen<br />

anlässlich von Kindergeburtstagen tätig wurde. ...<br />

Mit Schreiben vom 30.3.2007 wurde der Klägerin vom Personalleiter<br />

der Beklagten vorgehalten, sie habe bei der Aufnahme<br />

von Kinderführungen die Aufnahme relevanter Buchungsdetails<br />

unterlassen, <strong>und</strong> hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme<br />

gegeben. In einem Gespräch mit dem Personalleiter<br />

am 11.9.2007 erklärte die Klägerin, sie könne den Zusatz<br />

Kindergeburtstag, Vorname des Kindes <strong>und</strong> Geburtstag<br />

vermerken, wenn sie diese Daten schon habe. Aus Gewissensgründen<br />

könne sie nach diesen Daten allerdings nicht<br />

fragen, da sie damit das Feiern von Geburtstagen fördere.<br />

... Am 17.9.2007 erhielt die Klägerin eine Abmahnung vom<br />

13.9.2007 mit dem Vorwurf, sie habe es wiederholt unterlassen,<br />

Führungszettel, die Kindergeburtstage betreffen, vollständig<br />

auszufüllen ... In einem Gespräch vom 19.9.2007 mit<br />

ihrem Bereichsleiter wurde festgestellt, dass die Klägerin die<br />

Weisung vom 12.9.2007 nicht ausgeführt hatte <strong>und</strong> zwei neue<br />

AE200901.PDF 61 17.02.2009 12:08:09<br />

61


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Buchungen von Kindergeburtstagen die gewünschten Daten<br />

nicht enthielten. Die Klägerin erklärte, sie könne dies aus Gewissensgründen<br />

nicht nachholen. ...<br />

Am 27.9.2007 erklärte die Beklagte die außerordentliche Kündigung<br />

..., am 10.10.2007 die ordentliche zum 31.3.2009.<br />

Die Klägerin hält die Kündigungen für unwirksam. Eine Arbeitsverweigerung<br />

liege nicht vor, da die Weisungen bezüglich<br />

der Kindergeburtstage nicht billigem Ermessen entsprechen<br />

wurden. Sie würden das verfassungsmäßig gewährleistete<br />

Recht auf Gewissensfreiheit nicht berücksichtigen. Nach<br />

ihrer Religion habe das Feiern von Geburtstagen mit Aberglauben<br />

zu tun. Sie lehne das Feiern von Geburtstagen <strong>und</strong><br />

das Fördern solcher Feiern ab. Wenn sie ausdrücklich nach einem<br />

Geburtstag <strong>und</strong> dem Namen des Geburtstagskindes fragen<br />

müsse, erkenne sie einen Geburtstag als etwas an, das zu<br />

feiern wäre. Durch die von der Beklagten gewünschten Gratulation<br />

erhalte die Führung den Charakter einer Geburtsfeier.<br />

Außerdem seien die Kündigungen unverhältnismäßig, denn<br />

sie hätte auf einen Arbeitsplatz umgesetzt werden können,<br />

auf dem sie keinem Gewissenskonflikt ausgesetzt gewesen<br />

wäre. ...<br />

Die Beklagte sieht in dem Verhalten der Klägerin eine Arbeitsverweigerung.<br />

Der geltend gemachte Gewissenskonflikt sei<br />

nicht nachvollziehbar, denn der Klägerin werde nicht angesonnen,<br />

Kindergeburtstage zu fördern oder mitzufeiern. Eine<br />

Umsetzung sei nicht möglich gewesen, da es keine geeigneten<br />

freien Arbeitsplätze gegeben habe. ...<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet, weil das Arbeitsgericht<br />

zu Recht angenommen hat. dass das Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten<br />

vom 10.10.2007 aufgelöst wurde. Wegen der Beendigung des<br />

Arbeitsverhältnisses hat die Klägerin keinen Anspruch auf Entfernung<br />

der Abmahnungen vom 29.8. <strong>und</strong> 13.9.2007 aus ihrer<br />

Personalakte. ...<br />

1. Die Kündigung vom 10.10.2007 ist durch Gründe, die<br />

im Verhalten der Klägerin liegen bedingt (§ 1 Abs, 2. Satz 1<br />

KSchG),<br />

a) Bei der Begründung dieses Ergebnisses hat das Arbeitsgericht<br />

den subjektiven Gewissensbegriff nicht verkannt, sondern<br />

ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Weisung der<br />

Beklagten in Verbindung mit Kinderführungen billigem Ermessen<br />

entspricht (§ 315 BGB).<br />

Die Relevanz einer auf Tatsachen gestützten inneren Gewissensentscheidung<br />

unterliegt zwar nicht der gerichtlichen<br />

Überprüfung <strong>und</strong> eine solche Gewissensentscheidung kann<br />

auch nicht nach objektiven Kriterien eingegrenzt werden<br />

(BAG a.a.O.). Dies bedeutet allerdings nicht, dass jede<br />

Weisung, die irgendeine Berührung mit einer Gewissensentscheidung<br />

hat, unwirksam wäre. Vielmehr nimmt das<br />

B<strong>und</strong>esarbeitsgericht in der genannten Entscheidung an,<br />

dass unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien<br />

festzustellen ist, ob die Zuweisung einer Tätigkeit, die den<br />

62 01/09<br />

Arbeitnehmer in einen Gewissenskonflikt bringt, nicht der<br />

Billigkeit des § 315 BGB entspricht <strong>und</strong> der Arbeitnehmer<br />

daher nicht verpflichtet ist, diese Tätigkeit auszuüben. Kollidiert<br />

das Recht des Arbeitgebers, im Rahmen seiner gr<strong>und</strong>rechtlich<br />

geschützten unternehmerischen Betätigungsfreiheit<br />

Art. 12 Abs. 1 GG) den Inhalt der Arbeitsverpflichtung des<br />

Arbeitnehmers näher zu konkretisieren, mit gr<strong>und</strong>rechtlich<br />

geschützten Positionen des Arbeitnehmers (Art. 4 GG), so<br />

ist das Spannungsverhältnis im Rahmen der Konkretisierung<br />

<strong>und</strong> Anwendung der Generalklausel des § 315 BGB einem<br />

gr<strong>und</strong>rechtskonformen Ausgleich der Rechtspositionen zuzuführen.<br />

Dabei sind die kollidierenden Gr<strong>und</strong>rechte in ihrer<br />

Wechselwirkung zu sehen <strong>und</strong> so zu begrenzen, dass die<br />

geschützten Rechtspositionen für alle Beteiligten möglichst<br />

weitgehend wirksam werden (praktische Konkordanz). Bei<br />

dieser Abwägung ist die Intensität der umstrittenen Freiheitsbeschränkung<br />

genauso zu berücksichtigen, wie etwa die von<br />

den Vertragspartnern durch den Abschluss des Vertrags selbst<br />

eingeräumte Begrenzung ihrer gr<strong>und</strong>rechtlichen Freiheiten<br />

<strong>und</strong> das Gewicht des mit dem Eingriff verfolgten Ziels (BAG,<br />

vom 10.10.2002, 2 AZR 472/01 – NZA 2003, 483).<br />

Bei Anwendung dieser Gr<strong>und</strong>sätze wird der Klägerin eine Berufung<br />

auf eine Gewissensentscheidung nicht versagt, wenn<br />

das Arbeitsgericht annimmt, die Gewissensentscheidung<br />

könne der Weisung der Beklagten nicht entgegengesetzt<br />

werden. Diese Annahme des Arbeitsgerichts ist vielmehr<br />

das Ergebnis einer Interessenabwägung, bei der auch die<br />

Gewissensentscheidung der Klägerin zu berücksichtigen ist<br />

bzw. eines gr<strong>und</strong>rechtekonformen Ausgleichs der Rechtspositionen<br />

der Parteien. Dabei wird zu Gunsten der Klägerin<br />

zugr<strong>und</strong>e gelegt, dass sie von ihrem Gewissen her<br />

einen Unterschied zwischen der bloßen Weitergabe eines<br />

ihr mitgeteilten Geburtstages <strong>und</strong> der Frage danach sieht.<br />

Allerdings beschränkt die Weisung der Beklagten, nach dem<br />

Vorliegen eines Kindergeburtstags sowie dem Namen <strong>und</strong><br />

dem Geburtsdatum des Geburtstagskindes zu fragen, die<br />

Glaubens- <strong>und</strong> Bekenntnisfreiheit der Klägerin gem. Art. 4<br />

Abs. 1 GG nicht besonders intensiv. Die Klägerin soll nicht<br />

etwa selbst an einer Geburtstagsfeier teilnehmen. Ihre eigene<br />

ungestörte Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) ist auch dann<br />

gewährleistet wenn sie die angewiesenen Fragen stellt.<br />

Das Stellen dieser Fragen ist auch kein bedeutsamer Beitrag<br />

zur Förderung des Feierns von Geburtstagen. Zu Recht weist<br />

die Beklagte darauf hin, dass das Empfinden von Eltern <strong>und</strong><br />

Kindern, einen Geburtstag als ein freudiges Ereignis zu feiern,<br />

nicht davon abhängt, ob die Führungsperson gratuliert <strong>und</strong><br />

ein kleines Geschenk überreicht.<br />

Der von der Klägerin geltend gemachte Gewissenskonflikt<br />

ist damit jedenfalls nicht ähnlich intensiv wie etwa derjenige<br />

eines Forschers, der aus Gewissensgründen die Entwicklung<br />

einer militärischen Zwecken dienenden Substanz ablehnt<br />

(darum ging es in dem vom B<strong>und</strong>esarbeitsgericht am<br />

24.5.1998 entschiedenen Fall).<br />

Zu berücksichtigen ist weiter, dass das von der Klägerin ver-<br />

AE200901.PDF 62 17.02.2009 12:08:09


langte Abfragen von Daten keinen unmittelbaren Bezug zu<br />

ihrer eigenen Glaubens- <strong>und</strong> Bekenntnisfreiheit hat. Die Klägerin<br />

ist vielmehr auch dann frei im Feiern von Geburtstagen<br />

einen Aberglauben zu sehen, wenn sie aufgr<strong>und</strong> einer Weisung<br />

zum Stellen dieser Fragen verpflichtet wird. ...<br />

Schließlich hat das Arbeitsgericht zu Recht angenommen,<br />

dass die Klägerin schon bei Übernahme der neuen Tätigkeit<br />

damit rechnen musste, in der nun verweigerten Weise mit<br />

Kindergeburtstagen zu tun zu haben. Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

hält es im Rahmen der Interessenabwägung für<br />

bedeutsam, ob der Arbeitnehmer schon bei Vertragsschluss<br />

damit rechnen musste, dass ihm die später verweigerte<br />

Tätigkeit zugewiesen werden könnte. Dies gilt in ähnlicher<br />

Weise bei einer Versetzung. Wenn die Klägerin unstreitig<br />

darum bat, möglichst wenig mit der Organisation von<br />

Kindergeburtstagen zu tun haben zu müssen, brachte sie<br />

damit noch nicht zum Ausdruck, dass schon eine lediglich<br />

mittelbare Verbindung wie das Abfragen von Daten sie in<br />

einen Gewissenskonflikt bringen würde. Sie konnte auch nicht<br />

damit rechnen, dass sämtliche Tätigkeiten in Verbindung mit<br />

Kindergeburtstagen von einer Kollegin verrichtet würden. Es<br />

war vielmehr nicht zu erwarten, dass immer <strong>und</strong> dauerhaft<br />

eine Kollegin zur Verfügung stehen würde. Außerdem war es<br />

von Anfang an nicht sachgerecht, bei der Entgegennahme<br />

von Buchungen, K<strong>und</strong>en dann an eine Kollegin zu verweisen,<br />

wenn erkennbar wurde, dass anlässlich einer Führung ein<br />

Kindergeburtstag gefeiert wird. Ein solches Vorgehen kann<br />

K<strong>und</strong>en der Beklagten kaum vermittelt werden.<br />

Die geringe Anzahl von Kinderführungen aus Anlass von Geburtstagen<br />

kann nicht zu Gunsten der Klägerin berücksichtigt<br />

werden. Dieser Umstand bedeutet nämlich nicht, dass die<br />

Beklagte die damit verb<strong>und</strong>enen Tätigkeiten leicht anders organisieren<br />

könnte. Vielmehr führt die Weigerung der Klägerin<br />

dazu, dass die Beklagte entweder auf die von ihr gewünschten<br />

Fragen verzichten oder insgesamt einen anderen Mitarbeiter<br />

mit den Tätigkeiten in Verbindung mit der Buchung von Führungen<br />

betreuen muss. ...<br />

b) Auch die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur fehlenden<br />

Umsetzungsmöglichkeit auf einen anderen Arbeitsplatz sind<br />

nicht zu beanstanden. ... Die Klägerin hat sich schriftsätzlich<br />

insoweit nur auf eine Beschäftigung in der Buchhaltung bezogen.<br />

Eine Zurückversetzung in diesen Bereich ist der Beklagten<br />

allerdings nicht zumutbar. Unstreitig hat die Klägerin<br />

ihren früheren Arbeitsbereich in der Buchhaltung verlassen,<br />

weil es dort Probleme zwischen ihr <strong>und</strong> ihren Vorgesetzten<br />

gab. Es ist davon auszugehen, dass diese Probleme jedenfalls<br />

teilweise der Klägerin zuzuschreiben sind. ...<br />

c) Die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung<br />

ist nicht zu beanstanden. Zu Gunsten der Klägerin sind<br />

zwar zunächst die Dauer der Betriebszugehörigkeit <strong>und</strong> ihr Alter<br />

zu berücksichtigen. Es wird für die Klägerin sicherlich nicht<br />

einfach sein, eine vergleichbare neue Stelle zu finden. Für sie<br />

spricht auch, dass die Arbeitsverweigerung nur einen relativ<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

geringen Anteil ihrer Aufgaben betrifft <strong>und</strong> – wie ausgeführt –<br />

auf einer Gewissensentscheidung beruht.<br />

Andererseits würde die Weiterbeschäftigung der Klägerin<br />

über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bedeuten,<br />

dass die Beklagte dauerhaft in ihren Einsatzmöglichkeiten<br />

beschränkt wäre. Die Beklagte hat die Kündigung auch nicht<br />

vorschnell ausgesprochen, sondern die Klägerin mehrfach in<br />

Gesprächen sowie in der Abmahnung auf die Folgen ihrer<br />

Weigerung hingewiesen. Die Klägerin hat die Beendigung<br />

ihres Arbeitsverhältnisses bewusst in Kauf genommen <strong>und</strong><br />

ihren Gewissenskonflikt nicht in der Weise gelöst, dass sie die<br />

Weisung der Beklagten als bindend <strong>und</strong> ihrer Entscheidung<br />

vorgehend akzeptiert. ...<br />

■ Landesarbeitsgericht München<br />

vom 13. November 2008, 2 Sa 699/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Stephan Dunkhorst, Nymphenburger<br />

Straße 113, 80636 München, Tel: 089/121526-0,<br />

Fax: 089/121526-33<br />

sd@klein-partner-muc.de;<br />

66. Verhaltensbedingte Kündigung, sexuelle Belästigung,<br />

schwerer oder weniger schwerer Unwertgehalt<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen<br />

verhaltensbedingten Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses.<br />

Der 53-jährige, verheiratete Kläger ist bei der Beklagten, die<br />

b<strong>und</strong>esweit Baumärkte betreibt, seit dem 01.04.1981 tätig.<br />

... Mit Schreiben vom 20.03.2008 kündigte die Beklagte das<br />

Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos, hilfsweise ordentlich.<br />

...<br />

Der Kläger ist der Auffassung, die Kündigung sei unwirksam.<br />

Es fehle bereits an einer erforderlichen Abmahnung. Es handele<br />

sich um den Vorwurf verbaler sexueller Belästigung. Eine<br />

Kündigung, insbesondere eine fristlose Kündigung, sei nicht<br />

verhältnismäßig. ...<br />

Die Beklagte behauptet, im Rahmen einer Besprechung im<br />

April 2007 mit dem Kläger <strong>und</strong> seinen beiden Stellvertretern,<br />

der Zeugin S. sowie Herrn F., habe die Zeugin S. erzählt,<br />

dass sie im Urlaub eventuell einen Tauchkurs machen werde.<br />

Der Kläger habe daraufhin gefragt, ob sie denn Schnorcheln<br />

könne, was die Zeugin bestätigt habe. Daraufhin habe der<br />

Kläger erklärt: „Dann können Sie ja schon einmal bei mir unter<br />

dem Tisch anfangen zu Schnorcheln.“ Die Aussage habe<br />

unmissverständlich einen sexuellen Charakter gehabt.<br />

Im September 2007 habe der Kläger im Rahmen einer Besprechung<br />

mit Frau F. <strong>und</strong> der Zeugin S. über die Personalsituation<br />

gesagt: „Ich muss mal mit Herrn K. (dem Geschäftsführer)<br />

sprechen, damit er ihnen mal ein paar knackige Geschäftsleiter<br />

oder stellvertretende Geschäftsleiter einstellt.“ Auch diese<br />

Aussage habe einen sexuellen Charakter gehabt. ...<br />

Die Beklagte behauptet, Ende Januar 2008 sei in der Niederlassung<br />

das Ostersortiment im Kassenbereich aufgebaut<br />

AE200901.PDF 63 17.02.2009 12:08:09<br />

63


Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

worden, was unstreitig ist. ... Auf die Anmerkung der Zeugin<br />

S. gegenüber dem Kläger, die Ostersachen würden gut laufen,<br />

habe der Kläger geäußert: „Ja, Frau S., ich weiß ja, dass Sie auf<br />

Eier stehen“ bzw. „Ich weiß ja, Sie stehen auf dicke Eier“. Diese<br />

Aussage habe ebenfalls einen sexuellen Charakter gehabt.<br />

Die Beklagte behauptet, am 04.02.2008 habe die Zeugin<br />

S. den Kläger darauf angesprochen, wie sie den Geschäftsführer<br />

K., der am 05.02.2008 in die Niederlassung kommen<br />

sollte, am besten auf eine Gehaltserhöhung an-spreche, was<br />

unstreitig ist. ... Am Nachmittag habe es dann ein weiteres<br />

Gespräch mit dem Kläger in dessen Büro gegeben, zu<br />

dem der Zeuge Ka. hinzugestoßen sei. Der Kläger habe ...<br />

gesagt, sie könne sich ja mit dem Geschäftsführer K. oben<br />

im Schulungsraum unter vier Augen unterhalten. „Wenn Sie<br />

dem kleinen D. was Gutes tun, freut sich der große H. <strong>und</strong><br />

dann bekommen Sie alles von ihm, was Sie möchten, Ihre<br />

Gehaltserhöhung <strong>und</strong> Ihren Urlaub.“ ...<br />

Die Beklagte behauptet, Ende Juli 2007 habe die Mitarbeiterin<br />

van L. um ein Gespräch wegen der Verlängerung ihres befristeten<br />

Vertrages gebeten. Der Kläger habe ihr mitgeteilt, sie<br />

solle sich keine Sorgen machen. Sie soll aber darauf achten,<br />

dass sie nicht noch breiter werde.<br />

Der Kläger behauptet hierzu, er habe die Mitarbeiterin van<br />

L. floskelhaft <strong>und</strong> sinngemäß darauf angesprochen, ob sie<br />

zugenommen habe. Er habe lediglich nach dem allgemeinen<br />

Befinden fragen wollen. Eine halbe St<strong>und</strong>e später sei dann die<br />

ehemalige Kassenaufsicht Frau E. hereingekommen <strong>und</strong> ihm<br />

erklärt, dass Frau van L. weinen würde. Daraufhin habe er die<br />

Mitarbeiterin ins Büro der Kassenaufsicht gebeten <strong>und</strong> sich<br />

ausdrücklich entschuldigt. Er habe diese Mitarbeiterin eingestellt<br />

<strong>und</strong> ihr ihren Vertrag zweimal verlängert, was unstreitig<br />

ist.<br />

Die Beklagte behauptet, Ende Januar/Anfang Februar 2008<br />

hätten sich die Mitarbeiterinnen Le. <strong>und</strong> Sch. im Kassenbüro<br />

bef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> der Kläger sei hereingekommen <strong>und</strong> habe sich<br />

breitbeinig auf die Arbeitsplatte des Schreibtisches gesetzt.<br />

Die Zeugin Sch. sei in die Hocke gegangen, um nach Unterlagen<br />

unterhalb der Schreibtischplatte zu sehen.<br />

Der Kläger habe dann zu der Mitarbeiterin Sch. gesagt: „Ich<br />

kann mir schon denken, wo sie hinschauen wollen.“<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die zulässige Klage ist begründet<br />

I. Der Klageantrag zu 1) ist begründet. Das Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien ist durch die Kündigung vom 20.03.2008 weder<br />

fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden. Die Kündigung ist<br />

unwirksam. Es liegt weder ein wichtiger Gr<strong>und</strong> im Sinne des<br />

§ 626 Abs. 1 BGB vor, noch ist die ordentliche Kündigung aus<br />

verhaltensbedingten Gründen im Sinne des § 1 KSchG sozial<br />

gerechtfertigt.<br />

b) ...<br />

aa) Zunächst ist nach Auffassung der Kammer darauf hinzuweisen,<br />

dass sämtliche Vorwürfe, ausgenommen der vom<br />

04.02.2008, nicht geeignet sind, eine außerordentlichen Kün-<br />

64 01/09<br />

digung zu rechtfertigen, selbst wenn man den Vortrag der<br />

Beklagten als zutreffend unterstellt. Bei sämtlichen Pflichtverletzungen<br />

würde es sich allenfalls um eine verbale sexuelle<br />

Belästigung handeln. ...<br />

Nach Auffassung der Kammer ist die Intensität dieser möglichen<br />

sexuellen Belästigungen allerdings nicht als besonders<br />

hoch einzustufen. Es handelt sich in keinem Fall um eine<br />

Aufforderung zu einer sexuellen Handlung. ... Es ist, den Vortrag<br />

der Beklagten als zutreffend unterstellt, vielmehr auffällig,<br />

dass der Kläger sämtliche Aussagen im Beisein von Dritten getroffen<br />

hat. Diese Einschätzung ist im Übrigen von der Zeugin<br />

S. in ihrer Aussage bestätig worden. Es ging dem Kläger also<br />

nicht um eine ernsthafte Aufforderung zu sexueller Handlung,<br />

vielmehr ging es ihm anscheinend um eine bestimmte Art des<br />

Auftretens.<br />

Zwar kann auch eine verbale sexuelle Belästigung an sich ein<br />

Gr<strong>und</strong> für eine außerordentliche Kündigung sein. Es gilt aber<br />

der Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satz. Vor dem Hintergr<strong>und</strong>,<br />

dass das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bereits seit 27<br />

Jahren <strong>und</strong> davon insgesamt 26 Jahre beanstandungslos<br />

bestand, ist eine fristlose Kündigung unverhältnismäßig. Die<br />

Beklagte hätte vielmehr an mildere geeignete Maßnahmen<br />

denken müssen. Für die Kammer ist auch nicht ersichtlich,<br />

warum vorliegend eine Abmahnung ohne Erfolg hätte<br />

bleiben müssen. .. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass<br />

eine nochmalige Unterrichtung des Klägers im Bereich der<br />

Mitarbeiterführung Erfolg hätte versprechen können.<br />

bb) Die Kündigung ist auch nicht wegen des Vorfalls am<br />

04.02.2008 gerechtfertigt. Nach der ständigen Rechtsprechung<br />

des BAGs sind Beleidigungen durch den Arbeitnehmer,<br />

die nach Form <strong>und</strong> Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung<br />

für den betroffenen Arbeitgeber bedeuten, als Verstoß des<br />

Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis<br />

an sich zur Rechtfertigung einer außerordentlichen<br />

Kündigung geeignet (vgl. etwa BAG, v. 17.02.2000 –2AZR<br />

927/98). Kündigungsrechtlich ausschlaggebend ist dabei nicht<br />

die strafrechtliche Beurteilung (BAG, v. 17.02.2000, a.a.O.).<br />

Eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrechtlich umso<br />

schwerwiegender, je unverhältnismäßiger <strong>und</strong> je überlegter<br />

sie ausgeführt wurde. ...<br />

Nach Auffassung der Kammer stellt die behauptete Erklärung<br />

einen wichtigen Gr<strong>und</strong> an sich dar. Eine solche ernst gemeinte<br />

Aufforderung hätte den Aussagewert, dass die Zeugin<br />

S. bereit ist, sich zu prostituieren, <strong>und</strong> der Geschäftsführer bei<br />

seinen Entscheidungen durch sexuelle Handlungen käuflich<br />

ist.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der Beweisaufnahme ... steht aber nicht zur<br />

Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger die Zeugin<br />

S. ernsthaft aufgefordert hat, sexuelle Handlungen am<br />

Geschäftsführer vorzunehmen, um eine Gehaltserhöhung<br />

durchzusetzen. ..<br />

Die Zeugin hat in der Vernehmung erklärt, dass der Kläger<br />

nach seinem Spruch ein Lächeln aufgesetzt <strong>und</strong> sie selbst<br />

AE200901.PDF 64 17.02.2009 12:08:09


dieses Lächeln so interpretiert habe, dass der Kläger gedacht<br />

habe, da habe er wieder einen klasse Spruch abgelassen. ...<br />

Eine solche verbale Entgleisung hat nicht denselben Unwertgehalt<br />

wie eine ernsthafte Aufforderung, eine sexuelle Handlung<br />

am Geschäftsführer vorzunehmen, um eigene Gehaltsvorstellungen<br />

durchzubringen. Dieser mehr als verunglückte<br />

Scherz rechtfertigt aber jedenfalls nach Durchführung einer<br />

Interessenabwägung keine außerordentliche Kündigung des<br />

Arbeitsverhältnisses. ...<br />

2. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist<br />

nicht aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt<br />

im Sinne des § 1 KSchG. Auf die obigen Ausführungen wird<br />

Bezug genommen.<br />

■ Arbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 2. September 2008, 7 Ca 1837/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Jürgen Höser, Kölner<br />

Straße 2, 50226 Frechen, Tel.: 02234-1820-0,<br />

Fax: 02234/1820-10<br />

office@hdup.de; www.hdup.de<br />

sowie von<br />

Rechtsanwalt Peer Jenssen, Westwall 112, 47798 Krefeld,<br />

Tel.: 02151/771006, Fax: 02151/771009<br />

RAJenssen@t-online.de; www.rechtsanwaelte-kr.de<br />

67. Verhaltensbedingte Kündigung, Verdachtskündigung,<br />

Anhörung § 626 II BGB<br />

1. Der Arbeitgeber ist berechtigt, vor Ausspruch einer außerordentlichen<br />

Kündigung wegen des Verdachts einer Straftat<br />

den Aus- oder Fortgang eines Strafermittlungs- bzw. Strafverfahrens<br />

abzuwarten. Die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB ist so<br />

lange gehemmt (Anschluss: BAG, Urteil vom 17.03.2005, 2 AZR<br />

245/04 = AP Nr. 46 zu § 626 BGB Ausschlussfrist).<br />

2. Beantragt der Arbeitgeber frühzeitig Einsichtnahme in die<br />

Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft, so stellt der erstmalig<br />

gewährte Einblick regelmäßig einen sachgerechten zeitlichen<br />

Einschnitt dar, um zu entscheiden, ob hinreichende<br />

Verdachtsmomente für den Ausspruch einer außerordentlichen<br />

Kündigung vorliegen. Dies gilt auch, wenn sich aus den<br />

Akten keine neuen belastenden oder entlastenden Momente<br />

ergeben. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, den Abschluss<br />

der Ermittlungen abzuwarten.<br />

3. Äußert ein Arbeitnehmer zu Beginn einer Anhörung zu<br />

den Verdachtsmomenten, er werde sich zum Sachverhalt<br />

nicht äußern, sondern alles über seinen Rechtsanwalt regeln,<br />

so ist der Pflicht zur Anhörung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung<br />

regelmäßig genüge getan. Der Arbeitgeber ist in<br />

diesem Fall – auch im Hinblick auf die Einhaltung der Frist<br />

gem. § 626 Abs. 2 BGB – nicht verpflichtet, vor Ausspruch<br />

der Kündigung einen weiteren Gesprächstermin – ggf. in<br />

Anwesenheit des Bevollmächtigten des Arbeitnehmers –<br />

durchzuführen. Etwas anderes kann dann gelten, wenn sich<br />

der Arbeitnehmer zumindest im Ansatz mit den Vorwürfen<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

auseinandersetzt <strong>und</strong> sich hieraus weiterer Aufklärungsbedarf<br />

ergibt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Bremen<br />

vom 3. April 2008, 3 Sa 207/07, rkr.<br />

Betriebsverfassungs-/<br />

Personalvertretungsrecht<br />

68. Arbeitgebervertreter, Ablehnung der Person durch<br />

den Betriebsrat<br />

Aus den Gründen:<br />

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Arbeitgeber<br />

dem Betriebsrat einen bestimmten Gesprächspartner zur Verfügung<br />

zu stellen hat. In diesem Zusammenhang begehrt der<br />

antragstellende Betriebsrat nach zwischenzeitlicher Umstellung<br />

des Antrags von der Antragsgegnerin, zukünftig einen<br />

bestimmten Mitarbeiter nicht mehr als ihren Vertreter zu benennen.<br />

...<br />

Als Ansprechpartner in Angelegenheiten des Betriebsverfassungsrechts<br />

benannte die Antragsgegnerin in der Vergangenheit<br />

ihren Serviceleiter A. als Arbeitgebervertreter. ...<br />

Am 12.02.2008 fand eine Besprechung der Abteilung K<strong>und</strong>endienst<br />

statt. Ausweislich des Protokolls ... gab A an, im Vergleich<br />

seien am ... viele „Soll-Werte“ nicht erreicht worden.<br />

...<br />

Der Antragsteller vertritt die Auffassung, der Betriebsrat habe<br />

Anspruch auf einen Gesprächspartner, welcher die notwendige<br />

Kompetenz <strong>und</strong> das Vertrauen<br />

des Betriebsrats besitzt. Dies sei bei Herrn A. nicht der Fall.<br />

Bereits der Vorfall vom 12.02.2008 zeige, dass Herr A. die<br />

Tätigkeit des Betriebsrats als unnötige <strong>und</strong> lediglich kostenverursachende<br />

