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Ar^j^SSSStTS^"


Erinnerungen an Indien.<br />

Von<br />

Paul Deussen.


Indien mit der Reiseroute<br />

ar- "\etieto-ute


E r i n n e r u n g e n a n Indien.<br />

Von<br />

Dr. Paul Deussen,<br />

Professor der Universität Kiel.<br />

Mit einer Ksrte, 16 Abbildungen und einem Anhsnge:<br />

,On the philosophy of the Vedänta in its relations to occidental<br />

Metaphysics".<br />

Kiel und Leipzig.<br />

Verlag von Lipsius & Tischer.<br />

1904.


m - f f ?<br />

Mit Vorbehalt aller Rechte.<br />

M<br />

? V i o s<br />

. D 4-i


Inhalt.<br />

Seite<br />

I. Vorbereitungen 1—5<br />

Englisch. Hindostani. Sanskrit. Der Vedänta. Empfehlungsbriefe.<br />

Dhruvs und Ns2ar.<br />

II. Von Marseille nach Bombay 6—18<br />

Buchung in London. Über Land nach Marseille. Einschiffung.<br />

Ssrdinien und Korsika. Messins und Reggio. Aufenthslt vor<br />

Krets. Port Ssi'd. Sue2k3n3l. Rotes Meer. Psnkhs. Schlafen<br />

auf Deck. Kinder. Leben auf dem Schiff. Tropenkoller.<br />

Aden. Indischer 02ean. Ankunft in Bombay.<br />

III. Bombay 19—43<br />

Reisebetten. Hotelwesen. Reisekosten. Mün2Sorten. Das<br />

indische Hotel. Verpflegung in ihm. Reisediener. Lalu.<br />

Kastenvorurteile. Wstsons Hotel. Treiben vor ihm. Nächtliche<br />

Ruhestörungen. Besuch Eingeborener. Fshrgelegenheiten.<br />

Auf Mslsbsr Hill. Audien2 bei einem Heiligen. Venirsm.<br />

Indische Lebensweise und Kleidung. Morgensps2iergsng.<br />

Morgen suf Mslsbsr Hill. Ausflug nsch Elephanta.<br />

Leichenverbrennung. Semitischer Typus der Parsi's. Schulen<br />

der Psrsi's. Die Türme des Schweigens. Ein sltvedisches<br />

Opfer. Ein indisches Thester. Eine Theatervorstellung. Einladung<br />

nsch Bsroda.<br />

IV. Von Bombay bis Peshawar 44—95<br />

Abreise von Bombay. Einrichtung der indischen Eisenbahnen.<br />

Bsrods. Fürstliche Aufnshme. Besichtigungen. Ritt<br />

nach Macka. Grosse Cour. Sanscrit College. Exsmen.<br />

Kronjuwelen. Dhruva's Heim. Musikmeister. Photographische<br />

Aufnahme in Barods. Fahrt nach Ahmedsbad. Klima<br />

Indiens. Pflan2enwuchs. Ahmedabsd. Sanitäre Verhältnisse.<br />

Religiöse Vorurteile. 2snkende Weiber. Die Jaina's. Teppichwirkerei.<br />

Tierhospitäler. Schlsngen. Pinjrs Pol. Sädhu's.


VI.<br />

Ksstendiner. Abreise. Ankunft in Jsipur. Wanderung durch<br />

die Stadt. Echte und falsche Asketen. Elephsntenritt nach<br />

Amber. Krokodilfütterung. Seelenwanderungsglaube. Kinderheiraten.<br />

Für und gegen die Kinderheiraten. Professorenverssmmlung.<br />

Meine Kaste. Fahrt nsch Agrs. Morgenstimmung.<br />

Der Täj Mshsl. Lsl Bsij Näth. Der Yog3. Akbsrs<br />

Grabmonument. Abendgesellschaft bei Läl Baij Näth.<br />

Hindumshl2eiten. Betelksuen, Rsuchen. Ein kostbsres Andenken.<br />

Indischer Winter. Hei2m3terisl. Die Mohammedsner.<br />

Die indische Stsdt. Sps2iergang in Lahore. Die Irävsti.<br />

DerÄryassmäj. Dr. Stein. Kaschmirerinnerungen. Der<br />

Indus. Hotel in Peshawsr, Fort Jsmrud. Der Khsibsr-Pass.<br />

Independent tribes. Colonel Wsrburton und der eingeborene<br />

Oberst. Die Philosophie in Indien. Abfshrt von Peshswar.<br />

V. Von Peshawar bis Calcutta 96—151<br />

Eine verdorbene Nscht. Die Flüsse des Pendschäb. Klims<br />

des Pendschäb. Lahore. Sanscrit College. Abschied von<br />

Lahore. Amritsar. Mr. Summers. Pockengefshr. Vipsc und<br />

Cutudri. Delhi. Sehenswürdigkeiten Delhis. Umgebung von<br />

Delhi. Indrsprasthsm. Eine Dorfwohnung. Ein indisches<br />

Gelehrtenheim. Mathurs und Umgebung. Die Krishnslegende.<br />

Vrindsbsn. Affen. Bettelei. Armut der Psndits. Msthurä.<br />

Indische Naivitäten. Ein Heilkünstler. Die Ghatta's. Krishns's<br />

Geburtshsus. Die Ysmunäbrücke. Mahsbsn. Vortrag in Msthurä.<br />

Lslus Sünden. Cswnpore. Lslu entlsssen. Herrn<br />

Bssslers Heim. Schsuergeschichten. Die Moschusrstte. Pursn.<br />

Lucknow. Die Residency. Eine Opernvorstellung. Ein Ekks.<br />

Tonfiguren. Fyzsbsd und Ayodhyä. Ayodhyä. Affen, Tempel,<br />

Sehenswürdigkeiten. Bensres. Clsrk's Fsmily Hotel. Bsden<br />

im Gsnges. Leichenverbrennung. Besuch beim Mahäräja.<br />

Mit dem Mshäräjs zu Bhäskaränanda Svämin. Ein Asketenheim.<br />

Das Sanscrit College. Lehrweise im Sanscrit College.<br />

Mittelslterlicher Standpunkt. Professor Rämsmigra. Govind<br />

Das. Die Theosophisten. Colonel Oleott. Rundgang mit<br />

Raghunsndana Prssäd. Tsnzmädchen. Drei Psnditfreunde.<br />

Abschied von Benares. Bankipore. Fahrt nach Gayä.<br />

Buddha-Gayä. Ein Sädhukloster. Gays. Bankipore. Candranagarsm.<br />

VI. Calcutta und der Himälaya 152—183<br />

Calcutts. Jung-England in Indien. Der Brshmasamäj. P. L.


VII.<br />

Roy und P. K. Ray. Calcuttaer Professoren. Mr. Mullik's<br />

Werft und Haus. Eine schwere Sitzung. Hara Pfasäda.<br />

Naihsti. Ein Kokils. Der Toddy. Auf 2um Himälsys. Die<br />

Himälayabahn. Die Region der Terai. Korscheong Bazar.<br />

Goom. Darjeeling. Land und Leute des Himälaya. Der<br />

Buddhismus. Der Gaurigankar. Ein nepalesischer Freund.<br />

Der Kanchinjinga in seiner Herrlichkeit. Rückfahrt. Mrs.<br />

Dsvidson und ihr Missionsr. Tierschau in Dum Dum. Eine<br />

indische Haushsltung. Audien2 bei einer Heiligen. Die sechs<br />

Systeme. Meine Ksste. Besuch bei Jivänsnds Vidyäsägara.<br />

Der botanische Garten. Der Nyagrodhabsum. Abschied von<br />

Cslcutts. Der Huqqa.<br />

VII. Von Calcutta über Allahabad nach Bombay 184—208<br />

Von Calcutta nach Allahabad. Professor Thibaut. Mr. Gough.<br />

Besuch von Prayäga. Das Fort. Vortrag in Allshsbsd. Eine<br />

Lesehslle. Indische Musik. Abschied. Über die Narmads.<br />

Indore. Ujjsyini. Die Ctprä. Eine Sitzung im Dak Bungalow.<br />

Freundlichkeit des Gouverneurs. Alt-Ujjayini. Das Haus des<br />

Bhartrihari. Unser Elefant. Diner beim Gouverneur. Padre<br />

Pio. Abdul. Ankunft in Bombay. Der Cosmopolitan Club.<br />

Vortrag in der Asiatic Society. Eine Hochzeitsfeier. Besuch<br />

bei Telang. Abschied von Peterson.<br />

VIII. Von Bombay nach Madras und Ceylon . . 209—230<br />

Programm der Theosophisten. Apte in Poona. Das Holifest.<br />

Bhandarkar. Von Poona nach Madras. Die Sprachen Indiens.<br />

Professor Oppert. Mückenplage. Eine Sanskritklasse. Ein<br />

edler Fürst. Beim Mahäräjs von Vijayanagaram. Tanj-ore.<br />

Trichinopoly. Msdura. Tuticorin. Eine ungemütliche Bootfshrt.<br />

Ankunft in Colombo. Konsul Freudenberg. Nsch<br />

Ksndy. Ein Buddhistenkloster. Heutiger Buddhismus. Peradeniys.<br />

Eine Theeplsntsge. Der Brotbsum. Eine Schlsnge.<br />

Bettelnde Buddhistenmönche. Ceylon und Indien.<br />

IX. Die Heimreise 231—238<br />

Die Britsnnia. Zweierlei Prediger. Aden. Eine trostlose<br />

Landschsft. Sue2. Abenteuer im Ksnsl. Eine Fsta Morgsna.<br />

Port Said. Der Taygetos. Brindisi.<br />

Anhang: 239—251<br />

On the Philosophy of the Vedsnts in its relations to Occidental<br />

Metaphysics.


VIII.<br />

Verzeichnis der Abbildungen.<br />

1. Psnorama von Bombay mit dem Hafen (vom Clock Tower aus)<br />

2. Gruppe von Freunden in Bombay . .<br />

3. Strasse in Bombay (Kalkadevi Road)<br />

4. Gruppe junger Parsi-Dsmen .<br />

5. Die Türme des Schweigens . .<br />

6. Ein Mahäräja mit Ministern . .<br />

7. Gruppe mit dem Elefanten (Baroda) .<br />

8. Der Täj Mahal (Agra)<br />

9. Bettler im Aufzuge eines Asketen<br />

10. Ein Ekka („Einspänner")<br />

11. Leichenverbrennung am Dagsgvamedha Ghatta (Benares)<br />

12. Bajaderen (Tanzmädchen) mit Musikern<br />

13. Badende im Hughli (Calcutts)<br />

14. Dsrjeeling und der Ksnchinjings<br />

15. Der Nyagrodhabaum im botsnischen Garten zu Calcutta<br />

16. Khandsls, eine Reversing Ststion in den westlichen Ghstts's<br />

Aussprache.<br />

Seite<br />

18<br />

28<br />

34<br />

38<br />

40<br />

50<br />

56<br />

76<br />

116<br />

126<br />

132<br />

144<br />

152<br />

170<br />

182<br />

202<br />

In indischen Wörtern ist<br />

c, eh wie tsch und j, jh wie dsch<br />

zu sprechen (also Maharadscha, Kantschindschinga); c ist ein mittlerer<br />

Lsut zwischen s (stets scharf) und sh (= seh).


