Minijobs im Einzelhandel - Zur Beschäftigungssituation in Bremen und
Minijobs im Einzelhandel - Zur Beschäftigungssituation in Bremen und Minijobs im Einzelhandel - Zur Beschäftigungssituation in Bremen und
Minijobs im Einzelhandel Zur Beschäftigungssituation in Bremen und Bremerhaven Stellungnahme Dr. Marion Salot Referentin für regionale Wirtschaftsstrukturpolitik Bremen, im Mai 2009
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<strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong><br />
<strong>Zur</strong> <strong>Beschäftigungssituation</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Bremen</strong> <strong>und</strong> Bremerhaven<br />
Stellungnahme<br />
Dr. Marion Salot<br />
Referent<strong>in</strong> für regionale Wirtschaftsstrukturpolitik<br />
<strong>Bremen</strong>, <strong>im</strong> Mai 2009
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
E<strong>in</strong>leitung<br />
Die Situation des <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>s <strong>in</strong> Bremerhaven ist <strong>im</strong>mer wieder Gegenstand der öffentlichen<br />
Diskussion. Nicht nur die zunächst geplante <strong>und</strong> dann wieder verschobene Ansiedlung e<strong>in</strong>er<br />
Kaufland-Filiale auf dem Phillips-Field, auch die Eröffnung des E<strong>in</strong>kaufszentrums „Mediterraneo“<br />
war stark umstritten. Gegenwärtig herrscht zwischen der Seestadt <strong>und</strong> dem Land Une<strong>in</strong>igkeit<br />
über die Sonntagsöffnungen. Die Ablehnung des Oberbürgermeisters gegenüber der Eröffnung<br />
e<strong>in</strong>es weiteren Supermarktes auf dem ehemaligen Gelände der Hermann-Löns-Schule stößt<br />
ebenfalls auf Kritik.<br />
Aber auch die massiven Jobverluste <strong>in</strong> dieser Branche - e<strong>in</strong>e Folge des Kaufkraftverlustes durch<br />
die hohe Arbeitslosigkeit - geben schon seit Jahren Anlass zur Sorge. Zwischen 1999 <strong>und</strong> 2008<br />
ist der <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> <strong>in</strong> der Seestadt spürbar geschrumpft. Das macht sich nicht nur durch die<br />
zunehmenden Ladenleerstände bemerkbar, sondern auch auf dem Arbeitsmarkt: Seit Ende der<br />
1990er Jahre g<strong>in</strong>gen über 1.800 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse<br />
verloren. Das entspricht e<strong>in</strong>em Arbeitsplatzrückgang von 35 Prozent. Gleichzeitig ist aber <strong>in</strong> den<br />
letzten Jahren <strong>in</strong> Bremerhaven e<strong>in</strong>e Entwicklung zu beobachten, die <strong>in</strong> der Presse als<br />
„Discounter-Wildwuchs“ bezeichnet wird. An vielen Ecken der Stadt öffnet e<strong>in</strong> neuer Supermarkt<br />
– meistens aus dem Niedrigpreis-Segment. Diese Läden haben häufig e<strong>in</strong>en hohen Anteil an<br />
M<strong>in</strong>ijobbern <strong>und</strong> M<strong>in</strong>ijobber<strong>in</strong>nen.<br />
Über die Situation <strong>und</strong> die Perspektiven des <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>s wird oft sehr emotional diskutiert,<br />
weil viele unterschiedliche Interessenlagen aufe<strong>in</strong>anderprallen: die der Beschäftigten, der K<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> der Investoren. Die Politik sitzt bei anstehenden Entscheidungen häufig zwischen den<br />
Stühlen, weil es selten möglich ist, die verschiedenen Interessenlagen unter e<strong>in</strong>en Hut zu<br />
br<strong>in</strong>gen. Mit der vorliegenden Untersuchung versucht die Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong>, diese<br />
Diskussionen mit Fakten zu unterfüttern <strong>und</strong> auf diesem Wege zur Versachlichung der Debatte<br />
beizutragen. Hierbei stehen die <strong>Beschäftigungssituation</strong> der Mitarbeiter <strong>und</strong> Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />
<strong>in</strong>sbesondere die Entwicklung der <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> <strong>im</strong> Zentrum. Es sollen die Fragen beantwortet<br />
werden, warum es sich gerade <strong>in</strong> dieser Branche „anbietet“, <strong>im</strong>mer mehr ger<strong>in</strong>gfügig<br />
Beschäftigte e<strong>in</strong>zustellen, wie sich diese Entwicklung auf die „regulär“ Beschäftigten auswirkt<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong> welchem Zusammenhang dies mit den aktuell diskutierten Fragen nach<br />
Sonntagsöffnungen oder Neuansiedlungen steht. Schließlich werden Handlungsempfehlungen an<br />
die Politik abgeleitet, um die bisherigen Trends zu stoppen.<br />
Bevor auf die spezielle Situation des <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>s e<strong>in</strong>gegangen wird, sollen die folgenden<br />
Ausführungen verdeutlichen, wie es zu dem starken Wachstum von <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> <strong>in</strong> den letzten<br />
Jahren gekommen ist. Dies hängt eng zusammen mit der von der rot-grünen Regierungskoalition<br />
<strong>in</strong>itiierten Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik (Hartz-Gesetze).<br />
1
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
1 Hartz <strong>und</strong> <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong>: Zahlen, Daten, Fakten zur Entwicklung der ger<strong>in</strong>gfügigen<br />
Beschäftigung <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong> <strong>im</strong> Land <strong>Bremen</strong><br />
1.1 Die Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik <strong>und</strong> der Job-Boom <strong>im</strong> Niedriglohnsektor<br />
Seit fast sieben Jahren ist der Arbeitsmarkt <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>er beispiellosen Reformwelle<br />
ausgesetzt. Unter der Leitung von Dr. Peter Hartz wurden <strong>im</strong> Jahr 2002 von der<br />
Regierungskommission Vorschläge zum Abbau der Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> zur Umstrukturierung der<br />
B<strong>und</strong>esanstalt für Arbeit entwickelt. Die Ergebnisse der Regierungskommission wurden <strong>im</strong><br />
August 2002 präsentiert <strong>und</strong> <strong>im</strong> Rahmen der Hartz I bis IV-Gesetze realisiert. Ziel war es, die<br />
Arbeitslosigkeit bis 2005 um 2 Millionen zu reduzieren, also zu halbieren. Die Implementierung<br />
der Hartz-Gesetze g<strong>in</strong>g mit e<strong>in</strong>em Paradigmenwechsel von der aktiven zur aktivierenden<br />
Arbeitsmarktpolitik e<strong>in</strong>her.<br />
Während zur Zeit der aktiven Arbeitsmarktpolitik davon ausgegangen wurde, dass<br />
Arbeitslosigkeit durch e<strong>in</strong>en Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten entsteht, unterstellt die<br />
aktivierende Arbeitsmarktpolitik, dass <strong>in</strong>dividuelle Verhaltensdefizite (zum Beispiel mangelnde<br />
Motivation bei der Arbeitssuche) die Ursache der hohen Arbeitslosigkeit s<strong>in</strong>d. Sie zielt deshalb<br />
darauf ab, die Eigenverantwortung <strong>und</strong> die Motivation der Betroffenen bei der Arbeitssuche zu<br />
erhöhen, <strong>in</strong>dem beispielsweise das Ablehnen von Jobangeboten sanktioniert oder die<br />
Zumutbarkeitsregeln verschärft werden (etwa <strong>im</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Entfernung zum Arbeitsplatz).<br />
Diese Regelungen sollen die Motivation der Arbeitslosen bei der Jobsuche erhöhen.<br />
Nach dem Paradigmenwechsel ist das vorrangige Ziel arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen nicht<br />
mehr der Erhalt des beruflichen Status <strong>und</strong> der Qualifikation, sondern das Beenden der<br />
Hilfebedürftigkeit. Im Rahmen der aktivierenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen fällt die<br />
Bewältigung von Arbeitsmarktchancen <strong>und</strong> -risiken dem E<strong>in</strong>zelnen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em Umfeld zu.<br />
Hierdurch erhöht sich der Druck auf die Arbeitslosen erheblich.<br />
Parallel hierzu wurde mit dem Inkrafttreten des Hartz-II-Gesetzes am 1.4.2003 das<br />
Arbeitsplatzpotenzial <strong>im</strong> Niedriglohnsektor aktiviert. Deregulierungsmaßnahmen <strong>im</strong> Arbeitsrecht<br />
haben die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt erhöht. Hierdurch wurde die Schaffung von M<strong>in</strong>i-<br />
<strong>und</strong> Midi-Jobs erleichtert.<br />
Konkret be<strong>in</strong>haltete das Gesetz folgende Änderungen:<br />
altes Recht bis 31.3.2003 neues Recht ab 1.4.20031 wöchentliche Arbeitszeit weniger als 15 St<strong>und</strong>en ke<strong>in</strong>e zeitliche Befristung<br />
Arbeitsentgelt<br />
Zusammenrechnung mit e<strong>in</strong>er<br />
bis zu 325 Euro bis zu 400 Euro<br />
Hauptbeschäftigung, sofern<br />
ke<strong>in</strong>e weitere ger<strong>in</strong>gfügig<br />
entlohnte Beschäftigung<br />
vorliegt<br />
Pauschalbeiträge zur<br />
ja<br />
ne<strong>in</strong><br />
- Krankenversicherung<br />
10 Prozent<br />
13 Prozent<br />
- Rentenversicherung<br />
12 Prozent<br />
15 Prozent<br />
Steuer ke<strong>in</strong>e Steuerpflicht bei Vorlage<br />
e<strong>in</strong>er Freistellungsbesche<strong>in</strong>igung:<br />
andernfalls<br />
Abwicklung über Steuerkarte<br />
oder Pauschalversteuerung mit<br />
20 Prozent<br />
Quelle: Rudolph (2003).<br />
Generelle Steuerpflicht:<br />
Der Arbeitgeber hat die<br />
Möglichkeit, das Arbeitsentgelt<br />
pauschal mit 2 Prozent zu<br />
