ist das erlaubt? pressefreiheit in deutschland. - Politikorange.de
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*Deutschland nur auf Platz 20. Die<br />
Weltrangl<strong>ist</strong>e <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
frei?*<br />
*Was Schülerzeitungen auch nicht dürfen.<br />
Guter Rat <strong>in</strong> Sachen Presserecht.<br />
politikorange frei?*<br />
Herausgegeben von <strong>de</strong>r Jugendpresse Deutschland und<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>szentrale für politische Bildung<br />
W<strong>in</strong>ter 2007/2008<br />
*Auf <strong>de</strong>m Schnei<strong>de</strong>brett. Pressefreiheit <strong>in</strong><br />
Ch<strong>in</strong>a, Russland, Frankreich und an<strong>de</strong>rswo.
Seite 01: Vor <strong>de</strong>m Bran<strong>de</strong>nburger Tor: Ge<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>r Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen zu Ehren von ermor<strong>de</strong>ten<br />
Journal<strong>ist</strong>en: 2007 wur<strong>de</strong>n weltweit m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens 83 Journal<strong>ist</strong>en und 13 Medien-Ass<strong>ist</strong>enten getötet – weil sie auf Wahrheitssuche waren.<br />
Seite 02: Das po-Team dieser Ausgabe vor <strong>de</strong>m Hambacher Schloss.<br />
frei?* <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e Son<strong>de</strong>rausgabe <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Reihe politikorange<br />
und vertieft <strong>das</strong> Thema Pressefreiheit: Geschichte,<br />
Zustand und Aussichten <strong>in</strong> Deutschland und weltweit.<br />
Anlass war e<strong>in</strong>e Tagung zur 175-Jahrfeier <strong>de</strong>s Hambacher<br />
Festes 1832 <strong>in</strong> Neustadt an <strong>de</strong>r We<strong>in</strong>straße und auf<br />
<strong>de</strong>m Hambacher Schloss. Die Redaktion hat unabhängig<br />
gearbeitet und konnte frei ihre Themen setzen.<br />
Alle namentlich gezeichneten Artikel geben die<br />
Me<strong>in</strong>ungen <strong>de</strong>r Verfasser wie<strong>de</strong>r und stimmen nicht<br />
zwangsläufig mit <strong>de</strong>n Auffassungen <strong>de</strong>r Herausgeber<br />
und F<strong>in</strong>anziers übere<strong>in</strong>. Für Inhalte genannter L<strong>in</strong>ks<br />
übernimmt die Redaktion ke<strong>in</strong>e Haftung. E<strong>in</strong>e Onl<strong>in</strong>e-<br />
Version gibt es unter www.politikorange.<strong>de</strong>.<br />
Diese Ausgabe entstand mit freundlicher und geduldiger<br />
Unterstützung <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>szentrale für politische Bildung.<br />
XXXXXXX<br />
Überblick<br />
DeutschlanD auf Platz 20 / s. 04<br />
In wIrklIchkeIt eIn fehlschlag / s. 05<br />
heIss begehrt unD kalt erwIscht / s. 06<br />
Da war noch eIn gast: stasI 2.0? / s. 07<br />
Inland<br />
cIcero hInterlässt seIne sPuren / s. 09<br />
„MIt Der PressefreIheIt begInnt DIe<br />
DeMokratIe“ / s. 10<br />
Interview mit <strong>de</strong>m SZ-Journal<strong>ist</strong>en Heribert Prantl<br />
russlanDDeutsche<br />
als „lanDPlage“ / s. 11<br />
Freiwillige Selbstkontrolle <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Presserats<br />
Das korsett Der gesetze unD wIe eng es<br />
geschnürt wIrD / s. 12<br />
DIe Macht Des eDDIngs / s. 13<br />
QualItät hat Ihren PreIs / s. 14<br />
Ausland<br />
„tabu Ist, was DIe regIerung als tabu<br />
bezeIchnet / s. 19<br />
E<strong>in</strong> Interview mit Harald Maas über Pressearbeit <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />
weltranglIste PressefreIheIt / s. 19<br />
In stänDIger gefahr / s. 20<br />
Medien <strong>in</strong> Afghan<strong>ist</strong>an<br />
wenn sIch journalIsten unD solDaten<br />
Das zelt teIlen / s. 21<br />
Embed<strong>de</strong>d journalism
editorial<br />
Pressefreiheit be<strong>de</strong>utet Freiheit und Verpflichtung zugleich. Leser<strong>in</strong>nen und Leser müssen sich darauf verlassen können, <strong>das</strong>s<br />
stimmt, was sie <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Medien erfahren und <strong>das</strong>s es von Journal<strong>ist</strong>Innen objektiv und unabhängig bewertet wird. Zugleich<br />
müssen sie sicher se<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s sie sich auch wehren können gegen unlautere Darstellung. Journal<strong>ist</strong>Innen wie<strong>de</strong>rum müssen sich<br />
frei <strong>in</strong>formieren können, we<strong>de</strong>r staatliche noch an<strong>de</strong>re Institionen o<strong>de</strong>r E<strong>in</strong>zelpersonen dürfen ihnen Hür<strong>de</strong>n aufbauen o<strong>de</strong>r<br />
Druck auf sie ausüben. Und die Medienvertreter müssen sicher se<strong>in</strong> können, <strong>das</strong>s ihre Quellen geschützt s<strong>in</strong>d, also ke<strong>in</strong>erlei<br />
Repressionen erfahren. Doch Pressefreiheit hat auch noch viele an<strong>de</strong>re Aspekte. Das reicht bis <strong>in</strong> die Journal<strong>ist</strong>enausbildung<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Nehmen Verleger sie noch ernst? O<strong>de</strong>r übernehmen Praktikanten immer mehr Profi-Jobs? Und wie <strong>ist</strong> <strong>das</strong> eigentlich<br />
mit <strong>de</strong>n Bloggern? Gilt für die <strong>de</strong>r ‚Ehrenko<strong>de</strong>x‘ <strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong>enverbän<strong>de</strong> ebenso?<br />
In Deutschland beg<strong>in</strong>nt die Geschichte von Pressefreiheit mit <strong>de</strong>m Hambacher Fest vor 175 Jahren. Anlass für politikorange<br />
e<strong>in</strong>e Bestandsaufnahme zu versuchen. E<strong>in</strong> junges Team aus zwei Dutzend jungen Autor<strong>in</strong>nen und Autoren traf sich geme<strong>in</strong>sam<br />
mit Medien-Experten im Hambach-nahen Neustadt an <strong>de</strong>r We<strong>in</strong>straße und forschte von dort aus <strong>in</strong> alle Welt. Wieso<br />
steht Deutschland ‚nur‘ auf Platz 20 <strong>de</strong>r ‚pressefre<strong>ist</strong>en‘ Län<strong>de</strong>r? Und wie <strong>ist</strong> es um Pressefreiheit an<strong>de</strong>rswo bestellt? Diese<br />
Son<strong>de</strong>rausgabe <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Reihe politikorange mit <strong>de</strong>m Titel „frei?*“ wur<strong>de</strong> geduldig unterstützt von <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>szentrale für politische<br />
Bildung. Ihr und allen Mitakteuren und Helfern sagen wir ganz lieben Dank für ihr Vertrauen. Und wir geben etwas<br />
abgewan<strong>de</strong>lt gerne <strong>das</strong> mit auf <strong>de</strong>n Weg, was Hanns Joachim Friedrichs wegweisend als ‚Pressepflicht‘ betont hat: E<strong>in</strong> guter<br />
Reporter darf sich nicht geme<strong>in</strong> machen mit <strong>de</strong>r Sache, worüber er schreibt. Außer mit <strong>de</strong>r Pressefreiheit – und allen Rechten<br />
und Pflichten, die sie mit sich br<strong>in</strong>gt. Und genau <strong>das</strong> hat „frei?“ vor.<br />
PaPIer-krIeg / s. 21<br />
Islamismus und Pressefreiheit<br />
hIMMelhoch jauchzenD / s. 22<br />
Pressefreiheit <strong>in</strong> Tschetschenien<br />
russlanDs beschwerlIcher weg / s. 22<br />
hart an Der grenze / s. 23<br />
Pressefreiheit <strong>in</strong> Belarus<br />
„DIe lIzenz läuft ab“ / s. 25<br />
Pressefreiheit <strong>in</strong> Venezuela<br />
auf DeM schneIDebrett / s. 26<br />
Pressefreiheit <strong>in</strong> Polen<br />
angeschwIPste PräsIDenten / s. 27<br />
Pressefreiheit <strong>in</strong> Frankfreich<br />
Schülerzeitung/<br />
Internet/Rechte<br />
auch Das noch: knutschverbot versus<br />
PressefreIheIt / s. 16<br />
guter rat für<br />
schülerzeItungsreDakteure / s. 17<br />
Interview mit Johannes Weberl<strong>in</strong>g, Rechtsanwalt und<br />
Spezial<strong>ist</strong> für Presserecht<br />
DIe ultIMatIve PressefreIheIt / s. 28<br />
Neonazis und die Nichtzensur auf YouTube<br />
suPerstars MIt realItätsverlust / s. 29<br />
Knebelverträge für Fotografen<br />
DIe grunDgesetze Des journalIsMus / s. 30<br />
haMbacher aPPell 2007 / s. 31<br />
wozu PressefreIheIt? / s. 31<br />
herausgeber und redaktion politikorange – Netzwerk<br />
Demokratieoffensive (c/o) Jugendpresse Deutschland e.V.,<br />
Wöhlerstraße 18, D-10115 Berl<strong>in</strong> / www.jugendpresse.<strong>de</strong><br />
team Alexan<strong>de</strong>r Bartl, Julia Becker, Daniel Bouhs, Andreas Braun, Ulrike<br />
Franke, Magdalena Fröhlich, Anne Fromm, Sabr<strong>in</strong>a Gun<strong>de</strong>rt, Franka Henn,<br />
Moritz Alexan<strong>de</strong>r Heiser, Tanja Hilse, Nicole H<strong>in</strong>z , Theresia Keupp,<br />
Jonny Krüger, Holger Kulick, Hannah Laubenthal, Sebastian Olényi,<br />
David Sarkar, Eva-Maria Senftleben, Ma<strong>de</strong>le<strong>in</strong>e Warsitz, Franziska Walther,<br />
Franziska Wen<strong>de</strong>, Kathar<strong>in</strong>a Wisotzki, Mart<strong>in</strong> Wohlrabe, Jan Laboranowitsch,<br />
Saskia Scheiba, Ges<strong>in</strong>e Attrodt, u.a.m.<br />
redaktionsleitung endredaktion<br />
Holger Kulick (holger.kulick@ama<strong>de</strong>u-antonio-stiftung.<strong>de</strong>) und<br />
Ma<strong>de</strong>le<strong>in</strong>e Warsitz (ma<strong>de</strong>le<strong>in</strong>e_warsitz@yahoo.<strong>de</strong>)<br />
redaktionsleitung hambacher schloss Ausland: Daniel Bouhs,<br />
Anne Fromm, Inland: Holger Kulick, Mart<strong>in</strong> Wohlrabe<br />
fotos Holger Eckermann,Denis Fengler, savethechildren.<strong>de</strong>, <strong>in</strong>dymedia.org,<br />
ORF/3sat<br />
layout Florian Hirsch (f.hirsch@jugendpresse.<strong>de</strong>)<br />
Druck Druck− und Pressehaus Naumann GmbH & Co. KG, Gelnhausen<br />
20.000 Exemplare<br />
organisation Kr<strong>ist</strong><strong>in</strong> Horn (JPD)/ Anne Haemig, Barbara Lich (bpb)<br />
tagungsvranstalter: DJV, bpb und Lan<strong>de</strong>szentrale für politisvche Bildung<br />
Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz
überblick<br />
Mehr unter www.reporter-ohne-grenzen.<strong>de</strong>.<br />
R<br />
OG, <strong>das</strong> <strong>ist</strong> <strong>das</strong> Kürzel für die Journal<strong>ist</strong>en-<br />
Hilfsorganisation “Reporter ohne Grenzen”.<br />
ROG hat Mitte Oktober 2007 zum<br />
sechsten Mal die Weltrangl<strong>ist</strong>e <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
veröffentlicht. Dazu vergleichen Experten die Lage<br />
<strong>de</strong>r Medienfreiheit <strong>in</strong> 169 Län<strong>de</strong>rn nach 50 festen<br />
Kriterien. Die 14 bestplatzierten Län<strong>de</strong>r liegen <strong>in</strong><br />
Europa. Die unteren 20 Ränge belegen sieben asiatische<br />
Län<strong>de</strong>r, fünf afrikanische Staaten , vier aus<br />
<strong>de</strong>m Nahen Osten sowie Kuba („Tabelle“ siehe S.19).<br />
„Bedauerlich <strong>ist</strong>, <strong>das</strong>s Ch<strong>in</strong>a (163.) noch immer ganz<br />
unten steht. Kurz vor <strong>de</strong>n Olympischen Spielen <strong>in</strong><br />
Pek<strong>in</strong>g <strong>ist</strong> es fraglich, ob die so oft versprochenen<br />
Reformen umgesetzt und <strong>in</strong>haftierte Journal<strong>ist</strong>en<br />
freigelassen wer<strong>de</strong>n“, so ROG. Dass Eritrea mit<br />
Nordkorea am En<strong>de</strong> steht, hat handfeste Grün<strong>de</strong>.<br />
Private Medien gibt es dort nicht mehr und die wenigen<br />
Journal<strong>ist</strong>en, die es wagen <strong>das</strong> Regime Assaias<br />
Afeworkis zu kritisieren lan<strong>de</strong>n im Gefängnis. Vier<br />
von ihnen starben <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Haft.<br />
Nur zwei G8-Staaten s<strong>in</strong>d unter <strong>de</strong>n ersten 20 <strong>de</strong>r<br />
Rangl<strong>ist</strong>e: Kanada (18.) und Deutschland (20.). An<br />
<strong>de</strong>r Lage <strong>in</strong> Deutschland hat sich wenig geän<strong>de</strong>rt.<br />
Erneute Ermittlungsverfahren gegen Journal<strong>ist</strong>en<br />
wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat, gesetzliche<br />
Regelungen und Vorschläge, die <strong>de</strong>n Quellenschutz<br />
aushöhlen, Drohungen und Übergriffe gegen Journal<strong>ist</strong>en,<br />
die im rechten Milieu recherchieren sowie<br />
E<strong>in</strong>flussnahme auf Redaktionen durch Anzeigenschaltungen<br />
haben zu M<strong>in</strong>us-Punkten geführt.<br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008<br />
Überblick<br />
DEUTSCHLAND AUF PLATZ 20<br />
Die neue Weltrangl<strong>ist</strong>e <strong>de</strong>r Pressefreiheit. Von Katr<strong>in</strong> Evers, Reporter ohne Grenzen<br />
Die Vere<strong>in</strong>igten Staaten rangieren auf Platz 48.<br />
Der Blogger Josh Wolf kam nach 224 Tagen Haft<br />
frei.Er hatte sich geweigert, <strong>de</strong>r Justiz Vi<strong>de</strong>obän<strong>de</strong>r<br />
von G8.-Proteste zu übergeben. Der sudanesische<br />
Kameramann von Al-Dschasira, Sami Al-Haj, wird<br />
seit Juni 2002 <strong>in</strong> Guantanamo festgehalten. Im<br />
August dieses Jahres wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong> Chauncey<br />
Bailey <strong>in</strong> Oakland erschossen. Der Quellenschutz<br />
<strong>ist</strong> weiterh<strong>in</strong> gefähr<strong>de</strong>t.<br />
Italien blieb auf Rang 40, auch wenn Journal<strong>ist</strong>en<br />
weiterh<strong>in</strong> von <strong>de</strong>r Mafia bedroht und<br />
nicht überall ohne Gefahr arbeiten können. In<br />
Japan (37.) haben die Angriffe auf die Presse<br />
durch militante National<strong>ist</strong>en nachgelassen; <strong>das</strong><br />
Land <strong>ist</strong> um 14 Ränge gestiegen. In Russland<br />
(144.) s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Fortschritte zu verzeichnen. Der<br />
Mord an Anna Politkowskaja im Oktober 2006<br />
und die mangeln<strong>de</strong> Aufklärung <strong>de</strong>s Verbrechens<br />
sowie die abnehmen<strong>de</strong> Vielfalt vor allem bei <strong>de</strong>n<br />
Nachrichtenmedien wiegen hier schwer.<br />
eu-schlusslIchter bulgarIen unD Polen<br />
Die Mitgliedslän<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r EU s<strong>in</strong>d unter <strong>de</strong>n<br />
ersten 50 – mit Ausnahme von Bulgarien (51.)<br />
und Polen (56.). In Sofia laufen Journal<strong>ist</strong>en<br />
Gefahr, wegen kritischer Berichte attackiert zu<br />
wer<strong>de</strong>n. Das Klima hat sich weiter aufgeheizt,<br />
weil die Anklage gegen Poliz<strong>ist</strong>en fallengelassen<br />
wur<strong>de</strong>, die e<strong>in</strong>en Journal<strong>ist</strong>en zusammen<br />
geschlagen hatten. In Polen weigern sich die<br />
Behör<strong>de</strong>n, Pressevergehen zu entkrim<strong>in</strong>alisieren;<br />
Journal<strong>ist</strong>en erhalten häufig Bewährungsstrafen.<br />
Die Län<strong>de</strong>r Nor<strong>de</strong>uropas schnei<strong>de</strong>n wie auch<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>n vergangenen Jahren am besten ab. Die<br />
Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d vom ersten auf <strong>de</strong>n<br />
zwölften Platz abgerutscht. Zwei Journal<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>r<br />
Tageszeitung „De Telegraaf“ wur<strong>de</strong>n zwei Tage<br />
<strong>in</strong> Gewahrsam genommen, da sie sich weigerten,<br />
<strong>de</strong>n Justizbehör<strong>de</strong>n ihre Quellen zu nennen.<br />
Dänemark zählt wie<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>n Spitzenreitern.<br />
Der Streit um die Mohammed-Karikaturen <strong>ist</strong><br />
been<strong>de</strong>t. Die Journal<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>r Tageszeitung „Berl<strong>in</strong>gske<br />
Ti<strong>de</strong>n<strong>de</strong>“ wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>m Vorwurf <strong>de</strong>r<br />
„Gefährdung <strong>de</strong>r Staatssicherheit“ freigesprochen.<br />
In Spanien (33.) hat die baskische Separat<strong>ist</strong>engruppe<br />
ETA ihren Waffenstillstand<br />
gebrochen. Daher schw<strong>in</strong><strong>de</strong>t die Hoffung, <strong>das</strong>s<br />
Journal<strong>ist</strong>en wie<strong>de</strong>r frei von Drohungen und<br />
Angst vor Gewalt arbeiten können. Viele Journal<strong>ist</strong>en<br />
haben Polizeischutz.<br />
Die Türkei <strong>ist</strong> neben Russland <strong>das</strong> e<strong>in</strong>zige Land<br />
Europas, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m e<strong>in</strong> Journal<strong>ist</strong> ermor<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>.<br />
Hrant D<strong>in</strong>k, Herausgeber <strong>de</strong>r armenisch-türkischen<br />
Zeitung „Agos“, wur<strong>de</strong> im Januar 2007<br />
von radikalen National<strong>ist</strong>en erschossen. Auch<br />
wiegt <strong>de</strong>r §301 <strong>de</strong>s Strafgesetzbuches, <strong>de</strong>r die<br />
Beleidigung <strong>de</strong>s Türkentums unter Strafe stellt,<br />
nach wie vor schwer.<br />
Mehrere Län<strong>de</strong>r s<strong>in</strong>d auf <strong>de</strong>r aktuellen L<strong>ist</strong>e<br />
abgestiegen, da sie <strong>de</strong>n freien Informationsfluss im<br />
Internet beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn und kritische Autoren verhaftet<br />
haben. Beispiele s<strong>in</strong>d Malaysia (124.), Thailand<br />
(135.), Vietnam (162.) und Ägypten (146.)<br />
„Das Internet wird stärker zensiert“, so ROG.<br />
„Mehr und mehr Regierungen erkennen die<br />
Schlüsselrolle <strong>de</strong>s Webs im Kampf für Demokratie<br />
und entwickeln immer ausgefeiltere Zensurmetho<strong>de</strong>n“.<br />
M<strong>in</strong><strong>de</strong>stens 64 Menschen waren im<br />
Herbst 2007 weltweit wegen Veröffentlichungen<br />
im Internet im Gefängnis. Ch<strong>in</strong>a bleibt mit 50 Inhaftierten<br />
Vorreiter bei dieser Form <strong>de</strong>r Unterdrückung.<br />
Acht Internetdissi<strong>de</strong>nten wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rzeit<br />
<strong>in</strong> Vietnam festgehalten. In Ägypten erhielt <strong>de</strong>r<br />
Blogger Kareem Amer vier Jahre Haft, da er Präsi<strong>de</strong>nt<br />
Mubarak und <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>fluss <strong>de</strong>s Islam an <strong>de</strong>n<br />
Universitäten kritisiert hatte. Doch es gibt auch<br />
Aufstiege zu verzeichnen. Nepal (137.) kletterte<br />
um 20 Ränge. Nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Bürgerkrieges<br />
entwickelt sich <strong>das</strong> Land <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>mokratische<br />
Richtung. Grundfreiheiten s<strong>in</strong>d wie<strong>de</strong>r gewährle<strong>ist</strong>et<br />
und Medien können frei berichten. Doch<br />
e<strong>in</strong>e Garantie für e<strong>in</strong>e sichere Zukunft <strong>ist</strong> <strong>das</strong> noch<br />
nicht. Beispiel Pak<strong>ist</strong>an: Dort wur<strong>de</strong> En<strong>de</strong> 2007<br />
die Pressefreiheit weiter e<strong>in</strong>geschränkt, Kritik am<br />
Präsi<strong>de</strong>nten wur<strong>de</strong> verboten.<br />
Empf<strong>in</strong>dliche Grundrechte: Gläserne Grundgesesetzestafel<br />
vor <strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>stag <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>.<br />
4
5 frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008 rückblick<br />
H<strong>ist</strong>orie<br />
IN WIRKLICHKEIT EIN FEHLSCHLAG<br />
Wie <strong>in</strong> Deutschland die Pressefreiheit begann: „Ehre, Freiheit und Vaterland“ –<br />
E<strong>in</strong> kurzer Ausflug <strong>in</strong> die Geschichte <strong>de</strong>s Hambacher Fests. Von Saskia Scheiba<br />
D<br />
iese Geschichte beg<strong>in</strong>nt 411 v. Chr. <strong>in</strong><br />
Athen mit <strong>de</strong>r Verbrennung von Büchern<br />
<strong>de</strong>s Philosophen Protagoras, <strong>de</strong>r<br />
sich kritisch gegen die herkömmliche Vorstellung<br />
von Göttern äußerte. Auch <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a wollte man<br />
sich 213 v. Chr. <strong>de</strong>r Lehren <strong>de</strong>s Religionsstifters<br />
Konfuzius entledigen, da dieser die Menschen zu<br />
Harmonie und Gleichmut aufrief. Se<strong>in</strong>e Anhänger<br />
wur<strong>de</strong>n verfolgt und h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Erste Form <strong>de</strong>r Zensur: Bis zum Mittelalter<br />
gab es die Zensur <strong>in</strong> großem Maßstab nicht, da<br />
e<strong>in</strong> schneller Informationsaustausch aufgrund<br />
<strong>de</strong>r unzureichen<strong>de</strong>n technischen und organisatorischen<br />
Mittel nicht möglich war. Erst im zweiten<br />
Jahrtausend n. Chr. sorgten Boten für e<strong>in</strong>e schnelle<br />
Informationsweiterleitung zwischen Königen,<br />
Fürsten und später auch <strong>de</strong>n Kaufleuten. Das<br />
Problem war, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> e<strong>in</strong>fache Volk auf Reisen<strong>de</strong><br />
und Schauspieler angewiesen war, die ihnen zwar<br />
neue Informationen aus aller Welt übermittelten,<br />
diese jedoch me<strong>ist</strong> fragwürdig waren. Durch diese<br />
mündliche Verfälschung entstand e<strong>in</strong>e frühe „nicht<br />
gesetzlich festgelegte“ Form <strong>de</strong>r Zensur.<br />
Den ersten Schritt zu e<strong>in</strong>er so genannten Informationsgesellschaft<br />
machte Mart<strong>in</strong> Luther zur<br />
Zeit <strong>de</strong>r Reformation, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m er mit se<strong>in</strong>er Übersetzung<br />
<strong>de</strong>r Bibel und <strong>de</strong>ren weitere Verbreitung<br />
für e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>heitlichung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Sprache<br />
sorgte. Für <strong>de</strong>n zweiten Schritt <strong>ist</strong> Johannes Gutenberg<br />
Mitte <strong>de</strong>s 15. Jahrhun<strong>de</strong>rts verantwortlich.<br />
Er schuf die Voraussetzung für die Buchdruckkunst<br />
mit se<strong>in</strong>er Erf<strong>in</strong>dung <strong>de</strong>s Druckverfahrens<br />
mit beweglichen Lettern. Daher war es im 17.<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rt erstmals im <strong>de</strong>utschsprachigen Raum<br />
möglich, e<strong>in</strong>e Zeitung herauszugeben, <strong>de</strong>ren<br />
öffentliche Verlesung für e<strong>in</strong>e frühe Nachrichtenkultur<br />
verantwortlich war.<br />
Nach<strong>de</strong>m 1776 die USA als erstes Land die Pressefreiheit<br />
als e<strong>in</strong> „unveräußerliches Menschenrecht“<br />
<strong>de</strong>klarierten und Frankreich 1789 damit folgte,<br />
garantierten nun auch die Deutsche Bun<strong>de</strong>sakte<br />
1815 die jur<strong>ist</strong>ische Pressefreiheit. Doch kurz<br />
danach, nämlich 1819, wird durch die Karlsba<strong>de</strong>r<br />
Beschlüsse e<strong>in</strong>e Wie<strong>de</strong>re<strong>in</strong>führung <strong>de</strong>r Zensur<br />
<strong>in</strong> Kraft gesetzt. Die bei <strong>de</strong>r Julirevolution 1830<br />
festgelegte weitere E<strong>in</strong>schränkung bürgerlicher<br />
Rechte und e<strong>in</strong>e noch strengere Zensur führten<br />
1832 zum Höhepunkt <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
– <strong>de</strong>m Hambacher Fest.<br />
PerManente zensur<br />
als Motor Der Protestbewegung<br />
Als Reaktion auf diese E<strong>in</strong>engung, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r auch e<strong>in</strong><br />
allgeme<strong>in</strong>es Druckverbot enthalten war, grün<strong>de</strong>ten<br />
die Publiz<strong>ist</strong>en Philipp Jakob Siebenpfeiffer und<br />
Johann Georg August Wirth im Februar 1832 <strong>de</strong>n<br />
„Deutschen Preß-und Vaterlandsvere<strong>in</strong>“. Der fränkische<br />
Journal<strong>ist</strong> Wirth war En<strong>de</strong> 1831 <strong>in</strong> die bayerische<br />
Pfalz gekommen, da er sich hier aufgrund<br />
<strong>de</strong>r politischen Verhältnisse bessere Entfaltungsmöglichkeiten<br />
für se<strong>in</strong>e Arbeit erhoffte. Se<strong>in</strong>e liberal<strong>de</strong>mokratische<br />
Zeitung „Deutsche Tribüne“ bekam<br />
jedoch sofort Ärger mit <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n. Ähnliches<br />
musste auch <strong>de</strong>r Verwaltungsjournal<strong>ist</strong> Siebenpfeiffer<br />
erfahren, <strong>de</strong>r 1830 wegen se<strong>in</strong>er journal<strong>ist</strong>ischen<br />
Tätigkeiten von se<strong>in</strong>em Posten als „königlich-bairischer-Land-Commissär“<br />
(heute: Landrat) suspendiert<br />
wur<strong>de</strong>. Se<strong>in</strong>e Zeitschriften „Rhe<strong>in</strong>bayern“<br />
und „Der Westbote“ wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n<br />
verboten – ebenso wie die Veröffentlichungen von<br />
Wirth. Im März 1832 wur<strong>de</strong> dieser verhaftet und<br />
vom Appellationsgericht wegen Hochverrats angeklagt<br />
– doch er wur<strong>de</strong> freigesprochen. War dies e<strong>in</strong><br />
Sieg? Auf je<strong>de</strong>n Fall suchte <strong>de</strong>r „Preßvere<strong>in</strong>“ nun<br />
nach neuen Wegen (etwa mit Flugschriften und<br />
Die erste ‚Deutschlandfahne‘ von 1832, ausgestellt<br />
im Hambacher Schloss.<br />
Maueranschlägen), um die Kritik <strong>de</strong>r Liberalen<br />
ans Volk zu br<strong>in</strong>gen. Allerd<strong>in</strong>gs mit wenig Erfolg,<br />
da die Regierung die Flugblätter konfiszierte und<br />
die Maueranschläge immer wie<strong>de</strong>r abreißen ließ. So<br />
kam es, <strong>das</strong>s Siebenpfeiffer am 20. April 1832 e<strong>in</strong>e<br />
Anzeige <strong>in</strong> <strong>de</strong>r „Neuen Speyerer Zeitung“ aufgab,<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>r es hieß: „Der Deutsche Mai soll als Ausdruck<br />
<strong>de</strong>s Kampfes für Abschüttelung <strong>in</strong>nerer und<br />
äußerer Gewalt gefeiert wer<strong>de</strong>n.“ Dieses Volksfest<br />
sollte im damaligen Neustadt an <strong>de</strong>r Haardt (heute:<br />
Neustadt an <strong>de</strong>r We<strong>in</strong>straße) auf <strong>de</strong>m Hambacher<br />
Schloss stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>n. 30.000 Teilnehmer, vor allem<br />
aus <strong>de</strong>m Besitz- und Bildungsbürgertum (Kaufleute,<br />
Ärzte, Handwerker), aber auch Bauern, W<strong>in</strong>zer<br />
und Stu<strong>de</strong>nten erschienen aus allen größeren<br />
<strong>de</strong>utschen, französischen und polnischen Städten<br />
zum Treffen. Ihre Hauptfor<strong>de</strong>rungen waren Freiheit<br />
(Presse-, Me<strong>in</strong>ungs- und Versammlungsfreiheit),<br />
Bürgerrechte, nationale E<strong>in</strong>heit <strong>de</strong>s Vaterlan<strong>de</strong>s,<br />
Volkssouveränität und religiöse Toleranz. H<strong>in</strong>zu<br />
kam, <strong>das</strong>s man die „Wie<strong>de</strong>rgeburt <strong>de</strong>s Vaterlan<strong>de</strong>s“<br />
herbeiführen wollte.<br />
Obwohl <strong>das</strong> Hambacher Fest als „Wiege <strong>de</strong>r<br />
Demokratie“ allgeme<strong>in</strong> bekannt <strong>ist</strong>, wissen die<br />
me<strong>ist</strong>en nicht, <strong>das</strong>s dieses <strong>in</strong> Wirklichkeit e<strong>in</strong><br />
Fehlschlag war. Tatsache <strong>ist</strong>, <strong>das</strong>s die Menschen<br />
vor <strong>de</strong>m Fest e<strong>in</strong>en größeren Freiheitsspielraum<br />
besaßen. Im Scheitern <strong>de</strong>r Revolution von 1848/49<br />
setzte sich diese Erfahrung fort. So entsprach<br />
auch <strong>das</strong> national<strong>ist</strong>ische Deutsche Reich von<br />
1871 ebenfalls nicht <strong>de</strong>n I<strong>de</strong>alen <strong>de</strong>r Hambacher<br />
Liberalen. Erst 87 Jahre nach <strong>de</strong>m Hambacher<br />
Fest, im Rahmen <strong>de</strong>r Weimarer Verfassung, wur<strong>de</strong>n<br />
viele For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Hambacher Demonstranten<br />
verwirklicht – allerd<strong>in</strong>gs nur etwa zehn<br />
Jahre lang, dann machte Hitler <strong>de</strong>n errungenen<br />
Freiheitsrechten <strong>de</strong>n Garaus. Und <strong>de</strong>r Traum <strong>de</strong>r<br />
Hambacher Demonstranten von e<strong>in</strong>em freien und<br />
e<strong>in</strong>igen Deutschland? Dieser g<strong>in</strong>g im Pr<strong>in</strong>zip erst<br />
168 Jahre nach <strong>de</strong>m Hambacher Fest <strong>in</strong> Erfüllung.<br />
Zum e<strong>in</strong>en mit <strong>de</strong>r Aufhebung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />
Teilung im Oktober 1990 und zum an<strong>de</strong>ren<br />
mit <strong>de</strong>r Übertragung <strong>de</strong>r Freiheitsrechte, die <strong>das</strong><br />
Grundgesetz garantiert, auch auf Ost<strong><strong>de</strong>utschland</strong>.<br />
Nun stehen sie für je<strong>de</strong>rmann <strong>in</strong> Deutschland auf<br />
<strong>de</strong>m Papier. Doch verteidigt und mit Inhalt gefüllt<br />
wer<strong>de</strong>n müssen sie täglich neu.