Vorbereitungen.<br />

Erstes Kapitel.<br />

r^vem Wunsche meiner Freunde willfahrend, will ich einige<br />

Eindrücke meiner Reise nach Indien im Winter 1892—93 hier<br />

aufzeichnen und dadurch auch weiteren Kreisen zugänglich<br />

machen, teils weil es mir, trotz der Kürze meines Aufenthaltes<br />

in Indien, infolge besonders günstiger Umstände möglich<br />

wurde, tiefere Einblicke in das Leben der Eingeborenen zu<br />

tun, als sie sonst dem Europäer zuteil zu werden pflegen,<br />

teils weil meine Auffassung indischer Verhältnisse mehrfach<br />

eine von der gewöhnlichen abweichende ist, namentlich da<br />

ich nicht wie so viele andere das indische Land und Volk<br />

nur durch die Augen und Interessen der Engländer ansehe,<br />

auch nicht gewohnt bin, vor dem goldenen Kalbe des Erfolges<br />

zu knieen und eine Sache darum für schlecht zu halten, weil<br />

sie die unterliegende ist.<br />

Als es mir endlich möglich wurde, langjährige Hoffnungen<br />

zu verwirklichen, meine akademische Tätigkeit für ein halbes<br />

Jahr zu unterbrechen und in Gesellschaft meiner Frau dem<br />

Lande zuzueilen, welches mir schon seit Jahrzehnten zu einer<br />

Art geistiger Heimat geworden war, da traf mich diese glück­<br />

liche Fügung nicht unvorbereitet. Von den drei Sprachen,<br />

die man in Indien nötig hat, Englisch, um mit den Gebildeten,<br />

Hindostani, um mit dem Volke, und Sanskrit, um mit den<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 1


2 I. Vorbereitungen.<br />

Pandits, d. h. den indischen, des Englischen in der Regel<br />

völlig unkundigen, ja dasselbe pefhorreszierenden Gelehrten<br />

zu verkehren, — war mir und meiner Frau das Englische<br />

durch wiederholten Aufenthalt in England geläufig. Vom<br />

Hindostani, zu dessen Erlernung die Lehrmittel noch sehr<br />

unvollkommen und, namentlich in Deutschland, schwer zu­<br />

gänglich sind, konnten wir uns erst auf der Reise und in<br />

Indien selbst so viel zu eigen machen, um nachgerade mit<br />

den Leuten auch ohne Vermittlung des Dieners verhandeln<br />

zu können. Was endlich das Sanskrit betrifft, so war dessen<br />

Studium in den letzten zwanzig Jahren so sehr mein tägliches<br />

Brot gewesen, dass ich hoffen durfte, dasselbe nach einiger<br />

Vorübung im Lande selbst nicht nur sprechen, sondern auch,<br />

was das Schwerste ist, das schnell und mit dialektischer<br />

Färbung gesprochene Sanskrit verstehen zu können, — eine<br />

Hoffnung, die sich durchaus verwirklicht hat. Der bequeme<br />

Gebrauch des Sanskrit aber als Umgangssprache vermag mehr<br />

als jeder Empfehlungsbrief in die sonst dem Europäer so<br />

verschlossenen höheren Kreise der Eingeborenen einzuführen.<br />

Und nicht nur die Gelehrten von Fach, wie namentlich die<br />

einheimischen Sanskritprofessoren der indischen Universitäten,<br />

sprechen Sanskrit mit grosser Eleganz, nicht nur ihre Zu­<br />

hörer wissen dasselbe ebenso gut zu handhaben wie bei uns<br />

ein Studierender der klassischen Philologie das Lateinische,<br />

auch die zahlreichen Privatgelehrten, Heiligen, Asketen, ja selbst<br />

weitere Kreise sprechen und schreiben Sanskrit mit Leichtig­<br />

keit; mit dem Mahäräja von Benares habe ich mich wieder­<br />

holt stundenlang darin unterhalten; Fabrikanten, Industrielle,<br />

Kaufleute sprechen es zum Teil oder verstehen doch das<br />

Gesprochene; in jedem kleinen Dorfe war meine erste Frage<br />

nach einem, der Sanskrit spreche, worauf sich denn alsbald<br />

der eine oder andere einstellte, der gewöhnlich mein Führer,<br />

ja nicht selten mein Freund wurde. Öfter gab ich den Bitten<br />

der Eingeborenen nach, ihnen einen Vortrag zu halten. Dies


Englisch, Hindostsni, Sanskrit. 3<br />

geschah natürlich in englischer Sprache, aber fast überall<br />

wurde ich gebeten, das Gesagte für diejenigen, welche dem<br />

Englischen nicht hätten folgen können, nochmals in Sanskrit<br />

zu wiederholen. Nachdem dies geschehen, folgte eine Dis­<br />

kussion, bei der die einen Englisch, die anderen Sanskrit,<br />

noch andere Hindi sprachen, welches sich denn auch der<br />

Hauptsache nach verstehen liess, da das reine Hindi sich<br />

vom Sanskrit kaum durch viel mehr als durch den Verlust<br />

der Flexionsendungen unterscheidet. Daher versteht jeder<br />

Hindu vom Sanskrit ungefähr ebensoviel wie ein Italiener<br />

vom Lateinischen, namentlich da im eigentlichen Hindostan<br />

die Schrift die nämliche geblieben ist; und ein Anflug des<br />

Sanskrit lässt sich bis hinab in die Kreise der Dienerschaft<br />

und des geringen Volkes antreffen; daher auch ein Brief<br />

nach Benares mit blosser Sanskritadresse durch jeden Post­<br />

boten ohne Schwierigkeit seine Bestellung findet. Manche<br />

Inder scheinen der Meinung zu sein, dass es in der ganzen<br />

Welt ebenso sei. Denn unter den zahlreichen Sanskritbriefen,<br />

die mir auch jetzt noch von Zeit zu Zeit zugehen, fand sich<br />

auch wohl einmal einer, bei dem mit allem andern auch die mit<br />

überschwenglichen Lobtiteln gespickte Adresse ganz in Sans­<br />

krit geschrieben war, auch mein Name nur in der sanskriti-<br />

sierten Form Devasena erschien und die Bezeichnung des<br />

Wohnortes fehlte, und der trotzdem — zum Lobe unserer<br />

Postverwaltung sei es gesagt — glücklich in meine Hände ge­<br />

langte, nachdem er vorher unter anderm nach Leipzig gelaufen<br />

und dort entziffert worden war.<br />

Mehr noch vielleicht als die Kenntnis der alten heiligen<br />

Sprache des Landes sollte mir in Indien der zufällige Um­<br />

stand von Nutzen sein, dass ich die beste Kraft einer Reihe<br />

von Jahren dazu verwendet hatte, mich in die Upanishad's<br />

und den auf ihnen beruhenden Vedänta einzuleben. Wenn<br />

im allgemeinen der Veda für den Inder dieselbe Bedeutung<br />

hat, wie für uns die Bibel, so entsprechen die unter dem<br />

1*


4 I. Vorbereitungen.<br />

Namen Upanishad's gesammelten Schlusskapitel der einzelnen<br />

Veden nach Haltung und Gesinnung dem Neuen Testamente;<br />

und wie auf dem Neuen Testamente die christliche Dogmatik,<br />

so baut sich auf den Upanishad's das religiöse und philo­<br />

sophische System des Vedänta auf, welches ich mit zu dem<br />

Besten rechnen muss, was metaphysischer Tiefsinn im Laufe<br />

der Jahrtausende unter den Menschen hervorgebracht hat.<br />

Jedenfalls bildet der Vedänta für Indien noch jetzt wie in alter<br />

Zeit die Grundlage alles höheren geistigen Lebens. Während<br />

das niedere Volk an der Verehrung der Götterbilder sein<br />

Genüge findet, so wird jeder Hindu in dem Masse, wie er<br />

ein denkendes Wesen ist, zu einem Anhänger des Vedänta<br />

in einer seiner verschiedenen Schattierungen und betrachtet<br />

alle Götter, deren Kultus er seiner Familie überlässt, nur als<br />

Symbole des einen, die ganze Welt durchdringenden und in<br />

jedem Menschen verkörperten Ätman. Die genauere Kenntnis<br />

und entsprechende Hochschätzung dieser Lehre von meiner<br />

Seite hat gar sehr dazu beigetragen, die Scheidewand zu be­<br />

seitigen, welche sonst den Europäer von den Indern trennt:<br />

mit Verwunderung sahen sie den Fremden an, welcher besser<br />

in ihren heiligen Schriften zu Hause war, als sie es selbst<br />

wohl sein mochten, und mit Entzücken lauschten sie der<br />

Darlegung, wie Europa in der Kantischen Philosophie eine<br />

dem Vedänta auf das engste verwandte Lehre und den diesem<br />

selbst fehlenden wissenschaftlichen Unterbau besitzt.<br />

Aber auch an äusseren Anknüpfungspunkten für alle Teile<br />

Indiens sollte es uns nicht fehlen. Ein günstiger Zufall hatte<br />

es gefügt, dass im September 1892, unmittelbar vor unserer<br />

Reise nach Indien, der neunte Orientalistenkongress in London<br />

tagte. Hier und in Oxford, wo wir mehrere Tage die Gast­<br />

freundschaft des Max Müller'schen Hauses genossen, war es<br />

leicht, eine grosse Zahl Empfehlungsbriefe von Gelehrten,<br />

höheren Beamten, Offizieren usw., die lange Jahre in Indien


Der Vedänta. Empfehlungsbriefe. Dhruva und Nazar. 5<br />

gelebt hatten, zu erhalten, welche zum grössten Teil benutzt<br />

worden sind und uns den Zugang zu den gastfreien Kreisen<br />

hochgestellter Engländer in Indien mehr als wir bedurften<br />

eröffnet haben.<br />

Für den näheren Verkehr mit den Eingeborenen freilich,<br />

den wir vor allem wünschten, hätten diese Empfehlungs­<br />

schreiben oft mehr hinderlich als fördernd sein können. Hier<br />

kam uns die früher gemachte Bekanntschaft zweier Inder zu<br />

Hülfe, welche uns hundert andere im Lande selbst erschliessen<br />

sollte. Drei Jahre vorher nämlich hatte ich auf dem Orien-<br />

talistenkongress zu Stockholm und Christiania die Bekannt­<br />

schaft der beiden dort anwesenden Inder, H. H. Dhruva, zu­<br />

letzt Richter in Baroda, und Mansukhläl Nazar gemacht, eines<br />

Kaufmanns, der zusammen mit zwei Brüdern, Ätmaräm und<br />

Utsavläl, ein Importgeschäft in Bombay besitzt, während ein<br />

vierter Bruder, Behariläl, damals noch die Schule besuchte.<br />

In Stockholm hatte ich Dhruva und Nazar eingeladen, mich<br />

auf der Durchreise in Berlin, wo ich damals wohnte, zu be­<br />

suchen; sie kamen und haben mich seitdem wiederholt durch<br />

Briefe und andere Zusendungen aus Indien erfreut, deren<br />

Beantwortung sich verschob, bis ich ihnen schliesslich durch<br />

eine Postkarte melden konnte, dass ich am 7. November zu­<br />

gleich mit meiner Frau selbst in Bombay einzutreffen hoffe.<br />

Dieser Anknüpfungspunkt sollte für uns von der grössten<br />

Bedeutung werden.