versteuern, andernfalls<br />
Abwicklung über Steuerkarte<br />
1 Unter Berücksichtigung der 2006 wirksam werdenden Erhöhung der Pauschalbeiträge der Arbeitgeber von<br />
25 Prozent auf 30 Prozent.<br />
2
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
Mit Hartz II wurde die sozialversicherungsfreie Nebenbeschäftigung wieder e<strong>in</strong>geführt. Für den<br />
Arbeitnehmer bedeutet dies, dass se<strong>in</strong> Brutto- dem Nettolohn entspricht. Der Arbeitgeber<br />
profitiert, weil die wöchentliche Arbeitszeit für <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> nicht mehr auf 15 St<strong>und</strong>en wöchentlich<br />
begrenzt ist <strong>und</strong> es so für 400-Euro-Jobs <strong>im</strong> H<strong>in</strong>blick auf den St<strong>und</strong>enlohn praktisch ke<strong>in</strong>e<br />
Grenze nach unten gibt. Neben der Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten <strong>im</strong><br />
Niedriglohnbereich sollte mit der neuen Gesetzgebung der Versuch unternommen werden,<br />
Arbeitslosen über die Aufnahme e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigung den Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu erleichtern. Diese Brückenfunktion haben<br />
<strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> allerd<strong>in</strong>gs bis heute nicht erfüllt. 2 Die Schaffung von neuen Niedriglohn-Arbeitsplätzen<br />
hat dafür umso besser funktioniert. Seit 2003 haben <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> stark zugenommen.<br />
Mit dem Inkrafttreten von Hartz IV zu Beg<strong>in</strong>n des Jahres 2005 hat sich dieser Effekt noch mal<br />
verstärkt: zum e<strong>in</strong>en, weil die Gewährung von Arbeitslosengeld II an verschärfte Bed<strong>in</strong>gungen<br />
geknüpft <strong>und</strong> die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I gekürzt wurde. Hierdurch erhöhte sich<br />
für die Arbeitssuchenden der Druck, e<strong>in</strong>e Arbeit um jeden Preis anzunehmen. Zum anderen s<strong>in</strong>d<br />
auch die Menschen, die mit Arbeitslosen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sogenannten „Bedarfsgeme<strong>in</strong>schaft“ leben,<br />
zunehmend gezwungen, e<strong>in</strong>en Nebenjob anzunehmen, weil ihr E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> Vermögen bei<br />
der Gewährung von Leistungen durch die ARGE oder die Agentur für Arbeit berücksichtigt<br />
werden.<br />
1.2 Entwicklung der ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigung <strong>in</strong> Deutschland<br />
In Deutschland waren am 30.6.2008 gut sieben Millionen Menschen ger<strong>in</strong>gfügig beschäftigt.<br />
Gegenüber 2003 ist die Anzahl der M<strong>in</strong>ijobber/<strong>in</strong>nen um 27 Prozent angestiegen. Die <strong>im</strong><br />
Nebenjob ger<strong>in</strong>gfügig Beschäftigten haben sogar um 87 Prozent zugenommen.<br />
8.000.000<br />
7.000.000<br />
6.000.000<br />
5.000.000<br />
4.000.000<br />
3.000.000<br />
2.000.000<br />
1.000.000<br />
0<br />
Übersicht 1:<br />
Ger<strong>in</strong>gfügig Beschäftigte <strong>in</strong> Deutschland (2003 bis 2008)<br />
2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />
ausschließlich ger<strong>in</strong>gfügig Beschäftigte ger<strong>in</strong>gfügig Beschäftigte <strong>im</strong> Nebenjob<br />
Quelle: Statistik der B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, 2009. Beschäftigungsstatistik, ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte Beschäftigte <strong>in</strong> Deutschland.<br />
63 Prozent der ger<strong>in</strong>gfügig Beschäftigten s<strong>in</strong>d Frauen. Seit 2003 hat die Zahl der<br />
M<strong>in</strong>ijobber<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Deutschland um 832.000 (oder 22 Prozent) <strong>und</strong> die Zahl der ger<strong>in</strong>gfügig<br />
beschäftigten Männer um 655.000 (oder 35 Prozent) zugenommen. Auch wenn der<br />
Männeranteil unter den ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigten steigt, s<strong>in</strong>d Frauen hier weiterh<strong>in</strong><br />
überproportional vertreten (vergleiche Übersicht 2). Dies trägt unter anderem dazu bei, dass<br />
gerade sie zukünftig besonders von Altersarmut betroffen se<strong>in</strong> werden 3 .<br />
2 Vgl. Fertig/Kluve/Schmidt (2006).<br />
3 Vgl.Voss-Dahm (2005).<br />
3
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
8.000.000<br />
7.000.000<br />
6.000.000<br />
5.000.000<br />
4.000.000<br />
3.000.000<br />
2.000.000<br />
1.000.000<br />
0<br />
Übersicht 2:<br />
Ger<strong>in</strong>gfügig Beschäftigte <strong>in</strong> Deutschland nach Geschlecht<br />
2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />
Frauen<br />
Männer<br />
Quelle: Statistik der B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, 2009. Beschäftigungsstatistik, ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte Beschäftigte <strong>in</strong> Deutschland.<br />
In Übersicht 3 wird dargestellt, <strong>in</strong> welchen Berufsbereichen überdurchschnittlich viele<br />
M<strong>in</strong>ijobber/<strong>in</strong>nen anzutreffen s<strong>in</strong>d. Abgesehen von den Ordnungs- <strong>und</strong> Sicherheitsberufen handelt<br />
es sich hier um Felder, <strong>in</strong> denen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Frauen beschäftigt s<strong>in</strong>d.<br />
Übersicht 3:<br />
Vergleich von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigten<br />
nach Berufsbereichen <strong>in</strong> Deutschland (2008)<br />
Berufsbereiche<br />
ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte sozialversicherungspflichtig<br />
Verhältnis von M<strong>in</strong>ijobber/<strong>in</strong>nen<br />
zu sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigte<br />
Beschäftigte<br />
Beschäftigten<br />
allgeme<strong>in</strong>e Dienstleistungsberufe 1.845.277 1.532.705 1 zu 0,8<br />
Organisations-, Verwaltungs- <strong>und</strong><br />
Büroberufe<br />
1.108.956 5.950.974 1 zu 5,4<br />
Verkehrsberufe 824.193 2.015.515 1 zu 2,4<br />
Warenkaufleute 797.992 2.165.185 1 zu 2,7<br />
Ordnungs- <strong>und</strong> Sicherheitsberufe 330.899 441.683 1 zu 1,3<br />
Ges<strong>und</strong>heitsdienstberufe 290.344 2.029.596 1 zu 7,0<br />
Sozial- <strong>und</strong> Erziehungsberufe 282.234 1.767.313 1 zu 6,3<br />
Hilfsarbeiter 227.864 566.193 1 zu 2,5<br />
Ernährungsberufe 222.506 703.032 1 zu 3,2<br />
Warenprüfer, Versandfertigmacher 177.152 363.441 1 zu 2,1<br />
Ingenieure, Chemiker, Physiker ... 16.321 740.865 1 zu 45,4<br />
alle 7.019.885 27.224.677 1 zu 3,9<br />
Quelle: Statistik der B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, 2009. Beschäftigungsstatistik, ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte Beschäftigte <strong>in</strong> Deutschland.<br />
Absolut <strong>und</strong> prozentual gesehen s<strong>in</strong>d die meisten <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> <strong>im</strong> Bereich der allgeme<strong>in</strong>en<br />
Dienstleistungsberufe angesiedelt. Hier werden Gästebetreuer, hauswirtschaftliche Berufe <strong>und</strong><br />
Re<strong>in</strong>igungsberufe erfasst. In diesem Bereich übersteigt die Zahl der M<strong>in</strong>ijobber/<strong>in</strong>nen sogar die<br />
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.<br />
Gefolgt wird diese Branche von den Organisations-, Verwaltungs- <strong>und</strong> Büroberufen. Hier werden<br />
Buchhalter/<strong>in</strong>nen, Datenverarbeitungsfachleute <strong>und</strong> Bürofachkräfte erfasst. Platz drei „erreichen“<br />
die Verkehrsberufe. Hier s<strong>in</strong>d Lager- <strong>und</strong> Stauereiarbeiter, Postverteiler, Nautiker,<br />
Schienenfahrzeugführer <strong>und</strong> ähnliche Berufe angesiedelt. Mit knapp 800.000 ger<strong>in</strong>gfügig<br />
entlohnten Beschäftigten rangieren die Warenkaufleute ebenfalls ganz oben auf dieser Liste. Auf<br />
weniger als jede/n dritte/n sozialversicherungspflichtig Beschäftigte/n (1 zu 2,7) entfällt e<strong>in</strong>/e<br />
M<strong>in</strong>ijobber/<strong>in</strong>. 2003 lag dieses Verhältnis noch bei 1 zu 3,2. Die Bedeutung der <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> steigt<br />
also <strong>in</strong> diesem Beruf deutlich an. E<strong>in</strong>en sehr hohen Anteil an ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten<br />
Beschäftigten gibt es auch unter den Ordnungs- <strong>und</strong> Sicherheitsberufen (1 zu 1,3). 2003 betrug<br />
dieses Verhältnis 1 zu 1,8. Hier werden beispielsweise Dienst- <strong>und</strong> Wachberufe erfasst.<br />
4
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
Gemessen an den Gesamtbeschäftigten s<strong>in</strong>d außerdem <strong>im</strong> Bereich der Warenprüfer <strong>und</strong><br />
Versandfertigmacher viele M<strong>in</strong>ijobber/<strong>in</strong>nen anzutreffen.<br />
In Übersicht 4 wird die Entwicklung der ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigung mit der<br />
Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung seit 2003 verglichen. Es wird<br />
deutlich, dass <strong>in</strong> den Berufsbereichen, die über e<strong>in</strong>en hohen M<strong>in</strong>ijob-Anteil verfügen, die<br />
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nur sehr verhalten angestiegen ist, während die<br />
ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte Beschäftigung fast explosionsartig zunahm – bei den Sicherheitsberufen<br />
sogar um e<strong>in</strong> Drittel (vergleiche Übersicht 4).<br />
Übersicht 4:<br />
Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>gfügige<br />
Beschäftigung nach Berufsbereichen (2003 bis 2008 <strong>in</strong> Prozent)<br />
<strong>in</strong>sgesamt<br />
Ordnungs- <strong>und</strong><br />
Sicherheitsberufe<br />
Warenkaufleute<br />
Verkehrsberufe<br />
Organisation, Verwaltung,<br />
Büroberufe<br />
allgeme<strong>in</strong>e<br />
Dienstleistungsberufe<br />
-0,4<br />
0,3<br />
0,8<br />
1,9<br />
2,1<br />
2,7<br />
-5 0 5 10 15 20 25 30 35<br />
21<br />
Beschäftigte M<strong>in</strong>ijobber/<strong>in</strong>nen<br />
Quelle: Statistik der B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, 2009. Beschäftigungsstatistik, ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte Beschäftigte <strong>in</strong> Deutschland.<br />
Zum Vergleich: In der Berufsgruppe mit dem niedrigsten M<strong>in</strong>ijob-Anteil, dem Bereich der<br />
Ingenieure, Chemiker, Physiker, ist die Beschäftigung von 654.076 <strong>im</strong> Jahre 2003 auf 740.865<br />
<strong>im</strong> Jahre 2008, also um 13 Prozent angestiegen.<br />
1.3 Was ist problematisch an der M<strong>in</strong>ijob-Entwicklung?<br />
Dass <strong>in</strong> Branchen, <strong>in</strong> denen die ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte Beschäftigung stark zugenommen hat trotz<br />
des wirtschaftlichen Aufschwungs kaum reguläre Arbeitsverhältnisse entstanden s<strong>in</strong>d, ist ke<strong>in</strong><br />
Zufall: Vor allem <strong>in</strong> frauendom<strong>in</strong>ierten Branchen wie dem Verlags- <strong>und</strong> Gastgewerbe <strong>und</strong> <strong>im</strong><br />
<strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> werden bei aufkommendem Personalbedarf eher <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> als<br />
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. Häufig werden diese sogar direkt durch<br />
400-Euro-Jobs ersetzt. Dies ist möglich, weil es sowohl für Unternehmen als auch für e<strong>in</strong>ige<br />
Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmer durchaus attraktiv se<strong>in</strong> kann, e<strong>in</strong>en M<strong>in</strong>ijob anzunehmen -<br />
vor allem für diejenigen, die e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte Beschäftigung <strong>in</strong> Nebentätigkeit ausüben<br />
<strong>und</strong> anderweitig sozial <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anziell abgesichert s<strong>in</strong>d. Weil sie vollständig von ihrem Teil der<br />
Sozialabgaben befreit s<strong>in</strong>d, entspricht ihr Bruttolohn dem Nettolohn. Gerade für<br />
Arbeitnehmer/<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Teilzeit <strong>und</strong> <strong>in</strong> Branchen mit niedrigem St<strong>und</strong>enlohn besteht hier<br />
durchaus der Anreiz, von e<strong>in</strong>er sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
sozialversicherungsfreie ger<strong>in</strong>gfügige Beschäftigung zu wechseln.<br />
In Betrieben, <strong>in</strong> denen das Arbeitsst<strong>und</strong>envolumen reduziert werden soll, werden solche<br />
Bestrebungen oder Wünsche der Mitarbeiter/<strong>in</strong>nen häufig unterstützt. Diese Entwicklung hat aber<br />
5<br />
22<br />
24<br />
27<br />
28<br />
32
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
den Abbau existenzsichernder Arbeitsplätze zur Folge. Denn je mehr Arbeitsst<strong>und</strong>en für <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong><br />
geb<strong>und</strong>en werden, desto weniger Arbeit verbleibt <strong>in</strong>nerhalb der sozialversicherungspflichtigen<br />
Beschäftigung. Infolge der Substitutionsstrategie hat sich der Anteil der <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> an der<br />
Gesamtbeschäftigung von 2,6 Prozent (1995) auf 7,1 Prozent (2006) fast verdreifacht. 4 Dies ist<br />
deshalb problematisch, weil die neu entstehenden <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> <strong>in</strong> der Regel mit jüngeren<br />
Beschäftigten (Schüler/<strong>in</strong>nen, Studenten <strong>und</strong> Student<strong>in</strong>nen), verheirateten Frauen <strong>in</strong> der Mitte<br />
des Erwerbslebens <strong>und</strong> mit Rentnern <strong>und</strong> Rentner<strong>in</strong>nen, der sogenannten „stillen Reserve“,<br />
besetzt werden, also mit Personengruppen, die nicht darauf angewiesen s<strong>in</strong>d, ausschließlich<br />
über die Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen.<br />
Die Zuverdiener/<strong>in</strong>nen profitieren zwar von der M<strong>in</strong>ijob-Regelung, allerd<strong>in</strong>gs auf Kosten von<br />
solchen Erwerbspersonen, die mit ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt eigenständig bestreiten<br />
wollen oder müssen. Staat <strong>und</strong> Gesellschaft verzichten angesichts der M<strong>in</strong>ijob-Regelung auf<br />
E<strong>in</strong>nahmen, um Erwerbsgruppen zu subventionieren, die anderweitig sozial abgesichert s<strong>in</strong>d.<br />
Von der Eröffnung dieser Beschäftigungsmöglichkeiten profitieren also vor allem Menschen, die<br />
eigentlich gar ke<strong>in</strong> Beschäftigungsproblem haben. Andere h<strong>in</strong>gegen - häufig Frauen – rutschen<br />
daraufh<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Hilfebedürftigkeit ab. Die verschärften Zumutbarkeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der<br />
Arbeitsmarktpolitik führen h<strong>in</strong>gegen dazu, dass diese Arbeitslosen dann ihrerseits unter Druck<br />
gesetzt werden, auch <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> anzunehmen: e<strong>in</strong> Teufelskreis.<br />
Der Boom der ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigung be<strong>in</strong>haltet aber noch e<strong>in</strong> anderes Problem:<br />
Mit der Drohung, andernfalls mehr <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> zu schaffen, wird Druck auf die Löhne der regulär<br />
Beschäftigten, beispielsweise auf die Höhe der Wochenendzuschläge ausgeübt, <strong>und</strong> zwar vor<br />
allem <strong>in</strong> Branchen, <strong>in</strong> denen <strong>in</strong>sgesamt schlecht bezahlt wird. Betriebe, die nach Tarif bezahlen,<br />
haben dann <strong>im</strong> Wettbewerb durch die höheren Personalkosten e<strong>in</strong>en entscheidenden Nachteil.<br />
Dies gilt <strong>in</strong>sbesondere für Branchen wie dem <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>, denn hier f<strong>in</strong>det der Wettbewerb vor<br />
allem über den Preis der Produkte statt.<br />
<strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> selber s<strong>in</strong>d ebenfalls zu 90 Prozent Niedriglohnjobs. Dieser hohe Anteil deutet darauf<br />
h<strong>in</strong>, dass der mit dieser Beschäftigungsform verb<strong>und</strong>ene Steuer- <strong>und</strong> Beitragsvorteil gar nicht bei<br />
den M<strong>in</strong>ijobbern <strong>und</strong> M<strong>in</strong>ijobber<strong>in</strong>nen ankommt, sondern <strong>im</strong> Gegenteil von den Beschäftigten<br />
über Zugeständnisse bei der Höhe der Bruttolöhne an die Arbeitgeber weitergegeben werden,<br />
obwohl diese Praxis eigentlich gesetzeswidrig ist. 5 Die Neuregelungen zur ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten<br />
Beschäftigung – <strong>und</strong> hier <strong>in</strong>sbesondere die Aufhebung der 15-St<strong>und</strong>en-Begrenzung - hat also<br />
wesentlich dazu beigetragen, dass das Lohnniveau <strong>in</strong> Deutschland deutlich gesunken ist <strong>und</strong><br />
<strong>im</strong>mer weniger Menschen von ihrem E<strong>in</strong>kommen leben können. Sie s<strong>in</strong>d deshalb gezwungen,<br />
entweder ergänzende Hilfen oder e<strong>in</strong>en Zweit- <strong>und</strong> manchmal sogar Drittjob anzunehmen. 6<br />
4 Vgl. Bosch/Kal<strong>in</strong>a/We<strong>in</strong>kopf (2008).<br />
5 Vgl. Kal<strong>in</strong>a/We<strong>in</strong>kopf (2006).<br />
6 Vgl. Hirschenauer/Wießner (2006).<br />
6
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
1.4 <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Auch <strong>im</strong> Land <strong>Bremen</strong> s<strong>in</strong>d die <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> stark angestiegen <strong>und</strong> zwar um 25 Prozent nach 2003<br />
(von 56.292 auf 70.275).<br />
80.000<br />
70.000<br />
60.000<br />
50.000<br />
40.000<br />
30.000<br />
20.000<br />
10.000<br />
0<br />
12.334<br />
43.958<br />
Übersicht 5:<br />
Entwicklung der ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong><br />
(2003 - 2008)<br />
17.735<br />
48.122<br />
18.599<br />
48.007<br />
20.024<br />
49.501<br />
21.144<br />
48.228<br />
22.350<br />
47.925<br />
2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />
Quelle: Statistik-Service Nordost, B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, 2009.<br />
ausschließlich ger<strong>in</strong>gfügig Beschäftigt ger<strong>in</strong>gfügig Beschäftigte <strong>im</strong> Nebenjob<br />
Die ausschließlich ger<strong>in</strong>gfügig Beschäftigten haben um 9 Prozent zugenommen (von 43.958 auf<br />
47.925). Bei den <strong>im</strong> Nebenjob ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigten betrug der Zuwachs über<br />
