TOM CLANCY'S AUSNAHMEZUSTAND

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schulte.josefine23
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02.01.2013 Aufrufe

nen hatten, das ihnen in die Hände gefallen war. Deshalb brauchte Rodgers den Einfluß von Gary Cooper. Nicht um seine inneren Wunden zu heilen - das hielt er für unmöglich. Er hatte seinen totalen Zusammen- bruch in greifbarer Nähe vor sich gesehen, und er würde dieses Bewußtsein, dieses Wissen um die eigenen Grenzen nie wieder loswerden. Es war wie beim erstenmal, als er sich beim Basketball den Knöchel verstaucht hatte und die Heilung nicht über Nacht stattfand. Das Gefühl der Un- verletzbarkeit war für immer verloren. Doch schlimmer noch war ein gebrochenes Selbstwert- gefühl. Mike Rodgers hatte es bitter nötig, das Selbstvertrauen, das die Terroristen ihm genommen hatten, langsam wie- der aufzubauen. Er brauchte es, damit er stark genug war, um das OP-Center zumindest so lange zu leiten, bis der Präsident einen Nachfolger für Paul Hood bestimmt hatte. Dann konnte er sich um seine eigene Zukunft kümmern. Rodgers sah wieder zum Fernseher. Filme waren schon immer eine Erquickung und gleichzeitig eine Beruhigung für ihn gewesen. In seiner Jugend, nachdem der alkohol- kranke Vater ihn wieder einmal geschlagen und ihn dabei mit dem breiten Ring der Yale-Absolventen verletzt hatte, schwang sich Mike Rodgers auf sein Fahrrad und fuhr zum nächsten Kino. Er zahlte die fünfundzwanzig Cents Eintritt und befand sich Minuten später in einem Western, einem Kriegsfilm oder einem Historienschinken. Mit den Jahren formte er seine Moral, sein Leben und seine Karrie- re nach den Helden, die von John Wayne, Charlton He- ston oder Burt Lancaster dargestellt wurden. Doch er konnte sich nicht mehr daran erinnern, ob ei- ner seiner Helden jemals unter Folter kurz vor dem Zu- sammenbruch gestanden hatte. Er fühlte sich sehr allein gelassen. Cooper hatte gerade ein mexikanisches Mädchen vor der Vergewaltigung durch gegnerische Soldaten gerettet, als das schnurlose Telefon klingelte. Rodgers nahm es auf. »Hallo?« »Mike, Gott sei Dank, daß Sie zu Hause sind ...« »Paul?« »Ja. Hören Sie zu«, sagte Hood. »Ich befinde mich im ehemaligen Pressezentrum der Vereinten Nationen gegen- über dem Auditorium des Sicherheitsrats. Auf dem Korri- dor sind gerade vier Wachen erschossen worden.« Mit einem Ruck setzte Rodgers sich auf. »Von wem?« »Keine Ahnung«, erwiderte Hood. »Aber es sieht so aus, als ob die Täter ins Auditorium sind.« »Wo ist Harleigh?« fragte Rodgers. »Da drinnen«, antwortete Hood. »Die meisten Mitglie- der des Sicherheitsrats und das gesamte Streichorchester sind im Auditorium.« Rodgers griff nach der Fernbedienung, stoppte das Vi- deo und schaltete CNN ein. Die Reporter übertrugen be- reits live von den Vereinten Nationen. Sie machten nicht den Eindruck, als ob sie wüßten, was vor sich ging. »Mike, Sie wissen, wie die Sicherheitsbestimmungen hier sind«, fuhr Hood fort. »Wenn es sich um eine multi- nationale Geiselnahme handelt, könnten die Vereinten Nationen unter Umständen Stunden über die juristischen Zuständigkeiten diskutieren, bevor sie auch nur daran denken, die Leute hier rauszubekommen.«