umfrage<br />
H<br />
eute <strong>ist</strong> die Pressefreiheit<br />
<strong>in</strong> Deutschland<br />
durch <strong>das</strong> Grundgesetz<br />
gewährle<strong>ist</strong>et. Doch nach wie vor<br />
gibt es H<strong>in</strong><strong>de</strong>rnisse, Zweifel, und<br />
Misstrauen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r Medien.<br />
Was <strong>ist</strong> heute, 175 Jahre nach <strong>de</strong>m<br />
Hambacher Fest, noch übrig vom<br />
Freiheitsdrang <strong>de</strong>r Menschen? S<strong>in</strong>d<br />
die Bürger <strong>in</strong> Zeiten, wo Deutschland<br />
im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich<br />
von „Reporter ohne Grenzen“<br />
immer weiter abrutscht, wachsam<br />
o<strong>de</strong>r bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art<br />
Schlafzustand?<br />
175 Jahre nach <strong>de</strong>m Hambacher<br />
Fest, <strong>de</strong>r größten Demonstration<br />
für e<strong>in</strong>e freie Presse <strong>in</strong> Deutschland,<br />
<strong>ist</strong> klar, welche enorme Be<strong>de</strong>utung<br />
die Pressefreiheit für die öffentliche<br />
Me<strong>in</strong>ungsbildung hat, was für e<strong>in</strong><br />
kostbares Gut sie <strong>ist</strong>. „Die Pressefreiheit<br />
<strong>ist</strong> im Grun<strong>de</strong> genommen<br />
„<strong>das</strong> täglich Brot für die Politik“. So<br />
zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st äußerte sich Heribert<br />
Prantl, Ressortleiter Innenpolitik<br />
bei <strong>de</strong>r Süd<strong>de</strong>utschen Zeitung,<br />
anlässlich <strong>de</strong>s Hambach-Jubiläums<br />
2007. Doch lei<strong>de</strong>r trage diese<br />
Freiheit e<strong>in</strong>e Art „Zwangsjacke“.<br />
Zum e<strong>in</strong>en seien <strong>das</strong> die E<strong>in</strong>flüsse<br />
<strong>de</strong>r Public Relations und <strong>de</strong>s An-<br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008<br />
HEISS BEGEHRT UND KALT ERWISCHT – PRESSEFREIHEIT<br />
Wofür Anna Politkowskaja <strong>in</strong> Russland starb, <strong>ist</strong> manchem Bürger<br />
ke<strong>in</strong>e Nachfrage wert. E<strong>in</strong>e Umfrage von Ges<strong>in</strong>e Attrodt<br />
zeigenmarktes, zum an<strong>de</strong>ren auch<br />
die „ge<strong>ist</strong>igen Zwänge“, die sich <strong>de</strong>r<br />
Journalismus selbst auferlege.<br />
Doch was <strong>de</strong>nken die Bürger und<br />
was fällt Menschen <strong>in</strong> Deutschland<br />
spontan zum Thema Pressefreiheit<br />
e<strong>in</strong>? E<strong>in</strong>e Umfrage <strong>in</strong> <strong>de</strong>r südbadischen<br />
Stadt Freiburg zeigt, was<br />
für unterschiedliche Ansichten die<br />
Menschen zu diesem Thema haben<br />
und was sie von <strong>de</strong>r Presse erwarten.<br />
Die ursprünglich <strong>in</strong> Hambach (Neustadt)<br />
geplante Umfrage scheiterte<br />
dort am Des<strong>in</strong>teresse und Unwillen<br />
<strong>de</strong>r von uns angesprochenen Passanten:<br />
Nach 25 aufe<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n<br />
gescheiterten Versuchen trat<br />
die Autor<strong>in</strong> die Heimreise an. Da<br />
fragt man sich doch, ob sich manche<br />
Bürger <strong>in</strong> diesem Land dieses heiß<br />
begehrten und hart erkämpften<br />
Guts <strong>de</strong>r Pressefreiheit überhaupt<br />
bewusst s<strong>in</strong>d, wenn ihnen schon<br />
e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Umfrage lästig <strong>ist</strong>.<br />
„Die Pressefreiheit <strong>ist</strong> stark durch<br />
die Verr<strong>in</strong>gerung <strong>de</strong>r Medienvielfalt<br />
gefähr<strong>de</strong>t“, me<strong>in</strong>t die 63-jährige<br />
Lehrer<strong>in</strong> Wibke Kahlert, um gleich<br />
<strong>de</strong>n ihr wichtigsten Grund zur Gefährdung<br />
<strong>de</strong>r Pressefreiheit zu nennen.<br />
Sie selbst <strong>ist</strong> Abonnent<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Tages- und e<strong>in</strong>er Wochenzeitung<br />
und SPIEGEL-Leser<strong>in</strong>. Ihrer Me<strong>in</strong>ung<br />
nach <strong>ist</strong> e<strong>in</strong> breites Spektrum<br />
an verschie<strong>de</strong>nen Informationsquellen<br />
<strong>das</strong> beste Mittel, um Manipulation<br />
durch Medien zu verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn.<br />
Außer<strong>de</strong>m sei es unbed<strong>in</strong>gt nötig,<br />
auch die Jugend zu erreichen.<br />
Friedrich Asch, 49 und ebenfalls<br />
Leser e<strong>in</strong>er Tageszeitung, fühlt sich<br />
zwar durch die Presse ausreichend<br />
und umfassend <strong>in</strong>formiert, <strong>ist</strong> aber<br />
<strong>de</strong>r Ansicht, <strong>das</strong>s die Bee<strong>in</strong>flussung<br />
durch die Medien sehr hoch <strong>ist</strong>. „Da<br />
gibt es immer große Konzerne und<br />
Politiker dah<strong>in</strong>ter“, sagt er, „so <strong>das</strong>s<br />
man nie genau weiß, was stimmt.“<br />
Er wünscht sich von <strong>de</strong>r Presse vor<br />
allem e<strong>in</strong>e gründliche, saubere Recherche<br />
und die „Wahrheit“.<br />
Durch bIlD IM bIlD zu seIn –<br />
reIcht Das schon?<br />
Anna W<strong>in</strong>terhalter, 18, und Am<strong>in</strong>a<br />
Ceesay, 15, bei<strong>de</strong> Schüler<strong>in</strong>nen <strong>in</strong>formieren<br />
sich regelmäßig per Internet<br />
über <strong>das</strong> Weltgeschehen, me<strong>ist</strong> über<br />
Bild-Onl<strong>in</strong>e. Sie s<strong>in</strong>d zufrie<strong>de</strong>n mit<br />
<strong>de</strong>n gebotenen Informationen und<br />
fühlen sich auch richtig <strong>in</strong>formiert.<br />
Bei<strong>de</strong> me<strong>in</strong>en aber, <strong>das</strong>s man als Journal<strong>ist</strong><br />
die Privatsphäre an<strong>de</strong>rer mehr<br />
6<br />
respektieren sollte. „Pressefreiheit<br />
muss auch irgendwo ihre Grenzen<br />
haben“, sagt Am<strong>in</strong>a Ceesay.<br />
Häufig vertrauten Befragte <strong>de</strong>n<br />
Medien so wenig, <strong>das</strong>s sie überhaupt<br />
ke<strong>in</strong>e Zeitung lesen. Die Stu<strong>de</strong>nt<strong>in</strong><br />
Lena Stoetzel, 25, liest we<strong>de</strong>r Zeitung<br />
noch Onl<strong>in</strong>e-Magaz<strong>in</strong>e und<br />
<strong>in</strong>formiert sich auch nicht über Radio<br />
o<strong>de</strong>r Fernsehen. „Ich habe ke<strong>in</strong><br />
Vertrauen zu <strong>de</strong>n Medien“ <strong>ist</strong> die Begründung.<br />
Auch Philipp Müller verzichtet<br />
auf <strong>das</strong> Zeitunglesen, <strong>de</strong>nn er<br />
me<strong>in</strong>t, man müsse die Pressefreiheit<br />
heute regelrecht suchen – „es gibt<br />
überall Propaganda“. Er <strong>in</strong>formiert<br />
sich lieber, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er herumre<strong>ist</strong> und<br />
mit Menschen spricht.<br />
Der 16-jährige Schüler Joel Rosenfel<strong>de</strong>r<br />
<strong>ist</strong> da ganz an<strong>de</strong>rer Me<strong>in</strong>ung.<br />
Er vertraut <strong>de</strong>n Medien und me<strong>in</strong>t:<br />
„Ich fühle mich sowohl richtig als<br />
auch umfassend <strong>in</strong>formiert.“ Pressefreiheit<br />
heißt für ihn, frei sagen<br />
zu können, was man <strong>de</strong>nkt und was<br />
„wahr“ <strong>ist</strong>, ohne Zensur.<br />
Auch Ramona Köppe, e<strong>in</strong>er<br />
33jährigen Stu<strong>de</strong>nt<strong>in</strong>, fällt als erstes<br />
<strong>das</strong> Wort „Zensur“ e<strong>in</strong>, wenn es um<br />
Pressefreiheit geht, allerd<strong>in</strong>gs eher<br />
h<strong>ist</strong>orisch betrachtet. Zur heutigen<br />
Situation hat sie wie viele an<strong>de</strong>re<br />
Befragte ke<strong>in</strong>e konkrete Me<strong>in</strong>ung.<br />
Überhaupt s<strong>in</strong>d sich viele Menschen<br />
bei diesem Thema unsicher o<strong>de</strong>r<br />
haben noch nie bewusst darüber<br />
nachgedacht. Die Mehrheit <strong>de</strong>r Befragten<br />
weiß zwar von <strong>de</strong>r prekären<br />
Situation <strong>in</strong> vielen osteuropäischen<br />
und arabischen Län<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r von<br />
<strong>de</strong>r Unterdrückung <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
im Dritten Reich, aber kaum<br />
e<strong>in</strong>er hat sich über die unmittelbare<br />
Situation hier <strong>in</strong> Deutschland Gedanken<br />
gemacht.<br />
Und doch sollte gera<strong>de</strong> <strong>das</strong><br />
Bewusstse<strong>in</strong> für die Vorgänge<br />
im eigenen Land wie<strong>de</strong>r gestärkt<br />
wer<strong>de</strong>n. Denn laut Heribert Prantl<br />
wäre es scha<strong>de</strong> um die Pressefreiheit,<br />
wenn sie e<strong>in</strong>em ausgestopften<br />
Fuchs gleichen wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r immer<br />
mal wie<strong>de</strong>r zum Vorzeigen aus <strong>de</strong>r<br />
Vitr<strong>in</strong>e geholt wird, damit man<br />
sagen kann: „Schaut her, wir haben<br />
so etwas auch!“.<br />
Im Tagungssaal <strong>de</strong>s Hambacher<br />
Schlosses – 175 Jahre nach<br />
<strong>de</strong>m Hambacher Fest.
7 frei* / W<strong>in</strong>ter 2008 weitblick<br />
Internet<br />
UND DA WAR NOCH EIN GAST: STASI 2.0?<br />
Von <strong>de</strong>r Weitsicht/Vorsicht/Umsicht e<strong>in</strong>es Internet-Experten: Pa<strong>de</strong>luun. Von Theresia Keupp<br />
N<br />
iemand weiß, ob man<br />
gera<strong>de</strong> beobachtet wird<br />
o<strong>de</strong>r nicht und man kann<br />
nur darüber spekulieren, wie oft<br />
o<strong>de</strong>r nach welchem System sich die<br />
Gedankenpolizei <strong>in</strong> die Privatsphäre<br />
e<strong>in</strong>schaltet. Darum <strong>ist</strong> es sogar <strong>de</strong>nkbar,<br />
<strong>das</strong>s sie alle beobachtet.“ Was<br />
George Orwell <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Roman<br />
„1984“ schon vor über e<strong>in</strong>em halben<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rt publiziert hat, könnte<br />
so heute wörtlich aus <strong>de</strong>m Mund<br />
von Pa<strong>de</strong>luun kommen.<br />
Pa<strong>de</strong>luun, so <strong>de</strong>r amtlich e<strong>in</strong>getragene<br />
Künstlername, bezeichnet<br />
sich selbst als e<strong>in</strong>en Autonomen.<br />
Die Presse nennt ihn Netzwerkaktiv<strong>ist</strong>en.<br />
Was o<strong>de</strong>r wer er wirklich<br />
<strong>ist</strong>, <strong>das</strong> möchte er nicht sagen. Und<br />
genau dar<strong>in</strong> liegt auch se<strong>in</strong>e zentrale<br />
Botschaft: Behör<strong>de</strong>n, Unternehmen<br />
und <strong>de</strong>r Staat wissen viel zu viel über<br />
die Bürger: Payback-Karten geben<br />
Auskunft über E<strong>in</strong>kaufsgewohnheiten.<br />
Vi<strong>de</strong>okameras an Bahnhöfen<br />
verfolgen Passanten auf Schritt und<br />
Tritt. Wann e<strong>in</strong> Journal<strong>ist</strong> mit e<strong>in</strong>em<br />
Informanten <strong>in</strong> telefonischem Kontakt<br />
gestan<strong>de</strong>n hat, <strong>ist</strong> noch Wochen<br />
später nachvollziehbar.<br />
Beson<strong>de</strong>rs durch <strong>das</strong> Internet<br />
droht <strong>de</strong>m Datenschutz Gefahr,<br />
warnt Pa<strong>de</strong>luun. Wer sich e<strong>in</strong>bil<strong>de</strong>,<br />
er sei onl<strong>in</strong>e anonym unterwegs, <strong>de</strong>r<br />
täusche sich gewaltig. Sobald e<strong>in</strong>e<br />
Website aufgerufen wird, h<strong>in</strong>terlässt<br />
man Spuren, die persönliche Daten<br />
enthalten. In welchem Land man<br />
sitzt, welcher Browser und welches<br />
Betriebssystem verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n<br />
o<strong>de</strong>r welche Homepage man zuletzt<br />
besucht hat – all <strong>das</strong> s<strong>in</strong>d Daten,<br />
auf die zugegriffen wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Daneben kritisiert Pa<strong>de</strong>luun die<br />
systematische Protokollierung <strong>de</strong>s<br />
Telekommunikationsverhaltens <strong>de</strong>r<br />
gesamten Bevölkerung. Die Re<strong>de</strong><br />
<strong>ist</strong> von <strong>de</strong>r so genannten Vorratsdatenspeicherung,<br />
mit Hilfe <strong>de</strong>rer<br />
nachvollzogen wer<strong>de</strong>n kann, wer mit<br />
wem <strong>in</strong> <strong>de</strong>n vergangenen Monaten<br />
per Telefon, Handy o<strong>de</strong>r Email <strong>in</strong><br />
Kontakt gestan<strong>de</strong>n hat.<br />
Diese Überwachungsbefugnisse<br />
stellen beson<strong>de</strong>rs e<strong>in</strong>e Gefahr für<br />
Journal<strong>ist</strong>en dar. Unter <strong>de</strong>m Deckmantel<br />
<strong>de</strong>r Verbrechensbekämpfung<br />
wer<strong>de</strong>n Informantenschutz und<br />
Pressefreiheit ausgehöhlt. Diesen<br />
E<strong>in</strong>schnitt <strong>in</strong> die Grundrechte will<br />
Pa<strong>de</strong>luun nicht kampflos h<strong>in</strong>nehmen.<br />
So engagiert er sich mit se<strong>in</strong>em<br />
Vere<strong>in</strong>, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n sperrigen Namen<br />
„Vere<strong>in</strong> zur För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s öffentlichen<br />
bewegten und unbewegten<br />
Datenverkehrs“ (kurz „FoeBuD“)<br />
trägt, für <strong>das</strong> Recht auf Privatsphäre.<br />
Aufmerksamkeit erreicht<br />
er vor allem mit <strong>de</strong>r Verleihung<br />
<strong>de</strong>s Negativ-Preises „Big Brother<br />
Award“, <strong>de</strong>n „Oscar für Datenkranke“.<br />
Außer<strong>de</strong>m appelliert er an die<br />
Vernunft je<strong>de</strong>s Bürgers, genau zu<br />
über<strong>de</strong>nken, welche Informationen<br />
er <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zur Verfügung<br />
stellt. Beispielsweise sei <strong>das</strong> populäre<br />
Internetportal StudiVZ e<strong>in</strong> re<strong>in</strong>es<br />
Daten-Sammel-Netzwerk.<br />
Ob <strong>das</strong> nun übertriebene Hysterie<br />
o<strong>de</strong>r berechtigte Warnungen s<strong>in</strong>d,<br />
darüber lässt sich streiten. Es <strong>ist</strong><br />
fraglich, ob man sich heutzutage<br />
überhaupt noch <strong>de</strong>m Internet entziehen<br />
kann. Selbst über <strong>de</strong>n Mann,<br />
<strong>de</strong>r über sich am liebsten nichts<br />
im Netz lesen möchte, kann man<br />
allerhand <strong>in</strong> Erfahrung br<strong>in</strong>gen. Das<br />
Suchwort „pa<strong>de</strong>luun“ br<strong>in</strong>gt alle<strong>in</strong><br />
42 400 Treffer bei Google. Und<br />
<strong>das</strong> bei e<strong>in</strong>em Menschen, <strong>de</strong>r sich<br />
<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Netzwerk herumtreibt,<br />
ke<strong>in</strong>e Kun<strong>de</strong>nkarte besitzt und gegen<br />
Zeitungen, die se<strong>in</strong>en Geburtsnamen<br />
veröffentlichen rechtlich vorgeht. So<br />
weiß ich doch nach Google-Recherche,<br />
wie alt Pa<strong>de</strong>luun <strong>ist</strong>. Ich kenne<br />
die Menschen, mit <strong>de</strong>nen er im Mo-<br />
Biel Kun<strong>de</strong>nbeirat sitzt. Ich lese, <strong>das</strong>s<br />
er e<strong>in</strong> (verkürzt dargestellter) Pauli-<br />
Fan <strong>ist</strong>. Dass er am 7. Mai 2001 um<br />
9 Uhr <strong>in</strong> Bielefeld vor Gericht stand<br />
und <strong>das</strong> Verfahren auf Kosten <strong>de</strong>r<br />
Lan<strong>de</strong>skasse e<strong>in</strong>gestellt wur<strong>de</strong>. Ich<br />
‚Pa<strong>de</strong>luun‘ als Referent beim Redaktionstreffen <strong>in</strong> Neustadt an <strong>de</strong>r We<strong>in</strong>straße<br />
weiß, wie und wo man ihn erreichen<br />
kann. Welche Auszeichnungen er zu<br />
Hause stehen hat. Dass er gelegentlich<br />
die öffentlichen Verkehrsmittel<br />
<strong>in</strong> Bielefeld benutzt. Ganz schön<br />
viele Informationen über e<strong>in</strong>en, <strong>de</strong>r<br />
so viel tut, um nichts Privates an die<br />
Öffentlichkeit dr<strong>in</strong>gen zu lassen.<br />
Doch wer weiß schon, ob <strong>das</strong> alles<br />
stimmt. Schließlich sagt Pa<strong>de</strong>luun<br />
selbst: „Letztendlich kann man im<br />
Internet gar nichts glauben.“<br />
Die Freiheit alles zu sagen, damit gewisse Leute nicht<br />
die Freiheit haben, alles zu tun”. Zitate über <strong>das</strong> was<br />
Pressefreiheit eigentlich <strong>ist</strong>.<br />
Zusammengestellt von Julia Ehmke<br />
„Wenn ich zu wählen hätte zwischen e<strong>in</strong>em Land mit e<strong>in</strong>er<br />
Regierung, aber ohne Zeitung, und e<strong>in</strong>em Land mit<br />
Zeitung, aber ohne Regierung, dann wür<strong>de</strong> ich mich für<br />
<strong>das</strong> Land ohne Regierung entschei<strong>de</strong>n.” Thomas Jefferson<br />
(1743-1826)<br />
„Pressefreiheit <strong>ist</strong> die Freiheit von zweihun<strong>de</strong>rt reichen Leuten,<br />
ihre Me<strong>in</strong>ung zu verbreiten.” Paul Sethe, DER SPIEGEL,<br />
1965<br />
„O Freiheit süß <strong>de</strong>r Presse! Kommt, lasst uns alles drucken,<br />
Und walten für und für; Nur sollte ke<strong>in</strong>er mucken, Der<br />
nicht so <strong>de</strong>nkt wie wir.” Johann Wolfgang von Goethe<br />
(1749-1832)<br />
„Ohne die Pressefreiheit <strong>ist</strong> die Demokratie bankrott.” Richard<br />
von Weizsäcker, Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt (1984-1994)<br />
„E<strong>in</strong>e freie Presse kann für je<strong>de</strong>n Politiker gelegentlich auch<br />
unbequem se<strong>in</strong>. Doch je<strong>de</strong>s vorübergehen<strong>de</strong> unangenehme<br />
Gefühl o<strong>de</strong>r je<strong>de</strong> gerechtfertigte Entrüstung darf uns nie<br />
gegenüber <strong>de</strong>r lebenswichtigen Rolle e<strong>in</strong>er freien Presse<br />
sowohl für <strong>das</strong> Wohl als auch <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Demokratie<br />
bl<strong>in</strong>d machen.” Tony Blair<br />
„Die <strong>de</strong>utschen Censoren – – – – – – – – – – – – – – – – – – –<br />
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – —- – – – – – – – –<br />
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Dummköpfe<br />
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –<br />
– – – – – – – – – – –.” He<strong>in</strong>rich He<strong>in</strong>e, Reisebil<strong>de</strong>r<br />
„E<strong>in</strong>e Lösung für tiefgreifen<strong>de</strong> Me<strong>in</strong>ungsverschie<strong>de</strong>nheiten zu<br />
f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, <strong>ist</strong> ohne Pressefreiheit nicht möglich, <strong>de</strong>nn Fragen<br />
müssen an die Öffentlichkeit gebracht wer<strong>de</strong>n. Pressefreiheit<br />
gehört zu <strong>de</strong>n grundlegen<strong>de</strong>n Bauste<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Demokratie.”<br />
Gerhard Schrö<strong>de</strong>r, Bun<strong>de</strong>skanzler (1998-2005)<br />
„E<strong>in</strong>e freie, nicht von <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt gelenkte, ke<strong>in</strong>er<br />
Zensur unterworfene Presse <strong>ist</strong> e<strong>in</strong> Wesenselement <strong>de</strong>s<br />
freiheitlichen Staates; <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e freie, regelmäßig<br />
ersche<strong>in</strong>en<strong>de</strong> politische Presse für die mo<strong>de</strong>rne Demokratie<br />
unentbehrlich.” SPIEGEL-Urteil <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverfassungsgerichts<br />
1962<br />
„Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit<br />
gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alles zu tun.” Stewart<br />
Alsop (1914-74)<br />
„Wo früher <strong>de</strong>r Staat die Pressefreiheit bedrohte, tun <strong>das</strong> jetzt<br />
die Medien selbst.” Roger <strong>de</strong> Weck, ehem. Chefredakteur<br />
<strong>de</strong>r ZEIT<br />
„E<strong>in</strong>e freie Presse kann gut o<strong>de</strong>r schlecht se<strong>in</strong>, aber e<strong>in</strong>e<br />
Presse ohne Freiheit kann nur schlecht se<strong>in</strong>.” Albert Camus<br />
(1913-60)<br />
„Die gefährlichste Form <strong>de</strong>r Zensur <strong>ist</strong> die Schere im eigenen<br />
Kopf.” Kurt Erich Suckert (Pseudonym: Curzio Malaparte)<br />
(1898-1956)<br />
„Der geschickte Journal<strong>ist</strong> hat e<strong>in</strong>e Waffe: <strong>das</strong> Totschweigen<br />
– und von dieser Waffe macht er oft genug Gebrauch.”<br />
Kurt Tucholsky, Die Weltbühne, 1921<br />
Pressefreiheit <strong>ist</strong> Recht und Pflicht zugleich. Und e<strong>in</strong>e hohe<br />
Verantwortung. Das Redaktionsteam dieser po.
weitblick<br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2007<br />
…Ist Das <strong>erlaubt</strong>?<br />
Gesehen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> von Holger Kulick<br />
PressefreIheIt In<br />
DeutschlanD.<br />
8
9 frei?* / W<strong>in</strong>ter 2007 <strong>in</strong>land<br />
INLAND<br />
CICERO HINTERLäSST SEINE SPUREN<br />
Deutschlands gepresstes Ansehen. Von Franziska Walther<br />
P<br />
ressefreiheit – also die Freiheit, unzensiert<br />
Informationen und Me<strong>in</strong>ungen<br />
zu veröffentlichen – welch schöner und<br />
<strong>de</strong>mokratischer Gedanke! Doch die Geschichte<br />
<strong>de</strong>r vergangenen 175 Jahre zeigt uns, <strong>das</strong>s die <strong>in</strong><br />
Hambach gefor<strong>de</strong>rte Freiheit ke<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit<br />
<strong>ist</strong>. Im Gegenteil: Im Laufe ihrer Entwicklung<br />
musste sie sich immer wie<strong>de</strong>r Rückschlägen<br />
wie zum Beispiel <strong>de</strong>m Sozial<strong>ist</strong>engesetz von 1878<br />
bis 1890, <strong>de</strong>r völligen Gleichschaltung <strong>de</strong>r Presse<br />
während <strong>de</strong>s NS-Regimes o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Druckgenehmigungsverfahren<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>r ehemaligen DDR<br />
erwehren. Und auch <strong>de</strong>r Blick auf die Gegenwart<br />
macht <strong>de</strong>utlich, <strong>das</strong>s die Pressefreiheit noch immer<br />
zu schützen und zu verteidigen <strong>ist</strong>.<br />
So veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation<br />
„Reporter ohne Grenzen“ (ROG) <strong>in</strong><br />
<strong>de</strong>n vergangenen Monaten Studien und Rangl<strong>ist</strong>en,<br />
die e<strong>in</strong>en Rückgang <strong>de</strong>r Pressefreiheit <strong>in</strong><br />
Deutschland belegen sollen. Laut ROG verschlechterte<br />
sich die Lage <strong>de</strong>r Pressefreiheit im<br />
<strong>in</strong>ternationalen Rank<strong>in</strong>g im Mai 2006 von Platz<br />
11 auf Platz 18. Nur wenige Monate später fiel<br />
Deutschland weiter auf <strong>de</strong>n Platz 23 ab. In <strong>de</strong>r<br />
Oktoberwertung 2007 rettete es sich dann wie<strong>de</strong>r<br />
auf Platz 20. NUR auf Platz 20. Eigentlich blamabel,<br />
weil ‚ma<strong>de</strong> <strong>in</strong> Germany‘ doch eigentlich<br />
so gerne vorbildlich se<strong>in</strong> will. Als Grund wer<strong>de</strong>n<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re die jahrelange Bespitzelung von<br />
Journal<strong>ist</strong>en durch <strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>snachrichtendienst<br />
und die Redaktionsdurchsuchungen im Fall <strong>de</strong>s<br />
Politik-Magaz<strong>in</strong>s „Cicero“ genannt. Zu<strong>de</strong>m sei<br />
trotz <strong>de</strong>r Verabschiedung <strong>de</strong>s Informationsfreiheitsgesetzes<br />
<strong>de</strong>r Zugang zu <strong>de</strong>n Daten zum Teil<br />
noch immer erschwert.<br />
bka versus PressevreIheIt<br />
Die <strong>in</strong> Artikel 5 <strong>de</strong>s Grundgesetzes <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik<br />
Deutschland fest verankerte und<br />
unzensierte Pressefreiheit sche<strong>in</strong>t <strong>de</strong>mnach noch<br />
immer gefähr<strong>de</strong>t:<br />
Die Durchsuchung <strong>de</strong>r Redaktionsräume <strong>de</strong>s<br />
Cicero-Magaz<strong>in</strong>s sowie die Beschlagnahmung von<br />
Akten und an<strong>de</strong>rer Datenspeichermedien wur<strong>de</strong><br />
bun<strong>de</strong>sweit von <strong>de</strong>r Presse als beson<strong>de</strong>res Beispiel<br />
für e<strong>in</strong>en Angriff auf <strong>de</strong>n unabhängigen Journalismus<br />
bewertet und kritisiert. Auslöser dieser<br />
Durchsuchungen durch <strong>das</strong> Bun<strong>de</strong>skrim<strong>in</strong>alamt<br />
(BKA) war <strong>de</strong>r Artikel „Der gefährlichste Mann<br />
<strong>de</strong>r Welt“ <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Aprilausgabe 2005. In diesem<br />
Artikel berichtete <strong>de</strong>r Reporter Bruno Schirra<br />
über <strong>de</strong>n irakischen Terror<strong>ist</strong>en Abu Musab<br />
az-Zarqawi und veröffentlichte Informationen<br />
aus e<strong>in</strong>em vertraulich e<strong>in</strong>gestuften Bericht <strong>de</strong>s<br />
Bun<strong>de</strong>skrim<strong>in</strong>alamtes. Das BKA beschuldigte<br />
daraufh<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Journal<strong>ist</strong>en Schirra <strong>de</strong>r Beteilung<br />
an Geheimnisverrat und rechtfertigte dadurch die<br />
durchgeführten Polizeiaktionen.<br />
Auch an<strong>de</strong>re Maßnahmen geben Anlass, e<strong>in</strong>e<br />
zunehmen<strong>de</strong> Gefährdung <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
zu bekun<strong>de</strong>n. So wur<strong>de</strong>n im April und Mai<br />
2005 im Auftrag <strong>de</strong>s Amtsgerichts Chemnitz<br />
Telefonkontaktdaten <strong>de</strong>s Journal<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>r Dres<strong>de</strong>ner<br />
Morgenpost, Ronny Kle<strong>in</strong>, gesammelt<br />
und ausgewertet. Kle<strong>in</strong> stand im Verdacht,<br />
geheime Berichte <strong>de</strong>r Antikorruptionse<strong>in</strong>heit<br />
„Ines“, welche gegen <strong>de</strong>n ehemaligen sächsischen<br />
Wirtschaftsm<strong>in</strong><strong>ist</strong>ers Kajo Schommer (CDU)<br />
Ermittlungen durchführte, verraten und für<br />
weitere Recherchen genutzt zu haben.<br />
Nach Berichten <strong>de</strong>s ARD-Magaz<strong>in</strong>s „Panorama“<br />
und <strong>de</strong>s NDR-Magaz<strong>in</strong>s „Zapp“ sollen auch Journal<strong>ist</strong>en<br />
<strong>de</strong>s Focus-Magaz<strong>in</strong>s <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Jahren von<br />
2002 bis 2004 durch <strong>das</strong> BKA und die Münchner<br />
Staatsanwaltschaft überwacht wor<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>. Unter<br />
an<strong>de</strong>rem wur<strong>de</strong>n dabei durch die Behör<strong>de</strong>n<br />
Telefonverb<strong>in</strong>dungsdaten ermittelt und e<strong>in</strong>zelne<br />
Journal<strong>ist</strong>en observiert. Durch diese Aktionen<br />
sollten Quellen e<strong>in</strong>es Focus-Redakteurs im BKA<br />
i<strong>de</strong>ntifiziert wer<strong>de</strong>n.<br />
Das Recht auf Pressefreiheit be<strong>de</strong>utet auch,<br />
<strong>das</strong>s Journal<strong>ist</strong>en ihre Informanten nicht preisgeben<br />
müssen sowie <strong>de</strong>r Schutz von Informationsmaterialien<br />
<strong>de</strong>s jeweilig recherchieren<strong>de</strong>n<br />
Reporters. Doch mit Hilfe <strong>de</strong>s §353b besteht die<br />
Möglichkeit, dieses Zeugnisverweigerungsrecht<br />
zu umgehen. So wer<strong>de</strong>n Journal<strong>ist</strong>en für die<br />
Beteiligung e<strong>in</strong>er Straftat, zum Beispiel Verrat<br />
an Dienstgeheimnissen, angeklagt, um die entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Informanten aus Behör<strong>de</strong>n und<br />
Institutionen zu ermitteln. „Es <strong>ist</strong> e<strong>in</strong> Skandal,<br />
<strong>das</strong>s Politiker unter <strong>de</strong>m Vorwand, Journal<strong>ist</strong>en<br />
hätten sich <strong>de</strong>r Beihilfe zum Geheimnisverrat<br />
schuldig gemacht, diverse Verfahren gegen<br />
Journal<strong>ist</strong>en <strong>in</strong> Gang gesetzt haben. Den staatlichen<br />
Stellen und e<strong>in</strong>igen Politikern geht es<br />
vorwiegend darum, potenzielle Informanten<br />
abzuschrecken. Die gezielte Verunsicherung von<br />
H<strong>in</strong>weisgebern gefähr<strong>de</strong>t aber die Kontrollfunktion<br />
<strong>de</strong>r Medien“, so Thomas Leif, Chefreporter<br />
Fernsehen beim SWR <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z und Vorsitzen<strong>de</strong>r<br />
von „netzwerk recherche e.V.“<br />
Das Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht reagierte auf<br />
die Durchsuchungen <strong>de</strong>r Cicero-Redaktion<br />
im Februar dieses Jahres mit folgen<strong>de</strong>m Urteil:<br />
Durchsuchungen und Beschlagnahmungen zum<br />
Zweck <strong>de</strong>r Informantenermittlung seien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Ermittlungsverfahren gegen e<strong>in</strong>en Presseangehörigen<br />
verfassungsrechtlich unzulässig und auch<br />
die bloße Veröffentlichung e<strong>in</strong>es Dienstgeheimnisses<br />
reiche nicht aus, um e<strong>in</strong>en genügen<strong>de</strong>n<br />
Verdacht <strong>de</strong>r Beihilfe <strong>de</strong>s Journal<strong>ist</strong>en zum<br />
Geheimnisverrat zu begrün<strong>de</strong>n.<br />
ausgesPerrte journalIsten<br />
E<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Art <strong>de</strong>r Beschränkung <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
zeigt folgen<strong>de</strong>s Beispiel. Hierbei wur<strong>de</strong>n<br />
Informationen we<strong>de</strong>r direkt und unverzüglich<br />
an die Medien noch an die Öffentlichkeit<br />
geleitet: Am Montag, <strong>de</strong>n 23. Oktober 2006,<br />
<strong>in</strong>formierte Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt Horst Köhler<br />
die Bun<strong>de</strong>sregierung, <strong>das</strong>s er <strong>das</strong> Gesetz zur<br />
Neuordnung <strong>de</strong>r Flugsicherung abgelehnt habe.<br />
Medienvertreter wur<strong>de</strong>n jedoch über dieses Ablehnen<br />
<strong>de</strong>r Entscheidung nicht benachrichtigt.<br />
Fragen von Journal<strong>ist</strong>en zu dieser Thematik<br />
an <strong>de</strong>n Regierungssprecher als auch an <strong>de</strong>n<br />
Sprecher <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nten wur<strong>de</strong>n an<br />
Darf man <strong>in</strong> Deutschland alles sagen? O<strong>de</strong>r übertreiben?<br />
diesem Montagabend nicht beantwortet. Erst<br />
am folgen<strong>de</strong>n Dienstagmorgen verkün<strong>de</strong>te <strong>das</strong><br />
Bun<strong>de</strong>spräsidialamt offiziell, <strong>das</strong>s Köhler se<strong>in</strong>e<br />
Zustimmung verweigert habe.<br />
E<strong>in</strong> weiteres Beispiel f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>m<br />
Ausschluss von e<strong>in</strong>zelnen Journal<strong>ist</strong>en von<br />
<strong>de</strong>r Berichterstattung über <strong>de</strong>n G8-Gipfel. So<br />
wur<strong>de</strong> circa 20 Journal<strong>ist</strong>en auf Empfehlen <strong>de</strong>s<br />
BKA ohne Begründung die Akkreditierung zur<br />
Berichterstattung aus Heiligendamm verweigert,<br />
unter an<strong>de</strong>rem <strong>de</strong>m Reporter <strong>de</strong>r Berl<strong>in</strong>er Tageszeitung<br />
(taz), Felix Lee. Diese Entscheidung löste<br />
bei vielen Medienverbän<strong>de</strong>n und zum Teil <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />
Politik Entrüstung aus. Der Deutsche Journal<strong>ist</strong>enverband<br />
(DJV) kritisierte dieses Vorgehen<br />
nachdrücklich und for<strong>de</strong>rte, <strong>das</strong>s auch kritische<br />
Berichterstattung nicht unterdrückt wer<strong>de</strong>n<br />
dürfe. Auch die Deutsche Journal<strong>ist</strong><strong>in</strong>nen- und<br />
Journal<strong>ist</strong>en-Union (dju) äußerte Be<strong>de</strong>nken:<br />
„Wir betrachten diese Vorgehensweise als absolut<br />
unzulässigen Versuch <strong>de</strong>r Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>de</strong>r<br />
freien Berichterstattung vom G8 – Gipfel und als<br />
Maßnahme <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>schüchterung, die wachsame<br />
kritische Berichterstattung verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn soll“.<br />
Regierungssprecher wiesen diese Kritik jedoch<br />
zurück. So sei es nicht die Absicht, kritische<br />
Berichterstattung zu unterdrücken. Das Bun<strong>de</strong>spresseamt<br />
habe sich bei <strong>de</strong>r Vergabe <strong>de</strong>r<br />
Akkreditierungen auf Entscheidungen <strong>de</strong>r Sicherheitsbehör<strong>de</strong>n<br />
gestützt. Entschei<strong>de</strong>n die, wie weit<br />
Pressefreiheit gehen darf?