80 Prozent (von 12.334 auf 22.350). Die Entwicklung <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> entspricht also <strong>in</strong> etwa dem<br />
B<strong>und</strong>estrend.<br />
Ebenfalls der gesamtdeutschen Entwicklung entsprechend s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> die meisten<br />
M<strong>in</strong>ijobber/<strong>in</strong>nen <strong>im</strong> Wirtschaftsbereich „Gr<strong>und</strong>stücks- <strong>und</strong> Wohnungswesen, wirtschaftliche<br />
Dienstleistungen anders nicht genannt“ tätig: 19.020 (vergleiche Übersicht 6). In dieser Rubrik<br />
werden so unterschiedliche Felder wie Architekturbüros, Wirtschaftsprüfer <strong>und</strong><br />
Me<strong>in</strong>ungsforscher, Wach- <strong>und</strong> Sicherheitsdienste, Callcenter, Leiharbeitsfirmen <strong>und</strong> Ähnliches<br />
zusammengefasst. Seit der E<strong>in</strong>führung von Hartz II <strong>im</strong> Jahre 2003 betrug der Zuwachs an<br />
M<strong>in</strong>ijobbern <strong>und</strong> M<strong>in</strong>ijobber<strong>in</strong>nen hier 34 Prozent.<br />
Übersicht 6:<br />
Ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte Beschäftigte nach Wirtschaftsbereichen <strong>im</strong> Land <strong>Bremen</strong><br />
(30.6.2008)<br />
Verkehr- <strong>und</strong> Nachrichtenübermittlung<br />
Sonstige öffentliche <strong>und</strong> persönliche<br />
Dienstleistungen<br />
Verarbeitendes Gewerbe<br />
Ges<strong>und</strong>heits-, Veter<strong>in</strong>är- <strong>und</strong> Sozialwesen<br />
Gastgewerbe<br />
Handel, Instandhaltung u. Reparatur von<br />
Kfz<br />
Gr<strong>und</strong>stücks- <strong>und</strong> Wohnungswesen,<br />
wirtschaftl. Dienstleistungen a.n.g.<br />
4.630<br />
5.894<br />
6.450<br />
7.943<br />
7.842<br />
12.147<br />
19.020<br />
0 2.000 4.000 6.000 8.000 10.000 12.000 14.000 16.000 18.000 20.000<br />
Quelle: Statistik-Service Nordost, B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, 2009.<br />
7<br />
GeB absolut
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
Über 12.000 M<strong>in</strong>ijobber <strong>und</strong> M<strong>in</strong>ijobber<strong>in</strong>nen arbeiten <strong>im</strong> Bereich Handel, Instandhaltung,<br />
Reparatur von Kraftfahrzeugen (2003: 11.060). 8.287 s<strong>in</strong>d davon <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> tätig.<br />
In Übersicht 7 wird die Entwicklung der ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigten nach<br />
Wirtschaftsbereichen <strong>in</strong> <strong>Bremen</strong> <strong>und</strong> Bremerhaven seit 2003 dargestellt. Es wird deutlich, dass<br />
die meisten <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> <strong>im</strong> Bereich „Wirtschaftliche Dienstleistungen anders nicht genannt“<br />
entstanden s<strong>in</strong>d. Der Zuwachs betrug hier zwischen 2003 <strong>und</strong> 2008 34 Prozent. Nur <strong>im</strong><br />
Bereich „Verkehr <strong>und</strong> Nachrichtenübermittlung“ war e<strong>in</strong> Rückgang der ger<strong>in</strong>gfügigen<br />
Beschäftigung zu beobachten.<br />
Übersicht 7:<br />
Entwicklung der ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigung <strong>im</strong> Land <strong>Bremen</strong> (2003 bis 2008)<br />
Verkehr- <strong>und</strong><br />
Nachrichtenübermittlung<br />
sonstige öffentliche <strong>und</strong> persönliche<br />
Diensleistungen<br />
Verarbeitendes Gewerbe<br />
Ges<strong>und</strong>heits-, Veter<strong>in</strong>är- <strong>und</strong><br />
Sozialwesen<br />
Gastgewerbe<br />
Handel, Instandhaltung u. Reparatur<br />
von Kfz<br />
Gr<strong>und</strong>stücks- u. Wohnungswesen,<br />
wirtschaftl. Dienstleistungen a.n.g.<br />
4.630<br />
4.542<br />
4.519<br />
5.132<br />
Quelle: Statistik-Service Nordost, B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, 2009.<br />
5.894<br />
5.742<br />
6.678<br />
6.450<br />
7.943<br />
7.842<br />
12.147<br />
11.060<br />
14.225<br />
19.020<br />
0 2.000 4.000 6.000 8.000 10.000 12.000 14.000 16.000 18.000 20.000<br />
Juni 03 Juni 08<br />
In Übersicht 8 wird die Entwicklung der ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigung der<br />
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gegenübergestellt. Nur <strong>in</strong> zwei Bereichen wurden<br />
mehr reguläre Arbeitsplätze als <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> geschaffen. Zum e<strong>in</strong>en <strong>im</strong> Dienstleistungsbereich <strong>und</strong><br />
zum anderen <strong>in</strong> dem Bereich „Verkehr <strong>und</strong> Nachrichtenübermittlung“. Hier g<strong>in</strong>g die ger<strong>in</strong>gfügig<br />
entlohnte Beschäftigung sogar zurück, während die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung<br />
gestiegen ist. In allen anderen Feldern profitieren vor allem M<strong>in</strong>ijobber/<strong>in</strong>nen von den<br />
Beschäftigungsgew<strong>in</strong>nen, obwohl der wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahre zu e<strong>in</strong>em<br />
deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit (von 42.415 <strong>im</strong> Jahr 2003 auf 36.837 <strong>im</strong> Jahr 2008)<br />
geführt hat.<br />
8
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
Übersicht 8:<br />
Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen <strong>und</strong> der ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten<br />
Beschäftigung nach Wirtschaftsabschnitten <strong>im</strong> Land <strong>Bremen</strong><br />
(2003 bis 2008)<br />
sonstige Dienstleistungen<br />
Ges<strong>und</strong>heits-, Veter<strong>in</strong>är- <strong>und</strong><br />
Sozialwesen<br />
Erziehung <strong>und</strong> Unterricht<br />
öffentliche Verwaltung<br />
Gr<strong>und</strong>stückswesen, Vermietung,<br />
Dienstleistungen<br />
Kredit- <strong>und</strong> Versicherungsgewerbe<br />
Verkehr <strong>und</strong> Nachrichtenübermittlung<br />
Gastgewerbe<br />
Handel, Reparatur Kfz <strong>und</strong><br />
Gebrauchsgüter<br />
Baugewerbe<br />
verarbeitendes Gewerbe<br />
Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft, Fischerei<br />
-6.507<br />
-2.048<br />
-2.132<br />
-1.293<br />
-1.657<br />
-678<br />
-143<br />
-120<br />
40<br />
1<br />
662<br />
660<br />
276<br />
51<br />
321<br />
1.318<br />
942<br />
1.087<br />
1.375<br />
-8000 -6000 -4000 -2000 0 2000 4000 6000 8000 10000 12000<br />
2.100<br />
3.401<br />
4.795<br />
4.957<br />
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte Beschäftigung<br />
Quelle: Statistik-Service Nordost, B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, 2009.<br />
Dass die Bremer Betriebe <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> zulasten von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen<br />
aufgebaut haben, belegen auch die Zahlen des IAB-Betriebspanels für das Land <strong>Bremen</strong>. Bei<br />
knapp 40 Prozent der Betriebe, die ihre ger<strong>in</strong>gfügige Beschäftigung ausgeweitet haben, hat sich<br />
<strong>in</strong> der gleichen Zeit die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verr<strong>in</strong>gert. 7<br />
2 <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong><br />
Der <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> weist die für e<strong>in</strong>en hohen M<strong>in</strong>ijob-Anteil typischen Merkmale auf: e<strong>in</strong>en hohen<br />
Frauenanteil <strong>und</strong> niedrige St<strong>und</strong>enlöhne. H<strong>in</strong>zu kommt, dass viele Beschäftigte wegen des hohen<br />
Anteils an Teilzeitarbeitsplätzen <strong>in</strong>sgesamt über e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges Monatse<strong>in</strong>kommen verfügen 8 ,<br />
2005). Anhand dieser Branche kann besonders plakativ dargestellt werden, wie sich der Anstieg<br />
der ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigung auf die Wettbewerbssituation der Unternehmen <strong>und</strong> die<br />
<strong>Beschäftigungssituation</strong> der Arbeitnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Arbeitnehmer auswirkt.<br />
7 Landsberg (2007).<br />
8 Voss-Dahm (2005).<br />
9<br />
9.308
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
2.1 Die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen: ru<strong>in</strong>öser Wettbewerb, stagnierende Umsätze,<br />
steigende Kosten<br />
Dass die Bedeutung von <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> stetig steigt, ist e<strong>in</strong>e Reaktion der Geschäfte<br />
auf den ru<strong>in</strong>ösen Verdrängungswettbewerb, der von drei Faktoren best<strong>im</strong>mt wird: stagnierender<br />
Umsatz, steigende Kosten <strong>und</strong> e<strong>in</strong> ausgeprägter Konzentrationsprozess.<br />
Für den stagnierenden <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>sumsatz - er ist seit 2003 nur um 0,3 Prozent angestiegen -<br />
gibt es mehrere Gründe: Zum e<strong>in</strong>en hängt es damit zusammen, dass sich die Reallöhne <strong>in</strong><br />
Deutschland <strong>im</strong> europäischen Vergleich mit Abstand am schlechtesten entwickelt haben.<br />
Während sie <strong>in</strong> allen Ländern der EU angestiegen s<strong>in</strong>d, haben sie seit dem Jahr 2000 hier sogar<br />
abgenommen. 9 H<strong>in</strong>zu kommt, dass die Lebenshaltungskosten, <strong>in</strong>sbesondere die Ausgaben für<br />
