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176 VI. Calcutta und der Himälaya.<br />
bei ihr um acht Uhr morgens zu verschaffen. Ein Diener holte<br />
mich und meine Frau früh morgens ab und erzählte von der<br />
Heiligen allerlei Wunderdinge. Sie sei eine Prinzessin aus<br />
dem Süden, besitze 6 Laksha (6 x 100 000) Rupien, habe<br />
aber alles weggegeben, um als Sannyäsint zu leben; niemand<br />
kenne ihr Alter, man glaube, sie sei hundert Jahre alt, und dabei<br />
sehe sie aus wie ein junges Mädchen etc. Unter diesen<br />
Gesprächen kamen wir zum Hause des Freundes und Hessen<br />
uns melden, mussten aber geraume Zeit in dem von dem<br />
Hause umschlossenen, geräumigen und wohnlichen Hofraume<br />
warten. Der Herr, hiess es, verrichte eben seine Pujä<br />
(Morgenandacht), und darin dürfe ihn niemand stören. Wir<br />
waren also aus dem in dem Roy'schen Hause herrschenden<br />
Freisinn in die Region des frommen Indiens gelangt. Endlich<br />
kam der Freund, und nun ging es zur Büsserin. Wir wurden<br />
eine Treppe hoch in ein geräumiges, aber vollkommen leeres<br />
Zimmer geführt; nur ein einfacher Teppich überdeckte den<br />
ganzen Fussboden. Die Heilige erschien, und ich verneigte<br />
mich, wagte aber nicht, ihr die Hand zu reichen. Sie war<br />
durchaus einfach aber anständig gekleidet, von den schwarzen<br />
aufgelösten Haaren an, welche lang auf beide Schultern<br />
herunterfielen, bis herab zu den Strümpfen, auf denen sie<br />
mich empfing. Ihr Wesen war ruhig und anspruchslos; alles<br />
an ihr machte den Eindruck einer gutherzigen, mütterlichen<br />
Matrone zwischen 40 und 50 Jahren. Sie sprach ganz gut<br />
Sanskrit, und ich legte ihr unter anderem die Frage vor,<br />
welches von den sechs philosophischen Systemen das beste<br />
sei. Sie antwortete, dass alle miteinander gut seien, eine<br />
Äusserung, welche mich jetzt weniger überraschen würde als<br />
damals. Denn in gewissem Sinne ergänzen sich die sechs philo<br />
sophischen Systeme zu einer einheitlichen Weltansicht. Die<br />
Mimähsä steht in der Vorhalle der Philosophie, da sie nur<br />
das Ritual logisch verarbeitet und alle dabei auftauchenden<br />
Pro's und Contra's dialektisch verfolgt. Der Vedänta ist die