<strong>in</strong>terview<br />
Mehr unter:<br />
www.netzwerkrecherche.<strong>de</strong><br />
Herr Prantl, welche Be<strong>de</strong>utung hat die Pressefreiheit für<br />
die Demokratie?<br />
Sie hat e<strong>in</strong>e zentrale Be<strong>de</strong>utung: Mit <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
beg<strong>in</strong>nt die Demokratie. Sehen Sie:<br />
Das Journal<strong>ist</strong>en-Netzwerk „netzwerk recherche“<br />
hat <strong>de</strong>n Negativpreis „Verschlossene Auster“ an<br />
Wladimir Put<strong>in</strong> vergeben für se<strong>in</strong>e Presse- Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungspolitik.<br />
Fragen wir uns also: Was<br />
be<strong>de</strong>utet Pressefreiheit für e<strong>in</strong>en funktionieren<strong>de</strong>n<br />
und lebendigen Staat? Ich glaube, lebendige und<br />
wirkliche Demokratie kann es wirklich nur dann<br />
geben, wenn Pressefreiheit funktioniert.<br />
Die Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“<br />
veröffentlichte <strong>in</strong> <strong>de</strong>n vergangenen Monaten Studien und<br />
Rank<strong>in</strong>gs zur gegenwärtigen Lage <strong>de</strong>r Pressefreiheit weltweit.<br />
Schon im Mai 2006 teilte „Reporter ohne Grenzen“ mit, <strong>das</strong>s<br />
sich Deutschland im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich von Platz 11<br />
auf Platz 18 verschlechtert habe und nur e<strong>in</strong> halbes Jahr<br />
später, im Oktober 2006, auf Platz 23 ‚abgerutscht‘ sei. Wie<br />
bewerten Sie dieses Rank<strong>in</strong>g und se<strong>in</strong>e Methodik?<br />
Ich kenne die Kriterien nicht; aber warum<br />
Deutschland abgerutscht <strong>ist</strong>, <strong>ist</strong> leicht zu erklären.<br />
Zum e<strong>in</strong>en gab es fragwürdige staatliche Durchsuchungsaktionen<br />
<strong>in</strong> Redaktionen und Privatwohnungen<br />
von Journal<strong>ist</strong>en. Die Durchsuchung beim<br />
Magaz<strong>in</strong> Cicero <strong>ist</strong> ja allgeme<strong>in</strong> bekannt gewor<strong>de</strong>n,<br />
es gibt auch viele an<strong>de</strong>re. Und es gibt diese<br />
seltsamen Erkenntnisse über <strong>de</strong>n Geheimdienst,<br />
<strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong>en angeworben hat. Natürlich muss<br />
man sich selbst als Vertreter dieser Branche auf<br />
die Brust klopfen und feststellen, <strong>das</strong>s es lei<strong>de</strong>r so<br />
genannte Journal<strong>ist</strong>en gibt, die sich kaufen lassen,<br />
um Kollegen auszuspionieren. Außer<strong>de</strong>m wächst<br />
<strong>de</strong>r wirtschaftliche Druck <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Redaktionen. E<strong>in</strong><br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008<br />
„MIT DER PRESSEFREIHEIT BEGINNT<br />
DIE DEMOKRATIE“<br />
„Pressefreiheit be<strong>de</strong>utet nicht e<strong>in</strong>e Freiheit ohne Verantwortung“<br />
warnt <strong>de</strong>r renommierte SZ-Journal<strong>ist</strong> Heribert Prantl.<br />
Mit ihm unterhielt sich <strong>in</strong> Hambach Franziska Walther.<br />
kritischer Journalismus, e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r sich Zeit nimmt,<br />
sich auch mit schwierigen Fragen zu beschäftigen,<br />
<strong>de</strong>r <strong>in</strong>vestigativ arbeiten kann, <strong>ist</strong> gefähr<strong>de</strong>t<br />
In Anlehnung an <strong>das</strong> von „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlichte<br />
Rank<strong>in</strong>g lautet e<strong>in</strong>e Überschrift e<strong>in</strong>es Artikels<br />
bei SPIEGEL ONLINE „Mehr Pressefreiheit <strong>in</strong> Bolivien als <strong>in</strong><br />
Deutschland“. Wie <strong>ist</strong> dies zu bewerten?<br />
Das <strong>ist</strong> so als wür<strong>de</strong> ich Armut <strong>in</strong> Deutschland mit<br />
Armut <strong>in</strong> Kalkutta vergleichen. Es gibt Menschen,<br />
die sagen, <strong>das</strong>s es <strong>in</strong> Deutschland ke<strong>in</strong>e Armut gebe,<br />
<strong>de</strong>nn angesichts <strong>de</strong>r Armut <strong>in</strong> Bombay, <strong>in</strong> Kalkutta<br />
und <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Slums von Rio <strong>de</strong> Janeiro sei alles, was<br />
hier Armut heißt, Wohlleben. Aber so geht <strong>de</strong>r<br />
Vergleich nicht, ich muss die Verhältnisse dort betrachten<br />
und vergleichen, wo sie sich abspielen. Es<br />
gibt natürlich Armut <strong>in</strong> Deutschland. Arm <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r,<br />
<strong>de</strong>m sich <strong>das</strong> normale Leben, <strong>das</strong> Leben <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong>schaft,<br />
nicht entfaltet. Die Armut <strong>in</strong> Deutschland<br />
<strong>ist</strong> weniger e<strong>in</strong>e Kalorienfrage, son<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong>e<br />
Teilhabefrage – und ich <strong>de</strong>nke, mit Pressefreiheit<br />
<strong>ist</strong> es ähnlich. Man muss bei <strong>de</strong>r Beurteilung <strong>de</strong>r<br />
Lage <strong>de</strong>r Pressefreiheit <strong>in</strong> Deutschland ausgehen<br />
von <strong>de</strong>m Zustand, <strong>de</strong>n <strong>das</strong> Grundgesetz vorgibt<br />
und <strong>de</strong>n die Politiker <strong>in</strong> all Ihren Re<strong>de</strong>n loben.<br />
Am Beispiel <strong>de</strong>r Cicero Affäre <strong>ist</strong> die Thematik <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
verstärkt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Blickw<strong>in</strong>kel <strong>de</strong>r Öffentlichkeit geraten.<br />
Der Tenor nach <strong>de</strong>n Durchsuchungen <strong>de</strong>r Cicero-Redaktion<br />
und <strong>de</strong>s Redakteurs Bruno Schirra war, <strong>das</strong>s dies e<strong>in</strong>e erhebliche<br />
Verletzung <strong>de</strong>r Pressefreiheit sei. Wie bewerten also Sie<br />
die Untersuchungen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Cicero-Redaktion?<br />
Seit <strong>de</strong>m es <strong>de</strong>n Journalismus gibt und seit<strong>de</strong>m<br />
sich die Herrschen<strong>de</strong>n gegen <strong>de</strong>n Journalismus<br />
wehren, behaupten sie immer, <strong>das</strong>s missliebiger<br />
„Pressefreiheit darf ke<strong>in</strong> Tarnwort se<strong>in</strong> für Schlampigkeit“,<br />
<strong>de</strong>r SZ-Journal<strong>ist</strong> Heribert Prantl bei <strong>de</strong>r<br />
po-Tagung <strong>in</strong> Neustadt an <strong>de</strong>r We<strong>in</strong>straße.<br />
10<br />
o<strong>de</strong>r unbequemer Journalismus Staats<strong>in</strong>teressen<br />
gefähr<strong>de</strong>. Früher sagte man Hochverrat, bei <strong>de</strong>r<br />
Spiegel-Affäre sagte man Lan<strong>de</strong>sverrrat – wegen<br />
e<strong>in</strong>es im Übrigen lächerlichen Artikels. Dah<strong>in</strong>ter<br />
stand e<strong>in</strong>fach, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Spiegel <strong>de</strong>r A<strong>de</strong>nauer-<br />
Regierung, <strong>in</strong> diesem Fall speziell Franz-Josef<br />
Strauß e<strong>in</strong> Ärgernis war. Heute re<strong>de</strong>t man,<br />
noch e<strong>in</strong> paar Nummern kle<strong>in</strong>er, vom Verrat<br />
von Dienstgeheimnissen. Dabei han<strong>de</strong>lt es sich<br />
um e<strong>in</strong>e ziemlich überflüssige Strafvorschrift<br />
am untersten Rand <strong>de</strong>r Deliktsskala. Aber <strong>de</strong>n<br />
Sicherheitsbehör<strong>de</strong>n genügt <strong>das</strong>, um Ermittlungs-<br />
und Zwangsmaßnahmen e<strong>in</strong>zuleiten.<br />
Es wur<strong>de</strong>n ja Telefonnummern und Arbeitsweisen <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>skrim<strong>in</strong>alamtes<br />
bekannt gemacht.<br />
Ich muss als Journal<strong>ist</strong> abwägen und zwischen<br />
Öffentlichkeits<strong>in</strong>teresse und staatlichem Geheimhaltungs<strong>in</strong>teresse<br />
unterschei<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong> verantwortlicher<br />
Journal<strong>ist</strong> kann <strong>das</strong> ganz gut. Ich<br />
sehe auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>m genannten Fall nicht, <strong>das</strong> e<strong>in</strong><br />
überwiegen<strong>de</strong>s staatliches Geheimhaltungs<strong>in</strong>teresse<br />
bestan<strong>de</strong>n hätte. Natürlich – <strong>de</strong>r Cicero<br />
hat e<strong>in</strong> paar Sachen veröffentlicht, die hätte man<br />
nicht unbed<strong>in</strong>gt veröffentlich müssen, die hatten<br />
ke<strong>in</strong>en Öffentlichkeitswert. Ich muss aufpassen,<br />
was ich mache, ich darf nieman<strong>de</strong>m persönlich<br />
scha<strong>de</strong>n. Ich muss auch schauen, was ich mit<br />
<strong>de</strong>m, was ich veröffentliche, anrichten kann.<br />
Wenn es nur darum geht, mich mit me<strong>in</strong>en<br />
Kenntnissen, die eigentlich ke<strong>in</strong>en beson<strong>de</strong>ren<br />
Öffentlichkeitswert haben, zu brüsten, dann<br />
wird es kritisch. Gelegentlich <strong>ist</strong> <strong>das</strong> Bewusstse<strong>in</strong><br />
für die Pflichten, welche die Pressefreiheit auch<br />
be<strong>in</strong>haltet, zu wenig ausgebil<strong>de</strong>t.<br />
Wie zum Beispiel die Sorgfaltspflicht?<br />
Pressefreiheit darf ke<strong>in</strong> Tarnwort se<strong>in</strong> für<br />
Schlampigkeit. In me<strong>in</strong>em alten Beruf als<br />
Richter kannte und genoss ich die richterliche<br />
Unabhängigkeit. Die Pressefreiheit für <strong>de</strong>n<br />
Journal<strong>ist</strong>en <strong>ist</strong> so etwas Ähnliches wie die Unabhängigkeit<br />
für <strong>de</strong>n Richter. Aber <strong>in</strong> bei<strong>de</strong>n<br />
Fällen darf eben nicht <strong>das</strong> passieren, was oft<br />
passiert. We<strong>de</strong>r darf die Unabhängigkeit <strong>de</strong>n<br />
Richter noch die Pressefreiheit <strong>de</strong>n Journal<strong>ist</strong>en<br />
verleiten zu Überheblichkeiten, zur Arroganz<br />
o<strong>de</strong>r zur Faulheit.<br />
Gibt es e<strong>in</strong> Rezept, wie die Pressefreiheit von Journal<strong>ist</strong>en<br />
geschützt wer<strong>de</strong>n kann?<br />
Man muss sich immer wie<strong>de</strong>r klar machen,<br />
warum es die Pressefreiheit gibt. Es <strong>ist</strong>, um es<br />
e<strong>in</strong> wenig pathetisch zu sagen, e<strong>in</strong>e dienen<strong>de</strong><br />
Freiheit: Sie dient <strong>de</strong>r Demokratie. Ich muss<br />
diese Aufgabe und diesen Beruf ernst nehmen.<br />
Ich sage absichtlich nicht Job, weil es ke<strong>in</strong> Job <strong>ist</strong>.<br />
Man muss nicht je<strong>de</strong>n Tag be<strong>de</strong>utungsschwanger<br />
<strong>in</strong>s Büro kommen und sagen, was habe ich doch<br />
für e<strong>in</strong>e tolle <strong>de</strong>mokratische Aufgabe. Aber ich<br />
muss mir <strong>de</strong>ssen bewusst se<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s ich auf e<strong>in</strong>em<br />
Terra<strong>in</strong> arbeite, welches vom Jahr 1832 an, vom<br />
Hambacher Fest an, mühsam erkämpft wor<strong>de</strong>n<br />
<strong>ist</strong>. Das for<strong>de</strong>rt von mir etwas, zum Beispiel, <strong>das</strong>s<br />
ich es mir nicht zu leicht mache.
11 frei?* / W<strong>in</strong>ter 2007 <strong>in</strong>land<br />
RUSSLANDDEUTSCHE ALS ,,LANDPLAGE“<br />
E<strong>in</strong> Fall für die Freiwillige Selbstkontrolle <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Presserats. Von Hannah Laubenthal<br />
E<br />
<strong>in</strong>e <strong>de</strong>taillierte Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Umstän<strong>de</strong><br />
und H<strong>in</strong>tergrün<strong>de</strong> e<strong>in</strong>es Suizids. Darf<br />
man <strong>das</strong> drucken? Russland<strong>de</strong>utsche<br />
als „Landplage“ bezeichnen. Ist <strong>das</strong> nicht volksverhetzend?<br />
E<strong>in</strong>e ausführliche, illustrierte und<br />
ausschließlich positive Berichterstattung über e<strong>in</strong><br />
neues Regionalprodukt auf <strong>de</strong>r Titelseite e<strong>in</strong>er<br />
Lokalzeitung. Ist <strong>das</strong> legitim?<br />
Fälle wie diese passieren täglich <strong>in</strong> Zeitungen<br />
und Zeitschriften. Sie fallen me<strong>ist</strong> nicht weiter auf.<br />
Stößt man <strong>de</strong>nnoch e<strong>in</strong>mal auf e<strong>in</strong>en diskrim<strong>in</strong>ieren<strong>de</strong>n<br />
o<strong>de</strong>r nicht sauber recherchierten Artikel,<br />
<strong>ist</strong> Ärger häufig schon vorprogrammiert.<br />
Für <strong>de</strong>n aufmerksamen Leser stellt sich die<br />
Frage: Soll man stillschweigend darüber h<strong>in</strong>wegsehen,<br />
<strong>das</strong>s e<strong>in</strong> publiz<strong>ist</strong>ischer Grundsatz verletzt<br />
wur<strong>de</strong> und damit riskieren, <strong>das</strong>s an<strong>de</strong>re Leser<br />
<strong>in</strong> Unwissenheit über <strong>de</strong>n wahren Sachverhalt<br />
bleiben? O<strong>de</strong>r sollte man <strong>in</strong> Betracht ziehen,<br />
sich auf irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>e Weise über <strong>de</strong>n Artikel beim<br />
Deutschen Presserat beschweren?<br />
Über die genauen Möglichkeiten dieser Institution<br />
herrscht häufig Unklarheit. Kann sich dort je<strong>de</strong>r<br />
beschweren? Wer sitzt dort überhaupt dr<strong>in</strong>? Welche<br />
Möglichkeiten bestehen nach e<strong>in</strong>er Beschwer<strong>de</strong>?<br />
zusaMMensetzung<br />
Der Presserat setzt sich aus Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverbands<br />
Deutscher Zeitungsverleger (BDZV),<br />
<strong>de</strong>s Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger<br />
(VDZ), <strong>de</strong>s Deutschen Journal<strong>ist</strong>en-Verbands<br />
(DJV) und <strong>de</strong>r Fachgruppe Journalismus <strong>in</strong> ver.<br />
di zusammen.<br />
zustänDIgkeIten<br />
Der Presserat <strong>ist</strong> primär für Pr<strong>in</strong>tmedien zuständig.<br />
Insofern für ausländische Publikationen e<strong>in</strong>e Redaktion<br />
<strong>in</strong> Deutschland vorhan<strong>de</strong>n <strong>ist</strong>, behan<strong>de</strong>lt<br />
<strong>de</strong>r Presserat auch Beschwer<strong>de</strong>n gegen die entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Medien. Für Fernsehen und Rundfunk<br />
besteht ke<strong>in</strong>e Zuständigkeit.<br />
hanDlungsMöglIchkeIten<br />
- H<strong>in</strong>weis: bei e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>geren Verstoß gegen<br />
<strong>de</strong>n Presseko<strong>de</strong>x wird an die entsprechen<strong>de</strong> Redaktion<br />
e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis zum Fehlverhalten gesen<strong>de</strong>t<br />
mit <strong>de</strong>r Bitte, zukünftig e<strong>in</strong>en solchen Fehler zu<br />
vermei<strong>de</strong>n<br />
- Missbilligung: bei e<strong>in</strong>em schwereren Verstoß wird<br />
die Berichterstattung <strong>de</strong>r Redaktion aufs schärfste<br />
missbilligt<br />
- Rüge: bei e<strong>in</strong>em schwerwiegen<strong>de</strong>n Verstoß<br />
als öffentliche Rüge: Rüge muss <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r nächsten<br />
Ausgaben abgedruckt wer<strong>de</strong>n<br />
als nicht-öffentliche Rüge: Veröffentlichung <strong>de</strong>r<br />
Rüge wird mit Rücksichtnahme auf <strong>de</strong>n Opferschutz<br />
unterlassen<br />
Sich beim Presserat zu beschweren, <strong>ist</strong> je<strong>de</strong>m<br />
gestattet. E<strong>in</strong>e unterschriebene Beschwer<strong>de</strong><br />
muss zusammen mit <strong>de</strong>m Artikel, gegen <strong>de</strong>n die<br />
Beschwer<strong>de</strong> e<strong>in</strong>gereicht wird, an <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen<br />
Presserat geschickt wer<strong>de</strong>n. Beschwer<strong>de</strong>n können<br />
gegen je<strong>de</strong>n Artikel e<strong>in</strong>gesen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>r Verdacht auf e<strong>in</strong>e Verletzung <strong>de</strong>s Presseko<strong>de</strong>x<br />
besteht; auch über journal<strong>ist</strong>isches Fehlverhalten<br />
o<strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>n Datenschutz <strong>in</strong> Redaktionen <strong>ist</strong><br />
e<strong>in</strong>e Beschwer<strong>de</strong> möglich.<br />
Hat man sich e<strong>in</strong> klareres Bild über diese Institution<br />
<strong>de</strong>r freiwilligen Selbstkontrolle geschaffen,<br />
stellt sich die Frage: Wie effektiv <strong>ist</strong> die Arbeit<br />
<strong>de</strong>s Presserats? Bewirken se<strong>in</strong>e Rügen tatsächlich<br />
etwas? Gibt es e<strong>in</strong>en ,,Lerneffekt“ bei <strong>de</strong>n betroffenen<br />
Medien? Fakt <strong>ist</strong>, <strong>das</strong>s 95 Prozent <strong>de</strong>r<br />
Verlage <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung<br />
verkün<strong>de</strong>t haben, öffentliche Rügen<br />
<strong>de</strong>s Presserats abzudrucken. Dies geschieht im<br />
Regelfall. Fakt <strong>ist</strong> aber auch, <strong>das</strong>s es Medien<br />
gibt, die die Entscheidungen <strong>de</strong>s Presserats nicht<br />
h<strong>in</strong>nehmen wollen, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re wenn es sich<br />
um öffentliche Rügen han<strong>de</strong>lt. Obwohl sie sich<br />
diesbezüglich verpflichtet haben. Ist e<strong>in</strong>e Institution<br />
wie <strong>de</strong>r Presserat somit wirklich s<strong>in</strong>nvoll?<br />
Interessant <strong>in</strong> diesem Zusammenhang ersche<strong>in</strong>t<br />
die Tatsache, <strong>das</strong>s die me<strong>ist</strong>en Beschwer<strong>de</strong>n<br />
erstens von Privatpersonen und zweitens gegen<br />
regionale Tageszeitungen/Lokalzeitungen e<strong>in</strong>gereicht<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
E<strong>in</strong> ermutigen<strong>de</strong>s Zeichen dafür, <strong>das</strong>s zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st<br />
im kle<strong>in</strong>en Bereich unter <strong>de</strong>r Leserschaft noch<br />
Vertrauen <strong>in</strong> die Institution ,,Presserat“ besteht.<br />
Mehr unter<br />
www.presserat.<strong>de</strong><br />
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<strong>in</strong>land<br />
S<br />
oldaten s<strong>in</strong>d Mör<strong>de</strong>r? S<strong>in</strong>d<br />
sie <strong>das</strong>? Und darf ich so etwas<br />
überhaupt sagen? „Soldaten<br />
s<strong>in</strong>d Mör<strong>de</strong>r“: e<strong>in</strong> Ausspruch, <strong>de</strong>n<br />
je<strong>de</strong>r kennt und über <strong>de</strong>n schon viel<br />
diskutiert und geurteilt wur<strong>de</strong>. Kurt<br />
Tucholsky, prägte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Glosse<br />
„Der bewachte Kriegsschauplatz“ diesen<br />
Ausspruch. Die Glosse erschien<br />
am 4. August1931 <strong>in</strong> „Die Weltbühne“,<br />
<strong>de</strong>ren verantwortlicher Redakteur<br />
Carl von Ossietzky prompt wegen<br />
Beleidigung <strong>de</strong>r Reichswehr angeklagt<br />
wur<strong>de</strong>. Da jedoch ke<strong>in</strong>e konkreten<br />
Personen beleidigt wur<strong>de</strong>n, lautete <strong>das</strong><br />
Urteil Freispruch, da die Äußerung<br />
von <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ungsfreiheit ge<strong>de</strong>ckt <strong>ist</strong>.<br />
Natürlich <strong>ist</strong> dieser Satz kritisch zu<br />
über<strong>de</strong>nken und je<strong>de</strong>r hat <strong>das</strong> Recht<br />
ihn richtig, falsch, verwerflich, wichtig<br />
o<strong>de</strong>r unverschämt zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, aber<br />
genauso hatte auch Kurt Tucholsky<br />
<strong>das</strong> Recht, se<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung kundzutun.<br />
Dieses Recht haben wir auch.<br />
In Deutschland gibt es auf Bun<strong>de</strong>sebene<br />
und <strong>in</strong> acht Län<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es<br />
Informationszugangsrecht,<br />
<strong>das</strong> auf mehr Transparenz <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />
Behör<strong>de</strong>n zielt. Das Öffentlichkeitspr<strong>in</strong>zips,<br />
<strong>das</strong> die Grun<strong>de</strong>ntscheidung<br />
e<strong>in</strong>er Gesellschaft bezeichnet, Dokumente<br />
und Informationen se<strong>in</strong>er<br />
Verwaltung öffentlich zugänglich zu<br />
machen und dies nur <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen<br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008<br />
Re<strong>de</strong>freiheit gibt es auf <strong>de</strong>m Papier zwar für je<strong>de</strong>rman und je<strong>de</strong>frau, aber auch Me<strong>in</strong>ungsfreiheit?<br />
DAS KORSETT DER GESETZE UND WIE ENG ES GESCHNÜRT WIRD<br />
Wieso man Soldaten für Mör<strong>de</strong>r und Quellen geheim halten darf. Von Kathar<strong>in</strong>a Wisotzki<br />
durch beson<strong>de</strong>re Verordnungen zu<br />
unterlassen und damit <strong>das</strong> Korsett<br />
natürlich locker zu lassen, bil<strong>de</strong>t die<br />
Grundlage für diese Gesetze.<br />
In Deutschland wird <strong>de</strong>r Anspruch<br />
auf Auskunft o<strong>de</strong>r Information aber<br />
grundsätzlich nur als Verfahrensrecht<br />
gewährt, <strong>das</strong> nicht selbstständig<br />
gerichtlich geltend gemacht wer<strong>de</strong>n<br />
kann, also nicht immer für e<strong>in</strong>en<br />
E<strong>in</strong>zelnen durchsetzbar <strong>ist</strong>. Jüngst<br />
urteilte <strong>das</strong> Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />
hierzu und setzte klare Parameter fest,<br />
wann e<strong>in</strong>e solche Untersuchung zulässig<br />
<strong>ist</strong>. Das Urteil stützt die Position<br />
<strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong>en, <strong>in</strong>wieweit es aber<br />
Wirkung zeigt sei abzuwarten, me<strong>in</strong>t<br />
Johannes Weberl<strong>in</strong>g, Anwalt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />
Cicero-Affäre. Das Urteil geht aber<br />
e<strong>in</strong>en Schritt <strong>in</strong> die richtige Richtung.<br />
So habe er selbst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en jungen<br />
Anwaltsjahren e<strong>in</strong>en Staatsanwalt für<br />
e<strong>in</strong>e solche unrechtmäßige Untersuchung<br />
erfolgreich angeklagt.<br />
verweIgerte InforMatIonen<br />
Solche Vorgänge zeigen, <strong>das</strong>s <strong>in</strong><br />
Deutschland die Presse durchaus<br />
vom Gesetz geschützt wird und <strong>das</strong><br />
Korsett eigentlich nicht zu eng <strong>ist</strong>,<br />
nur muss man sich eben ab und zu<br />
Luft verschaffen. Und genau dort<br />
liegt nach Johannes Weberl<strong>in</strong>g <strong>das</strong><br />
Problem: „Das Bewusstse<strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />
Pressefreiheit <strong>ist</strong> <strong>in</strong> weiten Bereichen<br />
<strong>de</strong>r Innenverwaltung <strong>de</strong>s Staates<br />
nicht mehr vorhan<strong>de</strong>n. Nicht je<strong>de</strong>r<br />
<strong>ist</strong> gegen Pressefreiheit, aber sobald<br />
die Presse etwas Kritisches berichtet<br />
durchaus. Es gibt aber ke<strong>in</strong>en Grund<br />
Informationen zu verweigern. Da <strong>ist</strong><br />
vielfach Unkenntnis, Unwillen und<br />
dann eben <strong>das</strong> Problem, <strong>das</strong>s man<br />
e<strong>in</strong> Risiko sieht und auch oft etwas<br />
zu verbergen hat, aber wenn man als<br />
Zeitung etwas herauskriegt muss man<br />
eben die Informationen erzw<strong>in</strong>gen<br />
und <strong>das</strong> kann man dann auch.“<br />
Oft s<strong>in</strong>d Journal<strong>ist</strong>en aber darauf<br />
angewiesen, <strong>das</strong>s ihnen e<strong>in</strong>e Information<br />
heimlich gesteckt wird,<br />
weil die offiziellen Kanäle solche<br />
Informationen nicht preisgeben o<strong>de</strong>r<br />
verschleiern. Viele solcher Informationen<br />
fließen im journal<strong>ist</strong>ischen<br />
Tagesgeschäft über Emails o<strong>de</strong>r<br />
Telefon. Doch neuerd<strong>in</strong>gs, so hat es<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>stag im November 2007<br />
beschlossen, dürfen telefonische<br />
Kontaktdaten etc. e<strong>in</strong> halbes Jahr<br />
auf Vorrat gespeichert wer<strong>de</strong>n – diese<br />
Vorratsdatenspeicherung dürfte<br />
Presse-Informanten, die unbekannt<br />
bleiben wollen, gewaltig e<strong>in</strong>schüchtern.<br />
„Big Brother watch<strong>in</strong>g you and<br />
me“ – und ke<strong>in</strong>er wehrt sich? Viele<br />
Zeitungen haben versucht zu prote-<br />
12<br />
stieren, <strong>de</strong>r Donaukurier erschien sogar<br />
mit geschwärztem Titelblatt. Aber<br />
<strong>de</strong>n Gesetzgeber ließ <strong>das</strong> sche<strong>in</strong>bar<br />
kalt. Er beruft sich auf europäische<br />
Regelungen und baut auf e<strong>in</strong> neues<br />
Klima <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gesellschaft, die sich<br />
sche<strong>in</strong>bar nicht mehr über solche<br />
E<strong>in</strong>griffe aufregt und dagegen wehrt,<br />
son<strong>de</strong>rn <strong>in</strong> ihnen e<strong>in</strong>en Schritt zu<br />
mehr Sicherheit sieht.<br />
wenn frau DeMokratIe<br />
hässlIcher wIrD<br />
Dass <strong>de</strong>r Nutzen dieser Vorratsdatenspeicherung<br />
zur Verbrechensbekämpfung<br />
verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>nd ger<strong>in</strong>g <strong>ist</strong>,<br />
sche<strong>in</strong>t nicht zu <strong>in</strong>teressieren. Die<br />
Frau Demokratie wird nicht schöner,<br />
wenn <strong>das</strong> Korsett so eng geschnürt<br />
<strong>ist</strong>, <strong>das</strong>s sie nicht mehr atmen kann.<br />
Aber sie besteht nicht nur aus Staat,<br />
son<strong>de</strong>rn vor allem aus Volk und es<br />
braucht immer jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>das</strong><br />
Korsett schnürt. Wenn man dabei die<br />
Luft anhält und nicht zurückweicht,<br />
bleibt auch genug Platz zum Atmen.<br />
Wer aber alles mitmacht und Vorratsdatenspeicherung<br />
geschehen lässt,<br />
gibt Zentimeter für Zentimeter <strong>de</strong>m<br />
schönen Sche<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Wespentaille<br />
Platz, h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>r sich aber eng und<br />
ungesund zusammengequetscht die<br />
Realität bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t.
13 frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008 <strong>in</strong>land<br />
DIE MACHT DES EDDINGS die Frage, ob er sich jemals selber<br />
e<strong>in</strong>en Kl<strong>in</strong>gelton herunter gela<strong>de</strong>n<br />
habe und was er privat <strong>de</strong>nn so für<br />
Musik höre.<br />
E<strong>in</strong> Essay über die Autorisierung von Interviews <strong>in</strong> Deutschland. Von David Sarkar<br />
S<br />
age nicht immer was du weißt,<br />
aber wisse immer was du<br />
sagst“ hat <strong>de</strong>r weise Mahatma<br />
Gandhi e<strong>in</strong>mal gesagt. Er hatte Recht.<br />
Denn wenn Worte <strong>de</strong>n Mund e<strong>in</strong>es<br />
Menschen e<strong>in</strong>mal verlassen haben,<br />
s<strong>in</strong>d sie weg. Es <strong>ist</strong> unmöglich sie jemals<br />
zurückzuholen. Egal ob es liebe,<br />
verletzen<strong>de</strong>, trösten<strong>de</strong>, erklären<strong>de</strong><br />
o<strong>de</strong>r auch nur beiläufige Worte waren.<br />
Sie s<strong>in</strong>d im besten Falle im Ohr e<strong>in</strong>es<br />
an<strong>de</strong>ren Menschen angekommen,<br />
und wer<strong>de</strong>n nun von <strong>de</strong>ssen Gehirn<br />
verarbeitet. Von <strong>de</strong>n tausen<strong>de</strong>n von<br />
Wörtern die „gewöhnliche Menschen“<br />
am Tag aus ihrem Mund verlieren<br />
wird außerhalb ihrer unmittelbaren<br />
Lebenswelt ke<strong>in</strong>e Notiz genommen.<br />
Für die so genannten „Personen <strong>de</strong>s<br />
öffentlichen Lebens“ gilt dies nicht.<br />
Obgleich sie auch nur Menschen s<strong>in</strong>d,<br />
wird vielen ihrer Worte e<strong>in</strong> höheres<br />
Gewicht beigemessen. Damit die<br />
Worte <strong>de</strong>r Promis nun aber auch für<br />
an<strong>de</strong>re Menschen hörbar und sichtbar<br />
gemacht wer<strong>de</strong>n können, müssen<br />
sie durch e<strong>in</strong> Medium transportiert<br />
wer<strong>de</strong>n. Politiker setzen sich <strong>in</strong> Talk-<br />
Shows, um über Sozialreformen zu<br />
sprechen, Musiker plau<strong>de</strong>rn über<br />
ihre neuen Veröffentlichungen <strong>in</strong> Radiosendungen,<br />
und doch gibt es e<strong>in</strong>e<br />
Darstellungsform, die für alle diese<br />
Menschen e<strong>in</strong>e essentielle Be<strong>de</strong>utung<br />
hat: <strong>das</strong> schriftliche Interview. Dies <strong>ist</strong><br />
vor allem <strong>de</strong>shalb so beliebt, weil es<br />
häufig mehr, ungefiltert und direkter<br />
Auskunft über e<strong>in</strong>e Person o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en<br />
bestimmten Sachverhalt gibt als an<strong>de</strong>re<br />
Formen <strong>de</strong>r Berichterstattung.<br />
Der toDfeInD: authorIsIerung<br />
In <strong>de</strong>n me<strong>ist</strong>en Fällen verläuft e<strong>in</strong><br />
solches Interview zwischen Journal<strong>ist</strong><br />
und Gesprächspartner auch<br />
reibungslos, doch seit e<strong>in</strong>igen Jahren<br />
<strong>ist</strong> diese beliebte Gattung gefähr<strong>de</strong>t.<br />
Ihr Fe<strong>in</strong>d trägt e<strong>in</strong>en Namen: Autorisierung.<br />
Wer e<strong>in</strong>en Interview-Term<strong>in</strong><br />
bekommen möchte, erhält diesen<br />
me<strong>ist</strong>ens nur nach <strong>de</strong>r schriftlichen<br />
E<strong>in</strong>willigung <strong>in</strong> die spätere Autorisierung,<br />
also <strong>de</strong>m Gegenlesen <strong>de</strong>s<br />
Interviews durch <strong>de</strong>n Interviewten<br />
beziehungsweise die ihn vertreten<strong>de</strong><br />
Pressestelle. Offiziell geschieht dies<br />
nur um Missverständnissen vorzubeugen,<br />
doch unter <strong>de</strong>r Hand <strong>ist</strong> die<br />
Autorisierungspraxis schon längst<br />
zu e<strong>in</strong>em ungehörigen Macht<strong>in</strong>strument<br />
gewor<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>e rechtliche<br />
Grundlage für diese Praxis gibt es bis<br />
heute jedoch nicht. Die Wege zur<br />
gewünschten E<strong>in</strong>willigung, teilweise<br />
auch unter Strafandrohung, nehmen<br />
dabei immer absur<strong>de</strong>re Formen an.<br />
In <strong>de</strong>r „Autorisierungs-Vere<strong>in</strong>barung“<br />
e<strong>in</strong>es <strong>de</strong>r erfolgreichsten <strong>de</strong>utschen<br />
Comedians und Filmproduzenten<br />
<strong>ist</strong> zu lesen: „Hiermit stehe ich dafür<br />
e<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Interview mit Herrn X.<br />
bzw. Interviewpassagen o<strong>de</strong>r Zitate<br />
rechtzeitig vor Drucklegung Herrn<br />
X zur Freigabe vorgelegt wer<strong>de</strong>n und<br />
nur im Fall <strong>de</strong>r Freigabe abgedruckt<br />
wer<strong>de</strong>n. Für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r Zuwi<strong>de</strong>rhandlung<br />
wer<strong>de</strong> ich e<strong>in</strong>e von Herrn<br />
X nach billigem Ermessen festzulegen<strong>de</strong>,<br />
im Streitfall vom Landgericht<br />
XY zu überprüfen<strong>de</strong> Vertragsstrafe<br />
bezahlen.“<br />
Derartige Maßnahmen können<br />
sicherlich dabei helfen <strong>de</strong>n Missbrauch<br />
e<strong>in</strong>es Interviews durch unseriöse<br />
Klatschblätter zu vermei<strong>de</strong>n,<br />
doch erstens kann man nicht alle<br />
Medienvertreter <strong>de</strong>r Unseriösität<br />
verdächtigen und zweitens be<strong>de</strong>uten<br />
solche Schritte e<strong>in</strong>e eklatante<br />
E<strong>in</strong>schränkung <strong>de</strong>r journal<strong>ist</strong>ischen<br />
Arbeit. Das Lied vom ewigen Leid<br />
<strong>de</strong>r Autorisierung <strong>ist</strong> jedoch noch<br />
nicht zu En<strong>de</strong>: In e<strong>in</strong>igen Fällen<br />
wer<strong>de</strong>n mittels <strong>de</strong>r Autorisierung<br />
sogar ganze Interviews entstellt.<br />
So geschehen am 28.11. 2003 <strong>in</strong><br />
<strong>de</strong>r Tageszeitung die taz, als <strong>de</strong>r<br />
damalige SPD-Generalsekretär Olaf<br />
Scholz die Freigabe e<strong>in</strong>es Interviews<br />
zum SPD-Parteitag gestoppt hat.<br />
„Die wie<strong>de</strong>rholte Nachfrage zu<br />
Ursachen und Folgen von Scholz<br />
schlechtem Wahlergebnis passte<br />
nicht <strong>in</strong>s rosige Bild, <strong>das</strong> die SPD-<br />
Sp<strong>in</strong>doktoren vom Parteitag malen<br />
wollten“ schreibt taz-Redakteur<br />
Patrik Schwarz. Die taz-Redaktion<br />
entschloss sich daher zu e<strong>in</strong>em<br />
medienwirksamen Experiment: Sie<br />
druckte e<strong>in</strong>zig die Fragen <strong>de</strong>s Inter-<br />
views ab, und färbte alle Antworten<br />
mit e<strong>in</strong>em Edd<strong>in</strong>g schwarz. Was<br />
folgte war e<strong>in</strong>e große Kampagne <strong>de</strong>r<br />
neun größten Tageszeitungen (u.a<br />
Frankfurter Rundschau), die schnell<br />
versan<strong>de</strong>te und bis heute ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche<br />
Regelung hervorgebracht<br />
hat, wie Journal<strong>ist</strong>en mit Autorisierungsattacken<br />
umgehen sollen.<br />
So <strong>ist</strong> es möglich, <strong>das</strong>s auch Jahre<br />
später noch <strong>de</strong>rartige E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong><br />
die Pressefreiheit möglich s<strong>in</strong>d. Zu<br />
sehen am Beispiel Tom Junkersdorf,<br />
heutiger Chefredakteur <strong>de</strong>r<br />
Jugendzeitschrift Bravo. In e<strong>in</strong>em<br />
Interview mit <strong>de</strong>m Onl<strong>in</strong>e-Portal<br />
„Planet-Interview“, für <strong>das</strong> auch<br />
<strong>de</strong>r Autor dieses Textes arbeitet,<br />
wur<strong>de</strong> Junkersdorf neben <strong>de</strong>m<br />
50. Geburtstag <strong>de</strong>r Bravo unter<br />
an<strong>de</strong>rem auch zu se<strong>in</strong>er Zeit bei<br />
<strong>de</strong>r Bild befragt. Dabei kam ans<br />
Licht, <strong>das</strong>s Junkersdorf maßgeblich<br />
an <strong>de</strong>r Skandal-Story um die Porno-<br />
Düstere Wolken über <strong>de</strong>r Pressefreiheit: Nicht nur die Politik, auch Künstler<br />
schüchtern Journal<strong>ist</strong>en gerne e<strong>in</strong>. Die Strafe heißt dann„Liebesentzug“,<br />
<strong>das</strong> heißt ke<strong>in</strong>e Vorzugs<strong>in</strong>formationen und ke<strong>in</strong>e Freikarten mehr.<br />
Vergangenheit <strong>de</strong>r Schauspieler<strong>in</strong><br />
Sibel Kekilli im Februar 2004,<br />
pünktlich nach <strong>de</strong>r Verleihung <strong>de</strong>s<br />
Gol<strong>de</strong>nen Bären für <strong>de</strong>n Ak<strong>in</strong>s Film<br />
„Gegen die Wand“ mit Kekilli <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />
Hauptrolle, beteiligt war. Details<br />
zu se<strong>in</strong>er Verstrickung <strong>in</strong> diese von<br />
<strong>de</strong>r Bild-Zeitung <strong>in</strong>itiierte mediale<br />
Hetzjagd erfahren wir jedoch nicht.<br />
70 Prozent <strong>de</strong>r Antworten fielen <strong>de</strong>r<br />
Autorisierung zum Opfer. Übrig<br />
blieben nur die Fragen, die Planet-<br />
Interview auf se<strong>in</strong>er Homepage<br />
www.planet-<strong>in</strong>terview.<strong>de</strong> publizierte.<br />
Da bleibt viel Raum für<br />
Spekulationen. Junkersdorf hatte<br />
aber nicht nur die Bild-Passagen gestrichen,<br />
son<strong>de</strong>rn auch die Aussagen<br />
über die Zukunft <strong>de</strong>r Teenie-Band<br />
„Tokio Hotel“, die Antwort auf<br />
Der vorteIl Des<br />
lIve-IntervIewers<br />
An dieser Stelle kommen wir auf<br />
Gandhis weise Worte zurück: „aber<br />
wisse immer was du sagst“. Angenommen,<br />
e<strong>in</strong> Interviewpartner <strong>ist</strong> im<br />
vollen Besitz se<strong>in</strong>er ge<strong>ist</strong>igen Kräfte,<br />
dann muss er doch bei all se<strong>in</strong>er<br />
Professionalität, die für se<strong>in</strong>en Job<br />
ansonsten auch notwendig <strong>ist</strong>, überblicken<br />
können, welche Aussagen er<br />
<strong>de</strong>r Öffentlichkeit zugänglich machen<br />
will, und welche nicht. Als Gast <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Live-Sendung können auch ke<strong>in</strong>e<br />
Antworten zurückgezogen wer<strong>de</strong>n.<br />
Wenn sich <strong>de</strong>r Gast vor die Kameras<br />
traut, dann muss er Stellung beziehen<br />
o<strong>de</strong>r <strong>das</strong> Studio verlassen. Letzteres<br />
wür<strong>de</strong> sicherlich ke<strong>in</strong>en guten E<strong>in</strong>druck<br />
h<strong>in</strong>terlassen, son<strong>de</strong>rn <strong>das</strong> Image<br />
<strong>de</strong>r Person erheblich schädigen.<br />
Ist <strong>de</strong>n Interviewten <strong>de</strong>nn nicht<br />
klar, <strong>das</strong>s dies auch für <strong>de</strong>n Pr<strong>in</strong>t-<br />
Journalismus gilt? E<strong>in</strong>e Person möchte<br />
Stärke und Macht <strong>de</strong>monstrieren,<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n Abdruck von Aussagen<br />
unterb<strong>in</strong><strong>de</strong>t. Doch <strong>das</strong> Gegenteil<br />
<strong>ist</strong> <strong>de</strong>r Fall. Junkersdorf <strong>de</strong>monstriert<br />
nichts als Schwäche und Unprofessionalität,<br />
wenn er nicht zu se<strong>in</strong>en<br />
Worten und se<strong>in</strong>er Vergangenheit<br />
stehen kann. Konsequenterweise<br />
sollten <strong>de</strong>rartig verstümmelte Interviews<br />
eigentlich gar nicht abgedruckt<br />
wer<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>m Interviewten se<strong>in</strong>e<br />
Werbeplattform zu entziehen, doch<br />
manchmal sagen eben solche Interviews<br />
mehr über e<strong>in</strong>e Person aus, als<br />
sie ursprünglich preisgeben wollte.<br />
Dabei sitzen doch alle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Boot:<br />
Journal<strong>ist</strong>en brauchen Prom<strong>in</strong>ente<br />
und ihre Agenturen um ihre Seiten<br />
zu füllen, und diese wie<strong>de</strong>rum brauchen<br />
die Öffentlichkeit um ihre Produkte<br />
zu vermarkten. Je<strong>de</strong> Seite hat<br />
Rechte und Pflichten zugleich und<br />
muss sich an die Spielregeln halten.<br />
Journal<strong>ist</strong>en dürfen ke<strong>in</strong>e Interviews<br />
verfälschen, und Interviewpartner<br />
sollten sich vorher überlegen, wie<br />
weit sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview aus<br />
<strong>de</strong>m Fenster lehnen wollen.<br />
Gesagt <strong>ist</strong> gesagt – <strong>das</strong> gilt für<br />
<strong>das</strong> normale Leben, und sollte und<br />
muss im S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
auch für <strong>das</strong> Pr<strong>in</strong>t-Interview gelten.<br />
Autorisierungen <strong>in</strong> erheblichem<br />
Umfang gefähr<strong>de</strong>n dieses Recht und<br />
die Darstellungsform <strong>de</strong>s Interviews<br />
an sich. Je<strong>de</strong>r Medienvertreter kann<br />
und muss se<strong>in</strong>en Beitrag dazu le<strong>ist</strong>en,<br />
<strong>das</strong>s diese Form <strong>de</strong>r journal<strong>ist</strong>ischen<br />
Arbeit nicht bald vom Aussterben<br />
bedroht <strong>ist</strong>. Das wird jedoch nur<br />
funktionieren, wenn sich Zeitungen<br />
und Medienvertreter zusammenschließen<br />
und sich geme<strong>in</strong>sam gegen<br />
<strong>de</strong>n Autorisierungszwang wehren.