Wohnung, Energie, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Freizeit, <strong>in</strong> den letzten Jahren zugenommen haben.<br />
Hierdurch ist der Anteil der Konsumausgaben, der für <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>sprodukte ausgegeben wird,<br />
seit Anfang der 1990er Jahre von 40 Prozent auf 27 Prozent gesunken. Aber auch die<br />
zunehmende Armut <strong>und</strong> das aus Angst vor Altersarmut geänderte Sparverhalten der Bevölkerung,<br />
dämpft die Umsätze <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>.<br />
Dennoch steigen für die E<strong>in</strong>zelhändler kont<strong>in</strong>uierlich die Kosten. E<strong>in</strong> wichtiger Gr<strong>und</strong> hierfür ist<br />
die Ausweitung der Verkaufsflächen, die vor allem mit der zunehmenden Präsenz der Discounter<br />
<strong>in</strong> Zusammenhang zu br<strong>in</strong>gen ist.<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Übersicht 9:<br />
Entwicklung der <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>sverkaufsflächen <strong>in</strong> Deutschland<br />
(1990 bis 2010)<br />
77<br />
109<br />
117<br />
122<br />
1990 2000 2006 2010<br />
Verkaufsflächen <strong>in</strong> Mio. qm<br />
Quelle: Hauptverband des Deutschen <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>s (HDE), Zahlenspiegel 2007.<br />
Im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich verfügt Deutschland über das größte Verkaufsflächenangebot pro<br />
E<strong>in</strong>wohner/<strong>in</strong>. Dieses Verhältnis hat sich besonders <strong>in</strong> den letzten 20 Jahren verschärft. Während<br />
die Verkaufsflächen um 58 Prozent zugenommen haben, ist die Bevölkerung nur um 2,8 Prozent<br />
gewachsen. Der als versorgungspolitisch ausreichend angesehene Wert von e<strong>in</strong>em Quadratmeter<br />
Verkaufsfläche pro E<strong>in</strong>wohner/<strong>in</strong> beträgt <strong>in</strong> Deutschland 1,4 Quadratmeter. Er liegt also<br />
40 Prozent darüber. Rechnerisch ergibt sich dadurch e<strong>in</strong>e Überkapazität von 30 Millionen<br />
Quadratmeter <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>sfläche <strong>in</strong> Deutschland. 10 Im deutschen Lebensmittelhandel ist das<br />
Verhältnis von Verkaufsflächen zur Bevölkerung sogar doppelt so hoch wie <strong>in</strong> Frankreich oder<br />
Großbritannien.<br />
Aber nicht nur das Überangebot an Verkaufsflächen, auch die längeren Öffnungszeiten drücken<br />
auf die Gew<strong>in</strong>nmargen der <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>sbetriebe. Hierdurch kommt es nicht zu e<strong>in</strong>er Erhöhung,<br />
9 Warich (2009).<br />
10 Vgl. Glaubitz (2008).<br />
10
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
sondern nur zu e<strong>in</strong>er Verlagerung des Umsatzes, denn zusätzliches Geld wird nicht ausgegeben.<br />
E<strong>in</strong>ige E<strong>in</strong>zelhändler profitieren zwar von den längeren Öffnungszeiten, allerd<strong>in</strong>gs nur so lange<br />
andere Geschäfte nicht nachziehen <strong>und</strong> der zusätzliche Personalbedarf durch die längeren<br />
Öffnungszeiten für sie mit möglichst ger<strong>in</strong>gen Kosten abzudecken ist. Unternehmen, die durch<br />
längere Öffnungszeiten <strong>im</strong> Verdrängungswettbewerb punkten wollen, fordern vielfach die Kürzung<br />
oder Streichung von Spät-, Wochenend- oder Nachtzulagen. Häufig werden die zusätzlichen<br />
St<strong>und</strong>en von M<strong>in</strong>ijobbern <strong>und</strong> M<strong>in</strong>ijobber<strong>in</strong>nen abgedeckt.<br />
Last, not least steigt der Konkurrenzdruck <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> durch den <strong>in</strong> dieser Branche zu<br />
beobachtenden starken Konzentrationsprozess. Mittlerweile erwirtschaften die sieben größten<br />
Unternehmen 50 Prozent des gesamtdeutschen Umsatzes (Übersicht 10).<br />
Karstadt<br />
Tengelmann<br />
Aldi<br />
Schwarz<br />
Rewe<br />
Metro<br />
Edeka<br />
Quelle: Glaubitz (2008).<br />
Übersicht 10:<br />
Umsatzanteil der größten E<strong>in</strong>zelhändler <strong>in</strong> Deutschland (2007)<br />
2,3<br />
4,1<br />
7<br />
7,21<br />
8,1<br />
9,2<br />
10,5<br />
0 2 4 6 8 10 12<br />
Umsatzanteil <strong>in</strong> Prozent<br />
Im Lebensmittele<strong>in</strong>zelhandel ist die Konzentration sogar noch weiter vorangeschritten. Hier<br />
erwirtschaften <strong>in</strong>zwischen die „big five“ drei Viertel des gesamten Umsatzes. Diese<br />
Konzernunternehmen verfügen meist über mehrere Vertriebsl<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>ternational<br />
aufgestellt. Sie best<strong>im</strong>men deshalb auch darüber, wie die Massendistribution <strong>in</strong> Deutschland<br />
organisiert ist <strong>und</strong> an welchen Standorten welche Produkte zu welchen Preisen angeboten<br />
werden. Infolgedessen steigt die Abhängigkeit der Lebensmittelproduzenten von den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Handelskonzernen, die wegen ihrer enormen Nachfragemacht Druck auf die Lieferkonditionen<br />
der Hersteller ausüben können. Je größer der E<strong>in</strong>zelhändler, desto besser s<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e<br />
Lieferkonditionen <strong>und</strong> desto niedriger ist der Preis se<strong>in</strong>er Ware. Auf diese e<strong>in</strong>fache Formel lässt<br />
sich das Verhältnis br<strong>in</strong>gen. Dieser Effekt gefährdet den Fache<strong>in</strong>zelhandel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Vielfalt <strong>und</strong><br />
benachteiligt <strong>im</strong> Endeffekt auch die K<strong>und</strong>en, die von dem Wettbewerb zunächst profitiert <strong>und</strong> ihn<br />
durch ihr Kaufverhalten weiter vorangetrieben haben.<br />
2.2 Die Ausweitung von <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> – e<strong>in</strong> Instrument um konkurrenzfähig zu bleiben<br />
Steigende Kosten, bei e<strong>in</strong>em gleich großen Kuchen <strong>und</strong> zunehmender Marktmacht der<br />
Konkurrenz - das s<strong>in</strong>d die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, die den Wettbewerb <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong><br />
best<strong>im</strong>men. Weil dieser Wettbewerb fast ausschließlich über den Preis ausgetragen wird, bleiben<br />
kle<strong>in</strong>e Fache<strong>in</strong>zelhändler häufig auf der Strecke, während Discounter an Bedeutung gew<strong>in</strong>nen.<br />
Aber auch diese verändern angesichts des verschärften Wettbewerbs ihre Anpassungsstrategien.<br />
Weil sie über das Selbstbedienungspr<strong>in</strong>zip verfügen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en hohen Automatisierungsgrad<br />
aufweisen, benötigen sie auch weniger Personal <strong>und</strong> können so die durch die verlängerten<br />
Öffnungszeiten <strong>und</strong> größeren Verkaufsflächen gestiegenen Kosten eher f<strong>in</strong>anzieren. Parallel<br />
hierzu wird das E<strong>in</strong>sparpotenzial genutzt, das sich durch den E<strong>in</strong>satz von ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten<br />
11
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
Beschäftigten erschließen lässt. M<strong>in</strong>ijobber werden vor allem für Tätigkeiten e<strong>in</strong>gestellt, bei<br />
denen der Arbeitsanfall stark schwankt, zum Beispiel an der Kasse oder bei den<br />
Warenlieferungen. Dies ermöglicht e<strong>in</strong>e schlanke „just-<strong>in</strong>-t<strong>im</strong>e“-Personalpolitik. Weil 400-Euro-<br />
Jobber bei gleichen Bruttolöhnen höhere Nettolöhne erzielen, besteht für die Arbeitgeber<br />
theoretisch die Möglichkeit, niedrigere Bruttolöhne zu zahlen, ohne dass die Beschäftigten<br />
E<strong>in</strong>bußen bei den E<strong>in</strong>kommen zu verzeichnen haben. Auch dieser Effekt kann genutzt werden,<br />
um die Personalkosten zu senken.<br />
Insgesamt ist <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> die Tendenz zu beobachten, dass die anfallenden Tätigkeiten<br />
systematisch entmischt werden: In vielen Geschäften ist nur noch das Management, das <strong>in</strong> der<br />
Regel männlich besetzt ist, <strong>in</strong> Vollzeit tätig. Dagegen werden die e<strong>in</strong>fachen Arbeiten abgespalten<br />
<strong>und</strong> von M<strong>in</strong>ijobbern <strong>und</strong> M<strong>in</strong>ijobber<strong>in</strong>nen erledigt 11 .<br />
Diese Entwicklung führt allerd<strong>in</strong>gs nicht dazu, dass die Qualifikationsanforderungen <strong>im</strong><br />
<strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> <strong>in</strong>sgesamt s<strong>in</strong>ken. Im Gegenteil: Je mehr M<strong>in</strong>ijobber/<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Betrieb tätig<br />
s<strong>in</strong>d, desto höher s<strong>in</strong>d die Qualifikationsanforderungen an die anderen Arbeitskräfte, weil sie<br />
damit zu „Ankern“ <strong>im</strong> betrieblichen Ablauf werden. In dieser Branche s<strong>in</strong>d deshalb <strong>im</strong>mer noch<br />
überdurchschnittlich viele Beschäftigte tätig, die über e<strong>in</strong>e abgeschlossene Berufsausbildung<br />
verfügen. 12 Die Flexibilisierung <strong>und</strong> Spaltung der Beschäftigtenstruktur ermöglicht e<strong>in</strong>e stärkere<br />