4 I. Vorbereitungen.<br />

Namen Upanishad's gesammelten Schlusskapitel der einzelnen<br />

Veden nach Haltung und Gesinnung dem Neuen Testamente;<br />

und wie auf dem Neuen Testamente die christliche Dogmatik,<br />

so baut sich auf den Upanishad's das religiöse und philo­<br />

sophische System des Vedänta auf, welches ich mit zu dem<br />

Besten rechnen muss, was metaphysischer Tiefsinn im Laufe<br />

der Jahrtausende unter den Menschen hervorgebracht hat.<br />

Jedenfalls bildet der Vedänta für Indien noch jetzt wie in alter<br />

Zeit die Grundlage alles höheren geistigen Lebens. Während<br />

das niedere Volk an der Verehrung der Götterbilder sein<br />

Genüge findet, so wird jeder Hindu in dem Masse, wie er<br />

ein denkendes Wesen ist, zu einem Anhänger des Vedänta<br />

in einer seiner verschiedenen Schattierungen und betrachtet<br />

alle Götter, deren Kultus er seiner Familie überlässt, nur als<br />

Symbole des einen, die ganze Welt durchdringenden und in<br />

jedem Menschen verkörperten Ätman. Die genauere Kenntnis<br />

und entsprechende Hochschätzung dieser Lehre von meiner<br />

Seite hat gar sehr dazu beigetragen, die Scheidewand zu be­<br />

seitigen, welche sonst den Europäer von den Indern trennt:<br />

mit Verwunderung sahen sie den Fremden an, welcher besser<br />

in ihren heiligen Schriften zu Hause war, als sie es selbst<br />

wohl sein mochten, und mit Entzücken lauschten sie der<br />

Darlegung, wie Europa in der Kantischen Philosophie eine<br />

dem Vedänta auf das engste verwandte Lehre und den diesem<br />

selbst fehlenden wissenschaftlichen Unterbau besitzt.<br />

Aber auch an äusseren Anknüpfungspunkten für alle Teile<br />

Indiens sollte es uns nicht fehlen. Ein günstiger Zufall hatte<br />

es gefügt, dass im September 1892, unmittelbar vor unserer<br />

Reise nach Indien, der neunte Orientalistenkongress in London<br />

tagte. Hier und in Oxford, wo wir mehrere Tage die Gast­<br />

freundschaft des Max Müller'schen Hauses genossen, war es<br />

leicht, eine grosse Zahl Empfehlungsbriefe von Gelehrten,<br />

höheren Beamten, Offizieren usw., die lange Jahre in Indien


Der Vedänta. Empfehlungsbriefe. Dhruva und Nazar. 5<br />

gelebt hatten, zu erhalten, welche zum grössten Teil benutzt<br />

worden sind und uns den Zugang zu den gastfreien Kreisen<br />

hochgestellter Engländer in Indien mehr als wir bedurften<br />

eröffnet haben.<br />

Für den näheren Verkehr mit den Eingeborenen freilich,<br />

den wir vor allem wünschten, hätten diese Empfehlungs­<br />

schreiben oft mehr hinderlich als fördernd sein können. Hier<br />

kam uns die früher gemachte Bekanntschaft zweier Inder zu<br />

Hülfe, welche uns hundert andere im Lande selbst erschliessen<br />

sollte. Drei Jahre vorher nämlich hatte ich auf dem Orien-<br />

talistenkongress zu Stockholm und Christiania die Bekannt­<br />

schaft der beiden dort anwesenden Inder, H. H. Dhruva, zu­<br />

letzt Richter in Baroda, und Mansukhläl Nazar gemacht, eines<br />

Kaufmanns, der zusammen mit zwei Brüdern, Ätmaräm und<br />

Utsavläl, ein Importgeschäft in Bombay besitzt, während ein<br />

vierter Bruder, Behariläl, damals noch die Schule besuchte.<br />

In Stockholm hatte ich Dhruva und Nazar eingeladen, mich<br />

auf der Durchreise in Berlin, wo ich damals wohnte, zu be­<br />

suchen; sie kamen und haben mich seitdem wiederholt durch<br />

Briefe und andere Zusendungen aus Indien erfreut, deren<br />

Beantwortung sich verschob, bis ich ihnen schliesslich durch<br />

eine Postkarte melden konnte, dass ich am 7. November zu­<br />

gleich mit meiner Frau selbst in Bombay einzutreffen hoffe.<br />

Dieser Anknüpfungspunkt sollte für uns von der grössten<br />

Bedeutung werden.