<strong>in</strong>land<br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008<br />
QUALITäT HAT IHREN PREIS<br />
Können sich Pr<strong>in</strong>tmedien die Pressefreiheit noch le<strong>ist</strong>en? Von Nicole H<strong>in</strong>z<br />
W<br />
er glaubt, <strong>das</strong>s man als<br />
Journal<strong>ist</strong> nur <strong>in</strong> Diktaturen<br />
nicht schreiben<br />
darf, was man <strong>de</strong>nkt, <strong>de</strong>r irrt.<br />
Auch <strong>in</strong> Deutschland gibt es e<strong>in</strong>ige<br />
Faktoren, die sich negativ auf<br />
die Presse- und Me<strong>in</strong>ungsfreiheit<br />
auswirken. E<strong>in</strong> Beispiel <strong>ist</strong> die<br />
Marktwirtschaft.<br />
Tatort München: Die Süd<strong>de</strong>utsche<br />
Zeitung (SZ) berichtet kritisch<br />
über die Supermarktkette Aldi. Der<br />
Konzern <strong>ist</strong> davon nicht bege<strong>ist</strong>ert<br />
und beschließt umgehend e<strong>in</strong>en<br />
Anzeigenboykott. E<strong>in</strong> ganzes Jahr<br />
lang gibt es <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Süd<strong>de</strong>utschen<br />
ke<strong>in</strong>e Werbung mehr von Aldi. Der<br />
Verlust bei <strong>de</strong>r SZ wird auf mehrere<br />
Millionen Euro geschätzt.<br />
Die Süd<strong>de</strong>utsche <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r<br />
größten überregionalen Zeitungen<br />
<strong>in</strong> Deutschland – doch was wäre,<br />
wenn dies e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Tageszeitung<br />
passieren wür<strong>de</strong>? E<strong>in</strong> Konzern<br />
wie Aldi <strong>ist</strong> e<strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzielles<br />
Standbe<strong>in</strong>, auf <strong>das</strong> nicht verzichtet<br />
wer<strong>de</strong>n kann. Je<strong>de</strong> Woche zwei<br />
ganzseitige Anzeigen be<strong>de</strong>uten<br />
e<strong>in</strong>e Menge Geld. Wür<strong>de</strong> diese<br />
E<strong>in</strong>nahmequelle wegfallen, wäre<br />
<strong>das</strong> womöglich <strong>das</strong> Aus. Kann sich<br />
also e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Zeitung die Pressefreiheit<br />
nicht mehr le<strong>ist</strong>en?<br />
Natürlich gibt es <strong>in</strong> Deutschland<br />
Maßnahmen, die garantieren, <strong>das</strong>s<br />
die Presse unabhängig von Werbee<strong>in</strong>nahmen<br />
arbeiten kann – allerd<strong>in</strong>gs<br />
nur für <strong>de</strong>n Rundfunk und <strong>das</strong> Fernsehen.<br />
Der Rundfunkstaatsvertrag<br />
schreibt <strong>in</strong> diesen Bereichen e<strong>in</strong>e<br />
„duale Ordnung“ vor, also auf <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en<br />
Seite e<strong>in</strong>en öffentlich-rechtlichen<br />
Rundfunk, <strong>de</strong>r sich durch Gebühren<br />
f<strong>in</strong>anziert und auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite<br />
e<strong>in</strong>en privaten Rundfunk, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e<br />
E<strong>in</strong>nahmen aus Werbung bezieht.<br />
Das Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht hat <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Entscheidung sogar festgelegt,<br />
<strong>das</strong>s <strong>de</strong>r private Rundfunk alle<strong>in</strong><br />
gar nicht zu <strong>de</strong>r Sicherung e<strong>in</strong>er<br />
freien Me<strong>in</strong>ungsbildung beitragen<br />
kann. Denn die Tatsache, sich über<br />
Werbung f<strong>in</strong>anzieren zu müssen,<br />
führe dazu, <strong>das</strong>s privater Rundfunk<br />
<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Interessen <strong>de</strong>r<br />
Zielgruppen berücksichtigt, die für<br />
die Wirtschaft relevant s<strong>in</strong>d. Auch<br />
im Grundgesetz f<strong>in</strong><strong>de</strong>t man e<strong>in</strong> Wort<br />
hierzu: Der Gesetzgeber hat <strong>de</strong>n Auftrag,<br />
die Vielfalt <strong>de</strong>r Presse zu sichern<br />
und freie Me<strong>in</strong>ungsbildung durch<br />
<strong>de</strong>n Rundfunk zu gewährle<strong>ist</strong>en.<br />
Doch warum gilt dies nicht für<br />
die Pr<strong>in</strong>tmedien? Wieso gibt es ke<strong>in</strong>e<br />
Regelung <strong>in</strong> Deutschland, die auch<br />
<strong>de</strong>n Zeitungen und Zeitschriften<br />
e<strong>in</strong>e unabhängige Berichterstattung<br />
ermöglicht? E<strong>in</strong> Blick zu <strong>de</strong>n europäischen<br />
Nachbarn zeigt, <strong>das</strong>s die<br />
I<strong>de</strong>e e<strong>in</strong>er staatlichen Subventionierung<br />
gar nicht so abwegig <strong>ist</strong>. Griechenland<br />
bietet se<strong>in</strong>en Zeitungsverlagen<br />
Steuervergünstigungen an,<br />
Frankreich unterstützt gezielt die<br />
f<strong>in</strong>anziell schwachen Blätter.<br />
MoDell österreIch<br />
In <strong>de</strong>n skand<strong>in</strong>avischen Län<strong>de</strong>rn gibt<br />
es sogar e<strong>in</strong>e konkrete Presseför<strong>de</strong>rung<br />
und auch <strong>in</strong> Österreich bekommen<br />
die Pr<strong>in</strong>tmedien e<strong>in</strong>e staatliche<br />
F<strong>in</strong>anzhilfe. Die Vorteile liegen klar<br />
auf <strong>de</strong>r Hand: Ke<strong>in</strong>e Zeitung sieht<br />
sich <strong>de</strong>r Insolvenz gegenüber, wenn<br />
sich e<strong>in</strong> Anzeigenkun<strong>de</strong> zurückzieht.<br />
E<strong>in</strong>e unabhängige, kritische<br />
14<br />
Berichterstattung wird also garantiert.<br />
Durch die Zuschüsse wer<strong>de</strong>n<br />
aufwändigere Recherchen möglich<br />
gemacht, e<strong>in</strong>e größere Anzahl an<br />
besser ausgebil<strong>de</strong>ten Redakteuren<br />
kann beschäftigt wer<strong>de</strong>n und die<br />
journal<strong>ist</strong>ische Qualität steigt. Auch<br />
die Sicherung <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ungsvielfalt<br />
<strong>ist</strong> damit gewährle<strong>ist</strong>et.<br />
Um diese Gefahren zu bannen<br />
<strong>das</strong>s sich Journalismus und Wirtschaft<br />
verbannen, s<strong>in</strong>d Richtl<strong>in</strong>ien<br />
für die Vergabe <strong>de</strong>r Gel<strong>de</strong>r zw<strong>in</strong>gend<br />
erfor<strong>de</strong>rlich. Auch hier dient<br />
Österreich als Vorbild: Die Wiener<br />
Medienbehör<strong>de</strong> „KommAustria“<br />
schreibt unter an<strong>de</strong>rem vor, <strong>das</strong>s<br />
nur Zeitungen geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, die<br />
sich auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Verfassung<br />
bewegen. Und Kun<strong>de</strong>nzeitschriften<br />
o<strong>de</strong>r Presseorgane von Interessensvertretungen<br />
wer<strong>de</strong>n grundsätzlich<br />
nicht bedacht. Weiterh<strong>in</strong> gibt es<br />
klare Vorgaben bezüglich <strong>de</strong>r Auflagenzahl,<br />
Ersche<strong>in</strong>ungsweise und<br />
Eigenbeiträge <strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong>en.<br />
Betrachtet man <strong>das</strong> Mo<strong>de</strong>ll, <strong>das</strong><br />
uns unsere Nachbarn vorleben, sollte<br />
sich auf je<strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r Ruf nach<br />
e<strong>in</strong>er staatlichen Subventionierung<br />
<strong>de</strong>r Pr<strong>in</strong>tmedien <strong>in</strong> Deutschland<br />
anschließen. Es darf doch nicht se<strong>in</strong>,<br />
<strong>das</strong>s e<strong>in</strong> me<strong>in</strong>ungsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Medium<br />
<strong>de</strong>n Gesetzen <strong>de</strong>r Marktwirtschaft<br />
unterliegt. Denn e<strong>in</strong>e plural<strong>ist</strong>ische,<br />
unabhängige Presse <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r Garant e<strong>in</strong>er<br />
<strong>de</strong>mokratischen Gesellschaft. Es<br />
<strong>ist</strong> ganz <strong>in</strong> ihrem S<strong>in</strong>ne, <strong>de</strong>m Volk die<br />
Möglichkeit zu geben, e<strong>in</strong>e kritische<br />
Me<strong>in</strong>ung zu entwickeln, die sich auf<br />
gut recherchierte Fakten stützt.<br />
Die Funktion <strong>de</strong>r Pr<strong>in</strong>tmedien als<br />
„vierte Gewalt“ <strong>ist</strong> nur dann wirklich<br />
funktionsfähig und ernst zu nehmen,<br />
wenn diese frei <strong>ist</strong> und sich nicht ausschließlich<br />
durch Werbee<strong>in</strong>ahmen<br />
f<strong>in</strong>anziert. Auch Jürgen Habermas,<br />
e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r wichtigsten <strong>de</strong>utschen<br />
Philosophen, for<strong>de</strong>rte unlängst <strong>in</strong><br />
<strong>de</strong>r SZ e<strong>in</strong>e staatliche Unterstützung<br />
<strong>de</strong>r Pr<strong>in</strong>tmedien. Nur so könne e<strong>in</strong>e<br />
qualitative Grundversorgung <strong>de</strong>r<br />
Bürger und e<strong>in</strong>e „diskursive Vitalität“<br />
<strong>de</strong>r Presse gewährle<strong>ist</strong>et wer<strong>de</strong>n. Er<br />
sehe e<strong>in</strong>e beson<strong>de</strong>re Gefährdung<br />
journal<strong>ist</strong>ischer Standards <strong>in</strong> E<strong>in</strong>sparungsmaßnahmen<br />
und f<strong>in</strong>anzieller<br />
Abhängigkeit. Und <strong>das</strong>, me<strong>in</strong>te Habermas,<br />
könne sich e<strong>in</strong>e Demokratie<br />
schlichtweg nicht le<strong>ist</strong>en.<br />
Deutschlands Richtigstellung <strong>de</strong>s Jahres<br />
2007. Aufgelesen im Bahn-Magaz<strong>in</strong><br />
mobil 5/07, <strong>das</strong> <strong>in</strong> allen ICEs ausliegt.
Anzeige
schülerzeitung<br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008<br />
AUCH DAS NOCH: KNUTSCHVERBOT VERSUS PRESSEFREIHEIT<br />
Manchmal ziehen persönliche Freiheit und Pressefreiheit kuriose Bahnen.<br />
Da ex<strong>ist</strong>iert Artikel 2 <strong>de</strong>s Grundgesetzes mit <strong>de</strong>m Recht auf die freie Entfaltung<br />
<strong>de</strong>r Persönlichkeit – und dann <strong>das</strong>: KNUTSCHVERBOT! Von Sabr<strong>in</strong>a Gun<strong>de</strong>rt<br />
E<br />
s begab sich an e<strong>in</strong>em kühlen<br />
Ort im Frühjahr 2006, <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em grauen Klotz. Genauer<br />
Plötzlich entsann sie sich jedoch,<br />
<strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Löwe gleich nebenan saß.<br />
Diesen müsse man schließlich auch<br />
gesagt: Im Büro <strong>de</strong>s Herrschen<strong>de</strong>n noch um Erlaubnis fragen.<br />
dieser Anstalt. Besser bekannt <strong>ist</strong> Zaghaft öffnete sie die Tür, steckte<br />
dieses Gebäu<strong>de</strong> als Gymnasium <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Kopf here<strong>in</strong> und ich trug <strong>de</strong>m<br />
Siegburg, doch nicht selten sche<strong>in</strong>t Löwen me<strong>in</strong> Anliegen vor. „Darüber<br />
ersterer Name besser zu passen. schreibst du nichts!“, fauchte er zu-<br />
Erst war es nur e<strong>in</strong> Tuscheln, e<strong>in</strong> rück. „Es gibt wichtigere Themen.“<br />
leises Munkeln. Dann wur<strong>de</strong> es er- Ke<strong>in</strong>e zwei M<strong>in</strong>uten später stand ich<br />
schrecken<strong>de</strong> Gewissheit: An unserer ratlos vor se<strong>in</strong>em Büro. Ich wusste<br />
heiß geliebten Schule sollte es e<strong>in</strong> nicht e<strong>in</strong> noch aus. Er, <strong>de</strong>r Löwe, hatte<br />
Knutschverbot geben. E<strong>in</strong> Aufschrei mich me<strong>in</strong>es wichtigsten Rechtes,<br />
g<strong>in</strong>g durch die Reihen – wenn auch <strong>de</strong>m Recht auf Information, gna-<br />
e<strong>in</strong>ige Lehrer und stark religiös <strong>de</strong>nlos beschnitten. E<strong>in</strong> Anruf <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />
geprägte Schüler sich diesem nicht Redaktion weckte me<strong>in</strong>en Kampfge<strong>ist</strong>.<br />
anschlossen. Fragen à la „Warum? Wenn es ke<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>tergrund<strong>in</strong>forma-<br />
Was soll <strong>das</strong>?“, Kopfschütteln und tionen gibt, machen wir halt etwas<br />
viele Lacher prägten die nächsten<br />
Tage. Aus Lehrerkreisen waren<br />
Lustiges darüber, hieß es von dort.<br />
jedoch ke<strong>in</strong>e näheren Details zu<br />
erfahren. Doch wir wollten mehr.<br />
„lIzenz zuM offenen krIeg“<br />
Als Vertreter<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Vierten Gewalt E<strong>in</strong>e Woche später prangte auf <strong>de</strong>r<br />
im Lan<strong>de</strong> wagte ich mich schließ- Jugendseite unserer Lokalzeitung e<strong>in</strong>e<br />
lich <strong>in</strong> die Höhle <strong>de</strong>s Löwen. Die Glosse über die Gefahren <strong>de</strong>s Knuts-<br />
Stellvertreter<strong>in</strong> <strong>de</strong>s Obersten <strong>in</strong> chens und wie gut es <strong>ist</strong>, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Knut-<br />
<strong>de</strong>r Anstalt war sofort bereit, mir schen <strong>in</strong> unserem Gymnasium endlich<br />
die H<strong>in</strong>tergrün<strong>de</strong> zu erzählen. Sie e<strong>in</strong> En<strong>de</strong> f<strong>in</strong><strong>de</strong>n soll. Doch <strong>das</strong> war<br />
sprach von <strong>de</strong>r Gefahr für die die Lizenz zum offenen Krieg: Tags<br />
Jüngeren, wenn sie knutschen<strong>de</strong> darauf h<strong>in</strong>g <strong>in</strong> unserer Schule e<strong>in</strong>e<br />
Schüler mit ansehen mussten und Gegendarstellung – mit H<strong>in</strong>tergrund-<br />
<strong>de</strong>m Erziehungsauftrag <strong>de</strong>r Schule. <strong>in</strong>formationen. Der Löwe for<strong>de</strong>rte<br />
die erste Seite unserer Lokalausgabe<br />
für se<strong>in</strong>e Gegendarstellung e<strong>in</strong> – und<br />
bekam e<strong>in</strong> paar Zeilen für e<strong>in</strong>en Leserbrief.<br />
Verstörte Eltern bombardierten<br />
<strong>das</strong> Sekretariat mit Nachfragen. Der<br />
Löwe lies verlauten, nicht mehr mit<br />
mir re<strong>de</strong>n zu wollen – für ihn sei die<br />
Sache erledigt. Dafür beschuldigte er<br />
mich, me<strong>in</strong>en Artikel e<strong>in</strong>fach kopiert<br />
und die Fakten über <strong>das</strong> Küssen aus<br />
e<strong>in</strong>em wissenschaftlichen Text gestohlen<br />
zu haben. Es folgte e<strong>in</strong> Anruf<br />
<strong>de</strong>s Bürgerme<strong>ist</strong>ers beim Löwen, <strong>de</strong>r<br />
wissen wollte, ob dieser nichts Besseres<br />
zu tun habe. Stun<strong>de</strong>nlange Schülervertretungs-Lehrersitzungen<br />
prägten die<br />
Tagesordnung. Fragen, wie nach <strong>de</strong>r<br />
Def<strong>in</strong>ition von „Knutschen“ schienen<br />
plötzlich ex<strong>ist</strong>enziell.<br />
Letztendlich steht <strong>das</strong> Knutschverbot<br />
mittlerweile <strong>in</strong> unserer Hausordnung:<br />
„Knutschen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Gebäu<strong>de</strong>n<br />
und auf <strong>de</strong>m Schulgelän<strong>de</strong> wird<br />
von Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern,<br />
Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrern als nicht<br />
angebracht empfun<strong>de</strong>n“ – wobei<br />
die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler nicht<br />
viel mitzusprechen hatten bei <strong>de</strong>r<br />
Formulierung.<br />
Warum <strong>das</strong> Ganze – diese Frage<br />
<strong>ist</strong> immer noch nicht ganz geklärt.<br />
Aus <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Ecke wird über e<strong>in</strong>en<br />
16<br />
Vorfall auf <strong>de</strong>r Schul-Tischtennisplatte<br />
gemunkelt. Das Pärchen darauf<br />
habe nicht nur rumgeknutscht<br />
und zig Fünftklässler hätten die<br />
Szene erstaunt beobachtet. An<strong>de</strong>re<br />
Quellen sprechen von zwei knutschen<strong>de</strong>n<br />
Oberstufenpärchen. All<br />
<strong>de</strong>r Wirbel wegen vier Verliebten?<br />
Bis heute <strong>ist</strong> die Frage ungeklärt.<br />
Die Bestrafung fürs Knutschen<br />
gleicht jedoch e<strong>in</strong>em Folterurteil:<br />
Der Lehrer, <strong>de</strong>r die Knutschen<strong>de</strong>n<br />
erwischt, soll sie bitten, dies nicht<br />
mehr <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Schule zu tun. Es <strong>ist</strong><br />
verständlich, <strong>das</strong>s diese Androhung<br />
die Schülermassen unendlich e<strong>in</strong>schüchtert.<br />
Was <strong>ist</strong> draus gewor<strong>de</strong>n? Nach<br />
gut an<strong>de</strong>rthalb Jahren knutschen<br />
alle noch fröhlich vor sich h<strong>in</strong> und<br />
wenn jemand dabei erwischt wird, <strong>ist</strong><br />
lediglich e<strong>in</strong> lautes „Knutschverbot!“<br />
gefolgt von e<strong>in</strong>em Lacher zu hören.<br />
Mittlerweile gab es sogar e<strong>in</strong>en Rap<br />
auf <strong>de</strong>m Ab<strong>ist</strong>reich über <strong>das</strong> „Knuknu-Knutschverbot“.<br />
Der Löwe schlummert <strong>de</strong>rweil<br />
weiter <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Höhle. Vermutlich<br />
brütet er schon über se<strong>in</strong>em neuestem<br />
Produkt: E<strong>in</strong>em Berührungs-<br />
o<strong>de</strong>r Anlächel-Verbot. O<strong>de</strong>r e<strong>in</strong><br />
Leseverbot solcher Zeilen…?
17 frei* / W<strong>in</strong>ter 2008 schülerzeitung<br />
GUTER RAT FÜR<br />
SCHÜLERZEITUNGSREDAKTEURE<br />
Sieben Fragen an Johannes Weberl<strong>in</strong>g. Der Berl<strong>in</strong>er Rechtsanwalt<br />
<strong>ist</strong> Spezial<strong>ist</strong> für Presserecht. Von Holger Kulick<br />
E<strong>in</strong> Schülerzeitungsredakteur nimmt Fotos<br />
mit Schülern auf <strong>de</strong>m Schulhof o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>er<br />
Klassenfete auf und will sie veröffentlichen.<br />
Wer muss wann um Erlaubnis gefragt<br />
wer<strong>de</strong>n und müssen die, die ke<strong>in</strong>e Erlaubnis<br />
gegeben haben, e<strong>in</strong>en schwarzen Gesichtsbalken<br />
o<strong>de</strong>r Pixel erhalten?<br />
Gem. § 22 Kunsturhebergesetz<br />
(KUG) dürfen Bildnisse nur mit E<strong>in</strong>willigung<br />
<strong>de</strong>s Abgebil<strong>de</strong>ten verbreitet<br />
o<strong>de</strong>r öffentlich zur Schau gestellt<br />
wer<strong>de</strong>n. Das be<strong>de</strong>utet, daß je<strong>de</strong>r<br />
Abgebil<strong>de</strong>te vor <strong>de</strong>r Veröffentlichung<br />
gefragt wer<strong>de</strong>n muß, ob er damit<br />
e<strong>in</strong>verstan<strong>de</strong>n <strong>ist</strong>, <strong>das</strong>s se<strong>in</strong> Bild <strong>in</strong><br />
dieser Art und Weise veröffentlicht<br />
wird. Die E<strong>in</strong>willigung <strong>in</strong> die Veröffentlichung<br />
kann sich aber auch aus<br />
schlüssigem Verhalten ergeben, so<br />
beispielsweise wenn die fotografierte<br />
Person für die Kamera posiert, Kußhän<strong>de</strong><br />
verteilt o<strong>de</strong>r ähnliches.<br />
Wer se<strong>in</strong>e vorherige E<strong>in</strong>willigung<br />
zur Veröffentlichung nicht ausdrücklich<br />
erteilt, muss unkenntlich<br />
gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />
Ke<strong>in</strong>er <strong>in</strong> De<strong>in</strong>er Schülerzeitungs-Redaktion<br />
<strong>ist</strong> schon volljährig. Muss dann e<strong>in</strong> Lehrer<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Direktor für e<strong>in</strong>e Schülerzeitung<br />
presserechtlich verantwortlich zeichnen?<br />
Schülerzeitungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel<br />
Druckerzeugnisse und erfüllen so<br />
<strong>de</strong>n Rechtsbegriff <strong>de</strong>r Presse. Daher<br />
gilt <strong>das</strong> Grundrecht <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG<br />
auch für Schülerzeitungen, die nur<br />
von Schülern ohne Beteiligung <strong>de</strong>r<br />
Schule erarbeitet wer<strong>de</strong>n. Da die<br />
Pressefreiheit e<strong>in</strong> Grundrecht <strong>ist</strong>, <strong>das</strong><br />
für je<strong>de</strong>rmann gilt, schützt sie auch<br />
Schüler, die noch m<strong>in</strong><strong>de</strong>rjährig s<strong>in</strong>d.<br />
Die Lan<strong>de</strong>spressegesetze erkennen<br />
diesen Grundsatz an und sehen <strong>de</strong>shalb<br />
vor, <strong>das</strong>s bei <strong>de</strong>r Herausgabe von<br />
periodisch ersche<strong>in</strong>en<strong>de</strong>n Schülerzeitungen<br />
durch m<strong>in</strong><strong>de</strong>rjährige Schüler<br />
<strong>de</strong>r verantwortliche Redakteur nicht<br />
volljährig se<strong>in</strong> muß. Schüler dürfen<br />
also <strong>in</strong> Eigenverantwortung e<strong>in</strong>e<br />
Schülerzeitung herausgeben und es<br />
bedarf ke<strong>in</strong>es presserechtlich verantwortlichen<br />
Lehrers.<br />
De<strong>in</strong>e Schülerzeitung erzählt Uns<strong>in</strong>n über<br />
Dich. Gibt es auch für von Berichterstattung<br />
betroffene Schüler o<strong>de</strong>r Lehrer e<strong>in</strong> Gegendarstellungsrecht<br />
o<strong>de</strong>r könntest Du sogar<br />
Scha<strong>de</strong>nsersatz beanspruchen?<br />
Grundsätzlich steht <strong>das</strong> Gegendarstellungsrecht<br />
je<strong>de</strong>m zu, <strong>de</strong>r durch<br />
e<strong>in</strong>e Darstellung <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Presse betroffen<br />
<strong>ist</strong>. Da auch e<strong>in</strong>e Schülerzeitung<br />
e<strong>in</strong> Druckerzeugnis und damit<br />
e<strong>in</strong> Teil <strong>de</strong>r Presse <strong>ist</strong>, gelten die<br />
Grundsätze für die Gegendarstellung<br />
auch hier. Betroffen <strong>ist</strong> je<strong>de</strong>r, <strong>in</strong><br />
<strong>de</strong>ssen Interessensphäre durch e<strong>in</strong>e<br />
Tatsachenbehauptung (nicht durch<br />
Me<strong>in</strong>ungsäußerungen!) unmittelbar<br />
o<strong>de</strong>r mittelbar e<strong>in</strong>gegriffen wird und<br />
<strong>de</strong>r dadurch <strong>in</strong>dividuell berührt<br />
wird. Dabei <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e ausdrücklich<br />
namentliche Kennzeichnung nicht<br />
erfor<strong>de</strong>rlich. Es reicht vielmehr aus,<br />
wenn e<strong>in</strong>e nicht unbeträchtliche<br />
Anzahl unbefangener Leser die<br />
Meldung mit e<strong>in</strong>er bestimmten<br />
Person <strong>in</strong> Beziehung setzen kann.<br />
Die genauen Voraussetzungen für<br />
e<strong>in</strong>e Gegendarstellung s<strong>in</strong>d von<br />
Bun<strong>de</strong>sland zu Bun<strong>de</strong>sland verschie<strong>de</strong>n<br />
und f<strong>in</strong><strong>de</strong>n sich im jeweiligen<br />
Lan<strong>de</strong>spressegesetz (alle zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n<br />
unter www.presserecht.<strong>de</strong>).<br />
Bei e<strong>in</strong>er sehr schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung<br />
kann ausnahmsweise<br />
auch e<strong>in</strong> Anspruch auf<br />
Gel<strong>de</strong>ntschädigung bestehen, wenn<br />
e<strong>in</strong>e Genugtuung <strong>de</strong>s Opfers auf<br />
an<strong>de</strong>re Weise nicht zu erlangen <strong>ist</strong>.<br />
Unabhängig davon besteht e<strong>in</strong><br />
Anspruch auf Scha<strong>de</strong>nersatz, wenn<br />
<strong>de</strong>m Betroffenen durch die Berichterstattung<br />
e<strong>in</strong> wirtschaftlicher<br />
Scha<strong>de</strong>n entstan<strong>de</strong>n <strong>ist</strong>. Er setzt e<strong>in</strong><br />
Verschul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Verletzers voraus.<br />
Dies <strong>ist</strong> <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re gegeben, wenn<br />
er gegen die journal<strong>ist</strong>ischen Sorgfaltspflichten<br />
(dazu mehr bei Frage 5)<br />
verstoßen hat. Dabei genügt bereits<br />
leichte Fahrlässigkeit.<br />
Eure Schülerzeitung soll (auch) onl<strong>in</strong>e<br />
ersche<strong>in</strong>en. Wie sicherst du Dich gegen <strong>de</strong>n<br />
copy & paste-Text-Klau? O<strong>de</strong>r lässt sich im<br />
Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> dagegen vorgehen?<br />
E<strong>in</strong>en sicheren Schutz gegen <strong>das</strong><br />
wi<strong>de</strong>rrechtliche Kopieren von Textteilen<br />
gibt es nicht. Ratsam <strong>ist</strong> es aber,<br />
bereits auf <strong>de</strong>r Homepage darauf<br />
h<strong>in</strong>zuweisen, daß die Texte urheberrechtlich<br />
geschützt s<strong>in</strong>d und <strong>das</strong>s<br />
e<strong>in</strong>e Verwendung <strong>de</strong>r Texte ohne die<br />
E<strong>in</strong>willigung <strong>de</strong>s Urhebers zum Zwecke<br />
<strong>de</strong>r Vervielfältigung, Verbreitung<br />
o<strong>de</strong>r öffentlichen Wie<strong>de</strong>rgabe sogar<br />
strafbar <strong>ist</strong> und mit Freiheitsstrafe bis<br />
zu drei Jahren o<strong>de</strong>r mit Geldstrafe<br />
geahn<strong>de</strong>t wird (§ 106 UrhG).<br />
Wenn bereits Textstellen unzulässigerweise<br />
übernommen wor<strong>de</strong>n<br />
s<strong>in</strong>d, bietet <strong>das</strong> Urheberrechtsgesetz<br />
Schutz, <strong>das</strong> e<strong>in</strong>en Anspruch auf<br />
Unterlassung und Scha<strong>de</strong>nersatz für<br />
solche Fälle vorsieht (§ 97 UrhG).<br />
In strafrechtlicher H<strong>in</strong>sicht kann<br />
<strong>de</strong>r Text-Dieb wegen un<strong>erlaubt</strong>er<br />
Verwertung urheberrechtlich geschützter<br />
Werke angezeigt wer<strong>de</strong>n.<br />
De<strong>in</strong>e Schülerzeitung will mit e<strong>in</strong>er Recherchestory<br />
e<strong>in</strong> ortsansässiges Unternehmen<br />
o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelperson ‚anpissen‘, weil Du etwas<br />
Negatives über sie herausgefun<strong>de</strong>n hast.<br />
Was musst Du dabei unbed<strong>in</strong>gt beachten?<br />
Wichtig <strong>ist</strong>, <strong>das</strong>s die journal<strong>ist</strong>ischen<br />
Sorgfaltspflichten e<strong>in</strong>gehalten wer<strong>de</strong>n.<br />
Diese s<strong>in</strong>d vor allem die Pflicht zur<br />
Wahrheit, die Pflicht zur Sachlichkeit<br />
und die Pflicht zur Güterabwägung.<br />
Der Wahrheitspflicht <strong>ist</strong> genügt,<br />
wenn <strong>de</strong>r Autor alle Nachrichten vor<br />
ihrer Verbreitung auf ihre Wahrheit<br />
h<strong>in</strong> überprüft. Bei zweifelhaften Sachverhalten<br />
o<strong>de</strong>r Quellen s<strong>in</strong>d Rückfragen<br />
beim Betroffenen unabd<strong>in</strong>glich.<br />
Dem Betroffenen <strong>ist</strong> grundsätzlich<br />
vor <strong>de</strong>r Veröffentlichung die Möglichkeit<br />
zur Stellungnahme zu geben.<br />
Der Pflicht zur Sachlichkeit <strong>ist</strong><br />
genügt, wenn die Veröffentlichung<br />
nicht von unsachlichen Momenten<br />
wie Sensationsgier, Konkurrenzneid<br />
o<strong>de</strong>r persönliche Gegnerschaft getragen,<br />
son<strong>de</strong>rn ausschließlich von<br />
sachlichen Erwägungen geleitet <strong>ist</strong>.<br />
Außer<strong>de</strong>m besteht die Pflicht zur<br />
Güterabwägung, da <strong>de</strong>m Recht<br />
auf Pressefreiheit <strong>das</strong> Recht auf<br />
Schutz <strong>de</strong>r Persönlichkeit und <strong>de</strong>r<br />
Ehre gleichwertig gegenüber steht.<br />
Vor je<strong>de</strong>r Veröffentlichung muss<br />
<strong>de</strong>shalb überprüft wer<strong>de</strong>n, ob e<strong>in</strong><br />
„Öffentlichkeitswert“ <strong>de</strong>r Mitteilung<br />
gegeben <strong>ist</strong>. Dies <strong>ist</strong> immer dann zu<br />
bejahen, wenn die Berichterstattung<br />
über Bezüge zu e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>zelperson<br />
h<strong>in</strong>ausgeht und e<strong>in</strong>e Thematik von<br />
großer Tragweite für <strong>das</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsleben<br />
anspricht. Aber selbst<br />
wenn <strong>de</strong>r Öffentlichkeitswert gegeben<br />
<strong>ist</strong>, muß <strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong> abwägen,<br />
ob im E<strong>in</strong>zelfall <strong>das</strong> Informations<strong>in</strong>teresse<br />
<strong>de</strong>r Öffentlichkeit o<strong>de</strong>r die<br />
<strong>de</strong>m Betroffenen durch die Veröffentlichung<br />
drohen<strong>de</strong> Persönlichkeitsrechtsbee<strong>in</strong>trächtigung<br />
vorgeht. Ist<br />
die Persönlichkeitsrechtsverletzung<br />
schwerwiegend, weil die Privat- o<strong>de</strong>r<br />
Intimsphäre verletzt wird, so hat die<br />
Veröffentlichung zu unterbleiben.<br />
Bei Sachverhalten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Sozialsphäre,<br />
also <strong>de</strong>r Öffentlichkeit <strong>ist</strong> die Veröffentlichung<br />
grundsätzlich zulässig.<br />
Eurer Schulleitung passt die Ausgabe e<strong>in</strong>er<br />
Schülerzeitung nicht. Kann sie verbieten,<br />
<strong>das</strong>s <strong>das</strong> Heft an <strong>de</strong>r Schule verteilt<br />
wird? O<strong>de</strong>r könnte sie darauf bestehen,<br />
<strong>das</strong>s e<strong>in</strong>zelne Seiten geschwärzt wer<strong>de</strong>n<br />
müssen, um zur Verteilung zugelassen<br />
zu wer<strong>de</strong>n?<br />
Aus <strong>de</strong>m absoluten Zensurverbot<br />
<strong>de</strong>s Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG<br />
folgt grundsätzlich e<strong>in</strong> Verbot für<br />
die Schulverwaltung zur Zensur<br />
von Schülerzeitungen. Die <strong>de</strong>r<br />
Schülerzeitung zustehen<strong>de</strong> Pressefreiheit<br />
unterliegt jedoch auch<br />
Schranken. Diese ergeben sich<br />
beispielsweise aus <strong>de</strong>n schulgesetzlichen<br />
Vorschriften. E<strong>in</strong> Blick<br />
<strong>in</strong> die Schulordnung gibt <strong>de</strong>shalb<br />
Aufschluß darüber, ob die Schule<br />
gegebenenfalls e<strong>in</strong>e Verteilung<br />
unterb<strong>in</strong><strong>de</strong>n könnte.<br />
Da die Schulordnung jedoch nur<br />
für <strong>das</strong> Schulgelän<strong>de</strong> gilt, ließe sich<br />
je<strong>de</strong>nfalls auch darüber nach<strong>de</strong>nken,<br />
die Schülerzeitung außerhalb <strong>de</strong>s<br />
Schulgelän<strong>de</strong>s zu verbreiten.<br />
Brauchen Schülerzeitungen o<strong>de</strong>r ihre Redakteure<br />
für solche Fälle e<strong>in</strong>e (beson<strong>de</strong>re)<br />
Haftpflichtversicherung o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Rechtsschutz?<br />
Und gibt es für Schülerzeitungsredakteure<br />
preiswerte Anwalts-Son<strong>de</strong>rtarife,<br />
wenn sie im Ernstfall e<strong>in</strong>mal jur<strong>ist</strong>ischen<br />
Rat brauchen?<br />
E<strong>in</strong>e spezielle Haftpflicht- o<strong>de</strong>r<br />
Rechtsschutzversicherung gibt es<br />
nach me<strong>in</strong>er Kenntnis für Schülerzeitungen<br />
nicht. Selbst wenn die<br />
e<strong>in</strong>zelnen Redaktionsmitglie<strong>de</strong>r<br />
e<strong>in</strong>e private Versicherung haben<br />
sollten, <strong>ist</strong> die Haftung für presserechtliche<br />
Scha<strong>de</strong>nsfälle üblicherweise<br />
ausgeschlossen.<br />
E<strong>in</strong> anwaltlicher Son<strong>de</strong>rtarif für<br />
Schülerzeitungsredakteure <strong>ist</strong> gesetzlich<br />
nicht vorgesehen. Da sich<br />
Rechtsanwälte an die gesetzlichen<br />
Gebührenregelungen halten müssen,<br />
können sie grundsätzlich auch<br />
nicht selbst e<strong>in</strong>en Son<strong>de</strong>rtarif für<br />
Schülerzeitungsredakteure festsetzen.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs kann <strong>das</strong> Honorar für<br />
die außergerichtliche Beratung frei<br />
verhan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n.<br />
Anwalt Johannes<br />
Weberl<strong>in</strong>g zu Besuch <strong>in</strong><br />
<strong>de</strong>r po-Redaktion
schülerzeitung<br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2007<br />