Lohndifferenzierung unter den Mitarbeitern <strong>und</strong> Mitarbeiter<strong>in</strong>nen (wenig Geld für e<strong>in</strong>fache,<br />
operative Tätigkeiten, viel Geld für komplexere, adm<strong>in</strong>istrative Tätigkeiten) <strong>und</strong> eröffnet<br />
dementsprechend e<strong>in</strong>e Senkung der Personalkosten. Die Ausweitung von <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> ist deshalb für<br />
<strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>sbetriebe, die e<strong>in</strong>em verschärften Preiswettbewerb ausgesetzt s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong> echter<br />
Vorteil 13 .<br />
2.3 Arbeitsplatzentwicklung <strong>im</strong> Bremerhavener <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong><br />
Der <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> <strong>in</strong> Bremerhaven litt <strong>in</strong> den letzten Jahren ganz erheblich unter den Folgen der<br />
Strukturkrise <strong>und</strong> der hohen Arbeitslosigkeit. Seit 1999 s<strong>in</strong>d hier über 1.800 Arbeitsplätze<br />
abgebaut worden. Das entspricht e<strong>in</strong>em Rückgang von 35 Prozent (vergleiche Übersicht 11).<br />
6.000<br />
5.000<br />
4.000<br />
3.000<br />
2.000<br />
1.000<br />
0<br />
Übersicht 11:<br />
Entwicklung der sozialversicherungsfplichtigen Beschäftigung <strong>im</strong><br />
Bremerhavener <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong><br />
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />
Quelle: Statistisches Landesamt <strong>Bremen</strong>.<br />
Beschäftigte absolut<br />
11 Vgl. Voss-Dahm (2005).<br />
12 Trotz des Arbeitsplatzabbaus <strong>in</strong> den letzten Jahren ist h<strong>in</strong>gegen die Ausbildungsneigung der Betriebe auf hohem<br />
Niveau stabil geblieben. Im Jahr 2007 hat die Zahl der Auszubildenden mit <strong>in</strong>sgesamt 122.749 Personen sogar e<strong>in</strong>en<br />
historischen Höchststand erreicht. Vgl. Warich (2009).<br />
13 Vgl. Voss-Dahm (2005).<br />
12
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
Parallel hierzu hat die Bedeutung von <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> kont<strong>in</strong>uierlich zugenommen.<br />
Übersicht 12 zeigt, dass <strong>in</strong> Bremerhaven der Substitutionseffekt besonders deutlich zu<br />
beobachten ist: Seit 2003 wurden fast genau so viele Vollzeitarbeitsplätze ab- wie <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong><br />
aufgebaut.<br />
<strong>im</strong> Nebenjob GeB<br />
ausschließlich GeB<br />
Übersicht 12:<br />
Entwicklung der ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten Beschäftigung (GeB) <strong>und</strong> der<br />
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> <strong>in</strong> Bremerhaven<br />
GeB<br />
Teilzeitbeschäftigte<br />
Vollzeitbeschäftigte<br />
-285<br />
-400 -300 -200 -100 0 100 200 300<br />
Quelle: Statistik-Service Nordost, B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, 2009.<br />
-1<br />
68<br />
Beschäftigungsentwicklung 2003 bis 2008 absolut<br />
Auch <strong>in</strong> Bremerhaven ist der <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> ganz e<strong>in</strong>deutig e<strong>in</strong>e Frauenbranche. Ihr Anteil an den<br />
Gesamtbeschäftigten lag 2008 bei 75 Prozent. Während aber nur 50 Prozent der Frauen<br />
Vollzeitbeschäftigte s<strong>in</strong>d, beträgt dieser Anteil bei den Männern 89 Prozent. Seit 2003 wurden<br />
102 männlich besetzte Vollzeitstellen ab- <strong>und</strong> 31 männlich besetzte Teilzeitstellen aufgebaut.<br />
Bei den Frauen fand der Arbeitsplatzabbau sowohl bei den Vollzeit- (-183), als auch bei den<br />
Teilzeitstellen statt (-32). 14<br />
Bei den <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> liegt der Frauenanteil bei 77 Prozent. Damit übersteigt er<br />
deutlich den Bremerhavener Durchschnitt bei den gesamten ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten<br />
Beschäftigten, der 63 Prozent beträgt. Allerd<strong>in</strong>gs ist er seit 2003 gesunken: In diesem Jahr lag<br />
er noch bei 81 Prozent. Das heißt, dass auch <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> mehr <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> für Männer als für<br />
Frauen entstanden s<strong>in</strong>d.<br />
Aus Übersicht 13 wird deutlich, dass die meisten M<strong>in</strong>ijobber <strong>im</strong> „sonstigen Fache<strong>in</strong>zelhandel“<br />
tätig s<strong>in</strong>d. In diesem Bereich werden Geschäfte erfasst, die Textilien, Leder, Möbel, Bücher,<br />
Uhren, Spielwaren, Fahrräder <strong>und</strong> so weiter verkaufen, also auch Kaufhäuser <strong>und</strong> Baumärkte.<br />
532 ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte Beschäftigte arbeiten <strong>im</strong> „<strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> mit Waren verschiedener Art“.<br />
Hierzu zählt der <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> mit Nahrungsmitteln, Getränken <strong>und</strong> Tabakwaren, zum Beispiel <strong>in</strong><br />
Supermärkten. Der „Fache<strong>in</strong>zelhandel mit Nahrungsmitteln“ erfasst Bäcker, Fleischereien,<br />
Fischgeschäfte, Reformhäuser <strong>und</strong> Ähnliches. In diesem Bereich ist das Verhältnis von<br />
M<strong>in</strong>ijobbern zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am ungünstigsten. Über alle Bereiche<br />
des <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>s h<strong>in</strong>weg betrachtet, beträgt das Verhältnis etwa 2 zu 1. 2003 lag es noch bei<br />
2,4 zu 1.<br />
14 Statistisches Landesamt <strong>Bremen</strong>.<br />
13<br />
195<br />
263
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
Übersicht 13:<br />
Ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte <strong>und</strong> sozialversicherungspflichtige Beschäftigung <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> <strong>in</strong><br />
Bremerhaven (2008)<br />
Sonstiger Fache<strong>in</strong>zelhandel<br />
Apotheken u.Ä.<br />
Fache<strong>in</strong>zelhandel mit<br />
Nahrungsmitteln<br />
<strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> mit Waren<br />
verschiedener Art<br />
<strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> <strong>in</strong>sgesamt<br />
187<br />
464<br />
283<br />
463<br />
532<br />
687<br />
1.058<br />
1269<br />
1.730<br />
3.287<br />
0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500<br />
Quelle: Statistik-Service Nordost, B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, 2009.<br />
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte Beschäftigung<br />
Die Entwicklung der regulären Beschäftigung <strong>und</strong> der <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> unterschied sich <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Bereichen des <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>s <strong>in</strong> den letzten Jahren erheblich (Übersicht 14).<br />
<strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> <strong>in</strong>sgesamt<br />
sonstiger Fache<strong>in</strong>zelhandel<br />
Übersicht 14:<br />
Entwicklung der ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten <strong>und</strong> der sozialversicherungspflichtigen<br />
Beschäftigung <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> <strong>in</strong> Bremerhaven (2003 bis 2008)<br />
Fache<strong>in</strong>zelhandel mit<br />
Nahrungsmitteln<br />
<strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> mit Waren<br />
verschiedener Art<br />
-287<br />
-157<br />
-130<br />
-400 -300 -200 -100 0 100 200 300<br />
Quelle: Statistik-Service Nordost, B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, 2009.<br />
sozialversicherungspflichtig Beschäftigte ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte Beschäftigte<br />
Im <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> mit Waren verschiedener Art ist der Substitutionseffekt am deutlichsten<br />
erkennbar, also vor allem bei den Supermärkten <strong>und</strong> Discountern. Im sonstigen<br />
Fache<strong>in</strong>zelhandel wurden zwar <strong>in</strong> großen Umfang Arbeitsplätze abgebaut, aber bislang nicht<br />
durch <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> ersetzt. Im Fache<strong>in</strong>zelhandel mit Nahrungsmitteln wurden sowohl<br />
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, aber auch – <strong>und</strong> zwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weit größeren Umfang<br />
– <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> aufgebaut. Dennoch: Insgesamt gesehen wurden existenzsichernde Arbeitsplätze<br />
vernichtet <strong>und</strong> <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> geschaffen.<br />
14<br />
6<br />
14<br />
79<br />
162<br />
254
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
2.4 Die Folgen für die Beschäftigten <strong>und</strong> den Wirtschaftsstandort Bremerhaven<br />
2.4.1 Niedrige Löhne, höhere Arbeitsbelastung <strong>und</strong> erschwerte Interessenvertretung<br />
Die Entwicklung, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung durch <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> zu ersetzen, würde<br />
sich gerade <strong>in</strong> Bremerhaven durch e<strong>in</strong>e weitere Verschärfung des Wettbewerbs noch<br />
