SCHACH IN DER SCHULE - LEBE Lehrerinnen und Lehrer Bern
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schulpraxis spezial<br />
1 / 11<br />
<strong>SCHACH</strong><br />
XXXXX<br />
<strong>IN</strong> <strong>DER</strong> <strong>SCHULE</strong>
Juli 2011<br />
Herausgeber<br />
<strong><strong>Lehrer</strong>innen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehrer</strong> <strong>Bern</strong> <strong>LEBE</strong><br />
Monbijoustrasse 36<br />
Postfach 7163<br />
Tel. 031 326 47 47<br />
Fax 031 326 47 48<br />
www.lebe.ch (Bereich Pädagogik)<br />
Redaktion<br />
Beat Rüegsegger<br />
rueegsi@bluemail.ch<br />
Franziska Schwab<br />
franziska.schwab@lebe.ch<br />
Etienne Bütikofer<br />
etienne.buetikofer@lebe.ch<br />
Layout / Grafik<br />
Fabian Kramer<br />
fabian.kramer@lebe.ch<br />
Bestellungen<br />
Geschäftsstelle <strong>LEBE</strong><br />
Chesspoint Switzerland, 4562 Biberist<br />
Tel. 032 672 36 06, info@chesspoint.ch<br />
Druck<br />
AST & FISCHER AG<br />
PreMedia <strong>und</strong> Druck<br />
Seftigenstrasse 310<br />
3084 Wabern<br />
Bilder<br />
Timm Bütikofer (TiBü)<br />
2<br />
schulpraxis 2/09<br />
<strong>SCHACH</strong><br />
<strong>IN</strong> <strong>DER</strong> <strong>SCHULE</strong><br />
Inhalt<br />
Weshalb Schach im Schulunterricht? 4<br />
Ni-Nuki – idealer Schach-Einstieg<br />
auf der Unterstufe 6<br />
Vereinfachte Spielformen<br />
auf der Mittel- <strong>und</strong> Oberstufe 8<br />
Andere Schachspielformen als Abwechslung 10<br />
Ideen für den Deutschunterricht 12<br />
Ideen für den Geschichtsunterricht 24<br />
Ideen für den Mathematikunterricht 28<br />
Ideen für den Musikunterricht 32<br />
Ideen für das Bildnerische Gestalten 33<br />
Arbeitsblätter 34<br />
Literatur <strong>und</strong> Links 38<br />
Liebe Leserin<br />
Lieber Leser<br />
Beat Rüegsegger,<br />
Autor dieser «schulpraxis»<br />
<strong>und</strong> Reallehrer in Huttwil,<br />
hat seine SchülerInnen ins<br />
Schachspiel eingeführt.<br />
Nun beobachtet er<br />
ihre Züge – <strong>und</strong> würde<br />
wohl am liebsten selber<br />
eingreifen.<br />
Bild: Donat Gächter<br />
3<br />
schulpraxis spezial<br />
«Es gibt nur ein Mittel, im Schachspiel unbesiegt zu<br />
bleiben. Spiele nie Schach», hat Kurt Tucholsky gesagt.<br />
Die vorliegende Ausgabe der «schulpraxis» will aber zum<br />
Schachspielen – gerade auch in der Schule – anregen. Zum<br />
Zusatzmaterialien<br />
Die erwähnten Zusatzmaterialien<br />
findet man auf der Homepage von<br />
<strong>LEBE</strong> unter www.lebe.ch, Bereich<br />
Pädagogik, schulpraxis oder dem<br />
Schweizerischen Schachb<strong>und</strong> unter<br />
www.swisschess.ch.<br />
Beispiel, weil mit diesem Spiel kognitive <strong>und</strong> soziale Fähigkeiten gefördert werden können.<br />
Das Heft zeigt den Lehrpersonen Einstiegsmöglichkeiten in das vielseitige Thema «Schach im<br />
Schulunterricht» auf <strong>und</strong> bietet fächerübergreifende Unterrichtsmaterialien an, die eins zu eins<br />
übernommen <strong>und</strong> eingesetzt werden können. Kein Ziel dieser «schulpraxis» ist es, eine f<strong>und</strong>ierte<br />
Einführung ins Schachspiel zu geben. Hierzu gibt es erprobte Fachliteratur <strong>und</strong> Lehrmittel, die<br />
in einer Literaturempfehlung am Schluss aufgeführt sind.<br />
Der Autor Beat Rüegsegger kann sich auf seine grosse Erfahrung <strong>und</strong> breiten Sachkenntnisse<br />
abstützen, die er teilweise schon in die «schulpraxis» vom März 1990 hat einfliessen lassen. In<br />
seiner Diplomarbeit für das Nachdiplomstudium «Unterricht an Realklassen» mit dem Thema<br />
«Schach im Deutsch- <strong>und</strong> fächerübergreifenden Unterricht» hat er sein Wissen noch vertieft.<br />
Jetzt gibt er es gerne weiter, damit viele SchülerInnen <strong>und</strong> Lehrpersonen die Vielfältigkeit des<br />
Schachspiels kennen lernen <strong>und</strong> Freude an diesem interessanten Spiel finden.
4<br />
schulpraxis spezial<br />
Weshalb Schach im Schulunterricht?<br />
Spiele wie Schach gewinnen in der heutigen Zeit mit<br />
den zahlreichen Ablenkungs- <strong>und</strong> Vergnügungsmöglichkeiten<br />
immer mehr an Bedeutung. Verschiedene<br />
kognitive <strong>und</strong> soziale Fähigkeiten werden spielend<br />
speziell gefördert beziehungsweise angesprochen.<br />
Das Schachspiel unterscheidet sich von<br />
allen anderen Brettspielen durch seine unermesslichen<br />
Möglichkeiten, seinen Variantenreichtum.<br />
Eine weitsichtige Planung <strong>und</strong><br />
Vorausberechnung ist nötig. Gute SpielerInnen<br />
«sehen» <strong>und</strong> berechnen sechs <strong>und</strong> mehr Züge<br />
mit Varianten voraus. Dabei dürfen sie nicht<br />
nur stur den eigenen Plan verfolgen, sondern<br />
müssen sich auch in das Gegenüber versetzen<br />
können, das ebenfalls einen Plan verwirklichen<br />
will. Dieses Wechselspiel erfordert gutes logisches<br />
Denkvermögen. Wo dieses als natürliche<br />
Begabung fehlt, kann es bis zu einem gewissen<br />
Grad gelernt werden. Allerdings nur in kleinen<br />
Schritten.<br />
Konzentration<br />
In unseren Schulen wird häufig geklagt, dass<br />
sich die Lernenden je länger je weniger konzentrieren<br />
können. Kein W<strong>und</strong>er, wenn wir<br />
bedenken, mit welchen – vor allem medialen<br />
– Reizen sie überflutet werden. Das Schachspiel<br />
kann die Voraussetzung schaffen, das<br />
verlorene Konzentrationsvermögen wieder<br />
zu aktivieren. Da ist einmal das stille Umfeld<br />
während des Spiels, das erst ein angenehmes<br />
Konzentrieren <strong>und</strong> Denken ermöglicht. Lautes<br />
Sprechen oder Lärmquellen in irgendeiner<br />
Form sind untersagt. Der Gegner darf auch<br />
nicht durch unfaire Tricks gestört werden. Für<br />
die Spielenden ist diese Ruhe zunächst oft ungewohnt,<br />
manchmal sogar beängstigend. Bald<br />
einmal empfinden sie sie aber als wohltuend<br />
<strong>und</strong> geradezu ideal, um nachdenken zu können.<br />
Damit ist der erste Schritt zu einer Steigerung<br />
der Konzentrationsfähigkeit getan.<br />
In einer zweiten Phase werden die Spielenden<br />
lernen müssen, ihre Umgebung zu vergessen,<br />
abzuschalten. Ist dieses Ziel erreicht, kann die<br />
Erweiterung der Konzentration auf die drei<br />
Aspekte einer Wettkampfschachpartie erfolgen:<br />
Partie – Uhr – Notation. Dies wird bis zur<br />
Beherrschung sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.<br />
Können SchülerInnen eine Partie unter<br />
wettkampfmässigen Bedingungen spielen,<br />
lassen sie sich auch im Schulunterricht kaum<br />
mehr so leicht ablenken.<br />
Zeitgefühl<br />
Wenn zwei Jugendliche erstmals Schach mit<br />
der Uhr spielen <strong>und</strong> man jedem eine halbe<br />
St<strong>und</strong>e Bedenkzeit einräumt, ist die Partie<br />
ziemlich sicher nach 5 Minuten beendet, denn<br />
die Uhr zu betätigen nimmt fast mehr Zeit in<br />
Anspruch als geeignete Züge zu überlegen.<br />
Der «Uhrenanfänger» scheint eine panische<br />
Angst vor dem tickenden Ding <strong>und</strong> dem<br />
kleinen Fallblättchen zu haben, das für die<br />
notwendige Zeitkontrolle vorgesehen ist. Erst<br />
eine längere Angewöhnung lehrt ihn, die<br />
Bedenkzeit besser einzuteilen <strong>und</strong> voll auszunützen.<br />
Nach <strong>und</strong> nach stellt sich ein Zeitgefühl<br />
ein. Ein besseres Zeitgefühl lässt die Lernenden<br />
erfahrungsgemäss auch im Unterricht ruhiger<br />
<strong>und</strong> überlegter arbeiten <strong>und</strong> bessere Leistungen<br />
erzielen.<br />
Klassengefüge<br />
Wer selber Versuche im Schulschach durchgeführt<br />
hat, kann folgende Erfahrungen sicher<br />
bestätigen:<br />
Da ist einmal der Gehemmte, Schüchterne, der<br />
von der Klasse meist nicht ernst genommen,<br />
sogar gehänselt <strong>und</strong> ausgelacht wird. Vielleicht<br />
besitzt er eine besondere Schach-Begabung,<br />
die man nur zu aktivieren braucht. Er merkt<br />
plötzlich, dass er gegen seine MitschülerInnen<br />
zu bestehen vermag. Er gewinnt an Selbstvertrauen,<br />
was sich auch auf die Leistungen in<br />
anderen Schulfächern auswirken kann.<br />
Da ist der Rastlose, Vorlaute, der alles besser<br />
weiss <strong>und</strong> dem vielleicht alles zu langsam<br />
geht. Beim Schachspielen wird er bald erfahren,<br />
dass man immer wieder «unten durch<br />
Die Umgebung<br />
vergessen <strong>und</strong> sich auf<br />
das Spielbrett <strong>und</strong> die<br />
Züge des Gegenspielers<br />
konzentrieren: das<br />
lernen Kinder beim<br />
Schachspielen. Dass sie<br />
Konzentration lernen,<br />
ist in der heutigen,<br />
reizüberfluteten Zeit<br />
besonders wichtig,<br />
aber gar nicht mehr<br />
selbstverständlich.<br />
5<br />
schulpraxis spezial<br />
muss». Er muss lernen, längere Zeit still zu<br />
verweilen, nachzudenken, einen Plan zu fassen<br />
<strong>und</strong> viele Möglichkeiten abzuwägen, bevor er<br />
tatsächlich etwas unternimmt. Schachspielen<br />
kann seine Verhaltensauffälligkeiten positiv<br />
verändern.<br />
Da ist der Flüchtige, Unordentliche <strong>und</strong> Oberflächliche,<br />
der sich mehr schlecht als recht<br />
zurechtfindet <strong>und</strong> sich kaum einordnen kann.<br />
Er lernt durch das Schachspielen, sich nach<br />
genau vorgeschriebenen Regeln zu verhalten.<br />
Er muss Verantwortung sich selber gegenüber<br />
übernehmen. Dieser «Zwang» zur Ordnung<br />
<strong>und</strong> Einordnung kann sich positiv auf sein<br />
Verhalten <strong>und</strong> seine Gedankenwelt auswirken.<br />
Da ist der Aussenseiter, der sich gerne von<br />
der Gemeinschaft distanziert <strong>und</strong> wenig zu<br />
einem guten Umgang untereinander beiträgt.<br />
Er muss sich plötzlich mit der Situation auseinander<br />
setzen, dass er als Gegenüber jemanden<br />
vor sich hat, mit dem er sich eigentlich nicht<br />
befassen möchte. Die Schachregeln schaffen<br />
gleiche Voraussetzungen <strong>und</strong> stecken den<br />
Rahmen zu einem fairen Vergleich ab, den es<br />
zu akzeptieren <strong>und</strong> einzuhalten gilt. Es spielt<br />
keine Rolle, ob gegenüber ein Knabe oder<br />
ein Mädchen als Gegner bzw. Gegnerin Platz<br />
genommen hat, mit dem man im normalen<br />
Schulunterricht keinen Kontakt aufbaut.<br />
Da ist aber auch die Lehrperson, die aus ihrer<br />
Rolle schlüpft, sich mit den Lernenden auf die<br />
gleiche Ebene begibt, Spielpartnerin wird. Ein<br />
neues Vertrauensverhältnis kann entstehen,<br />
das das «Klassenklima» nachhaltig beeinflusst<br />
<strong>und</strong> sich positiv auf den übrigen Unterricht<br />
auswirkt.<br />
Da sind die Ideen des fächerübergreifenden<br />
Unterrichts. Das Schachspiel kommt dieser<br />
Art von Unterricht in idealer Weise entgegen<br />
<strong>und</strong> kann speziell in Realklassen gut umgesetzt<br />
werden, weil ja die Klassenlehrperson<br />
in der Regel in der Klasse mehrere Fächer<br />
unterrichtet.