»Verstanden«, sagte Rodgers. »Ich rufe sofort Bob an, damit er sich um die Sache kümmert. Haben Sie Ihr Han- dy an?« »Ja.« »Wenn es geht, halten Sie mich auf dem laufenden«, fügte Rodgers hinzu. »In Ordnung«, erwiderte Hood. »Mike ...« »Paul, wir werden diese Sache in die Hand nehmen«, versicherte Rodgers. »Sie wissen, daß es direkt nach einem solchen Überfall normalerweise erst einmal eine Abküh- lungsphase gibt. Forderungen werden gestellt, Verhandlungsversuche unternommen. Diese Zeitverschwendung sparen wir uns. Sie und Sharon müssen nur versuchen, die Ruhe zu bewahren.« Hood bedankte sich und unterbrach die Verbindung. Rodgers stellte den Fernseher lauter und hörte zu, während er sich langsam erhob. Der Nachrichtensprecher hat- te keinerlei Anhaltspunkt, wer den Lieferwagen gefahren oder warum man die UNO angegriffen hatte. Es gab noch kein offizielles Kommunique und auch keine Nachricht von den fünf Männern, die allem Anschein nach in das Auditorium des Sicherheitsrats eingedrungen waren. Rodgers schaltete den Fernseher aus. Auf dem Weg zum Kleiderschrank im Schlafzimmer wählte er die Han- dynummer von Bob Herbert. Der Geheimdienstchef des OP-Centers war bei einem Abendessen mit Andrea For- telni, einer stellvertretenden Staatssekretärin im Außen- ministerium. In den Jahren seit der Ermordung seiner Ehefrau in Beirut war Herbert nicht oft mit Frauen aus- gegangen. Aber er war ein chronischer Sammler von Geheimdienstdaten. Ausländische Regierungen, seine eigene Regierung, ganz egal ... Wie in dem japanischen Film Rashomon - außer Sushi und Die Sieben Samurai das einzige aus Japan, was Rodgers gefiel - gab es selten eine Wahrheit bei Regierungsangelegenheiten, sondern lediglich unterschiedliche Perspektiven. Und als Profi be- mühte sich Herbert um so viele Perspektiven wie nur möglich. Außerdem war Herbert ein treuer Freund und Kollege. Als Rodgers ihm am Telefon berichtete, was geschehen war, erklärte er sofort seine Bereitschaft, in weniger als dreißig Minuten im OP-Center zu sein. Rodgers bat ihn, auch Matt Stoll mitzubringen. Vielleicht müßten sie sich Zugang zu den UNO-Computern verschaffen, und Matt war ein konkurrenzlos guter Hacker. In der Zwischenzeit wollte Rodgers die Soldaten des Strikerteams in Alarmbe- reitschaft Stufe Gelb versetzen, damit sie bei Bedarf sofort losschlagen konnten. Zusammen mit dem Rest des OP- Centers waren die einundzwanzig Soldaten dieser Elitetruppe für Kommandoeinsätze an der FBI-Akademie in Quantico stationiert. Im Notfall erreichten sie den Sitz der UNO in weniger als einer Stunde. Rodgers hoffte, daß es dazu nicht kam. Doch unglückli- cherweise hatten Verbrecher, die gleich zu Anfang zu Mör- dern wurden, bei weiteren Opfern nichts mehr zu verlie- ren. Zudem hatten sich Terroristen seit fast einem halben Jahrhundert wenig um die versöhnende Verhandlungsdi- plomatie im Stil der Vereinten Nationen geschert. Hoffnung, dachte er bitter. Was hat ein Theaterautor oder Gelehrter einmal geschrieben ? Hoffnung ist das Gefühl, das man