beschleunigen, denn hier ist der Kuchen, um den sich die E<strong>in</strong>zelhändler streiten, besonders<br />
kle<strong>in</strong>. Die Bremerhavener/<strong>in</strong>nen verfügen <strong>im</strong> B<strong>und</strong>esvergleich über e<strong>in</strong> sehr niedriges<br />
Durchschnittse<strong>in</strong>kommen. Der Kaufkraft<strong>in</strong>dex 15 lag <strong>im</strong> Jahr 2007 beispielsweise bei 80 <strong>und</strong> e<strong>in</strong><br />
Jahr später, also 2008, sogar nur noch bei 77,7. Das bedeutet, dass die Bremerhavener Bürger<br />
<strong>und</strong> Bürger<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong> verfügbares E<strong>in</strong>kommen hatten, das 22,3 Prozent unter dem<br />
b<strong>und</strong>esdeutschen Durchschnitt lag. Trotz der s<strong>in</strong>kenden Arbeitslosigkeit ist die Kaufkraft <strong>in</strong><br />
Bremerhaven zurückgegangen, während sie <strong>im</strong> b<strong>und</strong>esdeutschen Durchschnitt um etwa drei<br />
Prozent gestiegen ist. Bremerhaven gehört als e<strong>in</strong>zige westdeutsche Stadt zu den 40 Städten mit<br />
der ger<strong>in</strong>gsten Kaufkraft <strong>in</strong> Gesamtdeutschland.<br />
Durch die ger<strong>in</strong>ge Kaufkraft ist der <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> hier für e<strong>in</strong>e weitere Verschärfung des<br />
Wettbewerbs durch Neuansiedlungen oder durch längere Öffnungszeiten besonders anfällig. Der<br />
Anreiz, über e<strong>in</strong>e Senkung von Personalkosten Preisvorteile zu realisieren, ist dementsprechend<br />
hoch. Deshalb ist es nicht überraschend, dass die Arbeitgeber zunehmend bestrebt s<strong>in</strong>d,<br />
Wochenend- oder Spätzuschläge zu streichen <strong>und</strong> sich <strong>im</strong>mer mehr Betriebe aus dem<br />
Tarifvertrag verabschieden, um neue Kostensenkungspotenziale erschließen zu können. Der<br />
Druck auf die Löhne hält also unverm<strong>in</strong>dert an. Das ist gerade <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> besonders<br />
problematisch, denn hier liegen die E<strong>in</strong>kommen bei den Vollzeitbeschäftigten schon jetzt 20<br />
Prozent unter dem B<strong>und</strong>esdurchschnitt <strong>und</strong> 40 Prozent der Beschäftigten s<strong>in</strong>d<br />
Niedriglohnempfänger. Das s<strong>in</strong>d doppelt so viele wie <strong>in</strong> der Gesamtwirtschaft. Bei e<strong>in</strong>er<br />
Fortsetzung des Preiskampfes besteht die Gefahr, dass sich der gesamte <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> zur<br />
Niedriglohnbranche entwickelt – was <strong>im</strong> Übrigen den Nebeneffekt hat, dass die Kaufkraft weiter<br />
s<strong>in</strong>kt.<br />
Trotz der s<strong>in</strong>kenden Löhne steigt allerd<strong>in</strong>gs die Arbeitsbelastung der Beschäftigten, weil die<br />
Größe der Verkaufsflächen, die von ihnen betreut werden muss, kont<strong>in</strong>uierlich wächst. Zwischen<br />
2004 <strong>und</strong> 2008 hat sie alle<strong>in</strong> von 41,5 Quadratmeter pro Mitarbeiter/<strong>in</strong> auf 43,3 Quadratmeter<br />
zugenommen. 16 Das führt nicht nur zu e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schränkung der Dienstleistungsfunktionen <strong>im</strong><br />
<strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>, sondern auch zu steigenden Serviceanforderungen an die Mitarbeiter <strong>und</strong><br />
Mitarbeiter<strong>in</strong>nen.<br />
Obwohl <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> Vollzeitstellen abgebaut <strong>und</strong> <strong>im</strong>mer mehr M<strong>in</strong>ijobber <strong>und</strong><br />
M<strong>in</strong>ijobber<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>gestellt wurden, hat das Arbeitszeitvolumen <strong>im</strong> gesamtdeutschen<br />
<strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> zugenommen. Dies kommt zustande, weil die wöchentliche Arbeitszeit sowohl von<br />
den verbliebenen Vollzeitstellen, als auch von den Teilzeitbeschäftigten aufgestockt wurde. Sie<br />
haben also schlicht mehr Überst<strong>und</strong>en gemacht. Diese Erhöhung der Wochenarbeitszeit konnte<br />
deshalb realisiert werden, weil <strong>im</strong> Manteltarifvertrag e<strong>in</strong>e Ausdehnung der wöchentlichen<br />
Arbeitszeit um zwei St<strong>und</strong>en ohne Zuzahlung von Überst<strong>und</strong>enzuschlägen möglich ist. Nicht<br />
tarifgeb<strong>und</strong>ene Arbeitgeber nutzen die Möglichkeit die Wochenarbeitszeit <strong>im</strong> Rahmen der<br />
gesetzlichen M<strong>in</strong>deststandards zu verlängern. Für die Beschäftigten führen also die aktuellen<br />
Entwicklungen <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> dazu, dass ihre E<strong>in</strong>kommen tendenziell ab-, die Überst<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> die Arbeitsbelastung h<strong>in</strong>gegen zunehmen.<br />
Der steigende Anteil prekär Beschäftigter – verb<strong>und</strong>en mit der zersplitterten Branchenstruktur<br />
<strong>und</strong> den versetzten Arbeitszeiten - erschwert allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e gewerkschaftliche<br />
15 Die Kaufkraft entspricht dem verfügbaren E<strong>in</strong>kommen. Hierbei wird das Nettoe<strong>in</strong>kommen, das den Haushalten zur<br />
Verfügung steht, am Wohnort erfasst.<br />
16 Vgl. Warich (2009).<br />
15
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
Interessenvertretung erheblich. In e<strong>in</strong>igen <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>sketten wird die Gründung e<strong>in</strong>es<br />
Betriebsrats sogar gezielt verh<strong>in</strong>dert. Teilweise wird auf bestehende Arbeitnehmervertreter massiv<br />
Druck ausgeübt, damit sie ihre Rechte nicht wahrnehmen. Auch durch Streiks kann kaum noch<br />
Verhandlungsdruck aufgebaut werden, weil <strong>in</strong> solchen Fällen Fremdfirmen <strong>und</strong> Leiharbeiter<br />
e<strong>in</strong>gesetzt werden <strong>und</strong> die Geschäfte trotzdem öffnen können.<br />
2.4.2 Attraktivitätsverlust des <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>s gefährdet die Funktion als Oberzentrum <strong>und</strong><br />
führt zu weiteren Kaufkraftverlusten<br />
Nicht nur für die Beschäftigten, auch für den Wirtschaftstandort Bremerhaven birgt der<br />
verschärfte Wettbewerb <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> erhebliche Risiken. Weil dieser Entwicklung langfristig<br />
nur die großen <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>sketten standhalten können, gerät der Fache<strong>in</strong>zelhandel, der<br />
preislich nicht mithalten kann, <strong>im</strong>mer stärker unter Druck. Das gefährdet die Vielfalt <strong>und</strong><br />
benachteiligt <strong>im</strong> Endeffekt auch die K<strong>und</strong>en, die von dem Wettbewerb zunächst profitiert <strong>und</strong> ihn<br />
durch ihr Kaufverhalten weiter vorangetrieben haben.<br />
E<strong>in</strong> Aussterben des Fache<strong>in</strong>zelhandels hat neben den beschäftigungspolitischen Folgen auch<br />
negative Auswirkungen auf die Stadt Bremerhaven <strong>in</strong> ihrer Funktion als Oberzentrum <strong>in</strong> der<br />
Region. Denn e<strong>in</strong> attraktiver, <strong>in</strong>dividueller <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> mit qualifizierten Beschäftigten ist<br />
notwendig, damit die Bremerhavener Innenstadt <strong>und</strong> die Stadtteile auch für Menschen die <strong>im</strong><br />
Umland leben, reizvolle E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten bieten. Für die Bremerhavener/<strong>in</strong>nen sollte<br />
sichergestellt werden, dass weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e bedarfsgerechte Versorgung <strong>in</strong> der Nähe ihres<br />
Wohnorts aufrechterhalten wird. Ansonsten können die Bremerhavener Anbieter nicht mit den<br />
Gewerbegebieten „auf der grünen Wiese“ konkurrieren - was wiederum zu weiteren<br />
Kaufkraftverlusten führt.<br />
Der Verlust e<strong>in</strong>er wohnortnahen <strong>und</strong> fußläufig erreichbaren Nahversorgung mit Gütern des<br />
täglichen Bedarfs <strong>in</strong> gewachsenen Zentren <strong>und</strong> Teilzentren verschlechtert die Lebensqualität der<br />
Bürger/<strong>in</strong>nen erheblich, denn für viele s<strong>in</strong>d die Geschäfte auch Orte sozialer Begegnung <strong>und</strong><br />
Kommunikation, also e<strong>in</strong> wichtiger Bestandteil des Stadtteillebens. Gerade für ältere Menschen<br />
<strong>und</strong> solche, die nicht über e<strong>in</strong> Auto verfügen, br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Verschlechterung der Nahversorgung<br />
erhebliche Nachteile mit sich. Je mehr kle<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelhändler zur Geschäftsaufgabe gezwungen<br />
werden, desto mehr verliert das Zentrum oder Teilzentrum an Attraktivität. E<strong>in</strong>e Kettenreaktion<br />
setzt e<strong>in</strong>.<br />
3 Forderungen an die Politik<br />
Um den M<strong>in</strong>ijob-Boom mit se<strong>in</strong>en negativen Folgen für die Beschäftigten zu bremsen, ist sowohl<br />
die B<strong>und</strong>es- als auch die Landes- <strong>und</strong> Kommunalpolitik <strong>in</strong> der Pflicht.<br />
Die B<strong>und</strong>esregierung sollte dr<strong>in</strong>gend die gesetzlichen Regelungen zur ger<strong>in</strong>gfügig entlohnten<br />
