TOM CLANCY'S AUSNAHMEZUSTAND
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nicht so gestorben, wie sie wahrscheinlich den größten Teil<br />
ihres Lebens verbracht hatte, allein und ohne jegliche Zärt-<br />
lichkeit. Und obwohl Hangs Suche, die er nie ganz aufge-<br />
geben hatte, jetzt ein Ende gefunden hatte, wußte er, daß<br />
eine neue Suche gerade erst begann.<br />
Hangs Knie waren angewinkelt, und der Kopf seiner<br />
Schwester lag in seinem Schoß. Er berührte ihre kalte Na-<br />
senspitze, ihr sanft geschwungenes Kinn, ihren runden<br />
Mund, der immer gelächelt hatte, egal was sie gerade tat.<br />
Sie fühlte sich so klein und zerbrechlich an.<br />
Hang zog ihre Hände aus dem Wasser und legte sie auf<br />
ihre Hüften, die sich unter dem engen blauen Lame-Kleid<br />
abzeichneten. Dann zog er sie an sich. Unwillkürlich fragte<br />
er sich, ob sie jemand in den vergangenen zehn Jahren<br />
so gehalten hatte. Hatte sie die ganze Zeit dieses schreckliche<br />
Leben gelebt? Hatte sie am Ende genug gehabt und<br />
sich entschlossen, den Tod zu wählen?<br />
Hangs längliches Gesicht straffte sich, während er über<br />
ihr Leben nachdachte, dann brach er in Tränen aus. Wie<br />
war es möglich, daß er so nah bei ihr war, ohne es zu wissen? Er<br />
und Ty waren seit fast einer Woche in geheimer Mission in<br />
dem Dorf. Würde er es sich jemals verzeihen, daß er sie<br />
nicht rechtzeitig genug gesehen hatte, um sie zu retten?<br />
Die arme Ty würde untröstlich sein, wenn sie erfuhr,<br />
wer hier vor ihnen lag. Ty war zur Aufklärung im Camp<br />
gewesen, um herauszufinden, wer hinter dieser Sache<br />
steckte. Sie hatte Hang über Funk mitgeteilt, daß offen-<br />
sichtlich eine der Frauen versucht hatte zu fliehen, und<br />
zwar kurz vor Sonnenaufgang, als der Wachwechsel statt-<br />
fand. Man verfolgte sie, und sie wurde angeschossen. Die<br />
Kugel traf Phum in die Seite. Vermutlich rannte und ging<br />
sie, bis sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.<br />
Dann legte sie sich hierher, um den blasser werdenden<br />
Nachthimmel zu betrachten, wie sie es als kleines Mäd-<br />
chen oft getan hatte. Hang hoffte, daß der Himmel und die<br />
Erinnerungen an eine bessere Zeit seiner kleinen Schwe-<br />
ster vor ihrem Tod etwas Frieden geschenkt hatten.<br />
Mit zitternden Fingern fuhr er durch ihre langen,<br />
schwarzen Haare. Aus der Ferne hörte er ein Geräusch,<br />
wahrscheinlich Ty. Er hatte sie über Funk davon verstän-<br />
digt, daß er das Mädchen entdeckt und gesehen hatte, wie<br />
sie angeschossen wurde. Sie antwortete, daß sie innerhalb<br />
einer halben Stunde zu ihm stoßen werde. Sie hofften, daß<br />
das Mädchen ihnen zumindest einen Namen nennen<br />
könnte, um ihnen zu helfen, die schreckliche Schweige-<br />
mauer zu durchbrechen, die so viele junge Leben zerstör-<br />
te. Aber nicht einmal das geschah. Als sie ihren Bruder sah,<br />
hatte Phum nur noch die Kraft, seinen Namen zu flüstern.<br />
Sie starb mit diesem Namen und der Andeutung eines<br />
Lächelns auf den tiefroten Lippen, ohne den Namen des<br />
Täters ausgesprochen zu haben.<br />
In diesem Moment trat Ty, die wie eine der hiesigen<br />
Reisbäuerinnen gekleidet war, zu ihm, den Blick nach un-<br />
ten gerichtet. Sie stand unbewegt, während der Wind<br />
durch ihre Haare strich. Dann kam der Schock. Sie kniete<br />
neben Hang nieder und legte die Arme um ihn. Minuten-<br />
lang schwiegen sie regungslos. Schließlich stand Hang<br />
langsam auf, den Körper seiner Schwester auf den Armen,<br />
und trug sie zurück zu dem alten Kombi, der ihm als Feld-<br />
stützpunkt diente.<br />
Ihm war klar, daß sie Kampong Thom jetzt eigentlich<br />
nicht verlassen sollten, denn sie waren sehr nah daran, das