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124 V. Von Peshawsr bis Calcutta. durch das Gebahren der Menschen daran erinnert wurden, dass es der Abend vor Weihnachten war; denn das konnte man ja keine Weihnachtsfeier nennen, dass am Abend nach dem Dinner eine Bande phantastisch kostümierter Schotten vor dem Hotel eine humoristische Musik zum besten gaben. Ich zog mich in den Salon zurück, wo sich auch Mr. Summers einfand, dem ich einige deutsche Weihnachtslieder auf dem Klavier vorspielte. Er wollte am nächsten Morgen zum nationalen Kongress nach Allahabad reisen, wo er, wie bereits berichtet wurde, wenige Tage darauf an den Pocken gestorben ist. In Lucknow befanden wir uns in der Lage eines Mannes, der für gewöhnlich eine Brille trägt und diese dann plötzlich verlegt hat und nicht finden kann. Alles erscheint undeutlicher, nebelhafter und weniger schön. Die Brille, die uns in Lucknow fehlte, war die sonstin der Regel uns zu Gebote stehende Führung durch befreundete Eingeborene. Zwar hatten unsre Bombayer Freunde nicht unterlassen, uns auch in Lucknow an einen trefflichen Mann, Mathurä Prasäd, zu empfehlen; unglück licherweise aber war derselbe die beiden Weihnachts tage über verreist und stellte sich erst am Abend vor unsrer Abreise (am 26. Dezember) in unserm Hotel ein, zugleich mit seinem zehnjährigen Sohne, mit dem ich, infolge meines unlängst erwachten Interesses für das Hindostani, eine kleine Unterredung über diese seine Muttersprache hatte, die ich sonst nur im Munde von Kutschern und Dienern hörte, während ich mich hier an der reinen Art, wie der Knabe dasselbe sprach, erfreuen konnte. Nachdem wir am Nachmittage unsrer Ankunft in der grossen Stadt, zu welcher überdies kein Plan aufzutreiben war (Constable's trefflicher Hand-Atlas of India war leider noch nicht erschienen), ziemlich planlos umhergeirrt, be schlossen wir, am folgenden Morgen systematischer vorzu-
Lucknow. Die Residency. Eine Opernvorstellung. 125 gehen und zunächst die ziemlich inmitten der Stadt belegene Residency zu besuchen. Dieselbe besteht aus einem Kom plex halb zerstörter Gebäude und Befestigungen, welche in diesem Zustande erhalten werden, da sie die denkwürdige Stätte bilden, wo von Juli bis September 1857 tausend Eng länder, Männer, Frauen und Kinder, unter furchtbaren Ge fahren und Entbehrungen die Belagerung der aufständischen Sepoys auszuhalten hatten. Alle Einzelheiten dieser denk würdigen Episode traten beim Anblicke der halbzerstörten Gebäude und ihrer Umgebungen lebendig vor Augen. Hier war der unterirdische Raum, in welchem Frauen und Kinder, zusammengepfercht, Schutz vor den einschlagenden Kugeln suchten. Dort war das Zimmer, in welchem Sir Henry Lawrence, von einem Granatsplitter getroffen, sein Leben aushauchte. Dort drüben stand das Haus des Johannes, von welchem aus ein Afrikaner den Belagerten furchtbare Verluste beibrachte; und da war der Kirchhof mit seinen Denkmälern, auf welchem an zweitausend Opfer der Katastrophe be graben liegen. Als wir von diesen wehmütigen Betrachtungen auf längerer Wanderung durch die weitausgedehnte, von grossen Anlagen, Gärten und freien Plätzen durchzogene Stadt zum Hotel zurückkehrten, bemerkte ich im Vorbeigehen in einer Vertiefung eine grosse Bretterbude, in welcher, wie die An schläge kundgaben, heute abend von einer Parsi-Truppe die Qakuntalä des Kälidäsa gespielt werden sollte. Ich beschloss, diese Vorstellung zu besuchen. Abends nach dem Dinner zog sich meine Frau, welche ermüdet war, in unser Schlaf zimmer zurück, welches, wie gewöhnlich in Indien, einen Ausgang direkt auf die Veranda ins Freie hatte. Bei dem Mangel von Schloss und Schlüsseln, welche selten in Indien vorhanden sind, verrammelte ich mit Hülfe des Dieners die Tür so gut es ging und machte mich mit demselben auf den Weg. Der Musensitz lag von unserm Hotel eine halbe
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Lucknow. Die Residency. Eine Opernvorstellung. 125<br />
gehen und zunächst die ziemlich inmitten der Stadt belegene<br />
Residency zu besuchen. Dieselbe besteht aus einem Kom<br />
plex halb zerstörter Gebäude und Befestigungen, welche in<br />
diesem Zustande erhalten werden, da sie die denkwürdige<br />
Stätte bilden, wo von Juli bis September 1857 tausend Eng<br />
länder, Männer, Frauen und Kinder, unter furchtbaren Ge<br />
fahren und Entbehrungen die Belagerung der aufständischen<br />
Sepoys auszuhalten hatten. Alle Einzelheiten dieser denk<br />
würdigen Episode traten beim Anblicke der halbzerstörten<br />
Gebäude und ihrer Umgebungen lebendig vor Augen. Hier<br />
war der unterirdische Raum, in welchem Frauen und Kinder,<br />
zusammengepfercht, Schutz vor den einschlagenden Kugeln<br />
suchten. Dort war das Zimmer, in welchem Sir Henry<br />
Lawrence, von einem Granatsplitter getroffen, sein Leben<br />
aushauchte. Dort drüben stand das Haus des Johannes, von<br />
welchem aus ein Afrikaner den Belagerten furchtbare Verluste<br />
beibrachte; und da war der Kirchhof mit seinen Denkmälern,<br />
auf welchem an zweitausend Opfer der Katastrophe be<br />
graben liegen.<br />
Als wir von diesen wehmütigen Betrachtungen auf<br />
längerer Wanderung durch die weitausgedehnte, von grossen<br />
Anlagen, Gärten und freien Plätzen durchzogene Stadt zum<br />
Hotel zurückkehrten, bemerkte ich im Vorbeigehen in einer<br />
Vertiefung eine grosse Bretterbude, in welcher, wie die An<br />
schläge kundgaben, heute abend von einer Parsi-Truppe die<br />
Qakuntalä des Kälidäsa gespielt werden sollte. Ich beschloss,<br />
diese Vorstellung zu besuchen. Abends nach dem Dinner<br />
zog sich meine Frau, welche ermüdet war, in unser Schlaf<br />
zimmer zurück, welches, wie gewöhnlich in Indien, einen<br />
Ausgang direkt auf die Veranda ins Freie hatte. Bei dem<br />
Mangel von Schloss und Schlüsseln, welche selten in Indien<br />
vorhanden sind, verrammelte ich mit Hülfe des Dieners die<br />
Tür so gut es ging und machte mich mit demselben auf<br />
den Weg. Der Musensitz lag von unserm Hotel eine halbe