6<br />
schulpraxis spezial<br />
Ni-Nuki – idealer Schach-Einstieg<br />
auf der Unterstufe<br />
Das Ni-Nuki-Spiel ist eine interessante Vorstufe<br />
zum Schachspiel <strong>und</strong> vermittelt erste einfache<br />
Regeln <strong>und</strong> Spielmöglichkeiten.<br />
Beispiel eines<br />
Spielbrettes mit 12 x 12 =<br />
144 Quadraten.<br />
Ni-Nuki ist ein japanisches Brettspiel, das<br />
mit dem weitaus komplizierteren Schachspiel<br />
durchaus verglichen werden kann. Das<br />
Spielbrett ist quadratisch <strong>und</strong> wird von einem<br />
Brettmuster (Liniennetz) gebildet, wobei sich<br />
die Linien rechtwinklig kreuzen <strong>und</strong> so quadratische<br />
Felder ergeben. Die Spielsteine sind<br />
weisse <strong>und</strong> schwarze, flachr<strong>und</strong>e Scheibchen.<br />
Zwei Partner spielen jeweils gegeneinander.<br />
Der eine besitzt die schwarzen, der andere die<br />
weissen Spielsteine. Gespielt wird durch das<br />
abwechselnde Setzen je eines weissen oder<br />
eines schwarzen Steines.<br />
Gesetzt wird auf die Kreuzungspunkte. Weiss<br />
beginnt die Partie durch das Setzen seines<br />
ersten Steines.<br />
Benachbart liegende Steine der gleichen Farbe<br />
bilden Ketten. Mehr als zwei Steine können<br />
eine Kette bilden, wenn sie in einer geraden<br />
Reihe ohne Lücke nachbarschaftlich verb<strong>und</strong>en<br />
liegen. Die Steine können aber auch auf<br />
der gleichen Diagonalen ohne Lücke liegen.<br />
Das Spielziel besteht dann darin, entweder<br />
eine unzerstörbare Fünferkette zu bilden<br />
oder als erster fünf Zweierketten gefangen<br />
zu nehmen.<br />
7<br />
schulpraxis spezial<br />
Kurz <strong>und</strong> einfach<br />
Dieses Spiel ermöglicht kurze <strong>und</strong> lebhafte Partien.<br />
Das Spielmaterial ist übersichtlich (Steine<br />
<strong>und</strong> Brett). Die elementaren Spielhandlungen<br />
sind höchst einfach (abwechselndes Setzen<br />
<strong>und</strong> gelegentliches Herausnehmen von eingeschlossenen<br />
gegnerischen Zweierketten).<br />
Die Spielziele sind anschaulich (Bilden einer<br />
unzerstörbaren Fünferkette oder insgesamt<br />
fünf herausgenommene Zweierketten). Die<br />
Positionscharakterisierung <strong>und</strong> -bewertung erfordert<br />
nur das Verständnis weniger einfacher<br />
Muster <strong>und</strong> Gesetzmässigkeiten.<br />
Die Spielregeln<br />
1. Man gewinnt eine gegnerische Zweierkette,<br />
indem man sie an beiden Enden durch<br />
eigene Steine einschliesst. Gefangene Zweierketten<br />
werden sofort herausgenommen<br />
<strong>und</strong> neben das Spielbrett gelegt.<br />
2. Eine eingeschlossene Zweierkette darf nicht<br />
herausgenommen werden, wenn die einschliessenden<br />
Steine schon vorher gesetzt<br />
worden sind.<br />
3. Eine freie Dreierkette ist eine Kette, die an<br />
ihren beiden Enden nicht durch gegnerische<br />
Steine eingeschlossen ist. Man darf einen<br />
Stein nicht dort setzen, wo er gleichzeitig<br />
mehrere freie Dreierketten bilden würde.<br />
4. Eine Fünferkette ist erst dann unzerstörbar,<br />
wenn sie nicht mehr durch das Fangen von<br />
Zweierketten aufgerissen oder verkürzt<br />
werden kann.<br />
5. Ketten mit mehr als 5 Steinen gewinnen<br />
nicht.<br />
6. Beim Partiebeginn begrüssen sich beide<br />
Spielenden mit einem fre<strong>und</strong>schaftlichen<br />
Händedruck.<br />
7. Beim Partieende gratuliert der Verlierer<br />
dem Gewinner. Das geschieht am besten<br />
mit einem Händedruck <strong>und</strong> den Worten.<br />
«Ich gratuliere!»<br />
8. Ein einmal gesetztes Scheibchen kann nicht<br />
zurückgenommen werden. Es gilt klar «Ge-<br />
setzt – geschehen!» (Man vergleiche hier<br />
mit der Regel «Berührt – geführt!» vom<br />
Schachspiel.)<br />
9. Ein falsch gesetztes Scheibchen kann vom<br />
Gegenspieler reklamiert werden. Es muss<br />
hierauf sofort zurückgenommen <strong>und</strong> neu<br />
gesetzt werden.<br />
10. Wird ein Scheibchen falsch gesetzt, aber<br />
vom Gegner nicht bemerkt <strong>und</strong> deshalb<br />
nicht reklamiert, so wird weitergespielt.<br />
Dies ist auch der Fall, wenn das Herausnehmen<br />
der zwei Steine einer gefangenen<br />
Zweierkette vergessen oder sogar ein Partiegewinn<br />
übersehen worden ist. Die Verantwortung<br />
liegt nur beim Spieler selbst.<br />
Man erkennt natürlich in diesem Spiel Analogien<br />
zum Schachspiel. Um eine weitere<br />
Annäherung zu erreichen, können noch «Verhaltensregeln»<br />
eingeführt werden, die zum Teil<br />
vom Schachspiel abgeleitet sind.<br />
Selber herstellen<br />
Das Spiel eignet sich auch vorzüglich als<br />
«Doppel» für Zweierteams. Auch hier wird<br />
abwechselnd gesetzt <strong>und</strong> man darf sich nicht<br />
gegenseitig beraten. Das Spiel ist leicht selber<br />
herzustellen. Es genügt, ein dünnes, quadratisch<br />
zugeschnittenes Holzbrettchen oder<br />
ein dicker, quadratischer Karton, auf dem die<br />
Felder aufgezeichnet werden. Als Scheibchen<br />
können r<strong>und</strong>e Kartonstücke oder Spielmarken<br />
von anderen Spielen verwendet werden.<br />
Es gibt verschiedene Spielmöglichkeiten mit<br />
der entsprechenden Anzahl von Spielsteinen,<br />
die Regeln bleiben aber gleich:<br />
• Brett mit 18x18 = 324 Quadraten <strong>und</strong> je 80<br />
Spielsteinen<br />
• Brett mit 16x16 = 256 Quadraten <strong>und</strong> je 70<br />
Spielsteinen<br />
• Brett mit 14x14 = 196 Quadraten <strong>und</strong> je 60<br />
Spielsteinen<br />
• Brett mit 12x12 = 144 Quadraten <strong>und</strong> je 50<br />
Spielsteinen
8<br />
schulpraxis spezial<br />
Vereinfachte Spielformen auf der<br />
Mittel- <strong>und</strong> Oberstufe<br />
Mit verschiedenen einfachen Spielformen<br />
kann der Wettkampf geübt werden.<br />
Der besondere Reiz beim Schachspielen besteht<br />
sicher darin, dass man sich schnell einmal<br />
im praktischen Spiel mit einem Partner messen<br />
kann. Nach dem Kennenlernen der Gangart<br />
der ersten Figuren, kommt schnell einmal das<br />
Bedürfnis nach einem Wettkampfvergleich<br />
auf. Um diesem Verlangen gerecht zu werden,<br />
gibt es einfache Spielformen, in der die<br />
Gangart einerseits geübt, andererseits aber<br />
das wettkampfmässige Spiel praktisch erprobt<br />
werden kann. Diese einfachen Spielformen<br />
steigern das Verständnis für die einzelnen Figuren<br />
<strong>und</strong> eignen sich bestens für frühzeitige<br />
kleine Wettkämpfe <strong>und</strong> Turniere.<br />
Das Bauernspiel<br />
Es gelten die gleichen Regeln wie in einer<br />
Schachpartie. Weiss beginnt, dann zieht<br />
Schwarz. Beide Spieler ziehen <strong>und</strong> schlagen<br />
mit ihren Bauern. Es besteht Zugpflicht. Es ist<br />
also nicht gestattet,<br />
auf einen Zug zu verzichten.<br />
Es gewinnt,<br />
wer zuerst einen<br />
Bauern auf die gegnerische<br />
Gr<strong>und</strong>reihe<br />
ziehen kann. Kann<br />
ein Spieler mit keinem<br />
Bauern mehr ziehen,<br />
weil alle Bauern<br />
blockiert sind, wird<br />
eine neue Partie mit<br />
vertauschten Farben<br />
gespielt.<br />
Das Königsspiel<br />
Dieses Spiel gleicht dem Bauernspiel. Zusätzlich<br />
spielen noch die beiden Könige mit. Auch<br />
hier besteht das Ziel darin, einen Bauern zur<br />
gegnerischen Gr<strong>und</strong>reihe durchzubringen.<br />
Der König wird da nützliche Dienste leisten.<br />
Es besteht ebenfalls Zugpflicht. Sieger ist,<br />
wer zuerst einen Bauern auf die gegnerische<br />
Gr<strong>und</strong>reihe gebracht hat, ohne dass dieser<br />
Bauer dort vom gegnerischen König geschlagen<br />
werden kann.<br />
Für die folgenden Spielformen gilt: Die Spielfarbe<br />
wird ausgelost, indem ein Spieler je<br />
einen schwarzen <strong>und</strong> einen weissen Bauern<br />
in je eine Hand nimmt <strong>und</strong> die Bauern hinter<br />
seinem Rücken einige Male vertauscht. Sein<br />
Gegenspieler wählt eine Hand aus <strong>und</strong> der<br />
darin versteckte Bauer zeigt ihm, mit welcher<br />
Farbe er das Spiel bestreitet.<br />
Weiss beginnt mit dem Setzen seiner ersten<br />
Figur. Anschliessend setzt Schwarz ebenfalls<br />
seine Figur. Dies geschieht nun abwechselnd,<br />
bis zuerst alle Figuren <strong>und</strong> dann alle Bauern<br />
gesetzt sind.<br />
Weiss darf den ersten Zug ausführen. Es wird<br />
nun immer abwechselnd mit den Figuren<br />
gezogen, wobei die Bauern aber nicht ziehen<br />
dürfen. Sieger ist derjenige Spieler, der<br />
zuerst alle gesetzten Bauern seines Gegners<br />
(oder alle gesetzten Figuren beim Damespiel),<br />
die selber nicht ziehen dürfen, mit seiner<br />
Hauptfigur (oder seinen Hauptfiguren beim<br />
Läuferspiel) geschlagen hat.<br />
9<br />
schulpraxis spezial<br />
Wer die Hauptfigur – oder die Hauptfiguren<br />
beim Läuferspiel – seines Gegners oder seiner<br />
Gegenerin schlagen kann, also diejenige Figur<br />
oder diejenigen Figuren, mit der oder denen<br />
ständig gezogen wird, ist sofort Sieger, unabhängig<br />
davon, ob sich noch viele oder nur<br />
mehr wenige Bauern oder Figuren auf dem<br />
Brett befinden.<br />
Das Turmspiel<br />
Der weisse Turm wird<br />
auf das Feld a 1, der<br />
schwarze Turm auf<br />
das Feld h 8 gesetzt.<br />
Weiss beginnt nun<br />
mit dem Setzen seines<br />
ersten Bauern.<br />
Jeder Spieler setzt abwechselnd<br />
6 Bauern.<br />
Links ein mögliches<br />
Beispiel.<br />
Das Läuferspiel<br />
Die zwei Läufer werden<br />
je auf ihr Feld in<br />
der Gr<strong>und</strong>stellung gestellt, das heisst also<br />
für Weiss auf die Felder c 1 <strong>und</strong> f 1 <strong>und</strong> für<br />
Schwarz auf die Felder c 8 <strong>und</strong> f 8. Weiss<br />
beginnt mit dem Setzen seines ersten Bauern.<br />
Jeder Spieler setzt nun abwechselnd je<br />
vier Bauern. Links ein<br />
mögliches Beispiel.<br />
Das Damespiel<br />
Weiss setzt seine Dame<br />
auf das Feld d 1,<br />
während Schwarz seine<br />
Dame auf das Feld<br />
e 8 stellt. Nun werden<br />
abwechselnd zwei<br />
Türme, ein Läufer <strong>und</strong><br />
ein Springer gesetzt.<br />
Oben rechts ein mögliches<br />
Beispiel.<br />
Das Springerspiel<br />
Weiss beginnt mit dem Setzen seines Springers<br />
entweder auf das Feld g 1 oder b 1. Schwarz<br />
setzt analog entweder auf das Feld g 8 oder<br />
b 8. Nun beginnt Weiss mit dem Setzen seines<br />
ersten Bauern. Jeder Spieler setzt abwechselnd<br />
vier Bauern. Hier ein mögliches Beispiel:
schulpraxis spezial<br />
Andere Schachspielformen als<br />
Abwechslung<br />
Wer vom Schachspiel begeistert ist <strong>und</strong> noch nach<br />
alternativen Spielmöglichkeiten sucht, kann eine<br />
der nachfolgend aufgeführten Spielarten ausprobieren<br />
<strong>und</strong> wird sicher seinen Spass damit haben.<br />
10<br />
Um die Spielstärke vor allem zwischen<br />
schwächeren <strong>und</strong> weitaus stärkeren Partnern<br />
auszugleichen, können Simultanpartien<br />
gespielt werden. Hier tritt ein Spieler gegen<br />
mehrere Gegner gleichzeitig an. Bei einer<br />
Blindpartie spielt ein Spieler ohne Ansicht<br />
des Brettes. Hier werden die gespielten Züge<br />
mündlich mitgeteilt. Bei Vorgabe-Partien<br />
überlässt ein Spieler seinem schwächeren<br />
Gegner die Wahl, eine beliebige Figur von<br />
der Gr<strong>und</strong>stellung zu entfernen oder lässt<br />
ihn bei Partiebeginn sogar zwei Züge nacheinander<br />
ausführen. Diese Formen kommen<br />
ohne Veränderung der Brettform oder der<br />
Regeln aus.<br />
Speziell sind die Bedingungen beim Blitzspiel.<br />
Wie in Turnierpartien üblich, wird auch hier<br />
mit einer Schachuhr gespielt. Beim «Blitzen»<br />
werden die Partien zeitlich begrenzt, indem<br />
z. B. jedem Spieler nur 5 Minuten Bedenkzeit<br />
für die gesamte Partie gewährt wird. Hier<br />
werden zwar weniger eventuell vorhandene<br />
Spielstärkenunterschiede ausgeglichen, dafür<br />
ist aber sichergestellt, dass keine Partie länger<br />
als 10 Minuten dauert. Einen «Stärkeausgleich»<br />
erreicht man durch das Einstellen von<br />
weniger Bedenkzeit beim stärkeren Spieler.<br />
Tendem-Schach<br />
Bekannt ist ebenfalls das Tandem-Schach,<br />
das mit Zweier-Mannschaften gespielt wird.<br />
Dabei spielt immer ein Spieler pro Mannschaft<br />
mit Weiss, der andere mit Schwarz.<br />
Wenn nun ein Spieler einen gegnerischen<br />
Stein schlägt, so hat dieser die Farbe, mit<br />
der sein Partner spielt, <strong>und</strong> er übergibt<br />
diesem die geschlagene Figur. Der Partner<br />
darf anstelle eines Zuges diese Figur nun<br />
auf einem beliebigen freien Feld seines<br />
Brettes einsetzen. Hier gibt es sogar noch<br />
verschiedene Varianten, so dürfen z. B. etwa<br />
keine Bauern eingesetzt werden. Es kann<br />
also vorkommen, dass ein Spieler mit vier<br />
Springern, drei Türmen oder einer ähnlichen<br />
Materialverteilung spielt, die Partien sind also<br />
stark taktikbetont. Figurensatz <strong>und</strong> Zugweise<br />
sind hier gleich wie beim ursprünglichen<br />
Schachspiel.<br />
Fressen <strong>und</strong> schlagen<br />
Eine faszinierende Spielart ist das Fress- oder<br />
Schlagschach. Hier besteht Schlagzwang <strong>und</strong><br />
Sieger ist derjenige, der als erster nicht mehr<br />
ziehen kann, sei es, weil alle seine Steine geschlagen<br />
sind (es gibt kein Schachgebot oder<br />
Mattsetzen!) oder weil kein legaler Zug mehr<br />
geschehen kann (Fesselungen gibt es selbstverständlich<br />
auch nicht, denn auch der König<br />
ist eine Figur wie jede andere auch!).<br />
Würfeln <strong>und</strong> Fussball<br />
Beim Würfelschach wird zunächst festgelegt,<br />
welche Schachfigur welcher Würfelzahl entspricht,<br />
also z. B.: Bauer = 1 Auge, Läufer = 2<br />
Augen, Springer = 3 Augen, Turm = 4 Augen,<br />
Dame = 5 Augen <strong>und</strong> König = 6 Augen. Vor<br />
jedem Zug wird gewürfelt <strong>und</strong> so festgelegt,<br />
welche Figur ziehen muss. Kann mit einem<br />
Bauern oder einer Figur nicht gezogen werden,<br />
gehen das Würfel- <strong>und</strong> damit das Zugrecht<br />
auf den Gegner über. Auch hier gewinnt, wer<br />
den gegnerischen König matt setzt. Das kann<br />
sogar damit geschehen, dass ein Spieler ein<br />
Schachgebot mit der gewürfelten Figur nicht<br />
abwehren kann.<br />
Beim Fussballschach gewinnt derjenige, der<br />
einen Stein auf eines der Ursprungsfelder der<br />
gegnerischen Majestäten (König <strong>und</strong> Dame)<br />
setzen kann. In Fachkreisen wird dies auch als<br />
«ein Tor schiessen» bezeichnet.<br />
Dass sie diese Partie<br />
gewinnt, bezweifelt wohl<br />
kaum jemand. Sie hat die<br />
richtigen Züge bereits<br />
ausgeheckt. Fressen <strong>und</strong><br />
schlagen ist angesagt,<br />
egal in welchem<br />
schachverwandten Spiel.<br />
11<br />
schulpraxis spezial<br />
Chess 960<br />
Besonders beliebt ist das in letzter Zeit stark<br />
in Mode gekommene Fischer-Random-<br />
Schach (benannt nach dem extravaganten<br />
<strong>und</strong> kürzlich verstorbenen amerikanischen<br />
Schachweltmeister Robert James Fischer). Es<br />
wird ebenfalls «Chess960» genannt, weil es<br />
bei der Auslosung der Startpositionen 960<br />
verschiedene mögliche Figurenanordnungen<br />
gibt. Fischer wollte mit dieser Form Partievorbereitungen<br />
seiner Gegner <strong>und</strong> frühe Remisvereinbarungen<br />
bekämpfen. Bevor eine Partie<br />
beginnt, werden die Bauern wie gewohnt auf<br />
die 2. <strong>und</strong> 7. Reihe gestellt. Die Positionen der<br />
Figuren werden nun ausgelost <strong>und</strong> es wird so<br />
gelost, dass es 2 verschiedenfarbige Läufer<br />
gibt. Um die Chancengleichheit beider Parteien<br />
zu wahren, erhält Schwarz die spiegelbildliche<br />
Gr<strong>und</strong>stellung. Beachtet werden muss<br />
ebenfalls, dass je ein Turm links <strong>und</strong> rechts des<br />
Königs zu stehen kommt, damit eine Rochade<br />
möglich ist. Dabei kann es vorkommen, dass<br />
König <strong>und</strong> Turm je einen Zug machen, nur<br />
der König zieht, König <strong>und</strong> Turm die Plätze<br />
wechseln, nur der Turm zieht oder sogar auf<br />
den Feldern a 1, b 1, e 1 <strong>und</strong> h 1 noch Figuren<br />
stehen. Alle anderen Spielregeln sind wie beim<br />
herkömmlichen Schach.<br />
Partnerschach<br />
Zum Schluss soll noch eine Form erwähnt<br />
werden, die auch ihren speziellen Reiz besitzt,<br />
gilt es doch beim Partnerschach, die Ideen<br />
<strong>und</strong> Pläne seines Partners mit den eigenen zu<br />
koordinieren <strong>und</strong> auf dem Brett zu verwirklichen.<br />
Gespielt wird hier ebenfalls – wie beim<br />
Tandem-Schach – mit Zweier-Teams, wobei<br />
aber die eine Mannschaft mit den weissen<br />
die andere mit den schwarzen Steinen spielt.<br />
Gezogen wird abwechslungsweise, d. h. ein<br />
Spieler eines Teams «überspringt» immer einen<br />
Zug, der dann von seinem Partner gespielt<br />
wird. Es gilt auch bei dieser Form, dass man<br />
sich nicht besprechen darf.