Zweites Kapitel.<br />

Von Marseille nach Bombay.<br />

\17er nach Indien reisen will, namentlich im Herbste, wo<br />

immer ein grosser Touristenschwarm diesem Lande zu­<br />

strebt, der wird wohl tun, sich drei Monate vorher einen<br />

Platz auf einer der verschiedenen englischen, französischen,<br />

italienischen, norddeutschen, östreichischen Dampferlinien<br />

durch Einzahlung des halben Preises zu sichern, wobei die<br />

nach Norden gekehrte Seite des Schiffes, weil kühler, vor<br />

der südlichen den Vorzug verdient, wie auch, aus demselben<br />

Grunde, die höher gelegenen Kabinen vor denen des unteren<br />

Decks, namentlich da die Fenster der letzteren so tief zu<br />

liegen pflegen, dass sie nur bei sehr ruhigem Seegange<br />

geöffnet werden dürfen.<br />

Wir hatten den besten Zeitpunkt versäumt, und als wir<br />

Ende September 1892 uns in London in Fenchurch Street<br />

und Umgebung, wo die Dampferlinien der verschiedenen<br />

Nationen ihre Bureaus haben, anfingen nach Plätzen umzu­<br />

sehen, da wollte sich zuerst nirgend etwas Zusagendes<br />

bieten. Namentlich waren die Schiffe der Peninsular &<br />

Oriental Company, welche die englische Post beförderte,<br />

am schnellsten fuhr und für die sicherste galt, auch keine<br />

Zwischendeckspassagiere aufnahm, sondern nur solche der<br />

beiden ersten Klassen, bis weit in den November hinein


Buchung in London. Über Land nach Marseille. 7<br />

schon vollständig besetzt; und auch das neueste und grösste<br />

Schiff dieser Gesellschaft, der Himälaya, welcher, als Extra­<br />

schiff eingeschoben, am 15. Oktober zum ersten Male die<br />

Fahrt nach Bombay machen sollte, hatte zu unserem Leid­<br />

wesen keine Kabine mehr frei, da doch der Name und die<br />

Grösse des Schiffes, der Gedanke, noch ungebrauchte Räume<br />

zu bewohnen, sowie die Erwartungen, die man von diesem<br />

neuen Dampfer hegte, uns den Himälaya als besonders be­<br />

gehrenswert erscheinen Hessen; und als durch einen Zufall<br />

eine besetzt gewesene und wieder frei gewordene Kabine<br />

desselben sich uns anbot, freilich nur zweiter Klasse, im<br />

unteren Deck und nach Süden gelegen, da fassten wir nach<br />

längerem Schwanken einen herzhaften Entschluss, lösten<br />

sechsmonatliche, von Marseille nach Bombay und zurück<br />

von Colombo nach Brindisi gültige Billets und schrieben<br />

uns, nicht ganz leichten Herzens, in der frei gewordenen<br />

Kabine ein. Über die zu erwartende Hitze tröstete uns der<br />

Gedanke, dass man ja doch von Suez ab auf dem Deck<br />

schlafen werde; eine etwas geringere Kost fiel um so<br />

weniger ins Gewicht, als auch die der ersten Klasse auf den<br />

Peninsular-Dampfern nicht gerade berühmt ist, und die Er­<br />

wartung, statt mit dem eleganteren Touristenpublikum, mit<br />

Geschäftsleuten, Subalternbeamten, Missionaren und dgl. für<br />

vierzehn Tage zusammen zu sein, war nicht ohne besonderen<br />

Reiz. Auch war die Ersparnis beträchtlich: statt 1600 Mk.<br />

in der ersten Klasse kostete das sechsmonatliche Retour-<br />

billet zweiter Klasse für jede Person nur 1000 Mk. Wir<br />

schafften unser grösseres Gepäck schon in London auf den<br />

Himälaya und Hessen es auf dem stets unruhigen Atlantischen<br />

Ozean allein die Reise um Gibraltar herum machen, während<br />

wir selbst noch einmal unseren Lieben in Deutschland Lebe­<br />

wohl sagten, in Genf einen erquickenden Tag mit Freund<br />

Oltramare, meinem ältesten Schüler in der Philosophie und<br />

im Sanskrit, zubrachten, um dann über Lyon nach Marseille


8 II. Von Marseille nach Bombay.<br />

zu eilen, wo wir unsere Ausstattung durch einen auf dem<br />

Schiffe sehr brauchbaren Deckstuhl (eine aus Stroh ge­<br />

flochtene Chaiselongue) und namentlich durch zwei Sonnen­<br />

hüte aus Kork vervollständigten. Die letzteren sind zwar auf<br />

der Seefahrt überflüssig, können aber schon beim Aussteigen<br />

in Bombay nicht ohne Gefahr entbehrt werden. Am 22.<br />

Oktober 1892, nachmittags vier Uhr, begaben wir uns in<br />

Marseille an Bord des Himälaya.<br />

Nichts gleicht dem Durcheinander, welches auf einem<br />

grossen Seedampfer während der letzten Stunden vor der<br />

Abfahrt herrscht. Kohlen werden eingeladen, Gepäckstücke<br />

aus- und eingeschifft, der Koch und seine Gehülfen sind<br />

beschäftigt, grosse Körbe mit Geflügel oder Gemüse zu<br />

übernehmen, die Matrosen machen sich an dem Tauwerk zu<br />

schaffen, die Kellner haben alle Hände voll zu tun, um den<br />

mit mancherlei Gepäck einströmenden und sich gegenseitig<br />

den Weg versperrenden Ankömmlingen ihre Kabinen anzu­<br />

weisen, während Händler und Trödler das Schiff durch­<br />

schwärmen, um Früchte, Schmuckgegenstände, Photographien<br />

und allerlei Plunder 2um Verkauf anzubieten. Endlich be­<br />

ruhigt sich das Gewühl, Händler und abschiednehmende<br />

Freunde müssen das Schiff verlassen, als letzter der Agent<br />

der Gesellschaft und der Postbote mit den in der Abschieds­<br />

stunde eifrig geschriebenen Briefen, die Dampfpfeife ertönt<br />

einige Male, die mächtige Sehraube setzt sieh langsam und<br />

dann immer schneller in Bewegung, wir verlassen den Hafen,<br />

und bald sind wir im offenen Meere und sehen die Küste<br />

hinter uns in der Abenddämmerung versinken.<br />

Es zeigte sich, dass wir wohlgetan hatten, den Dampfer<br />

erst in Marseille und nicht schon in London zu besteigen,<br />

denn der schneidende Nordwind, der uns bis nach Genf als<br />

Bise, bis nach Marseille als Mistral begleitete, hatte auf dem<br />

Atlantischen Ozean als Sturm gewirtschaftet, derselbe Sturm,<br />

dem die gleichzeitig mit dem Himälaya von London abge-


Einschiffung. Sardinien und Korsika. Messina und Reggio. 9<br />

gangene und ebenfalls nach Indien bestimmte Rumania an<br />

der portugiesischen Küste zum Opfer gefallen war. Jetzt<br />

aber legte sich der Wind, die noch bei der Abfahrt von der<br />

französischen Küste aufgeregten Wogen glätteten sich, und<br />

wir behielten die schönste, ruhigste See bis nach Bombay<br />

hin. Als ich am nächsten Morgen — es war Sonntag, der<br />

23. Oktober — aus der engen Kajüte drei Treppen hinauf<br />

aufs Deck kletterte, um die ozonreiche Seeluft in tiefen<br />

Zügen einzuatmen, da sah ich rechts von uns die lang­<br />

gestreckte Küste Sardiniens, links die ragenden Gebirge<br />

Korsikas von der aufgehenden Sonne beleuchtet liegen.<br />

Schon hier machte sich die Kraft der südlichen Sonne be­<br />

merkbar, und als ich gegen Mittag, nach der Kirche, mit<br />

einem leichten Hut auf dem Kopfe eine Zeitlang in der Sonne<br />

gesessen, war mir nachher der Kopf so eingenommen, dass<br />

ich beschloss, dieses als ein Warnungszeichen anzusehen und<br />

mich nicht wieder ohne gehörigen Schutz der Sonne auszu­<br />

setzen. Am nächsten Morgen in der Dämmerung grüssten<br />

mich rechts die Lichter von Messina mit seinem Leuchtturm,<br />

den ich ein Jahr zuvor noch bestiegen hatte, ohne Hoffnung,<br />

ihn so bald und mit so beglückenden Aussichten für die<br />

nächste Zukunft wiederzusehen, während links die Lichter<br />

des kleinen Reggio uns an ein kümmerliches und übereiltes<br />

Mahl und eine darauf folgende lange Nachtfahrt auf der Eisen­<br />

bahn erinnerten, bei der ich um ein Uhr nachts im Halb­<br />

schlafe die Station Cotrone, das ehemalige Kroton, die<br />

berühmte Pflanzstätte des Pythagoreismus, hatte ausrufen<br />

hören. Jetzt konnte uns das alles nicht locken, und auch<br />

dem Ätna nahmen wir es nicht übel, dass er sein Haupt<br />

in dichte Wolken gehüllt hatte, nachdem wir ein Jahr zu­<br />

vor von Taormina aus im schönsten Sonnenglanze seine<br />

mächtigen Schneefelder und den in kräuselnden Wölkchen<br />

aus seinem Krater aufsteigenden Rauch hatten beobachten<br />

können.


