Der Airbus A380: Schmiedeteile können fliegen!
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REPORT<br />
<strong>Der</strong> <strong>Airbus</strong> <strong>A380</strong>:<br />
<strong>Schmiedeteile</strong> <strong>können</strong><br />
<strong>fliegen</strong>! Bild: <strong>Airbus</strong><br />
Horst Apholt, Hagen<br />
Die Böhler Schmiedetechnik GmbH & Co KG (nachfolgend<br />
BSTG) mit Sitz im österreichischen Kapfenberg hat sich mit<br />
hochwertigen Bauteilen für Flugzeug- und Triebwerkshersteller<br />
einen Namen gemacht. Auch im neuen <strong>Airbus</strong> <strong>A380</strong> steckt viel<br />
Für den Giganten der Lüfte, in dem bis zu<br />
853 Passagiere Platz haben, fertigt BSTG zum<br />
Beispiel Teile für das Bugfahrwerk oder die<br />
Aufhängung der Triebwerksgondeln. "Wir sehen<br />
uns als Spezialist für die Herstellung von<br />
hochbeanspruchten Schmiedestücken", sagt<br />
Heinz F. Romen-Kierner, Geschäftsführer der<br />
BSTG.<br />
Spezialprodukte fertigt das Unternehmen für<br />
die verschiedensten Anwendungsbereiche. Den<br />
bedeutendsten Markt stellt aber der Flugzeugund<br />
Triebwerksbau dar. Etwa 49 Prozent ma-<br />
chen Luftfahrtteile, wie Strukturelemente, Lande-<br />
und Steuerklappen und Getriebeteile aus.<br />
Hinzu kommen Turbinenscheiben für Flugzeugtriebwerke<br />
(14 Prozent), <strong>Schmiedeteile</strong> für<br />
stationäre Dampf- und Gasturbinen (18 Prozent)<br />
sowie andere Spezialschmiedestücke<br />
(19 Prozent). <strong>Der</strong> Vertrieb erfolgt weltweit.<br />
Etwas mehr als die Hälfte des Umsatzes wird in<br />
Europa erzielt, aber auch Nordamerika und<br />
Asien zählen zu den wichtigen Absatzmärkten.<br />
Für den <strong>Airbus</strong> <strong>A380</strong> werden Strukturbauteile<br />
produziert, die in besonders hoch belaste-<br />
Know-how des Unternehmens<br />
– für das neue Großflugzeug<br />
produziert BSTG eine Vielzahl<br />
unterschiedlicher Typen von<br />
<strong>Schmiedeteile</strong>n.<br />
ten Bereichen zum Einsatz kommen. "Im<br />
Einzelnen produzieren wir Slat Tracks; das<br />
sind Führungselemente, die den Vorflügel im<br />
Landeanflug steuern und fixieren. Hinzu<br />
kommen Strukturbauteile für das Seiten- und<br />
Höhenleitwerk sowie Führungs- und Antriebselemente<br />
für die Landeklappen", erklärt<br />
Christian Pehmer, Produktmanager Aerospace<br />
Structures. Für Triebwerke stellt BSTG<br />
zudem Turbinenscheiben her. Dabei unterscheidet<br />
man zwischen BLISKS, bei denen<br />
die Airfoils aus dem Vollen gefräst werden<br />
11 SCHMIEDE-JOURNAL MÄRZ 2006
Bugrad mit<br />
Führungen<br />
Triebwerksaufhängung<br />
und Scheiben, in welche einzelgefräste<br />
Schaufeln eingefügt werden.<br />
In den vergangenen Jahren haben sich die<br />
Abläufe deutlich verändert. War es früher so,<br />
dass der Kunde das Schmiedestück oftmals<br />
selbst ausgelegt hat, legt BSTG heute Wert<br />
darauf, als deren Hersteller von Anfang an in<br />
den Entwicklungsprozess eingebunden zu sein.<br />
"So erreichen wir eine den umformtechnischen<br />
SCHMIEDE-JOURNAL MÄRZ 2006<br />
REPORT<br />
Möglichkeiten orientierte Bauteilausführung",<br />
sagt Technologieleiter Werner Zechner. "Das,<br />
was wir früher vom Kunden zur Verfügung<br />
gestellt bekamen, war ein eher konservativ ausgelegtes<br />
Design mit viel Bearbeitungszugabe.<br />
Mit unseren technischen Möglichkeiten und<br />
unserem Know-how <strong>können</strong> wir als Hersteller<br />
dagegen viel stärker die hervorragenden Eigenschaften<br />
unserer Aggregate nutzen".<br />
12<br />
Vorflügel mit<br />
Slat Tracks<br />
Seitenleitwerk<br />