schulpraxis spezial<br />
Ideen für den Deutschunterricht<br />
Vom Kriminalroman bis zur Erlkönigparodie<br />
– das Schachspiel ist Thema in verschiedenen literarischen<br />
Erzeugnissen, die in der Schule gelesen<br />
<strong>und</strong> mit denen gearbeitet werden kann.<br />
Anmerkung:<br />
Auf der Homepage<br />
wird eine mögliche<br />
Mattsetzung des<br />
schwarzen Königs<br />
gezeigt, wie sie in<br />
diesem Gedicht<br />
geschildert wird.<br />
Gedicht: «Ein Mensch» von<br />
Eugen Roth (1895–1976)<br />
12<br />
Mit der Formel «Ein Mensch… » beginnen die<br />
Gedichte in den heiter-philosophischen Versbüchern,<br />
mit denen der Münchner Schriftsteller<br />
Eugen Roth Millionenauflagen erzielte. Das<br />
Allzumenschliche war Roths Thema. Verskomik<br />
<strong>und</strong> Wortspiele waren die Mittel, mit denen er<br />
sanfte Kritik an alltäglichen Verhaltensmustern<br />
übte. In seinem Werk «Ein Mensch» (Duncker<br />
Verlag Weimar) ist das Gedicht «Die Meister»<br />
enthalten, das sich mit dem Schachspiel auseinandersetzt:<br />
Ein Mensch sitzt da, ein schläfrig trüber,<br />
Ein andrer döst ihm gegenüber.<br />
Sie reden nichts, sie stieren stumm.<br />
Mein Gott, denkst du, sind die zwei dumm!<br />
Der eine brummt, wie nebenbei,<br />
Ganz langsam: Turm c sechs c zwei.<br />
Der andere wird allmählich wach.<br />
Und knurrt: Dame a drei g drei Schach!<br />
Der erste, weiter nicht erregt,<br />
Starrt vor sich hin <strong>und</strong> überlegt.<br />
Dann plötzlich, vor Erstaunen platt,<br />
Seufzt er ein einzig Wörtlein: matt!<br />
Und die du hieltst für niedre Geister,<br />
Erkennst du jetzt als hohe Meister!<br />
Roman: «Die Schachspielerin»<br />
von Bertina<br />
Henrichs (*1966)<br />
Die in Frankfurt am Main geborene Autorin<br />
studierte Literatur- <strong>und</strong> Filmwissenschaft <strong>und</strong><br />
lebt heute in Paris, wo sie als Filmemacherin<br />
arbeitet. 2005 schrieb sie ihren ersten Roman<br />
«Die Schachspielerin».<br />
Zum Inhalt: Als Szenerie dient die griechische<br />
Insel Naxos. Die Hauptperson ist das Zimmermädchen<br />
Eleni. Bei ihrer täglichen Arbeit in<br />
einem Hotel stösst sie im Zimmer eines französischen<br />
Ehepaares an ein Schachbrett mit<br />
einer unvollendeten Partie. Eine Figur purzelt<br />
zu Boden, Eleni stellt sie neben das Brett. Mit<br />
der betrüblichen Erkenntnis, ein geistiges<br />
Tête-à-tête gestört <strong>und</strong> eine Zauberkraft der<br />
Logik erahnt, aber nicht begriffen zu haben.<br />
Ein Wunsch, der alle Konventionen ihres bisherigen<br />
Lebens sprengt, beginnt zu reifen.<br />
Erst wird der Ehemann Panos, Automechaniker,<br />
als Lernpartner auserkoren. Sie schenkt<br />
ihm einen Schachcomputer, der allerdings<br />
bei ihm keinerlei Interesse auslöst, womit<br />
Anmerkung:<br />
Auf der Homepage<br />
werden hierzu konkrete<br />
Beispiele gezeigt.<br />
Anmerkung:<br />
Der Roman wurde<br />
im Jahre 2009 mit<br />
Sandrine Bonnaire <strong>und</strong><br />
Kevin Kline erfolgreich<br />
verfilmt. Siehe hierzu die<br />
Angaben zur DVD im<br />
Literaturverzeichnis.<br />
Auf der Homepage<br />
sind Fragebögen<br />
aufgeführt, mit denen<br />
dieser Roman in<br />
Schulklassen ausgewertet<br />
werden kann.<br />
13<br />
schulpraxis spezial<br />
nur der Weg der Selbsterkenntnis bleibt. Ihr<br />
ehemaliger <strong>Lehrer</strong> unterstützt bei heimlichen<br />
Treffen ihr Üben, Lehrbücher geben Ideen<br />
grosser Meister preis <strong>und</strong> der Computer – in<br />
der Tiefkühltruhe gut vor der Familie versteckt<br />
– versüsst die nachmittägliche Langeweile. Der<br />
Alltag gerät plötzlich aus den Fugen: Ehekrach,<br />
Unverständnis der beiden Kinder, Missachtung<br />
durch die Dorfgemeinschaft, Getratsche über<br />
ihre plötzliche Verrücktheit. Aber nichts bringt<br />
Eleni davon ab, in die Tiefen des Schachspiels<br />
vorzudringen. Schliesslich soll ihre Spielleidenschaft<br />
auf eine grosse Probe gestellt werden<br />
durch die Teilnahme an einem Schachturnier in<br />
der Hauptstadt. Die Reise nach Athen wird für<br />
Eleni der endgültige Schritt zur Emanzipation.<br />
Dies erkennt als erster ihr Trainingspartner,<br />
der ihr als ausgebildeter Apotheker nach <strong>und</strong><br />
nach Respekt zollt. Auch daheim schlägt die<br />
Stimmung um, so dass das Abenteuer einen<br />
Ausweg nimmt, der mit verkrustetem Traditionsdenken<br />
nicht möglich wäre.<br />
Obwohl einige «schachtechnische Mängel»<br />
im Buch auftauchen – zum Beispiel, dass<br />
Fernschach nicht mit dem Telefon gespielt<br />
wird, dass bei einem Angriff auf den schwarzen<br />
König die weissen Figuren nicht auf der<br />
siebten <strong>und</strong> achten Diagonalen ankommen,<br />
sondern auf der siebten <strong>und</strong> achten Reihe<br />
oder dass bei der Bauernumwandlung neben<br />
Dame, Turm <strong>und</strong> Springer auch ein Läufer<br />
möglich ist – besticht die Autorin durch gute<br />
Schachkenntnisse, was sich zum Beispiel in<br />
den Bezeichnungen der Eröffnungen <strong>und</strong><br />
Verteidigungen zeigt.<br />
Henrichs äussert sich über die wenigen im<br />
Schach auftauchenden Frauen (Seite 84):<br />
«… Das Schachspiel verlangte allerdings so<br />
viel Konzentration, dass sie darüber ihre Einsamkeit<br />
vergass. Ob künftige Meisterin oder<br />
verirrte Hochstaplerin, sie konnte nichts halb<br />
machen. Das Universum der vier<strong>und</strong>sechzig<br />
Felder verlangte nach absoluter Unterwerfung.<br />
Eleni kommunizierte auf geheimnisvolle<br />
Weise mit den grossen Erfindern der Partien.<br />
Jeder von ihnen schien ihr die Lösungen für<br />
ihre Probleme einflüstern zu wollen. Über<br />
Epochen hinweg schienen sie miteinander zu<br />
diskutieren, bestimmte Themen je nach Temperament<br />
zu untermauern oder abzulehnen.<br />
Diese Zänkereien nisteten sich in Elenis Kopf<br />
ein. Sie wusste, dass sie all diese Herren davonjagen<br />
musste, um einem Gegner mit klarem<br />
Kopf entgegen zu treten, aber sie fühlte sich<br />
schwach, eine formbare Puppe in den Händen<br />
der grossen, legendären Schmiede.<br />
In so einer Nacht des Kampfes wurde ihr<br />
bewusst, dass alle grossen Theoretiker Männer<br />
waren. Sie hatte noch nie von einer bedeutenden<br />
Schachspielerin gehört. Das Genie<br />
des Schachbretts sass offenbar irgendwo in<br />
den Hoden. Sicher nicht in denen von Panos,<br />
wohl aber in denen der Meister. Und trotzdem<br />
herrschte nicht der König über die Partie,<br />
ebenso wenig wie der Turm, der Springer oder<br />
die Dame. Nur im Zusammenspiel erhielten<br />
die Figuren ihre Bedeutung. Der Bauer war<br />
die Basis des Spiels, der kleine gehorsame<br />
Soldat, der geradewegs auf sein einziges Ziel<br />
zumarschierte: der Blockade der feindlichen<br />
Armee oder dem gesellschaftlichen Aufstieg.<br />
Er konnte zur Dame, zum Turm oder Springer<br />
werden, je nach Bedarf im Spiel. Wenn der<br />
Bauer die Seele des Spiels war, wie Philidor<br />
behauptete, so war die Dame das Herz.<br />
Irgendwo zwischen dem Bauern <strong>und</strong> der<br />
Dame, dem Schwächsten <strong>und</strong> der Stärksten,<br />
zwischen Beharrlichkeit <strong>und</strong> Macht gab es einen<br />
Platz, den Eleni einnehmen konnte. Daran<br />
musste sie sich halten. Wenn es ihr gelang, das<br />
Spiel mit ihrer eigenen Fantasie zu beleben,<br />
konnte sie gewinnen. Das Feld der abstrakten<br />
Beziehungen zu verlassen <strong>und</strong> sich die Psyche<br />
dieser Figuren zu Eigen zu machen, war der<br />
einzige Weg, den Sieg davonzutragen.<br />
Aber sobald sie wieder vor dem Schachbrett<br />
sass, gegenüber von Kouros, dessen<br />
Besorgnis sie instinktiv wahrnahm, kehrten<br />
die Meister des Scharfsinns <strong>und</strong> der Belehrung<br />
zurück <strong>und</strong> machten ihr das Leben schwer…»
Anmerkung: Auf der<br />
Homepage gibt es<br />
Informationen zu den<br />
Schach Eröffnungen. Die<br />
erwähnte «Ruy Lopez-<br />
Eröffnung» wird auch<br />
noch in der heutigen<br />
Turnierpraxis oft gespielt,<br />
ist aber unter der<br />
Bezeichnung «Spanische<br />
Partie» geläufig.<br />
14<br />
schulpraxis spezial<br />
Kriminalroman:<br />
«Die grossen Vier»<br />
von Agatha Mary Clarissa<br />
Christie (1891 – 1976)<br />
Die englische Schriftstellerin war eine der<br />
erfolgreichsten Kriminalautorinnen des 20.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts. Als Standardfiguren benützte sie<br />
für die meisten ihrer Romane den belgischen<br />
Kriminalisten Hercule Poirot oder die altjungferlichgescheite<br />
Miss Marple.<br />
Im Kapitel 11 aus «Die grossen Vier» muss<br />
sich ihr Held Hercule Poirot intensiv mit dem<br />
Schachspiel auseinandersetzen (Seiten 93<br />
<strong>und</strong> 94):<br />
«‹Mein Fre<strong>und</strong>, Sie befinden sich in einem<br />
grossen Irrtum. Die grösste Macht, das<br />
grösste Übel, welches heute auf der Welt<br />
existiert, das sind die grossen Vier. Was sie<br />
beabsichtigen, weiss niemand, aber noch nie<br />
hat es eine derartige Verbrecherorganisation<br />
gegeben. Ihr intelligentester Kopf hat in China<br />
die Leitung, ferner gibt es noch einen amerikanischen<br />
Millionär, eine Französin, übrigens<br />
eine wissenschaftliche Kapazität, <strong>und</strong> – was<br />
den vierten betrifft – ›<br />
Japp unterbrach ihn.<br />
‹Ich weiss, ich bin völlig im Bilde. Das ist<br />
nun einmal Ihr Steckenpferd. Nach <strong>und</strong> nach<br />
wird Ihnen diese Angelegenheit zur Manie,<br />
Monsieur Poirot. Aber lassen Sie uns das Gesprächsthema<br />
wechseln. Interessieren Sie sich<br />
für Schach?›<br />
RrstuvwxyS<br />
8m8<br />
7ggmgg7<br />
6#mmMmMm6<br />
5mmMMmM5<br />
4MmMmGmMm4<br />
3mMmMmmM3<br />
2GAGAMAGA2<br />
1Mm1<br />
TrstuvwxyU<br />
‹Ja, ich habe zuweilen Schach gespielt.›<br />
‹Haben Sie denn gestern das merkwürdige<br />
Spiel mit angesehen? Ein Meisterschaftsspiel<br />
zwischen zwei weltbekannten Grössen, einer<br />
davon ist während des Spiels gestorben.›<br />
‹Ich habe etwas darüber gelesen. Dr. Savaronoff,<br />
der russische Meister, war einer der<br />
Spieler, <strong>und</strong> der andere, der einem Herzschlag<br />
erlegen ist, war ein flotter junger Amerikaner<br />
namens Gilmour Wilson.›<br />
‹Ganz recht. Savaronoff schlug vor einigen<br />
Jahren Rubinstein <strong>und</strong> wurde Weltmeister.<br />
Von Wilson behauptet man, er sei ein zweiter<br />
Capablanca.›<br />
‹Ein sehr merkwürdiger Fall›, bemerkte<br />
Poirot gedankenvoll. ‹Wenn ich nicht irre, haben<br />
Sie also Interesse an der Sache?›<br />
Japp stiess ein verlegenes Lachen aus.<br />
‹Sie haben es erraten, Monsieur Poirot. Es<br />
bedeutet für mich ein Problem. Wilson war ges<strong>und</strong><br />
wie ein Fisch im Wasser, keine Spur eines<br />
Herzleidens. Sein Tod gibt uns Rätsel auf.›<br />
‹Verdächtigen Sie etwa Dr. Savaronoff, ihn<br />
aus dem Wege geräumt zu haben?› rief ich.<br />
‹Kaum›, sagte Japp trocken. ‹Ich glaube,<br />
dass nicht einmal ein Russe seinen Rivalen<br />
beseitigen würde, nur um im Schach nicht zu<br />
unterliegen; jedenfalls, soweit ich feststellen<br />
konnte, war Savaronoff der Favorit – man sagt,<br />
nur Lasker sei ihm überlegen.› Poirot nickte<br />
gedankenverloren …»<br />
Auf den Seiten 95, 97, 100, 102, 103, 104, 107<br />
<strong>und</strong> 108 sind weitere Bezüge zum Schachspiel<br />
zu finden, die hier aus Platzgründen nicht<br />
ausformuliert werden. Zitiert wird noch von<br />
Seite 105:<br />
«Hör einmal zu, mein Fre<strong>und</strong>. Dies sind die Ruy<br />
Lopez-Anfangszüge: 1. e4 e5, 2. Sf3 Sc6, 3.<br />
Lb5 – sodann wird hier die Frage erörtert, welches<br />
der beste dritte Zug für Schwarz sei, man<br />
hat die Wahl über verschiedene Gegenzüge.<br />
Es war der dritte Zug von Weiss, der Gilmour<br />
Wilson tötete. 3. Lb5, einzig <strong>und</strong> allein der<br />
dritte Zug – sagt dir das nichts?»<br />
Anmerkung: Auf<br />
der Homepage findet<br />
man eine mögliche<br />
Mattsetzung, die sich<br />
auf die erwähnten<br />
Züge in dieser Parodie<br />
bezieht <strong>und</strong> eine<br />
Gegenüberstellung mit<br />
dem Original.<br />
15<br />
schulpraxis spezial<br />
Parodie: «Erlkönig» von<br />
Eduard Vollmar (* 1935):<br />
Der Schweizer Chemiker Eduard Vollmar verbindet<br />
in seinem Buch «Schachparodien (von<br />
Goethe bis Brecht)» (1986) seine Liebe zu<br />
Schachspiel <strong>und</strong> Poesie, indem er in geschickter<br />
<strong>und</strong> amüsanter Art <strong>und</strong> Weise bekannte<br />
Gedichte der Weltliteratur mit Ausdrücken <strong>und</strong><br />
Formulierungen aus der heutigen Zeit <strong>und</strong> der<br />
Welt des Schachspiels kombiniert.<br />
Als Beispiel soll das Gedicht «Erlkönig» von<br />
Johann Wolfgang Goethe (Seite 11) gezeigt<br />
werden:<br />
RrstuvwxyS<br />
8#m#mMmm8<br />
7mMmMmgmg7<br />
6#mMmMmgm6<br />
5mMmMmM5<br />
4MmMmMmMm4<br />
3mMmMmMm3<br />
2MmMmMmGA2<br />
1mMmmMm1<br />
TrstuvwxyU<br />
Erlkönig<br />
Wer sitzt noch so spät<br />
vor dem Brett <strong>und</strong> denkt?<br />
Es ist der Meister,<br />
vom Gegner bedrängt.<br />
Er hat noch die Dame,<br />
den König <strong>und</strong> Turm<br />
<strong>und</strong> erwartet des Gegners<br />
entscheidenden Sturm.<br />
«Mein König,<br />
was birgst du<br />
so bang dein Gesicht?»<br />
«Siehst Vater<br />
du den Mattzug nicht?<br />
Den Zug, der so grausam<br />
uns unterjocht!»<br />
«Mein König, es wird nicht<br />
so heiss gekocht!»<br />
Den lockt in die Falle<br />
der Gegner geschwind,<br />
er ist schon vom Kampfe<br />
ermüdet <strong>und</strong> blind.<br />
Er sieht nicht den Springer,<br />
er fühlt nur die Not<br />
<strong>und</strong> ahnet<br />
das tödliche Schachgebot.<br />
«Mein Vater, mein Vater,<br />
jetzt macht er den Zug!»<br />
«Mein König,<br />
es ist doch nur fauler Betrug!<br />
Ich hab ihm ja eben<br />
die Dame geraubt.»<br />
Doch der König ächzt müde<br />
<strong>und</strong> senkt sein Haupt.<br />
Dem Meister grausets,<br />
er zieht noch geschwind,<br />
obgleich er dem Abgr<strong>und</strong><br />
nicht mehr entrinnt.<br />
Er glaubt, er erreiche<br />
das rettende Patt,<br />
doch wehe,<br />
o weh,<br />
sein König ist matt.