Presse(un)freIheIt<br />
weltweIt<br />
18
19 frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008 ausland<br />
„TABU IST, WAS DIE<br />
REGIERUNG ALS TABU<br />
BEZEICHNET“<br />
Pressearbeit <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a. E<strong>in</strong> Telefon-Interview mit <strong>de</strong>m<br />
Ch<strong>in</strong>a-Korrespon<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Frankfurter Rundschau Harald Maass.<br />
Von Ma<strong>de</strong>le<strong>in</strong>e Warsitz<br />
Herr Maass, wie geht es Journal<strong>ist</strong>en aktuell<br />
<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a, wie frei können Sie berichten?<br />
Wir können nicht so frei berichten<br />
wie <strong>in</strong> Deutschland o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Län<strong>de</strong>rn,<br />
wo es Pressefreiheit gibt. Seit Anfang<br />
<strong>de</strong>s Jahres gibt es leichte Verbesserungen.<br />
Wegen <strong>de</strong>r anstehen<strong>de</strong>n<br />
Olympischen Spiele wur<strong>de</strong>n die<br />
Bestimmungen gelockert. Wir dürfen<br />
jetzt überall im Land frei h<strong>in</strong>fahren.<br />
Vorher durften wir unsere Stadt nur<br />
mit Erlaubnis verlassen. Beson<strong>de</strong>rs<br />
stark s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>schränkungen<br />
immer noch <strong>in</strong> Tibet und dort, wo<br />
es M<strong>in</strong><strong>de</strong>rheiten gibt. Kritische Berichterstattung<br />
hat da manchmal böse<br />
Folgen für die Informanten.<br />
Welche Auflagen muss e<strong>in</strong> Journal<strong>ist</strong> <strong>in</strong><br />
Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>halten?<br />
Je<strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong> muss von <strong>de</strong>r Regierung<br />
akkreditiert se<strong>in</strong>. In Ch<strong>in</strong>a<br />
müssen Behör<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rs als <strong>in</strong><br />
Deutschland nicht Auskunft erteilen<br />
– und ganz häufig tun sie <strong>das</strong><br />
auch nicht. Oft hält die Polizei e<strong>in</strong>en<br />
willkürlich fest, wenn unliebsame<br />
Themen recherchiert wer<strong>de</strong>n. Überhaupt<br />
wird je<strong>de</strong>r Radio- und Fernsehsen<strong>de</strong>r<br />
und je<strong>de</strong> Zeitung zensiert.<br />
Wenn die Partei sagt, etwas könne so<br />
nicht gedruckt wer<strong>de</strong>n, dann wird es<br />
nicht gedruckt. Das gilt allerd<strong>in</strong>gs<br />
für die ch<strong>in</strong>esischen Journal<strong>ist</strong>en, die<br />
ausländischen Reporter s<strong>in</strong>d freier <strong>in</strong><br />
ihrer Berichterstattung.<br />
Welche Themen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ch<strong>in</strong>esischen<br />
Presse tabu?<br />
Für die ch<strong>in</strong>esischen Kollegen gilt:<br />
Alles, was <strong>de</strong>n Machtanspruch <strong>de</strong>r<br />
kommun<strong>ist</strong>ischen Partei <strong>in</strong> Frage<br />
stellt. Tabu <strong>ist</strong>, was die Regierung<br />
als tabu bezeichnet. Ch<strong>in</strong>esische<br />
Journal<strong>ist</strong>en sehen morgens auf ihrem<br />
Computerbildschirm als erstes die<br />
aktuellen Zensurvorschriften. Sensible<br />
Themen s<strong>in</strong>d vor allem Tibet,<br />
Menschenrechte und alles, was mit<br />
Demokratie zu tun hat.<br />
Fühlen Sie sich <strong>in</strong> Ihrer Arbeit dadurch<br />
beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt? Wie gehen Sie damit um?<br />
Ich lebe seit neun Jahren hier. Inzwischen<br />
habe ich mich daran gewöhnt.<br />
Im März war ich <strong>in</strong> Tibet und hatte<br />
diese Reise nicht angemel<strong>de</strong>t. Ich<br />
wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Geheimpolizei verfolgt,<br />
me<strong>in</strong>e Gesprächspartner wur<strong>de</strong>n<br />
massiv bedroht. Das wichtigste<br />
<strong>ist</strong>, für mich abzuschätzen, ob ich mit<br />
me<strong>in</strong>em Bericht jeman<strong>de</strong>n <strong>in</strong> Gefahr<br />
br<strong>in</strong>ge. Im Zweifelsfall druckt man<br />
lieber mal ke<strong>in</strong> Foto.<br />
Gibt es <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ch<strong>in</strong>esischen Presse Themen,<br />
die bei uns ke<strong>in</strong>e Rolle spielen?<br />
Ne<strong>in</strong>. Politik, Unterhaltung, Musik,<br />
Sport – die Interessen s<strong>in</strong>d im Grun<strong>de</strong><br />
die gleichen.<br />
Was f<strong>in</strong><strong>de</strong>n Sie an <strong>de</strong>r ch<strong>in</strong>esischen Pressearbeit<br />
beson<strong>de</strong>rs problematisch? Was<br />
beurteilen Sie positiv?<br />
In Ch<strong>in</strong>a gibt es we<strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ungs-<br />
noch Pressefreiheit. Es gibt aber<br />
leichte Verbesserungen wie die<br />
erleichterten Reisebed<strong>in</strong>gungen<br />
für ausländische Journal<strong>ist</strong>en. In<br />
<strong>de</strong>r ch<strong>in</strong>esischen Presse dürfen zu<strong>de</strong>m<br />
mehr Themen angesprochen<br />
wer<strong>de</strong>n, darunter Armut und <strong>das</strong><br />
Gesundheitswesen. Dennoch <strong>ist</strong> es<br />
immer noch so: Nicht die Journal<strong>ist</strong>en,<br />
son<strong>de</strong>rn die Regierung entschei<strong>de</strong>t,<br />
worüber die Journal<strong>ist</strong>en<br />
schreiben.<br />
Wer<strong>de</strong>n die Olympischen Spiele 2008 Ch<strong>in</strong>as<br />
Haltung zur Pressefreiheit än<strong>de</strong>rn?<br />
Für die ch<strong>in</strong>esischen Reporter s<strong>in</strong>d<br />
lei<strong>de</strong>r ke<strong>in</strong>e Verbesserungen <strong>in</strong> Sicht.<br />
Harald Maass <strong>ist</strong> Jahrgang 1970, er unternahm nach <strong>de</strong>m Abitur zunächst<br />
e<strong>in</strong>e halbjährige Reise durch Asien. Dann folgten e<strong>in</strong>e Redakteursausbildung<br />
an <strong>de</strong>r Deutschen Journal<strong>ist</strong>enschule München, e<strong>in</strong> Studium <strong>de</strong>r<br />
Politik- und Kommunikationswissenschaften und <strong>de</strong>r S<strong>in</strong>ologie sowie<br />
Sprachaufenthalte <strong>in</strong> Pek<strong>in</strong>g und Hongkong. Er lebt und arbeitet seit<br />
1997 <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />
WELTMEISTER ISLAND<br />
Jährlich im Oktober veröffentlicht<br />
Reporter ohne Grenzen die Weltrangl<strong>ist</strong>e<br />
zur Situation <strong>de</strong>r Pressefreiheit.<br />
Mehr unter www.reporter-ohnegrenzen.<strong>de</strong>.<br />
Das Ergebnis 2007:<br />
1. Island; Norwegen<br />
3. Estland; Slowakei<br />
5. Belgien; F<strong>in</strong>nland; Schwe<strong>de</strong>n<br />
8. Dänemark; Irland; Portugal<br />
11 Schweiz<br />
12 Lettland; Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong><br />
14 Tschechische Republik<br />
15 Neuseeland<br />
16 Österreich<br />
17 Ungarn<br />
18 Kanada<br />
19 Tr<strong>in</strong>idad und Tobago<br />
20 Deutschland<br />
21 Costa Rica; Slowenien<br />
23 Litauen<br />
24 Großbritannien<br />
25 Mauritius; Namibia<br />
27 Jamaika<br />
28 Australien<br />
29 Ghana<br />
30 Griechenland<br />
31 Frankreich<br />
32 Taiwan<br />
33 Spanien<br />
34 Bosnien-Herzegow<strong>in</strong>a<br />
35 Italien<br />
36 Mazedonien<br />
37 Japan Uruguay<br />
39 Chile; Südkorea<br />
41Kroatien<br />
42 Rumänien<br />
43 Südafrika<br />
44 Israel<br />
45 Kapver<strong>de</strong>n; Zypern<br />
47 Nicaragua<br />
48 USA (Inland)<br />
49 Togo<br />
50 Mauritanien<br />
51 Bulgarien<br />
52 Mali<br />
53 Ben<strong>in</strong><br />
54 Panama<br />
55 Tansania<br />
56 Ecuador; Polen<br />
58 Nord-Zypern; Montenegro<br />
60 Kosovo<br />
61 Hong-Kongo; Madagaskar<br />
63 Kuwait<br />
64 El Salvador<br />
65 Vere<strong>in</strong>igte Arabische Emirate<br />
66 Georgien<br />
67 Serbien<br />
68 Bolivien; Burk<strong>in</strong>a Faso; Sambia<br />
71 Zentralafrikanische Republik<br />
72 Dom<strong>in</strong>ikanische Republik<br />
73 Mosambik<br />
74 Mongolei<br />
75 Botswana; Haiti<br />
77 Armenien<br />
78 Kenia<br />
79 Katar<br />
80 Kongo<br />
81 Moldavien<br />
82 Argent<strong>in</strong>ien<br />
83 Senegal<br />
84 Brasilien<br />
85 Kambodscha: Liberia<br />
87 Albanien; Honduras; Niger<br />
90 Paraguay<br />
91 Angola<br />
92 Malawi; Ukra<strong>in</strong>e<br />
94 Elfenbe<strong>in</strong>küste; Ost-Timor<br />
96 Komoren; Uganda<br />
98 Libanon<br />
99 Lesotho<br />
100 Indonesien<br />
101 Türkei<br />
102 Gabun<br />
103 Israel (außerhalb Isreaels)<br />
104 Guatemala; Seychellen<br />
106 Marokko<br />
107 Fidschi; Gu<strong>in</strong>ea; Gu<strong>in</strong>ea-Bissau<br />
110 Kirg<strong>ist</strong>an<br />
111 Kamerun; USA (außerhalb)<br />
113 Tschad<br />
114 Venezuela<br />
115 Tadschik<strong>ist</strong>an<br />
116 Bhutan<br />
117 Peru<br />
118 Bahra<strong>in</strong><br />
119 Tonga<br />
120 Indien<br />
121 Sierra Leone<br />
122 Jordanien<br />
123 Algerien<br />
124 Malaysia<br />
125 Kasachstan<br />
126 Kolumbien<br />
127 Burundi<br />
128 Philipp<strong>in</strong>en<br />
129 Malediven<br />
130 Gambia<br />
131 Nigeria<br />
132 Republik Dschibuti<br />
133 Demokratische Republik Kongo<br />
134 Bangla<strong>de</strong>sch<br />
135 Thailand<br />
136 Mexiko<br />
137 Nepal<br />
138 Swasiland<br />
139 Aserbaidschan<br />
140 Sudan<br />
141 S<strong>in</strong>gapur<br />
142 Afghan<strong>ist</strong>an<br />
143 Jemen<br />
144 Russland<br />
145 Tunesien<br />
146 Ägypten<br />
147 Ruanda<br />
148 Saudi Arabien<br />
149 Simbabwe<br />
150 Äthiopien<br />
151 Weißrussland<br />
152 Pak<strong>ist</strong>an<br />
153 Äquatorialgu<strong>in</strong>ea<br />
154 Syrien<br />
155 Libyen<br />
156 Sri Lanka<br />
157 Irak<br />
158 Paläst<strong>in</strong>ensische Gebiete<br />
159 Somalia<br />
160 Usbek<strong>ist</strong>an<br />
161 Laos<br />
162 Vietnam<br />
163 Ch<strong>in</strong>a<br />
164 Myanmar/Birma<br />
165 Kuba<br />
166 Iran<br />
167 Turkmen<strong>ist</strong>an<br />
168 Nordkorea<br />
169 Eritrea
ausland<br />
IN STäNDIGER GEFAHR<br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008<br />
In Afghan<strong>ist</strong>an haben Medien e<strong>in</strong>e unsichere Zukunft. Die mehr<br />
als 500 Titel und Sen<strong>de</strong>r s<strong>in</strong>d – schon wie<strong>de</strong>r – bedroht. Von Björn Richter<br />
U<br />
m 19 Uhr war es <strong>in</strong> Kabul bereits stockdun- Werbe<strong>in</strong>dustrie außer<strong>de</strong>m vorwiegend auf die<br />
kel. Die me<strong>ist</strong>en Menschen schliefen schon. städtischen Medien konzentriert, fehlt <strong>de</strong>n<br />
Nur <strong>de</strong>r Muhedz<strong>in</strong> bereitete sich noch auf Sen<strong>de</strong>rn <strong>das</strong> Geld, um sich aus eigener Kraft aus<br />
se<strong>in</strong> Morgengebet vor, als Poliz<strong>ist</strong>en sich gewaltsam dieser Zwangslage zu befreien.<br />
Zutritt zu Tolo TV verschafften, um drei Redakteure Medienunternehmen mit Sitz <strong>in</strong> Kabul stehen<br />
zu verhaften. Der erfolgreiche und mo<strong>de</strong>rne TV-Sen- h<strong>in</strong>gegen gut am Markt und fahren <strong>in</strong>zwischen<br />
<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n vor allem junge Afghanen e<strong>in</strong>schalten, hatte sogar Gew<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>. Auch wenn diese Unterneh-<br />
Abdul Jabar Sabet erzürnt. Der Generalstaatsanwalt men nur Leuchttürme <strong>de</strong>r Medienlandschaft s<strong>in</strong>d,<br />
glaubt, von Tolo TV falsch wie<strong>de</strong>rgegeben wor<strong>de</strong>n stehen sie doch für e<strong>in</strong>e Zukunft –unabhängig von<br />
zu se<strong>in</strong>. Der ehemalige General<strong>in</strong>tendant <strong>de</strong>r staatlichen<br />
Fernseh- und Radiogesellschaft RTA sprach<br />
<strong>in</strong>ternationalen Hilfsgel<strong>de</strong>rn.<br />
anschließend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit Spiegel-Onl<strong>in</strong>e<br />
von e<strong>in</strong>er „fundamental<strong>ist</strong>ischen Unterwan<strong>de</strong>rung<br />
abhängIg von Der PolItIk<br />
<strong>de</strong>r Medien“. Und <strong>das</strong> nur sechs Jahre nach <strong>de</strong>m Laut Emmanuel <strong>de</strong> D<strong>in</strong>ech<strong>in</strong>, <strong>de</strong>m Geschäftsfüh-<br />
Sturz <strong>de</strong>r Taliban.<br />
rer <strong>de</strong>r auf Medien spezialisierten afghanischen<br />
Die Medien <strong>in</strong> Afghan<strong>ist</strong>an unterschei<strong>de</strong>n sich nicht Beratungsfirma Altai Communication, setzte<br />
nur quantitativ, son<strong>de</strong>rn auch qualitativ erheblich, die Werbe<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Land 2006 be-<br />
gera<strong>de</strong> weil die Ausbildung <strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong>en nach <strong>de</strong>m reits gut 17 Millionen US-Dollar um. Davon<br />
Krieg große Mängel aufwe<strong>ist</strong>. Zu<strong>de</strong>m vernachlässigte flossen aber nur neun Prozent an Pr<strong>in</strong>tmedien,<br />
die <strong>in</strong>ternationale Geme<strong>in</strong>schaft, allen voran die Euro- immerh<strong>in</strong> 29 Prozent an TV- und 25 Prozent an<br />
päische Union und die amerikanische Regierungsorga- Radiostationen. Vier Fünftel <strong>de</strong>s Medienmarktes<br />
nisation USAID, langezeit <strong>de</strong>n gezielten Aufbau von wür<strong>de</strong>n noch mit <strong>in</strong>ternationaler Unterstützung<br />
professionell berichterstatten<strong>de</strong>n Medien. geför<strong>de</strong>rt. Die Medien s<strong>in</strong>d <strong>de</strong>shalb aber kaum<br />
Während Zeitungen und Zeitschriften die von ihren Lesern abhängig und schreiben wie<br />
Stadtbevölkerung gut erreichen, wird bei <strong>de</strong>r sen<strong>de</strong>n oft an ihren Zielgruppen vorbei.<br />
hohen Quote von Analphabeten <strong>in</strong> <strong>de</strong>n ländlichen Auch wenn die ersten wirtschaftlichen Erfolge<br />
Regionen stark auf <strong>de</strong>n Rundfunk gesetzt. Mehr <strong>de</strong>r afghanischen nicht mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r westlichen<br />
als dreißig unabhängige Lokalradios sen<strong>de</strong>n – und Medien mithalten konnten, konnte man bisher<br />
<strong>das</strong> unter teilweise katastrophalen Bed<strong>in</strong>gungen: durchaus von e<strong>in</strong>er fortschrittlichen Medien-<br />
So s<strong>in</strong>d die Stationen oft nicht nur mit miserabler landschaft sprechen. Aber nach <strong>de</strong>m Rauswurf<br />
Technik ausgestattet. Sie verfügen oft sogar nicht <strong>de</strong>s RTA-General<strong>in</strong>tendanten Najib Roshan,<br />
e<strong>in</strong>mal über e<strong>in</strong>en Zugang zu Nachrichtenagen- nach e<strong>in</strong>em fundamental<strong>ist</strong>isch geprägten Vorturen<br />
o<strong>de</strong>r auch nur <strong>de</strong>m Internet. Weil sich die schlag für e<strong>in</strong> neues Mediengesetz und nach<br />
20<br />
<strong>de</strong>r Zunahme <strong>de</strong>r Gewalt gegen e<strong>in</strong>heimische<br />
wie ausländische Journal<strong>ist</strong>en zeigt sich, <strong>das</strong>s<br />
die Medienordnung <strong>in</strong> Afghan<strong>ist</strong>an an e<strong>in</strong>em<br />
Schei<strong>de</strong>weg steht.<br />
Der geschasste Roshan war e<strong>in</strong>st als Journal<strong>ist</strong><br />
aus Deutschland nach Afghan<strong>ist</strong>an gekommen,<br />
um dort die Umwandlung <strong>de</strong>s zuvor vom Regime<br />
kontrollierten Apparats RTA zu e<strong>in</strong>em Rundfunk<br />
nach westlichem öffentlich-rechtlichem Mo<strong>de</strong>ll<br />
voranzutreiben. Geme<strong>in</strong>sam mit <strong>de</strong>r BBC, <strong>de</strong>r<br />
Deutschen Welle und mit Unterstützung <strong>de</strong>r<br />
Europäischen Kommission wur<strong>de</strong>n Kooperationen<br />
angeschoben, junge talentierte Journal<strong>ist</strong>en<br />
e<strong>in</strong>gestellt und <strong>de</strong>r 2 000-Mann-Betrieb reformiert.<br />
Doch mit e<strong>in</strong>er Kab<strong>in</strong>ettsumbildung kam<br />
plötzlich auch e<strong>in</strong> an<strong>de</strong>rer Informationsm<strong>in</strong><strong>ist</strong>er<br />
an die Macht, <strong>de</strong>r für die RTA zuständig <strong>ist</strong> und<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Nacht-und-Nebel-Aktion fast 80 Beschäftigten<br />
Hausverbot erteilte und Roshan En<strong>de</strong><br />
vergangenen Jahres vor die Tür setzte.<br />
zwIesPältIge verstaatlIchungen<br />
Derselbe M<strong>in</strong><strong>ist</strong>er bastelt an e<strong>in</strong>er Neufassung<br />
<strong>de</strong>s Mediengesetzes. Die RTA und die größte afghanische<br />
Nachrichtenagentur sollen verstaatlicht<br />
wer<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>e gleichzeitig geplante Medienkommission<br />
soll außer<strong>de</strong>m E<strong>in</strong>fluss auf die privaten<br />
Medien ausüben können. Der Entwurf sieht<br />
ferner vor, <strong>das</strong>s Journal<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>n Islam nicht <strong>in</strong><br />
Frage stellen dürfen. Zu allem Überfluss wur<strong>de</strong><br />
noch bekannt, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong> afghanischer Journal<strong>ist</strong><br />
direkt von <strong>de</strong>n Taliban ermor<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong> und<br />
außer<strong>de</strong>m offenbar noch immer Telefonate von<br />
Journal<strong>ist</strong>en abgehört wer<strong>de</strong>n.<br />
Doch <strong>in</strong> Afghan<strong>ist</strong>an regt sich Wi<strong>de</strong>rstand:<br />
E<strong>in</strong>en Tag nach <strong>de</strong>m E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen bei Tolo TV versammelten<br />
sich 150 afghanische Journal<strong>ist</strong>en und<br />
Intellektuelle vor <strong>de</strong>m Parlament. Sie verlangten<br />
die Absetzung <strong>de</strong>s Generalstaatsanwalts.<br />
wIchtIge gesetze fehlen<br />
Die EU und Partner aus weitere Staaten schulen<br />
jetzt endlich mehr als 2 000 Journal<strong>ist</strong>en – die<br />
Nachfrage <strong>ist</strong> groß: Engagierte Journal<strong>ist</strong>en wollen<br />
die fragwürdige Zukunft ihrer Medien selbst<br />
gestalten.<br />
Dass sie aber nicht auf endlose För<strong>de</strong>rungen<br />
angewiesen se<strong>in</strong> wollen zeigte im Frühsommer<br />
2007 e<strong>in</strong>e große Medienkonferenz, die unter<br />
<strong>de</strong>m passen<strong>de</strong>n Slogan „media is <strong>de</strong>velopment“<br />
stand. Erstmals waren afghanische Verleger und<br />
Journal<strong>ist</strong>en aus <strong>de</strong>m ganzen Land zusammengekommen.<br />
Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Veranstaltung stand gar die<br />
For<strong>de</strong>rung nach e<strong>in</strong>em Gesetz zur Sicherung <strong>de</strong>r<br />
Informationsfreiheit – angelehnt an <strong>de</strong>n Freedom<br />
of Information Act <strong>de</strong>r USA. Ke<strong>in</strong>e Frage: Der<br />
gute Wille <strong>ist</strong> da.<br />
Aufbruch <strong>in</strong> die Neuzeit? E<strong>in</strong>e sichere Prognose<br />
für Afghan<strong>ist</strong>an gibt es nicht.
21 frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008<br />
embed<strong>de</strong>d journalism<br />
WENN SICH JOURNALISTEN UND<br />
SOLDATEN DAS ZELT TEILEN<br />
Wenn Journal<strong>ist</strong>en <strong>in</strong> Kriegszeiten „embed<strong>de</strong>d“<br />
arbeiten, kann <strong>das</strong> <strong>de</strong>r Pressefreiheit nicht gut<br />
tun. Von Alexan<strong>de</strong>r Bartl<br />
D<br />
ie Medien <strong>de</strong>r Krieg führen<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>r<br />
wan<strong>de</strong>ln sich von e<strong>in</strong>em kritischen<br />
Kontrolleur <strong>de</strong>r Staatsmacht zu e<strong>in</strong>er<br />
vierten Waffengattung neben Heer, Luftwaffe<br />
und Mar<strong>in</strong>e.“ Zu diesem Ergebnis kam bereits<br />
En<strong>de</strong> 2002 e<strong>in</strong>e Studie <strong>de</strong>s schwedischen Amtes<br />
für psychologische Verteidigung. Weil vor allem<br />
amerikanische und britische Medien noch immer<br />
über ihre <strong>in</strong> Irak und Afghan<strong>ist</strong>an stationierten<br />
Truppen berichten, stellt sich die Frage: Ist die<br />
Berichterstattung von Kriegsschauplätzen und <strong>das</strong><br />
E<strong>in</strong>b<strong>in</strong><strong>de</strong>n von Journal<strong>ist</strong>en <strong>in</strong> die Armee – <strong>das</strong> so<br />
genannte Embed<strong>de</strong>d Report<strong>in</strong>g – e<strong>in</strong>e Gefahr o<strong>de</strong>r<br />
doch eher e<strong>in</strong>e Chance für die Pressefreiheit?<br />
Fakt <strong>ist</strong>: Je näher Journal<strong>ist</strong>en am Geschehen<br />
s<strong>in</strong>d, <strong>de</strong>sto besser können sie berichten und <strong>de</strong>sto<br />
mehr erfährt damit auch die Öffentlichkeit vom<br />
tatsächlichen Geschehen im Kriegsgebiet. Doch<br />
so nahe liegend diese E<strong>in</strong>schätzung kl<strong>in</strong>gt, so sehr<br />
muss sie auch h<strong>in</strong>terfragt wer<strong>de</strong>n. Denn immerh<strong>in</strong><br />
versuchen stets bei<strong>de</strong> Kriegsparteien, Journal<strong>ist</strong>en<br />
für ihre Zwecke zu <strong>in</strong>strumentalisieren, vor allem,<br />
<strong>in</strong><strong>de</strong>m sie versuchen, die Berichterstattung auf <strong>das</strong><br />
zu reduzieren, was ihnen genehm <strong>ist</strong>.<br />
Oft verbieten die Militärs <strong>de</strong>shalb etwa die<br />
Veröffentlichung bestimmter Informationen –<br />
angeblich, weil sie <strong>de</strong>r Geheimhaltung unterlägen.<br />
„Die jeweiligen Aufpasser s<strong>in</strong>d sehr e<strong>in</strong>fallsreich,<br />
bestimmte D<strong>in</strong>ge als militärisch geheim e<strong>in</strong>zustufen“,<br />
sagt Gerhard Kromschrö<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r im Golfkrieg<br />
1991 aus Bagdad berichtete. Der 1941 geborene<br />
Journal<strong>ist</strong> erklärt ferner: „Sicherheit <strong>de</strong>r Soldaten<br />
wird gerne genommen, um Berichterstattung zu<br />
unterdrücken. Sicherheit <strong>de</strong>r Soldaten <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Kategorie, die Militärs haben. Ich als Journal<strong>ist</strong><br />
habe die, sofern es nicht offensichtlich <strong>ist</strong>, nicht.“<br />
In diesem Punkt wi<strong>de</strong>rspricht ihm jedoch Chr<strong>ist</strong>oph<br />
Maria Fröh<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r als Krisen-Korrespon<strong>de</strong>nt<br />
unter an<strong>de</strong>rem 1991 und 2003 während <strong>de</strong>r<br />
Kriege aus Bagdad berichtete. „Ich b<strong>in</strong> niemand,<br />
<strong>de</strong>r die Sicherheit von Soldaten o<strong>de</strong>r auch von<br />
Zivil<strong>ist</strong>en ignoriert. Ich überlege sehr genau, ob ich<br />
bestimmte Details <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Beitrag h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> nehme,<br />
wenn ich möglicherweise potenziellen Terror<strong>ist</strong>en<br />
dadurch e<strong>in</strong>e Art Hilfestellung le<strong>ist</strong>en könnte.“<br />
E<strong>in</strong>e neutrale Kriegsberichterstattung hält Fröh<strong>de</strong>r<br />
für unmöglich, da die Berichterstattung immer<br />
durch <strong>de</strong>n kulturellen H<strong>in</strong>tergrund <strong>de</strong>s Reporters<br />
und <strong>de</strong>ssen persönliche Erlebnisse geprägt sei. Es<br />
sei auch schwer möglich, nicht dadurch bee<strong>in</strong>flusst<br />
zu wer<strong>de</strong>n, <strong>das</strong>s es die eigenen Soldaten s<strong>in</strong>d,<br />
die am Krieg beteiligt s<strong>in</strong>d. Dies stelle jedoch<br />
ke<strong>in</strong> großes Problem dar, solange <strong>de</strong>r jeweilige<br />
Journal<strong>ist</strong> „se<strong>in</strong>e politische Analysefähigkeit nicht<br />
abschaltet, nur weil es die eigenen Leute s<strong>in</strong>d“.<br />
Kromschrö<strong>de</strong>r hat im Irakkrieg 2003 beobachtet,<br />
<strong>das</strong>s westliche Journal<strong>ist</strong>en oft me<strong>in</strong>en,<br />
sie müssten e<strong>in</strong>en westlichen Standpunkt vertreten.<br />
So hätten e<strong>in</strong>ige Korrespon<strong>de</strong>nten davon<br />
gesprochen, <strong>das</strong>s „wir“ soundso viele Panzer<br />
hätten. Daher for<strong>de</strong>rt er: „E<strong>in</strong> Journal<strong>ist</strong> kann<br />
nicht Teil e<strong>in</strong>er Militärmasch<strong>in</strong>e se<strong>in</strong> und darf<br />
nie von ‚uns‘ re<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r von ‚wir‘, er <strong>ist</strong> immer<br />
nur Beobachter.“<br />
„antIPol Des sauberen journalIsMus“<br />
Teil <strong>de</strong>r Militärmasch<strong>in</strong>e wur<strong>de</strong>n Journal<strong>ist</strong>en vor<br />
allem im jüngsten Irakkrieg 2003, als erstmals<br />
„Embed<strong>de</strong>d Journal<strong>ist</strong>s“ e<strong>in</strong>gesetzt wur<strong>de</strong>n. Dieser<br />
Typ Journal<strong>ist</strong> <strong>ist</strong> für die Zeit se<strong>in</strong>er Berichterstattung<br />
fester, wenn auch unbewaffneter Teil <strong>de</strong>r<br />
Streitkräfte. Das amerikanische Verteidigungsm<strong>in</strong><strong>ist</strong>erium<br />
reagierte mit diesem Konzept auf<br />
Beschwer<strong>de</strong>n amerikanischer Medien, wonach<br />
diese <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re aus <strong>de</strong>m Golfkrieg 1991 und<br />
<strong>de</strong>m Krieg <strong>in</strong> Afghan<strong>ist</strong>an 2001 nicht ausreichend<br />
hätten berichten können.<br />
Dass <strong>das</strong> Militär damit nicht <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />
die Pressefreiheit stärken will, son<strong>de</strong>rn vor allem<br />
eigene Interessen verfolgt, geben selbst e<strong>in</strong>ige<br />
Militärs offen zu. Lieutenant Colonel Rick Long,<br />
ehemaliger Leiter <strong>de</strong>s Pressestabs <strong>de</strong>s U.S. Mar<strong>in</strong>e<br />
Corps, räumte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Diskussionsrun<strong>de</strong> e<strong>in</strong>:<br />
„Offen gesagt, es <strong>ist</strong> unser Job, <strong>de</strong>n Krieg zu gew<strong>in</strong>nen.<br />
E<strong>in</strong> Teil davon <strong>ist</strong> <strong>de</strong>r Informationskrieg. Also<br />
wer<strong>de</strong>n wir versuchen, <strong>das</strong> Informationsumfeld<br />
zu dom<strong>in</strong>ieren.“<br />
„E<strong>in</strong>e absolute Fehlentwicklung“ sei <strong>das</strong> Konzept<br />
<strong>de</strong>s Embed<strong>de</strong>d Journalism, sagt <strong>de</strong>shalb<br />
Kromschrö<strong>de</strong>r. Wie Fröh<strong>de</strong>r hält auch er es für<br />
unmöglich, kritische D<strong>ist</strong>anz zu <strong>de</strong>n Soldaten zu<br />
wahren, mit <strong>de</strong>nen sich <strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong> <strong>das</strong> Zelt teilt.<br />
So kamen ihm die Embed<strong>de</strong>d Journal<strong>ist</strong>s 2003<br />
vor, „als wären sie Pressesprecher <strong>de</strong>s Pentagon“.<br />
Fröh<strong>de</strong>r ergänzt: „Alles, was irgendwie embed<strong>de</strong>d<br />
und <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r Militärs <strong>ist</strong>, bil<strong>de</strong>t aus me<strong>in</strong>er<br />
Sicht fast e<strong>in</strong>en Antipol zu sauberem Journalismus.“<br />
Er fragt, warum er <strong>de</strong>nn freiwillig e<strong>in</strong>en Teil<br />
se<strong>in</strong>er Unabhängigkeit aufgeben sollte. Fröh<strong>de</strong>r<br />
<strong>ist</strong> sich sicher: „Ich wür<strong>de</strong> me<strong>in</strong>en Standpunkt<br />
als neutraler, aber auch als kritischer Beobachter,<br />
im Grund genommen schon an <strong>de</strong>r Gar<strong>de</strong>robe<br />
abliefern, bevor ich richtig anfange zu arbeiten.“<br />
PAPIER-KRIEG<br />
Islam<strong>ist</strong>en und ihr Zerrbild: Wenn<br />
Pressefreiheit als Kriegserklärung missverstan<strong>de</strong>n<br />
wird. Von Holger Eckermann<br />
ausland<br />
Islamkritiker genießen mancherorts alles an<strong>de</strong>re als<br />
Pressefreiheit. Das schwedische Lokalblatt „Nerikes<br />
Allehanda“ kann jetzt auch e<strong>in</strong> Lied davon s<strong>in</strong>gen.<br />
En<strong>de</strong> August wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r islamische Prophet Mohammed<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beitrag über Me<strong>in</strong>ungsfreiheit<br />
als „Ron<strong>de</strong>llhun<strong>de</strong>n“ (Kreisverkehrshund“, siehe<br />
Foto) abgedruckt. Die Zeichnung stammt von<br />
<strong>de</strong>m schwedischen Künstler und Ex-Kulturtheorieprofessor<br />
Lars Vilk. Die Folgen: Iran, Pak<strong>ist</strong>an<br />
und Afghan<strong>ist</strong>an protestierten scharf. Die Bil<strong>de</strong>r<br />
seien e<strong>in</strong>e Verunglimpfung <strong>de</strong>s Islam. Demonstrationen,<br />
Morddrohungen und e<strong>in</strong> von <strong>de</strong>r al<br />
Kaida augesetztes Kopfgeld auf Karikatur<strong>ist</strong> und<br />
Chefredakteur ließen nicht lange auf sich warten.<br />
Diesmal ebbte <strong>de</strong>r weltweite Aufruhr allerd<strong>in</strong>gs<br />
schneller ab, als im Vorjahr.<br />
Damals hatte Dänemarks auflagenstärkste Tageszeitung<br />
„Jyllands-Posten“ zwölf Karikaturen <strong>de</strong>s<br />
Propheten Mohammed veröffentlicht, woraufh<strong>in</strong><br />
politische Islam<strong>ist</strong>en e<strong>in</strong>e zügellose Kampagne gegen<br />
<strong>das</strong> kle<strong>in</strong>e Dänemark als großen Schurkenstaat entfachten.<br />
Zögerlich veröffentlichten auch <strong>de</strong>utsche<br />
Zeitungen die Karikaturen – als Zeichen von Solidarität.<br />
„…Die Möglichkeit, selbst <strong>das</strong> Allerheiligste<br />
zu verspotten, <strong>ist</strong> e<strong>in</strong> Traditionskern unserer Kultur,<br />
unverhan<strong>de</strong>lbar, ke<strong>in</strong> Symptom <strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>rgangs,<br />
wie Kulturpessim<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>uten, son<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong> Beleg<br />
für gesun<strong>de</strong> Inst<strong>in</strong>kte <strong>de</strong>r Respektlosigkeit“, kommentierte<br />
<strong>de</strong>r damalige WELT-Chefredakteur Roger<br />
Köppel. Prompt brach auch <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong><br />
Streit über <strong>de</strong>n S<strong>in</strong>n und die Grenzen freier Presse<br />
aus. Und noch lange Zeit tobte <strong>de</strong>r ‚Papier-Krieg’<br />
weiter. Mehrere Zeitungen veröffentlichten im<br />
Gegenzug gehässige Karikaturen, die es <strong>in</strong> <strong>de</strong>r arabischen<br />
Welt über An<strong>de</strong>rsgläubige schon immer gab<br />
(vor allem über Ju<strong>de</strong>n), <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>stag <strong>de</strong>battierte<br />
<strong>das</strong> Thema ohne rechtes Ziel und e<strong>in</strong> Karikatur<strong>ist</strong><br />
<strong>de</strong>s Berl<strong>in</strong>er Tagesspiegel musste sich verstecken,<br />
weil er Drohungen aufgrund e<strong>in</strong>er Zeichnung<br />
erhielt, die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r iranischen Fußball-WM-<br />
Mannschaft mit Bombengürteln zeigte.<br />
Karikare heißt überspitzen. Aber mit Grenzen,<br />
die, die die Freiheit sich selber setzt. Und „Freiheit<br />
heißt immer auch Verantwortung für <strong>das</strong> was man<br />
tut“, kommentierte <strong>de</strong>r Satiriker und Präsi<strong>de</strong>nt<br />
von Berl<strong>in</strong>s Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Künste Klaus Staeck.<br />
E<strong>in</strong> kluger Satz.