Gelenkteile<br />
Landeklappen<br />
Antrieb und Führung Strukturteile<br />
Turbinenscheiben Blisks<br />
Höhenleitwerk<br />
Gelenkteile<br />
BSTG verarbeitet verschiedene hochwertige<br />
Werkstoffe. Für die Luftfahrtindustrie und den<br />
Turbinenbau sind das die hochwarmfesten<br />
Nickelbasis-Legierungen Alloy 718, Alloy<br />
720, Alloy 625, Alloy 901, Alloy 80 A und<br />
Waspaloy. Für nicht thermisch hochbelastete<br />
Bauteile im Flugzeugbau, Turbinenbau oder<br />
für die medizinische Anwendung werden die<br />
Titanwerkstoffe Ti 6-4, Ti 10-2-3, Ti 4-4-2,<br />
Bild 2: Hochleistungs-Triebwerk GP7000 –<br />
leise und mit wegweisendem Wirkungsgrad<br />
Bild: Pratt & Whithney
REPORT<br />
Bild 3: Blick in den Werkzeugraum der 315 MN-Spindelpresse, ein Strukturbauteil für den<br />
Tragflügel aus Titan wird geschmiedet Bild: Böhler<br />
Ti 6-4 ELI, Ti 17, Ti 6-6-2, Ti 6-2-4-6 und<br />
Ti 6-2-4-2 geschmiedet. Für anspruchsvolle<br />
Bauteile des Maschinen- und Anlagenbaus<br />
verarbeitet das Unternehmen hochlegierte<br />
Stähle. Umgeformt werden zu 33 Prozent<br />
Stähle, zu 32 Prozent Titan- und zu 35<br />
Prozent Nickelbasis-Legierungen.<br />
Einen besonderen Schwerpunkt legt BSTG<br />
auch auf Werkstoffkompetenz. Das Unternehmen<br />
arbeitet permanent mit Wissenschaftlern<br />
der Montanuniversität Leoben, der<br />
Universität München und anderen Forschungseinrichtungen<br />
an der Weiterentwicklung<br />
bzw. der Formgebung von<br />
zukünftigen Werkstoffen zusammen.<br />
Die Entwicklung des bauteilbezogenen<br />
Fertigungsprozesses wird bei BSTG zu 100<br />
Prozent in Eigenregie abgewickelt. In enger<br />
Zusammenarbeit von Konstruktion, Entwicklung<br />
und Metallurgie werden die Gesenke für<br />
die jeweiligen Umformschritte ausgelegt. Für<br />
kritische Bauteile führt BSTG vor dem Fertigungsstart<br />
Computersimulationen des Umformvorgangs<br />
durch, womit die Entwicklungszeit<br />
verkürzt und die Herstellsicherheit<br />
wesentlich erhöht werden. Mit dem Einsatz<br />
von Finite-Elemente-Simulationen ist es<br />
möglich, den Prozess vorab im Computer so<br />
abzubilden, dass Fehler, wie z. B. Überlappungen,<br />
Überhitzung oder ungenügende<br />
Formfüllung ausgeschlossen werden <strong>können</strong>.<br />
Zudem erlauben diese Tools eine Optimierung<br />
des Einsatzgewichts und eine<br />
Vorhersage von umformtechnischen Parametern,<br />
wie Umformgrade, Schmiedestücktemperatur<br />
während der Umformung, Korngröße<br />
und Faserverlauf, die für die Qualität<br />
des fertigen Schmiedeteils von ausschlaggebender<br />
Bedeutung sind. Mit diesen<br />
Berechnungen <strong>können</strong> auch prozessbedingte<br />
Restspannungen in den <strong>Schmiedeteile</strong>n auf<br />
ein Minimum reduziert werden, was für die<br />
endformgebende mechanische Bearbeitung<br />
von entscheidender Bedeutung ist.<br />
"Bei rotationssymmetrischen Bauteilen,<br />
wie z. B. Triebwerksscheiben, ermöglicht<br />
diese Vorgangsweise außerdem eine gratlose<br />
Herstellung des Schmiedeteils und damit zusätzliche<br />
Einsparungen bei Material und<br />
Werkzeugen", erklärt Martin Stockinger,<br />
Leiter Entwicklung.<br />
Für die Fertigung der Gesenke sowie zur<br />
spanenden Bearbeitung von <strong>Schmiedeteile</strong>n<br />
stehen programmierbare Hochgeschwindigkeits-Fräsmaschinen<br />
zur Verfügung, die eine<br />
on-time-Bereitstellung der Werkzeuge und<br />
eine höhere Wertschöpfung bei den <strong>Schmiedeteile</strong>n<br />
ermöglichen.<br />
Um die Qualität kritischer Luftfahrtteile zu<br />
prüfen werden bei BSTG auch Ultraschallprüfung<br />