schulpraxis spezial<br />
Kurzgeschichte:<br />
«Der Schachspieler» von<br />
Friedrich Dürrenmatt<br />
(1921 – 1990)<br />
16<br />
Dürrematts Liebe zum Schachspiel offenbart<br />
sich in vielen seiner Werke. Eine spezielle Äusserung<br />
hört man in der Verfilmung zu «Der<br />
Richter <strong>und</strong> sein Henker», wo man ihn in einer<br />
Nebenrolle an einem Schachbrett sieht:<br />
«Ich bin der einzige Mensch, der auf<br />
meinem Niveau spielt», sagt Dürrenmatt,<br />
als er gefragt wird, warum er mit sich selber<br />
Schach spiele.<br />
«Sind Sie so gut?» – «Nein, so schlecht.»<br />
– «Und wer gewinnt?» – «Immer der andere.»<br />
Dürrenmatt, selbst ein passionierter Schachspieler,<br />
wies dem königlichen Spiel in seinem<br />
Schaffen etliche Rollen zu. So zeigt seine<br />
Skizze «Im Jenseits» eine Welt mit Schachbrettmustern.<br />
Unerkannte Verbrechen<br />
Die Kurzgeschichte «Der Schachspieler» wurde<br />
erstmals postum in der «Frankfurter Allgemeinen<br />
Zeitung» veröffentlicht (5. September<br />
1998). Im düsteren Prosastück erheben sich die<br />
beiden Protagonisten zu übermenschlichen<br />
Instanzen. Sie spielen um das Leben ihrer<br />
Nächsten <strong>und</strong> unwillkürlich erinnert man sich<br />
hier an die schaurige Wette in «Der Richter<br />
<strong>und</strong> sein Henker» (Seite 67): Gastmann sagt<br />
dort zu Kommissar Bärlach:<br />
«… Ein Verbrechen zu begehen nanntest<br />
du eine Dummheit, weil es unmöglich sei, mit<br />
Menschen wie mit Schachfiguren zu operieren.<br />
Ich dagegen stelle die These auf, mehr,<br />
um zu widersprechen als überzeugt, dass gerade<br />
die Verworrenheit der menschlichen Beziehungen<br />
es möglich mache, Verbrechen zu<br />
begehen, die nicht erkannt werden könnten,<br />
dass aus diesem Gr<strong>und</strong>e die überaus grösste<br />
Anzahl der Verbrechen nicht nur ungeahndet,<br />
sondern auch ungeahnt seien, also nur im<br />
Verborgenen geschehen… »<br />
Dürrenmatts Ansichten über das Schachspiel<br />
sind am eindrücklichsten in seinem Vortrag<br />
«Albert Einstein» von 1979 aus dem Band 7<br />
der Gesammelten Werke (1991) Seite 733 ff<br />
aus dem Diogenes Verlag AG Zürich nachzulesen,<br />
wo er das Weltgeschehen als ein<br />
Schachspiel beschreibt (Siehe Auszug auf der<br />
Homepage).<br />
Zum Inhalt<br />
Ein junger Staatsanwalt geht zur Beerdigung<br />
seines Vorgängers <strong>und</strong> lernt einen Richter<br />
kennen, den Fre<strong>und</strong> des verstorbenen<br />
Staatsanwalts. Während die beiden hinter<br />
dem Leichenzug dahin schreiten, erzählt<br />
der Richter, er habe jeden Monat einmal mit<br />
dem Verstorbenen Schach gespielt. Auch der<br />
Staatsanwalt ist Schachliebhaber. Der Richter<br />
will den Staatsanwalt auch zu einer Schachpartie<br />
einladen. Dieser nimmt die Einladung<br />
an. Bevor das Spiel beginnt, macht der alte<br />
Richter dem Staatsanwalt ein Geständnis. Es<br />
sei zwanzig Jahre her, dass er den verstorbenen<br />
Staatsanwalt kennen gelernt habe, <strong>und</strong><br />
zwar anlässlich der Beerdigung des Richters,<br />
dessen Nachfolger er geworden sei. Auch der<br />
eben verstorbene Staatsanwalt habe mit dem<br />
vor zwanzig Jahren verstorbenen Richter monatlich<br />
eine Schachpartie durchgeführt, <strong>und</strong><br />
zwar eine ganz besondere: Die Schachfiguren<br />
bedeuteten bestimmte Personen. Die Dame<br />
hatte die Person zu sein, die dem Spieler am<br />
nächsten stand. Von beiden Spielern wurden<br />
die Läufer mit befre<strong>und</strong>eten Pastoren oder<br />
<strong>Lehrer</strong>n, die Springer mit Rechtsanwälten oder<br />
Offizieren, die Türme mit Industriellen oder<br />
Politikern gleichgesetzt; die Bauern stellten<br />
einfache Bürger dar, Dienstmädchen oder den<br />
Milchmann.<br />
Die Regel des Schachspiels bestand darin, dass<br />
jeder Spieler, verlor er eine Figur, den Men-<br />
Anmerkung:<br />
Auf der Homepage<br />
wird kurz beschrieben,<br />
wie die in dieser<br />
Kurzgeschichte<br />
erwähnte Thematik der<br />
«Opfer» (Bauernopfer,<br />
Damenopfer,<br />
Königsmord) auch einen<br />
politischen Bezug<br />
haben kann.<br />
Der Schweizer<br />
Dramatiker,<br />
Essayist, Erzähler<br />
<strong>und</strong> Hörspielautor<br />
Dürrenmatt wollte auf<br />
gesellschaftliche <strong>und</strong><br />
moralische Widersprüche<br />
hinweisen <strong>und</strong> sein<br />
Publikum zur kritischen<br />
Reflexion bewegen.<br />
17<br />
schulpraxis spezial<br />
schen, der durch diese Figur dargestellt wurde,<br />
töten musste. Das Spiel konnte erst wieder<br />
aufgenommen werden, wenn der Mord ausgeführt<br />
worden war. Wer schachmatt gesetzt<br />
wurde, musste sich das Leben nehmen, was<br />
dazu führte, dass ein Spiel Jahrzehnte dauerte.<br />
So hatte der alte Staatsanwalt mit dem<br />
Vorgänger des alten Richters fünfzehn Jahre<br />
lang gespielt, bis er diesen mattsetzen konnte,<br />
hatte allerdings vorher – wie auch sein Gegner<br />
– seine Frau ermorden müssen. Wer das Spiel<br />
erf<strong>und</strong>en hatte, war nicht auszumachen.<br />
Der Erklärung des alten Staatsanwalts sei<br />
eine Beichte der Morde erfolgt, die dieser mit<br />
dem verstorbenen Richter begangen hätte.<br />
Seine erste Reaktion, fährt der alte Richter<br />
fort, sei gewesen, den Vorgänger des jetzigen<br />
Staatsanwalts zu verhaften. Dann habe er der<br />
Versuchung nicht widerstehen können, mit<br />
dem Staatsanwalt ein neues Spiel zu beginnen.<br />
Durch das Schachspiel hätten sie über<br />
bestimmte Personen die Macht von Göttern<br />
bekommen.<br />
Zwanzig Jahre hätten sie gespielt, es sei<br />
entsetzlich, gleichzeitig gewaltig gewesen,<br />
wenn man eine Figur habe opfern müssen.<br />
Nie vergesse er den Tag, wo er – um sich vor<br />
dem Schachmatt zu retten – seine eigene<br />
Gattin habe hergeben müssen – bis sich der<br />
alte Staatsanwalt, schachmatt gesetzt, hätte<br />
das Leben nehmen müssen. Die Morde seien<br />
nie entdeckt worden, denn niemand hätte<br />
dahinter ein so ausgefallenes Motiv wie ein<br />
Schachspiel vermuten können.<br />
«Sie können mich verhaften», sagt der<br />
Richter. Der junge Staatsanwalt denkt nach,<br />
greift nachdenklich zu den Figuren <strong>und</strong> stellt<br />
die Dame auf ihren Platz. «Ich setze meine<br />
Frau», sagt er. Der alte Richter entgegnet: «Ich<br />
setze meine Tochter», <strong>und</strong> stellt seine Dame<br />
aufs Spielbrett.
In der «Schachnovelle»<br />
spielt der Protagonist<br />
Blindpartien gegen sich<br />
selber. Zum Glück hat<br />
dieses Mädchen einen<br />
Gegner. Man sieht ihn<br />
zwar auf dem Bild nicht.<br />
Aber man ahnt, dass er<br />
mit einem kühnen Angriff<br />
rechnen muss.<br />
18<br />
schulpraxis spezial<br />
Novelle: «Schachnovelle»<br />
von Stefan Zweig<br />
(1881 – 1942):<br />
Der österreichische Schriftsteller Zweig, der<br />
1938 wegen des aufkommenden Nationalsozialismus<br />
nach Grossbritannien emigrierte<br />
<strong>und</strong> 1940 über New York ins brasilianische<br />
Exil floh, wo er 1942 Selbstmord beging,<br />
wurde durch Werke wie «Brennendes Geheimnis»<br />
(1911), «Amok» (1922), «Sternst<strong>und</strong>en<br />
der Menschheit» <strong>und</strong> «Verwirrung<br />
der Gefühle» (1927), «Baumeister der Welt»<br />
<strong>und</strong> «Ungeduld des Herzens» (1938) <strong>und</strong> «Die<br />
Welt von gestern» (1942, postum veröffentlicht)<br />
weltberühmt.<br />
Die «Schachnovelle» wurde unmittelbar<br />
nach dem Selbstmord von Zweig auf seinem<br />
Schreibtisch gef<strong>und</strong>en, bald veröffentlicht <strong>und</strong><br />
weltbekannt.<br />
Zum Inhalt der Schachnovelle<br />
Die Hauptpersonen der «Schachnovelle» sind<br />
der Schachweltmeister Mirko Czentovic <strong>und</strong> Dr.<br />
B., die auf einem Ozeandampfer eine Beratungspartie<br />
gegeneinander austragen. Die Sympathien<br />
von Zweig liegen bei Dr. B., einem Juristen, der<br />
durch die Besetzung Österreichs durch die Nazis<br />
in deutsche Gefangenschaft geraten war. Um an<br />
wichtige Informationen zu gelangen, wollten die<br />
Deutschen ihn zermürben <strong>und</strong> isolierten ihn in<br />
einem Zimmer von der Aussenwelt. Der Tortur<br />
nicht gewachsen, will Dr. B. aufgeben. Im Moment<br />
totaler Verzweiflung gerät ihm beim Gang<br />
zu einem Verhör zufällig ein Schachbuch in die<br />
Hände. Wille <strong>und</strong> Intellekt helfen ihm, sich die<br />
Regeln dieses bis anhin für ihn unbekannten<br />
Spiels anzueignen.Aus den Fetzen seines karierten<br />
Betttuchs bastelt er ein «Schachbrett», die<br />
Figuren formt er aus Brot. Schliesslich gelingt es<br />
ihm, alle 150 Partien des Buches nachzuspielen,<br />
sie auswendig zu lernen <strong>und</strong> bald Blindpartien<br />
gegen sich selber zu spielen. Diese geistige Betätigung<br />
hilft ihm, Mut zu fassen <strong>und</strong> in den Verhören<br />
bis zuletzt Widerstand zu leisten, obwohl<br />
er bald geistig verwirrt <strong>und</strong> dem Irrsinn nahe ist.<br />
Die Partie gegen Czentovic auf dem Ozeandampfer<br />
verlief analog zu der Begegnung zwischen<br />
Aljechin <strong>und</strong> Bogoljubow in Pistyan 1922,<br />
die im erwähnten Schachbuch festgehalten war.<br />
Feiner Schachkenner<br />
In seinen lyrischen Abschweifungen erweist<br />
sich Zweig als Anhänger <strong>und</strong> feiner Kenner<br />
der Schachkunst, äussert er sich doch in der<br />
«Schachnovelle» so (Seiten 21 <strong>und</strong> 22):<br />
«Ich wusste wohl aus eigener Erfahrung<br />
um die geheimnisvolle Attraktion des ‹königlichen<br />
Spiels›, dieses einzigen unter allen<br />
Spielen, die der Mensch ersonnen, das sich<br />
souverän jeder Tyrannis des Zufalls entzieht<br />
<strong>und</strong> seine Siegespalmen einzig dem Geist<br />
oder vielmehr einer bestimmten Form geistiger<br />
Anmerkung: Auf<br />
der Homepage ist die<br />
Zugfolge erwähnt, die<br />
zum Remisschluss führt.<br />
Möglichkeiten zu einer<br />
Nachbearbeitung in<br />
Schulklassen werden<br />
ebenfalls gezeigt.<br />
19<br />
schulpraxis spezial<br />
Begabung zuteilt. Aber macht man sich nicht<br />
bereits einer beleidigenden Einschränkung<br />
schuldig, indem man Schach ein Spiel nennt?<br />
Ist es nicht auch eine Wissenschaft, eine Kunst,<br />
schwebend zwischen diesen Kategorien wie<br />
der Sarg Mohammeds zwischen Himmel <strong>und</strong><br />
Erde, eine einmalige Bindung aller Gegensatzpaare;<br />
uralt <strong>und</strong> doch ewig neu, mechanisch<br />
in der Anlage <strong>und</strong> doch nur wirksam durch<br />
Phantasie, begrenzt in geometrisch starrem<br />
Raum <strong>und</strong> dabei unbegrenzt in seinen Kombinationen,<br />
ständig sich entwickelnd <strong>und</strong> doch<br />
steril, ein Denken, das zu nichts führt, eine<br />
Mathematik, die nichts errechnet, eine Kunst<br />
ohne Werke, eine Architektur ohne Substanz<br />
<strong>und</strong> nichts desto minder erwiesenermassen<br />
dauerhafter in seinem Sein <strong>und</strong> Dasein als alle<br />
Bücher <strong>und</strong> Werke, das einzige Spiel, das allen<br />
Völkern <strong>und</strong> allen Zeiten zugehört <strong>und</strong> von<br />
dem niemand weiss, welcher Gott es auf die<br />
Erde gebracht, um die Langeweile zu töten,<br />
die Sinne zu schärfen, die Seele zu spannen.<br />
Wo ist bei ihm Anfang <strong>und</strong> wo das Ende?<br />
Jedes Kind kann seine ersten Regeln erlernen,<br />
jeder Stümper sich in ihm versuchen, <strong>und</strong> doch<br />
vermag es innerhalb dieses unveränderbar<br />
engen Quadrats eine besondere Spezies von<br />
Meistern zu erzeugen, unvergleichbar allen<br />
anderen, Menschen mit einer einzig dem<br />
Schach zu bestimmten Begabung, spezifische<br />
Genies, in denen Vision, Geduld <strong>und</strong> Technik<br />
in einer ebenso genau bestimmten Vertei-<br />
RrstuvwxyS<br />
8#mmMmMm8<br />
7mMmMmM7<br />
6gmMAMmMm6<br />
5mMmMmMmM5<br />
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TrstuvwxyU<br />
lung wirksam sind wie im Mathematiker, im<br />
Musiker, <strong>und</strong> nur in anderer Schichtung <strong>und</strong><br />
Bindung.»<br />
Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Fachmann<br />
Ernst Feder hatte Zweig am Tage vor dessen<br />
Freitod zu einer Schachpartie eingeladen <strong>und</strong><br />
hielt später in «Begegnungen» (1950) fest<br />
(Seite 45):<br />
«Ich machte diese Anregung, weil ich<br />
dachte, das Spiel, das er so liebte, würde ihn<br />
von seinen düsteren Gedanken ablenken. An<br />
sich war es kein Vergnügen, sein Gegner am<br />
schwarz-weissen Brett zu sein. Ich bin ein<br />
schwacher Spieler, aber seine Kenntnisse dieser<br />
Kunst waren so gering, dass es mich Mühe<br />
kostete, ihn gelegentlich eine Partie gewinnen<br />
zu lassen.»<br />
Kurz vorher hatte Zweig das Manuskript<br />
der Schachnovelle an Ernst Feder gesandt mit<br />
der Bitte, als «doppelter Fachmann der beiden<br />
Künste, der schachlichen <strong>und</strong> literarischen»,<br />
ihm alle Einwände gegen diese Novelle zu<br />
nennen, die «in unkorrigiertem <strong>und</strong> noch<br />
lange nicht zu Ende geführtem Zustand sei».<br />
Die Novelle wurde 1960 mit Curd Jürgens,<br />
Mario Adorf <strong>und</strong> Hansjörg Felmy verfilmt.<br />
Siehe hierzu die Angaben zur DVD im Literaturverzeichnis.