10 II. Von Marseille nach Bombay.<br />

Rasch entschwand Siciliens Küste unsern Blicken; immer<br />

farbenreicher wurde das Meer, immer glänzender strahlte die<br />

Sonne vom dunkelblauen Himmel herab; endlich versank sie,<br />

nicht unerwünscht, im westlichen Ozean, und als wir sie am<br />

nächsten Morgen wieder aus der Purpurglut des Ostens auf­<br />

steigen sahen, da streckte sich.schon zu unserer Linken mit<br />

ihren herrlichen Bergformen die südliche Küste Kretas hin.<br />

Ausgezeichnet. schien sich der Himälaya zu bewähren, und<br />

schon prophezeite man sich, dass unsere Fahrt die schnellste<br />

sein werde, die je nach Indien gemacht worden, — aber es<br />

sollte anders kommen. Eben hatten wir gegen Mittag zur<br />

Linken immer noch Kreta und zur Rechten eine kleine Insel,<br />

vermutlich Klauda, wo das Schiff de.s Apostels Paulus, nach­<br />

dem es gegen dessen Rat Kreta verlassen hatte, ver­<br />

gebens zu landen suchte (Apostelg. 27,16), da geschah das<br />

gänzlich Unerwartete: die. Maschine, deren gleichmässiges<br />

Arbeiten bei Tag und Nacht uns schon zur Gewohnheit<br />

geworden war, stand plötzlich still, und eine unheimliche<br />

Ruhe trat ein. Allgemeine Aufregung bemächtigte sich der<br />

Mitfahrenden, allerlei Vermutungen wurden laut, niemand<br />

wusste etwas Bestimmtes zu sagen, denn aus den Schiffs­<br />

offizieren, denen in solchen Fällen Schweigen Pflicht ist,<br />

war nichts herauszubekommen. Nur so viel war klar, dass<br />

der unwillkommene Aufenthalt seine triftigen Gründe haben<br />

musste; denn der Himälaya verbrauchte, wie mir einer seiner<br />

Offiziere mitgeteilt hatte, täglich 110 Tonnen Kohlen, die<br />

Tonne zu 30 Schillingen, also täglich für 3300 Mk., sodass<br />

jeder Aufenthalt sehr kostspielig war. Endlich, nach, fünf­<br />

stündigem Hämmern im Maschinenräume, ging es weiter, aber<br />

mit verminderter Geschwindigkeit, sodass wir erst nach etwa<br />

dreissig Stunden abends spät in Port Sai'd Anker warfen, wo wir<br />

dann am andern Morgen zum Frühbade statt des klaren Meer­<br />

wassers eine trübe Flüssigkeit sich ergiessen sahen. Bis<br />

Mittag lagen wir hier still, durch Reparaturen aufgehalten,


Aufenthalt vor Kreta. Port Said. Suezkanal. 11<br />

sahen uns gegenüber das mittelmässige Hotel, wo wir drei<br />

Jahre früher übernachtet hatten, sahen das Treiben auf den<br />

Strassen und auf dem Hafen, ohne dass doch jemand das<br />

Schiff hätte verlassen oder betreten können, da wir, weil<br />

von dem choleraverdächtigen Marseille kommend, unter<br />

Quarantäne lagen. Die einzigen, welche den Bann brachen<br />

und als sehr unwillkommene Mitreisende sich einstellten,<br />

waren eine grosse Menge Fliegen, die wir erst im Indischen<br />

Ozean nach und nach wieder los wurden. Endlich, gegen<br />

ein Uhr mittags, ging es von Port Said weiter und in den<br />

Suezkanal hinein. Zur Linken Asien, zur Rechten Afrika,<br />

beiderseits flaches Wüstenland, soweit das Auge reicht, und<br />

dazwischen der Kanal, gelegentlich durch Landseen führend,<br />

in der Regel aber nur eine schmale Wasserrinne, doppelt<br />

so breit wie das Schiff selbst, bildend, darüber der wolken­<br />

lose ägyptische Himmel, um uns die warme, trockne, reine<br />

Wüstenluft, bei deren Durchsichtigkeit alle Gegenstände von<br />

energischen Farben belebt erscheinen, — das waren die<br />

wesentlichen Eindrücke der Kanalfahrt, welche auch die<br />

Nacht durch geht, aber doch neunzehn Stunden beansprucht,<br />

da nur langsam gefahren werden darf, auch wohl ein halbes<br />

Dutzend mal gehalten werden muss, um andere Schiffe vorbei<br />

zu lassen, wobei das Schiff, wegen der herrschenden<br />

Strömungen, jedesmal am Ufer mit Tauen festgebunden wird.<br />

Am andern Morgen lag Suez vor uns und die dahinter liegen­<br />

den höhen Berge im Westen, alles in ein wunderbares Frührot<br />

getaucht. Freilich ist die ganze Gegend vegetationslos, bis<br />

auf die Umgebung des bei Suez mündenden Süsswasser-<br />

kanals, welche im herrlichsten Grün prangt. Nach kurzem<br />

Aufenthalte ging es ins Rote Meer hinein; zur Linken konnten<br />

wir den ganzen Nachmittag die zerklüfteten Gebirgsmassen<br />

der Halbinsel Sinai beobachten, bis deren Südspitze erreicht<br />

ist, das Meer sich verbreitert und nun sehr bald alles Land<br />

bis auf ein paar vereinzelte Inselchen für drei Tage dem


12 II. Von Marseille nach Bombay.<br />

Auge völlig entschwindet. Dass man aber in einem ge­<br />

schlossenen Meere zwischen zwei ungeheuren Wüstenländern<br />

durchfährt, macht sich durch die hier herrschende grosse<br />

Hitze jedem bemerkbar. Gleich nach Suez legen die<br />

Schiffsoffiziere ihre dunkle Uniform ab und erscheinen in<br />

weissen Anzügen, und alles beeilt sich ihrem Beispiele zu<br />

folgert. Bei den Mahlzeiten in der Kajüte schwingt unablässig<br />

die Pankha; d. h. über jedem Tische hängt, ihn in seiner<br />

ganzen Länge begleitend, ein fussbreiter Streifen von dickem<br />

Zeug, durch Stangen und Angeln an der Decke befestigt;<br />

alle diese Streifen sind durch Stricke verbunden, welche auf<br />

Rollen nach aussen leiten und von dort, durch ziehende Diener<br />

in Bewegung gesetzt, ziemlich schnell unmittelbar über den<br />

Köpfen der Sitzenden hin und her schwingen und eine starke<br />

Zugluft veranlassen. Ohne Pankha zu essen würde kaum<br />

möglich sein; selbst bei den sonntäglichen Gottesdiensten<br />

begleitet sie mit ihrem eintönigen dumpfen Geräusch die<br />

Stimme des Geistlichen. In den Kabinen war es vollends<br />

nicht auszuhalten. Ein Aufenthalt von wenigen Minuten<br />

genügte, um die heftigste, jeden neu angelegten Kragen so­<br />

gleich wieder entstellende Transpiration hervorzurufen. Ein<br />

Schlafen in derselben, obgleich alle Türen, Fenster und<br />

Luken geöffnet waren, wurde nachgerade zur Unmöglichkeit.<br />

Zuletzt legte ich mich auf den Boden, die harte Schwelle<br />

der geöffneten Tür als Kopfkissen benutzend, und als auch<br />

so keine Ruhe zu finden war, beschlossen wir, den Wider­<br />

stand des etwas faulen und stets Ausflüchte suchenden<br />

Kellners zu brechen, und gaben strikten Befehl, für die<br />

nächste Nacht unsre Betten nach oben aufs Deck zu<br />

schleppen. Dieses Verfahren, so sehr es auch seine Schatten­<br />

seiten hatte, wurde bald von allen eingeschlagen und bis<br />

ans Ende der Reise festgehalten. Abends gegen zehn Uhr,<br />

wenn Mrs. Shakespeare (eine Offiziersfrau mit drei hübschen<br />

Töchtern) sich von dem auf dem Verdeck stehenden Pianino


Rotes Meer. Pankha. Schlafen auf Deck. Kinder. 13<br />

erhob, die tanzenden Paare sich trennten, und endlich eine<br />

gewisse Ruhe eintrat, da kamen die Kellner mit den Matratzen<br />

und Kissen aus den verschiedenen Kajüten heraufgekeucht;<br />

eine Barrikade aus Deckstühlen markierte die Grenze zwischen<br />

der Herren- und Damenseite, und im übrigen konnte jeder<br />

sich ein Plätzchen je nach Wunsch, auf den Bänken oder<br />

daneben, hinter einer Kajütenwand oder in der freien Zugluft,<br />

aussuchen, dort sich auf seine Matratze strecken und abwarten,<br />

bis das Geplapper verstummte und das eintönige Ächzen der<br />

Maschine anfing, sich in seine Traumbilder zu verweben.<br />

An ein Ausschlafen war freilich nicht zu denken. Denn<br />

allmorgendlich um fünf Uhr erschienen mit Eimern und Besen<br />

die schwarzbraunen Matrosen, um das Deck mittels eines<br />

transportablen Schlauches unter Wasser zu setzen und<br />

gründlichst zu scheuern. Dann war es ein Hauptvergnügen,<br />

nur von der Paijama (Nachtanzug, bestehend in Hose und<br />

Jacke aus ganz dünnem Wollstoff) bekleidet, mit nackten<br />

Füssen in dem kühlen Nass spazieren zu gehen, bis gegen<br />

halb acht nach und nach die Damen auf dem Deck erschienen,<br />

und das Feld geräumt werden musste. Ein kleiner Imbiss,<br />

bestehend aus Thee, Kaffee und Butterbrot, die sogenannte<br />

Chota Hdziri, stand nach indischer Weise schon um 6 Uhr<br />

bereit. Um neun Uhr folgte ein substantielles Frühstück,<br />

Thee mit Fisch, Eiern, Fleisch u. dgl. Der weitere Vormittag<br />

wird natürlich allgemein auf dem Deck zugebracht. Die<br />

einen sitzen und liegen auf den Stühlen umher, hier bilden<br />

sich plaudernde Gruppen, dort sind andere mit Lesen be­<br />

schäftigt, und wieder andere gehen emsig auf und ab, um<br />

dem schlimmsten Übel einer langen Seefahrt, dem Mangel<br />

an Bewegung, nach Kräften abzuhelfen. Freilich muss man<br />

dabei vermeiden, auf die zahlreichen, überall umherkrabbelnden<br />

Kinder zu treten. Kleine Kinder etwa bis zu sieben Jahren<br />

werden nämlich von ihren Familien ohne Bedenken mit nach<br />

Indien genommen. Werden sie grösser, so müssen sie in


14 II. Von Marseille nach Bombay.<br />

der Regel nach Europa geschickt werden, da die indische<br />

Hitze, vermutlich weil sie den Appetit benimmt und den Schlaf<br />

beeinträchtigt, ein gedeihliches Wachstum verhindert. Um<br />

zwei Uhr folgte in der zweiten Klasse das Mittagessen, um<br />

vier Uhr Wieder Thee, um fünf Uhr war es ein amüsantes<br />

Schauspiel, dem Abendessen der von ihren Müttern oder<br />

Bonnen bedienten Kinder zuzusehen, um sieben Uhr folgte<br />

das Abendessen der Erwachsenen und um neun Uhr abends<br />

nochmals Thee. Die Quantität war immer ganz, genügend,<br />

die Qualität Hess des öfteren sehr zu wünschen übrig. Eine<br />

besondere Wohltat war das allezeit sehr liberal gespendete<br />

Eis. Dasselbe wird in dem unter einem eignen Offizier<br />

stehenden Freezing Room bereitet, in welchem bei aller<br />

tropischen Hitze eine derartige Kälte herrscht, dass, wie man<br />

erzählte, einstmals ein zufällig in einem solchen Freezing Room<br />

eingeschlossener Matrose erfroren sein soll. Die Stunden nach<br />

dem Abendessen brachten mancherlei Unterhaltung, gewöhnlich<br />

einen Tanz auf dem Deck, gelegentlich ein Konzert, zu dem<br />

die andere Klasse feierlich eingeladen wurde, ja einmal ver­<br />

stieg man sich sogar zu einem Kostümball mit Masken, da<br />

die nach Indien übersiedelnden Familien allen dazu nötigen<br />

Plunder mit sich führen. Im ganzen war die Reisegesellschaft<br />

nicht gerade sehr angenehm, weit weniger als auf dem<br />

Rückwege, wo wir ein von Australien kommendes Schiff<br />

bestiegen und mit Leuten zusammen waren, die dort ihre<br />

Geschäfte abgeschlossen und ihre Erfahrungen gemacht<br />

hatten und nun zum Ruhestande oder zur notwendigen Er­<br />

holung in die Heimat zurückkehrten. Im Gegensatze dazu<br />

bestand das Publikum auf der Hinreise zumeist aus jüngeren,<br />

turbulenten Elementen. Schon hier machte sich der Übermut<br />

bemerklich, der sich des jungen Engländers zu bemächtigen<br />

pflegt, wenn er als Kaufmann oder angehender Beamter mit<br />

verhältnismässig hohem Gehalte nach Indien geht. Die<br />

jungen Leute, von denen das Schiff vollgepfropft war, mit


Leben auf dem Schiff. Tropenkoller. Aden. 15<br />

ihrem lärmenden Treiben, kamen mir vor wie Raubvögel, die<br />