Tätigkeit betrachte.<br />

Darüberhinaus habe Herr A. mehrfach die Gr<strong>und</strong>sätze einer<br />

vertrauensvollen Zusammenarbeit missachtet. ... Er habe sich<br />

negativ über „die Monteure“ geäußert. Diese würden „viel zu<br />

hoch bezahlt“ <strong>und</strong> „bescheißen“. Er benötige weder einen<br />

Betriebsrat noch die IG Metall; er regele gr<strong>und</strong>sätzlich alles<br />

selbst. Herr A. habe mehrfach Mitarbeiter des Diebstahls bezichtigt.<br />

Dann habe sich herausgestellt, dass die betroffenen<br />

Mitarbeiter unschuldig gewesen, vielmehr Abbuchungsfehler<br />

Ursache der Differenz gewesen seien. Herr A. habe dies nicht<br />

richtig gestellt. Er habe eine Mitarbeiterin gemobbt <strong>und</strong> gehe<br />

in Mitarbeitergesprächen auf Einwände nicht ein. Er setze<br />

sich über das Betriebsverfassungsgesetz, Regelungen in Tarifverträgen<br />

<strong>und</strong> Betriebsvereinbarungen hinweg. Arbeitszeiten<br />

würden von ihm eigenmächtig verändert, ohne den Betriebsrat<br />

zu beteiligen. Stempelkarten würden von ihm eingezogen<br />

<strong>und</strong> Überst<strong>und</strong>en nicht vergütet. Er selbst halte sich<br />

nicht an die geregelte Arbeitszeit <strong>und</strong> stempele falsch. Auch<br />

verlange er entgegen den Regelungen im Tarifvertrag von<br />

Arbeitnehmern die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen<br />

bereits am ersten Tag. Nicht abgestimmte Kontrollen<br />

AE200901.PDF 65 17.02.2009 12:08:09<br />

65


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

der Mitarbeiter führten zu einer erheblichen Verschlechterung<br />

des Betriebsklimas. Er habe auch Beschuldigungen gegen einzelne<br />

Betriebsratsmitglieder wegen einer angeblichen Unterschriftenaktion<br />

erhoben.<br />

II. Der zulässige Antrag ist unbegründet.<br />

1. Der Antrag ist als Globalantrag zulässig. Er zielt darauf, alle<br />

Fallgestaltungen (Angelegenheiten des Betriebsverfassungsrechts)<br />

zu erfassen, in denen die Antragsgegnerin die Berechtigung<br />

in Anspruch nimmt, sich durch Herrn A. vertreten zu<br />

lassen. Ein derartiger Antrag (Globalantrag) ist als eindeutiges,<br />

alle Fallkonstellationen umfassendes Begehren inhaltlich<br />

hinreichend bestimmt (BAG, v. 11.12.1991, 7 ABR 16/91, zitiert<br />

nach Juris).<br />

2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.<br />

Ein Globalantrag ist unbegründet, wenn er auch nur einen<br />

Sachverhalt mit umfasst, bei dem das begehrte Recht nicht<br />

oder nicht ohne Einschränkung bzw. das geleugnete Recht<br />

doch oder jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen besteht<br />

(BAG, v. 11.12.1991, 7 ABR 16/91, zitiert nach Juris).<br />

Das Betriebsverfassungsgesetz enthält keine eindeutige <strong>und</strong><br />

abschließende Regelung, ob <strong>und</strong> durch wen sich der Arbeitgeber<br />

bei der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher<br />

Aufgaben gegenüber dem Betriebsrat vertreten lassen darf.<br />

Das Betriebsverfassungsgesetz sieht in § 43 Abs. 2 Satz 3 <strong>und</strong><br />

in § 108 Abs. 2 Satz 1 vor, dass für den Arbeitgeber auch sein<br />

Vertreter handeln kann. Daraus folgt jedoch nicht, dass der<br />

Arbeitgeber im Übrigen seine betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Aufgaben nur selbst oder durch seine gesetzlichen Vertreter<br />

wahrnehmen kann. Die Zulässigkeit rechtsgeschäftlicher<br />

Stellvertretung des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat<br />

ist vielmehr maßgeblich nach Art <strong>und</strong> Funktion des in Frage<br />

stehenden Beteiligungsrechts zu beurteilen (vgl. dazu BAG, v.<br />

11.12.1991 a.a.O.)<br />

Der vom Betriebsrat gestellte Globalantrag ist unbegründet.<br />

Der Antragsteller hat keine Anhaltspunkte dafür beigebracht,<br />

dass Herr A. in sämtlichen Angelegenheiten des Betriebsverfassungsrechts<br />

als Ansprechpartner für den Betriebsrat<br />

nicht geeignet ist. Es sind zahlreiche Fallgestaltungen im<br />

Rahmen der „Angelegenheiten des Betriebsverfassungsrechts“<br />

denkbar, bei denen es zur Erfüllung von Beteiligungs-,<br />

Unterrichtungs- <strong>und</strong> Beratungspflichten (nur) auf die Fachkompetenz<br />

des benannten Vertreters ankommt. Die Fachkompetenz<br />

des Herrn A. wurde vom Betriebsrat nicht in<br />

Abrede gestellt.<br />

Auf eine „persönliche“ Ungeeignetheit des Herrn A. wegen<br />

Verstoßes gegen den Gr<strong>und</strong>satz der vertrauensvollen Zusammenarbeit<br />

kann sich der Antragsteller nicht berufen. Hierbei<br />

übersieht der Antragsteller, dass das Gebot der vertrauensvollen<br />

Zusammenarbeit nicht Herrn A. persönlich trifft, sondern<br />

den Arbeitgeber als Betriebspartner des Betriebsrats. Nur<br />

an ihn richtet sich das Gebot. Verstößt Herr A. nach den –<br />

insgesamt unsubstantiiert bleibenden – Behauptungen des<br />

Antragstellers bei seiner Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat<br />

66 01/09<br />

durch Äußerungen, Beschuldigungen, angeordnete Kontrollen<br />

etc. gegen Regelungen aus Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung<br />

oder gegen den Gr<strong>und</strong>satz der vertrauensvollen<br />

Zusammenarbeit, ist dies bei einem Handeln für den Arbeitgeber<br />

als Verstoß der Antragsgegnerin zu werten. Denn<br />

nach allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätzen muss sich der Vertretene (die<br />

Antragsgegnerin) das Handeln seines Vertreters A. zurechnen<br />

lassen. Der Antragsteller übersieht, dass nicht Herr A. selbst<br />

etwa unabgestimmt Kontrollen anordnet, Beschuldigungen<br />

erhebt, Überst<strong>und</strong>en anordnet etc., sondern die Antragsgegnerin<br />

vertreten durch Herrn A. Daraus mag der Antragsteller<br />

Konsequenzen ziehen <strong>und</strong> – mit konkretisiertem Vortrag – gegen<br />

seinen Betriebspartner, die Antragsgegnerin, vorgehen.<br />

Direkte Ansprüche gegen Herrn A. entstehen daraus ebenso<br />

wenig wie ein allgemeines Recht des Betriebsrats, zukünftig<br />

Gespräche bzw. Verhandlungen mit Herrn A. abzulehnen. ...<br />

Auf die protokollierte Äußerung des Herrn A. in der Besprechung<br />

der Abteilung K<strong>und</strong>endienst am 12.02.2008 kann der<br />

Antragsteller sein Begehren nicht stützen. Selbst wenn die<br />

Äußerung des Herrn A. als Diskreditierung der Betriebsratstätigkeit<br />

anzusehen wäre, folgten hieraus allenfalls Widerrufsoder<br />

Unterlassungsansprüche gegenüber dem Arbeitgeber<br />

oder das Vorliegen einer Straftat nach § 119 Abs. 1 Nr. 2<br />

BetrVG. Auch hierbei würde nur die Äußerung selbst bzw.<br />

die angebliche Behinderung der Betriebsratstätigkeit betrachtet.<br />

Eine über den konkreten Vorfall hinausgehende,<br />

allgemeine Unterlassungspflicht des Arbeitgebers, den Urheber<br />

der Äußerung zukünftig in allen Angelegenheiten des<br />

Betriebsverfassungsrechts nicht mehr als Ansprechpartner zu<br />

benennen, folgt daraus nicht.<br />

Abgesehen davon folgt die Kammer der Bewertung der Antragsgegnerin,<br />

dass in der Äußerung des Herrn A. in der Besprechung<br />

am 12.02.2008 eine Diskreditierung/Behinderung<br />

des Betriebsrats nicht gesehen werden kann. Zwar kann auch<br />

der Hinweis des Arbeitgebers auf die Kosten der Betriebsratstätigkeit<br />

eine Behinderung darstellen, wenn nicht erkennbar<br />

wird, dass es sich um für die Betriebsratstätigkeit erforderliche<br />

<strong>und</strong> verhältnismäßige Kosten handelt (BAG, v. 12.11.1997 7<br />

ABR 14/97, BB 1998, 1006). Ähnliches kann gelten, wenn der<br />

Arbeitgeber das Nichterreichen von Unternehmenszielen mit<br />

einer extensiven Betriebsratstätigkeit begründet. Hier hat Herr<br />

A. in der Besprechung am 12.02.2008 dargestellt, im Vergleich<br />

mit den anderen P ... -Zentren seien Soll-Werte nicht erreicht<br />

worden. Er begründet dies mit Langzeitkranken <strong>und</strong> erheblicher<br />

Betriebsratstätigkeit. Entgegen der Auffassung des Antragstellers<br />

ist in dieser Aussage weder ein Vorwurf noch<br />

die Behauptung erkennbar, die „erhebliche“ Betriebsratstätigkeit<br />

sei auch unverhältnismäßig gewesen. Wie die Antragsgegnerin<br />

in ihren vorprozessualen Schreiben gegenüber dem<br />

Antragsteller bereits betont hat, sollte die Aussage lediglich<br />

feststellenden Charakter haben. Fällt Betriebsratstätigkeit an,<br />

sind die einzelnen Betriebsratsmitglieder nach dem Gesetz<br />

(§ 37 Abs. 2 BetrVG) von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung<br />

AE200901.PDF 66 17.02.2009 12:08:09


freizustellen. Dadurch ist es möglich, dass durch erhebliche<br />

Betriebsratstätigkeit im Vergleich zu anderen Betriebsstätten<br />

Unternehmenswerte nicht erreicht werden. Dies ist jedoch im<br />

Zusammenhang der Äußerung betrachtet nicht als Vorwurf<br />

unverhältnismäßigen Handelns zu verstehen. Denn – worauf<br />

die Antragsgegnerin zu Recht verweist – auch Langzeiterkrankten,<br />

die ebenfalls zu einer Belastung des angestrebten<br />

Betriebsergebnisses führen können, kann ihre Erkrankung<br />

nicht vorgeworfen werden.<br />

■ Arbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 7. Oktober 2008, 10 BV 73/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Ulrich Tschöpe, Münsterstraße<br />

21, 33330 Gütersloh, Tel.: 05241/90 33-0,<br />

Fax: 05241 / 148 59<br />

info@t-s-c.org; www.t-s-c.org<br />

69. Beschlussverfahren, Behandlung nach Recht <strong>und</strong><br />

Billigkeit, Durchsetzungs-anspruch des Betriebsrates,<br />

Rechtsschutzbedürfnis<br />

Aus den Gründen:<br />

Die Beteiligten streiten über die Feststellung eines Verstoßes<br />

der Arbeitgeberin gegen die Gr<strong>und</strong>sätze von Recht <strong>und</strong> Billigkeit<br />

bei der Behandlung eines Mitarbeiters durch Vorgesetzte.<br />

Die Arbeitgeberin <strong>und</strong> Beteiligte zu 2. unterhält eine Spielbank.<br />

Der Antragsteller <strong>und</strong> Beteiligte zu 1. ist der im Betrieb<br />

der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat. ...<br />

Der Beteiligte zu 1. beantragt, festzustellen, dass die Beteiligte<br />

zu 2. im Falle des Mitarbeiters RS durch die nachfolgenden<br />

Maßnahmen gegen die Gr<strong>und</strong>sätze von Recht <strong>und</strong> Billigkeit<br />

verstoßen hat:<br />

– der Mitarbeiter RS wurde durch den Tischchef W. in barschem<br />

Ton aufgefordert, an seinem Tisch keine privaten Gespräche<br />

mit anderen <strong>Kollegen</strong> zu führen;<br />

– obwohl die Mitarbeiter H. <strong>und</strong> Ho. den Mitarbeiter RS aufgr<strong>und</strong><br />

von dessen Schmerzen in der Schulter bei seiner Tätigkeit<br />

am Roulettetisch ablösen wollten, wurde dies durch<br />

den ersten Saalchef Herrn MM <strong>und</strong> den Tischchef Herrn W.<br />

kategorisch abgelehnt;<br />

– die Bitte des Mitarbeiters Herrn RS gegenüber Herrn MM<br />

um ein Gespräch mit dem Schwerbehindertenvertreter Herrn<br />

M. wurde durch Herrn MM in barschem Ton als absolute<br />

Ausnahme genehmigt. Darüber hinaus wurde der Mitarbeiter<br />

RS darauf hingewiesen, beim nächsten Mal nur in dringenden<br />

Fällen in der Freizeit ein solches Gespräch zu fordern;<br />

– nachdem der Mitarbeiter RS durch die entstandene Verunsicherung<br />

bei der Arbeit schweißnasse Hände bekommen<br />

hatte, bat er den Tischchef Herrn W., einen Handwechsel<br />

vorzunehmen. Dies wurde dem Mitarbeiter RS kategorisch<br />

verweigert <strong>und</strong> stattdessen erhielt dieser lediglich ein paar<br />

Papiertaschentücher auf den Tisch gelegt. ...<br />

II. 1. Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist zwar im arbeitsgerichtlichen<br />

Beschlussverfahren gemäß § 2a) Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2<br />

ArbGG statthaft, jedoch im Übrigen unzulässig.<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

Es fehlt an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse für einen<br />

Antrag, mit dem die Feststellung begehrt wird, dass eine bestimmte,<br />

bereits abgeschlossene Maßnahme unwirksam oder<br />

rechtswidrig sei oder dass an ihr ein Mitbestimmungsrecht<br />

des Betriebsrates bestanden habe, wenn diese Maßnahme<br />

für die Verfahrensbeteiligten im Zeitpunkt der Entscheidung<br />

keine Rechtswirkungen mehr entfaltet. Eine solche<br />

Entscheidung könnte einem Verfahrensbeteiligten lediglich<br />

bescheinigen, dass er Recht oder Unrecht gehabt hat. Allein<br />

der Umstand, dass die Entscheidung für künftige Fälle Richtschnur<br />

für das Handeln der Beteiligten sein könnte, begründet<br />

kein Rechtsschutzinteresse. Mit einer solchen Entscheidung<br />

würde das Gericht lediglich gutachterlich tätig werden. Das<br />

ist nicht Aufgabe der Gerichte. Sofern zu erwarten ist, dass<br />

bei künftigen Vorgängen <strong>und</strong> Maßnahmen gleicher Art die<br />

gleiche Streitfrage unter den Beteiligten wieder auftritt,<br />

kann die Streitfrage bezogen auf diese künftigen Fälle zur<br />

Entscheidung gestellt werden. Der auf den abgeschlossenen<br />

Vorgang bezogene Antrag <strong>und</strong> der Antrag hinsichtlich<br />

künftiger gleichartiger Vorgänge beträfen unterschiedliche<br />

Streitgegenstände. Der Eine ist in dem Anderen nicht<br />

enthalten (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge,<br />

Arbeitsgerichtsgesetz, 6. Auflage 2008, § 81 Rn 25 m. w. N.).<br />

So verhält es sich vorliegend, denn es wird lediglich die Feststellung<br />

für das am 17. Februar 2007 bereits abgeschlossene<br />

Handeln begehrt, ohne damit eine Bindungswirkung der Beteiligten<br />

für künftige betriebsverfassungsrechtliche Streitfragen<br />

zur Entscheidung zu stellen.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 1. Oktober 2008, 39 BV 8697/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Gisbert Seidemann,<br />

Budapester Straße 40, 10787 Berlin, Tel.: 030/254591-0,<br />

Fax: 030/254591-66<br />

p.osche@advocati.de; www.advocati.de<br />

70. Betriebsratsschulung, Schulung kommunikativer Fähigkeiten<br />

Seminare, die sich schwerpunktmäßig mit Kommunikations-,<br />

Rede- <strong>und</strong> Argumentationstechnik befassen, sind nützliche,<br />

aber in der Regel nicht erforderliche Schulungsveranstaltungen<br />

i. S. d. § 37 VI BetrVG.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 20. Dezember 2007, 10 TaBV 53/07<br />

71. Betriebsratstätigkeit, Reisezeit, Vergütung, Freizeitausgleich<br />

1. Zur Frage, ob Betriebsratsmitglieder Anspruch auf tarifliche<br />

Zeitzuschläge nach § 23 MTV Nr. 14 für das Bodenpersonal<br />

der Dt. Lufthansa AG haben, wenn sie für mit Betriebsratstätigkeit<br />

zusammenhängende Reisezeiten Freizeitausgleich<br />

nach § 37 III BetrVG erhalten.<br />

2. Sieht eine betriebliche Regelung über Dienstreisen für<br />

Arbeitnehmer keine Zuschläge beim Freizeitausgleich vor, gilt<br />

AE200901.PDF 67 17.02.2009 12:08:09<br />

67


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

dies wegen § 78 S. 2 BetrVG auch für den Freizeitausgleich für<br />

Reisezeiten im Zusammenhang mit Betriebsratstätigkeit.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 20. Dezember 2007, 10 Sa 1020/07, Rev. zugel.<br />

72. Betriebsratswahl, Anfechtung, gemeinsamer Betrieb<br />

1. Für die Annahme eines gemeinsamen Betriebes ist u. a.<br />

Voraussetzung, dass feststellbar ist, dass sich dessen einheitliche<br />

Leitung auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers<br />

in personellen <strong>und</strong> sozialen Angelegenheiten bezieht.<br />

2. Durch Tarifvertrag können abweichende Arbeitnehmervertretungsstrukturen<br />

gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nur festgelegt<br />

werden, wenn die gesetzlichen Regelungen aufgr<strong>und</strong><br />

besonderer Umstände <strong>und</strong> Erfordernisse einer wirksamen <strong>und</strong><br />

zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer nicht<br />

genügt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 18. Juli 2007, 8 TaBV 4/07<br />

73. Sozialplanabfindung, Auslegung von Interessenausgleich<br />

<strong>und</strong> Sozialplan<br />

1. Heißt es in der Präambel eines Sozialplans, dass dieser<br />

zum Ausgleich bzw. zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile<br />

vereinbart wird, die den Arbeitnehmern durch einen im<br />

Interessenausgleich beschriebenen Personalabbau entstehen,<br />

so findet der Sozialplan – vorbehaltlich hiervon abweichender<br />

Regelungen in dessen Einzelbestimmungen – gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nur auf diejenigen Arbeitnehmer Anwendung, die von dem<br />

im Interessenausgleich bezeichneten Personalabbau betroffen<br />

sind.<br />

2. Hat ein Interessenausgleich allein die Stilllegung eines<br />

Betriebsteils <strong>und</strong> den sich hieraus ergebenden Wegfall der<br />

dortigen oder damit in Verbindung stehenden Arbeitsplätze<br />

zum Gegenstand, werden von ihm keine betriebsbedingten<br />

Kündigungen erfasst, die auf anderen, von der Teilbetriebsstilllegung<br />

unabhängigen Gründen (hier: der Umverteilung<br />

von nach der Teilbetriebsstilllegung weiterhin vorhandenen<br />

Tätigkeiten) beruhen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 30. November 2007, 11 Sa 911/07<br />

74. Sozialplan, Kappungsgrenze, Altersdiskriminierung<br />

Höchstbegrenzungsklauseln für Abfindungen (sog. Kappungsgrenzen)<br />

verstoßen nicht gegen § 75 Abs. 1 BetrVG<br />

<strong>und</strong> stellen keine altersmäßige Benachteiligung einzelner<br />

Arbeitnehmer dar.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 7. November 2007, 3 Sa 203/07, Rev. zugel.<br />

68 01/09<br />

Tarifrecht<br />

75. BAT, Sonderzahlung, Rückzahlungspflicht aufgehoben<br />

Aus dem Tatbestand: ...<br />

Gemäß § 59 Abs. 1 Ziffer 3 BAT erhält der Beschäftigte in dem<br />

Jahr kein Anspruch auf Zuwendung, in welchem er in der Zeit<br />

bis einschließlich 31. März des folgenden Kalenderjahres aus<br />

seinem Verschulden oder aus eigenem Wunsch ausscheidet.<br />

Der seit dem 01.11.2006 in Kraft getretene TV-L enthält in<br />

§ 20 eine Regelung für Sonderzahlungen. Für Beschäftigte,<br />

die nach der Kündigung der Zuwendungstarifverträge im<br />

Jahr 2003 <strong>und</strong> vor Inkrafttreten des neuen Tarifrechts zum<br />

01.11.2006 neu eingestellt worden sind, richtet sich der<br />

Anspruch auf die Jahressonderzahlung nach § 21 Abs. 2<br />

TVÜ-L. Er enthält auszugsweise folgende Regelung:<br />

§ 21 Jahressonderzahlung in den Jahren 2006 <strong>und</strong> 2007<br />

(1)...<br />

(2) Für die Beschäftigten, mit denen arbeitsvertraglich vor<br />

dem 31. Oktober 2006 abweichende Vereinbarungen zur Zuwendung<br />

<strong>und</strong> zum Urlaubsgeld getroffen worden sind, gilt:<br />

a) Im Jahr 2006 richtet sich der Anspruch auf Zuwendung<br />

<strong>und</strong> Urlaubsgeld nach den am 19. Mai 2006 geltenden Landesregelungen.<br />

b) Im Jahr 2007 wird die nach den jeweiligen arbeitsvertraglichen<br />

Vereinbarungen zustehende Summe aus Zuwendung<br />

<strong>und</strong> Urlaubsgeld um 50 v. H. des Differenzbetrages zu der<br />

Jahressonderzahlung TV-L erhöht, sofern die Jahressonderzahlung<br />

nach § 20 TV-L höher wäre.<br />

c) Ab dem Jahr 2008 gilt § 20 TV-L.<br />

§ 20 TV-L sieht eine Rückzahlung der Weihnachtszuwendung<br />

nicht vor.<br />

Mit Bezüge-Mitteilung aus April 2008 hat das Landesamt für<br />

Besoldung <strong>und</strong> Versorgung Nordrhein-Westfalen dem Kläger<br />

gegenüber eine Rückzahlungsforderung der Weihnachtssonderzuwendung<br />

... geltend gemacht.<br />

Der Kläger macht geltend, ein Anspruch sei weder dem<br />

Gr<strong>und</strong>e noch der Höhe nach gegeben.<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die Klage ist begründet.<br />

Die Beklagte ist nicht berechtigt, die für das Jahr 2007 an<br />

den Kläger gezahlte Zuwendung zurückzufordern, denn es<br />

fehlt an einer Anspruchsgr<strong>und</strong>lage. Der auf das Arbeitsverhältnis<br />

anzuwendende TVÜ-L sieht in § 21 eine Rückzahlungsverpflichtung<br />

nicht vor. Es handelt sich um einen eigenständigen<br />

Tarifvertrag, der den Übergang in das neue Tarifrecht<br />

regeln soll. Für die Jahre 2006 <strong>und</strong> 2007 weist er in § 21 unter<br />

der Überschrift Jahressonderzahlungen 2006 <strong>und</strong> 2007 jeweils<br />

unterschiedliche Regelungen aus.<br />

§ 21 Abs. 2a verweist für das Jahr 2006 auf die am 19. Mai<br />

2006 geltenden Landesregelungen. Danach wäre der Kläger<br />

verpflichtet gewesen, eine Sonderzahlung für 2006 bei Ausscheiden<br />

vor dem 31.03.2007 zurückzuzahlen.<br />

§ 21 Abs. 2b enthält für das Jahr 2007 keine Bezugnahme<br />

AE200901.PDF 68 17.02.2009 12:08:09


auf die am 19.05.2006 geltenden Landesregelungen. Vielmehr<br />

regelt § 21 Abs. 2b nur die Höhe der zu zahlenden Jahressonderzahlung<br />

für das Jahr 2007. Die Tarifvertragsparteien haben<br />

an keiner Stelle deutlich gemacht, dass für das Jahr 2007 hinsichtlich<br />

der Anspruchsvoraussetzungen die gleichen Voraussetzungen<br />

gelten sollen wie das Jahr 2006. Sie hätten durch<br />

einen Zusatz „im Übrigen gelten die am 19. Mai 2006 geltenden<br />

Landesregelungen“ eine Klarstellung erreichen können.<br />

Gerade vor dem Hintergr<strong>und</strong>, dass es Ziel der Vorschrift des<br />

§ 21 TVÜ-L gewesen ist, die Folgen aus der Kündigung der<br />

Zuwendungstarifverträge in 2006 <strong>und</strong> teilweise in 2007 noch<br />

nachwirken zu lassen <strong>und</strong> nur eine verzögerte Angleichung an<br />

die Sonderzahlung nach TV-L herbeizuführen, ist eine schrittweise<br />

Angleichung in § 20 TV-L durch eine Unterscheidung für<br />

die Jahre 2006 <strong>und</strong> 2007 auch hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen<br />

für die Zahlung der Sonderzuwendung nachvollziehbar<br />

<strong>und</strong> folgerichtig.<br />

■ Arbeitsgericht Aachen<br />

vom 23. Oktober 2008, 7 Ca 2236/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Axel Kanert, Kackertstraße 11,<br />

52072 Aachen-Laurensberg, Tel.: 0241/9329596,<br />

Fax: 0241/9493810<br />

kontakt@Sparla-Rechtsanwaelte.de;<br />

www.Sparla-Rechtsanwaelte.de<br />

76. Bühnenschiedsgerichtsbarkeit, Befristung, Schriftform<br />

Arbeitsverträge mit Künstlern, in denen die Tarifverträge des<br />

deutschen Bühnenvereins vereinbart wurden, unterlagen bis<br />

zum 01.05.2000 nicht dem Schriftformerfordernis für die Befristung.<br />

Die bei Beginn des Vertrags abgegebene Willenserklärung<br />

umfasst eine unbestimmte Anzahl von jeweils für<br />

eine Spielzeit abgeschlossenen Vertragsverlängerungen. Auch<br />

nach Inkrafttreten des § 623 BGB/§ 14 TzBfG bedarf die Verlängerung<br />

deshalb keiner neuen Willenserklärung <strong>und</strong> unterliegt<br />

damit nicht jeweils der Schriftform.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 21. Januar 2008, 2 Sa 1046/07<br />

77. Eingruppierung, Auslegung von Eingruppierungsrichtlinien<br />

Ist nach Richtlinien über die Eingruppierung von Lehrkräften<br />

u. a. eine „abgeschlossene Hochschulausbildung“ Voraussetzung<br />

für die Eingruppierung in eine bestimmte Vergütungsgruppe<br />

des BAT, so werden von diesem Merkmal auch Lehrkräfte<br />

mit abgeschlossener Fachhochschulausbildung erfasst,<br />

sofern der Wille des Richtliniengebers, dieses Merkmal nur<br />

auf Lehrkräfte mit abgeschlossener Universitätsausbildung zu<br />

beschränken, in den Richtlinien nicht erkennbar seinen Niederschlag<br />

gef<strong>und</strong>en hat.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 14. Dezember 2007, 11 Sa 815/07, Revision eingelegt zum<br />

AZ 4 AZR 79/08<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

78. Eingruppierung, Energieelektroniker, Entgeltrahmen-<br />

Abkommen für die Metall- <strong>und</strong> Elektroindustrie Rheinland-Pfalz<br />

(ERA) vom 06.07.2004<br />

1. Die Erfüllung eines nach § 5 Abs. 6 ERA gebildeten Niveaubeispiels<br />

macht die Prüfung der in § 5 Abs. 4 ERA normierten<br />

abstrakten Eingruppierungsmerkmale nicht entbehrlich.<br />

Die Niveaubeispiele geben aber Anhaltspunkte für die<br />

Auslegung der abstrakten tariflichen Eingruppierungsmerkmale.<br />

2. Eine Eingruppierung in die nächsthöhere Entgeltgruppe<br />

kommt nicht allein deshalb in Betracht, weil in einzelnen eingruppierungsrelevanten<br />