schulpraxis spezial<br />
Märchen: «Der Knabe mit<br />
den Karos im Kopf»<br />
von Richard Reich (* 1961):<br />
20<br />
Der Schweizer Journalist Richard Reich verfasste<br />
für das «NZZ FOLIO Nr. 1 / 2007» das<br />
folgende Sportmärchen mit dem Titel «Der<br />
Knabe mit den Karos im Kopf» (Seite 13):<br />
«Es lebte einst ein Knabe, der war der Stolz<br />
seiner Eltern. Er war schnurgerade gewachsen<br />
<strong>und</strong> auch sonst ordentlich anzusehen. Er hatte<br />
festes Haar, eine gute Haut <strong>und</strong> ehrliche<br />
Augen. Er war liebenswürdig <strong>und</strong> hilfsbereit.<br />
Er war ernsthaft <strong>und</strong> doch nicht verbissen. Er<br />
war anspruchsvoll, aber nur gegen sich selber.<br />
Denn dieser Junge war von einer Intelligenz,<br />
die manchmal schmerzte.<br />
Kaum auf der Welt, konnte der Knabe<br />
rascher zählen als Vater <strong>und</strong> Mutter. Kaum<br />
im Kinder-garten rechnete er schneller als die<br />
Gymnasiallehrer, in deren Lektionen er sich<br />
dereinst langweilen sollte. Kaum im Gymnasium,<br />
wusste der Junge erst recht nicht mehr,<br />
wohin mit seiner Intelligenz. Sein heisser<br />
Kopf vibrierte wie ein Kochtopf, dessen Inhalt<br />
niemand abzu-schöpfen wusste – nicht seine<br />
Eltern, die ihn mehr bew<strong>und</strong>erten als betreuten;<br />
nicht seine <strong>Lehrer</strong>, für die er kein Kind war,<br />
sondern ein Problem; nicht die Schulkameraden,<br />
die er abstiess wie Ölzeug das Wasser.<br />
Auch sonst hatte der Bub seine Eigenheiten,<br />
zum Beispiel ging er andauernd aufs<br />
Klo. Wann genau er damit begonnen hatte,<br />
wusste niemand zu sagen. Jedenfalls sass<br />
der Junge eines Tages wie selbstverständlich<br />
in der Schulbank, die sich am nächsten bei<br />
der Zimmertür befand. Von diesem Platz aus<br />
blickte er während des ganzen Unterrichts<br />
ohne Unterbruch auf die Wandtafel.<br />
Er tat das auch, wenn es dort nichts zu lesen<br />
gab. Wurde er aufgerufen, sagte er immer<br />
das Richtige, <strong>und</strong> nach jeder korrekten Antwort<br />
erhob er sich, um zur Toilette zu gehen.<br />
In Mathematik- oder Physikst<strong>und</strong>en konnte das<br />
alle fünf Minuten vorkommen. Falls ihn einer<br />
der <strong>Lehrer</strong> auf sein ungewöhnliches Verhalten<br />
ansprach, sagte er nur: ‹Mir ist heiss.› Und<br />
darauf ging er ohne weiteres aus dem Zimmer.<br />
Obwohl der Knabe im Lauf der Zeit<br />
immer seltener befragt oder überhaupt angesprochen<br />
wurde, verliess er das Schulzimmer<br />
immer öfter. Bald verbrachte er ganze<br />
Lektionen auf der Toilette. Dadurch verpasste<br />
er Prüfungen, erhielt ungenügende Zensuren<br />
sowie schlechte Betragensnoten. Aber<br />
der Knabe nahm das nicht zur Kenntnis. Er<br />
fühlte sich wohl in der Schulhaustoilette.<br />
Dort war es zu allen Jahreszeiten kühl, man<br />
blieb meistens ungestört, <strong>und</strong> der Geruch der<br />
verschiedenen Lösungs- <strong>und</strong> Reinigungsmittel<br />
hatte etwas Beruhigendes. Der Boden war so<br />
blank gebohnert, dass man bedenkenlos eine<br />
heisse Wange, eine glühende Stirn auf die<br />
kalten Kacheln legen konnte. Diese Kacheln<br />
waren von quadratischer Form <strong>und</strong> in einem<br />
Karomuster ausgelegt, immer abwechselnd<br />
schwarz <strong>und</strong> weiss.<br />
Am Fenster hatte es einen niedrigen, kaputten<br />
Heizkörper. Dort sass der Knabe <strong>und</strong><br />
wartete, dass der Tag, dass der Unterricht,<br />
dass das Leben vorüberging. Während er<br />
wartete, starrte er mit gesenktem Kopf auf die<br />
Karos <strong>und</strong> spielte Schach. Das Spielfeld wurde<br />
von acht mal acht Kacheln gebildet, die den<br />
Boden zwischen Heizkörper <strong>und</strong> Waschbecken<br />
bedeckten.<br />
Mehr brauchte der Knabe nicht. Er bedurfte<br />
keiner Holz- oder Elfenbeinfiguren <strong>und</strong> auch<br />
keines Gegenspielers. Mit halb geschlossenen<br />
Augen schob er in hohem Tempo unsichtbare<br />
Bauern, fliegende Pferde <strong>und</strong> schwebende Königinnen<br />
umher. Ebenso mühelos wechselte er<br />
zwischen zwei Zügen im Geiste die Seiten. Das<br />
Resultat blieb das gleiche: jede Partie endete<br />
unentschieden.<br />
Eines Tages ging der Knabe überhaupt<br />
nicht mehr ins Klassenzimmer, sondern suchte<br />
gleich nach dem ersten Läuten die Schülertoilette<br />
auf; noch in derselben Woche flog<br />
er vom Gymna-sium. Statt nach Hause ging<br />
Illustration:<br />
Markus Roost.<br />
Mit fre<strong>und</strong>licher<br />
Genehmigung<br />
von NZZ Folio.<br />
21<br />
schulpraxis spezial<br />
der Knabe nun ins städtische Hallenbad. Dort<br />
schloss er sich in die Toilette ein <strong>und</strong> legte seinen<br />
kochenden Kopf auf die hellblauen, nach<br />
Chlor <strong>und</strong> Javel-wasser duftenden Kacheln.<br />
Eine St<strong>und</strong>e blieb er reglos liegen. Dann ging<br />
er zum Bahnhof, fuhr in die Hauptstadt <strong>und</strong><br />
wurde Schachweltmeister.»<br />
Kommentar<br />
Reich nimmt in seinem Märchen Bezug auf<br />
den Schach-Weltmeisterschaftskampf vom<br />
Oktober 2006 in Elista / Kalmückien, wo der<br />
Russe Wladimir Kramnik den Bulgaren Weselin<br />
Topalov als Titelverteidiger besiegte <strong>und</strong> damit<br />
neuer Schachweltmeister wurde. Im Laufe des<br />
Wettkampfs suchte Kramnik derart häufig<br />
die Toilette auf, dass sein entnervter Gegner<br />
– erfolglos – Protest einlegte. Er äusserte<br />
die Vermutung, dass Kramnik elektronische<br />
Hilfsmittel in Anspruch nehme, obwohl zuvor<br />
alle Aufenthaltsorte im Turniergebäude akribisch<br />
mit Metalldetektoren abgesucht worden<br />
waren. Auf dem Höhepunkt der Affäre<br />
schaltete sich sogar der russische Präsident<br />
Putin persönlich ein, um den Wettkampf vor<br />
dem Abbruch zu retten. Zum Präsidenten der<br />
FIDE (Fédération internationale des échecs),<br />
Iljumschimow, der Präsident der russischen<br />
Teilrepublik ist (<strong>und</strong> damit wohl ein direkter<br />
«Untergebener» des russischen Präsidenten),<br />
soll Putin gesagt haben: «Das kann doch nicht<br />
sein, dass sich zwei so intelligente Leute über<br />
Toiletten streiten!»<br />
(Zitiert aus einem Interview im «Schach Magazin<br />
64» Nr. 24 / 2006)
Die Mächte des Bösen<br />
schrecken ab <strong>und</strong><br />
faszinieren gleichzeitig.<br />
Bei Harry Potter<br />
begegnet man ihnen<br />
immer wieder.<br />
Weshalb nicht auch<br />
in der Schule?<br />
22<br />
schulpraxis spezial<br />
Phantastische Erzählung:<br />
«Harry Potter <strong>und</strong> der Stein<br />
der Weisen» von Joanne Kathleen<br />
Rowling (* 1965):<br />
Die walisische Schriftstellerin J. K. Rowling<br />
schuf mit dem Zauberlehrling Harry Potter<br />
eine auf der ganzen Welt begeisternde Identifikationsfigur.<br />
Nach dem Studium arbeitete<br />
sie als Englisch- <strong>und</strong> Französischlehrerin in<br />
Paris <strong>und</strong> Portugal. Später arbeitslos <strong>und</strong> von<br />
der Sozialhilfe abhängig, begann die allein<br />
erziehende Mutter in Edinburgh, die seit etwa<br />
1992 gedanklich entwickelte Geschichte Harry<br />
Potters niederzuschreiben. Sie verschickte das<br />
Manuskript ihres ersten Buches ab 1995 an<br />
mehrere Verlage. Der erste Band «Harry Potter<br />
<strong>und</strong> der Stein der Weisen» kam 1997 heraus.<br />
Harry Potter kommt darin als Zauberlehrling<br />
an die Hogwarts-Zauberschule <strong>und</strong> erfährt<br />
nicht nur alles über seine wahre Vergangenheit,<br />
sondern sieht sich auch erstmals mit den<br />
Mächten des Bösen konfrontiert.<br />
Von Schachmenschen<br />
Es gibt einige Stellen, wo das Schachspiel<br />
erwähnt wird (Seite 217):<br />
Ron brachte Harry auch Zauberschach<br />
bei. Das ging genauso wie Muggelschach,<br />
ausser dass die Figuren lebten, <strong>und</strong> so war es<br />
fast das Gleiche, wie Truppen in eine Schlacht<br />
zu führen. Wie alles andere, das Ron besass,<br />
hatte es einst jemandem aus seiner Familie<br />
gehört – in diesem Fall seinem Grossvater.<br />
Allerdings waren die alten Schachmenschen<br />
überhaupt kein Nachteil. Ron kannte sie so<br />
gut, dass er sie immer mühelos dazu bringen<br />
konnte, genau das zu tun, was er wollte.<br />
Harry spielte mit Schachmenschen, die ihm<br />
Seamus Finnigan geliehen hatte, <strong>und</strong> die<br />
trauten ihm überhaupt nicht. Er war noch<br />
kein guter Spieler <strong>und</strong> sie riefen ihm ständig<br />
Ratschläge zu, allerdings widersprüchliche,<br />
was ihn heftig verwirrte: «Schick mich ja nicht<br />
dorthin, siehst du denn nicht seinen Springer?<br />
Schick doch den da, auf den können wir<br />
verzichten.»<br />
Textauszug auf Seite 306:<br />
«Harry <strong>und</strong> Hermine sahen schweigend<br />
zu, wie Ron nachdachte. Schliesslich sagte<br />
er: ‹Hört mal, seid nicht beleidigt, aber<br />
keiner von euch beiden ist besonders gut<br />
im Schach.› ‹Wir sind nicht beleidigt,› sagte<br />
Die phantastische<br />
Erzählung wurde im Jahre<br />
2001 mit Daniel Radcliffe,<br />
Rupert Grint <strong>und</strong> Emma<br />
Watson erfolgreich<br />
verfilmt. Siehe hierzu die<br />
Angaben zur DVD im<br />
Literaturverzeichnis.<br />
Eine mögliche<br />
Mattsetzung, wie sie hier<br />
geschildert wird:<br />
23<br />
schulpraxis spezial<br />
Harry rasch. «Sag uns einfach, was wir tun<br />
sollen.› ‹Gut. Harry, du nimmst den Platz<br />
dieses Läufers ein, <strong>und</strong> Hermine, du stellst<br />
dich neben ihn an die Stelle dieses Turms.›<br />
‹Was ist mit dir?› ‹Ich bin ein Springer›, sagte<br />
Ron. Die Schachfiguren hatten offenbar zugehört,<br />
denn in diesem Augenblick kehrten<br />
ein Springer, ein Läufer <strong>und</strong> ein Turm den<br />
weissen Figuren den Rücken <strong>und</strong> schritten<br />
vom Platz. Sie liessen drei leere Quadrate<br />
zurück, auf denen Harry, Ron <strong>und</strong> Hermine<br />
ihre Plätze einnahmen. ‹Weiss zieht im Schach<br />
immer zuerst›, sagte Ron <strong>und</strong> spähte über<br />
das Brett. ‹Ja … schaut …›. Ein weisser Bauer<br />
war zwei Felder vorgerückt. Ron begann die<br />
schwarzen Figuren zu führen. Wo immer er<br />
sie hinschickte, sie rückten schweigend auf ihre<br />
Plätze. Harry zitterten die Knie. Was, wenn<br />
sie verloren? ‹Harry, rück vier Felder schräg<br />
nach rechts.› Richtig mit der Angst zu tun<br />
bekamen sie es erst, als der andere Springer<br />
geschlagen wurde. Die weisse Dame schlug<br />
ihn zu Boden <strong>und</strong> schleifte ihn vom Brett, wo<br />
er mit dem Gesicht nach unten bewegungslos<br />
liegen blieb. ‹Ich musste das zulassen›, sagte<br />
Ron erschüttert. ‹Deshalb kannst du jetzt<br />
diesen Läufer schlagen, Hermine, geh los.›<br />
Wenn die Weissen eine ihrer Figuren schlagen<br />
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8#m#mMmMm8<br />
7mMmMmgm7<br />
6#mMmMmg6<br />
5mMmMMm5<br />
4MmMmMMm4<br />
3mMmMmMmM3<br />
2MAMMAGm2<br />
1mMmMm1<br />
TrstuvwxyU<br />
konnten, zeigten sie niemals Gnade. Nach<br />
kurzer Zeit lagen haufenweise übereinander<br />
gekrümmte schwarze Spieler entlang der<br />
Wand. Zweimal bemerkte Ron gerade noch<br />
rechtzeitig, dass Harry <strong>und</strong> Hermine in Gefahr<br />
waren. Er selbst jagte auf dem Brett umher<br />
<strong>und</strong> schlug fast so viele weisse Figuren, wie<br />
sie schwarze verloren hatten.<br />
‹Wir haben es gleich geschafft›, murmelte<br />
er plötzlich. ‹Lasst mich nachdenken … lasst<br />
mich nachdenken …› Die weisse Königin<br />
wandte ihm ihr leeres Gesicht zu. ‹Ja …›, sagte<br />
Ron leise, ‹das ist die einzige Chance … Ich<br />
muss geschlagen werden.› ‹NE<strong>IN</strong>!› riefen Harry<br />
<strong>und</strong> Hermine. ‹So ist es eben im Schach!›,<br />
herrschte Ron sie an. ‹Manchmal muss man<br />
opfern! Ich springe vor <strong>und</strong> sie schlägt mich,<br />
dann könnt ihr den König schachmatt setzen.<br />
Harry!› ‹Aber – ›. ‹Willst du Snape aufhalten<br />
oder nicht?› ‹Ron – ›. ‹Hör zu, wenn du dich<br />
nicht beeilst, dann ist er mit dem Stein auf<br />
<strong>und</strong> davon!›<br />
Darauf gab es nichts mehr zu sagen.<br />
‹Fertig?›, rief Ron mit blassem Gesicht, aber<br />
entschlossen. ‹Ich springe, <strong>und</strong> trödelt nicht,<br />
wenn ihr gewonnen habt.› Er sprang vor <strong>und</strong><br />
die weisse Dame stürzte sich auf ihn. Mit<br />
ihrem steinernen Arm schlug sie Ron heftig<br />
gegen den Kopf <strong>und</strong> er brach auf dem Boden<br />
zusammen. Hermine schrie, blieb aber auf<br />
ihrem Feld. Die weisse Dame schleifte Ron<br />
zur Seite. Offenbar hatte sie ihn bewusstlos<br />
geschlagen. Harry ging mit zitternden Knien<br />
drei Felder nach links.<br />
Der weisse König nahm seine Krone ab<br />
<strong>und</strong> warf sie Harry zu Füssen. Sie hatten gewonnen.<br />
Die Schachfiguren verbeugten sich<br />
zum Abschied <strong>und</strong> gaben die Tür auf ihrer<br />
Seite frei. Mit einem letzten verzweifelten Blick<br />
zurück auf Ron stürmten Harry <strong>und</strong> Hermine<br />
durch die Tür <strong>und</strong> rannten den nächsten Gang<br />
entlang.»
24<br />
schulpraxis spezial<br />
Ideen für den Geschichtsunterricht<br />
Hätten Christoph Kolumbus die Neue Welt ohne<br />
Schach entdeckt oder Napoleon die halbe Welt unterworfen?<br />
Geschichtsunterricht bringt es an den Tag.<br />
Entdeckung Amerikas<br />
durch Christoph Kolumbus<br />
(1451 – 1506):<br />
Dass sogar die Entdeckung Amerikas dem<br />
Schachspiel zu verdanken ist, schildert Edward<br />
Lasker (1885 – 1981) in seinem Buch<br />
«Schachabenteuer». Er fand im Archiv von<br />
Cordoba zwei Briefe von Hernando del Pulgar,<br />
dem Biografen von König Ferdinand <strong>und</strong><br />
Königin Isabella, die vom 2. <strong>und</strong> 4. Februar<br />
1492 datiert sind. Darin wird geschildert, wie<br />
der verärgerte Kolumbus Spanien verlassen<br />
wollte – sechs Monate vor seiner ersten<br />
Amerikareise – weil Ferdinand sich hartnäckig<br />
weigerte, ihm den Admiralstitel zu verleihen.<br />
Die Nachricht der bevorstehenden Abreise<br />
erreichte den Königshof, als Ferdinand gerade<br />
gegen einen seiner ständigen Schachpartner<br />
<strong>und</strong> Lieblingsgegner, Fonseca, am Brett sass.<br />
Isabella wurde gebeten, zugunsten von Kolumbus<br />
zu intervenieren, wusste aber nur zu<br />
gut, dass eine Störung ihres geliebten Gatten<br />
beim Schachspiel nicht zu empfehlen war <strong>und</strong><br />
dass alles von seiner Laune abhing. Ferdinand,<br />
RrstuvwxyS<br />
8mmMmM8<br />
7mMMmMmM7<br />
6#mMmGmMm6<br />
5mMmMmmM5<br />
4MAMmMmm4<br />
3mmMmMm3<br />
2MmMmMmMm2<br />
1mMMMmM1<br />
TrstuvwxyU<br />
Die letzten fünf Züge des<br />
Königs Ferdinand<br />
1.) T g 8 + T x g 8<br />
2.) T f 8 + T x f 8<br />
3.) e 7 + (Abzugsschach) T f 5<br />
4.) L x f 5 + D e 6<br />
5.) L x e 6 matt!<br />
dessen Stimmung sich bei Niederlagen noch<br />
mehr verschlechterte als bei Unterbrechungen,<br />
schien indessen hoffnungslos verloren. Er war<br />
mit Weiss am Zug.<br />
«Plötzlich flüsterte Hernando del Pulgar<br />
der Königin ins Ohr: ‹Wenn seine Hoheit richtig<br />
spielt, gewinnt er in 5 Zügen.› Ferdinand<br />
wollte gerade die falsche Figur ergreifen,<br />
als Isabella ihn unterbrach: ‹Wollen Sie nicht<br />
gewinnen?› Der König zog die Hand zurück<br />
<strong>und</strong> brütete erneut über der Stellung, bis er<br />
die gewinnbringende Abwicklung entdeckte.<br />
Er schaute auf, lächelte, zog <strong>und</strong> siegte – <strong>und</strong><br />
erfüllte den Wunsch der Königin. Ein Reiter<br />
holte den emigrierenden Kolumbus zurück,<br />
der sich – dem Schachspiel sei Dank – ein<br />
halbes Jahr später aufmachte, um Amerika<br />
zu entdecken.»<br />
Bei Ferdinands gewinnbringender Kombination<br />
spielte übrigens ein neuer, nämlich<br />
langschrittiger Läufer die entscheidende Rolle<br />
beim Mattsetzen: Lassen wir zum Schluss noch<br />
einmal den Hofbiografen Hernando del Pulgar<br />
zu Worte kommen, der folgenden Ausspruch<br />
Isabellas im Zusammenhang mit der Schachpartie<br />
niedergeschrieben hat:<br />
«Falls es dem Genueser gelingt, eine<br />
Neue Welt zu entdecken, so wie ich erhoffe<br />
<strong>und</strong> ersehne, würde man sagen können,<br />
dass der vermeintliche Erfolg sehr beeinflusst<br />
worden ist durch die Bewegung eines<br />
einfachen Bauern des Schachspiels, der sich<br />
mit Präzision Schritt für Schritt vorwärts<br />
bewegt.»<br />
Napoleon Bonaparte<br />
(1769 – 1821)<br />
<strong>und</strong> das Schachspiel<br />
25<br />
schulpraxis spezial<br />
Napoleon war ein begeisterter Anhänger des<br />
königlichen Spiels. Ob es gezieltes Mittel zum<br />
Zweck oder bloss Liebhaberei war, lässt sich<br />
nicht mehr feststellen. Seine schachstrategischen<br />
Fähigkeiten sollen ihm nach dem Urteil<br />
zahlreicher Historiker zu manchem Sieg auf<br />
den Schlachtfeldern verholfen haben. Auf<br />
jeden Fall waren Schach <strong>und</strong> Militär für ihn<br />
von Beginn weg unzertrennlich verb<strong>und</strong>en<br />
gewesen.<br />
Erlernt hatte er das Spiel an der Militärakademie<br />
von Paris, die er 1785 als 16 jähriger<br />
Artillerieleutnant verliess. Er muss fortan<br />
recht stark schachvirusinfiziert gewesen sein,<br />
denn im berühmten Café de la Régence, dem<br />
Weltschachnabel jener Zeit, war er Stammgast,<br />
wann immer es seine Anwesenheit in<br />
Paris erlaubte. Und auch später, als er sich<br />
