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Unterrichtsentwurf Fahrradbremse - Klima-Tour

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Integration der VE in die Physik der Sek.I am Beispiel der <strong>Fahrradbremse</strong><br />

aus: von Wilhelm Ewert, erschienen in der Zeitschrift für Verkehrserziehung 2/2000, Hrsg. Heinrich Vogel Verlag)<br />

Nach einer „klassischen“ Einführung in das Thema „Hebel“ kann man<br />

beinahe beliebig viele Beispiele aus dem täglichen Leben genauer<br />

untersuchen. Ob es die Schubkarre, der Nussknacker oder die Zange ist,<br />

mit keiner Anwendung hatte ich bis jetzt so viel Erfolg wie mit dem<br />

Thema „<strong>Fahrradbremse</strong>“, welches ich bisher zweimal ausprobiert habe.<br />

Um gleich allen Kritiken vorzubeugen, auch bei diesem Thema fühlten sich<br />

nicht alle Schüler/innen angesprochen, aber der Anteil derer, die aktiv<br />

zum Unterrichtsgeschehen beitrugen, war ungleich höher. Neben der<br />

Tatsache, dass die Fahrradfreaks mich geradezu mit Material (Auszüge<br />

aus Fahrradzeitschriften mit Bremsentest; Informationen zum Thema aus<br />

dem Internet; Prospektmaterial) bombardierten, freute ich mich<br />

besonders darüber, dass mehr Mädchen als sonst rege beteiligt waren.<br />

Die erste Hausaufgabe bestand darin, die Bremse des eigenen Fahrrades<br />

zu zeichnen. Dabei musste klargestellt werden, dass zwar der<br />

Handbremshebel auch ein Hebel ist, aber diesem nicht unser Augenmerk<br />

galt, d.h. also nicht dieser zu zeichnen war. Die Schülerzeichnungen waren<br />

nun ganz unterschiedlich, vom künstlerisch sicher Wertvollen aber<br />

physikalisch Unbrauchbaren bis zu tadellosen Skizzen war alles vorhanden.<br />

Die bei den Schülern auch vorhandenen Naben- oder Trommelbremsen,<br />

sowie die Scheibenbremsen wurden bei der Betrachtung ausgeklammert.<br />

Mittels zweier Folien mit Bildern von Bremsen (siehe Abb. 1 und 2)<br />

wurden die Felgenbremsen in die zwei Kategorien Seitenzug- und<br />

Mittelzugbremse eingeteilt. Als Sonderform wurden zunächst die V-Brakes<br />

zurückgestellt.<br />

Am Beispiel der Seitenzugbremse 1 (siehe Folienvorlage) wurde nun<br />

zuerst ein Beschreibung vorgenommen. Schließlich wurde eine Reihe von<br />

Fragen geklärt:<br />

Wie funktioniert die Bremse? Wo ist der Befestigungsbolzen, d.h. hier<br />

zugleich die Drehachse? Wo greifen Kräfte an und in welche Richtung<br />

wirken sie? Wo sind die Kraftarme? In der Folie wurden die<br />

Bezeichnungen Bowdenzugkraft und Anpresskraft, sowie Bremshebelarm<br />

und Bremsschenkellänge eingetragen (siehe Abb. 3). Handelt es sich um<br />

einen einseitigen oder zweiseitigen Hebel? Welche Drehmomente sind<br />

linksdrehend, welche rechtsdrehend? Wann herrscht Gleichgewicht an der<br />

Bremse? Es erwies sich hierbei als sehr hilfreich, dass vorher<br />

Betrachtungen an der Momentenscheibe durchgeführt worden waren, da<br />

man so die merkwürdig anmutenden Hebel als „Ausschnitt“ der Scheibe<br />

ansehen kann. Auch die Tatsache, dass Kraft und Hebel nicht immer<br />

senkrecht aufeinander stehen müssen, bereitet dann keine Schwierigkeit mehr. Günstig war es auch, dass<br />