ausland<br />
E<br />
<strong>in</strong> Konflikt <strong>in</strong> Tschetschenien?<br />
Davon kann doch<br />
längst ke<strong>in</strong>e Re<strong>de</strong> mehr se<strong>in</strong>!<br />
Und überhaupt: In Grosny wird<br />
gewerkelt und gebaut, Neues geschaffen<br />
und Altes wie<strong>de</strong>r aufgebaut.<br />
Straßenzüge sehen nach e<strong>in</strong>em geregelten<br />
Alltag und nicht nach Krieg,<br />
Armut und Ungewissheit aus. Und<br />
auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Medien hat es nicht <strong>de</strong>n<br />
Ansche<strong>in</strong>, als ob es viel zu berichten<br />
gäbe: Tschetschenien <strong>ist</strong> kaum e<strong>in</strong><br />
Thema – auch hierzulan<strong>de</strong>.<br />
Dieser Sche<strong>in</strong> trügt allerd<strong>in</strong>gs<br />
und <strong>ist</strong> nur <strong>das</strong> Bild, <strong>das</strong> die russische<br />
Führung verbreitet. Denn<br />
noch immer explodieren Bomben,<br />
wer<strong>de</strong>n Menschen verschleppt und<br />
gefoltert – und Journal<strong>ist</strong>en erpresst,<br />
an ihrer Arbeit geh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt.<br />
So wie Anna Politkowskaja, die<br />
für ihren Kampf um die Wahrheit<br />
vor gut e<strong>in</strong>em Jahr sterben musste.<br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008<br />
HIMMELHOCH JAUCHZEND UND DOCH DIE HÖLLE?<br />
Tschetschenien: Die unüberw<strong>in</strong>dbare Kluft zwischen Theorie und Wirklichkeit. Von Kathar<strong>in</strong>a Wisotzki<br />
Ermor<strong>de</strong>te Put<strong>in</strong>-Kritiker<strong>in</strong>: Die Journal<strong>ist</strong><strong>in</strong> Anna Politkowskaja.<br />
A<br />
uf Platz 144 führt Reporter<br />
ohne Grenzen Russland<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>r aktuellen Rangl<strong>ist</strong>e<br />
<strong>de</strong>r Pressefreiheit. Und auch wenn<br />
man solche Stat<strong>ist</strong>iken mit Vorsicht<br />
genießen sollte, <strong>ist</strong> offensichtlich:<br />
In Russland wer<strong>de</strong>n Journal<strong>ist</strong>en<br />
bedroht, e<strong>in</strong>geschüchtert, verprügelt,<br />
verhaftet und sogar ermor<strong>de</strong>t.<br />
Alle<strong>in</strong> seit Präsi<strong>de</strong>nt Put<strong>in</strong>s Amtsantritt<br />
Anfang 2000 wur<strong>de</strong>n rund 20<br />
Pressevertreter umgebracht.<br />
Blickt man <strong>in</strong> die <strong>de</strong>utschen Medien,<br />
sche<strong>in</strong>t die Sache e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig:<br />
Put<strong>in</strong> hält <strong>de</strong>n russischen Bären im<br />
eisernen Würgegriff. Je<strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratische<br />
Aufzucken wird mit Gewalt<br />
quittiert. Boris Reitschuster, Moskau-<br />
Korrespon<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Focus, <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>er<br />
<strong>de</strong>r schärfsten Kritiker Put<strong>in</strong>s – auch<br />
aus eigener Erfahrung. Auch ihn hat<br />
die russische Polizei schon festgesetzt,<br />
Zwar <strong>ist</strong> offiziell bis heute nicht<br />
geklärt, wer sie ermor<strong>de</strong>t hat, doch<br />
<strong>de</strong>r Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung<br />
aus Tschetschenien<br />
und ihrer Kritik am Regime tritt<br />
offen zu Tage.<br />
Der Fall hat auch Susanne Scholl,<br />
Moskau-Korrespon<strong>de</strong>nt<strong>in</strong> <strong>de</strong>s österreichischen<br />
öffentlich-rechtlichen<br />
Fernsehsen<strong>de</strong>rs ORF, <strong>de</strong>utlich gemacht,<br />
„<strong>in</strong> welchem Staat wir leben<br />
und mit was für e<strong>in</strong>em Regime wir<br />
es zu tun haben“.<br />
Was Kritikern droht, musste die<br />
Reporter<strong>in</strong> am eigenen Leib spüren:<br />
Als sie <strong>in</strong> Tschetschenien für<br />
die Politkowskaja-Dokumentation<br />
„Sterben für die Wahrheit“ drehte, sei<br />
sie „bis auf die bekannten Probleme<br />
<strong>in</strong> Tschetschenien“ nicht beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt<br />
wor<strong>de</strong>n, sagt sie. Doch was sie da als<br />
Bagatelle abtut, <strong>ist</strong> enorm: Sie und<br />
ihr Fernsehteam wur<strong>de</strong>n von Leuten<br />
RUSSLANDS BESCHWERLICHER WEG<br />
In Russland wer<strong>de</strong>n kritische Journal<strong>ist</strong>en verhaftet, verprügelt<br />
und sogar ermor<strong>de</strong>t. Davor s<strong>in</strong>d auch <strong>de</strong>utsche Korrespon<strong>de</strong>nten nicht<br />
geschützt. Von Moritz Alexan<strong>de</strong>r Heiser<br />
um zu verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, <strong>das</strong>s er über regierungskritische<br />
Demonstrationen<br />
berichtet. Vor e<strong>in</strong>em Jahr hätten<br />
nicht alle <strong>de</strong>utschen Medien so kritisch<br />
berichtet, sagt er: „Ich <strong>de</strong>nke, da<br />
war ich Me<strong>in</strong>ungsmacher und habe<br />
die L<strong>in</strong>ie vorgezeichnet, auf die die<br />
an<strong>de</strong>ren e<strong>in</strong>geschwenkt s<strong>in</strong>d.“<br />
Beson<strong>de</strong>rs während <strong>de</strong>r Kanzlerschaft<br />
Schrö<strong>de</strong>rs sei e<strong>in</strong> zu positives<br />
Bild <strong>de</strong>r Put<strong>in</strong>-Herrschaft vermittelt<br />
wor<strong>de</strong>n. Jetzt habe sich nicht nur<br />
die Berichterstattung geän<strong>de</strong>rt.<br />
Auch Kanzler<strong>in</strong> Merkel kritisiere<br />
nun die Menschenrechtslage <strong>in</strong><br />
Russland öffentlich.<br />
wIe hIlfreIch Ist krItIk aus<br />
DeM auslanD?<br />
Mária Huber bezweifelt die positive<br />
Wirkung ausländischer Interventionen<br />
für Demokratie und Pressefreiheit.<br />
Die Politologie-Professor<strong>in</strong>,<br />
die zur Wen<strong>de</strong>zeit für „Die Zeit“ aus<br />
Moskau berichtete, f<strong>in</strong><strong>de</strong>t, <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />
Bedürfnis nach Demokratie von unten<br />
her wachsen muss. E<strong>in</strong>mischung<br />
von außen sei kontraproduktiv. „Das<br />
festgehalten, die sich als Mitarbeiter<br />
<strong>de</strong>s Inlandsgeheimdienstes ausgaben,<br />
ihnen wur<strong>de</strong>n die Akkreditierungen,<br />
<strong>das</strong> Satellitentelefon und e<strong>in</strong>ige<br />
Aufnahmebän<strong>de</strong>r entzogen.<br />
Nach 14 Jahren <strong>in</strong> Russland wisse<br />
sie eben, „wie es <strong>in</strong> diesem Land<br />
um solche D<strong>in</strong>ge steht“, sagt Scholl<br />
dazu. Ihre abgebrühten Worte<br />
zeigen: Offenbar gehört es selbst<br />
für westliche Journal<strong>ist</strong>en zur Normalität,<br />
<strong>in</strong> Russland e<strong>in</strong>geschränkt<br />
und bedroht zu wer<strong>de</strong>n, nicht<br />
veröffentlichen zu dürfen was man<br />
als Journal<strong>ist</strong> will – schon gar nicht<br />
über Tschetschenien.<br />
Über all diesen Repressionen<br />
schwebt Ramsan Kadyrow, <strong>de</strong>r von<br />
Put<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gesetzte neue Präsi<strong>de</strong>nt<br />
<strong>de</strong>r Teilrepublik. In Tschetschenien<br />
<strong>ist</strong> er allgegenwärtig, ob als<br />
gol<strong>de</strong>ne Statue, als Bild über <strong>de</strong>r<br />
La<strong>de</strong>ntheke o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n T-Shirts<br />
Ergebnis <strong>ist</strong> dann selten Demokratie,<br />
son<strong>de</strong>rn vielmehr e<strong>in</strong>e Verschärfung<br />
<strong>de</strong>s Machtkampfs zwischen <strong>de</strong>n verfe<strong>in</strong><strong>de</strong>ten<br />
Gruppen <strong>de</strong>r Eliten.“<br />
Huber sieht <strong>das</strong> Problem bei<br />
<strong>de</strong>n Journal<strong>ist</strong>en, weniger <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />
Medienstrukturen. Im Westen als<br />
mutig angesehene Journal<strong>ist</strong>en, wie<br />
die ermor<strong>de</strong>te Anna Politkowskaja,<br />
seien oft sehr direkt <strong>in</strong> ihrer Kritik:<br />
„Es br<strong>in</strong>gt nichts, Put<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />
‚Zaren‘ zu nennen. Dazu gehört<br />
ke<strong>in</strong> Mut. Mutig <strong>ist</strong>, gründlich zu<br />
recherchieren und <strong>das</strong> Ergebnis<br />
sachlich darzustellen – und da gibt<br />
es Defizite.“ Was <strong>in</strong> Russland passiert<br />
sei schlimm, aber manchmal<br />
könne man <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>druck gew<strong>in</strong>nen<br />
„als ob die russischen Journal<strong>ist</strong>en<br />
erwarten wür<strong>de</strong>n, <strong>das</strong>s ihnen die<br />
Pressefreiheit nach Hause getragen<br />
wird“, sagt die Politikwissenschaftler<strong>in</strong>.<br />
Im Westen E<strong>in</strong>druck zu machen,<br />
sei womöglich oft wichtiger, als <strong>de</strong>n<br />
Kampf vor Ort zuführen.<br />
„Es sterben immer die Journal<strong>ist</strong>en,<br />
die über die Mafia und ihre<br />
Strukuren bis <strong>in</strong> die Politik h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />
recherchieren“, sagt Huber. Dass die<br />
22<br />
<strong>de</strong>r Sportler e<strong>in</strong>es Sportclubs, <strong>de</strong>r<br />
auch noch „Ramsan“ heißt. Wie <strong>de</strong>r<br />
„Spiegel“ berichtete, sprechen alle<br />
Tschetschenen von e<strong>in</strong>em „jungen,<br />
energischen Präsi<strong>de</strong>nten“, <strong>in</strong> <strong>de</strong>n sie<br />
ihre Hoffnung setzten – zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st<br />
am helllichten Tage und auf offener<br />
Straße. Der Bürgerme<strong>ist</strong>er e<strong>in</strong>er<br />
Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> setzte noch e<strong>in</strong>en oben<br />
drauf, als er <strong>de</strong>n „Spiegel“-Reportern<br />
sagte: „In Tschetschenien gibt<br />
es ke<strong>in</strong>e Probleme, <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt<br />
entschei<strong>de</strong>t alles.“<br />
Nur unter <strong>de</strong>r Hand hört sich <strong>das</strong><br />
an<strong>de</strong>rs an. Dieses neue Tschetschenien<br />
<strong>ist</strong> nämlich vor allem von Angst<br />
geprägt. Angst, die für Susanne<br />
Scholl „nicht nur vor <strong>de</strong>r russischen<br />
Armee, son<strong>de</strong>rn vor allem auch vor<br />
<strong>de</strong>m jetzigen Präsi<strong>de</strong>nten“ besteht.<br />
Put<strong>in</strong> agiere „wie e<strong>in</strong> Feudalherr“.<br />
Und wer da kritisch sei, begebe sich<br />
eben <strong>in</strong> Gefahr.<br />
mafiösen Strukturen so stark s<strong>in</strong>d,<br />
liege aber nicht an Put<strong>in</strong>, son<strong>de</strong>rn an<br />
<strong>de</strong>r Art und Weise, wie <strong>de</strong>r Systemwan<strong>de</strong>l<br />
mit Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r Jelz<strong>in</strong>schen<br />
Präsi<strong>de</strong>ntschaft durchgeführt wur<strong>de</strong>.<br />
Vorzuwerfen sei Put<strong>in</strong> eher, nicht für<br />
ausreichen<strong>de</strong>n Schutz von Journal<strong>ist</strong>en<br />
zu sorgen und zuzulassen, <strong>das</strong>s<br />
Spielräume für unabhängige Medien<br />
enger wer<strong>de</strong>n, sei es im wie<strong>de</strong>r stärker<br />
auf L<strong>in</strong>ie gebrachten Fernsehen<br />
o<strong>de</strong>r im Pr<strong>in</strong>tbereich.<br />
Tatsache <strong>ist</strong> aber, <strong>das</strong>s während<br />
Jelz<strong>in</strong>s Präsi<strong>de</strong>ntschaft im Durchschnitt<br />
gut 20 Journal<strong>ist</strong>en pro Jahr<br />
ermor<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n. Re<strong>in</strong> quantitativ<br />
ersche<strong>in</strong>en da die rund 20 Journal<strong>ist</strong>en<br />
<strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt sieben Jahren<br />
Put<strong>in</strong>-Herrschaft fast als Fortschritt<br />
auf Russlands beschwerlichem Weg<br />
zur Pressefreiheit.<br />
Doch dies als Messlatte zu nehmen,<br />
wäre zynisch und falsch. Russland<br />
braucht mehr überzeugte<br />
Demokraten mit überzeugen<strong>de</strong>m<br />
Engagement. Und mehr <strong>de</strong>mokratisch<br />
<strong>de</strong>nken<strong>de</strong> Journal<strong>ist</strong>en als<br />
<strong>de</strong>ren Multiplikatoren. Doch genau<br />
<strong>das</strong> erschwert <strong>de</strong>r russische Staat.
23 frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008 ausland<br />
HART AN DER GRENZE UND DARÜBER HINAUS<br />
Pressefreiheit <strong>in</strong> Europas letzter Diktatur: Belarus. Von Julia Becker<br />
K<br />
atja Kievic, Katja Kievic!“,<br />
schreit e<strong>in</strong>e gellen<strong>de</strong> Stimme<br />
durch <strong>de</strong>n Gang <strong>de</strong>s<br />
Busses, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m rund 50 Reisen<strong>de</strong> die<br />
Grenze von Belarus Richtung Polen<br />
überqueren wollen. Unter ihnen <strong>ist</strong><br />
auch e<strong>in</strong>e 20-jährige Stu<strong>de</strong>nt<strong>in</strong> aus<br />
Belarus, wieWeißrussland auch hierzulan<strong>de</strong><br />
im <strong>in</strong>ternationalen Verkehr<br />
genannt wird. Blass und <strong>in</strong> sich gekehrt<br />
sitzt sie auf ihrem Platz. Laute<br />
Musik dröhnt durch ihre Kopfhörer.<br />
Sie <strong>ist</strong> die E<strong>in</strong>zige, die die 35 Grad<br />
Celcius im stickigen Inneren <strong>de</strong>s Gefährts<br />
aushält und die drei Stun<strong>de</strong>n<br />
bis zur ersten Passkontrolle nicht<br />
draußen im Schatten verbr<strong>in</strong>gt. Ihr<br />
Name <strong>ist</strong> Katja Kievic.<br />
Als <strong>de</strong>r Schrei <strong>de</strong>r Miliz durch<br />
<strong>de</strong>n Bus geschmettert wird, steht<br />
die zierliche Frau auf – blass, aber<br />
gefasst. Ihr Dekolleté weißt Narben<br />
auf. Vor <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Insassen<br />
wird sie samt Gepäck abgeführt.<br />
Hilflose Blicke zehn junger Menschen<br />
treffen sich. Katja gehört zu<br />
<strong>de</strong>n belarussischen und <strong>de</strong>utschen<br />
Jungjournal<strong>ist</strong>en, die <strong>in</strong> M<strong>in</strong>sk politische<br />
Themen recherchiert hatten.<br />
Aber arbeiten<strong>de</strong> Journal<strong>ist</strong>en s<strong>in</strong>d<br />
<strong>in</strong> Belarus nicht gerne gesehen und<br />
Katja Kievic steht auf <strong>de</strong>r roten<br />
L<strong>ist</strong>e <strong>de</strong>r Regierung.<br />
Der Grund: Die Stu<strong>de</strong>nt<strong>in</strong> <strong>ist</strong><br />
Vorsitzen<strong>de</strong> e<strong>in</strong>er Organisation,<br />
die von Präsi<strong>de</strong>nt Alexan<strong>de</strong>r Lukaschenko<br />
wegen ihrer kritischen<br />
Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung mit gesellschaftspolitischen<br />
Themen nicht<br />
gedul<strong>de</strong>t wird. Seit sie <strong>de</strong>n Vorsitz<br />
hat, wird ihr <strong>das</strong> Leben schwer<br />
gemacht: Büroräume durchsucht,<br />
Freun<strong>de</strong> verhaftet, an <strong>de</strong>r Grenze<br />
wird sie abgefangen und oft auch als<br />
Frau sehr erniedrigt. Als sich die Stu<strong>de</strong>nt<strong>in</strong><br />
im Anschluss an die Präsi<strong>de</strong>ntenwahlen<br />
vom März 2006 an <strong>de</strong>n<br />
mehrtägigen Groß<strong>de</strong>monstrationen<br />
gegen Wahlmanipulationen auf <strong>de</strong>m<br />
Oktoberplatz <strong>in</strong> M<strong>in</strong>sk beteiligte,<br />
wur<strong>de</strong> sie am Morgen <strong>de</strong>s 21. März<br />
mit 400 weiteren Demonstranten<br />
von e<strong>in</strong>em Son<strong>de</strong>re<strong>in</strong>satztrupp<br />
verhaftet. Nach <strong>de</strong>m gewaltsamen<br />
Abtransport musste Katja vier Tage<br />
im Gefängnis ausharren.<br />
„Ich hatte Glück, <strong>das</strong>s ich sofort <strong>in</strong><br />
me<strong>in</strong>e Zelle kam. An<strong>de</strong>re stan<strong>de</strong>n<br />
bei eisigem Frost am nächsten Tag<br />
immer noch <strong>in</strong> Reihe auf <strong>de</strong>m Hof“,<br />
erzählt sie.<br />
„Alles raus aus <strong>de</strong>m Bus. Je<strong>de</strong>r<br />
stellt sich mit se<strong>in</strong>em Gepäck <strong>in</strong><br />
Reihe“, schreit e<strong>in</strong> Mann von <strong>de</strong>r<br />
Stets mit e<strong>in</strong>em Be<strong>in</strong> im Gefängnis: Demonstranten gegen <strong>das</strong> Lukaschenko-Regime <strong>in</strong> M<strong>in</strong>sk.<br />
Miliz durch die Mitte <strong>de</strong>s Busses,<br />
nach<strong>de</strong>m sich alle Reisen<strong>de</strong>n für<br />
die Grenzkontrollen wie<strong>de</strong>r im Bus<br />
e<strong>in</strong>gefun<strong>de</strong>n hatten. Hastig packt<br />
auch e<strong>in</strong>e junge Deutsche namens<br />
Stefanie ihre Sachen zusammen.<br />
Auch sie gehört zu <strong>de</strong>r Gruppe<br />
<strong>de</strong>r Jungjournal<strong>ist</strong>en. Während sie<br />
stopft, fangen ihre Hän<strong>de</strong> an zu<br />
zittern, ihr <strong>ist</strong> schlecht. Alle Gepäckstücke<br />
wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Bauch<br />
<strong>de</strong>s Busses gezerrt, je<strong>de</strong>r Millimeter<br />
nach Illegalem abgesucht.<br />
Wie Tiere stehen die Reisen<strong>de</strong>n <strong>in</strong><br />
Reihe, begafft von an<strong>de</strong>ren Grenzgängern.<br />
Die Be<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Stehen<strong>de</strong>n<br />
zittern, obwohl viele krampfhaft<br />
versuchen, ke<strong>in</strong>e Regung zu zeigen.<br />
Auch die junge Deutsche nicht.<br />
Blitzartig schießen <strong>de</strong>r 20-Jährigen<br />
Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r vergangenen Woche<br />
durch <strong>de</strong>n Kopf. E<strong>in</strong>es davon zeigt<br />
die zehnköpfige Redaktion e<strong>in</strong>er<br />
verbotenen, aber sehr gefragten<br />
belarussischen Zeitung. Diese wird<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em 12 Quadratmeter kle<strong>in</strong>en,<br />
dunklen Keller <strong>in</strong> M<strong>in</strong>sk geschrieben,<br />
im Ausland gedruckt, anschließend<br />
über die Grenzzäune zurück<br />
nach Belarus geworfen, um dort im<br />
Untergrund verteilt zu wer<strong>de</strong>n. „Ich<br />
habe zahlreiche Morddrohungen<br />
bekommen. Aber ich habe unserem<br />
Präsi<strong>de</strong>nten klar zu verstehen gegeben,<br />
<strong>das</strong>s er erst die ganze Redaktion<br />
erschießen muss, bevor unsere Zeitung<br />
nicht mehr ersche<strong>in</strong>t“, erklärt<br />
<strong>de</strong>r Chefredakteur <strong>de</strong>s Blattes, <strong>de</strong>m<br />
die Angst trotz charakter<strong>ist</strong>ischer<br />
Heiterkeit unverkennbar <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />
Augen brennt. Se<strong>in</strong> bester Freund<br />
verschwand e<strong>in</strong>es Tages spurlos, bis<br />
heute – e<strong>in</strong> Schicksal, <strong>das</strong> rund fünfzig<br />
weitere Journal<strong>ist</strong>en und Kritiker<br />
aus Belarus teilen. An<strong>de</strong>re Freun<strong>de</strong><br />
wur<strong>de</strong>n erschossen.<br />
nur ausDauer hIlft gegen<br />
DIktator lukaschenko<br />
Lukaschenkos Taktik: Gegner durch<br />
psychischen Druck <strong>in</strong> die Knie zw<strong>in</strong>gen.<br />
Wenn <strong>das</strong> nicht hilft, wer<strong>de</strong>n<br />
die Drohungen wahr gemacht. E<strong>in</strong><br />
an<strong>de</strong>res Bild zeigt junge Belarussen,<br />
die gegen Lukaschenko kämpfen.<br />
Trotz politischer Verfolgung und Folter<br />
lieben sie ihr Land. „Ich habe viel<br />
Schlimmes erlebt. Wenn ich manchmal<br />
aufgeben will, <strong>de</strong>nke ich an me<strong>in</strong>e<br />
kle<strong>in</strong>en Schwestern. Die sollen <strong>das</strong><br />
<strong>in</strong> ihrer Heimat nicht erleben. Also<br />
stehe ich wie<strong>de</strong>r auf, kämpfe weiter“,<br />
so e<strong>in</strong>e Oppositionelle.<br />
Viele von ihnen agieren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
ausgeklügelten Netzwerk, <strong>de</strong>ssen<br />
Verb<strong>in</strong>dungen bis nach Deutschland<br />
reichen. „Manchmal muss<br />
man von außen han<strong>de</strong>ln, um<br />
<strong>in</strong>nen etwas bewegen zu können.<br />
Für me<strong>in</strong> Belarus b<strong>in</strong> ich hier <strong>in</strong><br />
Deutschland“, erzählt Jurij Breschniew,<br />
<strong>de</strong>r seit drei Jahren <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong> studiert.<br />
Nach über e<strong>in</strong>er Stun<strong>de</strong> kommt<br />
Katja aus <strong>de</strong>m Grenzhaus. Sie<br />
lächelt. „Die haben nur alles ausgepackt<br />
und mich nur normal gefilzt.<br />
Nett s<strong>in</strong>d die hier“, strahlt die<br />
Belaruss<strong>in</strong>, während sie sich leicht<br />
<strong>in</strong> die verste<strong>in</strong>erte Menschenreihe<br />
fügt. Die Gruppe atmet – trotz<br />
Irritation – auf. Sie steht nun seit<br />
fünf Stun<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Grenze.<br />
„Gera<strong>de</strong> h<strong>in</strong>stellen, alle Koffer<br />
und Taschen öffnen!“. Rabiat fängt<br />
e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e, uniformierte Frau an,<br />
die Bagage auszuräumen. Im Gepäck<br />
<strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong>en s<strong>in</strong>d Papiere<br />
aus <strong>de</strong>m Untergrund. Die Anspannung<br />
<strong>de</strong>r Gruppe äußert sich<br />
<strong>in</strong> blassen Gesichtern, zittern<strong>de</strong>n<br />
Körpern und beten<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n.<br />
E<strong>in</strong>e Flasche Beruhigungsmittel<br />
wird zum zweiten Mal rumgereicht<br />
und zur Hälfte geleert.<br />
Als die Suchen<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r<br />
Reihe bei <strong>de</strong>r Gruppe Journal<strong>ist</strong>en<br />
ankommt, filzt sie nur noch die<br />
Hälfte <strong>de</strong>r Koffer<strong>in</strong>halte. Die Materialien<br />
liegen ganz unten. Das Glück<br />
<strong>ist</strong> heute auf Seite <strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong>en.<br />
Die Miliz f<strong>in</strong><strong>de</strong>t nichts.<br />
Die Pässe wer<strong>de</strong>n zurückgegeben,<br />
Katja bekommt ihren nicht.<br />
Warten. Mitreisen<strong>de</strong> schauen sie<br />
verärgert an, geben ihr die Schuld<br />
für <strong>das</strong> Martyrium. Die Taktik hat<br />
sich verselbstständigt. 15 M<strong>in</strong>uten<br />
später kriegt auch Katja ihre Papiere<br />
zurück. Endlich dürfen alle wie<strong>de</strong>r<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>n stickigen Bus.<br />
Nach sechse<strong>in</strong>halb Stun<strong>de</strong>n setzt<br />
sich <strong>de</strong>r Bus mit allen Reisen<strong>de</strong>n <strong>in</strong><br />
Bewegung und steuert auf die Grenze<br />
zu. Die vorher gesenkten Köpfe<br />
heben sich, Fixpunkt <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e weiße<br />
L<strong>in</strong>ie auf e<strong>in</strong>er schmalen Brücke. Als<br />
<strong>de</strong>r Bus sie überquert, klatschen Reisen<strong>de</strong>,<br />
stoßen Jubelschreie aus. Stefanie<br />
sitzt regungslos da und lächelt<br />
abwesend <strong>in</strong> die tr<strong>ist</strong>e Landschaft<br />
h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>m weißen Strich. Ihr ganzer<br />
Körper zittert. EU. Sicherheit.
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25 frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008 ausland<br />
„DIE LIZENZ LäUFT AB“<br />
Was <strong>in</strong> Venezuela von <strong>de</strong>r Pressefreiheit bleibt. Von Franka Henn<br />
E<br />
<strong>in</strong> Aufschrei g<strong>in</strong>g durch<br />
die Medienwelt, als Venezuelas<br />
Staatspräsi<strong>de</strong>nt<br />
Hugo Chávez am 27. Mai dieses<br />
Jahres <strong>de</strong>n privaten Fernsehsen<strong>de</strong>r<br />
Radio Caracas Televisión (RCTV)<br />
schließen ließ. Nach 53 Jahren<br />
hatte die Regierung Venezuelas sich<br />
geweigert, die Lizenz <strong>de</strong>s zweiten<br />
Staatskanals zu verlängern. Auf<br />
<strong>de</strong>n ersten Blick e<strong>in</strong> grober Verstoß<br />
gegen Freiheit <strong>de</strong>r Presse. Bei<br />
genauerem H<strong>in</strong>sehen ergibt sich<br />
jedoch e<strong>in</strong> zweigeteiltes Bild.<br />
„Die Lizenz läuft ab. Also sollen<br />
sie die Koffer packen“, kommentierte<br />
Präsi<strong>de</strong>nt Hugo Chávez die<br />
Schließung <strong>de</strong>s Sen<strong>de</strong>rs RCTV. In<br />
<strong>de</strong>r westlichen Medienwelt wur<strong>de</strong><br />
die Entscheidung, im Frühjahr<br />
2007 RCTV zu schließen, überwiegend<br />
als „besorgniserregend“<br />
aufgefasst. Venezuela steuere e<strong>in</strong>en<br />
Kurs an, <strong>de</strong>r „auf die E<strong>in</strong>schränkung<br />
von Me<strong>in</strong>ungsfreiheit und<br />
Demokratie abzielt“, so die Late<strong>in</strong>amerika-Abgeordnete<br />
<strong>de</strong>r FDP,<br />
Mar<strong>in</strong>a Schuster.<br />
Dirk-Oliver Heckmann, Mo<strong>de</strong>rator<br />
<strong>de</strong>r Sendung Artikel 19 beim<br />
Deutschlandfunk, erklärt jedoch im<br />
Gespräch mit politikprange: „Die<br />
Lage <strong>de</strong>r Pressefreiheit <strong>in</strong> Venezuela<br />
<strong>ist</strong> komplexer als es <strong>in</strong> Europa<br />
oftmals <strong>de</strong>n Ansche<strong>in</strong> hat. Man<br />
darf sich die Situation dort nicht<br />
so vorstellen, <strong>das</strong>s es gar ke<strong>in</strong>e Medien<br />
geben wür<strong>de</strong>, die kritisch über<br />
Präsi<strong>de</strong>nt Chávez berichten.“<br />
Die oppositionellen, auch <strong>in</strong>ternationalen<br />
Medien vermuten<br />
h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>r Schließung e<strong>in</strong>en Racheakt<br />
Chávez‘ gegen die privaten,<br />
regierungskritischen Medien <strong>in</strong><br />
Venezuela aufgrund ihrer „putsch<strong>ist</strong>ischen<br />
Aktivitäten“ vor fünf<br />
Jahren. Chávez wirft <strong>de</strong>n privaten<br />
Medien vor, se<strong>in</strong>en Sturz am 11.<br />
April 2002 unterstützt zu haben.<br />
Er kehrte damals nach 48 Stun<strong>de</strong>n<br />
an die Macht zurück. Zu <strong>de</strong>n<br />
Kontrahenten <strong>de</strong>s neosozial<strong>ist</strong>ischen<br />
Präsi<strong>de</strong>nten zählen neben<br />
e<strong>in</strong>igen privaten Medienanstalten<br />
die me<strong>ist</strong>en Unternehmer, Traditionsparteien<br />
und Teilen <strong>de</strong>r<br />
bürgerlichen Stu<strong>de</strong>ntenverbän<strong>de</strong><br />
auch Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r katholischen<br />
Kirche. In mehreren Städten Venezuelas<br />
kam es zu Protestaktionen<br />
nach<strong>de</strong>m Chávez die Schließung<br />
<strong>de</strong>s Sen<strong>de</strong>rs während e<strong>in</strong>er Militärpara<strong>de</strong><br />
bekannt gegeben hatte.<br />
Auch viele Menschenrechtsorganisationen<br />
und Journal<strong>ist</strong>enverbän<strong>de</strong><br />
kritisierten die Entscheidung <strong>de</strong>s<br />
Präsi<strong>de</strong>nten.<br />
Das recht auf „wahre“<br />
InforMatIon<br />
Tatsächlich heißt es im Artikel 58<br />
<strong>de</strong>r neuen Verfassung Venezuelas<br />
nur sehr wage, <strong>das</strong>s je<strong>de</strong>r Mensch<br />
<strong>das</strong> Recht auf „wahre“ Information<br />
habe. Als <strong>das</strong> südamerikanische<br />
Fernsehnetzwerk, Telesur, vor zwei<br />
Jahren auf Sendung g<strong>in</strong>g, ließen<br />
verschie<strong>de</strong>ne Unternehmer starken<br />
Protest verlauten. Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />
Sen<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Nachrichten-Clip<br />
<strong>de</strong>s bekannten kolumbianischen<br />
Narkoterror<strong>ist</strong>en Manuel Marulanda<br />
veröffentlicht hatte, behauptete<br />
man, <strong>das</strong>s <strong>de</strong>r Initiator <strong>de</strong>s Fernsehnetzwerks,<br />
Hugo Chávez, die<br />
marx<strong>ist</strong>ische FARC-Guerilla unterstützen<br />
wür<strong>de</strong>. Die Internetseite Investors.com<br />
titelt damals „Telesur:<br />
Terror<strong>ist</strong>en-TV“. Sicherlich <strong>ist</strong> es<br />
anstößig, die ersten Sen<strong>de</strong>sekun<strong>de</strong>n<br />
mit e<strong>in</strong>em Terror<strong>ist</strong>en-Spot<br />
zu füllen. Doch im selben Artikel<br />
ersche<strong>in</strong>t die Schlussfolgerung, <strong>das</strong>s<br />
<strong>das</strong> „<strong>de</strong>mokratische Kolumbien“<br />
se<strong>in</strong>en Krieg gegen <strong>de</strong>n Terror gew<strong>in</strong>ne,<br />
weil se<strong>in</strong> Wirtschaftswachstum<br />
2004 sechs Prozent betrug.<br />
Nicht m<strong>in</strong><strong>de</strong>r fragwürdig.<br />
US-Außenm<strong>in</strong><strong>ist</strong>er<strong>in</strong> Condoleeza<br />
Rice hatte nach <strong>de</strong>r Schließung von<br />
RCTV die sofortige Entsendung<br />
e<strong>in</strong>er Untersuchungskommission<br />
beantragt, um die Rechtmäßigkeit<br />
Chávez‘ Vorgehens zu überprüfen.<br />
Dies wur<strong>de</strong> jedoch entschie<strong>de</strong>n vom<br />
Generalsekretär <strong>de</strong>r Organisation<br />
Amerikanischer Staaten (OAS), José<br />
Miguel Insulza, zurückgewiesen.<br />
Zwar sei <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>er Kommission<br />
laut <strong>de</strong>s Artikels 18 <strong>de</strong>r Interamerikanischen<br />
Demokratischen<br />
Charta möglich, aber nur wenn <strong>das</strong><br />
betroffene Land <strong>de</strong>m zustimme.<br />
Da ihm e<strong>in</strong>e solche Vere<strong>in</strong>barung<br />
nicht vorliege, wer<strong>de</strong> es ke<strong>in</strong>e<br />
weiteren Debatten über RCTV <strong>in</strong><br />
<strong>de</strong>r Generalversammlung <strong>de</strong>r OAS<br />
geben, erklärte Insulza auf e<strong>in</strong>er<br />
Pressekonferenz im Juni.<br />
Um sich e<strong>in</strong> genaues Bild von<br />
<strong>de</strong>r Situation <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
<strong>in</strong> Venezuela machen zu können,<br />
muss man auch <strong>in</strong> Betracht ziehen,<br />
welche Rolle <strong>de</strong>r Fernsehsen<strong>de</strong>r<br />
RCTV spielte. Heckmann gibt zu<br />
be<strong>de</strong>nken: „RCTV <strong>ist</strong> umstritten.<br />
Der Sen<strong>de</strong>r arbeitete mit gezielten<br />
Falsch- Meldungen, um Chávez zu<br />
stürzen. Der Sen<strong>de</strong>r <strong>ist</strong> eher Akteur<br />
als Beobachter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er politischen<br />
Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung. Das <strong>ist</strong> aber<br />
natürlich ke<strong>in</strong>e Rechtfertigung<br />
dafür, <strong>de</strong>m Sen<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Lizenz zu<br />
entziehen“. In <strong>de</strong>n vergangenen<br />
zwei Jahrzehnten konnten die privaten<br />
Medienkonzerne ungeme<strong>in</strong><br />
von <strong>de</strong>r neoliberalen Politik, die<br />
vor allem von <strong>de</strong>n USA unterstützt<br />
wur<strong>de</strong>, profitieren. Inzwischen<br />
gehören sie zu <strong>de</strong>n wirtschaftlichen<br />
Großakteuren <strong>in</strong> Venezuela, die im<br />
Kampf um ihre Pressefreiheit vor<br />
allem ihren Partikular<strong>in</strong>teressen<br />
nachzugehen sche<strong>in</strong>en.<br />
Der wegen se<strong>in</strong>er Telenovelas<br />
beliebte Sen<strong>de</strong>r RCTV <strong>ist</strong> e<strong>in</strong> Teil<br />
<strong>de</strong>s Medienriesen „1 Broadcast<strong>in</strong>g<br />
Caracas“, zu <strong>de</strong>m außer<strong>de</strong>m fünf<br />
Großunternehmen gehören. Nach<br />
Angaben <strong>de</strong>s venezolanischen Telekommunikationsm<strong>in</strong><strong>ist</strong>eriums<br />
strichen die Sen<strong>de</strong>r RCTV und Venevisión<br />
zusammen drei Viertel <strong>de</strong>r<br />
E<strong>in</strong>nahmen <strong>de</strong>r ganzen Branche e<strong>in</strong>.<br />
Deshalb versuchte die Regierung<br />
unter Chávez <strong>in</strong> <strong>de</strong>n vergangenen<br />
vier Jahren dieser Monopolstellung<br />
entgegen zu wirken, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie<br />
zusätzlich 195 Medien, 167 Radios<br />
und 28 Fernsehstationen grün<strong>de</strong>ten,<br />
die unter staatlicher Aufsicht die<br />
Medienlandschaft <strong>in</strong> Venezuela<br />
erweitern sollten.<br />
Ohne je<strong>de</strong>n Zweifel <strong>ist</strong> die Beschränkung<br />
<strong>de</strong>r Pressefreiheit <strong>in</strong><br />
Venezuela e<strong>in</strong> Problem. Wem die<br />
Situation <strong>in</strong> Venezuela aber Sorge<br />
bereitet, sollte sich im Gegenzug<br />
auch fragen, wie sehr se<strong>in</strong>e eigene<br />
„freie Me<strong>in</strong>ung“ von <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>seitigen<br />
Berichterstattung vieler <strong>in</strong>ternationaler<br />
Medien getrübt wird.
