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(focus)uni lübeck - Universität zu Lübeck

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| Das Kolleg<br />

Das Gemälde basiert nach Bätschmann 45 auf einer Version<br />

des Pyramus-und-Thisbe-Stoffes von Theophile de Viau (1590-<br />

1626) als Drama, das 1625 uraufgeführt wurde. Vom Vater bedrängt,<br />

den König <strong>zu</strong> heiraten, entzieht sich Thisbe diesen<br />

Vertretern des natürlichen bzw. positiven Rechts und flieht<br />

mit Pyramus; sie begibt sich damit in die Sphäre der Fortuna.<br />

Dieses Wort bezeichnet nicht nur die Göttin, sondern im<br />

zeitgenössischen Italienisch auch das Unwetter (Poussin hat<br />

jahrzehntelang in Rom gelebt). Hieraus ergibt sich die <strong>zu</strong>vor<br />

nie gezeigte Kombination des Stoffes mit dem Unwetter.<br />

Der Tempel über dem Seeufer links entspricht genau einer<br />

Illustration aus Andrea Palladios Quattro libri dell’Architettura,<br />

Venedig 1570, welche einen Bacchustempel darstellt (Abb.<br />

18) 46 .<br />

Abb. 18: „Tempel des Bacchus“ vor der heutigen Porta di Sant’<br />

Agnese. Aus Palladios Quarto Libro dell’Architettura, Venedig<br />

1601 ( 1 1570) 47<br />

Die Zusammenstellung von großem und kleinem Blitz verweist<br />

auf die Geburt des Bacchus, wie sie in den Metamorphosen<br />

dargestellt ist. Semele, von Jupiter mit Bacchus<br />

schwanger, hat, wie nicht anders <strong>zu</strong> erwarten, Junos Eifersucht<br />

erregt. Um sich <strong>zu</strong> rächen, redet diese Semele ein, von<br />

Jupiter <strong>zu</strong> fordern, dass er ihr in der gleichen Gestalt beiwohne<br />

wie ihr, der Göttergattin, selbst. Da Jupiter bereits vorab<br />

beim Styx geschworen hat, Semele jeden Wunsch <strong>zu</strong> erfüllen,<br />

kann er nicht vermeiden, ihr in der Gestalt des Blitzes <strong>zu</strong><br />

nahen. Er wählt, um sie <strong>zu</strong> schonen, den „kleinen Blitz“, aber<br />

auch diesen überlebt die Geliebte nicht. Der noch unreife<br />

45 Ibid. S. 13ff<br />

46 Andrea Palladio: Die Vier Bücher <strong>zu</strong>r Architektur, übers. v. Andreas Beyer und Ulrich<br />

Schütte Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1993 S. 372<br />

47 http://ia600408.us.archive.org/14/items/iquattrolibridel01pall/iquattrolibridel-<br />

01pall.pdf (20.05.2012): Quarto Libro p. 86; pdf: S. 278 v. 330<br />

29. JAHRGANG | HEFT 2 | OKTOBER 2012 |<br />

Bacchus wird in Jupiters Schenkel eingenäht und von ihm<br />

ausgetragen. 48<br />

„[…] Semele 'qualem Saturnia' dixit<br />

'te solet amplecti, Veneris cum foedus initis,<br />

da mihi te talem!' voluit deus ora loquentis<br />

opprimere: exierat iam vox properata sub auras.<br />

ingemuit; neque enim non haec optasse, neque ille<br />

non iurasse potest. ergo maestissimus altum<br />

aethera conscendit vultuque sequentia traxit<br />

nubila, quis nimbos inmixtaque fulgura ventis<br />

addidit et tonitrus et inevitabile fulmen;<br />

qua tamen usque potest, vires sibi demere temptat<br />

nec, quo centimanum deiecerat igne Typhoea,<br />

nunc armatur eo: nimium feritatis in illo est.<br />

est aliud levius fulmen, cui dextra cyclopum<br />

saevitiae flammaeque minus, minus addidit irae:<br />

tela secunda vocant superi; capit illa domumque<br />

intrat Agenoream. corpus mortale tumultus<br />

non tulit aetherios donisque iugalibus arsit.<br />

inperfectus adhuc infans genetricis ab alvo<br />

eripitur patrioque tener (si credere dignum est)<br />

insuitur femori maternaque tempora conplet.“ 49<br />

„[…] sprach Semele: „So wie der Juno<br />

Du in deiner Gestalt als liebender Gatte dich nahest,<br />

So gewähre dich mir.“ Den Mund der Redenden wollte<br />

Schließen der Gott; doch entflohn war bereits die beschle<strong>uni</strong>gte Bitte.<br />

Jupiter seufzt; denn es kann so wenig ihr Wunsch ungewünscht sein,<br />

Als ungeschworen sein Schwur. Drum steiget er, voll der Betrübnis,<br />

Hoch <strong>zu</strong>m Äther empor, und winkt nachfolgende Wolken<br />

Hinter sich her; Platzregen und Leuchtungen, wehend mit Winden,<br />

Fügt er da<strong>zu</strong>, auch Donner, und treffende Strahlen des Donners.<br />

Aber er strebt, was er kann, sich selbst die Kräfte <strong>zu</strong> nehmen.<br />

Nicht die Glut, die Typhöus den hundertarmigen nieder<br />

Donnerte, waffnet ihn jetzt; <strong>zu</strong> groß ist die Heftigkeit jener.<br />

Noch ein leichterer Blitz ist dort, dem die Hand der Zyklopen<br />

Weniger Wut und Flamme verlieh, und weniger Zornes:<br />

Zweites Geschoß von den Göttern genannt: Dies nimmt er, und wandelt<br />

In das kadmeïsche Haus. Es ertrug den ätherischen Aufruhr<br />

Nicht der Sterblichen Leib; in dem Brautgeschenke verbrannt' er.<br />

Aber die noch unzeitige Frucht wird dem Schoße der Mutter<br />

Schle<strong>uni</strong>g entrafft, und dem Vater das Kind (wenn glaublich die Sag' ist)<br />

Sanft in die Hüfte genäht; wo die reifenden Mond' es erfüllet.“<br />

Übs.: Johann Heinrich Voss 50<br />

Mit diesem doppelt abgesicherten Dionysischen Kontext<br />

schließt sich die Unbewegtheit des Sees trotz Gewitter auf.<br />

Es handelt sich um eine Manifestation des Speculum Bacchi<br />

48 Ovid, Met. III, 253-315<br />

49 Ibid. 293-312; meine Hervorhebungen<br />

50 http://gutenberg.spiegel.de/buch/4723/18 (20.05.2012), meine Hervorhebungen<br />

(<strong>focus</strong>) <strong>uni</strong> <strong>lübeck</strong><br />

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