die halbe Welt unterwarf, soll selbst auf den<br />
Schlachtfeldern von Marengo, Austerlitz,<br />
Jena, Smolensk <strong>und</strong> schliesslich Waterloo<br />
stets ein Schachbrett in Griffnähe gewesen<br />
sein. Während der Verbannung auf St. Helena<br />
versank er mehr <strong>und</strong> mehr in die Welt des<br />
Schachs.<br />
Verlieren konnte er nicht<br />
Er galt als unbeherrschter Spieler, der nicht<br />
gerne verlor. Als er einmal mit seinem Stiefsohn<br />
Eugen Beauharnais spielte <strong>und</strong> auf die<br />
Verliererstrasse geriet, warf er den ganzen<br />
Tisch um, schlug seinem Gegner ins Gesicht<br />
<strong>und</strong> verliess voller Zorn das Zimmer. Er befand:<br />
«Als Spiel ist es zu schwierig, aber nicht seriös<br />
genug, um als Wissenschaft oder Kunst zu<br />
gelten.» Und gleichwohl bezeugte er: «Das<br />
Schachspiel ist unvergleichlich, ein königliches,<br />
ein kaiserliches Spiel!»<br />
Sein Geheimschreiber Bourienne plauderte<br />
einmal aus, dass Napoleon es strikte vermied,<br />
sich mit starken Spielern zu messen. Beim<br />
englischen Meister Jacob Henry Sarratt machte<br />
er eine Ausnahme, wobei dieser in einen<br />
schweren Zwiespalt geriet: Verlor er, riskierte<br />
er seinen guten Ruf, gewann er, so konnte er<br />
sich die Ungnade des Herrschers zuziehen. Es<br />
heisst, dass Sarratt als Ausweg das Unentschieden<br />
wählte. Aber es war nicht so einfach, remis<br />
zu machen, denn der Korse war ein schlechter<br />
Spieler. Der grosse Stratege kümmerte sich nie<br />
um die Gesetze der Eröffnung, zeigte jedoch<br />
im Mittelspiel manchmal gute Kombinationen.<br />
Auf seinen Feldzügen führte er zwar ein kleines<br />
Reiseschach mit, spielte aber noch lieber<br />
das raschere Damespiel.<br />
Während seiner Verbannung auf der Insel St.<br />
Helena soll sich Napoleon häufig mit General<br />
Henri Gratien Bertrand auf dem Schachbrett<br />
gemessen haben.<br />
Der Schachautomat<br />
Napoleon war als ein schlechter, aber begeisterter<br />
Schachspieler bekannt: Schon Anfang<br />
der 90er-Jahre findet man den jungen Korsen<br />
im berühmten Pariser Café de la Régence, wo<br />
er Schach spielend auf Aufträge des Kriegsministeriums<br />
wartet. Dass er Anfang Oktober<br />
1809 im Schloss Schönbrunn den Schachautomaten<br />
inspiziert <strong>und</strong> sogar einige Züge mit ihm<br />
gespielt hat, ist durch zeitgenössische Quellen<br />
gesichert. Alexander Berthier, der Generalstabschef<br />
Napoleons <strong>und</strong> Fürst von Neuchâtel,<br />
liess den Automaten in seinen Gemächern in<br />
Schönbrunn von Maelzel aufstellen <strong>und</strong> spielte<br />
Ende September einige Male gegen ihn. In<br />
seinem Buch «Eugen Beauharnais, der Stiefsohn<br />
Napoleons. Ein Lebensbild, Berlin 1940»<br />
schildert Adalbert von Bayern diese Szenerie:<br />
«So stand im Zimmer des neuen Fürsten<br />
von Wagram in Schönbrunn ein Maschinen-<br />
Schachspieler. Auch Napoleon spielte mit ihm,<br />
<strong>und</strong> wenn er mogelte, schüttelte der Maschinenmensch<br />
den Kopf, statt wie gewöhnlich<br />
sich zu verneigen.»<br />
Die ausführlichste Schilderung von Napoleons<br />
Zusammentreffen mit dem Schachautomaten<br />
hat sein Kammerdiener Louis Wairy Constant<br />
niedergeschrieben in «Mémoires de Constant,<br />
Sur la vie privée de Napoleon, Stuttgart 1830»:<br />
«Johann Nepomuk Maelzel hatte auch einen<br />
Automaten hergestellt, der in ganz Europa
Napoleon spielt gegen<br />
den Schachautomaten.<br />
Zeichnung von Antoni<br />
Uniechowski in «Schach<br />
zu allen Zeiten» aus dem<br />
Jahr 1967.<br />
26<br />
schulpraxis spezial<br />
unter dem Namen ‹Schachspieler› bekannt<br />
war. Er hatte ihn nach Schönbrunn gebracht,<br />
um ihn Seiner Majestät zu zeigen <strong>und</strong> hatte<br />
ihn in das Gemach des Prinzen von Neuchâtel<br />
geschafft. Der Kaiser begab sich zum<br />
Prinzen; ich folgte ihm mit einigen anderen.<br />
Der Automat sass vor einem Tisch, auf dem<br />
das Schachspiel stand. Seine Majestät nahm<br />
einen Stuhl <strong>und</strong> setzte sich gegenüber dem<br />
Automaten <strong>und</strong> sagte lachend: ‹Allons, mon<br />
camarade, auf uns zwei!› Der Automat nickte<br />
<strong>und</strong> machte dem Kaiser ein Handzeichen, als<br />
ob er ihm bedeuten wolle, anzufangen. Nach<br />
der Eröffnung der Partie machte der Kaiser<br />
zwei oder drei Züge <strong>und</strong> setzte vorsätzlich eine<br />
Figur falsch. Der Automat nickte, nahm die<br />
Figur wieder auf <strong>und</strong> setzte sie an ihren Platz<br />
zurück. Seine Majestät mogelte ein zweites<br />
Mal; der Automat nickte wieder, aber er konfiszierte<br />
die Schachfigur. ‹Das ist recht›, sagte<br />
Seine Majestät <strong>und</strong> – zum dritten Mal – setzte<br />
er bewusst falsch. Nun schüttelte der Automat<br />
den Kopf <strong>und</strong>, indem er mit der Hand über das<br />
Schachbrett fuhr, warf er das ganze Spiel um.<br />
27<br />
schulpraxis spezial<br />
Der Kaiser machte dem Mechaniker grosse<br />
Komplimente.»<br />
Fest steht also, dass Napoleon den Automaten<br />
«getestet» hat, ob er jedoch eine ganze Partie<br />
gespielt hat, ist nicht sicher, ebenso ist zweifelhaft,<br />
ob tatsächlich Allgaier in der Maschine<br />
sass, obwohl Maelzels Eigenart bekannt war,<br />
stets den stärkst möglichen Spieler einzusetzen,<br />
den er bekommen konnte.<br />
Die Partie zwischen dem Schachautomaten<br />
<strong>und</strong> Napoleon tauchte zuerst in der Schachkolumne<br />
der «Illustrated London News» am<br />
30. September 1844 auf, aber ohne Quellenangabe.<br />
«The Chess Players Chronicle» druckte<br />
36 Jahre später die Partie ab. Andere – gut<br />
nachkomponierte – Partien Napoleons haben<br />
sich längst als Fälschung erwiesen. Eigen ist<br />
der Partie jedenfalls, dass beide miserabel<br />
spielen. Zumindest auf Napoleon traf dies<br />
bekanntlich ja zu.<br />
Anmerkung: Diese Partie wird auf der Homepage<br />
gezeigt.<br />
Nach diesem Zusammentreffen erreichte<br />
die Popularität des Schachautomaten einen<br />
neuen Höhepunkt <strong>und</strong> sein Wert stieg ins<br />
Unermessliche: Eugen Beauharnais zahlte jedenfalls<br />
Maelzel die für damalige Verhältnisse<br />
horrende Summe von 30 000 Francs, um hinter<br />
das Geheimnis zu gelangen.<br />
Figuren mit Fluchtplänen<br />
Über Napoleons schachliche Aktivitäten auf<br />
St. Helena gibt Las Cases in «Mémorial de<br />
Sainte-Hélène» Auskunft. Napoleon war von<br />
den Engländern von der Bellérophon auf<br />
die Northumberland gebracht worden <strong>und</strong><br />
befand sich auf dem Weg nach St. Helena.<br />
Im Tagebuch heisst es bei Las Cases, der als<br />
treuer Begleiter dem Kaiser nach der erzwungenen<br />
Abdankung in die Verbannung folgte<br />
<strong>und</strong> als zuverlässiger Biograph gilt, mit Datum<br />
Dienstag, 22. bis Samstag, 26. August 1815<br />
(das Schiff befand sich gerade in der Nähe<br />
von Madeira):<br />
«Nichts unterbrach die Eintönigkeit unserer<br />
Momente; jeder Tag ging langsam im<br />
Detail vorbei <strong>und</strong> vergrösserte eine Vergangenheit,<br />
die, insgesamt betrachtet, uns kurz<br />
erschien, weil sie ohne Farbe war <strong>und</strong> nichts<br />
Besonderes darstellte. Der Kaiser hatte den<br />
Kreis seiner Zerstreuungen durch das Piquet-<br />
Spiel vergrössert, das er ziemlich regelmässig<br />
gegen drei Uhr spielte. Diesem Piquet-Spiel<br />
folgten einige Partien Schach mit dem Grossmarschall,<br />
Monsieur de Montholon oder<br />
einigen anderen, woran sich das Abendessen<br />
anschloss. Es gab auf dem Dampfer niemanden,<br />
der sehr stark im Schachspiel war, <strong>und</strong><br />
der Kaiser spielte ebenfalls nur schwach; er<br />
gewann gegen die Einen <strong>und</strong> verlor gegen die<br />
Anderen, was ihn eines Abends veranlasste<br />
zu sagen: ‹Wie geschieht es, dass ich sehr oft<br />
gegen die verliere, die niemals gegen andere<br />
gewinnen, gegen die ich jedoch fast immer<br />
siege? Stellt dies nicht einen Widerspruch<br />
dar? Wie kann man dieses Problem lösen?›,<br />
sagte er mit Augenzwinkern, um zu zeigen,<br />
dass er nicht auf die wiederholte Galanterie<br />
desjenigen hereingefallen war, der eigentlich<br />
der Stärkste war.<br />
Am Abend spielten wir nicht mehr<br />
‹Zwanzig zu Eins›; wir hatten es unterbrochen,<br />
da wir die Einsätze zu hoch getrieben<br />
hatten, was dem Kaiser, einem starken<br />
Gegner des Spiels, missfallen hatte. Nach der<br />
Rückkehr von seinem Spaziergang auf der<br />
Kommandobrücke, nach dem Abendessen,<br />
spielte Napoleon noch zwei oder drei Partien<br />
Schach <strong>und</strong> zog sich dann zu sehr früher<br />
St<strong>und</strong>e zurück.»<br />
Das Geheimnis, welches seine Elfenbeinfiguren<br />
enthielten, mit denen er im Exil auf St.<br />
Helena spielte, wurde erst über 100 Jahre<br />
später entdeckt. Die Figuren, die ihm von<br />
Anhängern ins Exil nachgeschickt wurden,<br />
enthielten Fluchtpläne. Da aber der Offizier,<br />
der das Schachspiel überbringen sollte, auf<br />
der Überfahrt verstarb <strong>und</strong> sein Geheimnis<br />
mit ins Grab nahm, wurden die verborgenen<br />
Pläne erst 1933 bei einer Ausstellung von<br />
Denkwürdigkeiten von Napoleon in Austerlitz<br />
entdeckt.
schulpraxis spezial<br />
Ideen für den Mathematikunterricht<br />
Von 18 Trillionen Weizenkörnern oder davon,<br />
was Schach mit Rechnen zu tun haben kann.<br />
Der Junge spielt Schach<br />
in der Schule, aus Freude,<br />
nicht um Juwelen<br />
oder gar einen Finger, wie<br />
dies gemäss Masudi in<br />
indischen Schachkämpfen<br />
geschah.<br />
Ali Abul Hassan Masudi<br />
(ca. 900 – 956) <strong>und</strong> seine<br />
Schilderung der Weizenkornlegende:<br />
28<br />
Der arabische Historiker hat in seinem Buch<br />
«Die goldenen Wiesen», einer Enzyklopädie<br />
über die indischen Könige, erstmals die Existenz<br />
des Schachspiels belegt. Dabei wird nicht<br />
nur von Schachpartien, sondern auch von der<br />
Existenz grösserer <strong>und</strong> besonders kostbarer<br />
Schachspiele berichtet. Er behauptet, dass unter<br />
dem indischen König Balhit, der 120 Jahre<br />
nach dem Tode des legendären Königs Porus<br />
auf den Thron kam, das Schachspiel erf<strong>und</strong>en<br />
wurde. Da Porus ein Zeitgenosse Alexanders<br />
des Grossen war <strong>und</strong> von diesem im Jahre 326<br />
v. Chr. in der Schlacht am Hydaspes geschlagen<br />
wurde, wäre der Zeitpunkt für die Erfindung<br />
des Schachspiels etwa die Wende vom 3. zum<br />
2. Jahrh<strong>und</strong>ert v. Chr. gewesen.<br />
Der grosse Lohn<br />
Bei Masudi findet sich auch die berühmte Weizenkornlegende.<br />
Der weise Erfinder des Schachspiels<br />
habe sich vom König als Lohn nur Weizenkörner<br />
nach dem Prinzip erbeten: für das erste<br />
Feld auf dem Schachbrett eines, für das zweite<br />
zwei, für das dritte vier, für das vierte acht, für<br />
das fünfte sechzehn usw. Das allgemeine Erstaunen<br />
über diese scheinbare Bescheidenheit<br />
wandelte sich in blankes Entsetzen, als sich herausstellte,<br />
dass allein für das 64. Schachfeld die<br />
ungeheure <strong>und</strong> nicht aufzubringende Summe<br />
von 9 223 372 036 854 775 808 Weizenkörnern<br />
notwendig gewesen wären. Für das ganze Brett<br />
hätte es 18 446 744 073 709 551 615 Körner gebraucht.<br />
Ganz Europa <strong>und</strong> grosse Teile Afrikas<br />
hätten mit Weizenkörnern bedeckt werden<br />
müssen, um dieser Bitte nachzukommen.<br />
Einigen Geschichtsforschern war Masudis Geschichtsschreibung<br />
suspekt <strong>und</strong> sie verbannten<br />
ihn ins Reich der Märchenerzähler. Dabei wusste<br />
er sehr wohl über Indien Bescheid, das als<br />
Mutterland der modernen Mathematik angesehen<br />
werden darf, denn von hier aus begann<br />
das Dezimalsystem seinen Siegeslauf über die<br />
ganze Welt. Die gespenstische Atmosphäre<br />
indischer Schachkämpfe beschrieb Masudi<br />
folgendermassen:<br />
«Einige der Schachfiguren sind Menschen<br />
oder Tieren nachgebildet, oft über eine Spanne<br />
hoch. Ein dritter Mann muss auf Befehl<br />
der Spieler die Schachsteine von Feld zu Feld<br />
schieben. Meist spielen die Inder um Stoffe<br />
oder Juwelen, doch manchmal setzt ein Spieler,<br />
der bereits seinen ganzen Besitz verloren<br />
hat, auch noch seine Glieder ein. Neben den<br />
Spielern lodert ein Feuer, auf dem in einem<br />
Kupferkessel eine rote Salbe kocht, eine geheimnisvolle<br />
Mixtur, die indische Heilmittel<br />
enthält: Sie kann W<strong>und</strong>en heilen <strong>und</strong> Blut<br />
stillen. Wenn ein Mann beim Spielen seinen<br />
Finger verwettet hat <strong>und</strong> verliert, hackt er<br />
seinen Finger mit dem Dolch ab, steckt die<br />
Hand in die Salbe <strong>und</strong> brennt die W<strong>und</strong>e aus.<br />
Dann spielt er weiter. Wenn er Pech hat, opfert<br />
29<br />
schulpraxis spezial<br />
1 2 4 8 16 32 64 128<br />
256 512 1024 2048 4096 8192 16384 32768<br />
65536 131072 262144 524288 1048576 2097152 4194304 8388608<br />
16777216 33554432 67108864 134217728 268435456 536870912 1073741824 2147483648<br />
4294967296 8589934592 17179869184 34359738368 68719476736 137438953472<br />
1099<br />
511627776<br />
281474<br />
976710656<br />
72057594<br />
037927936<br />
2199<br />
023255552<br />
562949<br />
953421312<br />
144115188<br />
075855872<br />
Aus «2000 Jahre Spiel-<br />
Geschichte» (Seite 37)<br />
von R. Finkenzeller /<br />
W. Ziehr / E.M. Bührer,<br />
AT Verlag Aarau<br />
4398<br />
046511104<br />
1125899<br />
906842624<br />
288230376<br />
151711744<br />
8796<br />
093022208<br />
2251799<br />
813685248<br />
576460752<br />
303423488<br />
17592<br />
186044416<br />
4503599<br />
627370496<br />
1152921504<br />
606846976<br />
35184<br />
372088832<br />
9007199<br />
254740992<br />
2305843009<br />
213693952<br />
274877<br />
906944<br />
70368<br />
744177664<br />
18014398<br />
509481984<br />
4611686018<br />
427387904<br />
549755<br />
813888<br />
140737<br />
488355328<br />
36028797<br />
018963968<br />
9223372036<br />
854775808<br />
er noch einen Finger; <strong>und</strong> es kommt vor, dass<br />
einer, der fortgesetzt verliert, alle Finger, die<br />
Hand, den Unterarm, den Ellenbogen <strong>und</strong><br />
noch andere Körperteile abschneidet.»<br />
Die Sache in Zahlen<br />
Die mathematischen Betrachtungen zur Legende<br />
sollen kurz dargestellt sein:<br />
Die Summe aller Körner auf den 64 Feldern<br />
eines Schachbrettes ist also 18 446 744 073<br />
709 551 615 Körner oder in Worten, achtzehn<br />
Trillionen, vierh<strong>und</strong>ertsechs<strong>und</strong>vierzig Billiarden,<br />
siebenh<strong>und</strong>ertvier<strong>und</strong>vierzig Billionen,<br />
nullh<strong>und</strong>ertdrei<strong>und</strong>siebzig Milliarden, siebenh<strong>und</strong>ertneun<br />
Millionen, fünfh<strong>und</strong>ertein<strong>und</strong>fünfzig<br />
Tausend <strong>und</strong> sechsh<strong>und</strong>ertfünfzehn<br />
Körner, also 2 64 minus 1.<br />
Die Formel, um die Zahl abzuleiten, lautet:<br />
1 + 2 1 + 2 2 + 2 3 + 2 4 + 2 63 .<br />
Die Gesamtsumme aller Weizenkörner auf den<br />
64 Feldern kann man mit «s» (für «Summe»)<br />
bezeichnen. Dann wäre also, wie oben schon<br />
erwähnt S = 1 + 2 1 + 2 2 + 2 3 + 2 4 + 2 63 .<br />
Der Kniff besteht nun darin, die gesamte<br />
Gleichung mit 2 zu multiplizieren <strong>und</strong> dann<br />
wie folgt untereinander zu schreiben <strong>und</strong><br />
voneinander zu subtrahieren:<br />
2 s = 2 1 + 2 2 + 2 3 + 2 4 + 2 63 + 2 64<br />
s = 1 + 2 1 + 2 2 + 2 3 + 2 4 + 2 64<br />
s = 2 63 minus 1, denn alle anderen Glieder fallen<br />
weg! Damit haben wir die Gesamtsumme<br />
aller Weizenkörner auf einem Schachbrett.<br />
860 mal Erde-Mond<br />
Die Menge ist kaum vorstellbar, denn sie<br />
entspricht auch heute noch einem Mehrtausendfachen<br />
der jährlichen Weltproduktion<br />
von Weizen. Um das starke Anwachsen beim<br />
Verdoppelungsprozess zu demonstrieren, kann<br />
man folgende Überlegung anstellen:<br />
Wir nehmen an, dass der Querschnitt eines<br />
Weizenkorns ca. 4 Quadratmillimeter beträgt.<br />
Auf dem ersten Feld wäre also ein Korn, was<br />
eine Fläche von 4 Quadratmillimetern ergibt.<br />
Auf dem zehnten Feld wären 512 Körner (Fläche<br />
eines Schachbrettfeldes). Auf dem 16. Feld<br />
wären 32 768 Körner (Fläche eines Schachbrettes).<br />
Auf dem 32. Feld wären 2,5 mal 10 hoch<br />
9 Körner (Gr<strong>und</strong>riss des <strong>Bern</strong>er Münsters).<br />
Auf dem 55. Feld wären 1,8 mal 10 hoch<br />
16 Körner (ungefähr zweimal die Fläche der<br />
Schweiz). Auf dem 64. Feld schliesslich wären<br />
9,2 mal 10 hoch 18 Körner, was ja nach Masudi<br />
der ganzen Fläche von Europa <strong>und</strong> Teilen<br />
Afrikas entsprechen würde.<br />
Zweite Veranschaulichung: Die Summe aller<br />
Körner auf dem Schachbrett beträgt wie oben<br />
berechnet 2 hoch 64 minus 1 oder 1,84 mal 10<br />
hoch 19. Ein Weizenkorn hat ein Gewicht von<br />
ungefähr 0,05 Gramm, also 50 Milligramm.<br />
Auf einem ganzen Brett würden so 9,2 mal 10<br />
hoch 11 Tonnen Weizen zu liegen kommen. Ein<br />
Güterwagen fasst 28 Tonnen <strong>und</strong> ist 10 Meter<br />
lang. Für die ganze Ladung müssten somit 3,3<br />
mal 10 hoch 10 Wagen zur Verfügung stehen.<br />
Ein Zug hätte eine Länge von 3,3 mal 10 hoch<br />
8 Kilometer, was ca. 860 Mal der Strecke zwischen<br />
Erde <strong>und</strong> Mond entsprechen würde.