sich auf ihre Beute stürzen. Ihre geräuschvollen Spiele, ihr<br />

Zechen und Tanzen Hess keine gesammelte Stimmung, kein<br />

gehaltvolleres Gespräch aufkommen; die Trivialität behielt die<br />

Oberhand. Es musste ertragen werden, es ging ja bald<br />

vorüber. Nur das wiederholte Stillstellen der Maschine, auch<br />

während der heissen Fahrt durch das Rote Meer und mit­<br />

unter für den ganzen Tag, erregte ernstliche Besorgnis darüber,<br />

wann und wie wir wohl das Ziel erreichen würden. Endlich,<br />

nach dreitägiger Fahrt auf dem Roten Meere, nachdem wir<br />

Mekka und Medina mit ihrem Seehafen Yeddo zur Linken,<br />

Suakin mit Massaua nebst so mancher unwirtlichen und<br />

gefährlichen Gegend zur Rechten, ohne von dem allen irgend<br />

etwas zu sehen, hinter uns gebracht hatten, erschien links<br />

das kaffeeberühmte Mokka, und nun durften wir hoffen, in<br />

Kürze Aden zu erreichen und aus dem Glutkessel des Roten<br />

Meeres in den luftigen und frischen Indischen Ozean zu<br />

gelangen. Glücklich wurde das Tor der Tränen, Bab el<br />

Mandeb, passiert, wo schon so manches stolze Schiff ge­<br />

scheitert ist und hier und da das memento mori einiger aus dem<br />

Wasser hervorragender Mastbäume sich den Blicken zeigte.<br />

Vor Aden warfen wir abends spät für einige Stunden Anker<br />

und sahen die Gebäude am Ufer und die sonnenverbrannten<br />

öden Gebirge dahinter im zauberhaften Glänze des Mondes<br />

vor uns liegen. Vor dem Schlafengehen auf Deck war ich<br />

noch einmal in meine Kabine heruntergestiegen und hatte<br />

das elektrische Licht derselben aufgedreht, als ich, durch das<br />

geöffnete Fenster blickend, unmittelbar neben mir ein paar<br />

schwarze Gesichter mit glänzenden Augen und schneeweissen<br />

Zähnen auftauchen sah. Es waren Somalineger, welche, unter<br />

dem Schutze der Nacht der Quarantäne trotzend, in ihrem Boot<br />

an das Schiff herangefahren waren und durch die wenige<br />

Fuss über dem Wasserspiegel liegenden Kabinenfenster allerlei<br />

Kuriositäten zum Kaufe hereinreichten. Ich kaufte zu massigen


16 II. Von Marseille nach Bombay.<br />

Preisen eine Flasche aus buntfarbigem Stroh und ein statt­<br />

liches Antilopengeweih, deren ich mich später durch Ver­<br />

schenken entledigte, nachdem ich sie noch eine Weile mit<br />

mir in Indien herumgeschleppt hatte.<br />

Der nächste Morgen fand uns in der freieren Region<br />

des Indischen Ozeans. Links begleiteten uns noch einen<br />

halben Tag, immer mehr zurückweichend, die schöngeformten<br />

Berge der Südküste Arabiens; dann verschwand für sieben<br />

Tage lang alles Land. Ein beruhigendes Gefühl war es, dass<br />

der Himälaya die Postsachen nach Indien nicht an einen<br />

anderen der zwischen Aden und Bombay verkehrenden<br />

Dampfer abgegeben hatte; wir schlössen daraus, dass man<br />

trotz der gehabten und noch zu erwartenden Verspätung<br />

mit Sicherheit die Post wenigstens vor dem Verfalltermine<br />

in Bombay einzubringen hoffen durfte, da für den entgegen­<br />

gesetzten Fall die Gesellschaft eine sehr hohe Konventional­<br />

strafe zu zahlen hat. Im übrigen fuhr man langsam und<br />

immer langsamer, und wiederholt musste der Dampfer<br />

für einige Stunden stillgelegt werden, während der Ozean<br />

in Spiegelglätte um uns lag, und zahlreiche Haifische das<br />

Schiff umspielten und gierig nach den Küchenabfällen<br />

schnappten. Eines Nachmittags, als wir wieder einmal gerade<br />

still lagen, amüsierten sich die sportlustigen Engländer, mit<br />

einer in einen grossen Haken auslaufenden Ankerkette, an<br />

die man ein Stück Fleisch befestigt hatte, nach Haifischen<br />

zu angeln, und wirklich gelang es, eines dieser Ungetüme<br />

an Bord zu ziehen. Es schlug beim Heraufwinden so furcht­<br />

bar mit dem Schwänze um sich, dass derselbe abgehackt<br />

werden musste, ehe man den Fisch aufs Deck zu bringen<br />

wagte. Da lag nun das Monstrum, wohl mehr als sechs<br />

Fuss lang und dick wie ein gemästetes Schwein, und fing<br />

erst nach und nach an sich zu beruhigen, umstanden in<br />

respektvoller Entfernung von der Corona der neugierigen<br />

Zuschauer. Schon hatte man ihn ausgeweidet, das Herz,


Indischer Ozean. Ankunft in Bombay. 17<br />

nicht grösser als eine Taschenuhr, ging, immer noch pak­<br />

tierend, von Hand zu Hand, und trotzdem hatte das Unge­<br />

heuer noch Lebenskraft genug, sich zuweilen von einer Seite<br />

auf die andere zu wälzen, zum Entsetzen der zurück­<br />

weichenden Zuschauer. Endlich lag der Hai tot und regungs­<br />

los da. Man zog ihm zum Andenken ein grösseres Stück<br />

Haut ab und wollte den Rest dem Meere wiedergeben, da<br />

traten einige Neger aus der Schiffsmannschaft hervor und<br />

erbaten sich das Fleisch als Geschenk. Gerne wurde dies<br />

bewilligt, und sie schleppten den Fisch davon, wobei man<br />

sie in ihrem Negerenglisch sagen hörte: „Hai frisst Neger,<br />

warum soll nicht auch Neger fressen Hai?"<br />

Unter diesen und ähnlichen Belustigungen verging die<br />

Zeit, bis wir endlich am Sonntag, dem 6. November gegen<br />

Mittag im Osten die hochragenden Kämme des Ghatta-<br />

Gebirges auftauchen sahen. Wenige Stunden später ver­<br />

wandelte sich das azurne Blau des Ozeans in ein schmutziges<br />

Gelb, immer deutlicher erschienen links die Villen von<br />

Malabar Hill und vor uns die palmenumgebenen Türme und<br />

Prachtgebäude von Bombay, gegen Abend umschifften wir<br />

Colaba Point und warfen Anker in dem meilenbreiten Hafen<br />

von Bombay, der im Westen vom offnen Ozean durch die<br />

mächtige Landzunge oder Insel getrennt ist, auf der die Stadt<br />

Bombay liegt. Bald waren wir von Dampfbarkassen, Segel­<br />

booten, deren hohej Rahen aus Bambusrohr bis auf unser<br />

Deck ragten, und allerlei anderen Fahrzeugen umschwärmt,<br />

und nun entstand bei hereinbrechender Dämmerung auf dem<br />

Schiff ein unbeschreibliches Getümmel. Beamte vom Lande<br />

und Kommissionäre der Hotels, Bootsleute und Gepäck­<br />

träger und zur Begrüssung heraufkommende Freunde, dazu<br />

die 340 Passagiere des Schiffes mit ihren Gepäckstücken<br />

und die 361 Angestellten, welche die Bemannung des Schiffes<br />

bildeten, vom Kapitän bis herab zu den untersten Aufwärtern,<br />

Heizern und Kohlenschleppern, alles das wogte und lärmte<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 2


18 II. Von Marseille nach Bombay.<br />

in einem unglaublichen Wirrwarr durcheinander. Auch unsre<br />

Freunde waren an Bord gekommen, ohne jedoch uns heraus­<br />

zufinden. Da wir nicht, wie so viele andere, noch am selben<br />

Abend mit der Bahn landeinwärts zu reisen gedachten, so<br />

entschlossen wir uns, die Nacht noch in gewohnter Weise<br />

auf dem Deck zu schlafen. Es war, nachdem so viele<br />

lärmende Gesellen uns verlassen hatten, der erquicklichste<br />

Abend, den wir auf dem Himälaya zugebracht, trotz der<br />

drückenden Schwüle, die beim Stillstehen des Schiffes so­<br />

gleich doppelt fühlbar war. Am andern Morgen übergaben<br />

wir unser Gepäck dem Hoteldiener, bestiegen ein Boot, sagten<br />

dem Koloss, der uns so lange beherbergt hatte, mit dank­<br />

baren Gefühlen Lebewohl, betraten mit unbeschreiblichen<br />

Empfindungen bei Apollo Bandar den heiligen Boden Indiens<br />

und waren eine Viertelstunde darauf wohlbehalten in einem<br />

vorausbestellten geräumigen Zimmer des Esplanade-Hotels<br />

untergebracht.


Seite 18.<br />

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Bombay.<br />

Drittes Kapitel.<br />

VlZatson's Esplanade-Hotel, in dem wir für einige Wochen<br />

unsren Wohnsitz aufschlugen, gilt für das erste Hotel in<br />

Bombay und ist eines der grössten, wenn nicht das grösste,<br />

in ganz Indien. Es hat aber, wie so vieles in Bombay und<br />

Calcutta mit ihren nahen Beziehungen zu Europa, keinen<br />

so ausgeprägt indischen Typus wie die zwanzig bis dreissig<br />

weiteren Hotels, die wir später in allen Teilen Indiens be­<br />

wohnt haben, und von denen eine kurze Charakteristik hier<br />

folgen mag. Vprausbemerkt sei, dass wir grundsätzlich,<br />

schon aus Gesundheitsrücksichten, immer im ersten Hotel des<br />

Orts abstiegen. Häufig freilich war dies zugleich das einzige,<br />

und manche Orte, wie Ujjayini (Ujjain), Gayä und andre,<br />

waren ganz ohne Hotel. In diesem Falle pflegt die Regierung<br />

ein Absteigehaus, Dak Bungalow (Posthaus) genannt, zu unter­<br />

halten, in welchem man Anspruch auf ein Zimmer mit Bett<br />

für eine Rupie (damals 1,25 Mk., jetzt 1,33 Mk.) die Person<br />

hat, mit der Bedingung, in der nächsten Nacht das Zimmer<br />

zu räumen, wenn ein Neuangekommener, der sonst nicht<br />

unterzubringen ist, dasselbe beanspruchen sollte. In der<br />

Regel jedoch ist man, der einzige Gast des kleinen Hauses.<br />

Die Einrichtung der Zimmer ist ganz primitiv, die Betten,<br />

in der Regel insektenfrei, sind mittelmässig, wenn auch lange


20 IH. Bombay.<br />

nicht so schlecht wie. in Griechenland, und "meistens ohne<br />

Mückennetz, welches man daher wohl tut mit sich zu führen.<br />

Die Oberbetten, d. h. Kissen, dicke Steppdecke als Unter­<br />

lage (Razai) und Reisedecke zum Zudecken führt jeder<br />

Reisende zusammengerollt als Gepäckstück mit sich, da sie<br />

weder auf den Eisenbahnfahrten, noch in den Hotels, viel<br />

weniger in den Dak Bungalows entbehrt werden können.<br />

Mitunter sind die Zimmertüren der letzteren ohne richtig<br />

funktionierende Schliessvorrichtung; so in Amritsar, wo uns<br />

nichts übrig blieb, als die Tür mit unseren sämtlichen<br />

Gepäckstücken zu verbarrikadieren. Die Verpflegung in den<br />

Dak Bungalows ist meist sehr mittelmässig. Ein Koch oder<br />

der Verwalter selbst liefert die Mahlzeiten. Die Preise dafür<br />

sind von der Regierung vorgeschrieben, aber die Qualität<br />

hängt von der Fähigkeit, dem guten Willen und dem Ehr­<br />

geize des fast ausnahmslos mohammedanischen Koches ab.<br />

Gelegentlich kam es vor, dass er uns auf die Empfehlung<br />

eines befreundeten Einwohners hin ein recht gutes Mahl<br />

lieferte, aber oft trafen wir es auch anders, wie noch zu<br />

berichten sein wird. Ungefähr auf gleicher Stufe mit den<br />

Dak Bungalows stehen die Refreshment Rooms der kleineren<br />

Eisenbahnstationen, auf denen man auch an Orten, wo kein<br />

Dak Bungalow vorhanden oder ein solches zu fern Hegt, im<br />

Waiting Room übernachten kann. Ist dasselbe schon besetzt,<br />

so stellt der gefällige Station Master wohl auch einen Eisen­<br />

bahnwagen zur Verfügung. Beides geschieht unentgeltlich,<br />

ist aber doch wenig zu empfehlen; denn der Lärm des<br />

Rangierens hört selten auf, und wenn ein Zug spät abends,<br />

früh morgens oder in der Nacht fährt, so kommen stunden­<br />

lang vorher die Eingeborenen in grossen Scharen und<br />

hocken nach indischer Weise in schwatzenden Gruppen<br />

auf der blossen Erde um das Stationsgebäude herum;<br />

die Luft wird sehr schlecht, und der Lärm ist kaum auszuhalten.