Merkmalen die betriebliche Tätigkeit<br />

ihren Anforderungen nach die niedrigere Entgeltgruppe übersteigt.<br />

3. „Schwierige“ Facharbeiten im Sinne der Entgeltgruppe E6<br />

liegen nur vor, wenn die Arbeitsinhalte ein Anforderungsprofil<br />

bedingen, welches zumindest teilweise <strong>und</strong> erkennbar das<br />

nach Durchlaufen der regulären Berufsausbildung erreichte<br />

Ausbildungsniveau übersteigt.<br />

4. Zur Bestimmung des durch eine Berufsausbildung regelmäßig<br />

vermittelten Ausbildungsniveaus kann auf die Bestimmungen<br />

der jeweiligen Ausbildungsverordnung zurückgegriffen<br />

werden.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 31. Januar 2008, 9 TaBV 58/07, Rechtsbeschwerde eingelegt<br />

zum AZ 4 ABR 31/08<br />

79. Eingruppierung ERA NRW, „Können“ liegt nur bei<br />

Nachweis standardisierter Ausbildungsgänge vor, zum<br />

Nachweis von Selbstständigkeit <strong>und</strong> Abstimmungsprozessen<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten um die Eingruppierung des Klägers<br />

nach den Gr<strong>und</strong>sätzen des Entgeltrahmenabkommens für<br />

die Eisen-, Metall-, Elektro- <strong>und</strong> Zentralheizungsindustrie<br />

Nordrhein-Westfalens vom 18.12.2003 (im Folgenden ERA).<br />

...<br />

Bis zur Einführung des ERA war der Kläger in Tarifgruppe T 5<br />

des jeweiligen Gehaltsrahmenabkommens eingruppiert.<br />

Im Zuge der Einführung des ERA ermittelte die Beklagte für<br />

den Kläger eine Gesamtpunktzahl von 126 <strong>und</strong> ordnete ihn<br />

der Entgeltgruppe 12 zu. ... Nachdem der Kläger außergerichtlich<br />

erfolglos Widerspruch gegen diese Eingruppierung<br />

erhoben hatte, verfolgt er die von ihm begehrte Eingruppierung<br />

in Entgeltgruppe 14 des ERA mit vorliegender Klage<br />

weiter. ...<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

... II. 1. ... b) Die für die Ausführung der übertragenen<br />

Arbeitsaufgabe erforderlichen Fachkenntnisse, über die ein<br />

Beschäftigter verfügen muss, werden in der Regel durch „Ausbildung“<br />

erworben,<br />

wobei hierzu auch die erforderliche aufgabenspezifische Fort<strong>und</strong><br />

Weiterbildung gehört. Das erforderliche Können wird<br />

AE200901.PDF 69 17.02.2009 12:08:09<br />

69


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

also im Regelfall durch entsprechende standardisierte Ausbildungsgänge<br />

erreicht. Allerdings können die erforderlichen<br />

Fachkenntnisse auch auf anderem Wege erworben werden.<br />

aa) Dass der Kläger, der lediglich eine abgeschlossene Ausbildung<br />

als technischer Zeichner vorzuweisen hat <strong>und</strong> sich<br />

zum Maschinenbautechniker weitergebildet hat, bereits vor<br />

seiner Einstellung bei der Beklagten oder im Verlauf des Arbeitsverhältnisses<br />

auf andere Weise Fachkenntnisse erworben<br />

hat, die ihn befähigen, Arbeitsaufgaben zu erledigen, die ein<br />

Können erfordern, das in der Regel durch eine abgeschlossene<br />

Fachhochschulausbildung erworben wird, konnte die Kammer<br />

nicht erkennen. Der Kläger hat nicht dargelegt, in welcher<br />

Weise er gegebenenfalls Fachkenntnisse erworben hat, die<br />

den Kenntnissen eines Fachhochschulabsolventen gleichstehen.<br />

Wenn das erforderliche Können im Regelfall durch<br />

standardisierte Ausbildungsgänge erreicht wird, allerdings<br />

auch auf anderem Wege erworben werden kann, so muss<br />

der Kläger nachvollziehbar darlegen, auf welchem Wege dies<br />

geschehen sein soll. Dass er entsprechende Lehrgänge oder<br />

Weiterbildungsveranstaltungen besucht hat, durch die ihm<br />

Fachkenntnisse vermittelt worden sind, die einer Fachhochschulausbildung<br />

gleichstehen, hat er nicht dargelegt.<br />

bb) Unabhängig davon wird durch bestimmte Ausbildungsgänge<br />

bzw. die auf anderem Wege erworbenen Fachkenntnisse<br />

für sich allein kein Anspruch auf Einstufung in eine<br />

bestimmte Bewertungsstufe begründet, wenn die übertragene<br />

Arbeitsaufgabe diesen Ausbildungsgang nicht verlangt.<br />

Dementsprechend könnte der Kläger nur dann die Zubilligung<br />

von 94 Punkten verlangen, wenn die ihm zugewiesene<br />

Arbeitsaufgabe ein Können erfordert, das in der Regel<br />

durch eine abgeschlossene Fachhochschulausbildung erworben<br />

wird.<br />

(1) Die Beklagte hat bestritten, dass die vom Kläger zu erledigenden<br />

Arbeiten eine Fachhochschulausbildung erfordern,<br />

<strong>und</strong> vorgetragen, die Anforderungen an die Arbeit des Klägers<br />

seien mit der Technikerausbildung abgedeckt. Die Beklagte<br />

hat weiter vorgetragen, bei dem Arbeitsplatz des Technikers<br />

handele es sich nicht um einen Einzelarbeitsplatz in dem<br />

Sinne, dass vergleichbare Mitarbeiter nicht vorhanden seien;<br />

sämtliche weiteren, mit dem Kläger vergleichbaren Mitarbeiter<br />

seien beanstandungsfrei in Entgeltgruppe 12 eingruppiert.<br />

(2) Unter Berücksichtigung des Sachvortrags des Klägers war<br />

für die Kammer nicht erkennbar, dass er Anspruch auf Zubilligung<br />

von 94 Punkten beim Anforderungsmerkmal<br />

„Können“ hat. Die Beklagte hat den Kläger im Jahre 1989 als<br />

Konstrukteur eingestellt. Da er weder über eine Fachhochschulausbildung<br />

verfügte noch dargelegt hat, dass er derartige<br />

Kenntnisse auf anderem Wege erworben hatte, ist vom<br />

Regelfall auszugehen, dass ihm im Anschluss an seine Einstellung<br />

Tätigkeiten übertragen wurden, die seinem Kenntnisstand<br />

entsprachen. Dass die Beklagte ihm damals in Abweichung<br />

hiervon trotz fehlender Fachkenntnisse Aufgaben<br />

zugewiesen hat, deren Erledigung eine abgeschlossene Fachhochschulausbildung<br />

erforderte, kann nicht unterstellt wer-<br />

70 01/09<br />

den; ein solches Verhalten der Beklagten, das als ungewöhnlich<br />

zu bezeichnen wäre, hätte näherer Darlegung durch den<br />

Kläger bedurft. Für die Kammer war weiter nicht ersichtlich,<br />

dass sich die Anforderungen der dem Kläger im weiteren<br />

Verlauf des Arbeitsverhältnisses zugewiesenen Tätigkeiten in<br />

einem Maße erhöht haben, dass ihre Erledigung nunmehr<br />

die in einem Fachhochschulstudium vermittelten Kenntnisse<br />

erfordern. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass die<br />

dem Kläger übertragene Arbeitsaufgabe lediglich ein Können<br />

erfordert, das in der Regel durch eine abgeschlossene Ausbildung<br />

in einem anerkannten Ausbildungsberuf <strong>und</strong> durch eine<br />

zusätzliche anerkannte zweijährige Fachausbildung erworben<br />

wird.<br />

Soweit der Kläger darauf verweist, dass er früher in Gehaltsgruppe<br />

T 5 eingruppiert gewesen ist, kann hiermit eine Zuordnung<br />

zur Bewertungsstufe 11 im Bereich des Anforderungsmerkmals<br />

„Können“ nicht begründet werden. Tätigkeiten der<br />

früheren Gehaltsgruppe T 5 können sowohl der Bewertungsstufe<br />

10 als auch der Bewertungsstufe 11 im Rahmen der ERA-<br />

Eingruppierung entsprechen, wobei maßgebend ist, welche<br />

Ausbildung zur Erfüllung der Arbeitsaufgaben erforderlich ist.<br />

Dass hierfür im Falle des Klägers ein abgeschlossenes Fachhochschulstudium<br />

erforderlich ist, war für die Kammer nicht<br />

ersichtlich.<br />

2. Ein Anspruch des Klägers auf Zubilligung von 30 Punkten<br />

im Rahmen der Bewertung des Anforderungsmerkmals<br />

„Handlungs- <strong>und</strong> Entscheidungsspielraum“ ist nicht gegeben.<br />

Dem Sachvortrag des Klägers ist nicht zu entnehmen, dass<br />

die Erfüllung der ihm übertragenen Arbeitsaufgaben überwiegend<br />

ohne Vorgaben weitgehend selbständig erfolgt. ...<br />

aa) Durch Einordnung in Stufe 3 hat die Beklagte eingeräumt,<br />

dass der Kläger ca. 50 % Vorgaben im Rahmen der Erfüllung<br />

seiner Arbeitsaufgabe hat, während ca. 50 % Freiraum<br />

verbleibt.<br />

bb) Wenn der Kläger demgegenüber eine Zuordnung in<br />

Stufe 4 erreichen will, so muss er darlegen, dass der sogenannte<br />

Freiraum, also die Tätigkeiten ohne Vorgabe, im Rahmen<br />

der Erfüllung der übertragenen Arbeitsaufgabe ca. 20 –<br />

30 % höher liegt als bei einer Tätigkeit in Stufe 3. Dahingehende<br />

Tatsachen, die es der Kammer ermöglicht hätten, eine<br />

Quantifizierung vorzunehmen, hat der Kläger nicht vorgetragen.<br />

Sie ergeben sich auch nicht aus den vom Kläger zu den<br />

Akten gereichten Tätigkeitsnachweisen. Die Tätigkeitsnachweise<br />

enthalten lediglich eine Aufzählung von Arbeiten, die<br />

der Kläger an den jeweiligen Tagen erledigt hat. Ausführungen<br />

dazu, welchen zeitlichen Umfang die von ihm genannten<br />

Tätigkeiten eingenommen haben <strong>und</strong> welche dieser Tätigkeiten<br />

mit welchen Vorgaben bzw. Freiräumen versehen waren,<br />

finden sich dort nicht. ...<br />

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, dass die<br />

Beklagte ihn beim Anforderungsmerkmal „Kooperation“ statt<br />

in Bewertungsstufe 3 mit 10 Punkten in Bewertungsstufe 4<br />

mit 15 Punkten einstuft. Denn die Kammer konnte, sich nicht<br />

davon überzeugen, dass die Erfüllung seiner Arbeitsaufgaben<br />

AE200901.PDF 70 17.02.2009 12:08:10


über die regelmäßige Kommunikation <strong>und</strong> Zusammenarbeit<br />

hinaus auch eine regelmäßige Abstimmung im Sinne des ERA<br />

erfordert.<br />

a) Ausweislich der Orientierungshilfen für die Bewertung<br />

müssen „Abstimmungen“ periodisch vorhersehbar <strong>und</strong> von<br />

größerer Häufigkeit sein. Dabei ist eine gemeinsame Koordination<br />

der Arbeitsausführungen/Aufgabenerfüllungen<br />

verschiedener Beschäftigter bzw. Bereiche erforderlich, um<br />

unterschiedliche Interessenlagen <strong>und</strong>/oder Zielsetzungen<br />

in Einklang zu bringen. Im Ergebnis der Abstimmung sind<br />

die jeweiligen Arbeitsausführungen/Aufgabenerfüllungen<br />

zueinander passend zu gestalten. Abstimmungen beinhalten<br />

somit die Auseinandersetzung mit anderen zu einem<br />

bestimmten Sachverhalt mit Rückwirkung entweder auf<br />

die eigene Arbeitsausführung/Aufgabenerfüllung oder die<br />

Arbeitsausführung/Aufgabenerfüllung anderer. Abstimmung<br />

ist demzufolge nicht gleichzusetzen mit Absprache bzw.<br />

Rücksprache. ...<br />

aa) Soweit der Kläger sich auf die von ihm zu den Akten gereichten<br />

Tätigkeitsnachweise bezieht, lassen diese einen Rückschluss<br />

auf eine Regelmäßigkeit nicht zu. Vielmehr lässt sich<br />

aus den Tätigkeitsnachweisen lediglich ableiten, dass der Kläger<br />

an vereinzelten, situationsbedingten Abstimmungsprozessen<br />

teilgenommen hat.<br />

bb) Soweit der Kläger auf die bei der Beklagten regelmäßig<br />

stattfindende Konstruktionsbesprechung verweist, an der er<br />

jedenfalls in der Vergangenheit teilgenommen hat, kann hiermit<br />

nicht belegt werden, dass die Erfüllung seiner Arbeitsaufgaben<br />

eine regelmäßige Abstimmung erfordert.<br />

(1) Zum einen nimmt der Kläger unstreitig seit Ende Dezember<br />

2007 nicht mehr an diesen<br />

Konstruktionsbesprechungen teil. ...<br />

(2) Darüber hinaus war für die Kammer nicht ersichtlich, dass<br />

die eventuellen Beiträge des Klägers anlässlich seiner Teilnahme<br />

an den Konstruktionsbesprechungen das Merkmal der<br />

„Abstimmung“ im Sinne des ERA erfüllt haben. Die Beklagte<br />

hat dies bestritten. Der Kläger hat zwar geltend gemacht,<br />

er habe an den Konstruktionsbesprechungen im Sinne des<br />

Merkmals „Abstimmung“ teilgenommen, hat allerdings eingeräumt,<br />

er könne im Nachhinein nicht darlegen, um welche Einzelheiten<br />

es sich dabei tatsächlich gehandelt habe. Angesichts<br />

dessen konnte die Kammer nicht davon ausgehen, dass durch<br />

die frühere Teilnahme an den Konstruktionsbesprechungen<br />

das Merkmal der „regelmäßigen Abstimmung“ im Sinne der<br />

Bewertungsstufe 4 des Anforderungsmerkmals „Kooperation“<br />

erfüllt worden ist. ...<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />

vom 18. September 2008, 15 Sa 672/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klemens Rütte, Marker Allee 48,<br />

59063 Hamm, Tel.: 02381/13434, Fax: 02381/13433<br />

info@rae-stallmeister.de; www.rae-stallmeister.de<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

80. Einzelhandel, Auslegung des Tarifbegriffes „Urlaubszeiten“<br />

Unter „Urlaubszeiten“, die gemäß § 6 Ziff. 6 S. 3 des Manteltarifvertrages<br />

für den Einzel- <strong>und</strong> Versandhandel Rheinland-<br />

Pfalz vom 18.07.2003 nicht berücksichtigt werden dürfen, sind<br />

ausschließlich die individuellen Urlaubszeiten der/des den<br />

Verlängerungsanspruch erhebenden Teilzeitbeschäftigten zu<br />

verstehen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 16. Januar 2008, 7 Sa 398/06<br />

81. Öffnungsklausel für Betriebsvereinbarung, Einigungsstelle,<br />

offensichtlich unzuständig, Zusatzurlaub, Nachtarbeit<br />

1. Die Öffnungsklausel für ergänzende Betriebsvereinbarungen<br />

über Zusatzurlaub bei nicht ständiger Wechselschichtarbeit<br />

<strong>und</strong> bei nicht ständiger Schichtarbeit im Bereich der<br />

Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) gemäß<br />

§ 27 Abs. 3 TVöD kann nicht im Wege der ergänzenden<br />

Auslegung dahin erweitert werden, dass auch bei ständiger<br />

Nachtarbeit eine entsprechende Regelungskompetenz der Betriebsparteien<br />

besteht.<br />

2. § 8 Abs. 1 S. 2 Buchst. b TVöD stellt eine Ausgleichsregelung<br />

im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG dar.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 16. Oktober 2007, 9 TaBV 52/07<br />

82. Orchestermusiker, Auslegung des § 12 Abs. 2 S. 1<br />

TVK – Zur Durchführung der Instandsetzung erforderliche<br />

Fahrtkosten, also vom Arbeitgeber zu erstattende<br />

„Instandsetzungskosten“<br />

Der in § 12 Abs. 2 S 3 des Tarifvertrages für die Musiker in Kulturorchestern<br />

vom 01.07.1971 (TVK) verwendete Begriff der Instandsetzungskosten<br />

umfasst auch erforderliche Fahrtkosten,<br />

die dem Arbeitnehmer durch die Verbringung <strong>und</strong> spätere<br />

Abholung seines Instruments von seinem Wohnort zum Ort<br />

des Instrumentenbauers zur Instandsetzung entstehen. Dies<br />

gilt jedenfalls dann, wenn den Arbeitnehmern, denen der<br />

Arbeitgeber gemäß § 12 Abs. 1 TVK ein Instrument zuweist,<br />

solche Kosten regelmäßig erstattet werden <strong>und</strong> es keine sachlichen<br />

Gründe gibt, den Arbeitnehmern im Sinne von § 12<br />

Abs. 2 TVK, die ihr eigenes Instrument benutzen, eine solche<br />

Erstattung zu versagen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 25. März 2008, 13 Sa 653/07, Revision eingelegt zum AZ<br />

6 AZR 351/08, (18.06.2008 sonstige Erledigung)<br />

AE200901.PDF 71 17.02.2009 12:08:10<br />

71


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

83. Kirchliches Arbeitsrecht, Rechtskontrolle, Angemessenheitskontrolle<br />

<strong>und</strong> Inhaltskontrolle von AVR, Eingruppierung<br />

<strong>und</strong> Übergangsregelung nach der Einführung<br />

gliedkirchlich-diakonischer Arbeitsvertragsrichtlinien<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die zulässige Berufung ist unbegründet.<br />

Der Kläger hat keinen Anspruch auf den Unterschiedsbetrag<br />

zwischen dem Vollentgelt <strong>und</strong> dem geminderten Entgelt aus<br />

der Entgeltgruppe 9 AVR-K für die Monate April bis September<br />

2006 <strong>und</strong> für die Zuwendung des Monats Juni 2006, da er<br />

lediglich das geminderte Entgelt nach Teil E § 2 Abs. 1 AVR-K<br />

verlangen kann.<br />

I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtet sich nach den AVR-<br />

K.<br />

1. Nach dem Dienstvertrag vom 25. Juni 1991 waren die<br />

AVR/EKD in ihrer jeweiligen Fassung in Bezug genommen<br />

a) Nach heutigem Recht handelt es sich bei der Jeweiligkeitsklausel<br />

um eine allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305<br />

Abs. 1 BGB), die jedoch entgegen der Ansicht des Klägers<br />

nicht als überraschende Klausel gemäß § 305c Abs. 1 BGB unwirksam<br />

ist. Die Kirchen regeln verfassungsrechtlich geschützt<br />

ihre Arbeitsverhältnisse durch Arbeitsvertragsrichtlinien, die<br />

im Konsens von arbeitsrechtlichen Kommissionen erstellt werden.<br />

Bezugnahmeklauseln auf die AVR in ihrer jeweiligen Fassung<br />

in Arbeitsverträgen von Arbeitnehmern der Diakonie<br />

sind nicht ungewöhnlich, sondern üblich. Die Platzierung in<br />

§ 3 des Dienstvertrags ist auffällig <strong>und</strong> im Zusammenhang mit<br />

der Inbezugnahme der AVR erfolgt.<br />

b) Die Klausel ist auch klar <strong>und</strong> verständlich im Sinne des<br />

§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB formuliert. Allein in der Mühewaltung,<br />

sich Kenntnis von der jeweiligen Fassung der AVR zu verschaffen,<br />

liegt keine unangemessene Benachteiligung. Sie<br />

stellt vielmehr eine Besonderheit des Arbeitsrechts i.S.d. § 310<br />

Abs. 4 S. 2 BGB dar (vgl. zu dynamischen Bezugnahmeklauseln<br />

auf das Tarifrecht des öffentlichen Rechts: BAG, Urt. v. 3. April<br />

2007 – 9 AZR 283/06, AP Nr. 21 zu § 2 BAT SR 2l).<br />

c) Die Klausel verstößt schließlich nicht gegen § 308 Nr. 4<br />

BGB, weil eine Änderung des Inhalts des Arbeitsverhältnisses<br />

durch die AVR nicht durch den Arbeitgeber als Verwender im<br />

Sinne des § 308 Nr. 4 BGB erfolgt, sondern durch Beschluss<br />

der arbeitsrechtlichen Kommission (BAG, Urt. v. 26. Januar<br />

2005 – 4 AZR 171/03, Rn 41, AP Nr. 1 zu AVR Diakonisches<br />

Werk Anlage 18).<br />

2. Die in Bezug genommenen AVR/EKD verweisen ihrerseits<br />

auf die gliedkirchlich-diakonischen Arbeitsvertragsrichtlinien,<br />

soweit in deren Bereich eigene arbeitsrechtliche Kommissionen<br />

gebildet worden sind (§ 1a Abs. 2 AVR/EKD). Das ist<br />

für den Bereich der Evangelisch-lutherischen Landeskirche<br />

B-Stadt durch das ARRGD, dem sich die Beklagte gem. § 2<br />

Abs. 2 ARRGD angeschlossen hat, geschehen, indem die auf<br />

dieser Gr<strong>und</strong>lage gebildete arbeitsrechtliche Kommission die<br />

AVR-K verabschiedet <strong>und</strong> in Kraft gesetzt hat.<br />

72 01/09<br />

3. Darüber hinaus ist auch von einer einzelvertraglichen<br />

Inbezugnahme der AVR-K auszugehen.<br />

Bereits mit Schreiben vom 15. Dezember 1997 hat die Beklagte<br />

darauf verwiesen, dass zukünftig die AVR-K an die Stelle<br />

der AVR/EKD treten. Nach Inkrafttreten der eigenständigen<br />

AVR-K ist das Arbeitsverhältnis der Parteien auf ihrer Gr<strong>und</strong>lage<br />

vollzogen worden.<br />

Der Kläger ist von der Vergütungsgruppe VbindieEntgeltgruppe<br />

8 übergeleitet worden unter Zahlung einer Besitzstandszulage<br />

gem. § 2 Abs. 2 des Teils E der AVR-K. Die neue<br />

Entgeltgruppe 8, die Berechnungen der Vergleichsentgelte<br />

<strong>und</strong> die Berechnung der Besitzstandszulage auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

des Teils E der AVR-K sind ihm schriftlich mitgeteilt worden.<br />

Schließlich haben die Parteien im Zuge der Übertragung der<br />

Tätigkeit eines Gruppenleiters <strong>und</strong> der Höhergruppierung des<br />

Klägers am 10. Mai 2004 einen schriftlichen Änderungsvertrag<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage der AVR-K geschlossen, in dem ausdrücklich<br />

die Vergütung nach E9AVR-K dokumentiert <strong>und</strong> auf die Kündigungsmöglichkeit<br />

nach § 4 Abs. 1 AVR-K verwiesen worden<br />

ist.<br />

Soweit der Kläger meint, damit sei lediglich die Entgeltgruppe<br />

9 AVR-K ohne jeden Bezug zu dem übrigen Inhalt der AVR-<br />

K vereinbart worden, kann ihm nicht gefolgt werden. Der<br />

Änderungsvertrag befasst sich nicht nur mit dem Entgelt, sondern<br />

auch mit der Kündigungsmöglichkeit von Nebenabreden<br />

nach § 4 Abs. 1 AVR-K. Beides ist nur verständlich auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage der Geltung des Regelwerks der gesamten AVR-K.<br />

Der Kläger wusste aufgr<strong>und</strong> des Schreibens der Beklagten<br />

vom 15. Dezember 1997, dass sie das Arbeitsverhältnis auf<br />

die Gr<strong>und</strong>lage der AVR-K stellen wollte <strong>und</strong> wusste auch, dass<br />

das Arbeitsverhältnis auf dieser Gr<strong>und</strong>lage bisher vollzogen<br />

worden war. Wenn die Beklagte ihm nunmehr eine Übertragung<br />

höherwertiger Tätigkeiten <strong>und</strong> die Eingruppierung in<br />

die Entgeltgruppe 9 AVR-K anbot, war für ihn klar erkennbar,<br />

dass sie das zu den Bedingungen der AVR-K tat, zumal sie<br />

auch in einem anderen Punkt (§ 4 Abs. 1 AVR-K) auf die AVR-K<br />

Bezug nahm.<br />

II. Das geminderte Entgelt nach der Übergangsregelung E der<br />

AVR-K ist nicht nur im Falle der Überleitung von der alten Vergütungsgruppe<br />

in die neue Entgeltgruppe zum 31. Dezember<br />

2003/1. Januar 2004 zu zahlen, sondern auch im Falle der<br />

Höhergruppierung im Laufe der Übergangszeit.<br />

1. Auch wenn § 1 Abs. 1 ausdrücklich das Vergleichsentgelt<br />

1 nach altem Recht <strong>und</strong> das Vergleichsentgelt 2 nach neuem<br />

Recht per 1. Januar 2004 definiert <strong>und</strong> sich die Abschlagsregelung<br />

in § 2 Abs. 1 auf den Unterschiedsbetrag zwischen<br />

diesen Vergleichsentgelten bezieht, bedeutet das nicht, dass<br />

im Falle der Höhergruppierung kein Vergleichsentgelt auf der<br />

Basis der höheren Entgeltgruppe zu bilden <strong>und</strong> kein Abschlag<br />

nach § 2 Abs. 1 zu berechnen, sondern das volle Entgelt der<br />

höheren Entgeltgruppe zu zahlen wäre.<br />

Die Übergangsregelung bedarf insoweit der Auslegung.<br />

Die Auslegung der AVR erfolgt, obwohl es sich nicht um<br />

AE200901.PDF 72 17.02.2009 12:08:10


Tarifnormen handelt, sondern um kollektive Vereinbarungen<br />

besonderer Art, die auf die Arbeitsverhältnisse der bei kirchlichen<br />

Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer lediglich<br />

aufgr<strong>und</strong> arbeitsvertraglicher Inbezugnahme Anwendung<br />

finden, nach dem für die Tarifauslegung maßgeblichen<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen. Danach ist zunächst vom Wortlaut der Vorschrift<br />

auszugehen. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche<br />

Wille der Normgeber <strong>und</strong> der damit von ihnen beabsichtigte<br />

Sinn <strong>und</strong> Zweck der Regelung zu berücksichtigen, sofern <strong>und</strong><br />

soweit sie in den Bestimmungen ihren Niederschlag gef<strong>und</strong>en<br />

haben. Hierzu ist auch auf den Gesamtzusammenhang des<br />

Regelungswerks abzustellen, weil häufig nur aus ihm <strong>und</strong><br />

nicht aus der einzelnen Vorschrift auf den wirklichen Willen<br />

der Normgeber geschlossen <strong>und</strong> nur bei Mitberücksichtigung<br />

des Gesamtzusammenhangs der Sinn <strong>und</strong> Zweck der Bestimmungen<br />

zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben<br />

hiernach noch Zweifel, können ohne Bindung an eine<br />

Reihenfolge weitere Kriterien wie Entstehungsgeschichte<br />

des Regelungswerks oder die praktische Handhabung der<br />

Vorschriften berücksichtigt werden. Im Zweifel gebührt<br />

derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen,<br />

sachgerechten, zweckorientierten <strong>und</strong> praktisch brauchbaren<br />

Regelung führt (BAG, Urt. v. 26. Juli 2006 – 7 AZR 505/05, AP<br />

Nr. 1 zu § 5 AVR Diakonisches Werk).<br />

2. Bei Anwendung dieser Gr<strong>und</strong>sätze ergibt sich, dass auch<br />

im Falle der Höhergruppierung ein Vergleichsentgelt 2 zu<br />

bilden <strong>und</strong> ein Abschlag zu berechnen ist.<br />

a) Zwar ist nicht ausdrücklich geregelt, wie sich das Entgelt<br />

im Falle einer Höhergruppierung in der Übergangszeit<br />

berechnet. Aus dem Umstand, dass die Berechnung der Vergleichsentgelte<br />

in § 1 Abs. 1 nur per 1. Januar 2004 geregelt<br />

ist, kann jedoch nicht auf den Willen der Normgeber geschlossen<br />

werden, im Falle der späteren Höhergruppierung keine<br />

Vergleichsentgelte zu bilden, sondern das Vollentgelt zur Auszahlung<br />

zu bringen. Dagegen streitet, dass bereits nach dem<br />

Wortlaut ein Fall der Erhöhung des Vergleichsentgelts 2 in § 2<br />

Abs. 6 geregelt ist. Dort heißt es, dass sich die Besitzstandszulage<br />

nach § 2 Abs. 2 – 5 entsprechend vermindert, wenn<br />

sich das Vergleichsentgelt 2 nach § 5 des Teils B I der AVR-K<br />

erhöht. § 5 des Teils B I der AVR-K beinhaltet aber gerade<br />

eine Erhöhung des Entgelts während der Übergangszeit in<br />

Folge des Aufstiegs in eine höhere Tätigkeitsstufe. Aus dem<br />

Wortlaut ist folglich der Wille der Normgeber erkennbar, dass<br />

entgegen der Definition der Vergleichsentgelte in § 1 Abs. 1<br />

per 1. Januar 2004 diese sich im Laufe der Übergangszeit<br />

verändern können. Das ergibt sich im Übrigen auch aus der<br />

Regelung in § 2 Abs. 3, nach der sich das Vergleichsentgelt 1<br />

nach dem 1. Januar 2004 erhöhen kann.<br />

b) Ein Vollentgelt im Falle der Höhergruppierung in der<br />

Übergangszeit widerspräche auch dem Gesamtzusammenhang<br />

<strong>und</strong> dem Regelungsziel der Übergangsregelung.<br />

Regelungsziel ist nach der Präambel des Teils E der AVR-K<br />

die Personalkostenneutralität der Neufassung der Eingruppierungsregeln.<br />

Nachteile durch eine Eingruppierung in eine<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

geringer entlohnte Entgeltgruppe werden mit einer Besitzstandszulage<br />

ausgeglichen (§ 2 Abs. 2 – 5), die jedoch nicht an<br />

Tariferhöhungen teilnimmt. Als Kompensation erhalten diejenigen,<br />

die in eine Entgeltgruppe eingruppiert werden, die<br />

eine höhere Entlohnung mit sich bringt, das erhöhte Entgelt<br />

zunächst gemindert, wobei sich dieses bis zum Ende der Übergangszeit<br />

in Stufen auf das Vollentgelt erhöht. Eine Herausnahme<br />

aus der Abschlagsregelung im Falle der Höhergruppierung<br />

widerspräche diesem Ziel. Auch wäre sie nicht mit<br />

der Regelung in § 3 in Einklang zu bringen. Nach § 3 erhalten<br />

Neueinstellungen das Tarifentgelt in der Übergangszeit<br />

nur mit Abschlägen. Deren Entgelt ist die Untergrenze der<br />

Abschlagsregelung nach § 2 Abs. 1 S. 3. Alle Gruppen haben<br />

folglich zur Kostenneutralität beizutragen. Für eine Herausnahme<br />

der Gruppe der Höherzugruppierenden gäbe es auch<br />

keinen Sachgr<strong>und</strong>.<br />

III. Die Übergangsregelungen des Teils E der AVR-K sind wirksam.<br />

1. Formelle Bedenken an ihrem ordnungsgemäßen Zustandekommen<br />

bestehen nicht. Die Arbeitsvertragsrichtlinien<br />

wurden durch die kirchengesetzlich zuständige arbeitsrechtliche<br />

Kommission getroffen. Bedenken gegen die ordnungsgemäße<br />

Bildung <strong>und</strong> Besetzung der Kommission bestehen<br />

gleichfalls nicht.<br />

2. Die Übergangsregelungen halten auch einer materiellen<br />

Prüfung stand.<br />

a) Sie enthalten keinen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen<br />

Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz, der eine sachwidrige<br />

Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen<br />

Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage sowie die<br />

sachwidrige Differenzierung zwischen Arbeitnehmern einer<br />

bestimmten Ordnung verbietet. Auf die zutreffenden<br />

Ausführungen unter I 2. b) der Entscheidungsgründe des<br />

arbeitsgerichtlichen Urteils, die vom Kläger nicht angegriffen<br />

worden sind, wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen.<br />

b) Die Übergangsregelungen halten auch einer Inhaltskontrolle<br />

stand.<br />

Arbeitsvertragsrichtlinien sind keine Tarifverträge im Sinne<br />

des § 310 Abs. 4 S. 3 BGB. Gleichwohl ist umstritten, ob sie wegen<br />

der Besonderheiten des Arbeitsrechts gem. § 310 Abs. 4<br />

S. 2 BGB lediglich der Rechtskontrolle wie Tarifverträge unterliegen<br />

oder auch einer Billigkeitskontrolle (BAG, Urt. v. 26.<br />

Januar 2005, a.a.O.; v. 8. Juni 2005 – 4 AZR 412/04, AP Nr. 1 zu<br />

§ 42 Mitarbeitervertretungsgesetz – EK Rheinland-Westfalen;<br />

v. 17. November 2005 – 6 AZR 160/05, AP Nr. 45 zu § 611 BGB<br />

Kirchendienst).<br />

aa) Bei einer Billigkeitskontrolle ist jedoch zu beachten, dass<br />

die arbeitsrechtliche Kommission als Dritter i.S.d. §§ 317, 319<br />

BGB die Leistungen der Beklagten bestimmt. Die Übergangsregelung<br />

erweist sich jedoch nicht als offenbar unbillig i.S.d.<br />

§ 319 Abs. 1 BGB. Von einem groben Verstoß gegen Treu <strong>und</strong><br />

Glauben, der sich bei unbefangener, sachk<strong>und</strong>iger Prüfung<br />

sofort aufdrängt, kann nicht ausgegangen werden. Vielmehr<br />

erscheint der Ausgleich der widerstreitenden Interessen in der<br />

AE200901.PDF 73 17.02.2009 12:08:10<br />

73


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

Übergangszeit gelungen. Diejenigen, die nach der neuen Eingruppierungsregelung<br />

einen Entgeltverlust erleiden, erhalten<br />

eine nicht dynamische Besitzstandszulage. Diejenigen, die ein<br />

höheres Entgelt erhalten, erhalten es wegen des anerkennenswerten<br />

Sachgr<strong>und</strong>es der Personalkostenneutralität vorübergehend<br />

nur mit sich verringernden Abschlägen.<br />

bb) Bei einer Rechtskontrolle nach den für Tarifverträge geltenden<br />

Maßstäben ist das Ergebnis kein anderes.<br />

Diese sind nicht auf die gerechteste oder zweckmäßigste Regelung<br />

zur überprüfen, sondern nur ob sie rechtswidrig sind,<br />

weil sie gegen die Verfassung, gegen anderes höherrangiges<br />

zwingendes Recht oder gegen die guten Sitten verstoßen. Das<br />

ist vorliegend nicht der Fall. Auch insoweit kann auf die Entscheidungsgründe<br />

I 2b) des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug<br />

genommen werden.<br />

c) Die Übergangsregelungen sind auch nicht wegen Verstoßes<br />

gegen die §§ 307 – 309 BGB unwirksam.<br />

aa) Die AVR-K sind wirksam in das Arbeitsverhältnis einbezogen.<br />

§ 305 Abs. 2 BGB findet gem. § 310 Abs. 4 S. 2 2. Halbsatz<br />

BGB keine Anwendung.<br />

bb) Die Übergangsregelungen in Teil E der AVR-K enthalten<br />

keine Bestimmungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende<br />

oder ergänzende Regelungen vereinbart werden,<br />

sodass gem. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB der § 307 Abs. 1 u. 2 <strong>und</strong><br />

die §§ 308, 309 BGB nicht einschlägig sind.<br />

cc) Die Übergangsregelungen sind nicht nach § 307 Abs. 3<br />

S. 2 BGB i. V. m. Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Die Regelungen<br />

sind klar <strong>und</strong> verständlich <strong>und</strong> in ihrer Auslegung eindeutig,<br />

wie oben unter II dargelegt. Der Kläger rügt zwar, dass sich<br />

aus den Bestimmungen aus § 2 i.V.m. § 1 der Übergangsregelung<br />

nicht hinreichend klar entnehmen lasse, in welcher Höhe<br />

ihm jeweils Entgelt zustehe. Er bezieht das aber nicht auf<br />

die Frage der Auslegung der Übergangsregelung für den Fall<br />

der Entgeltberechnung bei Höhergruppierung während der<br />

Übergangszeit, sondern darauf, dass er durch den pauschalen<br />

Verweis auf die Jeweiligkeitsklausel jederzeit mit nicht vorhersehbaren<br />

vertraglichen Verschlechterungen rechnen müsse.<br />

....<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 23. April 2008, 15 Sa 604/07, Revision eingelegt zum AZ<br />

4 AZR 493/08<br />

84. (Gewillkürte) Tarifpluralität, Spartentarifvertrag Nahverkehr<br />

NW <strong>und</strong> TV Versorgungsbetriebe<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit des Tarifvertrags<br />

für Versorgungsbetriebe (TV-V) sowie um Zahlungsansprüche.<br />

Der nicht tarifgeb<strong>und</strong>ene Kläger ist seit dem 01.09.1998 als<br />

kaufmännischer Sachbearbeiter bei der Beklagten beschäftigt.<br />

Gr<strong>und</strong>lage des Rechtsverhältnisses der Parteien ist ein Arbeitsvertrag<br />

vom 18.09.1998, der in § 2 die tariflichen Vorschriften<br />

des B<strong>und</strong>es-Angestelltentarifvertrags (BAT) in der für den Be-<br />

74 01/09<br />

reich der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) geltenden<br />

Fassung für anwendbar erklärt. ...<br />

Die Beklagte ist ein Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge.<br />

...<br />

In ihrem Betriebsbereich Center 24 (Center „Verkehr“) sind<br />

die Aktivitäten der Beklagten auf dem Gebiet des öffentlichen<br />

Nahverkehrs zusammengefasst, namentlich der Fahrdienst,<br />

die Buswerkstatt <strong>und</strong> eine Abteilung „Verkehrswirtschaft“.<br />

Dort beschäftigt die Beklagte neben dem Kläger ca.<br />

170 Arbeitnehmer, davon etwa 50 mittelbar über ihre Tochtergesellschaft<br />

Verkehrsbetrieb Hamm GmbH.<br />

Zum 01.04.2007 hat die Beklagte für ihre im Center „Verkehr“<br />

beschäftigten Mitarbeiter den Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe<br />

NW (TV-N) aufgr<strong>und</strong> einer Anwendungsvereinbarung<br />

vom 26.03.2007 ... eingeführt. Bestandteil der<br />

Anwendungsvereinbarung ist ein Verzeichnis aller überzuleitenden<br />

Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter der Beklagten,<br />

insgesamt 128 Personen. Für alle anderen Beschäftigten der<br />

Beklagten ... gelten seit dem 01.04.2007 ... die tariflichen<br />

Bestimmungen des TV-V. Die Beklagte hat dem Kläger<br />

mit Schreiben vom 29.03.2007 mitgeteilt, er werde in die<br />

Entgeltgruppe 8 Stufe nach dem TV-N eingruppiert. ... Der<br />

Kläger ist der Auffassung, nach dem Gr<strong>und</strong>satz der Tarifeinheit<br />

gelte für sein mit der Beklagten bestehendes Arbeitsverhältnis<br />

der TV-V.<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

1. Ob § 2 des Arbeitsvertrags des Klägers als Gleichstellungsabrede<br />

wirkt, kann letztlich dahinstehen. Wäre die Vertragsklausel<br />

als statische Verweisung auf den BAT zu verstehen, ergäbe<br />

sich daraus jedenfalls nicht die vom Kläger gewünschte<br />

Rechtsfolge einer Anwendbarkeit des TV-V, ...<br />

2. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers verstößt es<br />

nicht gegen den Gleichheits-gr<strong>und</strong>satz, wenn im Betrieb<br />

der Beklagten für Arbeitnehmer, die im Center „Verkehr“<br />

beschäftigt sind, der TV-N Anwendung findet, während<br />

hinsichtlich der übrigen mit der Beklagten bestehenden<br />

Arbeitsverhältnisse der TV-V gilt. Zwar sind auch Tarifvertragsparteien<br />

verpflichtet, den Gleichheitssatz des Art. 3<br />

Abs. 1 GG zu beachten. Allerdings folgt nicht aus jeder<br />

Ungleichbehandlung schon eine Verletzung des allgemeinen<br />

Gleichheitssatzes. Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung<br />

zwischen unterschiedlich behandelten Gruppen<br />

von Normadressaten müssen Unterschiede von solcher Art<br />

<strong>und</strong> solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung<br />

rechtfertigen (BAG, Urteil vom 12.10.2004 – 3<br />

AZR 571/03 = NZA 2005, 1127 ff.). Der Schutzbereich des<br />

allgemeinen Gleichheitssatzes ist dann nicht eröffnet, wenn<br />

die Vergleichsfälle verschiedenen Ordnungsbereichen angehören<br />

<strong>und</strong> damit in anderen systematischen Gesamtzusammenhängen<br />

stehen. Der allgemeine Gleichheitssatz enthält<br />

kein verfassungsrechtliches Gebot, ähnliche Sachverhalte in<br />

verschiedenen Ordnungsbereichen gleich zu regeln bzw. zu<br />

behandeln. Die Anforderungen an eine gleichheitsgerechte<br />

Behandlung einzelner Personengruppen beinhaltet zwar auch<br />

AE200901.PDF 74 17.02.2009 12:08:10


eine Systemgerechtigkeit, d.h. ein hinreichendes Maß an<br />

folgerichtiger Wertung, jedoch nur innerhalb des gleichen<br />

Ordnungsbereichs (BAG, Urteil vom 03.12.1997 – 10 AZR<br />

563/96 = NZA 1998, 438 ff.).<br />

Auf den vorliegenden Fall angewendet ist festzustellen, dass<br />

die Tarifvertragsparteien sich dafür entschieden haben, die<br />

bisher einheitlichen Tarifverträge im Bereich des öffentlichen<br />

Dienstes für die Beschäftigten von Versorgungsbetrieben<br />

durch den Spartentarifvertrag TV-V <strong>und</strong> für die Beschäftigten<br />

in Nahverkehrsbetrieben durch den Spartentarifvertrag TV-N<br />

abzulösen. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes<br />

vermag die Kammer in diesem Vorgang nicht zu erblicken. ...<br />

3. Die Klage könnte daher nur dann erfolgreich sein, wenn<br />

nach dem Gr<strong>und</strong>satz der Tarifeinheit der Spartentarifvertrag<br />

TV-N im-Betrieb der Beklagten zugunsten der Anwendbarkeit<br />

des TV-V zurücktreten müsste, wie dies der Kläger meint. Dies<br />

ist jedoch nicht der Fall. Nach dem Gr<strong>und</strong>satz der Tarifeinheit<br />

gilt, dass alle Arbeitsverhältnisse im Betrieb gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nach demselben Tarifvertrag geordnet werden sollen (BAG,<br />

Urteil vom 29.03.1957 – 1 AZR 208/55 = AP Nr. 4 zu § 4 TVG<br />

Tarifkonkurrenz).<br />

Für das vorliegende Verfahren kann dahinstehen, ob an dem<br />

Prinzip der Tarifeinheit festzuhalten ist, denn auch unter Zugr<strong>und</strong>elegung<br />

der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

kann die vorliegende Klage nicht erfolgreich sein. Der Gr<strong>und</strong>satz<br />

der Tarifeinheit gilt nämlich nicht uneingeschränkt.<br />

Zunächst ist es seit langem anerkannt, dass der Gr<strong>und</strong>satz<br />

der Tarifeinheit dann nicht gilt, wenn in einem Betrieb mehrere<br />

selbstständige Betriebsteile existieren, für die jeweils eigenständige<br />

tarifliche Regelungen gelten. Selbstständige Betriebsabteilungen<br />

sind Abteilungen, die bezogen auf einen<br />

konkreten Gesamtbetrieb eine personelle Einheit darstellen,<br />

organisatorisch abgrenzbar sind, über eigene technische Betriebsmittel<br />

verfügen sowie einen spezifischen Eigenzweck<br />

verfolgen. Darüber hinaus ist eine deutliche räumliche <strong>und</strong> organisatorische<br />

Abgrenzung sowie ein besonders ausgeprägter<br />

arbeitstechnischer Zweck erforderlich (BAG, Urteil vom<br />

11.09.1991 – 4 AZR 40/91 = AP Nr. 145 zu § 1 TVG Tarifverträge<br />

Bau; BAG, Urteil vom 26.09.2007 – 10 AZR 415/06 = NZA 2007,<br />

1442 ff.; BAG, Urteil vom 03.02.1965 – 4 AZR 461/63 = AP<br />

Nr. 11 zu § 4 TVG Geltungsbereich). ...<br />

Diese vorgenannten Voraussetzungen für eine selbstständige<br />

Betriebsabteilung, sind im vor-liegenden Fall erfüllt. Der Center<br />

„Verkehr“ der Beklagten verfügt über eigene technische<br />

Betriebsmittel, nämlich die Linienbusse nebst Zubehör, verfolgt<br />

einen eigenen spezifischen Zweck, nämlich die Durchführung<br />

des öffentlichen Personennahverkehrs im Gebiet der<br />

Stadt H, ist personell, räumlich <strong>und</strong> organisatorisch abgegrenzt.<br />

... Dagegen spricht nicht, dass es daneben zentralisierte<br />

Bereiche, etwa in der Personalverwaltung, der Datenverarbeitung,<br />

der Öffentlichkeitsarbeit <strong>und</strong> dem Einkauf gibt.<br />

Nach Auffassung der Kammer steht dies der Annahme einer<br />

selbständigen Betriebsabteilung ebenso wenig entgegen, wie<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

die vom Kläger vorgetragene Aufgabenvermischung bei drei<br />

einzelnen Arbeitnehmern.<br />

Außerdem ist mit der neueren Rechtsprechung des BAG davon<br />

auszugehen, dass das Prinzip der Tarifeinheit jedenfalls<br />

in Fällen der gewillkürten Tarifpluralität nicht gilt (BAG, Urteil<br />

vom 11.02.2004 – 4 AZR 94/03 – juris). Wie die Anwendungsvereinbarung<br />

vom 26.03.2007 einerseits <strong>und</strong> der Tarifvertrag<br />

zur Einführung des TV-V vom selben Tag andererseits eindeutig<br />

belegen, waren sich die Tarifvertragsparteien darüber im<br />

Klaren, dass ab dem 01.04.2007 im Betrieb der Beklagten zwei<br />

sich hinsichtlich der Regelungsgegenstände überschneidende<br />

Tarifverträge nebeneinander Geltung beanspruchen würden.<br />

Eben dies war ihre erklärte Absicht, wie insbesondere in Ziffer<br />

II des Einführungstarifvertrags vom 26.03.2007 zum Ausdruck<br />

kommt. Da somit im vorliegenden Fall der Eintritt der Tarifpluralität<br />

vom Willen der Tarifvertragsparteien getragen war,<br />

bedarf es keiner Entscheidung mehr darüber, ob für konkurrierende<br />

Tarifverträge, die jeweils von denselben Tarifvertragsparteien<br />

abgeschlossen wurden, der Gr<strong>und</strong>satz der Tarifeinheit<br />

überhaupt gilt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />

vom 12. August 2008, 4 Sa 227/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klemens Rütte, Marker Allee 48,<br />

59063 Hamm, Tel.: 02381/13434, Fax: 02381/13433<br />

info@rae-stallmeister.de; www.rae-stallmeister.de<br />

85. Tarifvertragsbindung, Betriebsübergang, Kündigungsrecht<br />

nach Transformation<br />

1. Die Ablösung eines vor dem Betriebsübergang normativ<br />

geltenden Tarifvertrages (§ 3 Abs. 1 TVG) durch einen „anderen<br />

Tarifvertrag“ i. S. von § 613a Abs. 1 S. 3 BGB setzt die kongruente<br />

Tarifgeb<strong>und</strong>enheit des Betriebswerbers <strong>und</strong> des Arbeitnehmers<br />

voraus (vgl. BAG, vom 30.08.2000, 4 AZR 581/99 –<br />

EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 13).<br />

2. Ein nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB individualrechtlich fortgeltender<br />

Tarifvertrag kann auf Arbeitgeberseite nur durch<br />

den Betriebsveräußerer auf Arbeitnehmerseite allenfalls durch<br />

sämtliche von der Weitergeltung der Tarifnormen betroffenen<br />

Arbeitnehmer gekündigt werden.<br />

■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 14. Februar 2008, 11 Sa 1922/07, Revision eingelegt zum<br />

AZ 4 AZR 280/08<br />

Sonstiges<br />

86. Anhörungsrüge gegen LAG-Urteil<br />

Eine Anhörungsrüge gemäß § 78a ArbGG ist gegen Urteile<br />

des Landesarbeitsgerichts in Klageverfahren wegen der<br />

Möglichkeit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde<br />

gemäß § 72a ArbGG gr<strong>und</strong>sätzlich auch dann unstatthaft,<br />

wenn das Landesarbeitsgericht die Revision nicht zugelassen<br />

hat.<br />

AE200901.PDF 75 17.02.2009 12:08:10<br />

75


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

■ Landesarbeitsgericht Bremen<br />

vom 11. Juni 2008, 3 Sa 110/07, rkr.<br />

87. Arbeitnehmerüberlassung, Verstoß gegen Schriftformerfordernis,<br />

zur Haftung des Verleihers bei Schlechtleistung<br />

des Leiharbeitnehmers, Entreicherung<br />

Tatbestand:<br />

Die Klägerin, die eine Arbeitnehmerüberlassung betreibt, unterbreitete<br />

unter Nennung eines konkreten St<strong>und</strong>enverrechnungssatzes<br />

dem Beklagten ein von ihm erbetenes Angebot<br />

für einen Heizungsmonteur zur Ausführung von Schweißarbeiten.<br />

Der Beklagte forderte aufgr<strong>und</strong> dieses Angebotes von<br />

der Klägerin dann einen bestimmten Mitarbeiter an, denn diesen<br />

kannte der Beklagte von früher, weil er im selben Betrieb<br />

wie er gelernt hatte <strong>und</strong> der nach Kenntnis des Beklagten<br />

als Heizungsmonteur bei der Klägerin tätig war. Den ihm zugesandten<br />

Arbeitnehmerüberlassungsvertrag unterzeichnete<br />

der Beklagte nicht, nahm aber gleichwohl die Dienste des<br />

Mitarbeiters in Anspruch. Die erbrachten Arbeitsst<strong>und</strong>en wurden<br />

von der Klägerin abgerechnet. Die Rechnung beglich der<br />

Beklagte nicht, da er der Ansicht war, dass der entliehene<br />

Mitarbeiter mangelhaft gearbeitet habe. Im Prozess erkannte<br />

er einen Teil der Klageforderung an. Wegen des über das Anerkenntnis<br />

hinausgehenden Betrages verteidigte er sich mit<br />

fehlender Bereicherung, da die Beseitigung dervon dem entliehenen<br />

Mitarbeiter verursachten Schäden geraume Arbeitszeit<br />

eigener Mitarbeiter in Anspruch genommen hätte, mit der<br />

entsprechend gegengerechnet wurde. Die Klägerin bestritt<br />

die Schlechtleistung ihres Mitarbeiters. Dieser würde seit r<strong>und</strong><br />

30 Jahren als Heizungsmonteur <strong>und</strong> seit fünf Jahren für die<br />

Klägerin arbeiten <strong>und</strong> habe in dieser Zeit nie Anlass für K<strong>und</strong>enbeschwerden<br />

gegeben. Er verfüge über einen Schweißerpass<br />

<strong>und</strong> ein Facharbeiterzeugnis, u.a. für Rohrleitungs- <strong>und</strong><br />

Behälterbau.<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch über<br />

das Anerkenntnis des hinausgehenden weiteren Betrages aus<br />

§ 812 I 1 BGB gegen den Beklagten zu.<br />

Unstreitig hat der Beklagte die Dienste des von der Klägerin<br />

überlassenen Arbeitnehmers in Anspruch genommen, ohne<br />

dass die Parteien einen schriftlichen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag<br />

geschlossen hätten. Ein mündlicher Vertrag<br />

mag zwar vorliegen; dieser ist jedoch formungültig, weil § 12<br />

I AÜG die Schriftform vorschreibt.<br />

Der Beklagte ist mangels eines Vertrages, also eines Rechtsgr<strong>und</strong>es<br />

für das Behaltendürfen, gr<strong>und</strong>sätzlich zur Herausgabe<br />

des Erlangten verpflichtet. Da die Arbeitsleistung nach<br />

ihrer Erbringung nicht herausgegeben werden kann, muss<br />

der Wert für die Überlassung des Arbeitnehmers im besagten<br />

Umfang ersetzt werden, § 812 I 1 i.V.m. § 818 II BGB. Der Wert<br />

entspricht dem, was der Beklagte üblicherweise bei einem<br />

wirksamen Vertrag für die Arbeitsleistung zu zahlen hätte. Dabei<br />

ist davon auszugehen, dass der ursprünglich eingeklagte<br />

76 01/09<br />

Betrag auch der üblichen Vergütung entspricht. Die sonst vereinbarte<br />

Vergütung stellt dabei zugleich die Obergrenze des<br />

Wertes dar (vgl. BGH NJW 2000, 1560). Dass der Arbeitnehmer<br />

die abgerechneten St<strong>und</strong>en erbracht hat <strong>und</strong> der St<strong>und</strong>ensatz<br />

üblich <strong>und</strong> angemessen ist, hat der Beklagte auch nicht<br />

bestritten.<br />

Ein Anspruch der Klägerin steht § 814 BGB nicht entgegen.<br />

Danach kann derjenige, der eine Leistung erbringt, obwohl<br />

er weiß, dass er dazu nicht verpflichtet war, das Geleistete<br />

nicht zurückfordern. § 814 BGB ist in vorliegendem Fall nicht<br />

anzuwenden, denn die Klägerin hat die Leistung in Erwartung<br />

der Heilung der Formnichtigkeit erbracht, da sie damit<br />

rechnete, dass der Beklagte den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag<br />

noch unterzeichnen würde (vgl. BGH NJW 1999, 2892).<br />

Die Beklagte war nicht entreichert, § 818 III BGB. Wenn<br />

keine Bereicherung mehr vorliegt, entfällt die Herausgabebzw.<br />

Wertersatzpflicht. Dabei ist die Frage, ob der Bereicherungsschuldner<br />

(hier der Beklagte) bei Aufwendungen im<br />

Zusammenhang mit der Bereicherung diese bereicherungsmindernd<br />

geltend machen kann, danach zu entscheiden,<br />

wer nach den Vorschriften des fehlgeschlagenen Geschäfts<br />

das Entreicherungsrisiko zu tragen hätte (vgl. BGH NJW<br />

1998, 2529). Dieses Risiko trägt hier der Beklagte. Denn<br />

der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag ist kein Dienst- oder<br />

Werkvertrag, wonach der Dienstverpflichtete zur Erbringung<br />

fehlerfreier Dienste bzw. Werkleistungen verpflichtet ist. Bei<br />

Vorliegen eines solchen Vertrages würde das Risiko, dass der<br />

Leistungserbringer eine mangelbehaftete Leistung abliefert,<br />

der Verpflichtete tragen (z.B. wegen der Gewährleistungsrechte<br />

des Bestellers in § 634 BGB). Bei dem vorliegend<br />

beabsichtigten Arbeitnehmerüberlassungsvertrag handelt<br />

es sich dagegen um einen Vertrag, der die Klägerin (nur)<br />

zur Überlassung eines für die angegebenen Zwecke des<br />

Entleihers geeigneten Arbeitnehmers verpflichtet. Aus dem<br />

beabsichtigten Vertrag ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin<br />

für Fehler ihrer entsprechend den K<strong>und</strong>enwünschen korrekt<br />

ausgewählten Arbeitnehmer haften müsste. Der Arbeitnehmer<br />

hat den Anweisungen des Entleihers Folge zu leisten <strong>und</strong><br />

die Arbeiten dementsprechend auszuführen. Er ist insofern<br />

wie ein eigener Arbeitnehmer des Entleihers tätig; dieser<br />

muss lediglich keinen eigenen Anstellungsvertrag mit dem<br />

Arbeitnehmer schließen. Der Verleiher hat während der<br />

Dauer des Leiharbeitsverhältnisses keine Weisungsbefugnis<br />

inhaltlicher Art gegenüber dem überlassenen Arbeitnehmer.<br />

Das Risiko der fehlerhaften Ausführung der Arbeit trägt der<br />

Entleiher daher so wie bei einem eigenen Angestellten.<br />

Eine fehlerhafte Auswahl des überlassenen Arbeitnehmers,<br />

die allein zu einer Risikotragung der Klägerin führen würde,<br />

liegt nicht vor. Der Beklagte hat ausdrücklich einen bestimmten<br />

Arbeitnehmer angefordert. Damit hat er das Risiko der<br />

Verwendung übernommen. Unerheblich ist, ob er tatsächlich<br />

dessen Qualifikation genauestens kannte oder nicht. Wenn er<br />

eine konkrete Person verlangt, gibt er damit zu verstehen,<br />

dass es ihm auf die Qualifikation nicht explizit ankommt. Die<br />

AE200901.PDF 76 17.02.2009 12:08:10


Anforderung dieses Mitarbeiters beruht auch nicht auf einem<br />

Irrtum über dessen Qualifikation. In dem Fall könnte anzunehmen<br />

sein, dass es dem Beklagten nicht in erster Linie auf<br />

die Person ankam, sondern darauf, einen Heizungsmonteur<br />

auszuleihen, <strong>und</strong> da er den Mitarbeiter kannte, sich für diesen<br />

entschieden hat. Der Beklagte ist aber nicht durch die Klägerin<br />

über die Qualifikation des Arbeitnehmers getäuscht worden.<br />

Nach dem Vortrag der Klägerin hat dieser eine langjährige<br />

Erfahrung mit der Arbeit als Heizungsmonteur. Ob er nun die<br />

Berufsbezeichnung „Heizungsmonteur“ tragen oder sich nur<br />

„Schweißer oder Maschinen- <strong>und</strong> Anlagemonteur“ nennen<br />

darf, ist angesichts dieser Berufspraxis von untergeordneter<br />

Bedeutung.<br />

Auf die Fragen, ob die Leistungen des Arbeitnehmers tatsächlich<br />

mangelhaft waren <strong>und</strong> ob dies auf sein eigenes Verhalten<br />

oder eine unzureichende Einweisung zurückzuführen ist,<br />

kommt es danach nicht an.<br />

Der Beklagte hat die Bereicherung in vollem Umfang, also<br />

über das Anerkenntnis hinaus, herauszugeben.<br />

■ Amtsgericht Berlin Mitte<br />

vom 19. November 2008, 11 Ca 134/08<br />

eingereicht <strong>und</strong> formuliert von Rechtsanwalt Heiner Willems,<br />

Steinplatz 1,10623 Berlin,<br />

Tel.: 030 / 31 50 67 – 47, Fax: 030 / 31 50 67 – 49<br />

willems@lsrw.de; www.lsrw.de<br />

88. Berufung, Verwerfung als unzulässig bei Säumnis in<br />

der mündlichen Verhandlung<br />

Ein Urteil, durch das bei Säumnis des Berufungsführers in der<br />

mündlichen Verhandlung die Berufung als unzulässig verworfen<br />

wird, ergeht als unechtes Versäumnisurteil, gegen das ein<br />

Einspruch nicht zulässig ist.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 17. August 2007, 4 Sa 359/07<br />