Anmerkung:<br />
Auf der Homepage<br />
werden interessante<br />
Möglichkeiten<br />
vorgestellt, wie man<br />
diesen Rösselsprung<br />
anwenden kann<br />
Auf Seite 31 werden<br />
die 12 Gr<strong>und</strong>stellungen<br />
nach Gauss gezeigt.<br />
30<br />
schulpraxis spezial<br />
«Schachbretträtsel» im<br />
Zusammenhang mit dem<br />
Rösselsprung von Leonhard<br />
Euler (1707 – 1783):<br />
Der Basler Mathematiker Leonhard Euler,<br />
von 1730 bis 1741 <strong>und</strong> ab 1766 Professor<br />
in Petersburg <strong>und</strong> von 1741 bis 1766 an der<br />
Akademie der Wissenschaften in Berlin tätig,<br />
war ein führender Kopf auf allen Gebieten der<br />
Mathematik, Physik <strong>und</strong> Astronomie. Obwohl<br />
in den sechziger Jahren erblindet, schrieb er<br />
insgesamt 28 Werke <strong>und</strong> 750 Abhandlungen.<br />
Bekannt dürfte die Gesetzmässigkeit bei räumlichen<br />
Figuren sein, die er in der Formel «e<br />
(Ecken) + f (Flächen) – k (Kanten) = 2» gebildet<br />
hat («Satz von Euler»). Euler über das Schachspiel:<br />
«Im Schach hat die Bezeichnung ‹Spieler›<br />
jeglichen verächtlichen Klang verloren.» Euler<br />
war ein guter Schachspieler. Wie man einem<br />
Brief aus dem Jahre 1751 entnehmen kann, bedauerte<br />
er die wegen einer Affäre notwendige<br />
plötzliche Abreise des Schachmeisters Philidor<br />
aus Potsdam, «sonst würde ich wohl Gelegenheit<br />
gef<strong>und</strong>en haben, mit ihm zu sprechen.»<br />
Der Rösselsprung<br />
Philidors Bauernführung («Der Bauer ist die<br />
Seele des Schachs») hat die Spielweise im<br />
Schach stark beeinflusst. Euler besass 1751<br />
bereits Philidors 1749 in London erschienenes<br />
Buch «Analyse des Schachspiels».In den Memoiren<br />
der Berliner Akademie 1759 findet sich<br />
eine Abhandlung über den Rösselsprung:<br />
«Eines Tages befand ich mich in einer<br />
Gesellschaft, als bei einer Schachpartie<br />
jemand die Frage aufwarf, mit einem Springer<br />
bei gegebenem Anfangsfeld alle Felder<br />
des Schachbretts der Reihe nach, jedes nur<br />
einmal, zu passieren … Diejenigen, die die<br />
Aufgabe für ziemlich leicht hielten, machten<br />
mehrere nutzlose Versuche, ohne zum Ziel<br />
zu gelangen. Hierauf gab derjenige, der die<br />
Frage aufgeworfen hatte, eine Route so an,<br />
dass eine vollständige Lösung entstand. Die<br />
Menge der Felder liess indessen nicht zu, die<br />
gewählte Route dem Gedächtnis einzuprägen,<br />
<strong>und</strong> erst nach mehreren Versuchen gelang es<br />
mir, eine der Aufgabe genügende Route zu<br />
finden, aber sie galt auch nur für ein bestimmtes<br />
Anfangsfeld.»<br />
Vermutlich ist die Rösselsprungaufgabe so alt<br />
wie das Schachspiel selbst, aber erst Euler gab<br />
ihr, wenn auch nicht eine Theorie, so doch<br />
ein praktikables Lösungsverfahren. Er geht<br />
dabei zunächst aufs Geratewohl voran, bis<br />
der Rösselsprung sich nicht weiter ausführen<br />
lässt. Dann wird der Rösselsprung in zwei Teile<br />
zerlegt <strong>und</strong> auf neue Art miteinander wieder<br />
verb<strong>und</strong>en, sodass alle früheren Felder wieder<br />
besetzt sind, aber ein neuer Endpunkt zustande<br />
kommt, von dem möglicherweise eines der<br />
freien Felder erreichbar ist. Die geschickten<br />
Zerlegungen Eulers machen glaubhaft, dass<br />
man stets zum Ziel kommen kann, bewiesen<br />
wird es aber nicht. Die Idee Eulers bestand<br />
also darin, einen in sich geschlossenen Rösselsprung<br />
durchzuführen, der zweiteilig genannt<br />
wird, da er zuerst auf der einen <strong>und</strong> dann auf<br />
der anderen Hälfte des Brettes ausgeführt<br />
wird. Von dieser Lösungsweise gibt es übrigens<br />
31 054 144 Möglichkeiten, wie Mathematiker<br />
katalogisierend ermittelt haben.<br />
Karl Friedrich Gauss<br />
(1777 – 1855):<br />
Der deutsche Mathematiker <strong>und</strong> Astronom<br />
K.F. Gauss lieferte 1799 in seiner Dissertation<br />
den Beweis für den F<strong>und</strong>amentalsatz der Algebra,<br />
wonach jede algebraische Gleichung eine<br />
reelle oder komplexe Lösung hat. Er förderte<br />
die Zahlentheorie, die absolute Geometrie<br />
<strong>und</strong> die Funktionslehre. Er fand ebenfalls neue<br />
Wege zur Berechnung der Planetenbahnen<br />
<strong>und</strong> förderte die Theorie des Elektromagnetismus.<br />
Gauss berechnete als erster, dass auf<br />
einem Schachbrett acht Königinnen aufgestellt<br />
werden können, die sich gegenseitig nicht<br />
schlagen. Er fand 92 mögliche Kombinationen.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzliche Angaben gibt es nur zwölf,<br />
während die übrigen durch Umdrehungen des<br />
Schachbretts oder symmetrische Anordnungen<br />
wie im Spiegelbild entstehen.<br />
RrstuvwxyS<br />
8#m#mMMm8<br />
7m#MmMmM7<br />
6#mMmMmm6<br />
5mMmmMmM5<br />
4mMmMmMm4<br />
3mMmMmMm3<br />
2MMmMmMm2<br />
1mMmMMmM1<br />
TrstuvwxyU<br />
RrstuvwxyS<br />
8#mmMmMm8<br />
7m#mMMmM7<br />
6#MmMmMm6<br />
31<br />
schulpraxis spezial<br />
<br />
<br />
<br />
5mMmMmMm5<br />
4mMmMmMm4<br />
3mMmMmMM3<br />
2MmMMmMm2<br />
1mMmMmmM1<br />
TrstuvwxyU<br />
RrstuvwxyS<br />
8#m#mMMm8<br />
7m#MmMmM7<br />
6mMmMmMm6<br />
<br />
<br />
<br />
5mMmMmMM5<br />
4MmMmmMm4<br />
3mMmMmMm3<br />
2MMmMmMm2<br />
1mMmmMmM1<br />
TrstuvwxyU<br />
RrstuvwxyS<br />
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7m#mMmMM7<br />
6#mMmmMm6<br />
<br />
<br />
<br />
5mMMmMmM5<br />
4mMmMmMm4<br />
3mMmMmmM3<br />
2MmMmMmM2<br />
1mmMmMmM1<br />
TrstuvwxyU<br />
RrstuvwxyS<br />
8#mmMmMm8<br />
7m#mMmMm7<br />
6#mMMmMm6<br />
5mMmMmMM5<br />
4mMmMmMm4<br />
3mMmMmmM3<br />
2MMmMmMm2<br />
1mMmMMmM1<br />
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RrstuvwxyS<br />
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6#mMmmMm6<br />
5mMMmMmM5<br />
4mMmMmMm4<br />
3mMmMmMM3<br />
2MmMMmMm2<br />
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3mMmMmMM3<br />
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7m#mMMmM7<br />
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5mMmmMmM5<br />
4mMmMmMm4<br />
3mMmMmMm3<br />
2MmMmMMm2<br />
1mMMmMmM1<br />
TrstuvwxyU<br />
RrstuvwxyS<br />
8#m#mMMm8<br />
7m#MmMmM7<br />
6#mMmmMm6<br />
5mMmMmMm5<br />
4mMmMmMm4<br />
3mMmmMmM3<br />
2MMmMmMm2<br />
1mMmMmMM1<br />
TrstuvwxyU<br />
RrstuvwxyS<br />
8#m#mMMm8<br />
7m#MmMmM7<br />
6#mMmmMm6<br />
5mMmMmMM5<br />
4mMmMmMm4<br />
3mMmmMmM3<br />
2MMmMmMm2<br />
1mMmMmMm1<br />
TrstuvwxyU
schulpraxis spezial<br />
Ideen für den Musikunterricht<br />
Das Musical «Chess», komponiert von den ABBA-Musikern<br />
Benny Andersson <strong>und</strong> Björn Ulvaeus <strong>und</strong> getextet<br />
von Tim Rice, thematisiert Schach, Musik <strong>und</strong> Politik.<br />
Anmerkung:<br />
Auf der Homepage wird<br />
die erwähnte Partie<br />
zwischen Paul Schmidt<br />
<strong>und</strong> Kurt Richter gezeigt.<br />
32<br />
Der englische Theaterproduzent Tim Rice arbeitete<br />
nach seinem Studium bei EMI Records,<br />
wo er Andrew Lloyd Webber kennen lernte<br />
<strong>und</strong> als dessen Partner Weltruhm erlangte.<br />
Zwischen 1965 <strong>und</strong> 1975 schrieb das Team<br />
einen Musicalhit nach dem anderen: «Joseph<br />
and the amazing technicolour dreamcoat»,<br />
«Jesus Christ Superstar» <strong>und</strong> «Evita». Bereits<br />
zu dieser Zeit kam Rice die Idee – angeregt<br />
durch die skandalumwitterte Schachweltmeisterschaft<br />
1972 auf Island zwischen<br />
Bobby Fischer <strong>und</strong> Boris Spassky – ein Musical<br />
zu schreiben, das die private Ebene der<br />
Schachduelle mit den dahinter existierenden<br />
politischen Konstellationen verbinden sollte.<br />
1981 begegnete er den beiden schwedischen<br />
Musikern Benny Andersson <strong>und</strong> Björn Ulvaeus,<br />
die sich soeben von ihren Partnerinnen<br />
getrennt hatten, was auch die baldige Auflösung<br />
der Popgruppe ABBA nach sich zog.<br />
Rice war – nach der Trennung von Webber<br />
– auf der Suche nach einem Komponisten<br />
für seine nächsten Projekte. Mit dem Musical<br />
«Chess» konnten sich Andersson <strong>und</strong> Ulvaeus<br />
am meisten identifizieren <strong>und</strong> so begann die<br />
fruchtbare Zusammenarbeit. Rice hatte 1981<br />
den Schachweltmeisterschaftskampf zwischen<br />
Karpow <strong>und</strong> Kortschnoi in Meran besucht <strong>und</strong><br />
Karpow in London persönlich kennen gelernt.<br />
1986 wurde «Chess» in London uraufgeführt.<br />
Zum Inhalt<br />
Die Geschichte spielt in Meran <strong>und</strong> Bangkok<br />
<strong>und</strong> ist an der Konkurrenz zweier Schachspieler<br />
aufgehängt, von denen einer Russe <strong>und</strong><br />
der andere US-Amerikaner ist. Die Charaktere<br />
<strong>und</strong> Lebensgeschichten der beiden sind wahrscheinlich<br />
von Viktor Kortschnoi <strong>und</strong> Bobby<br />
Fischer inspiriert. Die gewollte Parallele zum<br />
Kalten Krieg wurde mit dem Ende des Ost-<br />
West-Konflikts obsolet. Im Stück geht es um<br />
Politik, Verschwörung, Liebe <strong>und</strong> Eifersucht.<br />
Die Schlusskombination der letzten <strong>und</strong> entscheidenden<br />
Partie in Bangkok stammt übrigens<br />
aus einer Partie zwischen Paul Schmidt<br />
(Weiss) <strong>und</strong> Kurt Richter (Schwarz) von der<br />
Deutschen Meisterschaft des Jahres 1940 in<br />
Bad Oeynhausen.<br />
Das Musical zieht übrigens überraschende<br />
Parallelen zur Wirklichkeit, zum einen zum<br />
WM-Kampf zwischen Karpow <strong>und</strong> Kortschnoi<br />
in Meran 1981, wo sich ja die Kontrahenten<br />
auch einen «politischen» Kampf mit allerlei<br />
Nebengeräuschen nicht nur auf dem Schachbrett<br />
lieferten <strong>und</strong> zum andern zum mit einem<br />
Oscar preisgekrönten Film «Gefährliche<br />
Züge» (1985) mit Michel Piccoli, Liv Ullmann<br />
<strong>und</strong> Christopher Lee, wo sich der alternde,<br />
regimetreue Schachweltmeister gegen den<br />
jungen, abtrünnigen Herausforderer noch<br />
einmal behaupten möchte.<br />
33<br />
schulpraxis spezial<br />
Ideen für das Bildnerische Gestalten<br />
Klee, H<strong>und</strong>ertwasser, Ernst: Wie sie aus<br />
dem Schachbrett Kunst machten.<br />
Anmerkung: Auf<br />
der Homepage ist<br />
eine Abbildung dieses<br />
Gemäldes zu sehen.<br />
Anmerkung: Auf der<br />
Homepage werden zwei<br />
seiner Schachbrettmuster<br />
<strong>und</strong> der Kopf abgebildet.<br />
Alle Beispiele sind<br />
sogar auf Briefmarken<br />
herausgegeben worden.<br />
Paul Klee (1879 – 1940):<br />
Paul Klee, deutscher Maler <strong>und</strong> Grafiker schweizerischer<br />
Herkunft, verband auf einzigartige<br />
Weise die Errungenschaften der Abstraktion<br />
mit Elementen einer traumhaften, skurrilen<br />
Zeichensprache. Nach Anfängen als satirischer<br />
Grafiker entdeckte er den Eigenwert der Farbe<br />
<strong>und</strong> entwickelte geometrische Farbkompositionen,<br />
die in der Regel Verweise auf Gegenständliches<br />
enthielten. 1937 <strong>und</strong> 1938 befasste sich<br />
Klee wiederholt mit der rhythmischen Struktur<br />
des Schachbretts. Er erkannte dabei – wie<br />
Arnold Schönberg in seinem Zwölftonsystem<br />
– bestimmte Gesetzmässigkeiten:<br />
Jeder Ton ist durch seine Beziehung zu der<br />
vorbestimmten Gr<strong>und</strong>reihe festgelegt, eine astronomische<br />
Gesetzmässigkeit waltet <strong>und</strong> doch<br />
eine im einzelnen nicht kontrollierbare. Vernunft<br />
<strong>und</strong> Magie begegnen sich <strong>und</strong> werden<br />
eins in dem, was man ‚Weisheit, Einweihung<br />
nennt, im Glauben an die Sterne, die Zahlen.<br />
Das Ölgemälde «Überschach» schuf er<br />
1937. Er variierte das Schachbrettmuster,<br />
vergrösserte die weissen Felder gegenüber<br />
den schwarzen <strong>und</strong> veränderte auch diese.<br />
Er hat damit ein allbekanntes Muster belebt.<br />
Dem grübelnden Schachspieler widerfährt<br />
Ähnliches. Die Felder c4, e6, h3 können für ihn<br />
Felder der Bedrohung oder der Verheissung<br />
sein <strong>und</strong> damit überlebensgross werden.<br />
Friedensreich H<strong>und</strong>ertwasser<br />
(1928 – 2000):<br />
Der österreichische Maler <strong>und</strong> Grafiker H<strong>und</strong>ertwasser<br />
nahm in seinen Werken ornamentaldekorative<br />
Formen des österreichischen<br />
Jugendstils auf <strong>und</strong> transponierte sie in eine<br />
freiere, poetischere Bildsprache. Neben den<br />
Hauptmotiven von Spirale <strong>und</strong> Labyrinth kennzeichnen<br />
eine mosaikartige Flächenaufteilung,<br />
starke Farbigkeit <strong>und</strong> ein gewisser naivmärchenhafter<br />
Zug seine Kunst. Seit den 70er-<br />
Jahren engagierte er sich in der ökologischen<br />
Bewegung <strong>und</strong> bemühte sich auch um eine<br />
umweltbewusste Architektur (zum Beispiel<br />
das «H<strong>und</strong>ertwasserhaus» in Wien). In vielen<br />
seiner Werke kommen Schachbrettmuster zum<br />
Tragen <strong>und</strong> bilden das «Gr<strong>und</strong>gerüst».<br />
Eines seiner Werke zeigt einen Schachspieler,<br />
der aber nicht so leicht als solcher zu erkennen<br />
ist. Der Untergr<strong>und</strong>, auf dem sich der Kopf befindet,<br />
ist – nach Angaben von H<strong>und</strong>ertwasser<br />
– als Schachbrett zu deuten.<br />
Max Ernst (1891 – 1976):<br />
Der deutsche Maler, Grafiker, Objektkünstler<br />
<strong>und</strong> Bildhauer Max Ernst war einer der bedeutendsten<br />
Künstler des Surrealismus. Sein<br />
Werk reicht von dadaistischen Collagen über<br />
die Erfindung der Druckreibetechnik (Frottage)<br />
<strong>und</strong> vieler anderer Methoden bis zu grossen<br />
Gemälden, mit denen er den Surrealismus<br />
einleitete <strong>und</strong> im Spätwerk vollendete. Seine<br />
beachtlichen Skulpturen vereinen die grossen<br />
Entwicklungslinien des Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />
Wie Man Ray war Max Ernst mit Marcel<br />
Duchamp befre<strong>und</strong>et <strong>und</strong> spielte mit diesem<br />
Schach. Ihn interessierte allerdings mehr das<br />
Design der Figuren <strong>und</strong> Bretter als das Spiel<br />
<strong>und</strong> er schenkte denn auch seinem Fre<strong>und</strong> ein<br />
eigenwillig konstruiertes Schachspiel.<br />
Anmerkung: Auf der Homepage sind einige dieser<br />
Figuren abgebildet.