für diese erste Erarbeitung ein Rad mit einer solchen Bremse zum<br />

Nachschauen bereitstand.<br />

All diese Fragen, deren Beantwortung bei der ersten Bremse noch sehr<br />

schwierig war, tauchten bei der zweiten Seitenzugbremse (siehe<br />

Folienvorlage) wieder auf und fielen dann schon etwas leichter. Spätestens<br />

hier merkt der Unterrichtende, dass er sich im Vorfeld schon etwas<br />

informiert haben muss, denn als Laie auf dem Fahrradsektor kennt man<br />

diese Bremsenform in der Regel nicht. Was hat sich bei dieser Bremse<br />

gegenüber der ersten verändert? Dabei braucht man hier zur<br />

Vereinfachung immer noch nicht zwischen Befestigungsbolzen und<br />

Drehbolzen zu unterscheiden, wenn dies nicht von Schülerseite gefordert<br />

wird. Dass es nötig ist zeigt Abb. 4.<br />

Es wurde erarbeitet, dass bei vorgegebener Bowdenzugkraft die<br />

Anpresskraft dann am größten ist, wenn der Bremshebelarm möglichst<br />

groß und der Bremsschenkelarm möglichst klein ist. Bei oberflächlicher<br />

Abb. 1<br />

Abb. 2<br />

Abb. 3<br />

Abb. 4<br />

Betrachtung erscheint also die Seitenzugbremse 2 besser, da die Anpresskraft größer ist. Wo aber liegt der<br />

entscheidende Nachteil? Die größer gewordene Kraft wird durch einen größeren Weg „erkauft“. Dieser ist<br />

aber nicht beliebig verlängerbar, da der Handbremshebel nur einen bestimmten Weg zulässt. Bei<br />

Rennrädern kann die Bremsschenkellänge schon deswegen klein sein, weil die Reifenhöhe gering ist. Diese<br />

Bauform kann etwa bei straßentauglichen Rädern auch wegen der Schutzbleche nicht gewählt werden.<br />

Seitenzugbremsen mit großer Bremsschenkellänge neigen zum „Rubbeln“ und haben den Nachteil, dass sie


sich nicht selbstständig zentrieren. Trotzdem wird diese einfache Bremse insbesondere in Kinderrädern in<br />

der Regel eingebaut, da sie sehr billig ist.<br />

Bereits sehr früh kam in beiden Unterrichtsdurchgängen der Hinweis von den Schülern, dass die<br />

Bremswirkung sehr stark von der Art bzw. Wahl der Bremsbeläge und der Felgen abhängig sei. Nun gehört<br />

die Beantwortung dieser Frage zwar nicht zu diesem Thema, bringt aber ganz zwanglos den<br />

verkehrserzieherischen Aspekt ins Blickfeld. Der Reibbeiwert nimmt einen Wert zwischen nahezu 0 (bei<br />

extremer Nässe) und 0,85 (bei Trockenheit) an (siehe 1) Seite 122). Die Firma Magura, die wie die Firma<br />

Shimano, mich freundlicherweise mit Informationsmaterial versorgte, hat auf dem <strong>Fahrradbremse</strong>nprüfstand<br />

Vergleichsmessungen nach DIN 79100 durchgeführt. Dabei ergaben sich für einen bestimmten Bremsbelag<br />

mittlere Bremsverzögerungen in Abhängigkeit von der Felge zwischen 2,98 und 6,7 m bei nassen<br />

2<br />

s<br />

Verhältnissen. Bei Trockenheit schwankten die Werte zwischen 7,06 und 9,83 m . Dabei zeigt die Felge mit<br />

2<br />

s<br />

den schlechtesten Werten bei Nässe das beste Ergebnis bei Trockenheit. Für einen anderen Bremsbelag<br />

konnten maximale Bremsverzögerungen von 7,49 m bei Nässe und 8,12 m bei Trockenheit erzielt werden.<br />

2<br />

2<br />

s<br />

s<br />

Beim Kauf neuer Bremsklötze sollte man darauf achten, dass es solche für Stahl- und für Leichtmetallfelgen<br />

gibt. Am Rande sei erwähnt, dass ein größerer Belag zwar weniger Verschleiß nicht aber eine bessere<br />

Verzögerung bringt. Im Rahmen eines längerfristigen Projekts könnte man einmal das Studium dieser Norm<br />

79100 betreiben und die Durchführung einiger darin enthaltener Vorschriften, die jedes Physikerherz höher<br />

schlagen lässt, in der Praxis versuchen.<br />

Die Mittelzugbremse (siehe Folienvorlage) in dieser Form wurde von keinem Schüler gezeichnet, was nicht<br />

weiter wundert, da ihre Blütezeit schon einige Jahre vorbei ist. Der Vorteil der Mittelzugbremse besteht in<br />

ihrem symmetrischen Aufbau und ist somit konstruktionsbedingt immer richtig zentriert. Wie in den ersten<br />