89. Brutto- <strong>und</strong> Nettoentgeltforderungen<br />

Eine Entgeltforderung ist nicht schlüssig dargelegt, wenn in<br />

einer Entgeltaufstellung unzulässigerweise Brutto- <strong>und</strong> Nettoforderungen<br />

miteinander verrechnet <strong>und</strong> aufgerechnet werden<br />

(im Anschluss an BAG, Urteil vom 15.03.2005 – 9 AZR<br />

502/03, NZA 2005, 682 ff.).<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 18. Februar 2008, 14 Sa 1029/07<br />

90. Elterngeld, Bemessung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BEEG,<br />

Modifizierung des Zuflussprinzips, Steuerklassenwechsel<br />

Aus den Entscheidungsgründen:<br />

Die Klage ist zulässig <strong>und</strong> begründet. ...<br />

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 BEEG wird Elterngeld in Höhe von<br />

(mindestens) 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor<br />

der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen<br />

Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag<br />

von 1.800,00 € monatlich für volle Monate gezahlt, in denen<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

die berechtigte Person kein Erwerbseinkommen erzielt. Da die<br />

Klägerin als berechtigte Person ab 19.09.2007 Mutterschaftsgeld<br />

bezogen hat, bleiben gemäß § 2 Abs. 7 Satz 5 <strong>und</strong> 6<br />

BEEG die Monate September <strong>und</strong> Oktober 2007 bei der Bestimmung<br />

der zwölf zugr<strong>und</strong>e zu legenden Kalendermonate<br />

vor der Geburt unberücksichtigt. Maßgeblicher Bemessungszeitraum<br />

für die Berechnung des Elterngeldes der Klägerin<br />

sind also die zwölf Kalendermonate von September 2006 bis<br />

August 2007. Das nach § 2 Abs. 1 BEEG maßgebliche „Einkommen“,<br />

von dem in der Regel 67 % den Elterngeldbetrag<br />

ergeben, ist ein Nettoeinkommen. Dies ergibt sich vorliegend<br />

aus § 2 Abs. 7 BEEG. Danach ist als Einkommen aus nichtselbstständiger<br />

Arbeit der Überschuss der Einnahmen über<br />

die pauschal abzusetzenden Werbungskosten, die um die auf<br />

dieses Einkommen entfallenden Steuern <strong>und</strong> die aufgr<strong>und</strong><br />

dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge in Höhe des<br />

gesetzlichen Anteils der beschäftigten Person einschließlich<br />

der Beiträge zur Arbeitsförderung zu vermindern sind, zu berücksichtigen<br />

(Satz 1). Sonstige Bezüge im Sinne von § 38a<br />

Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes werden nicht als<br />

Einnahmen berücksichtigt (Satz 2); dies sind die so genannten<br />

Einmalzahlungen. Als auf die Einnahmen entfallenden Steuern<br />

gelten die abgeführte Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag<br />

<strong>und</strong> Kirchensteuer (Satz 3). Gr<strong>und</strong>lage der Einkommensermittlung<br />

sind die entsprechenden monatlichen Lohn<strong>und</strong><br />

Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers (Satz 4).<br />

Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig, als<br />

zum einen bei der Bemessung des Elterngeldes das Erwerbseinkommen<br />

für August 2007, zum anderen der Steuerklassenwechsel<br />

ab Juli 2007 nicht berücksichtigt worden ist.<br />

Die vom Beklagten unter Hinweis auf eine Durchführungsanweisung<br />

der Bezirksregierung Münster vom 31.08.2007 vertretene<br />

Auffassung, dass nur tatsächlich (jedenfalls im Kalenderjahr<br />

des maßgeblichen Lohnabrechnungszeitraums) zugeflossenes<br />

Arbeitsentgelt zur Bemessung des Elterngeldes herangezogen<br />

werden könne, findet weder im BEEG, noch in<br />

der Begründung des Gesetzgebers zum BEEG, noch in den<br />

vom B<strong>und</strong>esministerium für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend<br />

herausgegebenen „Richtlinien zum BEEG“ eine Stütze.<br />

Das B<strong>und</strong>essozialgericht (BSG) hat bereits für andere Sozialleistungen<br />

(Unterhaltsgeld, Arbeitslosengeld, Krankengeld) das<br />

strenge Zuflussprinzip, das ein „Erzielen“ von Arbeitsentgelt<br />

nur dann anerkannte, wenn es im Bemessungszeitraum nicht<br />

nur erarbeitet, sondern auch tatsächlich zugeflossenen war,<br />

modifiziert. Danach ist bei der Bemessung dieser Sozialleistungen<br />

auch zunächst vorenthaltenes Arbeitsentgelt zu berücksichtigen,<br />

das für den maßgeblichen Bemessungszeitraum bei<br />

Verzug des Arbeitgebers zur nachträglichen Vertragserfüllung<br />

zugeflossen ist (BSG, Urteile vom 28.06.1995 -7 RAr 102/94 =<br />

BSGE 76, 162 = SozR 3-4100 § 112 Nr. 22; vom 21.03.1996-11<br />

RAr 101/94 = BSGE 78, 109 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 48 <strong>und</strong> vom<br />

30.05.2006 –B1KR19/05 R = BSGE 96, 246 = SozR 4-2500 § 47<br />

Nr. 4). Dies gilt auch für die Berechnung des Elterngeldes.<br />

Das Elterngeld ist eine – nach oben begrenzte – Lohnausfall-<br />

AE200901.PDF 77 17.02.2009 12:08:10<br />

77


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

leistung für das erste Lebensjahr des Kindes. Wenn der Gesetzgeber<br />

insoweit auf das durchschnittlich in den zwölf Kalendermonaten<br />

vor der Geburt „erzielte“ (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1<br />

BEEG) Einkommen abstellt, ist jedenfalls auch solches Arbeitsentgelt<br />

zu berücksichtigen, das dem Elterngeldberechtigten<br />

im Bemessungszeitraum zugestanden hat, weil er es erarbeitet<br />

hat, <strong>und</strong> ihm aufgr<strong>und</strong> Verzugs des Arbeitnehmers nicht<br />

zeitnah zugeflossen, sondern erst nachträglich gezahlt <strong>und</strong><br />

abgerechnet worden ist. Wäre die Rechtsauffassung des Beklagten<br />

zutreffend, so würden Erziehungsgeldberechtigte, die<br />

ihr Arbeitsentgelt arbeitsvertragswidrig nicht zeitnah erhalten<br />

<strong>und</strong> erst in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren erstreiten<br />

müssen, zusätzlich „bestraft“, wenn sie aufgr<strong>und</strong> dieses Fehlverhaltens,<br />

des Arbeitgebers niedrigeres Elterngeld erhielten.<br />

Dieses Ergebnis wäre auch nicht mit der Intention des Gesetzgebers<br />

des BEEG vereinbar, durch das Elterngeld Familien bei<br />

der Sicherung ihrer Lebensgr<strong>und</strong>lagen zu unterstützen, wenn<br />

sich die Eltern vorrangig um die Betreuung ihrer Kinder kümmern,<br />

<strong>und</strong> dazu beizutragen, dass es beiden Elternteilen auf<br />

Dauer besser, gelingt ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern.<br />

Bei der Berechnung des Elterngeldes war desweiteren auch<br />

der ab Juli 2007 vorgenommene Steuerklassenwechsel zu berücksichtigen.<br />

Bis Juni 2007 war die Klägerin in Steuerklasse I.<br />

Wohl aufgr<strong>und</strong> ihrer Eheschließung, aber auch weil das Nettoarbeitsentgelt<br />

ihres Ehemannes höher ausfallen sollte, erfolgte<br />

der Steuerklassenwechsel. Dieser war beachtlich. Denn<br />

nach § 2 Abs. 7 Satz 3 BEEG ist u.a. die „abgeführte“, also<br />

die tatsächlich entrichtete Lohnsteuer maßgeblich. Ein Lohnsteuerklassenwechsel<br />

wäre selbst dann beachtlich <strong>und</strong> nicht<br />

rechtsmissbräuchlich, wenn – wofür hier allerdings keine Anhaltspunkte<br />

vorliegen – allein mit dem Ziel erfolgt wäre, später<br />

höheres Elterngeld zu erhalten (vgl. dazu ausführlich das<br />

Urteil der Kammer vom 23.09.2008 –S 13 EG 36/07).<br />

■ Sozialgericht Aachen<br />

vom 23. September 2008, S 13 EG 10/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Volker Thiele, Oberstraße 1/<br />

Jesuitengasse 2, 52349 Düren,<br />

Tel.: 02421/13040, Fax: 02421/17469<br />

info@fachanwalt-thiele.de; www.fachanwalt-thiele.de<br />

91. Kostenerstattung Anwaltskosten, unzuständiges Gericht<br />

Nach § 12a I 3 ArbGG gilt Satz 1 nicht für Kosten, die dem<br />

Beklagten dadurch entstehen, dass der Kläger ein Gericht<br />

der ordentlichen Gerichtsbarkeit angerufen <strong>und</strong> dieses den<br />

Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen hat. Für die Kosten<br />

ist die Erstattung vielmehr durch § 46 II 1 ArbGG i. V. mit<br />

§ 91 ZPO geregelt.<br />

§ 12a I 3 ArbGG ist nicht zu entnehmen, dass erstattungsfähig<br />

nur die Differenz zwischen den Kosten sei, die dem Beklagten<br />

im Rechtsstreit tatsächlich entstanden sind <strong>und</strong> denjenigen,<br />

die ihm bei sofortiger Anrufung des zuständigen Gerichts entstanden<br />

wären. Diese Rechtsauffassung hat den Wortlaut der<br />

78 01/09<br />

Norm gegen sich. § 12a I 3 ArbGG spricht nicht von „Mehrkosten“,<br />

sondern von Kosten, die dem Beklagten dadurch<br />

entstanden sind, dass der Kläger ein Gericht der ordentlichen<br />

Gerichtsbarkeit, der allgemeinen Verwaltungs-gerichtsbarkeit,<br />

der Finanz- <strong>und</strong> Sozialgerichtsbarkeit angerufen <strong>und</strong> dieses<br />

den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen hat (ebenso<br />

BAG, v. 1. 11. 2004, NZA 2005, 429).<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 3. Januar 2008, 8 Ta 377/07<br />

92. Kostenfestsetzung, außergebührenrechtlicher Einwand<br />

Erhebt ein Rechtsanwalt für einen Arbeitnehmer Klage gegen<br />

eine ordentliche Kündigung <strong>und</strong> gründet er während der<br />

Kündigungsfrist ein Konkurrenzunternehmen für den Arbeitnehmer<br />

trotz des für diesen noch geltenden Wettbewerbsverbots<br />

<strong>und</strong> erfolgt sodann eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses<br />

durch den Arbeitgeber, so kann der Arbeitnehmer<br />

einen Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsanwalt<br />

haben, mit der er auch gegen den Gebührenanspruch des<br />

Rechtsanwalts aus dem Kündigungsschutzprozess aufrechnen<br />

kann.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 12. Dezember 2007, 5 Ta 334/07<br />

93. Kostenfestsetzungsbeschluss, Kostengr<strong>und</strong>entscheidung,<br />

Urteilsberichtigung<br />

1. Formell rechtskräftige Urteilsberichtigungsbeschlüsse<br />

können nicht im Kostenfestsetzungsverfahren darauf überprüft<br />

werden, ob die Grenzen des § 319 ZPO eingehalten<br />

worden sind.<br />

2. Ein Urteilstenor kann um den versehentlich unterb<strong>liebe</strong>nen<br />

Kostenausspruch nach § 319 ZPO ergänzt werden, wenn<br />

die Kostenentscheidung in den Entscheidungsgründen behandelt<br />

worden ist. Es bedarf keiner Ergänzung nach § 321<br />

ZPO.<br />

3. Eine Anhörung der Parteien vor Erlass eines Urteilsberichtigungsbeschlusses<br />

ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich,<br />

wenn reine Formalien wie etwa ein Schreib- oder Rechenfehler<br />

berichtigt werden, ohne dass ein Eingriff in die Rechtsstellung<br />

einer Partei oder gar eine Schlechterstellung erfolgt.<br />

4. Berichtigungsbeschlüsse werden bereits dann existent,<br />

wenn sie der Partei formlos, z. B. durch telefonischen Anruf<br />

der Geschäftsstellenverwalterin, mitgeteilt worden sind.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 12. Dezember 2007, 5 Ta 344/07<br />

94. Kostenfestsetzung, Ratenzahlungsvereinbarung<br />

Wird von der Partei lediglich das (unwirksame) Zustandekommen<br />

einer Ratenzahlungsvereinbarung vorgetragen <strong>und</strong><br />

keine weiteren Einwendungen gegen die Kostenfestsetzung<br />

vorgebracht, ist dem Kostenfestsetzungsantrag stattzugeben.<br />

Eine wirksame Ratenzahlungsvereinbarung hindert die<br />

AE200901.PDF 78 17.02.2009 12:08:10


Vollstreckbarkeit, nicht aber den Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 2. April 2008, 2 Ta 56/08<br />

95. Kostenprivilegierung, Beendigung des Verfahrens, Ruhen,<br />

Erledigung<br />

Voraussetzung für eine Kostenprivilegierung nach Anmerkung<br />

2 zu Nr. 8210 KV GKG ist die endgültige prozessuale<br />

Erledigung des Verfahrens. Das bloße Nichtbetreiben eines<br />

Verfahrens über einen Zeitraum von 6 Monaten genügt nicht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 22. April 2008, 3 Ta 215/07<br />

96. Kündigungsschutzklage, Aussetzung, vorgreiflicher<br />

Rechtsstreit<br />

Klagt ein Arbeitnehmer auf Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis<br />

nach § 613a BGB auf eine andere Arbeitgeberin<br />

übergegangen ist, <strong>und</strong> kündigt während dieses Rechtsstreits<br />

die bisherige Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis, so kann es<br />

ermessensfehlerhaft sein, wenn das Gericht den Kündigungsrechtsstreit<br />

bis zum rechtskräftigen Abschluss des Feststellungsprozesses<br />

aussetzt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 11. Dezember 2007, 5 Ta 282/07<br />

97. (Kein) Ordnungsgeld gegen Partei, wenn Entschuldigung<br />

des Nichterscheinens nicht zu vertreten ist<br />

Aus den Gründen:<br />

Zwar hat das Arbeitsgericht die Klägerin zum Kammertermin<br />

am 20.05.2008 ordnungsgemäß zum persönlichen Erscheinen<br />

geladen. Die Klägerin ist gleichwohl zum Termin nicht erschienen.<br />

Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes ist jedoch<br />

ermessensfehlerhaft. ...<br />

Die Klägerin hat ihr Fehlen nunmehr hinreichend entschuldigt.<br />

Zwar bestanden zu Recht erhebliche Zweifel aufgr<strong>und</strong><br />

der bisher vorgelegten Unterlagen bezüglich der Verhinderung<br />

der Klägerin. ... (Es) wurde jedoch eine ärztliche Bestätigung<br />

... eingereicht, dass sich die Klägerin in der Zeit vom<br />

15.05.2008 bis 21.05.2008 in stationärer Behandlung bef<strong>und</strong>en<br />

hat, so dass sie zum Termin nicht erscheinen konnte.<br />

Zwar wäre es der Klägerin möglich gewesen, den Hinderungsgr<strong>und</strong><br />

bereits vor dem Termin dem Arbeitsgericht mitzuteilen,<br />

wozu sie auch verpflichtet gewesen wäre.<br />

Die Klägerin hat aber ausweislich der eingereichten Unterlagen<br />

ihren Prozessbevollmächtigten über ihre Verhinderung<br />

unterrichtet, der dieses jedoch an das Gericht nicht weitergegeben<br />

hat. Die Nichtweitergabe durch den Prozessbevollmächtigten<br />

war pflichtwidrig, da dieser das Gericht im Vorfeld<br />

auf das Nichterscheinen der Klägerin hätte hinweisen müssen.<br />

Die Klägerin ihrerseits hatte damit aus ihrer Sicht alles<br />

getan, um ihr Erscheinen zu entschuldigen. Das Verschulden<br />

des Prozessvertreters ist der Partei jedoch nicht gemäß § 85<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Abs. 2 ZPO hinzuzurechnen. Das Nichterscheinen zum Termin<br />

trotz Ladung zum persönlichen Erscheinen ist ein persönliches<br />

Fehlverhalten der Partei <strong>und</strong> hat mit der Wirkung der<br />

Prozessvollmacht gemäß § 85 ZPO nichts zu tun.<br />

Nach alledem kann der Klägerin insgesamt ein persönliches<br />

Fehlverhalten nicht vorgeworfen werden, so dass der Ordnungsgeldbeschluss<br />

aufzuheben ist.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 25. November 2008, 16 Ta 411/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Christian Puhr-Westerheide,<br />

Beethovenstraße 21, 47226 Duisburg, Tel.: 02065/3000-0,<br />

Fax: 02065/3000-50<br />

info@ra-npp.de; www.ra-npp.de<br />

98. Örtliche Zuständigkeit, Verweisungsbeschluss, Bindungswirkung,<br />

„greifbare Gesetzwidrigkeit“, Außendienstmitarbeiter,<br />

rechtliches Gehör<br />

Es liegt kein die Bindungswirkung eines arbeitsgerichtlichen<br />

Verweisungsbeschlusses in Frage stellender Fall einer „greifbaren<br />

Gesetzwidrigkeit“ vor, wenn das Arbeitsgericht bei<br />

der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit für die Klage<br />

eines Außerdienstmitarbeiters in Übereinstimmung mit einer<br />

in Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur verbreiteten Meinung von<br />

einer früheren Entscheidung des BAG abweicht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 22. November 2007, 7 Ta 309/07<br />

99. Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, maßgeblicher<br />

Zeitpunkt<br />

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht<br />

i.S.d. § 114 ZPO ist der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des<br />

Prozesskostenhilfegesuchs.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 1. April 2008, 9 Ta 53/08<br />

100. Prozesskostenhilfe, Hinweispflicht, Zustellung einer<br />

fristgeb<strong>und</strong>enen Auflage<br />

1. Erinnert der Antragsteller das Gericht daran, über sein<br />

PKH-Gesuch zu entscheiden, so entspricht es nicht dem Gebot<br />

der prozessualen Fairness, eine sofortige Entscheidung ohne<br />

Angaben von Gründen zu verweigern <strong>und</strong> sodann erst nach<br />

Instanzende auf einen nicht mehr behebbaren Mangel des<br />

Gesuchs hinzuweisen, der zur Zurückweisung des Gesuchs<br />

führen muss.<br />

2. Eine Aufforderung, die formgerechte Erklärung über die<br />

persönlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 117 II, III<br />

ZPO) binnen einer bestimmten Frist einzureichen, ist förmlich<br />

zuzustellen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 30. Januar 2008, 9 Ta 24/08<br />

AE200901.PDF 79 17.02.2009 12:08:10<br />

79


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

101. Prozesskostenhilfe, Insolvenz<br />

Liegen vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen<br />

der Prozesskostenhilfe beantragenden Partei sämtliche<br />

Bewilligungsvoraussetzungen vor, steht die Eröffnung des<br />

Insolvenzverfahrens einer PKH-Bewilligung nicht entgegen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 10. Juni 2008, 9 Ta 109/08<br />

102. Prozesskostenhilfe, Erwerbstätigenfreibetrag auch<br />

für Einkünfte unterhaltsberechtigter Personen<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

II. Nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2a ZPO ist vom Einkommen des<br />

Antragstellers auch für seinen Ehegatten ein Betrag in Höhe<br />

des um 10 vom H<strong>und</strong>ert erhöhten höchsten durch Rechtsverordnung<br />

nach § 28 Abs. 2 S. 1 des zwölften Buches Sozialgesetzbuch<br />

festgesetzten Regelsatzes für den Haushaltsvorstand<br />

abzusetzen; der aktuelle Freibetrag beläuft sich auf 382,00<br />

EUR. Im vorliegenden Fall ist dieser Freibetrag jedoch nicht<br />

in voller Höhe zu berücksichtigen, da die Ehefrau des Klägers<br />

über eigenes Einkommen in Höhe von monatlich 396,50 EUR<br />

verfügt. Die Unterhaltsfreibeträge sind nämlich gemäß § 115<br />

Abs. 1 S. 7 ZPO um das eigene Einkommen der unterhaltsberechtigten<br />

Person zu vermindern.<br />

Bei dieser Verminderung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht<br />

das volle monatliche Einkommen der Ehefrau des Klägers in<br />

Höhe von 396,50 EUR in Ansatz zu bringen, sondern lediglich<br />

ein Betrag von 222,50 EUR. Dies folgt daraus, dass nach<br />

Auffassung der Beschwerdekammer bei der Ermittlung des<br />

Einkommens der Ehefrau des Klägers ein Freibetrag in analoger<br />

Anwendung von § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b ZPO zu berücksichtigen<br />

ist. Nach dieser gesetzlichen Regelung ist vom<br />

Einkommen des Antragstellers bei Parteien, die ein Einkommen<br />

aus Erwerbstätigkeit erzielen, ein Betrag in Höhe von<br />

50 vom H<strong>und</strong>ert des höchsten durch Rechtsverordnung nach<br />

§ 28 Abs. 2 S. 1 des zwölften Buches Sozialgesetzbuch festgesetzten<br />

Regelsatzes für den Haushaltsvorstand abzusetzen.<br />

Die Vorschrift erfasst nach ihrem Wortlaut ausschließlich die<br />

Berechnung des Erwerbseinkommens des Antragstellers. Sie<br />

ist aber auf das Erwerbseinkommen eines Ehegatten im Zusammenhang<br />

mit § 115 Abs. 1 S. 7 ZPO entsprechend anzuwenden,<br />

da insoweit eine Gesetzeslücke besteht.<br />

Diese Gesetzeslücke wird offenbar, wenn die Rechtslage vor<br />

der Reform zum 01.04.2005 mit dem danach geltenden Recht<br />

verglichen wird <strong>und</strong> die Gesetzesmaterialien herangezogen<br />

werden um festzustellen, inwiefern der Gesetzgeber bewusst<br />

Änderungen herbeiführen wollte. Nach der alten Rechtslage<br />

verminderte sich gemäß § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 ZPO a. F. der<br />

Unterhaltsfreibetrag, der dem Antragsteller für seinen Ehegatten<br />

oder Lebenspartner einzuräumen war, um dessen eigenes<br />

Einkommen. Dabei wurde, ausgehend von einem einheitlichen<br />

Einkommensbegriff, das Einkommen des Antragstellers<br />

ebenso behandelt wie jenes seines Ehegatten. Das heißt, in<br />

beiden Fällen wurde ein Freibetrag für Einkünfte aus Erwerbs-<br />

80 01/09<br />

tätigkeit bei der Ermittlung des einsetzbaren Einkommens eingeräumt<br />

(vgl. Nickel, MDR 2005, 729, 733).<br />

Den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucksache 15/4952 S. 46 f.)<br />

lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber<br />

im Zusammenhang mit der Änderung des Freibetrages<br />

für Erwerbseinkommen nunmehr eine unterschiedliche<br />

Behandlung von Antragstellern <strong>und</strong> deren Ehegatten beabsichtigt<br />

hat. Die gesetzliche Neuregelung enthält somit eine<br />

Lücke, welche durch eine analoge Anwendung von § 115<br />

Abs. 1 S. 3 Nr. 1a ZPO zu schließen ist (vgl. Nickel, a.a.O.; Zöller,<br />

ZPO, 26. Auflage, § 115 Rz 29).<br />

Für die analoge Anwendung der genannten Vorschrift sprechen<br />

im Übrigen auch Sinn <strong>und</strong> Zweck der Unterhaltsfreibeträge<br />

sowie der Regelung in § 115 Abs. 1 S. 7 ZPO. Ein Unterhaltsfreibetrag<br />

soll demnach nicht in Ansatz gebracht werden,<br />

wenn der Ehepartner über eigenes Einkommen verfügt.<br />

Dieses Einkommen muss aber tatsächlich auch für Ausgaben<br />

bereitstehen, da ansonsten weiterhin der Bedarf für Unterhalt<br />

gegeben ist. Der Unterhaltsbedarf besteht aber gerade<br />

in jenem Bereich, in dem eine geringfügige Vergütung von einem<br />

Ehegatten bezogen wird <strong>und</strong> bei dessen Erwerbstätigkeit<br />

Werbungskosten anfallen, die diese geringfügige Vergütung<br />

weiter mindern. In diesen Fällen darf nach dem Sinn <strong>und</strong><br />

Zweck der Unterhaltsfreibetragsregelung nur das um einen<br />

Erwerbstätigenfreibetrag verminderte Einkommen des Ehegatten<br />

berücksichtigt werden, da nur dieses für den Unterhalt<br />

tatsächlich verwandt werden kann.<br />

Ausgehend von dieser Rechtslage war das zur Verfügung<br />

stehende Einkommen der Ehegattin des Klägers auf 222,50<br />

EUR zu beziffern. Von dem ursprünglich durch die Ehefrau<br />

bezogenen monatlichen Arbeitsentgelt in Höhe von 396,50<br />

EUR ist der Erwerbstätigenfreibetrag in Höhe von 174,00 EUR<br />

in Abzug zu bringen. ...<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 3. Juni 2008, 7 Ta 82/08<br />

103. Prozesskostenhilfe, Abfindung als Vermögen, aktuelle<br />

Höhe des Schonvermögens<br />

Aus den Gründen: ...<br />

II. ... Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen,<br />

inwiefern gezahlte Abfindungen als Vermögen<br />

im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO zu berücksichtigen sind<br />

(Beschluss vom 24.04.2006 – 3 AZB 12/05 – NZA 2006, 251).<br />

Danach ist eine Abfindung, die aufgr<strong>und</strong> eines gerichtlichen<br />

Vergleichs gezahlt worden ist, gr<strong>und</strong>sätzlich zu berücksichtigen,<br />

wenn sie tatsächlich zugeflossen ist. Da eine Abfindung<br />

aber auch dazu dient, dem Arbeitnehmer die durch den Verlust<br />

des Arbeitsplatzes typischerweise entstehenden Kosten<br />

zu ersetzen, müssen derartige Kosten in typisierender Weise<br />

berücksichtigt werden. Insofern ist das Schonvermögen nach<br />

§ 115 Abs. 3 S. 2 ZPO i. V. mit der Durchführungsverordnung<br />

zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII zu verdoppeln.<br />

Dem schließt sich die erkennende Kammer an. Insofern sind<br />

AE200901.PDF 80 17.02.2009 12:08:10


die Urteile des Landesarbeitsgerichts Berlin, soweit sie im<br />

Beschluss vom 21. Juli 2008 zitiert werden, überholt.<br />

(Das Schonvermögen) beträgt aktuell 2.600,- € (vgl. auch<br />

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof vom 17.07.2008 – 5 C<br />

08.558 – juris).<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 1. Oktober 2008, 15 Ta 1984/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Friedemann Koch, Marburger<br />