34<br />
schulpraxis spezial<br />
Schachbegriffe im Alltag (Arbeitsblatt)<br />
Einigen der nachfolgenden Schachbegriffe seid ihr wahrscheinlich auch schon begegnet, denn in vielen Bereichen des<br />
Alltags kommen in unserem Wortschatz Ausdrücke aus dem Schachspiel vor, beispielsweise im Sport, in der Kultur,<br />
in der Politik, im Wirtschaftsleben usw. Versucht möglichst viele der Begriffe zu erklären, indem ihr auf die Leerzeilen<br />
aufschreibt, was sie bedeuten könnten. Vielleicht findet ihr sogar noch eigene Beispiele, die ihr schon angetroffen habt.<br />
Führt sie am Ende der Begriffslisten an! Dieser Auftrag ist als Partnerarbeit gedacht, genauso wie beim Schach spielen,<br />
wo es ja in einer Partie ebenfalls immer mindestens zwei Personen zum Spielen braucht!<br />
• einen Abtausch vornehmen = _______________________________________________________________________<br />
• ein Bauernopfer machen = _________________________________________________________________________<br />
• ein Damenopfer vollziehen = _______________________________________________________________________<br />
• einen Doppelschritt ausführen = ____________________________________________________________________<br />
• ins Endspiel überleiten = ___________________________________________________________________________<br />
• in eine Falle tappen = _____________________________________________________________________________<br />
• in eine Fesselung geraten = ________________________________________________________________________<br />
• einen Gabelangriff drohen = _______________________________________________________________________<br />
• einen Gegenangriff einleiten = _____________________________________________________________________<br />
• zu Gegenspiel kommen = __________________________________________________________________________<br />
• eine Kombination beginnen = ______________________________________________________________________<br />
• ein Luftloch schaffen = ____________________________________________________________________________<br />
• seinen Gegner matt setzen = _______________________________________________________________________<br />
• eine Pattsituation herbei führen = ___________________________________________________________________<br />
• Rasenschach spielen = ____________________________________________________________________________<br />
• eine Rochade ausführen = _________________________________________________________________________<br />
• ein Remis erzielen = ______________________________________________________________________________<br />
• aussehen wie ein Schachbrettmuster = _______________________________________________________________<br />
• einen klugen Schachzug machen = __________________________________________________________________<br />
• den Schlüsselzug finden = _________________________________________________________________________<br />
• einen Überraschungsangriff starten = ________________________________________________________________<br />
• Verwicklungen herbei führen = _____________________________________________________________________<br />
• die Zeit überschreiten = ___________________________________________________________________________<br />
• in Zeitnot geraten = _______________________________________________________________________________<br />
• das Zentrum besetzen = ___________________________________________________________________________<br />
• in Zugzwang geraten = ____________________________________________________________________________<br />
• Eigenes Beispiel: __________________________________________________________________________________<br />
• Eigenes Beispiel: __________________________________________________________________________________<br />
• Eigenes Beispiel: __________________________________________________________________________________<br />
Anmerkung: Auf der Homepage sind mögliche Lösungen <strong>und</strong> weitere 1:1 kopierbare Arbeitsblätter zu den Themen «Schacheröffnungen»,<br />
«Schachbegriffe», «Schachkenntnisse allgemein» zu finden.<br />
35<br />
schulpraxis spezial<br />
Schachbegriffe erklären (Arbeitsblatt)<br />
Begriffe aus unserem Thema «Schach», die dir jetzt geläufig sein sollten. Schreibe ihre Bedeutung auf die Leerzeilen!<br />
• Bauernumwandlung = _____________________________________________________________________________<br />
• Berührt – geführt = ________________________________________________________________________________<br />
• Endspiel = ________________________________________________________________________________________<br />
• ersticktes Matt = __________________________________________________________________________________<br />
• Falle = ___________________________________________________________________________________________<br />
• Fesselung = ______________________________________________________________________________________<br />
• Freibauer = _______________________________________________________________________________________<br />
• Gabel = __________________________________________________________________________________________<br />
• Gambit = ________________________________________________________________________________________<br />
• Linie = ___________________________________________________________________________________________<br />
• matt = ___________________________________________________________________________________________<br />
• patt = ___________________________________________________________________________________________<br />
• Reihe = __________________________________________________________________________________________<br />
• Rochade = _______________________________________________________________________________________<br />
• Zugzwang = ______________________________________________________________________________________<br />
Anmerkung: Auf der Homepage sind die Begriffe erklärt.
36<br />
schulpraxis spezial<br />
Schachkenntnisse (Arbeitsblatt)<br />
Kreuze den Buchstaben der richtigen Antwort an!<br />
Aufgabe 1: Wie wird das Schachbrett aufgestellt?<br />
a) Die Spieler sitzen sich an den Spitzen des Brettes gegenüber wie beim Halma<br />
b) Die Spieler haben jeweils eine Seite des Schachbrettes vor sich, wobei sich ein weisses Feld in der rechten Ecke<br />
befindet.<br />
Aufgabe 2: Wie viele Felder hat ein Schachbrett?<br />
a) 64 b) 32 c) 80<br />
Aufgabe 3: Wo befindet sich der Damenflügel von Schwarz?<br />
a) Auf der linken Seite von Schwarz aus betrachtet<br />
b) Auf der rechten Seite von Schwarz aus betrachtet<br />
Aufgabe 4: Wie nennt man die Senkrechten auf einem Schachbrett?<br />
a) Diagonalen b) Linien c) Reihen<br />
Aufgabe 5: Was versteht man unter einer Gr<strong>und</strong>reihe?<br />
a) Die am tiefsten gelegene Reihe in einer Abfolge von Reihen<br />
b) Eine Reihe, auf der sich andere Reihen aufbauen<br />
c) Die erste beziehungsweise achte Reihe bei der Gr<strong>und</strong>aufstellung<br />
Aufgabe 6: Welche der folgenden Felderfolgen bilden eine Reihe?<br />
a) a5 – b6 – c7 – d8<br />
b) a2 – b2 – c2 – d2 – e2 – f2 – g2 – h2<br />
c) f1 – f2 – f3 – f4 – f5 – f6 – f7 – f8<br />
Aufgabe 7: Welche der folgenden Felderfolgen bilden eine Diagonale?<br />
a) g1 – g2 – g3 – g4 – g5 – g6 – g7 – g8<br />
b) e1 – f2 – g3 – h4<br />
c) a6 – b6 – c6 – d6 – e6 – f6 – g6 – h6<br />
Aufgabe 8: Welche der folgenden Felderfolgen bilden eine Linie?<br />
a) a3 – b4 – c5 – d6 – e7 – f8<br />
b) b1 – b2 – b3 – b4 – b5 – b6 – b7 – b8<br />
c) a3 – b3 – c3 – d3 – e3 – f3 – g3 – h3<br />
Aufgabe 9: Was bedeutet das Zeichen «x» bei der Partienotation?<br />
a) Schlägt b) Schachmatt c) Gibt Schach d) Gibt auf<br />
Aufgabe 10: Wie nennt man den Schnittpunkt der 5. Reihe mit der f-Linie?<br />
a) F5 b) 5f c) f5 d) 5F<br />
Aufgabe 11: Wie wird eine Schachpartie aufgeschrieben?<br />
a) Durch eine Stenoschrift<br />
b) Durch eine Notation<br />
c) Mittels ausführlichem Text<br />
37<br />
schulpraxis spezial<br />
Aufgabe 12: Was versteht man unter dem Zentrum auf einem Schachbrett?<br />
a) Alle Felder ausser der beiden Gr<strong>und</strong>reihen<br />
b) Die Felder e4 <strong>und</strong> d4<br />
c) Die Felder e4, d4, e5 <strong>und</strong> d5 d) Die Felder e5 <strong>und</strong> d5<br />
Aufgabe 13: Wie viele Bauern hat jeder Spielende zu Beginn einer Partie?<br />
a) 6 b) 8 c) 10 d) 16<br />
Aufgabe 14: Wie bewegt sich ein Bauer normalerweise?<br />
a) Zwei Felder geradeaus b) Ein Feld seitwärts c) Ein Feld geradeaus d) Ein Feld schräg vorwärts<br />
Aufgabe 15: Wie schlägt ein Bauer eine andere Figur oder einen Bauern?<br />
a) Indem er einen normalen Zug vorwärts macht<br />
b) Indem er einen Zug seitwärts macht<br />
c) Indem er ein Feld schräg nach vorne links zieht<br />
d) Indem er ein Feld schräg nach vorne rechts zieht<br />
e) Indem er ein Feld schräg nach vorne links oder rechts zieht<br />
Aufgabe 16: Wann darf der Bauer einen Doppelschritt ausführen?<br />
a) Jederzeit b) Nur von den Gr<strong>und</strong>stellung aus c) Nie<br />
Aufgabe 17: Was geschieht, wenn ein Bauer bis zur Gr<strong>und</strong>reihe des Gegners<br />
vordringt?<br />
a) Die betreffende Partei hat die Partie verloren<br />
b) Der Bauer kann sich in eine beliebige Figur verwandeln<br />
c) Der Bauer muss sich in eine Dame verwandeln<br />
d) Der Bauer kann sich in eine beliebige Figur ausser des Königs verwandeln<br />
Aufgabe 18: Wann darf ein Bauer auch einmal rückwärts ziehen?<br />
a) Wenn der Gegner es erlaubt b) Nie c) Wenn das Feld vor ihm besetzt ist<br />
Aufgabe 19: Dürfen zwei Bauern bei Partiebeginn gleichzeitig um einen Schritt anstatt der zwei Schritte vorwärts<br />
gezogen werden?<br />
a) Nein b) Ja, einmal c) Ja, sooft man will<br />
Aufgabe 20: Welcher Spieler eröffnet eine Schachpartie?<br />
a) Schwarz b) Weiss c) Dies bestimmt der Schiedsrichter<br />
Anmerkung: Auf der Homepage findet man die richtigen Lösungen.<br />
Weitere Arbeitsblätter sind auf der Homepage zu finden.
38<br />
schulpraxis spezial<br />
Literaturverzeichnis<br />
• DVD «Die Schachspielerin» (97 Minuten), CONCORDE<br />
• DVD «Harry Potter <strong>und</strong> der Stein der Weisen» (147 Minuten), WARNER BROS. PICTURES<br />
• DVD «Schachnovelle» (99 Minuten), ARTHAUS<br />
Geeignete Lehrmittel für den Schulunterricht<br />
Offizielle Lehrmittel des Schweizerischen Schachb<strong>und</strong>es:<br />
• «Schachschule» von Peter Thomas in deutscher <strong>und</strong> französischer Sprache<br />
• «Schachschule 2» von Richard Brömel <strong>und</strong> Gerhard Richter<br />
• «Schachtaktik» von Andrin Wüest<br />
• «Die Stufenmethode» (5 Stufen) von Rob Brunia <strong>und</strong> Cor van Wijgerden<br />
Bezug über www.chesspoint.ch oder info@chesspoint.ch<br />
Nützliche Schachsoftware<br />
• «Fritz & Fertig – Schach lernen <strong>und</strong> trainieren» (ab 6 Jahren)<br />
• «Fritz & Fertig – Schach im schwarzen Schloss» (ab 8 Jahren)<br />
• «Fritz & Fertig – Schach für Siegertypen» (ab 8 Jahren)<br />
Bezug über www.chessbase.ch oder info@chessbase.ch<br />
Sinnvolle Internet-Ressourcen<br />
Für Anfänger (ohne Downloadmöglichkeit; freier Zugang):<br />
• www.spiele.liliput.ch/schach/schach.aspx<br />
• www.kostenlos-online-spielen.com/spiel/schach<br />
• www.x-oo.com/shockwave/diverse/webchess<br />
• www.jetztspielen.de/spiele/schach/schach.html<br />
Mit kostenloser Anmeldung:<br />
• www.freechess.com<br />
Schachprogramme zum Download:<br />
• www.novabit.ch (Windows)<br />
• www.sigmachess.com (Mac)<br />
Interessante Links:<br />
• www.swisschess.ch<br />
• www.schach.ch<br />
• www.schachmatt.de<br />
• www.playsite.com (Englischkenntnisse von Vorteil)<br />
• www.sklistal.com/links/schach_online<br />
• www.reutlingen.netsurf.de/frolik/mega.html<br />
• www.schackportalen.nu/deutsch/dtranaschack.html<br />
• www.chess<strong>und</strong>ergro<strong>und</strong>.com/baw/inhalt.html<br />
Dankeschön<br />
39<br />
schulpraxis spezial<br />
Besten Dank<br />
dem Schweizerischen Schachb<strong>und</strong> (Breitenschachkommission),<br />
der Stiftung «ACCENTUS»,<br />
der Jugendschach Stiftung,<br />
ChessBase Schweiz <strong>und</strong> Chesspoint<br />
für die finanzielle Unterstützung bei der Realisierung dieser Schulpraxis <strong>und</strong> ein herzliches Merci an Renzo Guarisco für<br />
die Diagramme <strong>und</strong> an Fabian Kramer, Etienne Bütikofer <strong>und</strong> Franziska Schwab von <strong>LEBE</strong> für die angenehme, professionelle<br />
Zusammenarbeit <strong>und</strong> Unterstützung.<br />
Der Fonds <strong>SCHACH</strong> SCHWEIZ der gemeinnützigen Stiftung ACCENTUS unterstützt das<br />
Schachspiel in der Schweiz (www.accentus.ch).<br />
Unterstützungsanträge sind zu richten an:<br />
Stiftung ACCENTUS<br />
Fonds <strong>SCHACH</strong> SCHWEIZ<br />
Schanzeneggstrasse 3<br />
8070 Zürich oder info@accentus.ch
Lehrmittel & Spielmaterial für Schulkurse<br />
vom Schweizerischen Schachb<strong>und</strong> empfohlen<br />
www.chesspoint.ch<br />
CPS, Esther Schiendorfer, Bahnhofstr. 31, 4562 Biberist<br />
032 672 36 06 / info@chesspoint.ch<br />
Lehrmittel Arbeitshefte, Trainerbücher, CDs der „Stappenmethode“<br />
Lehrmittelreihe „Schachschule“ mit Tests <strong>und</strong> Ideen r<strong>und</strong> ums Schach<br />
Material Klappbretter/Figuren (strapazierfähig, auch mit Grossbuchstaben)<br />
Mechanische Uhren (ideal für erste Partien, freies Spiel)<br />
Demo-Brett (ideal für Gruppenunterricht)<br />
Formulare, Paarungsprogramm (für Schulturnier)<br />
Miete Garten-/Lebendschach, div. Spielmaterial z.B. für den Schlussevent<br />
Diplome Korrektur/Diplome (Motivation, Erfolgskontrolle)<br />
Vermittlung Hilfe bei der Vermittlung z.B. von Vereinen mit Jugendförderung,<br />
gemeinsames Turnier, Kursfortsetzung usw.<br />
Fritz & Fertig<br />
Der preisgekrönte Schachtrainer für Kinder (<strong>und</strong> Erwachsene) erobert die<br />
Herzen aller Schachliebhaber. Bei dieser multimedialen Umsetzung des<br />
Königsspiels stimmt einfach alles: Sie ist kindgerecht, witzig <strong>und</strong> didaktisch<br />
hochwertig. Strategisch denken lernen, kniffliges Gehirnjogging, spannende<br />
Wettkampfsituationen, jede Menge Spielspass <strong>und</strong> eine gehörige Portion Schachwissen – all das<br />
<strong>und</strong> mehr steckt in diesem ungewöhnlichen Schach-Adventure.<br />
Fritz & Fertig ist in vier Folgen erhältlich (auch in Mac-Version) – Preis Fr. 36.– (je Folge)