(focus)uni lübeck - Universität zu Lübeck
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| 29. JAHRGANG | HEFT 2 | OKTOBER 2012<br />
Abb. 11: Niklaus Manuel Deutsch, Pyramus und Thisbe um 1513<br />
Basel, Öffentliche Kunstsammlung; Tempera auf Leinwand, 151<br />
x 161 cm 32<br />
3. Offenbare Obszönitäten<br />
Spätestens etwa 1590 mit der Niederschrift von A Midsummer<br />
Night’s Dream und <strong>zu</strong>mal mit der Übernahme des Stoffes<br />
durch Andreas Gryphius ein knappes Jahrhundert später ist<br />
das komische Potential des Pyramus-und-Thisbe-Plots betont<br />
worden. Die Ikonographie weist bereits früher darauf hin. Ein<br />
Beispiel ist der Stich von Urs Graf (1485-1528) auf Abb. 12.<br />
Während Pyramus in Landsknechtskleidung mit grinsend<br />
verzerrtem Gesicht auf dem Rücken liegt, stößt sich die unbekleidete<br />
Thisbe mit übertrieben theatralischer Geste den<br />
Dolch in die Brust. Die Brunnenfigur stellt einen Narren dar.<br />
Das Sujet dient somit hier der Charakterisierung der Liebe<br />
als Narrheit. Thisbe tritt bereits in der ersten Auflage von<br />
Sebastian Brants (1457-1521) Narren Schyff in der Rubrik Von<br />
buolschafft als Beispiel auf: „Tysbe ferbt nit die wissen boer“,<br />
das heißt, hätte sie sich der buolschafft, der Liebe, enthalten,<br />
so hätte sie nicht die Metamorphose der weißen <strong>zu</strong>r roten<br />
Maulbeere mit ihrem Blut bewirkt. 34 Es findet sich im gleichen<br />
Absatz eine Vielzahl von Verweisen auf Figuren aus den Metamorphosen<br />
und auf andere Liebende der Weltliteratur, denen<br />
ihr Schicksal ohne buolschafft erspart geblieben wäre,<br />
neben der folgenden Anmerkung: „Am thurn Virgilius nit hyng<br />
/ Ouidius hett des keysers gunst / Hett er nit gelert der buoler<br />
32 http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f2/Niklaus_Manuel_<br />
Deutsch_009.jpg (20.05.2012)<br />
34 Sebastian Brant: Das Narren Schyff hg. v. Manfred Lemmer, Tübingen, Niemeyer<br />
1968 S. 35<br />
| 58<br />
(<strong>focus</strong>) <strong>uni</strong> <strong>lübeck</strong><br />
Das Kolleg |<br />
Abb. 12: Urs Graf d. Ä.: Pyramus und Thisbe, 1525, Basel, Kupferstichkabinett<br />
33<br />
kunst“. 35 Die Reihung der Personen geht, modifiziert, auf<br />
den Trionfo d’Amore von Francesco Petrarca (1304-1374)<br />
<strong>zu</strong>rück 36 , wie er von Maarten van Heemskerck (1498-1574)<br />
aufgegriffen worden ist (Abb. 13). Auch hier werden, neben<br />
Ovid und Jupiter selbst, Pyramus und Thisbe gezeigt;<br />
der Zug geht, ganz in heidnisch-antiker Tradition und <strong>zu</strong>gleich<br />
von der „klassischen“ Route des Triumph<strong>zu</strong>gs mit<br />
dem Ziel des Jupitertempels abweichend, <strong>zu</strong>m Tempel<br />
der Venus.<br />
Mit „Virgilius“ im Text von Sebastian Brant wird der volkstümliche<br />
Stoff „Vergil im Korb“ aufgerufen: Vergil will sich einer<br />
römischen Dame nähern, die ihm vorschlägt, dass er sich in<br />
einem Korb nächtens in ihre Behausung hinaufziehen lassen<br />
solle. Er willigt ein, sie lässt ihn aber auf halber Höhe<br />
hängen und stellt ihn am nächsten Tag der Bevölkerung <strong>zu</strong>r<br />
33 http://www.digischool.nl/ckv1/ckvdol/pyramus2.jpg (20.05.2012)<br />
35 Ibid.<br />
36 Trionfo III, 20, cf. http://it.wikisource.org/wiki/Trionfi/Triumphus_Cupidinis/III<br />
(05.05.2012)