Straße 16, 10789 Berlin, Tel.: 030/212 48 99-0,<br />

Fax: 030/212 48 99-20<br />

kanzlei@friedemann-koch.de; www.friedemann-koch.de<br />

104. Prozesskostenhilfe, Beiordnung eines auswärtigen<br />

Rechtsanwalts, Reisekosten, Beschwerderecht für weitergehende<br />

Antragstellung<br />

Aus den Gründen: ...<br />

II. ... 1. Der sofortigen Beschwerde fehlt auch nicht etwa<br />

deshalb die Beschwer, weil dem Kläger das in vollem Umfang<br />

bewilligt worden ist, was er beantragt hat. In einem von einem<br />

nicht am angerufenen Gericht niedergelassenen Rechtsanwalt<br />

für seinen Mandanten gestellten Prozesskostenhilfeantrag<br />

liegt gr<strong>und</strong>sätzlich ein konkludentes Einverständnis mit<br />

einer der Bestimmung in § 121 Abs. 3 ZPO entsprechenden<br />

einschränkenden Bewilligung (vgl. BGH, 10. 10. 2006 – XI ZB<br />

1/06, NJW 2006, 3783). Der Prozessbevollmächtigte kennt das<br />

Mehrkostenverbot des § 121 Abs. 3 ZPO <strong>und</strong> kann daher nur<br />

erwarten, dass die Prozesskostenhilfe alleine zu diesen Bedingungen<br />

bewilligt wird. Der nicht im Gerichtsbezirk niedergelassene<br />

Anwalt hat daher gr<strong>und</strong>sätzlich in seinem Antrag<br />

deutlich zu machen, dass er eine über § 121 Abs. 3 ZPO<br />

hinausgehende Bewilligung für seine Partei zu beantragen<br />

beabsichtigt. Andernfalls kann das Gericht ohne Nachfrage<br />

davon ausgehen, dass der Prozessbevollmächtigte mit einer<br />

beschränkten Beiordnung einverstanden ist.<br />

Einen solchen ausdrücklichen Hinweis auf eine beantragte Bewilligung<br />

der Prozesskostenhilfe über die Grenzen des § 121<br />

Abs. 3 ZPO hinaus enthält weder der Antrag noch die dazu ergangene<br />

Antragsbegründung des Klägers. Auch in den Gründen<br />

ist dazu nichts ausgeführt, so dass das Arbeitsgericht auch<br />

keine Veranlassung hatte, sich mit dieser Fragestellung im Bewilligungsbeschluss<br />

auseinanderzusetzen. Gleichwohl ist im<br />

konkludenten Einverständnis kein Beschwerdeverzicht zu sehen.<br />

Liegen die Voraussetzungen vor, bei denen die Beiordnung<br />

eines auswärtigen Anwalts das Mehrkostenverbot nicht<br />

berührt, hat die Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts<br />

unbeschränkt zu erfolgen. Geschieht dies nicht, steht dem betroffenen<br />

Anwalt ein eigenes Beschwerderecht zu (BGH, a.a.O.<br />

m.w.N; BAG, 18.07.2005 – 3 AZB 65/03 – NJW 2005, 3083).<br />

2. Doch sind die Voraussetzungen, untere denen eine<br />

Beiordnung eines auswärtigen Anwalts in Betracht kommen,<br />

nicht gegeben. Die gr<strong>und</strong>sätzlich zulässige (vgl. BAG,<br />

Beschluss vom 18.07.2005 – 3 AZB 65/03 – NJW 2005, 3083)<br />

Beiordnung eines Anwalts zu den Bedingungen eines im<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts<br />

war auch hier geboten. Die Voraussetzungen, unter denen<br />

ausnahmsweise entgegen des Mehrkostenverbots des § 121<br />

Abs. 3 ZPO eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe unter<br />

Beiordnung des bezirksfremden Rechtsanwalts in Betracht<br />

kommt, lagen nicht vor.<br />

Die Beiordnung eines nicht im Gerichtsbezirk niedergelassenen<br />

Prozessbevollmächtigten kann nur dann erfolgen, wenn<br />

dadurch keine zusätzlichen Kosten entstehen (§§ 11a Abs. 3<br />

ArbGG, 121 Abs. 3 ZPO). Bereits vor Inkrafttreten der Neufassung<br />

des § 121 Abs. 3 ZPO ging das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

bei entsprechenden Anwendung des § 121 Abs. 3 ZPO a.F.<br />

davon aus, dass im arbeitsgerichtlichen Verfahren statt auf die<br />

Zulassung des Rechtsanwaltes bei einem bestimmten Gericht<br />

nur auf seine Ansässigkeit am Ort des Gerichtes abzustellen<br />

sei (BAG, Beschluss vom 18.07.2005, a.a.O.; LAG Bremen vom<br />

11.05.1988, LAGE ZPO § 121 Nr. 3). Dem trägt die jetzige Fassung<br />

des § 121 Abs. 3 ZPO Rechnung. ...<br />

Bei der Entscheidung, ob durch die Beiordnung eines auswärtigen<br />

Anwalts weitere Kosten nicht entstehen, ist stets<br />

zu überprüfen, ob die Kosten eines Verkehrsanwalts erspart<br />

werden, die durch dessen Beiordnung nach § 124 Abs. 4 ZPO<br />

entstehen könnten (BAG, 18.07.2005, a.a.O.; BGH, 23.06.2004 –<br />

XII ZB 61/04 – NJW 2004, 2749; LAG Hamm, 07.09.2005 – 5 Ta<br />

568/05 –).<br />

Nach § 121 Abs. 4 Alt. 2 ZPO hat eine Partei, wenn besondere<br />

Umstände dies erfordern, das Recht, dass ihr zur Vermittlung<br />

des Verkehrs mit dem am Gerichtsort ansässigen<br />

Prozessbevollmächtigten ein Rechtsanwalt beigeordnet wird.<br />

Soweit unter diesen Voraussetzungen durch die Beiordnung<br />

eines auswärtigen Prozessbevollmächtigten die Kosten eines<br />

Verkehrsanwalts erspart werden, sind die durch die Beiordnung<br />

eines auswärtigen Anwalts entstandenen Reisekosten<br />

erstattungsfähig.<br />

Nach § 121 Abs. 4 ZPO müssen besondere Umstände die<br />

Beiordnung eines Verkehrsanwalts erfordern. Dies ist dann<br />

der Fall, wenn dessen Beiziehung zur zweckentsprechenden<br />

Rechtsverfolgung im Sinne des § 91 ZPO „notwendig“ ist. Notwendig<br />

ist ein Verkehrsanwalt im Allgemeinen dann, wenn<br />

der auswärts wohnenden Partei wegen weiter Entfernung<br />

oder Reiseunfähigkeit, mangels Schreibgewandtheit oder<br />

wegen Rechtsunerfahrenheit eine angemessene schriftliche<br />

Information des Prozessbevollmächtigten nicht möglich oder<br />

wegen des Umfangs, der Schwierigkeiten oder Bedeutung der<br />

Sache nicht zumutbar ist (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, 4.<br />

Aufl., Rn 578 m.w.N.). Solche besonderen Umstände sind hingegen<br />

nicht ersichtlich, worauf das Arbeitsgericht zutreffend<br />

hingewiesen hat.<br />

Die Beschwerdekammer vermag nicht zu erkennen, dass dem<br />

außerhalb des Gerichtsbezirks wohnenden Kläger eine Anreise<br />

zu einem im Bezirk des Arbeitsgerichts Herne niedergelassenen<br />

Rechtsanwalts wegen der weiten Entfernung nicht<br />

möglich sein soll. Der Kläger hat im Bezirk des Arbeitsgerichts<br />

Herne gearbeitet, nämlich in Herten. Dort hat der Kläger –<br />

AE200901.PDF 81 17.02.2009 12:08:10<br />

81


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

wie der Klageschrift zu entnehmen ist – nach Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses am 16.01.2008 im Bereichsbüro der<br />

Arbeitgeberin die ihm überlassene Arbeitskleidung abgegeben.<br />

Waren dem Kläger hingegen Fahrten im Zusammenhang<br />

mit der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses möglich, ist nicht<br />

ersichtlich, warum es dem Kläger nicht zuzumuten sein soll,<br />

den Prozessbevollmächtigten vor Ort zu informieren. Dies gilt<br />

auch unter Berücksichtigung der Entfernung von 117 Kilometern<br />

für die Hin- <strong>und</strong> Rückfahrt des Klägers bis zum Sitz<br />

des Prozessgerichts. Dies ist einerseits eine Fahrtstrecke, die<br />

keineswegs zu einer Unzumutbarkeit führt. Andererseits ist<br />

für die angestellte Betrachtung nicht auf die Fahrtstrecke zum<br />

Gericht, sondern auf die zu den Grenzen des Gerichtsbezirks<br />

abzustellen, die deutlich kürzer ist.<br />

Im Übrigen ist auch unter Berücksichtigung des Streitgegenstandes<br />

nicht zu erkennen, dass dem Kläger eine angemessene<br />

mündliche Information des Prozessbevollmächtigten vor<br />

Ort nicht möglich sein soll. Zu Recht weist das Arbeitsgericht<br />

darauf hin, dass der Abrechnungsstreit eher einfach gelagert<br />

ist <strong>und</strong> dies auch für die Abwehr der auf Herausgabe von<br />

Arbeitsgegenständen – im Wesentlichen Arbeits- <strong>und</strong> Sicherheitsbekleidung<br />

– gerichteten Widerklage gilt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />

vom 18. August 2008, 7 Ta 519/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klemens Rütte, Marker Allee 48,<br />

59063 Hamm, Tel.: 02381/13434, Fax: 02381/13433<br />

info@rae-stallmeister.de; www.rae-stallmeister.de<br />

105. Rechtsweg; Arbeitsgerichtsbarkeit; vermögenswirksame<br />

Leistung; Rückzahlung<br />

Für die Klage eines ehemaligen Arbeitgebers auf Rückzahlung<br />

von vermögenswirksamen Leistungen, die irrtümlich über das<br />

Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus gewährt wurden, ist gemäß<br />

§ 2 Abs. 1 Nr. 4a ArbGG der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten<br />

eröffnet.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 7. Februar 2008, 7 Ta 354/07<br />

106. Rechtsweg, Zusammenhangsklage<br />

Vermittelt ein Makler für denselben Auftraggeber den Verkauf<br />

von Immobilien als weisungsgeb<strong>und</strong>ener Arbeitnehmer <strong>und</strong><br />

freiberuflich den Abschluss von Mietverträgen, so kann der<br />

Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nach § 2 Abs. 3 ArbGG für<br />

einen Streit aus der Vermittlung von Mietverträgen gegeben<br />

sein, wenn eine Streitigkeit über den Verkauf von Immobilien<br />

dort bereits anhängig ist oder gleichzeitig anhängig wird.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 30. Juli 2007, 9 Ta 223/07<br />

82 01/09<br />

107. Rechtsschutzversicherung, Eintrittspflicht bei Kündigungsandrohung<br />

des Arbeitgebers<br />

Pressemitteilung des B<strong>und</strong>esgerichtshofes Nr. 113/2008<br />

I. Der Kläger verlangt von seinem Rechtsschutzversicherer<br />

die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren. Versichert ist u. a.<br />

die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen.<br />

Der Arbeitgeber teilte dem Kläger mit, dass aufgr<strong>und</strong> eines<br />

„Restrukturierungsprogrammes“ <strong>und</strong> „der damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Stellenreduzierung“ beabsichtigt sei, ihm zu kündigen, falls er<br />

nicht einen ihm angebotenen Aufhebungsvertrag annehme.<br />

Die vom Kläger daraufhin beauftragten Rechtsanwälte wandten<br />

sich gegen das Vorgehen seines Arbeitgebers. Eine Kostenübernahme<br />

dafür lehnte der Rechtsschutzversicherer ab.<br />

Er ist der Auffassung, dass ein Versicherungsfall nicht eingetreten<br />

sei, da noch kein Rechtsverstoß vorliege. Das bloße Inaussichtstellen<br />

einer Kündigung begründe als reine Absichtserklärung<br />

noch keine Veränderung der Rechtsposition des<br />

Klägers; dementsprechend stünde ihm auch ein Rechtsbehelf<br />

dagegen nicht zur Verfügung. Dies sei allein bei einer unberechtigt<br />

erklärten Kündigung möglich. Das Aufhebungsangebot<br />

habe sich im Rahmen der Privatautonomie bewegt.<br />

II. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die von<br />

dem Rechtsschutzversicherer dagegen eingelegte Berufung<br />

hat das Landgericht zurückgewiesen.<br />

Nach dessen Auffassung liegt ein Rechtsverstoß schon in<br />

der Kündigungsandrohung selbst. Mit der Erklärung des<br />

Arbeitgebers, seine Beschäftigungspflicht nicht mehr erfüllen<br />

zu wollen, sei die Rechtsschutz auslösende Pflichtverletzung<br />

unabhängig davon, ob die in Aussicht gestellte Kündigung<br />

rechtmäßig sei begangen <strong>und</strong> beginne die sich vom Rechtsschutzversicherer<br />

übernommene Gefahr zu verwirklichen. Die<br />

Rechtsposition des Klägers sei bereits mit der Kündigungsandrohung<br />

beeinträchtigt; ihr Ausspruch nur noch eine rein<br />

formale Umsetzung. Eine weitere Pflichtverletzung sah das<br />

Landgericht darin, dass der Arbeitgeber dem Kläger trotz<br />

Aufforderung die Sozialauswahl nicht dargelegt habe <strong>und</strong><br />

ihn damit nicht in die Lage versetzt hat, eine sachgerechte<br />

Entscheidung treffen zu können.<br />

III. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom<br />

heutigen Tage die Revision des Rechtsschutzversicherers zurückgewiesen<br />

<strong>und</strong> damit die Vorinstanzen im Ergebnis bestätigt.<br />

Nach seit langem gefestigter, nicht umstrittener Rechtsprechung<br />

des Senats erfordert die Annahme eines Rechtsschutzfalles<br />

i. S. von § 14 Abs. 3 Satz 1 ARB 75 bzw. § 4 (1) c) ARB<br />

94/2000/2008 ein Vorbringen des Versicherungsnehmers mit<br />

objektivem Tatsachenkern, mit dem er den Vorwurf eines<br />

Rechtsverstoßes aufstellt <strong>und</strong> auf den er seine Interessenverfolgung<br />

stützt.<br />

Diese Gr<strong>und</strong>sätze gelten auch für die Androhung einer Kündigung<br />

des Arbeitsgebers. Damit kommt es auf Differenzierungen<br />

wie sie in Instanzrechtsprechung <strong>und</strong> Schrifttum vorge-<br />

AE200901.PDF 82 17.02.2009 12:08:10


nommen werden etwa zwischen Kündigungsandrohung <strong>und</strong><br />

Kündigungsausspruch, Verhaltens- <strong>und</strong> betriebsbedingten<br />

Kündigungen <strong>und</strong> eingetretenen oder noch bevorstehenden<br />

Beeinträchtigungen der Rechtsposition des Versicherungsnehmers<br />

nicht an. Ebenso wenig gibt es eine besondere<br />

Fallgruppe für Kündigungen von Vertragsverhältnissen oder<br />

gar speziell für betriebsbedingte Kündigungen von Arbeitsverhältnissen.<br />

Im zu entscheidenden Fall ist auch der B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

vom Eintritt eines Rechtsschutzfalles ausgegangen.<br />

Der Kläger hatte ein tatsächliches Geschehen aufgezeigt,<br />

mit dem er den Vorwurf eines Rechtsverstoßes durch seine<br />

Arbeitgeberin verb<strong>und</strong>en hatte: Sie habe ihm einen Aufhebungsvertrag<br />

angeboten, im Falle der Nichtannahme eine<br />

betriebsbedingte Kündigung angedroht, später mitgeteilt,<br />

dass er von der geplanten Stellenreduzierung betroffen sei,<br />

Angaben zur Sozialauswahl verweigert <strong>und</strong> dann zugleich<br />

ein befristetes Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages<br />

unterbreitet. An der Ernsthaftigkeit, das Arbeitsverhältnis<br />

auf diese Weise auf jeden Fall zu beenden <strong>und</strong><br />

nicht etwa nur vorbereitende Gespräche über Möglichkeiten<br />

von betrieblich bedingten Stellenreduzierungen <strong>und</strong> deren<br />

etwaigen Umsetzungen führen zu wollen, bestand nach<br />

diesen Behauptungen kein Zweifel. Auf diese vom Kläger<br />

behaupteten Tatsachen hatte er den Vorwurf gegründet, die<br />

Arbeitgeberin habe ihre Fürsorgepflicht verletzt <strong>und</strong> damit<br />

eine Vertragsverletzung begangen, sie habe eine Kündigung<br />

ohne Auskunft über die Sozialauswahl in Aussicht gestellt,<br />

die weil sozial ungerechtfertigt rechtswidrig wäre. Schon<br />

mit diesem vom Kläger behaupteten Verhalten begann sich<br />

die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr zu<br />

verwirklichen; der Rechtsschutzfall war damit eingetreten.<br />

■ Urteil vom 19. November 2008 – IV ZR 305/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Siegfried Mennemeyer, Herrenstraße<br />

23, 76133 Karlsruhe<br />

Tel.: 0721-180 58 58, Fax: 0721-180 58 59<br />

karlsruhe@bgh-anwalt.de; www.bgh-anwalt.de<br />

108. Sachverständiger, Ablehnung, Rechtsmittel<br />

Über die Ablehnung eines Sachverständigen in der II. Instanz<br />

wird abschließend entschieden <strong>und</strong> ein Rechtsmittel in die<br />

III. Instanz ist nicht gegeben (analoge Anwendung von § 49<br />

Abs. 3 ArbGG).<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht vom 22. Juli 2008, 3 AZB 26/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Prof. Dr. Klaus Neef, Podbielskistraße<br />

33, 30163 Hannover, Tel.: 0511/215 55 63 -33,<br />

Fax: 0511/215 55 63-43<br />

kanzlei@neef-schrader-straube.de;<br />

www.neef-schrader-straube.de<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

109. Schwerbehindertenvertreter, Erstattung von Schulungs-<br />

<strong>und</strong> Reisekosten, Verfahrensart, Vorabentscheidung<br />

muss ausdrücklich gefordert werden<br />

Aus den Gründen:<br />

I. Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Gesamtschwerbehindertenvertreter<br />

B. zu erstattenden Reisekosten<br />

anlässlich der Teilnahme an einem Seminar in<br />

Rottach-Egern sowie darüber, ob der Erstattungsanspruch<br />

in dem Beschlussverfahren oder Urteilsverfahren geltend zu<br />

machen ist.<br />

(In den Betrieben der Arbeitgeberin) sind Schwerbehindertenvertretungen<br />

gewählt, die eine Gesamtschwerbehindertenvertretung<br />

gebildet haben, die Beteiligte zu 1). Schwerbehindertenvertreter<br />

... <strong>und</strong> Vorsitzender der Gesamtschwerbehindertenvertretung<br />

ist B.<br />

Der Vorsitzende der Beteiligten zu 1) nahm entsprechend<br />

einem Beschluss der Beteiligten zu 1) ... an einem Seminar<br />

... teil. Er führte diese Reise mit seinem Privatfahrzeug durch<br />

...<br />

Die Arbeitgeberin erstattete ihm lediglich den Preis für eine<br />

Bahnfahrt ... mit der Begründung, die Anreise mit dem Pkw<br />

sei nicht genehmigt worden. Die Differenz wird in dem vorliegenden<br />

Beschlussverfahren von der Beteiligten zu 1) geltend<br />

gemacht.<br />

Maßgeblich für die Abrechnung von Reisekosten ist zunächst<br />

die Reisekostenrichtlinie der Arbeitgeberin ...<br />

Der Gesamtschwerbehindertenvertreter B. leidet an einem<br />

Anfallsleiden, das es erforderlich macht, ein Sauerstoffgerät<br />

mit sich zu führen. Er bat die Arbeitgeberin deshalb,<br />

... Dienstreisen zukünftig gr<strong>und</strong>sätzlich mit dem Privatfahrzeug<br />

durchführen zu können. Die Arbeitgeberin erklärte mit<br />

Schreiben ihrer Geschäftsführer ... :<br />

1. Wir sind damit einverstanden, dass Sie bei allen genehmigten<br />

Dienstreisen ihren privaten Pkw benutzen können. ...<br />

Mit Schreiben vom 25.01.2006 an die Geschäftsführung der<br />

Arbeitgeberin ... beantragte der Gesamtschwerbehindertenvertreter<br />

die Kostenübernahme <strong>und</strong> Freistellung für das in<br />

Streit stehende Seminar ... Die Arbeitgeberin erwiderte mit<br />

einem von dem Geschäftsführer Ch. unterzeichneten Schreiben<br />

... :<br />

Wir genehmigen Ihnen die Teilnahme am oben genannten<br />

Seminar in Rottach vom 13. März bis zum 17. März 2006.<br />

Wir weisen darauf hin, dass mit diesem Schreiben nicht automatisch<br />

die Dienstreise von ihnen genehmigt ist. ...<br />

Mit Formular vom 13.02.2006 beantragte der Gesamtschwerbehindertenvertreter<br />

die Genehmigung der Dienstreise bei<br />

seinem (Vorgesetzten). Dieser genehmigte die Dienstreise<br />

... mit der Einschränkung:<br />

Für die Reise nach Rottach wird nur das Verkehrsmittel Bahn<br />

genehmigt.<br />

Die Beteiligte zu 1) wandte sich ... gegen die Ablehnung der<br />

Nutzung des privaten Pkw. (Die Beteiligte zu 2) erwiderte,<br />

da das Seminar u. a. auch in Düsseldorf angeboten werde,<br />

AE200901.PDF 83 17.02.2009 12:08:11<br />

83


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

komme ein Anspruch auf Freistellung <strong>und</strong> Fahrtkostenerstattung<br />

für die Teilnahme in Rottach ganz offenk<strong>und</strong>ig nicht in<br />

Betracht. ...<br />

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, der in Streit stehende<br />

Anspruch hätte nicht im Beschlussverfahren, sondern im Urteilsverfahren<br />

geltend gemacht werden müssen. Es gehe im<br />

vorliegenden Verfahren nicht um Rechte der Gesamtschwerbehindertenvertretung,<br />

sondern um den geltend gemachten<br />

Kostenerstattungsansprach für die Teilnahme an einer Schulung<br />

eines einzelnen Mitglieds der Gesamtschwerbehindertenvertretung.<br />

Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

müsse dieser Anspruch im Urteilsverfahren verfolgt<br />

werden.<br />

Die streitigen Fahrtkosten seien nicht erstattungsfähig, da ihre<br />

Verursachung zum einen nicht notwendig <strong>und</strong> zum anderen<br />

auch nicht genehmigt war. Die Arbeitgeberin sei aus Kostengründen<br />

bereit gewesen, die im Dezember 2006 in Düsseldorf<br />

stattfindende Schulung bei einer Anreise mit dem Privat-Pkw<br />

zu genehmigen oder aber die Fahrten mit der Bahn nach<br />

Rottach-Egern <strong>und</strong> zurück.<br />

Der Schwerbehindertenvertreter B. könne sich nicht auf die<br />

allgemeine Dienstreisegenehmigung vom 13.11.2003 berufen.<br />

Diese setze eine genehmigte Dienstreise voraus. ...<br />

II. ... 2.1 Das Arbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass der<br />

im Streit stehende Erstattungsanspruch in dem arbeitsgerichtlichen<br />

Beschlussverfahren nach § 2a ArbGG zu verfolgen ist.<br />

Die erkennende Kammer ist vorliegend nicht gemäß §§ 88,<br />

65 ArbGG gehindert, die Zulässigkeit der gewählten Verfahrensart<br />

nachzuprüfen. Zwar kann das Beschwerdegericht nach<br />

diesen Vorschriften gr<strong>und</strong>sätzlich nicht prüfen, ob die gewählte<br />

Verfahrensart zulässig ist. Eine Ausnahme hiervon besteht<br />

jedoch, wenn das Arbeitsgericht wie vorliegend trotz<br />

der Rüge der richtigen Verfahrensart durch die Arbeitgeberin<br />

hierüber nicht vorab durch Beschluss nach §§ 48 Abs. 1<br />

ArbGG, 17a Abs. 3 GVG entschieden hat (BAG, vom 26.03.1992,<br />

2 AZR 443/91, AP Nr. 7 zu § 48 ArbGG 1979). Dann kann<br />

diese Frage nach dem Gr<strong>und</strong>satz der Meistbegünstigung noch<br />

im Rahmen der Überprüfung der Hauptsache geklärt werden<br />

(Germelmann, 5. Aufl. 2008, § 65 ArbGG, Rz 14; Grunsky, §80<br />

ArbGG Rz 12a).<br />

2.2 Das Beschlussverfahren ist die zutreffende Verfahrensart<br />

für den geltend gemachten Erstattungsanspruch aus § 96<br />

Abs. 8 SGB IX. ...<br />

Der Gesetzgeber hat ... erstmals mit Wirkung vom 01.08.1996<br />

geregelt, dass Angelegenheiten aus § 54c SchwbG in dem<br />

arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren zu entscheiden sind.<br />

Im Jahre 2000 wurde die Zuständigkeit auf die in den §§ 24,<br />

25 SchwbG geregelten Tatbestände ergänzt. Nach der derzeitigen<br />

Fassung des § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG sind die Gerichte<br />

für Arbeitssachen im Beschlussverfahren zuständig für Angelegenheiten<br />

aus den §§ 94, 95, 139 SGB IX.<br />

Rechtsgr<strong>und</strong>lage für den vorliegend im Streit stehenden Erstattungsanspruch<br />

ist § 96 Abs. 8 Satz 1 SGB IX. Dies spricht<br />

84 01/09<br />

von der Gesetzessystematik zunächst dagegen, dass vorliegend<br />

das Beschlussverfahren die zutreffende Verfahrensart ist.<br />

Die erkennende Kammer geht mit dem LAG Nürnberg (Beschluss<br />

vom 22.10.2007, 6 Ta 155/07, ZTR 2008, 116 – 117)<br />

davon aus, dass die Nichterwähnung des § 96 Abs. 8 SGB<br />

IX in § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG auf einem Versehen des Gesetzgebers<br />

beruht, weshalb die gesetzliche Lücke durch eine<br />

entsprechende Anwendung von § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG zu<br />

schließen ist.<br />

Ziel des Gesetzgebers war, die Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretung<br />

im Beschlussverfahren entscheiden zu<br />

lassen (BT-Drs. 13/11289 vom 17.07.1998). Ausdrücklich erwähnt<br />

wurden dabei die §§ 24 <strong>und</strong> 25 SchwbG, die die Wahl<br />

<strong>und</strong> Amtszeit sowie die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung<br />

regelten (jetzt: §§ 94, 95 SGB IX). Der Gesetzgeber<br />

hat offenbar übersehen, dass die nicht in Bezug genommene<br />

Regelung des § 26 SchwbG (jetzt: § 96 SGB IX) ebenfalls Vorschriften<br />

enthält, die nicht persönliche Rechte des jeweiligen<br />

Schwerbehindertenvertreters regeln, sondern Rechte des Organs.<br />

...<br />

Bei dem in Streit stehendem Anspruch auf Erstattung von<br />

Reisekosten handelt es sich um einen organschaftlichen Streit<br />

in diesem Sinne. Anspruchsgr<strong>und</strong>lage für den in Streit stehenden<br />

Anspruch ist § 96 Abs. 8 SGB IX. Nach dieser Vorschrift<br />

trägt der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung<br />

entstehenden Kosten. Hierunter fallen<br />

auch die in Streit stehenden Reisekosten. Die Teilnahme an<br />

dem Seminar mit dem Thema „Schwerbehindertenvertretung<br />

Aktuell“ diente ausschließlich der ordnungsgemäßen Wahrnehmung<br />

der Aufgaben der Beteiligten zu 1). Der Anspruch<br />

hat deshalb seine Gr<strong>und</strong>lage nicht im Arbeitsverhältnis des<br />

Gesamtschwerbehindertenvertreters B., sondern in dem von<br />

ihm wahrgenommenen Amt der Schwerbehindertenvertretung.<br />

...<br />

2.3 Das Landesarbeitsgericht war vorliegend nicht verpflichtet,<br />

über die Frage der Zulässigkeit des Beschlussverfahrens<br />

durch Beschluss vorab zu entscheiden (a.A. BAG,<br />

vom 26.03.1992, a.a.O.). Der gemäß § 48 Abs. 1 ArbGG<br />

entsprechend anwendbare § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG besagt<br />

lediglich, dass dann, wenn der beschrittene Rechtsweg, hier<br />

die gewählte Verfahrensart, zulässig ist, das Gericht dies<br />

vorab aussprechen kann. Das Gericht handelt somit nach<br />

pflichtgemäßem Ermessen.<br />

Eine Verpflichtung zur Vorabentscheidung besteht nach<br />

Satz 2 nur dann, wenn eine Partei dies rügt. Die Rüge muss<br />

dabei in der mündlichen Verhandlung deutlich erkennbar<br />

erhoben werden (MK-Zimmermann, 3. Aufl. 2008, § 17a GVG<br />

Rz 12; Wieczorek/Schütze-Schreiber, 3. Aufl., § 17a GVG Rz 18).<br />

Vorliegend hat die Arbeitgeberin zwar bis zuletzt die Auffassung<br />

vertreten, das Urteilsverfahren sei die richtige Verfahrensart.<br />

Sie hat jedoch nicht ausdrücklich zu erkennen gegeben,<br />

dass sie eine Vorabentscheidung über die Zulässigkeit<br />

der Verfahrensart begehrt. Unter diesen Umständen ist es ausnahmsweise<br />

zulässig, über die Zulässigkeit des Beschlussver-<br />

AE200901.PDF 84 17.02.2009 12:08:11


fahrens <strong>und</strong> die Hauptsache gleichzeitig durch einen die Instanz<br />

beendenden Beschluss zu entscheiden. Hierdurch wird<br />

dem das arbeitsgerichtliche Verfahren prägenden Beschleunigungsgr<strong>und</strong>satz<br />

des § 9 Abs. 1 ArbGG Rechnung getragen.<br />

2.4 Die Beteiligte zu 1) hat gegen die Arbeitgeberin einen Anspruch<br />

auf Erstattung weiterer (Reisekosten) aus § 96 Abs. 8,<br />

Abs. 4 Satz 3 SGB IX. Über die Erforderlichkeit der Seminarteilnahme<br />

... besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.<br />

Das Arbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass nach<br />

... der Reisekostenrichtlinie ... die Genehmigung von Schulungsveranstaltungen<br />

einschließlich der damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Dienstreisen den Geschäftsführern ... obliegt.<br />

Die in Streit stehende Schulungsveranstaltung ist dem Gesamtschwerbehindertenvertreter<br />

B. durch den Geschäftsführer<br />

Ch. genehmigt worden.<br />

Die Geschäftsführer der Arbeitgeberin hatten sich auch bereits<br />

mit Schreiben vom 13.11.2003 damit einverstanden erklärt,<br />

dass der Gesamtschwerbehindertenvertreter B. bei allen<br />

genehmigten Dienstreisen seinen privaten Pkw benutzen<br />

darf. Diese pauschale Genehmigung bezieht sich zwar nur auf<br />

alle „genehmigten Dienstreisen“, setzt also die Genehmigung<br />

einer Dienstreise voraus. Eine derartige Genehmigung ist jedoch<br />

vorliegend mit Schreiben vom 03.02.2006 erfolgt.<br />

Dem steht nicht entgegen, dass der dem Schwerbehindertenvertreter<br />

B. Vorgesetzte ... die Reise nach Rottach-Egern nur<br />

mit dem Verkehrsmittel Bahn genehmigt hat.<br />

Für den (Vorgesetzten) blieb jedoch, wie das Arbeitsgericht<br />

richtig entschieden hat, kein Spielraum mehr bei der Wahl<br />

des Schulungsortes oder des zu verwendenden Verkehrsmittels,<br />

da hierüber bereits eine verbindliche Entscheidung der<br />

Geschäftsführung gemäß dem Schreiben vom 03.02.2006 <strong>und</strong><br />

13.11.2003 vorlag. ...<br />

Die Arbeitgeberin ist somit verpflichtet, an die Beteiligte zu 1)<br />

(weitere) Fahrtkosten zu zahlen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 7. August 2008, 7 TaBV 148/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter Schrader, Podbielskistraße<br />