Fällen wurden für diese und die weiter folgenden Bauarten wieder die obigen Fragen beantwortet. Hier muss<br />

man nun zwischen dem oben liegenden Befestigungsbolzen und den zwei tieferliegenden Drehbolzen<br />

unterscheiden. Diese Unterscheidung ist bei der Cantilever-Bremse nicht mehr nötig. Auf dem Rahmen sind<br />

die Bremssockel angelötet. Die „Cantis“, wie sie die Fans schon beinahe liebevoll nennen, waren vor Jahren<br />

der Geheimtipp unter den Freaks und haben sich wegen ihrer unübersehbaren Vorteile in der Bauform 2<br />

durchgesetzt. Da sie auch noch bei extremer Verschmutzung arbeiten und ihre Bauform auch breite und<br />

hohe Reifen leicht zulässt, fanden sie zuerst bei Crossrädern und Mountain Bikes Verwendung. Sie werden<br />

heute aber auch bei Reiserädern eingesetzt. Sie bestehen aus nur wenigen Einzelteilen und haben somit<br />

auch den Vorteil des geringen Gewichts. Die erste Bauform hat sich wegen der großen Breite nicht dauerhaft<br />

durchsetzen können, wurde aber aus physikalischem Grund (einseitiger, zweiseitiger Hebel) mitbetrachtet.<br />

Besonders an der Cantilever-Bremse 2 kann man nun auch die folgenden Fragen gut erörtern: Was<br />

verändert sich, wenn man das Bremskabel, also das Stück Bowdenzug, welches von dem Ende des einen<br />

Bremshebels über das Gelenkstück zu dem anderen Bremshebelende geht, verlängert? Was verändert sich,<br />

wenn man nur die beiden Bremshebel verlängert, ohne dieses Bremskabel zu verlängern? Wieso ist es nötig,<br />

dieses Bremskabel in dem Gelenkstück gut einzufetten. Es gibt Varianten, in denen das Gelenkstück durch<br />

eine Rolle ersetzt ist. Wie könnte man die Anpresskraft erhöhen? Muss in jedem Fall zwischen Arm und Seil<br />

beim Bremsen ein rechter Winkel sein? Wo muss der rechte Winkel sein?<br />

An welcher Stelle man auf die sicher auftauchende Schülerfrage eingeht, wie man die Bremse denn nun<br />

richtig einzustellen habe, spielt eigentlich keine Rolle. Mir erscheint es sinnvoll, bei diesem Bremsentyp<br />

darauf näher einzugehen, da er z. Zt. die meiste Verbreitung besitzt. Die beiden Abstände zwischen den<br />

Bremsbelägen und der Felge sollten zusammen etwa 3-4mm betragen. Die Bremsbeläge sollten beim<br />

Bremsen möglichst gut an der Felge anliegen, d.h. nicht zu hoch oder tief und insbesondere nicht schief<br />

sitzen. In dem Zusammenhang kann man auch gleich auf andere Sicherheitsrisiken aufmerksam machen,<br />

wie etwa die Abnutzung der Beläge, gesplissene Bremsseile, Verlegung der Bowdenzüge. Jeder möge nun<br />

für sich selbst entscheiden, inwieweit er auf die Schülerfrage, warum denn manchmal die Bremsen so<br />

quietschen und wie Abhilfe zu schaffen sei, eingeht oder als nicht zum<br />

Thema gehörig ablehnt. Lösungsvorschläge dazu findet man in der Literatur<br />

( siehe 2) S.63) oder im Internet etwa unter der Adresse http://www.tnt.unihannover.de/subj/other/cycling/faq.txt<br />

.<br />

Eigentlich nur ein anderes Cantilever-Design stellt die z.Zt. modernste Form<br />

der Bremse die V-brake dar. Diese neue Cantilever-Generation besticht durch<br />

sehr hohe Bremskräfte und eine gute Dosierbarkeit, neigt allerdings eher zu<br />

dem bereits angesprochenen Quietschen.<br />

An dieser Stelle kann man die Behandlung des Themas abbrechen oder man<br />

lässt sich von der Begeisterung einiger noch ein wenig weitertreiben. Worin<br />

besteht der Sinn eines sogenannten Brake Boosters (siehe Abb. 5)? Die<br />

großen Kräfte die beim Bremsen auftreten bewirken eine Verwindung der<br />

Anlötsockel, was zu einem Verwischen des exakten Druckpunkts der Bremse<br />

führt. Der Booster fixiert die beiden Punkte zueinander und eliminiert somit<br />

den Effekt.<br />

Abb.5<br />

In Fachzeitschriften für Fahrradfahrer tauchen Diagramme auf, die den


Zusammenhang zwischen Handkraft und Bremskraft zeigen. In welchem Zusammenhang stehen diese<br />

