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(focus)uni lübeck - Universität zu Lübeck

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| 29. JAHRGANG | HEFT 2 | OKTOBER 2012<br />

Biostatistik in der medizinischen Forschung<br />

40 Jahre Institut für Medizinische Biometrie und Statistik in <strong>Lübeck</strong><br />

Von Andreas Ziegler<br />

In den 1950er Jahren war die Kinderlähmung eine gefürchtete<br />

Infektionskrankheit. In den USA versuchte man mit einer<br />

groß angelegten Studie die Frage <strong>zu</strong> klären, ob die Neuerkrankungsrate<br />

durch eine Impfung reduziert werden kann.<br />

Die Studie wurde randomisiert und doppelblind durchgeführt.<br />

Das bedeutet, dass einerseits die Kinder der freiwillig<br />

teilnehmenden Familien <strong>zu</strong>fällig der Impf- oder der Kontrollgruppe<br />

<strong>zu</strong>geteilt wurden und dass, andererseits, weder die<br />

Kinder noch deren Eltern noch die Ärzte wussten, ob mit dem<br />

Impfstoff oder mit Placebo geimpft worden war. Beides sollte<br />

einer Verfälschung des Studienergebnisses vorbeugen.<br />

Das Ergebnis war erstaunlich: Die Neuerkrankungsrate<br />

in der Gruppe der geimpften Kinder war etwa halb so groß<br />

wie in der Gruppe der unbehandelten Kinder. Die sorgfältige<br />

Studienplanung und die große Fallzahl von mehr als 200.000<br />

Kindern pro Gruppe ermöglichten <strong>zu</strong>m einen dieses überzeugende<br />

Studienergebnis und <strong>zu</strong>m anderen eine rigorose<br />

Analyse der Sicherheit der Impfung (Schumacher 2005).<br />

Westdeutschland 1957: Seit Oktober war Contergan als<br />

Schlaf- und Beruhigungsmittel in Apotheken rezeptfrei erhältlich.<br />

Vom Hersteller Grünenthal wurde das Medikament<br />

gezielt bei Ärzten ausdrücklich als Mittel gegen "Schlaflosigkeit,<br />

innere Unruhe und Abgespanntsein" in der Schwangerschaft<br />

empfohlen, "das weder Mutter noch Kind schädigt".<br />

Allerdings hatte eine klinische Prüfung mit schwangeren<br />

Frauen <strong>zu</strong>vor nicht stattgefunden. Die Studie wurde von der<br />

<strong>Universität</strong>sklinik Bonn aus prinzipiellen Gründen abgelehnt.<br />

Ab 1959 traten dann Berichte über schwere Nebenwirkungen<br />

wie Fehlbildungen bei den Kindern auf, und das Arzneimittel<br />

wurde im November 1961 nach einem Artikel in der „Welt am<br />

Sonntag“ vom Markt genommen (Maio 2001). In Konsequenz<br />

wurde die Gesetzgebung geändert, und seit 1976 erfolgt eine<br />

Zulassung neuer Arzneimittel nur noch auf Basis klinischer<br />

Studien.<br />

Sowohl die äußerst erfolgreiche Impfstudie als auch die<br />

Contergan-Katastrophe hatten ihren großen Beitrag an der<br />

Etablierung der Medizinischen Statistik <strong>zu</strong>nächst für eine<br />

Schwerpunktbildung an einigen ausgewählten Standorten<br />

in Deutschland und wenige Jahre später in <strong>Lübeck</strong>. Dieses<br />

findet Ausdruck in einer Empfehlung des Wissenschaftsrates<br />

(1960): „Die Medizinische Statistik einschließlich <strong>zu</strong>gehöriger<br />

Dokumentation ist für die medizinische Forschung unentbehrlich<br />

(…). Jede Fakultät sollte daher einen Lehrstuhl erhalten,<br />

dessen Hauptaufgabe in der Unterstüt<strong>zu</strong>ng der Kliniken<br />

liegt (…).“<br />

| 16<br />

(<strong>focus</strong>) <strong>uni</strong> <strong>lübeck</strong><br />

Forschung aktuell |<br />

Das Team des <strong>Lübeck</strong>er Instituts für Medizinische Biometrie und<br />

Statistik<br />

Die Biomathematik wurde für Studierende der Medizin ab<br />

1973 <strong>zu</strong>r Pflichtveranstaltung. Im Gegenstandskatalog für<br />

den ersten Abschnitt der ärztlichen Prüfung hieß es: „Er (der<br />

Studierende) muss den Unterschied zwischen funktionalen<br />

und statistischen Gesetzmäßigkeiten verstanden haben und<br />

daher wissen, dass das Kriterium der ‚exakten‘ Naturwissenschaften,<br />

die Reproduzierbarkeit des gesetzmäßigen Verhaltens<br />

im Einzelfall, in den biologischen Wissenschaften wegen<br />

der individuellen Variabilität durch die Reproduzierbarkeit<br />

des gesetzmäßigen Verhaltens einer Gesamtheit gleichartiger<br />

Fälle ersetzt wird“ (Gegenstandskatalog 1973).<br />

Seit den 1970er Jahren hat sich viel verändert. So ist die Klinische<br />

Dokumentation, die am Anfang Teil der Medizinischen<br />

Statistik war, Routine geworden und wird mit Standard-Software<br />

von den Kliniken erledigt.<br />

Gleichzeitig haben sich aber die Arbeitsschwerpunkte

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