Beschäftigung reformieren.<br />
E<strong>in</strong> erster, aber nicht ausreichender Schritt wäre die Wiedere<strong>in</strong>führung der 15-St<strong>und</strong>en-<br />
Begrenzung. Gr<strong>und</strong>sätzlich müssen die Anreize für die Arbeitgeber, sozialversicherungspflichtige<br />
Arbeitsplätze <strong>in</strong> <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> zu verwandeln, ausgeräumt werden. Ger<strong>in</strong>gfügig entlohnte<br />
Beschäftigungsverhältnisse müssen deshalb für die Arbeitgeber teurer <strong>und</strong> für<br />
Arbeitnehmer/<strong>in</strong>nen sozialversicherungspflichtig werden. Damit hierdurch nicht die Beschäftigten<br />
zusätzlich belastet werden, müsste allerd<strong>in</strong>gs gleichzeitig die Ger<strong>in</strong>gverdienergrenze von<br />
325 Euro auf 400 Euro angehoben werden. Die Ger<strong>in</strong>gverdienergrenze bewirkt, dass die<br />
Sozialversicherungsbeiträge komplett vom Arbeitgeber übernommen werden müssen, weil das<br />
E<strong>in</strong>kommen der Arbeitnehmer/<strong>in</strong>nen zu ger<strong>in</strong>g ist. Diese Regelung f<strong>in</strong>det beispielsweise bei<br />
Auszubildenden Anwendung.<br />
16
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
Um die Situation der Beschäftigten <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> gezielt zu verbessern, muss das<br />
Lohndump<strong>in</strong>g beendet werden. Dies kann über die Wiedere<strong>in</strong>führung der allgeme<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dlichen<br />
Tarifverträge oder über die Festsetzung e<strong>in</strong>es M<strong>in</strong>destlohns erfolgen.<br />
Der Teufelskreis aus verschärftem Wettbewerb e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> M<strong>in</strong>ijob-Zunahme andererseits<br />
kann nur dann beendet werden, wenn das Problem von zwei Seiten „<strong>in</strong> die Zange“ genommen<br />
wird.<br />
Deshalb müssen auf landes- <strong>und</strong> kommunalpolitischer Ebene alle zur Verfügung stehenden<br />
E<strong>in</strong>flussmöglichkeiten genutzt werden, um solche Betriebe zu schützen, die nach Tarif<br />
bezahlen <strong>und</strong> auf den E<strong>in</strong>satz von M<strong>in</strong>jobbern <strong>und</strong> M<strong>in</strong>ijobber<strong>in</strong>nen verzichten.<br />
Konkret sollte – wo möglich - die Ansiedlung von großflächigem <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> verh<strong>in</strong>dert werden,<br />
wenn er nicht darauf ausgerichtet ist, das bestehende Angebot zu erweitern oder aufzuwerten.<br />
Um dies f<strong>und</strong>iert beurteilen zu können, ist die Erstellung e<strong>in</strong>es <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>s- <strong>und</strong><br />
Zentrenkonzepts mit klar formulierten Zielen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er entsprechenden Flächenausweisung e<strong>in</strong>e<br />
gr<strong>und</strong>legende Voraussetzung. Das Konzept sollte e<strong>in</strong>e sorgfältige Bestandsanalyse der<br />
Nahversorgungssituation, die Entwicklung e<strong>in</strong>es Zielkonzepts <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Maßnahmenkatalogs<br />
enthalten. Wichtig ist außerdem, dass hier die funktionale Arbeitsteilung zwischen Innenstadt<br />
<strong>und</strong> Entwicklungsschwerpunkten (zum Beispiel den großflächigen <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> <strong>und</strong> die<br />
Nahversorgung <strong>in</strong> den Stadtteilen) festgeschrieben wird.<br />
Im Rahmen e<strong>in</strong>es solchen <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>skonzepts könnten Standorte typisiert oder auch<br />
Ausschlusskriterien für die Ansiedlung von Vorhaben mit schädlichen Auswirkungen auf das<br />
bestehende Zentrengefüge festgesetzt werden. Vorrangig zu verfolgen ist dabei die Pflege <strong>und</strong><br />
Ergänzung bestehender Standorte, um ausgewiesene Zentren zu erweitern oder aufzuwerten. Um<br />
dies zu ermöglichen, ist häufig e<strong>in</strong>e Anpassung älterer Bebauungspläne an die neue<br />
Baunutzungsverordnung notwendig, was wiederum die Koord<strong>in</strong>ation zwischen allen<br />
Entscheidungsträgern <strong>und</strong> der Kommune erfordert – also ke<strong>in</strong>e leichte Aufgabe se<strong>in</strong> wird.<br />
Vorliegende Bauanträge für Nahversorgungse<strong>in</strong>richtungen sollten von der Verwaltung umfassend<br />
bezüglich der Auswirkungen auf das bestehende <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong>sangebot analysiert <strong>und</strong><br />
gegebenenfalls abgelehnt werden.<br />
Auch <strong>im</strong> H<strong>in</strong>blick auf die gegenwärtig diskutierte weitere Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten<br />
sollte die Landesregierung konsequent bleiben, denn verlängerte Öffnungszeiten tragen zu e<strong>in</strong>er<br />
massiven Verschärfung des Wettbewerbs bei, die auf dem Rücken der Beschäftigten<br />
ausgetragen wird. Gerade <strong>in</strong> Regionen mit ger<strong>in</strong>ger Kaufkraft <strong>und</strong> entsprechend ‚kle<strong>in</strong>em<br />
Kuchen’ erhöht sich hierdurch für die E<strong>in</strong>zelhändler der Druck, die steigenden Personalkosten<br />
über ger<strong>in</strong>gere Löhne <strong>und</strong> die Ausweitung von <strong>M<strong>in</strong>ijobs</strong> zu kompensieren. Die am Beispiel des<br />
Mediterraneo aktuell geforderte Ausweitung der Sonntagsöffnungen wird zwar dadurch<br />
gerechtfertigt, dass gerade hierdurch externe Kaufkraft – nämlich die der Tourist<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />
Touristen – nach Bremerhaven geholt <strong>und</strong> der Kuchen so quasi vergrößert wird. Ob diese<br />
zusätzliche Kaufkraft allerd<strong>in</strong>gs ausreicht, um die steigenden Kosten zu kompensieren, darf<br />
bezweifelt werden. Immerh<strong>in</strong> wird durch e<strong>in</strong>e Ausweitung der Ladenöffnungszeiten erheblicher<br />
Druck auf die Geschäfte <strong>in</strong> der Innenstadt ausgeübt gleichzuziehen, was sicherlich viele – <strong>und</strong> an<br />
vorderster Front die kle<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>zelhändler <strong>und</strong> solche, die noch nach Tarif bezahlen –<br />
überfordert. Mit den bereits ausführlich skizzierten Folgen. Verschärfend kommt h<strong>in</strong>zu, dass aller<br />
Voraussicht nach auch Bremer E<strong>in</strong>zelhändler – beispielsweise jene, die <strong>in</strong> der Waterfront<br />
angesiedelt s<strong>in</strong>d - auf entsprechende Ausnahmeregelungen dr<strong>in</strong>gen werden, sollte die<br />
Sonntagsöffnung für das Mediterraneo genehmigt werden. Bei dieser Entscheidung könnte es<br />
sich also um e<strong>in</strong>e Art Präzedenzfall handeln, die das Thema entweder von der Tagesordnung<br />
n<strong>im</strong>mt oder neue Spielräume für E<strong>in</strong>zelhändler schafft.<br />
Auch e<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>sätzliche Beschränkung der Sonntagsöffnungen auf das Mediterraneo selber<br />
kann ke<strong>in</strong>e Alternative se<strong>in</strong>, weil sie wiederum e<strong>in</strong>e Ungleichbehandlung der anderen Geschäfte<br />
17
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
darstellt. Immerh<strong>in</strong> ist nicht auszuschließen, dass auch Bremerhavener <strong>und</strong><br />
Bremerhavener<strong>in</strong>nen, die ihre E<strong>in</strong>käufe sonst <strong>in</strong> der Innenstadt tätigen, statt dessen am Sonntag<br />
<strong>im</strong> Mediterraneo e<strong>in</strong>kaufen <strong>und</strong> der restliche <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> <strong>in</strong> der Folge Umsatze<strong>in</strong>bußen zu<br />
verzeichnen hat, die möglicherweise wieder dazu führen, dass E<strong>in</strong>sparungen bei den<br />
Personalkosten vorgenommen werden.<br />
E<strong>in</strong>e weitere Liberalisierung der Öffnungszeiten ist deshalb nur dann vertretbar, wenn<br />
ausgeschlossen werden kann, dass die hiermit vorsätzlich angestoßene Verschärfung des<br />
Wettbewerbs auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Dies ist nur dann zu<br />
verh<strong>in</strong>dern, wenn vor der geplanten Änderung des Ladenschlussgesetzes die E<strong>in</strong>haltung der<br />
Tarifverträge <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> sicher gestellt ist. Sollte dies aus juristischen oder politischen<br />
Gründen nicht möglich se<strong>in</strong>, sollte von der geplanten Änderung des Ladenschlussgesetzes<br />
abgesehen werden.<br />
Aber nicht nur die Politik, auch die Konsument<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Konsumenten können e<strong>in</strong>en Beitrag<br />
dazu leisten, dass sich die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen der Beschäftigten <strong>im</strong> <strong>E<strong>in</strong>zelhandel</strong> nicht weiter<br />
verschlechtern, <strong>in</strong>dem sie – wenn möglich – gezielt <strong>in</strong> solchen Geschäften e<strong>in</strong>kaufen, die fair<br />
bezahlen. Denn Dump<strong>in</strong>gpreise s<strong>in</strong>d nicht ohne Dump<strong>in</strong>glöhne realisierbar.<br />
18
Stellungnahme Arbeitnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
Literatur:<br />
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19