ausland<br />
W<br />
ährend die e<strong>in</strong>en Karikatur-Kartoffeln<br />
aus ihnen<br />
machen, wollen diese die<br />
an<strong>de</strong>ren kle<strong>in</strong> halten und aus ihnen<br />
Püree machen. Die e<strong>in</strong>en, <strong>das</strong> s<strong>in</strong>d<br />
die Journal<strong>ist</strong>en <strong>de</strong>r Berl<strong>in</strong>er „Tageszeitung“<br />
(taz). Die an<strong>de</strong>ren, <strong>das</strong><br />
s<strong>in</strong>d <strong>de</strong>r polnische Präsi<strong>de</strong>nt Lech<br />
Kacz<strong>in</strong>sky und se<strong>in</strong> im Oktober<br />
2007 abgewählter Bru<strong>de</strong>r, M<strong>in</strong><strong>ist</strong>erpräsi<strong>de</strong>nt<br />
Jaroslaw Kaczy<strong>in</strong>ski.<br />
Wir er<strong>in</strong>nern uns: Die taz-Satire<br />
„Polens neue Kartoffel – Schurken,<br />
die die Welt beherrschen wollen“<br />
vom Sommer 2006 hatte <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n<br />
Betroffenen <strong>de</strong>rart auf <strong>de</strong>n Magen geschlagen,<br />
<strong>das</strong>s sie jur<strong>ist</strong>ische Maßnahmen<br />
e<strong>in</strong>leiteten. Und <strong>das</strong>, obwohl <strong>de</strong>r<br />
Artikel klar als Satire gekennzeichnet<br />
war. Dass <strong>das</strong> polnische Presserecht<br />
jedoch Karikaturen und Satiren<br />
schützt (Artikel 41), h<strong>in</strong><strong>de</strong>rte die<br />
Zwill<strong>in</strong>ge nicht: Sie sahen ihre Ehre<br />
bedroht und zogen statt<strong>de</strong>ssen gleich<br />
<strong>das</strong> Strafgesetzbuch heran – Artikel<br />
135 bestraft Beleidigung <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten<br />
mit bis zu drei Jahren Haft.<br />
Die Kaczy<strong>in</strong>ski-Brü<strong>de</strong>r g<strong>in</strong>gen<br />
aber nicht nur auf kritische ausländische,<br />
son<strong>de</strong>rn auch auf Medien<br />
aus <strong>de</strong>m eigenen Land vor. Als<br />
etwa e<strong>in</strong>e l<strong>in</strong>ke Wochenzeitung<br />
<strong>de</strong>n verstorbenen Papst Johannes<br />
Paul II als „Breschnew <strong>de</strong>s Vatikans“<br />
bezeichnete, veranlassten die bei<strong>de</strong>n<br />
rechtliche Konsequenzen. Und auch<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Wahlnacht vom 21. Oktober<br />
2007, als M<strong>in</strong><strong>ist</strong>erpräsi<strong>de</strong>nt Jaroslaw<br />
Kaczy<strong>in</strong>ski erkennen musste, mit<br />
se<strong>in</strong>er rechtskonservativen Partei<br />
PiS die Parlaments-Wahlen verloren<br />
zu haben, kannte er ke<strong>in</strong>e Selbstkritik<br />
– und bediente sich lieber e<strong>in</strong>er<br />
munteren Medienschelte.<br />
Das geme<strong>in</strong>schaftliche Kaczy<strong>in</strong>ski-Rezept<br />
funktionierte so: Viele<br />
Köche ver<strong>de</strong>rben <strong>de</strong>n Brei. Doch<br />
für die tägliche Berichterstattung<br />
s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Menge Journal<strong>ist</strong>en<br />
nötig. Da <strong>ist</strong> es besser, wenn diese<br />
zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st <strong>de</strong>r gleichen Cuis<strong>in</strong>e<br />
angehören und die Politik <strong>de</strong>r<br />
bei<strong>de</strong>n Kaczy<strong>in</strong>ski-Brü<strong>de</strong>r entsprechend<br />
garnieren, <strong>das</strong> heißt, <strong>de</strong>n<br />
polnischen Bürgern als Schmankerl<br />
auftischen. So hat <strong>de</strong>r Radiosen<strong>de</strong>r<br />
„Radio Maria“ <strong>de</strong>n Wahlkampf <strong>de</strong>s<br />
Präsi<strong>de</strong>nten maßgeblich positiv<br />
bee<strong>in</strong>flusst, wofür er auch kritisiert<br />
wur<strong>de</strong>. Ihm wird unter an<strong>de</strong>rem<br />
vorgeworfen, <strong>de</strong>n antieuropäischen<br />
Kurs <strong>de</strong>s Duos zu för<strong>de</strong>rn.<br />
Wer da nicht mitzieht lei<strong>de</strong>t.<br />
So auch Pawel Dabrowski. Der<br />
Informationschef <strong>de</strong>s polnischen<br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008<br />
AUF DEM SCHNEIDEBRETT<br />
Auch im <strong>de</strong>utschen Nachbarland Polen r<strong>in</strong>gen die Leute<br />
noch um die Freiheit <strong>de</strong>r Presse. Von Magdalena Fröhlich<br />
Außenm<strong>in</strong><strong>ist</strong>eriums hatte die besagte<br />
taz-Satire <strong>in</strong> die Presseschau<br />
aufgenommen. Die Folge: Er wur<strong>de</strong><br />
auf <strong>de</strong>r Stelle entlassen.<br />
Auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n öffentlich-rechtlichen<br />
Fernseh- und Radiosen<strong>de</strong>rn wur<strong>de</strong><br />
bereits zuvor e<strong>in</strong> radikaler Personalwechsel<br />
veranlasst. Prompt gab es fast<br />
nur noch Programmchefs mit e<strong>in</strong>em<br />
Parteibuch ihrer rechtsnationalen<br />
Partei PiS, Recht und Gerechtigkeit.<br />
Dies <strong>ist</strong> klarer Rechtsbruch und e<strong>in</strong>e<br />
Beschneidung <strong>de</strong>r Pressefreiheit.<br />
zwangsversetzte<br />
hörfunkjournalIsten<br />
Statt kritischer Programmchefs und<br />
objektiver Berichterstattung <strong>in</strong>formierten<br />
nun PiS-treue Journal<strong>ist</strong>en<br />
die Bevölkerung – mit entsprechen<strong>de</strong>r<br />
<strong>in</strong>haltlicher Ten<strong>de</strong>nz. Und<br />
mehr: Zirka 300 Rundfunk-Journal<strong>ist</strong>en<br />
blickten nach Me<strong>in</strong>ung <strong>de</strong>r<br />
Regierung zu tief <strong>in</strong> die politischen<br />
Töpfe und wur<strong>de</strong>n durch parteikonforme<br />
Reporter ersetzt. Wer<br />
Informationen verbreitete, die <strong>de</strong>n<br />
Zwill<strong>in</strong>gen nicht passten, wur<strong>de</strong><br />
mundtot gemacht.<br />
Auch vor <strong>de</strong>m Fotojournalismus<br />
machten die Zwill<strong>in</strong>ge nicht Halt:<br />
Das Presseamt von M<strong>in</strong><strong>ist</strong>erpräsi<strong>de</strong>nt<br />
Jaroslaw Kaczy<strong>in</strong>ski gab etwa<br />
e<strong>in</strong>e Richtl<strong>in</strong>ie heraus, mit <strong>de</strong>r es<br />
Bildreportern untersagt wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n<br />
Politiker von <strong>de</strong>r Seite zu fotografieren<br />
– bis die Richtl<strong>in</strong>ie wie<strong>de</strong>r<br />
gestrichen wur<strong>de</strong>. E<strong>in</strong>e Aktion, die<br />
H<strong>in</strong>ter Fassa<strong>de</strong>n gucken, e<strong>in</strong> ureigentlicher Auftrag <strong>de</strong>r Presse als vierten Gewalt.<br />
Doch nicht überall wird <strong>das</strong> gerne gesehen. Vor allem wenn die Fassa<strong>de</strong>nbauer Regierungen s<strong>in</strong>d.<br />
<strong>de</strong>r Regierungschef auch noch zum<br />
Anlass nahm, zu behaupten, <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>em Land f<strong>in</strong><strong>de</strong> ja ke<strong>in</strong>e Fotozensur<br />
statt.<br />
Dass die Pressefreiheit <strong>in</strong> Polen<br />
massiv e<strong>in</strong>geschränkt wird, zeigt<br />
<strong>das</strong> aktuelle Rank<strong>in</strong>g <strong>de</strong>r Organisation<br />
„Reporter ohne Grenzen“:<br />
Das osteuropäische Land belegte<br />
<strong>de</strong>n niedrigsten Platz aller europäischen<br />
Län<strong>de</strong>r.<br />
Dabei mangelt es nicht an gesetzliche<br />
Grundlagen, son<strong>de</strong>rn<br />
vielmehr an e<strong>in</strong>er Kluft zwischen<br />
Verfassungsnorm und Verfassungsrealität.<br />
Chr<strong>ist</strong>ian Möller vom Büro<br />
<strong>de</strong>s Beauftragen <strong>de</strong>r OSZE für die<br />
Freiheit <strong>de</strong>r Medien sagt dazu: „Zunächst<br />
<strong>ist</strong> es natürlich wichtig, <strong>das</strong>s<br />
es e<strong>in</strong>en entsprechen<strong>de</strong>n Gesetzestext<br />
zur Pressefreiheit gibt. Dieser<br />
26<br />
<strong>ist</strong> auch <strong>in</strong> Polen gewährle<strong>ist</strong>et. Die<br />
Auslegung e<strong>in</strong>es solchen <strong>ist</strong> jedoch<br />
immer etwas an<strong>de</strong>res. Es <strong>ist</strong> generell<br />
schwierig, genaue Bestimmungen<br />
zur Pressefreiheit festzulegen, da<br />
es sich stets um <strong>in</strong>haltliche D<strong>in</strong>ge<br />
han<strong>de</strong>lt und es problematisch <strong>ist</strong>,<br />
exakte Def<strong>in</strong>itionen zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n.“<br />
Außer<strong>de</strong>m we<strong>ist</strong> Möller darauf<br />
h<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s die Ex<strong>ist</strong>enz e<strong>in</strong>er entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Zivilgesellschaft, die<br />
h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>n Werten <strong>de</strong>r Demokratie<br />
steht, von enormer Be<strong>de</strong>utung sei.<br />
Dass die Demokratie <strong>in</strong> Polen<br />
wach <strong>ist</strong>, hat <strong>das</strong> Wahlergebnis<br />
2007 gezeigt. Die PiS sackte auf<br />
32 Prozent. Der eher unauffällige<br />
Kaczy<strong>in</strong>ski-Herausfor<strong>de</strong>rer Tusk<br />
erreichte h<strong>in</strong>gegen 42 Prozent mit<br />
<strong>de</strong>r Bürgerplattform und wur<strong>de</strong><br />
neuer Premierm<strong>in</strong><strong>ist</strong>er.<br />
Den For<strong>de</strong>rung nach freien Medien<br />
schlossen sich mehrere tausend<br />
Menschen <strong>in</strong> diversen Kundgebungen<br />
an – Polen g<strong>in</strong>g für die<br />
Pressefreiheit auf die Straße – und<br />
zur Wahl. E<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Folgen auch über<br />
Polens Grenzen h<strong>in</strong>aus: Die Klage<br />
<strong>de</strong>r Kacz<strong>in</strong>ski-Brü<strong>de</strong>r gegen die taz<br />
wur<strong>de</strong> e<strong>in</strong>gestellt.
27 frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008 ausland<br />
ANGESCHWIPSTE PRäSIDENTEN GIBT ES NICHT<br />
Pressefreiheit à la Sarkozy <strong>in</strong> Frankreich. Von Ulrike Franke<br />
D<br />
er Prési<strong>de</strong>nt <strong>de</strong> la République<br />
betrunken auf<br />
<strong>de</strong>m G8-Gipfel nach<br />
e<strong>in</strong>em Treffen mit <strong>de</strong>m russischen<br />
Staatsoberhaupt Vladimir Put<strong>in</strong>?<br />
Derselbe Prési<strong>de</strong>nt, <strong>de</strong>r Berichten<br />
nach nie e<strong>in</strong> Tropfen Alkohol zu<br />
sich nimmt? Für die französische<br />
Presse schlicht unmöglich. Möglich<br />
jedoch für ihre belgische Kollegen,<br />
die aus <strong>de</strong>m offensichtlich<br />
leicht verwirrten und außer Atem<br />
zur Pressekonferenz gekommenen<br />
Nicolas Sarkozy e<strong>in</strong>en Präsi<strong>de</strong>nten<br />
machten <strong>de</strong>r „offensichtlich nicht<br />
nur Wasser getrunken hatte“. Nach<br />
<strong>de</strong>r vollständigen Ignorierung <strong>de</strong>s<br />
Vorfalls durch die französischen<br />
Medien griffen ausländische Medien<br />
ihn auf und <strong>in</strong>nerhalb kürzester<br />
Zeit sahen rund fünfzehn Millionen<br />
User <strong>das</strong> betreffen<strong>de</strong> Vi<strong>de</strong>o auf <strong>de</strong>m<br />
Internetvi<strong>de</strong>oportal You-tube.<br />
Ob Sarkozy betrunken war o<strong>de</strong>r<br />
nicht, lässt sich nicht mit Sicherheit<br />
sagen. Die Frage <strong>ist</strong> nur, wie<br />
e<strong>in</strong> solcher, durchaus <strong>in</strong>teressanter<br />
Fauxpas <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten se<strong>in</strong>en Weg<br />
nicht <strong>in</strong> die französischen Medien<br />
gefun<strong>de</strong>n hat. Geht es hier nur um<br />
<strong>de</strong>n berühmten und stark vorhan<strong>de</strong>nen<br />
Nationalstolz <strong>de</strong>r Franzosen,<br />
die ihren Präsi<strong>de</strong>nten nicht unnötig<br />
bloßstellen wollen? O<strong>de</strong>r gibt es<br />
seit e<strong>in</strong>iger Zeit <strong>in</strong> Frankreich die<br />
berühmte „Schere im Kopf“?<br />
Diese Schere im Kopf <strong>ist</strong> e<strong>in</strong><br />
metaphorischer Begriff für <strong>das</strong> Verhalten<br />
von Journal<strong>ist</strong>en, die sich e<strong>in</strong>e<br />
Selbstzensur auflegen. Die Grün<strong>de</strong><br />
hierfür können vielfältig se<strong>in</strong>. Betrachtet<br />
man die Entwicklungen<br />
<strong>in</strong> unserem Nachbarland auf <strong>de</strong>r<br />
an<strong>de</strong>ren Seite <strong>de</strong>s Rhe<strong>in</strong>s f<strong>in</strong><strong>de</strong>t man<br />
zur Zeit lei<strong>de</strong>r haufenweise solcher<br />
Grün<strong>de</strong>.<br />
hoMestory MIt bösen folgen<br />
Als im August 2005 die französische<br />
Zeitschrift Paris Match (vergleichbar<br />
mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bunte) e<strong>in</strong>e<br />
Titelgeschichte über die Gatt<strong>in</strong> <strong>de</strong>s<br />
damaligen Innenm<strong>in</strong><strong>ist</strong>ers Nicolas<br />
Sarkozy veröffentlichte und damit<br />
die besten Verkäufe ihrer Geschichte<br />
realisierte, konnte sich <strong>de</strong>ren<br />
Chefredakteur, Ala<strong>in</strong> Genestar,<br />
e<strong>in</strong>ige Zeit später nach e<strong>in</strong>er neuen<br />
Anstellung umsehen.<br />
Das bekannte Journal du Dimanche<br />
stoppte im Juni dieses Jahres <strong>in</strong><br />
letzter M<strong>in</strong>ute e<strong>in</strong>e Meldung, eben-<br />
falls über Cecilia Sarkozy, diesmal<br />
bezüglich ihres nicht-wählengehens<br />
im zweiten Wahldurchgang <strong>de</strong>r<br />
französischen Präsi<strong>de</strong>ntschaftswahl.<br />
Damals schon zeichnete sich für<br />
aufmerksame Journal<strong>ist</strong>en die absehbare<br />
Scheidung <strong>de</strong>r Sarkozys ab, die<br />
dann auch im Oktober 2007 vollzogen<br />
wur<strong>de</strong> – nach <strong>de</strong>n Wahlen<br />
sarkozys zum Präsi<strong>de</strong>nt. Doch im<br />
Wahlkampf hätte <strong>das</strong> <strong>de</strong>m Kandidaten<br />
<strong>das</strong> Genick brechen können,<br />
für ihm treu ergebene Medien war<br />
<strong>das</strong> Thema damit tabu.<br />
Sowohl <strong>das</strong> Journal <strong>de</strong> Dimanche<br />
als auch Paris match gehören<br />
<strong>de</strong>r Gruppe Lagadère Média, le<br />
journal <strong>de</strong> dimanche noch zu<br />
40% <strong>de</strong>r Dassault-Gruppe. Diese<br />
bei<strong>de</strong>n, aus Rüstungsunternehmen<br />
entstan<strong>de</strong>n Medienkonzerne,<br />
haben heute zusammen mit <strong>de</strong>r<br />
Bouygues-Gruppe quasi die Allmacht<br />
über <strong>de</strong>n französischen<br />
Medienmarkt. Es gibt Praktisch<br />
ke<strong>in</strong>e Zeitung, ke<strong>in</strong> Radiosen<strong>de</strong>r<br />
und ke<strong>in</strong>e Fernsehstation, die nicht<br />
direkt o<strong>de</strong>r über e<strong>in</strong>e Tochtergesellschaft<br />
dieser Konzerne f<strong>in</strong>anziert<br />
und kontrolliert wird. Unabhängige<br />
Medien f<strong>in</strong><strong>de</strong>t man heute kaum<br />
noch <strong>in</strong> Frankreich. Durch <strong>de</strong>n<br />
E<strong>in</strong>bruch <strong>de</strong>s Werbemarktes, <strong>de</strong>r<br />
Konkurrenz durch Internet und<br />
kostenlose Zeitungen und <strong>de</strong>s<br />
generell schwer zu kalkulieren<strong>de</strong>n<br />
Zeitungsmarktes <strong>in</strong> Frankreich<br />
(überwiegend Kioskkäufer, kaum<br />
Abonnenten) stürzten viele Medien<br />
Anfang <strong>de</strong>s neuen Jahrtausends <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e Krise aus <strong>de</strong>r sie nur mit Hilfe<br />
von Investoren gelangen konnte.<br />
Dies führte zu e<strong>in</strong>er Konzentration<br />
<strong>de</strong>r Medien <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>iger<br />
weniger. Gera<strong>de</strong> die Komb<strong>in</strong>ation<br />
von stark von <strong>de</strong>r Politik abhängen<strong>de</strong>n<br />
Rüstungskonzernen und<br />
Medien h<strong>in</strong>terlässt e<strong>in</strong>en bitteren<br />
Nachgeschmack.<br />
Diese Tatsache alle<strong>in</strong>e <strong>ist</strong> besorgniserregend<br />
genug. Richtig<br />
gefährlich wird die ganze Sache<br />
dann aber, wenn Serge Dassault,<br />
Jean-Luc Lagadère und Mart<strong>in</strong><br />
Bouygues zu <strong>de</strong>n engsten Freun<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>s früheren Innenm<strong>in</strong><strong>ist</strong>ers und<br />
seit Mai gewählten Präsi<strong>de</strong>nten<br />
Nicolas Sarkozy gehören. Serge<br />
Dassault zog 2004 für Sarkozys<br />
Partei UMP <strong>in</strong> die französische<br />
Nationalversammlung e<strong>in</strong>. Mart<strong>in</strong><br />
Bouygues <strong>ist</strong> Taufpate von Sarkozys<br />
zehnjährigem Sohn Louis.<br />
So viel Tratsch im Angebot. Aber woher soll mensch wissen, was davon stimmt. Vielleicht <strong>das</strong> Verbotene?<br />
„Ich mache mir Sorgen um die Pressefreiheit,<br />
vor allem wenn es um die Berichterstattung<br />
über Nicolas Sarkozy<br />
geht. Er hat e<strong>in</strong> extrem e<strong>in</strong>flussreiches<br />
Netz von Freun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>ssen er sich<br />
übereifrig bedient um zu steuern was<br />
über ihn geschrieben wird und um<br />
ihm unangenehme Berichterstattung<br />
zu verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn“ erklärt Cather<strong>in</strong>e<br />
Schwaab von Paris Match. Diese<br />
Entwicklung <strong>ist</strong> auch <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>st <strong>in</strong><br />
Frankreich entstan<strong>de</strong>nen und heute<br />
<strong>in</strong>ternational tätigen Journal<strong>ist</strong>enorganisation<br />
„Reporter ohne Grenzen“<br />
(ROG) nicht entgangen.<br />
„nur“ ausreIchenD als note<br />
Betrachtet man <strong>de</strong>ren jährlich veröffentlichte<br />
Rangl<strong>ist</strong>e f<strong>in</strong><strong>de</strong>t man<br />
Frankreich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gruppe jener<br />
Län<strong>de</strong>r, die gera<strong>de</strong> mal „ausreichend“<br />
die Pressefreiheit garantieren. Gera<strong>de</strong><br />
mal um vier Plätze besser als<br />
Italien, <strong>de</strong>m Land <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Medienmogul<br />
Berlusconi quasi alle Medien<br />
kontrolliert? Schon 2006 hieß es im<br />
ROG-Report: „Frankreich (Platz 31)<br />
rutschte im Berichtszeitraum um<br />
fünf Plätze ab, was e<strong>in</strong> Verlust von 24<br />
Rängen <strong>in</strong> fünf Jahren be<strong>de</strong>utet. Redaktions-<br />
und Hausdurchsuchungen<br />
haben zugenommen.“ 24 Ränge <strong>in</strong><br />
fünf Jahren <strong>ist</strong> enorm. Die „Censure<br />
sarkozyenne“ – also die Medienzensur<br />
durch Innenm<strong>in</strong><strong>ist</strong>er/Präsi<strong>de</strong>nt<br />
Nicolas Sarkozy <strong>ist</strong> <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong><br />
stehen<strong>de</strong>r Begriff gewor<strong>de</strong>n. Journal<strong>ist</strong>envere<strong>in</strong>igungen<br />
zeigen sich<br />
beunruhigt, aber wirklich dagegen<br />
angegangen wird nicht. Auch die<br />
Öffentlichkeit zeigt sich nur begrenzt<br />
besorgt, <strong>das</strong> Vertrauen <strong>de</strong>r Franzosen<br />
<strong>in</strong> die Medien <strong>ist</strong> ohneh<strong>in</strong> traditionell<br />
eher ger<strong>in</strong>g.<br />
Natürlich muss man differenzieren:<br />
Frankreich <strong>ist</strong> und bleibt e<strong>in</strong>e<br />
Demokratie. Als Serge Dassault im<br />
Sommer 2004 als Abgeordneter <strong>in</strong><br />
die Assemblée Nationale e<strong>in</strong>zog,<br />
schaltete sich <strong>de</strong>r Verfassungsrat e<strong>in</strong>,<br />
um <strong>de</strong>n Vorgang zu überprüfen. Alle<strong>in</strong><br />
die Machtkonzentration <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />
Hän<strong>de</strong>n weniger, reicht nicht aus,<br />
um die Pressefreiheit für gefähr<strong>de</strong>t<br />
zu erklären. Zu<strong>de</strong>m lässt sich dieser<br />
E<strong>in</strong>fluss auch nur schwer nachweisen.<br />
Das Problem <strong>ist</strong> viel mehr Nicolas<br />
Sarkozys. Natürlich <strong>ist</strong> auch er e<strong>in</strong><br />
<strong>de</strong>mokratisch gewähltes Staatsoberhaupt,<br />
doch die Beziehungen, die er<br />
hat, nutzt er mehr als <strong>das</strong>s es unangreifbar<br />
wäre. Es bleibt zu hoffen, <strong>das</strong>s<br />
Frankreichs Kontrollmechanismen<br />
greifen und Organisationen wie die<br />
ROG weiterh<strong>in</strong> gründlich ihre Arbeit<br />
tun um <strong>in</strong> Frankreich Schlimmeres zu<br />
vermei<strong>de</strong>n. Ausgerechnet dort.
<strong>in</strong>ternet<br />
Mehr unter:<br />
www.bpb.<strong>de</strong>/rechtsextremismus<br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008<br />
DIE ULTIMATIVE PRESSEFREIHEIT<br />
Wie Neonazis die Nichtzensur auf YouTube auskosten. Von Dom<strong>in</strong>ik Schenkel<br />
Ü<br />
berzeugte Rechtsextrem<strong>ist</strong>en nennen <strong>das</strong><br />
Internet e<strong>in</strong>ge<strong>de</strong>utscht „Weltnetz“. Es <strong>ist</strong><br />
für sie mittlerweile <strong>das</strong> Medium schlechth<strong>in</strong>.<br />
Rund 1000 neonaz<strong>ist</strong>ische Internetauftritte<br />
wer<strong>de</strong>n bun<strong>de</strong>sweit gezählt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen sich über<br />
I<strong>de</strong>ologie, Term<strong>in</strong>e und Kontaktdaten ausgetauscht<br />
wird o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>schlägiger Han<strong>de</strong>l betrieben wird. Es<br />
gibt sogar braunes Onl<strong>in</strong>e-Dat<strong>in</strong>g und Jobbörsen<br />
„von Kamera<strong>de</strong>n für Kamera<strong>de</strong>n“ und Wikipedia<br />
<strong>ist</strong> längst zu e<strong>in</strong>em Who‘s Who <strong>de</strong>r rechtsextremen<br />
Szene avanciert. Doch Neonazis nutzen zusätzlich<br />
auch Vi<strong>de</strong>otechnik und entsprechen<strong>de</strong> Foren, die<br />
<strong>das</strong> Web 2.0 bietet, für mehr o<strong>de</strong>r weniger subtile<br />
Propaganda, Strategieplanungen, Verabredungen<br />
und Han<strong>de</strong>l mit e<strong>in</strong>schlägigem Material. Sie kosten<br />
die Pressefreiheit, die <strong>das</strong> Netz gewährt, ungeniert<br />
aus – mit ke<strong>in</strong>eswegs <strong>pressefreiheit</strong>skonformen<br />
Tricks. Sich mit wahrem Namen zu <strong>de</strong>m zu bekennen,<br />
was sie schreiben, machen nur wenige.<br />
Kompliziert <strong>ist</strong> <strong>das</strong> nicht, <strong>de</strong>nn <strong>das</strong> Spurenverwischen<br />
im „Weltnetz“ <strong>ist</strong> leicht. Auch YouTube, die<br />
Internetplattform, haben Neonazis als ver<strong>de</strong>ckte<br />
Plattform für ihre I<strong>de</strong>ologie erkannt.<br />
YouTube, im Oktober 2006 von <strong>de</strong>r Betreiberfirma<br />
<strong>de</strong>r Suchmasch<strong>in</strong>e Google geschluckt, bietet<br />
se<strong>in</strong>en Usern reichlich Vorteile. Unter an<strong>de</strong>rem<br />
<strong>de</strong>n, <strong>das</strong>s hier e<strong>in</strong> Vi<strong>de</strong>o zu posten nicht <strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>utschen, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m US-amerikanischen<br />
Recht unterliegt. Der erste Zusatzartikel <strong>de</strong>r US-<br />
Verfassung garantiert e<strong>in</strong>e weit gefasste Me<strong>in</strong>ungsund<br />
Re<strong>de</strong>freiheit. Dieses Recht nutzen verstärkt<br />
auch Extrem<strong>ist</strong>en aller Couleur und Nationen, die<br />
im Netz ihre eigene Sicht auf die Welt verbreiten.<br />
Auch <strong>de</strong>utsche Neonazis s<strong>in</strong>d gerne Teil dieser im<br />
Hass auf an<strong>de</strong>re Menschen gee<strong>in</strong>ten Run<strong>de</strong>.<br />
Ihre Vi<strong>de</strong>oangebote liefern tiefe E<strong>in</strong>sichten <strong>in</strong><br />
braune Propaganda, h<strong>ist</strong>orischen Revisionismus,<br />
Holocaustleugnung und szene<strong>in</strong>terne Veranstaltungen.<br />
Besucher <strong>de</strong>r Seiten h<strong>in</strong>terlassen <strong>in</strong><br />
ihren Kommentaren zu e<strong>in</strong>gestellten Vi<strong>de</strong>os <strong>in</strong>brünstig<br />
ihre <strong>de</strong>mokratiefe<strong>in</strong>dlichen Me<strong>in</strong>ungen.<br />
Kritiker wer<strong>de</strong>n im Kommentarbereich unter<br />
übelsten Beleidigungen „nie<strong>de</strong>rgeschrieben“.<br />
Das Spektrum reicht ferner von Kriegs- und<br />
Waffenverherrlichung bis h<strong>in</strong> zu Gesamtschauen<br />
zur Wehrmacht und Waffen-SS.<br />
Rechtsextreme politische Parteien stellen sich<br />
überdies mit eigenen Werbefilmen dar, zeigen<br />
Mitschnitte von Parteitagen und von geheim<br />
abgehaltenen Rechtsrockkonzerten. Kameradschaften<br />
zeigen ihre Schlagkraft durch Filme über<br />
abgehaltene Demonstrationen und Mahnwachen<br />
o<strong>de</strong>r über Gewaltaktionen und Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzungen<br />
mit politischen Gegnern. So dümpeln<br />
die Neonazis nicht mehr irgendwo im Abseits,<br />
son<strong>de</strong>rn via YouTube mittendr<strong>in</strong>. Ihre Gegner<br />
von <strong>de</strong>r Antifa allerd<strong>in</strong>gs auch.<br />
E<strong>in</strong>e weitere, als be<strong>de</strong>nklich e<strong>in</strong>zustufen<strong>de</strong><br />
Filmart auf YouTube <strong>ist</strong> die Verfolgung und<br />
öffentliche Zurschaustellung von Gegnern mit<br />
<strong>de</strong>r Kamera. Dabei wird die Privatsphäre <strong>de</strong>r<br />
Zielpersonen gezielt durchbrochen. Diese wer<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>spektierlich, beleidigend und abwertend<br />
dargestellt. Zum Teil wird unterschwellig o<strong>de</strong>r<br />
offen zu Straftaten gegen die betreffen<strong>de</strong>n Personen<br />
aufgerufen. Para<strong>de</strong>beispiel hierfür <strong>ist</strong> e<strong>in</strong><br />
Vi<strong>de</strong>o über Andrea R., e<strong>in</strong>e Journal<strong>ist</strong><strong>in</strong> die sich<br />
<strong>in</strong> ihren Veröffentlichungen sehr <strong>in</strong>tensiv mit<br />
<strong>de</strong>r Neonaziszene ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzt. Sie wird <strong>in</strong><br />
Stasimanier ausgespäht.<br />
Drohbrief aus <strong>de</strong>r Neonaziszene an die Internetredaktion<br />
www.mut-gegen-rechte-gewalt.<strong>de</strong> . Das Foto e<strong>in</strong>es Mitarbeiters<br />
wur<strong>de</strong> von e<strong>in</strong>er Website über die Verleihung<br />
<strong>de</strong>s Alternativen Medienpreises 2007 <strong>in</strong> Nürnberg an<br />
die Redaktion heruntergela<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r verme<strong>in</strong>tliche<br />
Standort <strong>de</strong>r Redaktion mit e<strong>in</strong>em Ju<strong>de</strong>nstern markiert.<br />
Solche Drohungen s<strong>in</strong>d gegenüber Journal<strong>ist</strong>en, die sich<br />
mit Neonazis ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzen ke<strong>in</strong>esfalls selten. Die<br />
Absen<strong>de</strong>r erfahren Genugtuung, wenn sie wissen, <strong>das</strong>s sie<br />
für Verunsicherung sorgen. An<strong>de</strong>ren Angst e<strong>in</strong>zujagen <strong>ist</strong><br />
<strong>das</strong>, was ihnen im Regelfall zur Selbstbestätigung reicht.<br />
Doch <strong>in</strong> Redaktionen wie <strong>de</strong>m MUT-Portal wan<strong>de</strong>rn solche<br />
Schreiben o<strong>de</strong>r Drohmails <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Regel direkt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />
Papierkorb o<strong>de</strong>r gegebenenfalls zur Polizei.<br />
28<br />
Dieses Vi<strong>de</strong>o wur<strong>de</strong> aufgrund von beschwer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />
Betroffenen zeitweilig von YouTube aus <strong>de</strong>m Netz<br />
genommen, taucht aber immer wie<strong>de</strong>r aufs Neue<br />
dort auf, nur <strong>de</strong>r Titel wird leicht geän<strong>de</strong>rt. Bei <strong>de</strong>r<br />
Verfolgung solcher strafrechtlich relevanter rechtsextremer<br />
Inhalte im Internet tut sich die Staatsanwaltschaft<br />
jedoch sehr schwer, sobald die Inhalte<br />
zwar <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>sehbar s<strong>in</strong>d, aber nicht auf<br />
<strong>in</strong> Deutschland stehen<strong>de</strong>n Servern e<strong>in</strong>gestellt s<strong>in</strong>d.<br />
Und YouTube selbst vertritt die im Internet weit<br />
verbreitete Me<strong>in</strong>ung (Vgl. erster Zusatzartikel <strong>de</strong>r<br />
US-Verfassung), <strong>das</strong>s se<strong>in</strong>e Vi<strong>de</strong>oplattform grundsätzlich<br />
je<strong>de</strong>m und je<strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ung offen steht.<br />
nIcht verbIeten sonDern ächten?<br />
Die staatlichen Mittel zum E<strong>in</strong>satz gegen die<br />
Verbreitung extremer Propaganda auf diese Weise<br />
s<strong>in</strong>d begrenzt. Die e<strong>in</strong>zige Möglichkeit zur E<strong>in</strong>flussnahme<br />
auf im Internet e<strong>in</strong>gestellte Inhalte<br />
stellen bilaterale o<strong>de</strong>r multilaterale Abkommen<br />
zur Beschränkung solcher radikalen Inhalte mit<br />
<strong>de</strong>n Heimatlän<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Internetprovi<strong>de</strong>r auf<br />
Staatsebene dar.<br />
E<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nvoller Ansatz im Kampf gegen rechtsextreme<br />
Auswüchse im Internet dürfte e<strong>in</strong>erseits<br />
die Aufklärung <strong>de</strong>r Internetnutzer über rechtsextreme<br />
Tätigkeiten im Web se<strong>in</strong> und an<strong>de</strong>rerseits<br />
die Bekämpfung extrem<strong>ist</strong>ischer E<strong>in</strong>stellungen<br />
im eigenen Land, <strong>de</strong>nn: wo weniger Rechtsextreme<br />
vorhan<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d, gibt es auch entsprechend<br />
weniger rechtsextreme Surfer im Internet. Verbieten<br />
lässt sich <strong>in</strong> diesem Fall kaum, allenfalls<br />
ächten. Aber reicht <strong>das</strong> aus?<br />
Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite bietet YouTube auch<br />
genügend Beispiele für freie Me<strong>in</strong>ungsäußerung<br />
<strong>de</strong>r ‚Gegenseite‘ – hierzu braucht man sich nur die<br />
zahllosen Hitler-Karikaturen und Hitler-Satiren<br />
anzuschauen, die dort e<strong>in</strong>gestellt s<strong>in</strong>d. In dieser<br />
Vielfalt liegt e<strong>in</strong>e Chance: Solange die YouTube-<br />
Macher im Interesse <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ungsfreiheit ke<strong>in</strong>e<br />
erkennbare Ethik durchsetzen, liegt es <strong>in</strong> Hän<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r YouTube-Community, die vorhan<strong>de</strong>nen Spielräume<br />
kreativ zu nutzen, um Neonazis bloßzustellen<br />
und Unwissen<strong>de</strong> über die Nazi-Propaganda im<br />
Web 2.0 aufzuklären.