Reisebetten. Hotelwesen. Reisekosten. Münzsorten.. 21<br />

Indessen kommt man selten in die Lage, von diesen<br />

Notbehelfen Gebrauch zu machen, da an allen besuchteren<br />

Orten ganz gute, fast durchweg von Engländern gehaltene<br />

Hotels bestehen. Ihre Preise sind sehr massig. Wie in<br />

Spanien, Palästina und Ägypten, besteht die Sitte, dass man<br />

die Pension für den ganzen Tag nimmt. Diese betrug für<br />

Zimmer und drei reichliche Mahlzeiten, mit Ausnahme von,<br />

Bombay, Calcutta und Darjeeling, in den ersten Hotels nie<br />

weniger und nie mehr als fünf Rupien (gleich 6,25 Mk., jetzt<br />

6,66 Mk.). Diese Gleichmässigkeit des Preises macht es<br />

möglich, die Kosten einer Reise nach Indien ziemlich genau<br />

voraus zu berechnen. Das sechsmonatliche Retourbillet, die<br />

Beköstigung einbegriffen, beträgt II. Klasse 1000 Mk., die<br />

Eisenbahnfahrt durch ganz Indien I. Klasse ungefähr 500 Mk.,<br />

vier bis fünf Monate Hotelleben werden sich auch auf tausend<br />

Mark belaufen, und rechnet man hierzu 500 Mk. für Getränke,<br />

Gepäck, Wagen, Trinkgelder und Diener, so ergibt sich,<br />

dass man die Reise nach Indien bei sparsamer Einrichtung<br />

mit 3000 Mk. und bei höheren Ansprüchen mit 4000 Mk. ganz<br />

bequem unternehmen kann. Als Reisegeld dient ein Kredit­<br />

brief, auf den man, wie in allen grösseren Städten Europas, in<br />

Bombay, Calcutta, Madras und Colombo Geld erheben kann.<br />

Die landesübliche Münze ist die Rupie, ein Silberstück in der<br />

Grösse von zwei Mark, welche in Indien in 16 Ana's, in Ceylon<br />

in 100 Cents zerfällt. Die Ana zerfällt weiter in vier Paisa's<br />

(Kupferstücke von der Grösse eines Sou), die Paisa in drei<br />

Pie's, und als kleinste Münze kursieren von alters her kleine<br />

Muscheln, auf Sanskrit Kapardikä, jetzt Kauri genannt, deren<br />

man mir auf dem Markte zu Benares für eine Paisa achtzig<br />

einwechselte, was auf die Rupie 5120 Stück machen würde.<br />

Gold kommt nicht vor; hingegen hat man Banknoten zu 10,<br />

25, 50, 100, 500 Rupien und höher; ja auf der Bank in<br />

Lahore habe ich selbst eine Banknote von 10000 Rupien<br />

in Händen gehabt, welche sich von den Zehn-Rupien-Scheinen


22 III. Bombay.<br />

kaum anders als durch den Aufdrück der Summe unter­<br />

schied.<br />

Das indische Hotel liegt in der Regel, wie alle besseren<br />

Wohnungen, ausserhalb der engen Eingeborenenstadt an einer<br />

sehr breiten und wohlgepflegten Landstrasse, und ist, wie<br />

alle dort liegenden Privat- und Geschäftshäuser, von einem<br />

geräumigen Garten umgeben. Das Hotel ist gewöhnlich<br />

einstöckig; der grosse Speisesaal liegt in der Mitte, kühl,<br />

bisweilen sehr dunkel, um denselben herum die Schlafzimmer<br />

mit Eingängen, sowohl nach dem Speisesaal als auch nach<br />

aussen ins Freie führend. Um die Schlafzimmer herum auf<br />

der Aussenseite läuft eine Veranda, auf der die mitreisenden<br />

Diener zu schlafen pflegen. Bei kaltem Wetter wickeln sie<br />

Kopf und alles dermassen in die mitgeführten Decken ein,<br />

dass sie einem langen, vollgestopften Sacke gleichen, den<br />

man nur an dem kräftigen Schnarchen als einen vermummten<br />

Menschen rekognosziert. Die Schlafzimmer sind meist sehr<br />

geräumig; die Möblierung ist dürftig, Gefässe und Tücher,<br />

wie alles in Indien, alt und verschlissen. Zu jedem Schlaf­<br />

zimmer gehört ein eigner Nebenraum mit Waschtisch, Bade­<br />

vorrichtung und sonstiger Bequemlichkeit versehen, welcher<br />

ausser von dem zugehörigen Schlafzimmer nur noch von<br />

aussen von dem Wasserträger und dem Sweeper betreten<br />

wird, die jeden Augenblick bei der Hand sind, alles nach<br />

Gebrauch sogleich wieder in Ordnung zu bringen. Die<br />

Badevorrichtung besteht selten in einer Wanne, meist nur<br />

in einer cementierten Fläche mit erhöhtem Rande und<br />

einer Öffnung nach aussen, welche' gegen Schlangen mit­<br />

unter durch ein Sieb geschützt ist. Glasfenster sind spärlich<br />

und fehlen stellenweise ganz. Die Glasfabrikation war, wie<br />

man uns versicherte, in Indien noch nicht eingeführt. Auch<br />

alle Flaschen stammen aus Europa, und oft konnte man auf<br />

der Strasse einen Händler sehen, welcher alle Arten gebrauchter<br />

Flaschen für Wein, Bier, Limonade usw., wohl assortiert, feil


Das indische Hotel. Verpflegung in ihm. 23<br />

bot. Die Türen entbehren, wie schon bemerkt, fast immer<br />

der Schlösser; an ihre Stelle treten grosse eiserne Riegel,<br />

nach aussen wie nach innen. Man kann also beim Ausgehen<br />

sein Zimmer schliessen, nicht aber so, dass es nicht jeder<br />

öffnen könnte. Dennoch ist die Sicherheit in Indien eine<br />

grosse, zumal jedes Haus bei Tag und Nacht mehr oder<br />

weniger von Dienerschaft umlagert zu sein pflegt.<br />

Die Verpflegung in den Hotels ist meist sehr reichlich<br />

und gut, und viel grösser als die Gefahren von Tigern,<br />

Schlangen, Sonnenstich usw. ist die Gefahr, durch zu üppige<br />

Nahrung seiner Gesundheit zu schaden, zumal wenn man,<br />

wie die Engländer, tagtäglich seinen Whisky mit Soda trinkt<br />

und dabei den Zusatz des letzteren Elementes möglichst<br />

beschränkt. Französischer Rotwein und weisser Rheinwein<br />

sind überall, die halbe Flasche zu l1^ Rupien, zu haben,<br />

eine halbe Flasche bayrisch Bier kostet eine halbe Rupie.<br />

Am besten enthält man sich bei dem heissen Klima aller<br />

alkoholischen Getränke; wir nahmen zu den Mahlzeiten in<br />

der Regel nur Brauselimonade und haben uns sehr wohl<br />

dabei befunden. Die Mahlzeiten sind ähnlich wie schon auf<br />

dem' Schiffe: morgens beim Aufstehen Chota Häziri (Thee<br />

und Butterbrot), welches der Diener ins Schlafzimmer bringt,<br />

zwischen neun und zehn Uhr ein opulentes Frühstück mit<br />

Thee und allerlei Fleischgängen an der Wirtstafel, mittags<br />

ein Uhr eben daselbst Tiffin, das englische Luncheon, mit<br />

verschiedenen kalten Fleischgängen, und gegen Abend ein<br />

reichliches Diner, bestehend aus Suppe, Fisch, Fleisch,<br />

Geflügel, Gemüse, süsser Speise und dgl. Bei keiner Mahl­<br />

zeit fehlt das Obst: im Winter meist Bananen und Apfelsinen,<br />

zuletzt in Ceylon Anfang März erschienen auch Ananas und<br />

die köstlichen Mango's, eine Art Pflaume von der Grösse<br />

eines Gänseeies, welche man durch zwei Querschnitte zu<br />

beiden Seiten des Kerns in drei Stücke zerlegt, um dann<br />

mit dem Löffel das saftreiche gewürzige Fleisch auszuschöpfen.