33, 30163 Hannover, Tel.: 0511/215 55 63 -33,<br />

Fax: 0511/215 55 63-43<br />

kanzlei@neef-schrader-straube.de;<br />

www.neef-schrader-straube.de<br />

Anmerkung:<br />

Die zugelassene Rechtsbeschwerde wird durchgeführt zum<br />

AZ: 7 ABR 83/08. (me)<br />

110. Sozialversicherungspflicht bei Urlaubsgewährung<br />

während widerruflicher Freistellung<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Streitig ist die Pflicht zur Entrichtung von Beiträgen zur freiwilligen<br />

Kranken- <strong>und</strong> Pflegeversicherung im Dezember 2005<br />

sowie Januar 2006. (Das Arbeitsverhältnis endete durch Vergleich.)<br />

...<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Mit Beschluss vom 12. Juli 2005 stellte das Arbeitsgericht/Elmshorn<br />

folgenden Vergleich fest:<br />

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endet aufgr<strong>und</strong> ordentlicher<br />

<strong>und</strong> fristgemäßer Kündigung der Beklagten aus<br />

dringenden betriebsbedingten Gründen mit Ablauf des<br />

31.01.2006. ...<br />

3. Der Kläger bleibt widerruflich von der Verpflichtung zur<br />

Arbeitsleistung freigestellt. ...<br />

Die Versicherungspflicht als Arbeitnehmer ende am 22. November<br />

2005. Vom 23. November bis zum 30. November 2005<br />

liege Beitragsfreiheit gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V vor. ..<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

Der Kläger war auch im streitigen Zeitraum versicherungspflichtig.<br />

...<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich ist die tatsächliche Leistung von Arbeit das entscheidende<br />

Kriterium dafür, ob ein sozialversicherungspflichtiges<br />

Beschäftigungsverhältnis besteht oder nicht (vgl. LSG<br />

Bayern, Urteil vom 15. April 2008, L5KR22/08).<br />

Das Leistungsrecht des SGB III geht gemäß § 119 Abs. 1<br />

Nr. 1 SGB III davon aus, dass ein Beschäftigungsverhältnis nur<br />

vorliegt, wenn die Arbeitsleistung tatsächlich erbracht werden<br />

soll. Demnach besteht ein Beschäftigungsverhältnis dann<br />

nicht mehr, wenn sich die Arbeitsvertragsparteien vergleichsweise<br />

darauf einigen, dass der Arbeitnehmer bei Fortbestehen<br />

der Entgeltzahlungspflicht endgültig von der Arbeit freigestellt<br />

wird, weil der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis<br />

verzichtet (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 1993, 11 RAr<br />

69/92). Daher kann bei dieser Sachlage trotz Fortbestehens<br />

eines Arbeitsverhältnisses im arbeitsrechtlichen Sinne ein<br />

Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehen.<br />

Die Kammer schließt sich der Auffassung des Landessozialgerichts<br />

Mainz an (L 5 KR 231/06), wonach dieser Begriff des<br />

Beschäftigungsverhältnisses im leistungsrechtlichen Sinne<br />

des SGB III nicht auf das Beitragsrecht der Sozialversicherung<br />

übertragen werden kann. Denn im Beitragsrecht kommt dem<br />

Beschäftigungsverhältnis die Funktion zu, den Versicherungsschutz<br />

zu gewährleisten, weshalb es regelmäßig angemessen<br />

ist, die Feststellung des Beschäftigungsverhältnisses weitgehend<br />

an den Merkmalen des Arbeitsverhältnisses auszurichten.<br />

Es widerspricht dem Schutzzweck des Sozialversicherungsrechts,<br />

eine Beitrags- <strong>und</strong> Versicherungspflicht während<br />

Zeiten der Freistellung von der Arbeit bei Fortbestehen der<br />

Entgeltzahlungspflicht zu verneinen (LSG Mainz, a.a.O).<br />

Das BSG hat dementsprechend in der Vergangenheit entschieden,<br />

das vorübergehende Unterbrechungen der tatsächlichen<br />

Arbeitsleistung den Bestand des Beschäftigungsverhältnisses<br />

unberührt lassen, wenn das Arbeitsverhältnis fortbesteht,<br />

z. B. im Falle des Festhaltens am Arbeitsverhältnis<br />

mit Fortzahlung des Arbeitsentgelts trotz Verhaftung des Arbeitnehmers<br />

(BSGE 68, 236, 240). Außerdem soll es nicht zu<br />

einer Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses kommen,<br />

wenn im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers eine sofortige<br />

Freistellung der Arbeitnehmer zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

erfolgt <strong>und</strong> es deshalb an einer Ausübung von Wei-<br />

AE200901.PDF 85 17.02.2009 12:08:11<br />

85


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

sungsrechten seitens des Arbeitgebers <strong>und</strong> der Unterordnung<br />

des Arbeitnehmers unter diese fehlt (BSGE 59, 183, 185).<br />

Weiterhin hat das BSG festgestellt, dass es im beitragsrechtlichen<br />

Sinne regelmäßig angemessen sei, die Feststellung des<br />

Beschäftigungsverhältnisses weitgehend an den Merkmalen<br />

des Arbeitsverhältnisses auszurichten, auch wenn die Arbeitskraft<br />

des Versicherten tatsächlich nicht in Anspruch genommen<br />

werde (BSG, Urteil vom 28.09.1993 , L RAr.69/92 – <strong>und</strong><br />

vom 25. April 2002 –B11AL65/01R).<br />

Da es dem Schutzzweck des Sozialversicherungsrechts widersprechen<br />

würde, eine Beitrags- <strong>und</strong> Versicherungspflicht während<br />

Zeiten der Freistellung von der Arbeit bei Fortbestehen<br />

der Entgeltzahlungspflicht zu verneinen, kann die Kammer<br />

sich nicht der Auffassung des LSG Bayern (L 5 KR 22/08) anschließen.<br />

Dieses argumentiert, es halte das Erfordernis der<br />

tatsächlichen Arbeit <strong>und</strong> in Sonderfällen das Fortbestehen des<br />

Direktionsrecht des Arbeitgebers sowie der Verfügungsbereitschaft<br />

des Arbeitnehmers als Voraussetzung eines Beschäftigungsverhältnisses<br />

für unverzichtbar, um zu verhindern, dass<br />

die Sozialversicherung zu einem beliebig erkaufbaren Versicherungsschutz<br />

werde. Dem steht entgegen, dass eine solche<br />

Beliebigkeit im Falle von Vergleichen zur Beendigung von<br />

Arbeitsverhältnissen stark eingeschränkt ist, weil Arbeitgeber<br />

<strong>und</strong> Arbeitnehmer sich an den Kündigungsschutz zu halten<br />

<strong>und</strong> die gegenseitigen Ansprüche auf Arbeitsleistung <strong>und</strong><br />

Vergütung der Arbeitsleistung orientieren müssen. Deshalb<br />

erfolgt die Freistellung auch nicht beliebig, weil diese nach<br />

dem Wortlaut des vom Kläger mit seinem bisherigen Arbeitgeber<br />

abgeschlossenen Vergleichs im streitigen Zeitraum unter<br />

Anrechnung auf den noch bestehenden Erholungsurlaub <strong>und</strong><br />

etwaiger sonstiger Freizeitausgleichsansprüche erfolgt. In der<br />

Tat kann es – entsprechend der Ansicht des Klägers – nicht<br />

darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer seinen Urlaub bereits<br />

zu Beginn des Vergleichszeitraumes <strong>und</strong> nicht am Ende<br />

des Arbeitsverhältnisses nimmt. Im Falle des Urlaubs bestehen<br />

unstreitig sowohl das Arbeits- als auch das Beschäftigungsverhältnis<br />

fort. In der Tat steht es im Be<strong>liebe</strong>n der Arbeitsvertragsparteien,<br />

wann der Arbeitnehmer den Urlaub geltend macht<br />

<strong>und</strong> nimmt. Allein damit jedoch ist die Sozialversicherung<br />

nicht vom Be<strong>liebe</strong>n der Arbeitsvertragsparteien abhängig.<br />

Auch aus der Regelung des § 7 Abs. 1a SGB IV lässt sich nicht<br />

folgern, dass der Fortbestand eines Beschäftigungsverhältnisses<br />

im beitragsrechtlichen Sinne trotz endgültiger Beendigung<br />

der tatsächlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmer auf<br />

die dort geregelte Fallgruppe der Ansammlung eines Wertguthabens<br />

beschränkt ist.<br />

Denn diese Bestimmung bezweckt, die Fälle der Freistellungsphase<br />

nach Erlangung eines Wertguthabens zu erfassen. Damit<br />

wird sie noch nicht zu einer abschließenden Regelung des<br />

Fortbestehens der Versicherungspflicht trotz endgültiger Freistellung<br />

von der Arbeit. Vielmehr regelt sie nur den speziellen<br />

Fall der Verwertung eines Wertguthabens. Daraus kann nicht<br />

gefolgert werden, dass eine anders begründete Freistellung<br />

86 01/09<br />

von der Arbeitsleistung in jedem Fall das Ende des Beschäftigungsverhältnisses<br />

bedeutet.<br />

■ Sozialgericht Itzehoe<br />

vom 2. Juli 2008, S1KR31/07<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Verena Zahn, Stadthausbrücke<br />

12, 20355 Hamburg,<br />

Tel.: 040/378687-15, Fax: 040/378687-20<br />

Verena.Zahn@web.de<br />

111. Verfrühungsschaden bei zeitlich befristeter Unkündbarkeit<br />

Zum Sachverhalt (Redaktion):<br />

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug um die Feststellung<br />

einer Forderung zur Insolvenztabelle. Der Beklagte ist<br />

durch Beschluss des Amtsgerichts bestellter Insolvenzverwalter.<br />

Die Schuldnerin <strong>und</strong> die zuständige Gewerkschaft hatten<br />

Regelungen vereinbart, nach denen der Klägerin eine Unkündbarkeit<br />

zustand, als der Beklagte ihr am 25. Dezember<br />

2003 zum 31. März 2004 kündigte. Die Klägerin begehrt die<br />

Anerkennung eines Verfrühungsschadens.<br />

Aus den Entscheidungsgründen: ...<br />

Die Klage ist ... unbegründet ... Ein Ersatzanspruch gemäß<br />

§ 113 Satz 3 InsO besteht nicht.<br />

Es kann zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden,<br />

dass infolge Ziffer III Abs. 1 TV Bord vom 22. April 1998,<br />

Ziffer III Abs. 1 TV Bord vom 12. Mai 1998 <strong>und</strong> Ziffer II TV<br />

Krisenbewältigung eine Beschäftigungsgarantie zustande gekommen<br />

ist, die Klägerin in deren Geltungsbereich fällt <strong>und</strong><br />

die Beschäftigungsgarantie auch gegenüber der Klägerin den<br />

Ausschluss ordentlicher betriebsbedingter Kündigungen bis<br />

31. Dezember 2004 zum Inhalt hat. Es kann ferner zugunsten<br />

der Klägerin davon ausgegangen werden, dass diese<br />

Beschäftigungsgarantie wirksam zustande gekommen ist, hinreichend<br />

bestimmt ist, sie, nachdem keine Flottenreduzierung<br />

durchgeführt wurde, alle am 31. Dezember 2001 zur Schuldnerin<br />

in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehenden Arbeitnehmer<br />

erfasst, die Beschäftigungsgarantie nicht als „Gegenleistung“<br />

zu einer vereinbarten Flottenreduzierung anzusehen<br />

ist <strong>und</strong> daher auch nicht mangels Flottenreduzierung<br />

„ins Leere“ geht, sie vielmehr die „Gegenleistung“ für eine<br />

tarifvertraglich vereinbarte Kürzung tariflicher Vergütungsbestandteile<br />

ist. Es kann ferner zugunsten der Klägerin davon<br />

ausgegangen werden, dass Geschäftsgr<strong>und</strong>lage der Beschäftigungsgarantie<br />

nicht der fortdauernde Betrieb von Flugzeugen<br />

durch die Schuldnerin ist, schließlich auch, dass bei der<br />

Berechnung eines etwaigen Verfrühungsschadens von einem<br />

Bruttomonatsverdienst der Klägerin von 2.504,00 € auszugehen<br />

wäre. Einer Entscheidung hierüber bedarf es nicht, da<br />

auch unter Zugr<strong>und</strong>elegung dieser Annahmen kein zu ersetzender<br />

Verfrühungsschaden besteht.<br />

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin konnte vom Beklagten<br />

ohne Rücksicht auf eine Beschäftigungsgarantie durch befristeten<br />

Ausschluss des Rechts zur ordentlichen betriebs-<br />

AE200901.PDF 86 17.02.2009 12:08:11


edingten Kündigung gekündigt werden, § 113 Satz 1 InsO,<br />

<strong>und</strong> zwar jedenfalls mit der vom Beklagten eingehaltenen<br />

Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende, § 113<br />

Satz 2 InsO.<br />

Im Fall der. Kündigung durch den Insolvenzverwalter gewährt<br />

§ 113 Satz 3 InsO dem Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch<br />

wegen vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses.<br />

... Der Anwendungsbereich des § 113 Satz 3 InsO erstreckt<br />

sich .. zunächst auf die Fälle, in denen der Insolvenzverwalter<br />

mit der insolvenzspezifischen Höchstfrist des § 113<br />

Satz 2 InsO kündigt <strong>und</strong> eine längere gesetzliche, arbeitsvertragliche<br />

oder tarifvertragliche Kündigungsfrist nicht einhalten<br />

muss. Dementsprechend entsteht der Schadensersatzanspruch<br />

hier nur für die Zeitspanne von der tatsächlichen Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist,<br />

mit der ohne den Insolvenzfall vertragsgemäß hätte gekündigt<br />

werden können (KR-Weigand, 8. Aufl., §§ 113, 120 ff. InsO<br />

Rn 88) bzw. bis zu dem Kündigungstermin, zu dem die Kündigung<br />

vertragsgemäß hätte ausgesprochen werden dürfen<br />

(Uhlenbruck/Berscheid, InsO, 12. Aufl., § 113 Rn 108). Der Anwendungsbereich<br />

des § 113 Satz 3 InsO erstreckt sich ferner<br />

auf die Fälle, in denen eine arbeitsvertraglich oder tarifvertraglich<br />

vereinbarte Unkündbarkeit durch § 113 Satz. 1 <strong>und</strong> 2<br />

InsO durchbrochen wird. Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts,<br />

der die Kammer folgt, ist im Fall der vereinbarten<br />

Unkündbarkeit der Schadensersatzanspruch des § 113<br />

Satz 3 InsO als Verfrühungsschaden auf die ohne die vereinbarte<br />

Unkündbarkeit maßgebliche längste ordentliche Kündigungsfrist<br />

beschränkt (BAG, 16. Mai 2007 – 8 AZR 772/06 – AP<br />

InsO § 113 Nr. 24). Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht ist damit weder<br />

der in der Literatur vertretenen Auffassung gefolgt, wonach<br />

die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses in diesem<br />

Fall analog §§ 9, 10 KSchG zu bewerten sei, noch der Auffassung,<br />

wonach der gemäß § 113 Satz 3 InsO zu ersetzende<br />

Schaden bei bestehender Unkündbarkeit in dem gesamten<br />

hochzurechnenden Verdienstausfall bis zu der an sich vorgesehenen<br />

Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu sehen sei.<br />

Die Auslegung des § 113 Satz 3 InsO im Sinne eines typisierenden<br />

Abstellens – oder einer abstrakt generellen Beschränkung<br />

– auf den Verdienstausfall für den Lauf der längsten<br />

maßgeblichen Kündigungsfrist beruht. darauf, dass aus § 113<br />

Satz 1 InsO folgt, dass der aus Unkündbarkeitsvereinbarungen<br />

resultierende Schutz im Fall der Insolvenz nicht anzuerkennen<br />

ist (BAG, 16. Mai 2007 – 8 AZR 772/06 – a.a.O.). Dies gilt für zeitlich<br />

unbefristete <strong>und</strong> zeitlich befristete Unkündbarkeitsregeln<br />

gleichermaßen. ...<br />

Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es bei der Beschränkung<br />

des Verfrühungsschadens bei vereinbarter Unkündbarkeit<br />

auf die maßgebliche längste ordentliche Kündigungsfrist<br />

nicht darauf an, aus welchen Gründen die Unkündbarkeit<br />

vereinbart wurde. ...<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 1. September 2008, 17 Sa 341/08<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Miklós Gerner-Barna, Waldhofer<br />

Straße 17, 69123 Heidelberg, Tel.: 06221/38930-0,<br />

Fax: 06221/3893012<br />

heidelberg@walter-rae.de; www.walter-rae.de<br />

112. Zwangsvollstreckung, Einstellung, unersetzlicher<br />

Nachteil, Weiterbeschäftigungspflicht<br />

Aus den Gründen:<br />

Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist im arbeitsgerichtlichen<br />

Urteilsverfahren nach § 62 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung<br />

mit Satz 2 ArbGG nur ausnahmsweise zulässig. Der Schuldner<br />

muss glaubhaft machen, dass ihm die Vollstreckung einen<br />

unersetzlichen Nachteil bringen würde. Daran fehlt es nach<br />

Lage des Falles. ...<br />

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine Einstellung der<br />

Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil<br />

des Arbeitsgerichts regelmäßig nicht in Betracht kommt,<br />

wenn der Schuldner es versäumt hat, im erstinstanzlichen Verfahren<br />

einen Schutzantrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zu<br />

stellen, es sei denn, die Gründe, auf die der Einstellungsantrag<br />

gestützt wird, lagen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung<br />

vor dem Arbeitsgericht noch nicht vor oder konnten<br />

aus anderen Gründen nicht vorgetragen <strong>und</strong> glaubhaft<br />

gemacht werden (LAG Berlin-Brandenburg, 23.08.2007 -15 Sa<br />

1630/07 – NZA-RR 2008, 42, 43; vgl. auch LAG Düsseldorf,<br />

03.01.2008 – 13 Sa 1895/07 -juris).<br />

Danach kann die Schuldnerin nicht mit dem Hinweis auf das<br />

angeblich „absolut zerstörte Vertrauensverhältnis“ zwischen<br />

ihr <strong>und</strong> dem Gläubiger ... einen „nicht zu ersetzenden Nachteil“<br />

i. S. v. § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. § 62 Abs. 1 Satz 2<br />

ArbGG, der ihr durch die Weiterbeschäftigung des Gläubigers<br />

aufgr<strong>und</strong> des angefochtenen Urteils entstehen würde,<br />

begründen. Dies hätte sie, da diese Situation bereits vor Verkündung<br />

des angefochtenen Urteils aus ihrer Sicht schon bestand,<br />

durch einen Antrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG geltend<br />

machen müssen. Hieran ändert auch nichts der erst in<br />

zweiter Instanz seitens der Schuldnerin gestellte Auflösungsantrag<br />

nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Dieser bedarf nach Auffassung<br />

der Schuldnerin im Hinblick auf die Regelung in § 14<br />

Abs. 2 Satz 2 KSchG keinerlei Begründung, so dass es auf die<br />

Feststellung, dass Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken<br />

dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Schuldnerin<br />

<strong>und</strong> Gläubiger nicht erwarten lassen, nicht ankommt.<br />

Davon abgesehen würde die Stattgabe des Auflösungsantrages<br />

der Schuldnerin dieser, da der Weiterbeschäftigungsanspruch<br />

des Gläubigers in diesem Fall erlöschen würde, nur den<br />

Weg zu einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 Abs. 1<br />

ZPO eröffnen (vgl. LAG Thüringen, v. 05.01.2005 –1Ta148/04<br />

– ArbuR 2005, 166 LS.). Soweit die Schuldnerin ihren Antrag<br />

nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG mit einer angeblichen Neubesetzung<br />

des Arbeitsplatzes des Gläubigers nach Verkündung<br />

des erstinstanzlichen Urteils begründet, führt dieser Gesichtspunkt<br />

nicht zur Einstellung der vorläufigen Vollstreckbarkeit<br />

AE200901.PDF 87 17.02.2009 12:08:11<br />

87


Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

des Weiterbeschäftigungstitels. Insofern fehlt es an der hierfür<br />

notwendigen Glaubhaftmachung (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 3 mit<br />

Satz 2 ArbGG).<br />

Schließlich führt die dem Gericht bei seiner Entscheidung<br />

nach § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG im Rahmen seiner Ermessensausübung<br />

zustehende Berücksichtigung der Erfolgsaussichten<br />

der von der Schuldnerin eingelegten Berufung (vgl. z. B. BAG,<br />

v. 06.01.1971 – 3 AZR 384/70 – AP Nr. 3 zu § 719 ZPO; BAG,<br />

v. 22.06.1972 – 3 AZR 263/92 – AP Nr. 4 zu § 719 ZPO; LAG<br />

Düsseldorf, v. 07.03.1980 – 8 Sa 59/80 – EzA § 62 ArbGG<br />

1979 Nr. 2) nicht zu einer Einstellung der Zwangsvollstreckung<br />

aus dem Weiterbeschäftigungstitels nach § 62 Abs. 1 Satz 3<br />

ArbGG. Es kann nämlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht<br />

erkannt werden, dass die Aussichten, das erstinstanzliche Urteil<br />

hinsichtlich des Feststellungs- <strong>und</strong> Weiterbeschäftigungsanspruchs<br />

abzuändern <strong>und</strong> die Klage abzuweisen, die Aussichten,<br />

das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen, überwiegen.<br />

In diesem Zusammenhang ist auch noch darauf hinzuweisen,<br />

dass die Schuldnerin bereits erstinstanzlich umfangreicher<br />

die angebliche Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung<br />

des Gläubigers hätte begründen müssen (vgl. BAG, v.<br />

27.02.1985 – GS 1/84 – AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht<br />

Nr. 14, zu C II 3c der Gründe).<br />

■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 1. Dezember 2008, 11 Sa 1490/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Jürgen Höser, Kölner<br />

Straße 2, 50226 Frechen, Tel.: 02234-1820-0,<br />

Fax: 02234/1820-10<br />

office@hdup.de; www.hdup.de<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

113. Streitwert, Änderungskündigung bei Annahme unter<br />

Vorbehalt; wiederkehrende Leistung bei Abhängigkeit<br />

von Änderungskündigung<br />

1. Nimmt der Arbeitnehmer eine Änderungskündigung unter<br />

Vorbehalt an <strong>und</strong> zielt die Änderungskündigung auf eine<br />

Reduzierung der Vergütung ab, dann ist in entsprechender<br />

Anwendung der Regelungen in § 42 Abs. 3 <strong>und</strong> Abs. 4 S. 1<br />

<strong>und</strong> 2 GKG bei der Bestimmung des Streitwertes gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

vom dreifachen Jahresbetrag der monatlichen Vergütungsdifferenz<br />

auszugehen, höchstens jedoch vom Vierteljahresverdienst<br />

des § 42 Abs. 4 S. 1 GKG. Da bei der Annahme unter<br />

Vorbehalt nicht der Bestand des Arbeitsverhältnisses in Streit<br />

steht, sondern nur einzelne Arbeitsbedingungen, ist die Obergrenze<br />

des Vierteljahresverdienstes gr<strong>und</strong>sätzlich zu halbieren.<br />

2. Beantragt der Arbeitnehmer neben einem Kündigungsschutzantrag<br />

im Wege der objektiven Klagehäufung die Feststellung,<br />

dass der Arbeitgeber zur Zahlung der bisherigen<br />

Lohnhöhe verpflichtet sei, so ist der letztgenannte Feststellungsantrag<br />

zwar gr<strong>und</strong>sätzlich mit dem 36-fachen Bezugs-<br />

88 01/09<br />

wert zu bewerten. Dieser Wert ist jedoch wegen des sozialen<br />

Schutzzwecks des § 42 Abs. 4 S. 1 GKG jedenfalls dann auf<br />

ein Bruttomonatsgehalt zu beschränken, wenn der zusätzliche<br />

Feststellungsantrag ausschließlich mit der Begründetheit bzw.<br />

Unbegründetheit der Änderungskündigung steht oder fällt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 11. Juni 2008, 1 Ta 108/08<br />

114. Streitwert bei Herausgabe eines Leasing-Fahrzeuges<br />

Aus den Gründen: ...<br />

Die Beklagte beantragte ... im Wege der Widerklage die Verurteilung<br />

des Klägers zur Herausgabe einer Reihe von näher<br />

bezeichneten Gegenständen an sie, darunter unter anderem<br />

das dem Kläger überlassene Firmenfahrzeug vom Typ Audi A4<br />

Avant. Dieses Firmenfahrzeug hatte die Beklagte ihrerseits zu<br />

einer monatlichen Rate von 375,00 EUR geleast. ...<br />

II. ... 2. Im Hinblick auf die Widerklage hat sich das Arbeitsgericht<br />

an den Zahlen orientiert, die die Beklagte mit Schriftsatz<br />

vom 01.08.2008, welcher dem Kläger ebenfalls zur Anhörung<br />

zugeleitet wurde, angegeben hat. Darin ist der Verkehrswert<br />

des Audi A4 Avant mit ca. 30.000,00 EUR angegeben <strong>und</strong><br />

der Wert der sonstigen Gegenstände mit insgesamt 2.000,00<br />

EUR. Diese Zahlen hat der Beschwerdeführer ihrer Höhe nach<br />

nicht angegriffen, weswegen sie bei der Wertfestsetzung zugr<strong>und</strong>e<br />

gelegt werden können. Dabei war insbesondere für<br />

die Herausgabe des Pkw auf dessen Verkehrswert abzustellen<br />

<strong>und</strong> nicht etwa auf die Höhe der Leasingraten. Insoweit<br />

ist gemäß. § 6 Satz 1 ZPO der Wert der herauszugebenden<br />

Sache entscheidend, wenn es auf ihren Besitz ankommt. So<br />

lag es hier, da die Beklagte <strong>und</strong> Widerklägerin keinerlei eigentumsrechtliche<br />

Ansprüche geltend gemacht hat, sondern<br />

die Herausgabe des geleasten <strong>und</strong> an den Beschwerdeführer<br />

überlassenen Pkw.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 16. Oktober 2008, 1 Ta 190/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Thomas Wolf, Seemenbachstraße<br />

3, 63654 Büdingen, Tel.: 06042/962211,<br />

Fax: 06042/962223<br />

115. Streitwert, nachvertragliches Wettbewerbsverbot<br />

Streiten die Parteien über die Wirksamkeit eines in den<br />

Arbeitsvertrag aufgenommenen nachvertraglichen Wettbewerbsverbots,<br />

entspricht der Streitwert der gesetzlich<br />

vorgeschriebenen Mindestentschädigung. Dies gilt jedenfalls<br />

immer dann, wenn sich im Einzelfall keine konkreteren<br />

Anhaltspunkte für die Streitwertberechnung ergeben.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 12. November 2007, 7 Ta 295/07<br />

AE200901.PDF 88 17.02.2009 12:08:11


116. Streitwert bei mehreren streitigen Beendigungstatbeständen<br />

(hier: auflösende Bedingung <strong>und</strong> Maximalbefristung)<br />

1. Die Gr<strong>und</strong>sätze der Streitwertfestsetzung im Kündigungsschutzprozess<br />

mit Folgekündigung sind auf Fälle einer vereinbarten<br />

auflösenden Bedingung des Arbeitsverhältnisses <strong>und</strong><br />

zusätzlich vereinbarter Maximalbefristung entsprechend anzuwenden.<br />

2. Liegt im Einzelfall zwischen dem Zeitpunkt des Eintritts<br />

der streitigen auflösenden Bedingung einerseits <strong>und</strong> der vereinbarten<br />

Maximalbefristung, deren Wirksamkeit ebenfalls in<br />

Streit ist, für die in Betracht zu ziehende jeweiligen Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses ein Zeitraum von weniger als<br />

drei Monaten, ist hiernach neben der Bewertung des Streits<br />

um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Maßgabe<br />

der auflösenden Bedingung mit einem Quartalsverdienst, § 42<br />

Abs. 4 S. 1 GKG, der Entgeltbetrag der Zeitdifferenz der Beendigungstermine,<br />

mindestens aber ein Bruttomonatsverdienst<br />

anzusetzen.<br />

3. Liegt zwischen den in Streit stehenden in Betracht zu ziehenden<br />

Beendigungsterminen ein Zeitraum von mindestens<br />

drei Monaten, so ist der Quartalsverdienst nach § 42 Abs. 4<br />

S. 1 GKG doppelt in Ansatz zu bringen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 17. Januar 2008, 8 Ta 393/07<br />

117. Streitwert, Vergleichsmehrwert, Sozialplanabfindung<br />

1. Eine Sozialplanabfindung kann streitwertrelevant sein<br />

<strong>und</strong> auch einen Vergleichsmehrwert begründen.<br />

2. Voraussetzung dafür ist, dass über die Sozialplanabfindung<br />

gerichtlich oder zumindest außergerichtlich gestritten<br />

wurde oder sich der Arbeitgeber mit der Erfüllung des Abfindungsanspruchs<br />

bei Vergleichsabschluss in Verzug bef<strong>und</strong>en<br />

hat (ebenso Landesarbeitsgericht Rheinland Pfalz, Beschluss<br />

vom 09.10.2007 –1Ta219/07).<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 22. Dezember 2007, 8 Ta 26/07<br />