29 frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008 kurz vor schluss<br />
SUPERSTARS MIT REALITäTSVERLUST<br />
Längst haben Medien die Macht <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r erkannt. Zunehmend wollen sich nun<br />
auch Musiker diese Macht zu Eigen machen: Mit strengen Vorgaben „knebeln“ sie<br />
Fotografen. Von Jan Laboranowitsch<br />
K<br />
e<strong>in</strong>e Zeitung verzichtet heute mehr<br />
auf Fotos. Wirklich ke<strong>in</strong>e? Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st<br />
ansatzweise konnten die Leser e<strong>in</strong>er sächsischen<br />
Tageszeitung im Juli 2006 erfahren, wie<br />
wenig eigentlich e<strong>in</strong>e rechteckige, weiße Fläche<br />
statt e<strong>in</strong>es Bil<strong>de</strong>s sagt. Die Dresdner Neuesten<br />
Nachrichten (DNN) verzichteten ausgerechnet<br />
bei <strong>de</strong>r Berichterstattung über e<strong>in</strong> Konzert von<br />
Robbie Williams auf e<strong>in</strong> Foto. Statt<strong>de</strong>ssen klaffte<br />
auf <strong>de</strong>r Seite e<strong>in</strong> weißes Fenster, gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r<br />
Größe e<strong>in</strong>es Bil<strong>de</strong>s. Was die Fans zunächst enttäuschen<br />
mochte, war für die DNN e<strong>in</strong>e neue<br />
Form <strong>de</strong>s Protests.<br />
Auslöser dafür waren so genannte „Knebelverträge“,<br />
die Fotografen während <strong>de</strong>r Tournee von<br />
Robbie Williams unterzeichnen mussten. Fotos,<br />
so steht <strong>in</strong> diesen Verträgen etwa, dürfen lediglich<br />
während <strong>de</strong>r ersten drei Lie<strong>de</strong>r gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />
Sie s<strong>in</strong>d „nur zur e<strong>in</strong>maligen Veröffentlichung<br />
freigegeben“ – <strong>in</strong> welcher Zeitung, auch <strong>das</strong> muss<br />
<strong>de</strong>r Fotograf im Vertrag angeben. „Sämtliche<br />
Verwertungsrechte“ <strong>de</strong>s Bildmaterials wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m<br />
Management von Robbie Williams überschrieben,<br />
es wer<strong>de</strong>n also „ke<strong>in</strong>e Presseagenturrechte e<strong>in</strong>geräumt“,<br />
so steht es weiter <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Vere<strong>in</strong>barung.<br />
Und schließlich muss <strong>de</strong>r Fotograf auch noch<br />
akzeptieren, <strong>das</strong>s für <strong>de</strong>n Vertrag <strong>das</strong> Recht von<br />
England und Wales gilt. „Ausschließlicher Gerichtsstand<br />
<strong>ist</strong> London.“<br />
Schlicht <strong>in</strong>akzeptabel <strong>ist</strong> für fast alle Journal<strong>ist</strong>en<br />
e<strong>in</strong> solches Vorgehen. Fotografen fühlen<br />
sich <strong>in</strong>strumentalisiert, um <strong>de</strong>n Star <strong>in</strong> <strong>de</strong>m<br />
Licht darzustellen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m er sich selbst gerne<br />
sehen wür<strong>de</strong>. Ist <strong>de</strong>r Frauenschwarm mit <strong>de</strong>m<br />
Lausbuben-Lächeln am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Show verschwitzt<br />
und abgekämpft, s<strong>in</strong>d die Fotografen<br />
DAS HAT GERADE<br />
NOCH GEFEHLT…<br />
Von Franziska Wen<strong>de</strong><br />
Was Presse(un)freiheit für Auswüchse haben<br />
kann: Im Herbst 2007 fielen großfomatige<br />
Anzeigen <strong>de</strong>r Zeitungsverleger <strong>in</strong> vielen Tageszeitungen<br />
auf, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen Stimmung gegen <strong>de</strong>n<br />
geplanten M<strong>in</strong><strong>de</strong>stlohn für Postboten gemacht<br />
wur<strong>de</strong>. Be<strong>in</strong>ahe mit Erfolg. Nicht wenige<br />
Zeitungshäuser haben private Postdienste als<br />
lukratives Nebengeschäft ent<strong>de</strong>ckt (<strong>de</strong>r Axel<br />
Spr<strong>in</strong>ger Verlag etwa mittels PIN AG). Und<br />
da e<strong>in</strong>e Regierung bekanntlich auf die Gunst<br />
von Medien angewiesen <strong>ist</strong>, funktionierte <strong>de</strong>r<br />
Lobbydruck zeitweise famos – sogar die Bun<strong>de</strong>skanzler<strong>in</strong><br />
drohte sich <strong>de</strong>m Druck zu beugen.<br />
In Mag<strong>de</strong>burg konnten Schüler e<strong>in</strong>en weiteren<br />
Aspekt solcher Zeitungs-Post-Geschäfte<br />
erfahren. Sachsen-Anhalt hatte En<strong>de</strong> 2006 e<strong>in</strong>en<br />
Schüler-Wettbewerb durchgeführt:<br />
längst abgezogen – <strong>das</strong> mussten sie schließlich<br />
unterschreiben. Und knipst <strong>de</strong>n Sänger während<br />
<strong>de</strong>r ersten drei Lie<strong>de</strong>r doch mal e<strong>in</strong> fl<strong>in</strong>ker F<strong>in</strong>ger<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er pe<strong>in</strong>lichen Pose, so erreicht <strong>das</strong> Foto<br />
ke<strong>in</strong> großes Publikum. Denn selbst wenn es<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Prov<strong>in</strong>zzeitung tatsächlich abgedruckt<br />
wird, so ersche<strong>in</strong>t es danach nie wie<strong>de</strong>r. Die<br />
Rechte liegen beim Management. Und <strong>das</strong> hält<br />
die Bil<strong>de</strong>r, die ihm nicht passen, fortan e<strong>in</strong>fach<br />
unter Verschluss. Doch solche Verträge s<strong>in</strong>d<br />
ke<strong>in</strong>eswegs die alle<strong>in</strong>ige Erf<strong>in</strong>dung <strong>de</strong>s Williams-<br />
Managements, son<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>r gesamten<br />
Branche immer üblicher.<br />
es geht uM eItelkeIten – unD gelD<br />
Denn natürlich s<strong>in</strong>d es nicht nur Eitelkeiten, die<br />
Musiker zu solchen für Journal<strong>ist</strong>en schlicht unverschämten<br />
Vorgaben treiben. Es geht vor allem<br />
um e<strong>in</strong>es – ums Geld. Und <strong>das</strong> wird <strong>in</strong> Zeiten<br />
von Raubkopien und illegalen Musik-Downloads<br />
aus <strong>de</strong>m Internet immer mehr mit Merchandis<strong>in</strong>g<br />
gemacht. Je exklusiver Bildmaterial e<strong>in</strong>es Stars<br />
<strong>ist</strong>, <strong>de</strong>sto größer <strong>ist</strong> die Chance, daraus Profit zu<br />
schlagen. Der Produktkatalog e<strong>in</strong>es Musikers wie<br />
Robbie Williams <strong>ist</strong> fast endlos. Alles, worauf sich<br />
<strong>das</strong> Portrait <strong>de</strong>s Sängers drucken lässt, sche<strong>in</strong>t vermarktbar:<br />
Tassen, Mützen, T-Shirts, Poster, Bücher<br />
und Kartenspiele s<strong>in</strong>d nur e<strong>in</strong>ige Beispiele.<br />
Die Frage stellt sich aber, wie weit e<strong>in</strong> Management<br />
gehen darf, um die eigenen Interessen<br />
durchzusetzen. Für Fotografen <strong>ist</strong> die Grenze<br />
e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig überschritten, wenn sie <strong>in</strong> ihrem Recht<br />
auf freie Berichterstattung e<strong>in</strong>geschränkt wer<strong>de</strong>n.<br />
Weniger e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig <strong>ist</strong> die rechtliche Situation.<br />
Presserechtsanwalt Johannes Weberl<strong>in</strong>g erläutert:<br />
“Krea(k)tiv gegen Rechts“. E<strong>in</strong>fallsreich sollten<br />
Schüler Initiativen gegen Rechtsextremismus<br />
entwickeln. Die 9b <strong>de</strong>s Gymnasiums Mart<strong>in</strong>eum<br />
<strong>in</strong> Halberstadt wollte e<strong>in</strong>e thematisch<br />
passen<strong>de</strong> Briefmarkenkollektion entwerfen.<br />
Zu diesem Zweck nahmen die Schüler mit<br />
<strong>de</strong>r „biber post” Kontakt auf, e<strong>in</strong>er Tochter<br />
<strong>de</strong>s Verlagshauses Bauer <strong>in</strong> Mag<strong>de</strong>burg, <strong>de</strong>ren<br />
Flaggschiff die Mag<strong>de</strong>burger Tageszeitung<br />
Volksstimme <strong>ist</strong>. Hier sollten die Marken gedruckt<br />
und vertrieben wer<strong>de</strong>n. Die „biber post“<br />
darf als privates Konkurrenzunternehmen<br />
zur Deutschen Post Briefsendungen <strong>in</strong> ganz<br />
Ost<strong><strong>de</strong>utschland</strong> und Teilen Nie<strong>de</strong>rsachsens<br />
zustellen und vertreibt zu diesem Zweck eigene<br />
Briefmarken, für die <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Volksstimme<br />
geworben wird. Anfangs war die „biber post“<br />
<strong>de</strong>m Projekt gegenüber sehr aufgeschlossen.<br />
Doch als die Entwürfe übermittelt wur<strong>de</strong>n,<br />
herrschte plötzlich Funkstille und <strong>das</strong> Unternehmen<br />
zeigte ke<strong>in</strong>erlei Interesse mehr. Die<br />
Schüler<strong>in</strong>nen hakten nach und erfuhren: die<br />
Privatpost wollte lieber e<strong>in</strong> „unpolitisches Werbemedium<br />
für Ihre Kun<strong>de</strong>n“ bleiben, obwohl<br />
„Zunächst e<strong>in</strong>mal gilt im <strong>de</strong>utschen Recht <strong>de</strong>r<br />
Grundsatz, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>mal geschlossene Verträge<br />
e<strong>in</strong>zuhalten s<strong>in</strong>d.“ Weberl<strong>in</strong>g rät <strong>de</strong>n Medien<br />
daher, sich von vornhere<strong>in</strong> solidarisch zu zeigen.<br />
Knebelverträge e<strong>in</strong>fach nicht zu akzeptieren und<br />
über entsprechen<strong>de</strong> Konzerte nicht zu berichten<br />
treffe die „etwas irre geleiteten Managements“<br />
dort, wo es sie am me<strong>ist</strong>en schmerze. Denn auf<br />
die Berichterstattung seien Musiker angewiesen.<br />
Parallel dazu, bedauert Weberl<strong>in</strong>g, entwickele<br />
sich e<strong>in</strong> „immer rü<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Vorgehen<br />
selbst ernannter ‚Sicherheitsleute‘ dieser Musiker<br />
gegenüber Pressefotografen“. Bei Übergriffen rät<br />
er konsequent zu Strafanzeigen und -anträgen.<br />
Für die dpa hat sich <strong>das</strong> im Falle Williams vergangenes<br />
Jahr sowieso erübrigt. Sie schickten erst<br />
gar ke<strong>in</strong>e Journal<strong>ist</strong>en zu <strong>de</strong>n Konzerten. „Wir haben<br />
Robbie Williams we<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Bild noch <strong>in</strong> Wort<br />
unterstützt“, sagt Pressesprecher Justus Demmer<br />
gegenüber politikorange. Manche Restriktionen<br />
seien zwar e<strong>in</strong>sehbar, etwa die Vorschrift auf<br />
Blitzlicht zu verzichten. „Mittlerweile geht es<br />
aber schon so weit,“ so Demmer, „<strong>das</strong>s nur noch<br />
während <strong>de</strong>r ersten M<strong>in</strong>ute fotografiert wer<strong>de</strong>n<br />
darf. Da <strong>ist</strong> die Grenze.“<br />
Doch gehen die Restriktionen zu weit, so<br />
unterschei<strong>de</strong>t sich die Arbeit von Zeitungs- und<br />
Agenturfotografen nicht mehr von PR. „Es geht<br />
um elementare Rechte <strong>de</strong>r Presse“, betont auch<br />
die Leiter<strong>in</strong> <strong>de</strong>s Kulturressorts <strong>de</strong>r Dresdner Neuesten<br />
Nachrichten, Kerst<strong>in</strong> Leiße. Sehe sich ihre<br />
Zeitung wie<strong>de</strong>r mit solcherart Knebelverträgen<br />
konfrontiert, soll erneut e<strong>in</strong> Boykott erfolgen.<br />
Leser hätten <strong>das</strong> Vorgehen <strong>de</strong>r Zeitung im Fall<br />
<strong>de</strong>s Robbie Williams-Konzerts sogar begrüßt -<br />
beschwert habe sich ke<strong>in</strong>er.<br />
man ihnen noch zwei Monate zuvor wie<strong>de</strong>rholt<br />
versichert hatte, Briefmarken gegen Rechtsextremismus<br />
seien „ke<strong>in</strong> Problem”.<br />
Verbittert wur<strong>de</strong> <strong>das</strong> Geschehen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r (beim<br />
Schülerzeitungswettbewerb <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r 2007<br />
dafür preisgekrönten) Schülerzeitung <strong>de</strong>s<br />
Mart<strong>in</strong>eums, „Mart<strong>in</strong>shorn“ aufgespießt: „Da<br />
die biber post e<strong>in</strong>e Tochter <strong>de</strong>r Volksstimme<br />
und somit Mitglied <strong>de</strong>s Bauer-Verlagshauses<br />
<strong>ist</strong>, kann nicht nachvollzogen wer<strong>de</strong>n, warum<br />
Angehörige <strong>de</strong>r Pr<strong>in</strong>tmedien sich auf e<strong>in</strong> „unpolitisches<br />
Werbemedium” zurückziehen und<br />
nicht Stellung beziehen, so wie es die Volksstimme<br />
doch täglich e<strong>in</strong>for<strong>de</strong>rt!“ Doch dann<br />
folgte überraschen<strong>de</strong>r Trost: Die 9b wur<strong>de</strong> zum<br />
Hauptgew<strong>in</strong>ner <strong>de</strong>s Wettbewerbs und zum Trost<br />
für <strong>de</strong>n entgangenen Privatpost-Auftrag or<strong>de</strong>rte<br />
<strong>das</strong> zuständige Kultusm<strong>in</strong><strong>ist</strong>erium gleich zwei<br />
<strong>de</strong>r Briefmarkenentwürfe als Aufkleber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Auflage von 25 000 Stück. Natürlich berichtete<br />
auch die Volksstimme über diese Wendungen.<br />
Aber nicht darüber, an wem <strong>de</strong>r Markendruck<br />
ursprünglich gescheitert war – an <strong>de</strong>r Post aus<br />
eigenem Haus…
grundrechte<br />
frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008<br />
DIE GRUNDGESETZE DES JOURNALISMUS…<br />
…die je<strong>de</strong>r Medienakteur, aber auch Mediennutzer kennen sollte:<br />
Ganz elementares Pressegrundgesetz: In Zensurfällen Öffentlichkeit schaffen – für an<strong>de</strong>re – und sich selbst.<br />
Mehr zum Thema unter:<br />
www.bpb.<strong>de</strong>/veranstaltungen<br />
unter <strong>de</strong>m Stichworten:<br />
„Pressefreiheit und<br />
Demokratie – 175 Jahre<br />
Hambacher Fest“.<br />
Gesetze<br />
1. uno: allgeMeIne<br />
erklärung Der Menschenrechte<br />
artIkel 19, MeInungs-<br />
unD InforMatIonsfreIheIt<br />
Je<strong>de</strong>r Mensch hat <strong>das</strong> Recht auf freie<br />
Me<strong>in</strong>ungsäusserung; dieses Recht<br />
umfasst die Freiheit, Me<strong>in</strong>ungen<br />
unangefochten anzuhängen und<br />
Informationen und I<strong>de</strong>en mit allen<br />
Verständigungsmitteln ohne Rücksicht<br />
auf Grenzen zu suchen, zu<br />
empfangen und zu verbreiten<br />
Das grunDgesetz: art.<br />
5 [recht Der freIen<br />
MeInungsäusserung]<br />
(1) Je<strong>de</strong>r hat <strong>das</strong> Recht, se<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung<br />
<strong>in</strong> Wort, Schrift und Bild frei<br />
zu äußern und zu verbreiten und sich<br />
aus allgeme<strong>in</strong> zugänglichen Quellen<br />
ungeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt zu unterrichten. Die<br />
Pressefreiheit und die Freiheit <strong>de</strong>r<br />
Berichterstattung durch Rundfunk<br />
und Film wer<strong>de</strong>n gewährle<strong>ist</strong>et. E<strong>in</strong>e<br />
Zensur f<strong>in</strong><strong>de</strong>t nicht statt.<br />
(2) Diese Rechte f<strong>in</strong><strong>de</strong>n ihre<br />
Schranken <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Vorschriften <strong>de</strong>r<br />
allgeme<strong>in</strong>en Gesetze, <strong>de</strong>n gesetzlichen<br />
Bestimmungen zum Schutze<br />
<strong>de</strong>r Jugend und <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Recht <strong>de</strong>r<br />
persönlichen Ehre<br />
Der PressekoDeX<br />
Vom Deutschen Presserat <strong>in</strong> Zusammenarbeit<br />
mit <strong>de</strong>n Presseverbän<strong>de</strong>n<br />
beschlossen und Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt<br />
Gustav W. He<strong>in</strong>emann am 12.<br />
Dezember 1973 <strong>in</strong> Bonn überreicht.<br />
Hier <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Fassung vom 2. März<br />
2005:<br />
(1) Die Achtung vor <strong>de</strong>r Wahrheit,<br />
die Wahrung <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong><br />
und die wahrhaftige Unterrichtung<br />
<strong>de</strong>r Öffentlichkeit s<strong>in</strong>d oberste<br />
Gebote <strong>de</strong>r Presse.<br />
(2) Zur Veröffentlichung<br />
bestimmte Nachrichten und Informationen<br />
<strong>in</strong> Wort und Bild s<strong>in</strong>d mit<br />
<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>n Umstän<strong>de</strong>n gebotenen<br />
Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt<br />
zu prüfen. Ihr S<strong>in</strong>n darf durch<br />
Bearbeitung, Überschrift o<strong>de</strong>r Bildbeschriftung<br />
we<strong>de</strong>r entstellt noch<br />
verfälscht wer<strong>de</strong>n. Dokumente<br />
müssen s<strong>in</strong>ngetreu wie<strong>de</strong>rgegeben<br />
wer<strong>de</strong>n. Unbestätigte Meldungen,<br />
Gerüchte und Vermutungen s<strong>in</strong>d<br />
als solche erkennbar zu machen.<br />
Symbolfotos müssen als solche<br />
kenntlich se<strong>in</strong> o<strong>de</strong>r erkennbar<br />
gemacht wer<strong>de</strong>n.<br />
(3) Veröffentlichte Nachrichten<br />
o<strong>de</strong>r Behauptungen, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re<br />
personenbezogener Art, die sich<br />
nachträglich als falsch erweisen,<br />
hat <strong>das</strong> Publikationsorgan, <strong>das</strong> sie<br />
gebracht hat, unverzüglich von sich<br />
aus <strong>in</strong> angemessener Weise richtigzustellen.<br />
(4) Bei <strong>de</strong>r Beschaffung von personenbezogenen<br />
Daten, Nachrichten,<br />
Informationen und Bil<strong>de</strong>rn dürfen<br />
ke<strong>in</strong>e unlauteren Metho<strong>de</strong>n angewandt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
(5) Die vere<strong>in</strong>barte Vertraulichkeit<br />
<strong>ist</strong> grundsätzlich zu wahren.<br />
(6) Je<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Presse tätige Person<br />
wahrt <strong>das</strong> Ansehen und die Glaubwürdigkeit<br />
<strong>de</strong>r Medien sowie <strong>das</strong><br />
Berufsgeheimnis, macht vom Zeugnisverweigerungsrecht<br />
Gebrauch<br />
und gibt Informanten ohne <strong>de</strong>ren<br />
ausdrückliche Zustimmung nicht<br />
preis.<br />
(7) Die Verantwortung <strong>de</strong>r Presse<br />
gegenüber <strong>de</strong>r Öffentlichkeit gebietet,<br />
<strong>das</strong>s redaktionelle Veröffentlichungen<br />
nicht durch private o<strong>de</strong>r<br />
geschäftliche Interessen Dritter o<strong>de</strong>r<br />
durch persönliche wirtschaftliche<br />
Interessen <strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong><strong>in</strong>nen und<br />
Journal<strong>ist</strong>en bee<strong>in</strong>flusst wer<strong>de</strong>n.<br />
Verleger und Redakteure wehren<br />
<strong>de</strong>rartige Versuche ab und achten<br />
auf e<strong>in</strong>e klare Trennung zwischen<br />
redaktionellem Text und Veröffentlichungen<br />
zu werblichen Zwecken.<br />
(8) Die Presse achtet <strong>das</strong> Privatleben<br />
und die Intimsphäre <strong>de</strong>s Menschen.<br />
Berührt jedoch <strong>das</strong> private<br />
Verhalten öffentliche Interessen, so<br />
kann es im E<strong>in</strong>zelfall <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Presse<br />
erörtert wer<strong>de</strong>n. Dabei <strong>ist</strong> zu prüfen,<br />
ob durch e<strong>in</strong>e Veröffentlichung<br />
Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter<br />
verletzt wer<strong>de</strong>n. Die Presse achtet<br />
<strong>das</strong> Recht auf <strong>in</strong>formationelle Selbstbestimmung<br />
und gewährle<strong>ist</strong>et <strong>de</strong>n<br />
redaktionellen Datenschutz.<br />
(9) Es wi<strong>de</strong>rspricht journal<strong>ist</strong>ischem<br />
Anstand, unbegrün<strong>de</strong>te<br />
Behauptungen und Beschuldigungen,<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re ehrverletzen<strong>de</strong>r<br />
Natur, zu veröffentlichen.<br />
(10) Veröffentlichungen <strong>in</strong> Wort<br />
und Bild, die <strong>das</strong> sittliche o<strong>de</strong>r<br />
religiöse Empf<strong>in</strong><strong>de</strong>n e<strong>in</strong>er Personengruppe<br />
nach Form und Inhalt<br />
wesentlich verletzen können, s<strong>in</strong>d<br />
mit <strong>de</strong>r Verantwortung <strong>de</strong>r Presse<br />
nicht zu vere<strong>in</strong>baren.<br />
(11) Die Presse verzichtet auf e<strong>in</strong>e<br />
unangemessen sensationelle Darstellung<br />
von Gewalt und Brutalität. Der<br />
Schutz <strong>de</strong>r Jugend <strong>ist</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Berichterstattung<br />
zu berücksichtigen.<br />
(12) Niemand darf wegen se<strong>in</strong>es<br />
Geschlechts, e<strong>in</strong>er Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rung<br />
o<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>er Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er<br />
rassischen, ethnischen, religiösen,<br />
sozialen o<strong>de</strong>r nationalen Gruppe<br />
diskrim<strong>in</strong>iert wer<strong>de</strong>n.<br />
(13) Die Berichterstattung über<br />
Ermittlungsverfahren, Strafverfahren<br />
und sonstige förmliche<br />
Verfahren muss frei von Vorurteilen<br />
erfolgen. Die Presse vermei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>shalb<br />
vor Beg<strong>in</strong>n und während <strong>de</strong>r<br />
30<br />
Dauer e<strong>in</strong>es solchen Verfahrens <strong>in</strong><br />
Darstellung und Überschrift je<strong>de</strong><br />
präjudizieren<strong>de</strong> Stellungnahme. E<strong>in</strong><br />
Verdächtiger darf vor e<strong>in</strong>em gerichtlichen<br />
Urteil nicht als Schuldiger<br />
h<strong>in</strong>gestellt wer<strong>de</strong>n. Über Entscheidungen<br />
von Gerichten soll nicht<br />
ohne schwerwiegen<strong>de</strong> Rechtfertigungsgrün<strong>de</strong><br />
vor <strong>de</strong>ren Bekanntgabe<br />
berichtet wer<strong>de</strong>n.<br />
(14) Bei Berichten über mediz<strong>in</strong>ische<br />
Themen <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e unangemessen<br />
sensationelle Darstellung<br />
zu vermei<strong>de</strong>n, die unbegrün<strong>de</strong>te<br />
Befürchtungen o<strong>de</strong>r Hoffnungen<br />
beim Leser erwecken könnte. Forschungsergebnisse,<br />
die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
frühen Stadium bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n, sollten<br />
nicht als abgeschlossen o<strong>de</strong>r nahezu<br />
abgeschlossen dargestellt wer<strong>de</strong>n.<br />
(15) Die Annahme und Gewährung<br />
von Vorteilen je<strong>de</strong>r Art, die<br />
geeignet se<strong>in</strong> könnten, die Entscheidungsfreiheit<br />
von Verlag und<br />
Redaktion zu bee<strong>in</strong>trächtigen, s<strong>in</strong>d<br />
mit <strong>de</strong>m Ansehen, <strong>de</strong>r Unabhängigkeit<br />
und <strong>de</strong>r Aufgabe <strong>de</strong>r Presse<br />
unvere<strong>in</strong>bar. Wer sich für die Verbreitung<br />
o<strong>de</strong>r Unterdrückung von<br />
Nachrichten bestechen lässt, han<strong>de</strong>lt<br />
unehrenhaft und berufswidrig.<br />
(16) Es entspricht fairer Berichterstattung,<br />
vom Deutschen Presserat<br />
öffentlich ausgesprochene Rügen<br />
abzudrucken, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />
betroffenen Publikationsorganen.<br />
DIe InItIatIve QualItät<br />
Der Deutsche Journal<strong>ist</strong>en-Verband<br />
(DJV) Der DJV hat se<strong>in</strong>e Positionen<br />
zur Qualität im Journalismus <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Charta zusammengefasst. Diese<br />
Charta wird kont<strong>in</strong>uierlich weiterentwickelt.<br />
In ihrer Präambel heißt<br />
es: „Medien erfüllen e<strong>in</strong>e verantwortungsvolle<br />
öffentliche Aufgabe. Sie<br />
le<strong>ist</strong>en e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag<br />
zur unabhängigen Information,<br />
zur Kritik und Kontrolle, zu freien<br />
Me<strong>in</strong>ungs- und Willensbildung<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung<br />
und zur kulturellen<br />
Entfaltung. Um diese Aufgabe<br />
angemessen und glaubwürdig wahrzunehmen,<br />
s<strong>in</strong>d Journal<strong>ist</strong>en sowie<br />
die Medienunternehmen verpflichtet,<br />
die Qualität im Journalismus<br />
zu för<strong>de</strong>rn und zu sichern“. Die<br />
Punkte im E<strong>in</strong>zelnen stehen als<br />
Download zur Verfügung unter:<br />
www.<strong>in</strong>itiative-qualitaet.<strong>de</strong>. Ähnliche<br />
Ethik-Grundsätze haben Verdi<br />
(dju.verdi.<strong>de</strong>) und <strong>de</strong>r Deutscher<br />
Fachjournal<strong>ist</strong>enverband (www.gfjv.<br />
<strong>de</strong>) formuliert.
31 frei?* / W<strong>in</strong>ter 2008 grundsätze<br />
“ALLE MEDIENSCHAFFENDEN<br />
SIND IN DER PFLICHT…“<br />
Der Hambacher Appell 2007<br />
E<br />
<strong>in</strong>e Presse, die <strong>de</strong>r Politik<br />
nach <strong>de</strong>m Mund re<strong>de</strong>t,<br />
taugt nicht für die Demokratie.<br />
Das wussten die Publiz<strong>ist</strong>en<br />
Jakob Siebenpfeiffer und Georg<br />
August Wirth ganz genau. Kritisch<br />
müsse die Presse se<strong>in</strong>, nur dann sei<br />
e<strong>in</strong>e echte und vor allem freie Me<strong>in</strong>ungsbildung<br />
möglich. Die bei<strong>de</strong>n<br />
Demokraten grün<strong>de</strong>ten <strong>de</strong>n „Deutschen<br />
Preß- und Vaterlandsvere<strong>in</strong>“.<br />
Dieser „Pressvere<strong>in</strong>“ organisierte<br />
e<strong>in</strong> Volksfest – so unterlief er <strong>das</strong><br />
Verbot politischer Versammlungen.<br />
Das war im Mai 1832, vor genau<br />
175 Jahren. Das Hambacher Fest <strong>ist</strong><br />
seither Synonym für <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mokratischen<br />
Aufbruch und untrennbar<br />
verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Kampf für e<strong>in</strong>e<br />
von jeglicher Zensur befreite Presse.<br />
Demokratie und Pressefreiheit s<strong>in</strong>d<br />
untrennbar mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n.<br />
Damals wie heute.<br />
Aufgabe <strong>de</strong>r Presse <strong>ist</strong> es, ungeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt<br />
und umfassend über Ereignisse<br />
und Entwicklungen zu berichten,<br />
diese zu dokumentieren und überall<br />
dort Anklage zu erheben, wo<br />
Unrecht geschieht. Damit üben die<br />
Medien gegenüber staatlichen und<br />
nicht staatlichen Institutionen e<strong>in</strong>e<br />
wichtige Kontrollfunktion aus. Zwar<br />
gehört die Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland<br />
zu <strong>de</strong>n wenigen Län<strong>de</strong>rn auf<br />
<strong>de</strong>r Welt, wo die Pressefreiheit nicht<br />
nur <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Verfassung verankert <strong>ist</strong>,<br />
son<strong>de</strong>rn auch gelebt wird. Doch<br />
auch hierzulan<strong>de</strong> s<strong>in</strong>d die freie<br />
Berichterstattung und die Freiheit<br />
<strong>de</strong>r Recherche immer wie<strong>de</strong>r Gefährdungen<br />
ausgesetzt.<br />
Die hier versammelten Journal<strong>ist</strong>en,<br />
Verleger, Jur<strong>ist</strong>en und Vertreter<br />
<strong>de</strong>r politischen Bildung erklären<br />
1. Es gehört zum Selbstverständnis<br />
<strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong><strong>in</strong>nen und Journal<strong>ist</strong>en,<br />
Verleger<strong>in</strong>nen und Verleger<br />
<strong>in</strong> Deutschland, <strong>das</strong>s sie die<br />
Pressefreiheit mutig wahrnehmen.<br />
Wann immer es <strong>das</strong> öffentliche Informations<strong>in</strong>teresse<br />
erfor<strong>de</strong>rt, sollten<br />
dabei alle rechtlichen Möglichkeiten<br />
ausgeschöpft wer<strong>de</strong>n.<br />
2. Zum Schutz <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
können die Medien selbst maßgeblich<br />
beitragen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie diese<br />
verantwortlich wahrnehmen. Dabei<br />
s<strong>in</strong>d die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen<br />
und <strong>das</strong> Recht <strong>de</strong>s Individuums<br />
auf Schutz se<strong>in</strong>er Lebenssphäre<br />
stets zu achten. Berührt privates<br />
Verhalten öffentliches Interesse, so<br />
kann es – nach sorgfältiger Prüfung<br />
<strong>de</strong>s E<strong>in</strong>zelfalls – <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Medien<br />
erörtert wer<strong>de</strong>n.<br />
3. Alle Medienschaffen<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Pflicht, sich geme<strong>in</strong>sam gegen<br />
Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rungen und Übergriffe<br />
zur Wehr zu setzen, die Öffentlichkeit<br />
über <strong>de</strong>ren Tragweite zu<br />
<strong>in</strong>formieren.<br />
4. Zum Schutz <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
s<strong>in</strong>d rechtliche Klarstellungen dr<strong>in</strong>gend<br />
notwendig: Der Gesetzgeber<br />
wird aufgefor<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>n Informantenschutz<br />
umfassend und auf Dauer<br />
zu gewährle<strong>ist</strong>en.<br />
5. Versuche von Unternehmen,<br />
Verbän<strong>de</strong>n und PR-Agenturen,<br />
Druck auszuüben o<strong>de</strong>r im Austausch<br />
gegen Information und<br />
Bildmaterial e<strong>in</strong>e wohlwollen<strong>de</strong><br />
Berichterstattung zivilrechtlich zu<br />
erzw<strong>in</strong>gen, sollten sich die Medien<br />
geschlossen entgegenstellen. Im<br />
Zweifel sollte auf die Berichterstattung<br />
verzichtet wer<strong>de</strong>n. Auf je<strong>de</strong>n<br />
Fall sollte die Öffentlichkeit über<br />
solche Versuche <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>flussnahme<br />
<strong>in</strong>formiert wer<strong>de</strong>n.<br />
Symbolisch <strong>in</strong> schwarz-rot-gold<br />
e<strong>in</strong>gewickelt: Der Hambacher Appell<br />
vom 15.06.2007, e<strong>in</strong>e Initiatve von<br />
bpb, DJV und BDZV.<br />
6. Gefährdungen <strong>de</strong>r Pressefreiheit<br />
<strong>in</strong> Län<strong>de</strong>rn <strong>in</strong>nerhalb wie<br />
außerhalb <strong>de</strong>r Europäischen Union<br />
sollten noch umfassen<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Berichterstattung<br />
unserer Medien berücksichtigt<br />
wer<strong>de</strong>n. Institutionen,<br />
Organisationen und Netzwerke, die<br />
sich für bedrohte Journal<strong>ist</strong>en und<br />
Verleger e<strong>in</strong>setzen, brauchen unsere<br />
Unterstützung.<br />
7. Allen Medienschaffen<strong>de</strong>n sollte<br />
daran gelegen se<strong>in</strong>, <strong>das</strong> Ansehen und<br />
die Glaubwürdigkeit <strong>de</strong>r Presse zu<br />
erhalten und zu stärken. Deshalb <strong>ist</strong><br />
es erfor<strong>de</strong>rlich, sich auch kritisch mit<br />
<strong>de</strong>m eigenen Berufsstand ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rzusetzen<br />
und <strong>das</strong> eigene Han<strong>de</strong>ln<br />
immer wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Prüfstand<br />
zu stellen.<br />
Hambach, 14. Juni 2007<br />
Michael Konken (DJV), Helmut<br />
He<strong>in</strong>en (Bun<strong>de</strong>sverband Deutscher<br />
Zeitungsverleger), und 150 weitere<br />
Mitunterzeichner.<br />
Und wir? Klar stehen wir dah<strong>in</strong>ter.<br />
Hätten uns aber gerne noch<br />
energischere Töne gewünscht (mehr<br />
„sollen“ als „sollten“)! Und noch etwas<br />
Wichtiges: Mit e<strong>in</strong>er qualitativ<br />
guten Journal<strong>ist</strong>enausbildung lassen<br />
sich prima Fundamente legen, um<br />
Pressefreiheit auch <strong>in</strong> Zukunft zu<br />
sichern. Liebe ‚Herren‘ Verleger und<br />
‚etablierte‘ Journal<strong>ist</strong>en – vergesst<br />
diesen Punkt bitte nicht.<br />
WOZU PRESSEFREI-<br />
HEIT? WIR HABEN<br />
DOCH INTERNET!<br />
Von Theresia Keupp<br />
Wenn Presse tatsächlich die „Artillerie<br />
<strong>de</strong>r Gedanken“ wäre, wie <strong>de</strong>r<br />
Satiriker Karl Julius Weber e<strong>in</strong>st<br />
formuliert hat, dann wäre seit bald<br />
zwei Jahrzehnten e<strong>in</strong>e übermächtige<br />
Armada <strong>in</strong> die Gesellschaft e<strong>in</strong>gefallen:<br />
<strong>das</strong> Internet.<br />
Gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> Län<strong>de</strong>rn, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen<br />
Medien staatlich reguliert o<strong>de</strong>r<br />
e<strong>in</strong>geschüchtert wer<strong>de</strong>n, <strong>ist</strong> Internet<br />
e<strong>in</strong> wichtiges Mittel, um Regierungskritikern<br />
e<strong>in</strong>e Stimme zu<br />
verleihen. Außer<strong>de</strong>m bietet es die<br />
Chance, Themen aufzugreifen, die<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Massenmedien vernachlässigt<br />
wer<strong>de</strong>n. Blogger können mutiger<br />
se<strong>in</strong>, sie müssen eben nicht auf<br />
Quoten, Chefredakteure o<strong>de</strong>r Anzeigekun<strong>de</strong>n<br />
schauen. Des Weiteren<br />
s<strong>in</strong>d Blogger oft die authentischsten<br />
Quellen, wenn es darum geht, vor<br />
Ort Augenzeugen zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Der<br />
Blogger, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Klassenzimmer<br />
an <strong>de</strong>r Virg<strong>in</strong>ia Tech unter<br />
e<strong>in</strong>em Tisch lag und sich tot stellte,<br />
als e<strong>in</strong> Amokläufer um sich schoss,<br />
hatte mehr zu erzählen als <strong>de</strong>r Journal<strong>ist</strong><br />
vor <strong>de</strong>r abgesperrten Uni.<br />
Wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Internet also die<br />
leibhaftige Verkörperung <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ungs-<br />
und Pressefreiheit geschaffen?<br />
Weit gefehlt. Was e<strong>in</strong>e übermächtige<br />
Armada <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Presselandschaft<br />
hätte se<strong>in</strong> können, hat sich auf <strong>de</strong>m<br />
Schlachtfeld Presse verrannt. I<strong>de</strong>ologisch<br />
Verblen<strong>de</strong>te manipulieren<br />
Internet-Lexika und Krim<strong>in</strong>elle<br />
stellen K<strong>in</strong><strong>de</strong>rpornografie onl<strong>in</strong>e.<br />
Falsch<strong>in</strong>formationen wer<strong>de</strong>n von<br />
e<strong>in</strong>em Nachrichtenportal <strong>in</strong> <strong>das</strong><br />
an<strong>de</strong>re ungeprüft übernommen.<br />
Diktatoren filtern Informationen,<br />
verbieten Seiten und funktionieren<br />
<strong>das</strong> WWW für Propaganda um.<br />
Auch Blogger täuschen. Mangeln<strong>de</strong><br />
Sorgfalt und Recherche s<strong>in</strong>d<br />
Mankos, unter <strong>de</strong>nen viele Seiten<br />
<strong>in</strong> <strong>de</strong>m flüchtigen Medium lei<strong>de</strong>n.<br />
Wen wun<strong>de</strong>rt es, schließlich durchläuft<br />
e<strong>in</strong> Redakteur e<strong>in</strong>e zweijährige<br />
Ausbildung, bis er sich mit <strong>de</strong>m Titel<br />
schmücken darf. Blogger <strong>ist</strong> manch<br />
e<strong>in</strong>er schon nach zehn M<strong>in</strong>uten.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs <strong>ist</strong> <strong>das</strong> Internet noch<br />
ke<strong>in</strong>eswegs an Bösewichte und<br />
Dummköpfe verloren. Es gibt dort<br />
auch wahre Perlen <strong>de</strong>s guten Journalismus<br />
zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Und diese herauszufischen<br />
und zu vernetzen, mutige<br />
Kritiker also zu unterstützen – dies<br />
könnte Karl Julius Webers Artillerie<br />
<strong>de</strong>r Gedanken se<strong>in</strong>. Dass daraus e<strong>in</strong>e<br />
neue Armada von besseren Kämpfern<br />
für die Pressefreiheit wird, liegt<br />
auch an uns.
AUCH EIN STÜCK PRESSEFREIHEIT<br />
MITMACHEN! www.jugendpresse.<strong>de</strong>