Grafiken zu unseren bisherigen Überlegungen? Wie hat man diese Diagramme zu „lesen“? Bisher wurde ja<br />

nur ein Teilaspekt der an der Bremse wirkenden Kräfte betrachtet. Wie wirkt sich die Bowdenzugkraft auf die<br />

Anpresskraft aus? Da der Bremsgriff ein Winkelhebel ist, vergrößert er die Handkraft zur Bowdenzugkraft. An<br />

welcher Stelle und in welcher Richtung die Betätigungskraft am Handbremshebel zu wirken hat, beschreibt<br />

die DIN 79100 exakt. Darauf wurde aber, um einer notwendigen Vereinfachung willen, nicht eingegangen.<br />

Der Wirkungsgrad der Bremsanlage wird im Wesentlichen durch den Reibungsverlust in den Bowdenzügen<br />

bestimmt, weshalb diese in regelmäßigen Abständen geölt werden müssen. Teflongefütterte Züge<br />

minimieren diese Verluste und die Firma Magura hat gar die Züge durch Hydraulik-Schlauchleitungen ersetzt.<br />

Die so entstehende Anpresskraft erzeugt eine senkrecht zu ihr stehende, tangentiale Kraft zur Felge, die<br />

Bremskraft. Den Zusammenhang zwischen Anpresskraft und Bremskraft regelt der bereits angesprochene<br />

Reibbeiwert.<br />

Handkraft Handbremshebel<br />

Bowdenzugkraft<br />

„Ende“<br />

Betrachtete<br />

Bremstypen<br />

Anpresskraft <br />

Bowdenzugkraft<br />

„Anfang“<br />

Mit diesem Wissen kann man nun Diagramm 1 betrachten bzw. interpretieren. Unterschiedliche<br />

Fragestellungen wurden behandelt: Welcher Verlauf erscheint dir der Beste zu sein? Gibt es einen idealen<br />

Graphen? Was bedeutet eine größere Steigung? Zentrale Schüleraussagen wurden notiert: Je steiler eine<br />

Gerade verläuft, desto „giftiger“ spricht die Bremse an.<br />

Zum Abschluss der Unterrichtseinheit gab es noch einen kleinen<br />

Ausflug in die Vergangenheit mit der Betrachtung der Klotzbremse<br />

(sieh Abb.6), die übrigens noch in der DIN 79100 im Jahr 1984<br />

auftaucht. Die Physik rund um die Bremse war jedenfalls zu der<br />

Zeit noch deutlich einfacher.<br />

Neben der Hoffnung, dass die Schüler etwas dazugelernt haben,<br />

steht die Gewissheit, dass ich Neues erfahren habe. Ich wusste<br />

vorher weder was ein Brake Booster ist, noch hatte ich eine<br />

Ahnung davon, dass ein starr sitzender Biker bei einer Verzögerung<br />

von ca. 5 m nach vorne über den Lenker fliegt. Dies kann durch<br />

2<br />

s<br />

Verlagerung des Körpergewichts bis zu einem Wert von 8 m<br />

2<br />

s<br />

verhindert werden. Es war mir nicht bekannt, dass die DIN 79100<br />

vorschreibt, dass der rechte Bremshebel zwingend die<br />

Vorderradbremse zu betätigen hat oder dass die Bezeichnung<br />

Cantilever einfach aus dem Englischen kommt und einen Hinweis<br />

auf die Trägerkonstruktion gibt.<br />

Vieles wusste ich nicht, nur in einem war ich mir schon vorher<br />

sicher. „Kenntnisse aus der Fahrzeugtechnik fördern sach- und<br />

situationsgerechtes Verhalten...“(siehe 4) S.108), meint Dieter<br />

Strecker. Insofern handelt es sich bei diesem Lehrgang um<br />

Verkehrserziehung unter dem Deckmäntelchen der Physik.<br />

Reibungsverluste<br />

Anpresskraft<br />

Unsere Betrachtungen<br />

1) Gressmann, Michael, Fahrradphysik und Biomechanik, 5. Auflage, Moby Dick Verlag, Kiel 1993<br />

2) Herzog, Ulrich, Fahrrad für Kenner, Moby Dick Verlag, Kiel 1993<br />

3) Leufen, J., Möller, E., Das Fahrrad, 3. Auflage, Moby Dick Verlag, Kiel 1987<br />

4) Strecker, Dieter, Didaktik der Verkehrserziehung, Quelle und Meyer, Heidelberg 1979<br />

Bildnachweis: Abb. 3: Shimano Abb. 5: Magura Alle anderen Abb.: Ewert<br />

Bowdenzugkraft<br />

„Ende“<br />

Reibbeiwert Bremskraft<br />

Abb.6

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