118. Streitwert, Beschlussverfahren, Feststellung Gemeinschaftsbetrieb<br />

1. Die im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anfallenden<br />

Streitsachen sind typischerweise nichtvermögensrechtlicher<br />

Natur.<br />

2. Bei der Bewertung des Verfahrens nach § 18 II BetrVG ist<br />

zu beachten, dass es in einem engen Zusammenhang zum<br />

Wahlanfechtungsverfahren nach § 19 BetrVG steht. Die Frage<br />

der Zuordnung der Arbeitnehmer zum Betrieb stellt eine wesentliche<br />

Vorfrage auch für das Wahlanfechtungsverfahren<br />

dar. Es erscheint deshalb sachgerecht, bei der Wertfestsetzung<br />

für diese Zuordnungsverfahren an die für Wahlanfechtungsverfahren<br />

nach § 19 BetrVG entwickelten Gr<strong>und</strong>sätze anzu-<br />

01/09<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

knüpfen (vgl. LAG Köln v. 24.2.1989, LAGE BRAGO § 8 Nr. 11;<br />

LAG Hamburg v. 17.12.1996, LAGE BRAGO § 8 Nr. 37).<br />

3. Auch in einem Verfahren nach § 18 II BetrVG erscheint<br />

dabei der Rückgriff auf die Stufen des § 9 BetrVG angemessen,<br />

weil sich in diesen Stufen <strong>und</strong> der dort jeweils festgelegten<br />

Anzahl der Mitglieder des Betriebsrates die Bedeutung der<br />

Angelegenheit widerspiegelt (LAG Bremen v. 12. 5. 1999, LAGE<br />

BRAGO § 8 Nr. 43; LAG Hamm v. 1.3.2006 – 10 Ta 21/06,<br />

BeckRS 2006, 41 161 = EzA-SD 2006, Nr. 7, 18).<br />

4. In Anwendung dieser Gr<strong>und</strong>sätze ist ausgehend vom<br />

anderthalbfachen Hilfswert bei einem einköpfigen Betriebsrat<br />

für jede weitere Staffel des § 9 BetrVG eine Anhebung<br />

um jeweils den einfachen Hilfswert, d. h. für jedes weitere<br />

Betriebsratsmitglied um den halben Hilfswert, vorzunehmen<br />

(LAG Hamm, BeckRS 2006, 41 161 = EzA-SD 2006, Nr. 7, 18;<br />

LAG Köln v. 19. 5. 2004 – 10 Ta 79/04).<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 3. Januar 2008, 8 Ta 277/07<br />

119. Streitwert, Beschlussverfahren, Zustimmungsersetzungsverfahren,<br />

Eingruppierung<br />

Bei der Bestimmung des Gegenstandswerts eines betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Streits um eine Eingruppierung ist auch<br />

der dahinterstehende materiell-rechtliche Streit um die richtige<br />

Eingruppierung zu berücksichtigen, was eine Anlehnung<br />

an die Wertvorschrift des § 42 IV 2 GKG mit einem Abschlag<br />

von 20% rechtfertigt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 19. März 2008, 10 Ta 43/08<br />

120. Streitwert, Beschlussverfahren, Aufhebung von<br />

personellen Einzelmaßnahmen <strong>und</strong> Feststellung deren<br />

Rechtswidrigkeit<br />

Das Arbeitsgericht Duisburg hat in einem Beschluss vom 31.<br />

Oktober 2008, 2 BV 85/08, zwar ohne Begründung aber in<br />

der Summe dem detailliertem Begehren des Antragstellers folgend<br />

bei mehreren gleichartigen Maßnahmen zwar entsprechend<br />

der herrschenden Meinung für die erste Maßnahme<br />

€ 4.000,00 angesetzt, für die weiteren Maßnahmen dann aber<br />

€ 2.000,00 (statt € 1.000,00).<br />

■ Arbeitsgericht Duisburg<br />

vom 31. Oktober 2008, 2 BV 85/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Christian Puhr-Westerheide,<br />

Beethovenstraße 21, 47226 Duisburg, Tel.: 02065/3000-0,<br />

Fax: 02065/3000-50<br />

info@ra-npp.de; www.ra-npp.de<br />

121. Streitwert eines Verfahrens gem. §§ 22, 13 Abs. 2<br />

Ziff. 3 BetrVG<br />

1. Der Antrag gem. §§ 22, 13 Abs. 2 Ziff. 3 BetrVG eines Betriebsrats<br />

festzustellen, dass dieser nach kollektivem Rücktritt<br />

bis zu einer Betriebsratsneuwahl die Geschäfte weiterführt, ist<br />

AE200901.PDF 89 17.02.2009 12:08:11<br />

89


Impressum<br />

wegen seiner zeitlichen Befristung von geringerer Bedeutung<br />

als ein Wahlanfechtungsverfahren.<br />

2. In diesem Fall rechtfertigt sich bei einem 3-köpfigen Betriebsrat<br />

ein Abschlag von 25% gegenüber dem doppelten<br />

Hilfswert gem. § 23 Abs. 3 RVG, mithin ein Streitwert i.H.v.<br />

€ 6.000,00.<br />

Impressum<br />

AE-Arbeitsrechtliche Entscheidungen<br />

Herausgeber, Chefredaktion- <strong>und</strong> Anschrift:<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans-Georg Meier<br />

Budapester Straße 40<br />

10787 Berlin<br />

Telefon (030) 25 45 91 55<br />

Telefax (030) 25 45 91 66<br />

E–Mail: m.bendel@advocati.de<br />

Redaktion:<br />

Rechtsanwalt Roland Gross<br />

Petersstr. 15<br />

04105 Leipzig<br />

Telefon (0341) 984 62-0<br />

Fax (0341) 984 62-24<br />

E–Mail: leipzig@advo-gross.de;<br />

www.advo-gross.de<br />

Rechtsanwältin Dr. Nathalie Oberthür<br />

Kanzlei RPO Rechtsanwälte<br />

Im Mediapark 6<br />

50670 Köln<br />

Telefon (0221) 355051-50<br />

Fax (0221) 355051-35<br />

E–Mail: oberthuer@rpo-rechtsanwaelte.de<br />

www.rpo-rechtsanwaelte.de<br />

<strong>und</strong> die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DeutschenAnwaltverein<br />

(Adresse s. unten)<br />

Geschäftsführender Ausschuss:<br />

Dr. Jobst-Hubertus Bauer (Vors.)<br />

Geschäftsstelle:<br />

c/o Dr. Johannes Schipp<br />

Münsterstraße 21<br />

33330 Gütersloh<br />

Telefon (0 52 41) 90 33-0<br />

Telefax (0 52 41) 1 48 59<br />

90 01/09<br />

Deutscher AnwaltVerein<br />

Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht<br />

Geschäftsstelle<br />

Dr. Katharina Freytag<br />

Littenstraße 11<br />

10179 Berlin<br />

Telefon (030) 72 61 52-0, Sekr. 134<br />

Telefax (030) 72 61 52-195<br />

Verlag:<br />

Deutscher AnwaltVerlag<br />

Wachsbleiche 7<br />

53111 Bonn<br />

Telefon: (0228) 9 19 11-0<br />

Telefax: (0228) 9 19 11-23<br />

E–Mail: kontakt@anwaltverlag.de<br />

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sales friendly Verlagsdienstleistungen<br />

Bettina Roos<br />

Siegburger Str. 123<br />

53229 Bonn<br />

Telefon: (0228) 9 78 98-0<br />

Telefax: (0228) 9 78 98-20<br />

E–Mail: roos@sales-friendly.de<br />

Gültig ist die Preisliste Nr. 4 vom 1.1.2007<br />

Lektorat<br />

Anne Krauss<br />

Satz<br />

Cicero Computer GmbH, 53225 Bonn<br />

Druck<br />

Hans Soldan Druck GmbH, 45356 Essen<br />

Erscheinungsweise<br />

Die AE erscheint vierteljährlich<br />

■ Arbeitsgericht München<br />

vom 2. September 2008, 3 BV 231/08<br />

eingereicht <strong>und</strong> formuliert von Rechtsanwalt Dr. Georg-R.<br />

Schulz, Josephspitalstr. 9, 80331 München,<br />

Tel. (089) 54 59 81-0, Fax: (089) 55 34 50,<br />

info@kanz-hans-schulz.de; www.kanz-hans-schulz.de<br />

Bezugspreise 2009<br />

Inland € 96,– (zzgl. Versand)<br />

Einzelheft € 25,– (zzgl. Versand)<br />

Alle Preise verstehen sich inkl. Mehrwertsteuer. Der Abonnementpreis<br />

wird im Voraus in Rechnung gestellt.<br />

Das Abonnement verlängert sich zu den jeweils gültigen Bedingungen<br />

um ein Jahr, wenn es nicht 8 Wochen vor Ablauf des Bezugsjahres<br />

gekündigt wird.<br />

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitsrecht erhalten die<br />

AE im Rahmen ihrer Mitgliedschaft.<br />

Urheber- <strong>und</strong> Verlagsrecht<br />

Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge – auch die bearbeiteten<br />

Gerichtsentscheidungen <strong>und</strong> Leitsätze – sind urheberrechtlich<br />

geschützt. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken <strong>und</strong><br />

ähnlichen Einrichtungen. Kein Teil dieser Zeitschrift darf außerhalb<br />

der Grenzen des Urhebergesetzes ohne schriftliche Genehmigung<br />

des Verlages in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder<br />

andere Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere<br />

von Datenverarbeitungsanlagen verwendbare Sprache,<br />

übertragen werden. Namentlich gezeichnete Artikel müssen nicht die<br />

Meinung der Redaktion wiedergeben. Manuskripte <strong>und</strong> Einsendungen<br />

sind bitte an die Redaktionsanschrift zu senden.<br />

Manuskripte<br />

Die AE beinhaltet aktuelle arbeitsrechtliche Entscheidungen sowie<br />

Beiträge für die Anwaltspraxis. Manuskripte sind an die Redaktionsanschrift<br />

zu richten. Unverlangt eingesandte Manuskripte – für die<br />

keine Haftung übernommen wird – gelten als Veröffentlichungsvorschlag<br />

zu den Bedingungen des Verlages. Es werden nur unveröffentlichte<br />

Originalarbeiten übernommen. Die Verfasser erklären sich<br />

mit einer nicht sinnentstellenden redaktionellen Bearbeitung durch<br />

den Herausgeber einverstanden. Mit der Annahme eines Manuskriptes<br />

erwirbt der Verlag vom Verfasser das ausschließliche Recht zur<br />

Veröffentlichung <strong>und</strong> Verwertung. Eingeschlossen ist insbesondere<br />

auch das Recht zur Einspeicherung in Datenbanken sowie das Recht<br />

zur weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken im Wege eines<br />

fotomechanischen oder eines anderen Verfahrens.<br />

AE200901.PDF 90 17.02.2009 12:08:11


Rezension<br />

Prof. Dr. Reinhard Richardi<br />

Arbeitsrecht in der Kirche<br />

Verlag C. H. Beck, 5. neubearbeitete Auflage 2009, 598 Seiten,<br />

kartoniert, EUR 48,00<br />

ISBN 978-3-406-55682-1<br />

Der Verlag teilt in seiner Programminformation mit, nach dem<br />

Staat seien die Kirchen zweitgrößter Arbeitgeber in der B<strong>und</strong>esrepublik.<br />

Das entspricht dem eigenen Praxiserleben des<br />

Rezensenten. Natürlich sind es nicht die originären Kirchen,<br />

sondern vor allem ihre diakonischen <strong>und</strong> vergleichbaren Einrichtungen,<br />

die zu einem immer größeren Teil Einrichtungen<br />

gründen oder – zunehmend – aus privater oder staatlicher<br />

Hand übernehmen, die im weitesten Sinne dem Begriff der<br />

Pflege zuzuordnen sind. Dem Kreis des Lebens folgend beginnt<br />

es mit der Geburt in einem kirchlichen Krankenhaus<br />

<strong>und</strong> kann mit dem christlichen Hospiz enden. Dazwischen<br />

liegen Kinderbetreuungsstätten, Einrichtungen für geistig <strong>und</strong><br />

körperlich Behinderte ebenso wie Einrichtungen zum Schutz<br />

missbrauchter osteuropäischer Frauen. In allen diesen Einrichtungen<br />

findet Arbeitsrecht statt, nach Arbeitsvertrag, vor allem<br />

aber nach diversen Arbeitsvertragsrichtlinien, entstanden<br />

auf dem so genannten „Dritten Weg“ <strong>und</strong> mitgestaltet durch<br />

eine Betriebsvertretung, Mitarbeitervertretung genannt, geregelt<br />

nach kirchlichen Gesetzen. Inhalt <strong>und</strong> Grenzen dieser<br />

kirchlichen Regeln, die neben das staatliche Arbeitsrecht treten,<br />

zu kennen <strong>und</strong> die Zuständigkeitsbereiche gegeneinander<br />

abgrenzen zu können, sind eine unabweisbare Notwendigkeit<br />

für jeden, der auf diesem Gebiet tätig sein will. Nicht<br />

selten kommt es vor, dass man sich aus Unkenntnis zwischen<br />

die Stühle setzt, d.h. mit falschen Anträgen sowohl hier wie<br />

da wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen wird, denn es gibt<br />

weder ein gegenseitiges Verweisungsrecht noch eine Abhängigkeit<br />

in dem Sinne, dass das eine oder andere Verfahren bis<br />

zur Klärung im anderen Rechtsweg ausgesetzt würde.<br />

Wegen der Häufigkeit der möglicherweise zu bearbeiteten<br />

Arbeitsverhältnisse einerseits <strong>und</strong> der Komplexität des Rechtsgebietes<br />

andererseits ist das hier besprochene Werk eine<br />

große Hilfe. Auch der Erfahrene wird sich hier immer wieder<br />

orientieren müssen, um dann vielleicht mit einem Kommentar<br />

z.B. zum Mitarbeitervertretungsrecht die letzte Erleuchtung zu<br />

finden. Der Unerfahrene wird sich ohne dieses Werk unsicher<br />

fühlen <strong>und</strong> in der Vertretung nicht den besten Eindruck<br />

01/09<br />

Rezension<br />

machen. Das Werk hilft prägnant, anschaulich <strong>und</strong> ausführlich,<br />

insbesondere in den zentralen Praxisthemen staatskirchenrechtliche<br />

<strong>und</strong> kirchenrechtliche Gr<strong>und</strong>lagen, Gestaltung des<br />

staatlichen Kündigungs- <strong>und</strong> Arbeitsschutzrechts im Rahmen<br />

kirchlicher Arbeitsverhältnisse, Koalitionsfreiheit <strong>und</strong> ihre Ausübung<br />

in kirchlichen Einrichtungen, Arbeits-, Regelungs- <strong>und</strong><br />

Mitarbeitervertretungsrecht der Kirchen sowie Rechtsschutz<br />

<strong>und</strong> berücksichtigt dabei natürlich die Rechtsentwicklung der<br />

letzten Jahre, z.B. zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz<br />

<strong>und</strong> zu den Änderungen bzw. der Einführung von Verfahrensregeln<br />

der kirchlichen Arbeitsgerichtsbarkeit, die es in der<br />

katholischen Kirche erst seit dem Jahre 2004 gibt, in der<br />

evangelischen Kirche hingegen bereits eine lange Tradition<br />

hat.<br />

Der Autor ist nicht nur der Nestor des Kirchlichen Arbeitsrechts<br />

aus der Sicht von Forschung <strong>und</strong> Lehre, sondern wird<br />

einem unter Umständen auch auf der anderen Seite des<br />

„Tresens“ begegnen, ist er doch Präsident des Kirchlichen<br />

Arbeitsgerichtshofes der katholischen Kirche. Insoweit ist ihm<br />

allerdings aus anwaltlicher Sicht eine nicht unwesentliche<br />

Informationslücke vorzuhalten. Fehlen schon im Sachverzeichnis<br />

die Begriffe Postulationsfähigkeit, Prozessvertreter<br />

oder Verfahrensbevollmächtigter, so fehlt es erst recht in der<br />

Darstellung der Gerichtsbarkeit der evangelischen Kirche an<br />

einem entsprechenden Hinweis. Vor den Kirchengerichten<br />

erster (auch Schieds- oder Schlichtungsstelle genannt) <strong>und</strong><br />

zweiter Instanz der evangelischen Kirche kann nämlich nur<br />

der als Prozessvertreter tätig werden, der Mitglied einer evangelischen<br />

Kirche ist, die ihrerseits der Arbeitsgemeinschaft<br />

christlicher Kirchen angehört (§ 21 KiGG.EKD). Hinsichtlich der<br />

katholischen Kirche teilt der Autor zutreffend mit, dass die<br />

Postulationsfähigkeit sich hier auf die Sach- <strong>und</strong> Rechtsk<strong>und</strong>e<br />

der Vertretungsperson beschränkt. Nur zu leicht könnte durch<br />

die beanstandete Lücke deshalb der Eindruck entstehen, vor<br />

evangelischen Kirchengerichten gäbe es überhaupt keine<br />

Einschränkung.<br />

Im materiellen Teil ist das Werk jedoch ohne Fehl <strong>und</strong> Tadel<br />

<strong>und</strong> gehört sofort auf den Tisch, sobald eine Bearbeitung im<br />

Bereich des Arbeitsrechts der Kirche auftritt.<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

AE200901.PDF 91 17.02.2009 12:08:11<br />

91


AE200901.PDF 92 17.02.2009 12:08:11


Stichwortverzeichnis<br />

(Zahlenangaben sind lfd. Nummern der Entscheidungen)<br />

Abwerbung –1<br />

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz<br />

Ausschlussfrist – 2<br />

Behinderung – 32<br />

geschlechtsbezogen – 3<br />

Passivlegitimation – 2<br />

Vermittler – 2<br />

Altersdiskriminierung<br />

Kündigungsfrist – 54<br />

Sozialplan – 74<br />

Altersteilzeit<br />

Aufstockungsbetrag – 4<br />

Vergütungsberechnung – 4<br />

Änderungskündigung<br />

Auslegung – 31<br />

Bestimmtheit – 31<br />

Anerkenntnis<br />

konkludentes – 28<br />

Anfechtung<br />

Aufhebungsvertrag – 14<br />

Drohung – 14<br />

Anhörungsrüge<br />

Zulässigkeit – 86<br />

Annahmeverzug<br />

anderweitiger Verdienst – 5, 6<br />

Arbeitgeberhaftung<br />

Arbeitsunfall – 13<br />

Arbeitgebervertreter<br />

Ablehnung durch BR- 68<br />

Arbeitnehmerhaftung<br />

Buchhaltung – 8<br />

gesamtschuldnerische Haftung – 8<br />

Schuldanerkenntnis – 7<br />

Arbeitnehmerstatus<br />

freiwilliges soziales Jahr – 11<br />

Organstellung, Ende – 10<br />

Redakteur – 9<br />

Arbeitnehmerüberlassung<br />

Entreicherung – 87<br />

Schlechtleistung – 87<br />

Schriftform – 87<br />

Arbeitsunfall<br />

Haftungsausschluss – 13<br />

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung<br />

unerwünschte – 25<br />

Arbeitsvertrag<br />

Anfechtung wegen Täuschung – 32<br />

konkludente Abänderung – 12<br />

Arbeitsverweigerung<br />

Gewissensgründe – 65<br />

Aufhebungsvertrag<br />

Anfechtung – 14<br />

Schadensersatz – 15<br />

Täuschung – 15<br />

Auslagenerstattung<br />

Geldbuße – 22<br />

Auslegung<br />

Urteilstenor – 9<br />

Ausschlussfrist<br />

AGG–2<br />

Anforderung – 26<br />

Rechtsmissbrauch – 26<br />

Außerordentliche Kündigung<br />

Frist nach § 626 Abs. 2 BGB – 64, 67<br />

krankheitsbedingte – 49<br />

Nebenpflicht – 62<br />

sexuelle Belästigung – 66<br />

Verdacht – 64, 67<br />

Aussetzung<br />

außerordentliche/ordentliche Kündigung – 96<br />

AVR<br />

Inhaltskontrolle – 83<br />

Übergangsregelung – 83<br />

BAT<br />

Sonderzahlung – 85<br />

Befristung des Arbeitsverhältnisses<br />

gerichtlicher Vergleich – 36<br />

Hochschulrecht – 35<br />

Künstler – 76<br />

Schriftform – 37, 76<br />

Vertretung mittelbar – 33, 34<br />

Bereicherungsrecht<br />

Entreicherung – 87<br />

Berufung<br />

Säumnis – 88<br />

Beschäftigungsanspruch<br />

einstweilige Verfügung – 38, 39<br />

Freistellungsklausel – 39<br />

Kündigungsfrist – 39<br />

Beschlussverfahren<br />

Gutachten des Arbeitsgerichts – 69<br />

Betriebliche Altersversorgung<br />

Unverfallbarkeit – 17<br />

VBL-Neuregelung – 18<br />

Vertrauensschutz – 16<br />

Betriebliche Übung<br />

gegenläufige – 19, 27<br />

Betriebsbedingte Kündigung<br />

Auskunftspflicht Sozialauswahl – 41<br />

Austauschkündigung – 46<br />

Betriebsübergang –45<br />

Interessenausgleich mit Namensliste – 41<br />

Sonderkündigungsschutz – 42<br />

Sozialauswahl – 47<br />

unternehmerische Entscheidung – 43, 44<br />

Werkstatt für Behinderte – 44<br />

Betriebsrat<br />

Durchführungsanspruch – 69<br />

Schulung siehe Betriebsratsschulung<br />

Betriebsratsmitglied<br />

Freizeitausgleich – 71<br />

Betriebsratsschulung<br />

Kommunikation – 70<br />

Stichwortverzeichnis<br />

01/09<br />

AE200901.PDF 93 17.02.2009 12:08:11<br />

93


Stichwortverzeichnis<br />

Betriebsratswahl<br />

gemeinsamer Betrieb – 72<br />

Betriebsstilllegung<br />

Vortäuschung – 15<br />

Betriebsübergang<br />

Begriff – 45<br />

Dienstleistungsgewerbe – 45<br />

Rettungsdienst – 45<br />

Tarifbindung – 85<br />

Unterrichtung – 40<br />

Betriebsvereinbarung<br />

Auslegung – 73<br />

tarifliche Öffnungsklausel – 81<br />

Beweisangebot<br />

Ausforschung – 48<br />

Bühnenrecht<br />

Nichtverlängerungsmitteilung – 48<br />

Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast<br />

Überst<strong>und</strong>en – 26<br />

Direktionsrecht<br />

Arbeitsort – 20, 21<br />

Arbeitszeit – 21<br />

billiges Ermessen – 20<br />

einstweilige Verfügung – 21<br />

Personalgespräch – 22<br />

Überschreitung – 12<br />

Vertrag – 12<br />

Diskriminierung<br />

geschlechtsbezogene – 3<br />

Eingruppierung<br />

AVR–83<br />

Ausbildungsbegriff – 79<br />

Energieelektroniker – 78<br />

ERA – 78, 79<br />

Hochschulausbildung – 77<br />

selbständige Leistung – 79<br />

Einigungsstelle<br />

offensichtliche Unzuständigkeit – 81<br />

Einstweilige Verfügung<br />

Direktionsrecht – 21, 22<br />

Personalgespräch – 22<br />

Weiterbeschäftigungsanspruch – 51<br />

Elterngeld<br />

Bemessung – 90<br />

Feststellungsinteresse<br />

VBL–18<br />

Freistellung<br />

anderweitiger Verdienst – 6<br />

Sozialversicherungspflicht – 110<br />

widerruflich – 6<br />

Freiwilliges soziales Jahr<br />

Arbeitsverhältnis – 11<br />

Geldbuße<br />

Erstattungsanspruch – 22<br />

Gleichbehandlung<br />

Geschlechtsdiskriminierung – 3<br />

persönliche Zulage – 4<br />

Stichtag – 24<br />

Insolvenz<br />

Verfrühungsschaden – 111<br />

Interessenausgleich<br />

grob fehlerhafte Sozialauswahl – 41<br />

94 01/09<br />

Kostenerstattung in Arbeitsgerichtsverfahren<br />

unzuständiges Gericht – 91<br />

Kostenfestsetzung<br />

Einwendungen – 92<br />

fehlerhafte Kostengr<strong>und</strong>entscheidung – 93<br />

Ratenzahlung – 94<br />

Kostenprivilegierung<br />

Erledigung – 95<br />

Krankheitsbedingte Kündigung<br />

außerordentliche – 49<br />

betriebliches Eingliederungsmanagement – 50<br />

Interessenabwägung – 49<br />

negative Prognose – 50<br />

Kündigung – siehe auch unter betriebsbedingte-, krankheitsbedingte-,<br />

verhaltensbedingte-, außerordentliche <strong>und</strong> personenbedingte-<br />

Änderungskündigung – siehe dort<br />

Sonderkündigungsschutz, behördliche Zustimmung – 59<br />

Rechtsbedingung – 51<br />

Kündigungserklärung<br />

Zurückweisung mangels Vollmacht – 53<br />

Kündigungsschutz allgemein<br />

Treu <strong>und</strong> Glauben – 52, 55<br />

Kündigungsschutzgesetz<br />

Unterbrechung des Vertrages – 55<br />

Kündigungsschutzklage<br />

nachträgliche Zulassung – 56, 57, 58<br />

Mutterschutz<br />

Arbeitsunfähigkeit – 25<br />

Orchestermusiker<br />

Instandhaltungskosten – 82<br />

Ordnungsgeld<br />

persönliches Erscheinen – 97<br />

Örtliche Zuständigkeit<br />

Außendienstmitarbeiter – 98<br />

gesetzeswidrig – 98<br />

Versetzung – 20<br />

Passivlegitimation<br />

AGG, Vermittler – 2<br />

unlauterer Wettbewerb – 1<br />

Personenbedingte Kündigung<br />

krankheitsbedingte Kündigung siehe dort<br />

Persönliches Erscheinen siehe Ordnungsgeld<br />

Prozesskostenhilfe<br />

Abfindung – 103<br />

Anwaltsbeiordnung – 104<br />

Beschleunigung – 100<br />

Beschwerde – 104<br />

Erwerbstätigenfreibetrag – 102<br />

Insolvenz – 101<br />

mutwillige Rechtsverfolgung – 99<br />

Schonbetrag – 103<br />

Unterhaltsberechtigte – 102<br />

Verkehrsanwalt – 104<br />

Recht <strong>und</strong> Billigkeit<br />

Durchsetzung des BR – 69<br />

Rechtsschutzversicherung<br />

außergerichtliche Tätigkeit – 107<br />

Rechtsweg<br />

Vorabentscheidung – 109<br />

vermögenswirksame Leistung – 105<br />

Zusammenhangsklage – 106<br />

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Restitutionsklage<br />

nachträgliche Anerkennung als Schwerbehinderter – 59<br />

Sachverständiger<br />

Ablehnung – 108<br />

Schadensersatzanspruch<br />

Täuschung – 15<br />

Schuldanerkenntnis<br />

Arbeitnehmerhaftung – 7<br />

konkludent – 28<br />

Schwerbehinderte<br />

Fragerecht – 32<br />

nachträgliche Anerkennung – 59<br />

Sonderkündigungsschutz – 59<br />

Schwerbehindertenvertretung<br />

Kostenerstattung – 109<br />

Sonderkündigungsschutz<br />

konkurrierender – 42<br />

Sonderzuwendung<br />

Bindungsdauer – 75<br />

Sozialauswahl<br />

Auskunftsanspruch des Arbeitnehmers – 41<br />

Beförderungsstelle – 47<br />

freier Arbeitsplatz – 47<br />

Kappungsgrenze – 74<br />

tariflich Unkündbare – 42<br />

Sozialplan<br />

Auslegung – 73<br />

Sozialversicherungspflicht<br />

Freistellung – 110<br />

Urlaub – 110<br />

Streitwert<br />

Beschlussverfahren siehe dort<br />

Kündigungsschutzverfahren siehe dort<br />

Leasingfahrtzeug – 114<br />

nachträgliches Wettbewerbsverbot – 115<br />

Sozialplanabfindung – 117<br />

wiederkehrende Leistungen – 113<br />

Streitwert im Beschlussverfahren<br />

Feststellung Gemeinschaftsbetrieb – 118<br />

Feststellung Geschäftsführung – 121<br />

personelle Einzelmaßnahme – 119, 120<br />

Streitwert im Kündigungsschutzverfahren<br />

Änderungskündigung – 113<br />

mehrere Beendigungstatbestände – 116<br />

Vergleichsmehrwert – 117<br />

Tarifbindung<br />

Betriebsübergang – 85<br />

Kündigung – 85<br />

Tarifpluralität<br />

gewillkürte – 84<br />

Tarifvertrag<br />

Auslegung – 80<br />

TV Einzelhandel<br />

Urlaubszeit – 80<br />

Überst<strong>und</strong>en<br />

Vergütungsanspruch – 26<br />

Unterschrift<br />

Anforderungen – 37<br />

unlauterer Wettbewerb<br />

Abwerbung – 1<br />

Passivlegitimation – 1<br />

Urteilstenor<br />

Auslegung – 9<br />

VBL<br />

Startguthabenberechnung – 18<br />

Verfrühungsschaden<br />

Insolvenz – 111<br />

Vergütungsanspruch<br />

brutto/netto – 89<br />

Verhaltensbedingte Kündigung<br />

Alkoholgenuss – 60<br />

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – 62<br />

Arbeitsverweigerung – 65, siehe dort<br />

Diebstahl – 61<br />

Leistungsmangel – 63<br />

Nebenpflichtverletzung 62<br />

sexuelle Belästigung – 66<br />

Verdacht – 63, 64<br />

Vermögenswirksame Leistung<br />

Rechtsweg – 105<br />

Verspätetes Vorbringen<br />

Berufungsinstanz – 14<br />

Weiterbeschäftigung<br />

einstweilige Verfügung – 51<br />

wirtschaftliche Notlage – 51<br />

Zeugnis<br />

Bindung – 29, 30<br />

Entwurfsrecht – 29<br />

Vereinbarung – 30<br />

Zielvereinbarung<br />

Stichtagsregelung – 24<br />

Zwangsvollstreckung<br />

Einstellung – 112<br />

Stichwortverzeichnis<br />

01/09<br />

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