in Tauchtechnik, Farbeindringverfahren<br />
und Magnetpulverprüfung durchgeführt.<br />
Zur exakten Kontrolle der Schmiedeteil-Endgeometrie<br />
stehen mehrere 3-Koordinaten-Messmaschinen<br />
sowie eine berührungslose<br />
Lasermessmaschine zur Verfügung.<br />
Kernaggregate in der Produktion sind die<br />
weltweit größte Spindelpresse mit einer<br />
maximalen Presskraft von 315 MN mit vorgeschalteter<br />
Vorformstraße und Gesenkschmiedehämmer<br />
von 80 bis 350 Kilojoule<br />
Schlagenergie sowie mehrere Freiformhämmer.<br />
Auf diesen Schmiedeanlagen werden<br />
die technologisch anspruchsvollen Erzeugnisse<br />
in kleinen Seriengrößen und unter Einhaltung<br />
eines umfangreichen Systems zur<br />
Qualitätssicherung – wie etwa nach ISO<br />
9001 oder AS/EN 9100 bzw. nach spezifischen<br />
Qualitätsanforderungen der Kunden –<br />
gefertigt. BSTG ist von nationalen und internationalen<br />
Abnahmegesellschaften zertifiziert;<br />
eine Grundvoraussetzung, um auf<br />
diesem Sektor ein akzeptierter Partner zu<br />
sein.<br />
Investitionen stehen auch in naher Zukunft<br />
auf dem Programm. Ende 2006 soll eine weitere<br />
Spindelpresse mit einer Prellschlagkraft<br />
von 355 MN montiert sein und den Betrieb<br />
im April 2007 aufnehmen. "Mit diesem Jahrhundertprojekt<br />
fühlen wir uns für die<br />
Zukunft gut gerüstet", sagt der Produktionschef<br />
Johann Tockner. Die Chancen als<br />
weltweiter Lieferant für die Luftfahrtindustrie<br />
bewertet er trotz der zunehmenden<br />
Konkurrenz durch osteuropäische und<br />
asiatische Wettbewerber positiv. Romen-<br />
Kierner: "Diesen boomenden Markt <strong>können</strong><br />
wir nur bedienen, wenn wir uns ständig an<br />
der Spitze der technologischen Möglichkeiten<br />
bewegen. Wir arbeiten schon heute an<br />
den Folgemodellen Boeing Dreamliner 787<br />
und <strong>Airbus</strong> A350. Flexibilität und Qualität<br />
sowie die Bereitschaft zu Risk Sharing sind<br />
unsere stärksten Argumente". ■<br />
Erfolg mit Titan- und Nickelbasislegierungen<br />
Die moderne Gesenk- und Freiformschmiede<br />
Böhler Schmiedetechnik GmbH<br />
& Co KG beschäftigte 2004 insgesamt 348<br />
Mitarbeiter, erzielte einen Umsatz von rd.<br />
87 Mio. EUR Die 1991 gegründete Firma<br />
gehört zur Unternehmensgruppe Böhler<br />
Uddeholm AG und hat ihren Sitz in<br />
Kapfenberg/Österreich.<br />
Die drei zentralen Segmente der BSTG<br />
sind die Luftfahrt, der Turbinenbau und<br />
sonstige Spezialschmiedestücke. Die größten<br />
Kunden im Bereich Luftfahrt sind die<br />
Flugzeughersteller Boeing, <strong>Airbus</strong> (EADS),<br />
Bombardier, Embraer und deren Komponentenzulieferer<br />
sowie die Triebwerkshersteller<br />
General Electric, Volvo Aero, Snecma,<br />
MTU und Rolls Royce. Böhler beliefert<br />
sie mit Strukturteilen und Triebwerksscheiben<br />
aus Titanlegierungen, Nickelbasislegierungen<br />
und Luftfahrtstählen.<br />
Die Hauptprodukte des Segments Turbinenbau<br />
stellen präzisionsgeschmiedete<br />
Turbinenschaufeln für Dampfturbinen und<br />
für stationäre Gasturbinen dar. Die wichtigsten<br />
Kunden in diesem Bereich sind Siemens,<br />
Alstom, General Electric, Toshiba und<br />
Ansaldo. Nachfrage kommt zudem aus<br />
China und Osteuropa. Diese Wachstumsregionen<br />
verzeichnen einen enormen Energiebedarf<br />
und investieren daher verstärkt in den<br />
Kraftwerks- und Turbinenbau. Als wichtigste<br />
Produkte im Segment "Sonstige Spezialschmiedestücke"<br />
produziert das Unternehmen<br />
Schiffsdieselventile, Seilbahnklemmen<br />
und Schienenräder für Niederflurwagen.<br />
13 SCHMIEDE-JOURNAL MÄRZ 2006