nen hatten, das ihnen in die Hände gefallen war.<br />

Deshalb brauchte Rodgers den Einfluß von Gary<br />

Cooper. Nicht um seine inneren Wunden zu heilen - das<br />

hielt er für unmöglich. Er hatte seinen totalen Zusammen-<br />

bruch in greifbarer Nähe vor sich gesehen, und er würde<br />

dieses Bewußtsein, dieses Wissen um die eigenen Grenzen<br />

nie wieder loswerden. Es war wie beim erstenmal, als er<br />

sich beim Basketball den Knöchel verstaucht hatte und die<br />

Heilung nicht über Nacht stattfand. Das Gefühl der Un-<br />

verletzbarkeit war für immer verloren.<br />

Doch schlimmer noch war ein gebrochenes Selbstwert-<br />

gefühl.<br />

Mike Rodgers hatte es bitter nötig, das Selbstvertrauen,<br />

das die Terroristen ihm genommen hatten, langsam wie-<br />

der aufzubauen. Er brauchte es, damit er stark genug war,<br />

um das OP-Center zumindest so lange zu leiten, bis der<br />

Präsident einen Nachfolger für Paul Hood bestimmt hatte.<br />

Dann konnte er sich um seine eigene Zukunft kümmern.<br />

Rodgers sah wieder zum Fernseher. Filme waren schon<br />

immer eine Erquickung und gleichzeitig eine Beruhigung<br />

für ihn gewesen. In seiner Jugend, nachdem der alkohol-<br />

kranke Vater ihn wieder einmal geschlagen und ihn dabei<br />

mit dem breiten Ring der Yale-Absolventen verletzt hatte,<br />

schwang sich Mike Rodgers auf sein Fahrrad und fuhr<br />

zum nächsten Kino. Er zahlte die fünfundzwanzig Cents<br />

Eintritt und befand sich Minuten später in einem Western,<br />

einem Kriegsfilm oder einem Historienschinken. Mit den<br />

Jahren formte er seine Moral, sein Leben und seine Karrie-<br />

re nach den Helden, die von John Wayne, Charlton He-<br />

ston oder Burt Lancaster dargestellt wurden.<br />

Doch er konnte sich nicht mehr daran erinnern, ob ei-<br />

ner seiner Helden jemals unter Folter kurz vor dem Zu-<br />

sammenbruch gestanden hatte. Er fühlte sich sehr allein<br />

gelassen.<br />

Cooper hatte gerade ein mexikanisches Mädchen vor<br />

der Vergewaltigung durch gegnerische Soldaten gerettet,<br />

als das schnurlose Telefon klingelte. Rodgers nahm es auf.<br />

»Hallo?«<br />

»Mike, Gott sei Dank, daß Sie zu Hause sind ...«<br />

»Paul?«<br />

»Ja. Hören Sie zu«, sagte Hood. »Ich befinde mich im<br />

ehemaligen Pressezentrum der Vereinten Nationen gegen-<br />

über dem Auditorium des Sicherheitsrats. Auf dem Korri-<br />

dor sind gerade vier Wachen erschossen worden.«<br />

Mit einem Ruck setzte Rodgers sich auf. »Von wem?«<br />

»Keine Ahnung«, erwiderte Hood. »Aber es sieht so<br />

aus, als ob die Täter ins Auditorium sind.«<br />

»Wo ist Harleigh?« fragte Rodgers.<br />

»Da drinnen«, antwortete Hood. »Die meisten Mitglie-<br />

der des Sicherheitsrats und das gesamte Streichorchester<br />

sind im Auditorium.«<br />

Rodgers griff nach der Fernbedienung, stoppte das Vi-<br />

deo und schaltete CNN ein. Die Reporter übertrugen be-<br />

reits live von den Vereinten Nationen. Sie machten nicht<br />

den Eindruck, als ob sie wüßten, was vor sich ging.<br />

»Mike, Sie wissen, wie die Sicherheitsbestimmungen<br />

hier sind«, fuhr Hood fort. »Wenn es sich um eine multi-<br />

nationale Geiselnahme handelt, könnten die Vereinten<br />

Nationen unter Umständen Stunden über die juristischen<br />

Zuständigkeiten diskutieren, bevor sie auch nur daran<br />

denken, die Leute hier rauszubekommen.«

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