24 HI. Bombay.<br />

Was am meisten in den indischen. Hotels zu wünschen<br />

übrig lässt, ist die Bedienung. Zwar sind Diener bei Tisch<br />

und auch für die Zimmer in reichlicher Anzahl vorhanden,<br />

aber sie sind wenig daran gewöhnt, für den Fremden zu<br />

sorgen, da fast jeder seinen eignen Diener auf Reisen mit<br />

sich führt. Ein solcher erhält monatlich etwa 20 Rupien,<br />

wofür er sich selbst kleidet und beköstigt und doch wohl<br />

noch die Hälfte ersparen und seiner Familie schicken kann.<br />

Ausser dieser Gage bezahlt man für ihn nur noch das Eisen-<br />

bahnbillet dritter Klasse, welches erstaunlich billig ist, etwa<br />

ein Siebentel der ersten Klasse kostet und für wenige Rupien<br />

von einem Ende Indiens zum andern in einer freilich nicht<br />

beneidenswerten Zusammenpferchung befördert. Ein solcher<br />

Diener ist sehr nützlich, ja dem Neuling ganz unentbehrlich.<br />

Er kennt in der Regel ganz Indien, vermittelt den Verkehr<br />

mit den Eingeborenen, besorgt Wagen und Gepäckträger<br />

und hilft bei Einkäufen, wobei er freilich vom Verkäufer<br />

seine Provision ganz offen beansprucht, und erhält. Auf<br />

der Eisenbahn besorgt er Erfrischungen, macht abends die<br />

Betten zurecht und rollt sie morgens wieder zusammen.<br />

In den Hotels macht er im Zimmer die Betten und bedient<br />

seinen Herrn bei Tische, wabei er ganz ungeniert in der<br />

Küche ein- und ausgeht und das Beste für seine Herrschaft<br />

zu erlangen sucht. Nachts schläft er auch bei der Winter­<br />

kälte, die freilich nicht gross ist, im Freien auf der Erde<br />

vor der Tür seines Herrn und ist morgens auf dessen ersten<br />

Ruf bei der Hand. Er begleitet diesen auf seinen Ausgängen,<br />

zeigt sich mit allen Verhältnissen vertraut und spricht ein<br />

gebrochenes, mitunter sehr drolliges Englisch. Dies ist<br />

das Ideal eines indischen Reisedieners, hinter welchem die<br />

Wirklichkeit allerdings oft erheblich zurückbleibt.<br />

Wir hatten versäumt, uns durch Freunde oder andre<br />

vertrauenswürdige Personen einen zuverlässigen Diener<br />

besorgen zu lassen, und trafen es infolgedessen nicht sehr


Reisediener. Lalu. Kastenvorurteile. 25<br />

glücklich. Schon bei unserem Eintritt in Watson's Hotel<br />

machte sich ein sauber in Eingeborenentracht gekleidetes<br />

Individuum mit uns zu schaffen, führte uns in unser Zimmer<br />

ein und wich seitdem nicht mehr von uns. Es war Lalu,<br />

unser erster Reisediener. Wir hielten ihn anfangs für einen<br />

Bediensteten des Hotels und durchschauten die Sachlage<br />

erst, als seine Verdienste in der Bemühung um unser Wohl­<br />

sein so gross geworden waren, dass es mir unbillig schien,<br />

ihn ohne triftigen Grund zu verabschieden, der sich dann<br />

im Verlaufe der Reise einstellte, wie noch zu berichten sein<br />

wird. Was mich für Lalu besonders einnahm, war der<br />

Umstand, dass er kein Mohammedaner, sondern ein wirk­<br />

licher Hindu war. Ich übersah, dass sich zu Dienern der<br />

Europäer nur die allerniedrigsten Kasten der Hindus her­<br />

geben, welche von den höheren Kasten mehr noch als<br />

Christen und Mohammedaner gemieden werden. Unser<br />

Lalu durfte es nicht wagen, das Haus unserer Hindufreunde<br />

zu betreten, denn ein allgemeiner Hausputz wäre die not­<br />

wendige Folge der Verunreinigung gewesen, in welche seine<br />

blosse Gegenwart das Haus gebracht haben würde. Einer<br />

Berührung mit dem ganz sauberen und hübschen Burschen<br />

wichen alle ängstlich aus. Eines Tages sass ich mit meinem<br />

Pandit, Veniräm, zu Bombay in meinem Hotelzimmer und<br />

hatte Sanskrit-Konversationsstunde, während Lalu sich im<br />

Zimmer hin und her mit Aufräumen zu schaffen machte.<br />

Es fiel mir auf, dass der Pandit ängstlich um sich blickte<br />

und hin und her rückte. Auf meine Frage, was es gebe,<br />

erwiderte er: „Wenn jener Mensch mich berühren sollte,<br />

so könnte ich mein Haus nicht betreten, ohne vorher ein<br />

Bad genommen und alle meine Kleider gewechselt oder<br />

gewaschen zu haben." — Diese Furcht der orthodoxen<br />

Hindus, durch Berührung mit einem Cüdra verunreinigt zu<br />

werden, erstreckt sich eigentlich auch auf alle Europäer,<br />

da sie im Prinzip sämtlich Qüdras sind. Indessen hat die


26 III. Bombay.<br />

Macht der Gewohnheit so weit gesiegt, dass fast alle Hindus<br />

dem Europäer zur Begrüssung die Hand reichen; selten<br />

geschah es, dass sie ihre Hände zurückhielten. Ängstlicher<br />

sind darin die weniger aufgeklärten Kreise, namentlich die<br />

Weiblein, welche gewöhnlich, wenn man ihnen in den engen<br />

Strassen begegnet, ihr Gewand fester über Gesicht und<br />

Busen zusammenziehen und den Europäer in vorsichtigem<br />

Bogen zu umgehen pflegen.<br />

Doch nun zurück zu Watson's Hotel, welches sich von<br />

den oben geschilderten Hotels des innern Indiens haupt­<br />

sächlich dadurch unterscheidet, dass es einen mehr europä­<br />

ischen Eindruck macht. Frei gelegen in der schönsten<br />

Gegend Bombays, in der Nähe der grossen Regierungs­<br />

gebäude und des Meeres, macht es mit seinen vierzehn<br />

Fenstern in der Front und acht in der Breite, vier Stock­<br />

werke hoch sich auftürmend, von aussen wie von innen<br />

einen stattlichen Eindruck. Im Erdgeschoss sind Läden,<br />

Post und die Bureauräume, eine Treppe hoch befinden sich<br />

die grossen Speisesäle, in denen Sommer wie Winter<br />

die Pankha über den Häuptern der Speisenden schwingt;<br />

die Flügeltüren weit geöffnet nach einer grossen Terrasse<br />

hin, auf der man, nach Tische seinen Kaffee einnehmend,<br />

unten auf dem freien Platze vor dem Hotel das bunteste<br />

Bild orientalischen Lebens hin und her wogen sieht. Da<br />

sind Hindus aus allen Kasten und allen Gegenden Indiens,<br />

dem Eingeweihten nach Stand, Geschäft und Heimat sofort<br />

an der Kleidung erkennbar; da sind Parsi's, Mohammedaner<br />

und Europäer, Halbkasten, Juden, zum Christentum Über­<br />

getretene, alle durch ihre Tracht charakteristisch unter­<br />

schieden. Auch fehlt es nie an Schaustellungen; Schlangen­<br />

bändiger, Menschen mit Affen, Hunden und anderen Tieren<br />

produzieren sich unter dem Klang der Trommel und dem<br />

Rasseln der Geidbüchse, in der sie die von oben ihnen<br />

zugeworfenen Silber- und Kupfermünzen sammeln.


Watsons Hotel. Treiben vor ihm. Nächtliche Ruhestörungen. 27<br />

Trotz dieser vielen Unterhaltungen, trotz der schönen<br />

Lage, der komfortabeln Einrichtung und der vorzüglichen<br />

Küche, kann man nicht sagen, dass der Aufenthalt in<br />

Watson's Hotel ein besonders angenehmer gewesen wäre.<br />

Es war ein ewiges Kommen und Gehen; jede Woche, wenn<br />

ein neuer Dampfer von Europa ankam, füllte sich das Hotel<br />

mit unruhigen Gästen, die dann wenige Tage darauf wieder<br />

verschwanden, um landeinwärts zu fahren. Selbst nachts<br />

wollte keine rechte Ruhe eintreten. Das war ein unaufhör­<br />

liches Trampeln auf den Korridoren, Werfen der Türen,<br />

lautes Rufen nach dem „Boy" (so pflegen die Engländer<br />

den Diener zu nennen), bis Mitternacht und noch später.<br />

Schloss man die Tür des Schlafzimmers und öffnete nur die<br />

grossen Flügelfenster, so war es, bei dem Mangel an Zugluft,<br />

die Hitze (in der Nacht meist 20°, bei Tage 25° R.), welche<br />

das Einschlafen erschwerte; öffnete man Tür und Fenster<br />

so weit wie möglich, so wurde man durch das Schwatzen<br />

oder Schnarchen der Diener auf den Korridoren und die<br />

Rücksichtslosigkeit der Gäste immer wieder aufs neue<br />

geweckt. Wir zogen es daher vor, bei unserem zweiten<br />

Aufenthalte in Bombay, namentlich auch um unseren Freunden<br />

näher zu sein, in einem Klub der Eingeborenen Wohnung<br />

zu nehmen, wovon noch zu berichten sein wird.<br />

Wir waren kaum zwei Stunden im Hotel, als ein halbes<br />

Dutzend Eingeborener uns zu sprechen wünschte. Zwar<br />

unser einziger Bekannter in Bombay, Mansukhläl Nazar, war<br />

nach Calcutta gereist, wo wir ihn später trafen, aber er hatte<br />

seine Brüder, den würdigen, gesetzten Atmaräm und den<br />

liebenswürdig heiteren Utsavläl beauftragt, für uns zu sorgen.<br />

Sie erschienen, begleitet von einem indischen Prinzen, Baldevi,<br />

der zwar ebenso wie die anderen in europäischer Kleidung<br />

auftrat, nur dass sein Haupt von einem mächtigen Turban<br />

bedeckt und seine Finger und Ohren mit kostbaren Ringen


28 HL Bombay.<br />

geziert waren. Da er des Englischen nicht hinreichend<br />

mächtig war, um der Unterhaltung zu folgen, so pflegte er<br />

sich mit Kauen des Tämbülam zu beschäftigen, dessen ver­<br />

schiedene Ingredienzien er in einer grossen, silbernen Dose<br />

immer mit sich führte. Ihm folgten sein junger Neffe und<br />

einige andere Personen, sodass unser Wunsch, in Verkehr<br />

mit den Eingeborenen zu treten, sogleich in schönster Weise<br />

in Erfüllung ging.<br />

Es wurden nun zunächst die Empfehlungsbriefe nach<br />

Städten geordnet, die für Bombay bestimmten herausgeholt,<br />

die Gelegenheit der verschiedenen Besuche besprochen, allerlei<br />

Ausflüge projektiert und interessante Personen bezeichnet,<br />

welche unsere Freunde uns zuzuführen versprachen. Im<br />

ganzen lieben es die Eingeborenen nicht, dass man sie in<br />

ihren Wohnungen besucht, teils weil dieselben oft etwas<br />

dürftig ausgestattet sind, teils noch aus einem Reste von<br />

religiöser Bedenklichkeit. Um so bereitwilliger sind sie, den<br />

Fremden im Hotel aufzusuchen, und so verging kein Tag, an<br />

dem wir nicht morgens und nachmittags einen Kreis von<br />

Eingeborenen um uns gehabt hätten. Manche waren europäisch<br />

gekleidet; die meisten, namentlich die Pandit's, erschienen in<br />

einheimischer Tracht. Den Turban oder sonstige Kopfbe­<br />

deckung pflegen sie nie abzusetzen, schon weil dabei aus<br />

dem, übrigens kurz geschorenen, Haare eine lange Locke, die<br />

aus religiösen Gründen getragen wird, herunterfallen würde.<br />

Hingegen ziehen die national Gekleideten ihre Schuhe stets<br />

vor der Türe aus und erscheinen im Zimmer in Strümpfen<br />

oder auch mit nackten Füssen. Da sie gewohnt sind, auf<br />

dem Boden mit untergeschlagenen Beinen zu hocken, so ist<br />

ihnen das Sitzen auf dem Stuhle nicht sehr bequem, und oft<br />

konnte ich beobachten, wie sie, im Läufe der Unterhaltung,<br />

ein Bein nach dem andern in die Höhe zogen, bis sie beide<br />

auf der Sitzfläche des Stuhles zu der ihnen gewohnten,<br />

Padmäsanam genannten, Stellung in einander schlugen. In


Seite 28.<br />

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Besuch Eingeborener. Bombay. Fahrgelegenheiten. 29<br />

der Unterhaltung sind sie lebhaft und angenehm, stets wiss­<br />

begierig, naiv und mitunter geistreich. Sind ihrer viele zu­<br />

sammen,, so wird das Gespräch leicht überlaut und geht sehr<br />

durcheinander.<br />

Eine Schilderung von Bombay, dieser neben Calcutta<br />

grössten und elegantesten Stadt Indiens, wird man uns er­<br />

lassen. Die herrliche Lage der Stadt auf einer Landzunge<br />

zwischen dem offenen Meer im Westen und dem seeartig<br />

ausgebreiteten Hafen im Osten,, das südliche europäische<br />

Viertel mit seinen zahlreichen Prachtgebäuden, die nördlich<br />

davon sich ausbreitende Eingeborenenstadt mit ihren engen<br />

Strassen und dem unglaublichen Gewimmel, welches die­<br />

selben belebt, — das alles. ist oft genug beschrieben worden.<br />

Wie die meisten indischen Städte dehnt sich Bombay<br />

nach Norden hin weit aus, die Entfernungen zwischen den<br />

einzelnen Punkten sind oft. sehr gross, und mancherlei Fahr­<br />

gelegenheiten bieten sich, dar. Da sind zahlreiche Pferde­<br />

bahnen, deren Pferde richtige Sonnenhüte zum Schutz gegen<br />

den Sonnenstich tragen, und deren nach allen Seiten offene<br />

und stets sehr besetzte Wagen die interessantesten Studien<br />

über Völkertypen und Kostüme aus unmittelbarer Nähe ge­<br />

statten. Da sind zahllose Wagen, mit denen durch die engen,<br />

volkreichen Gassen mitunter schwer durchzukommen ist, vor­<br />

nehme Privatwagen, zu denen die Pferde meist aus Australien<br />

importiert werden, ferner die verschiedensten Arten von<br />

Droschken, von den elegantesten an bis herunter zu der<br />

billigen und bescheidenen, nur von Eingeborenen benutzten<br />

Ekka, welche als einzigen Sitz die Bodenfläche des Wagens<br />

bietet und meist von Ochsen gezogen wird, die, mit einem<br />

durch die Nase laufenden Strick gelenkt, in ziemlich raschem<br />

Tempo durch die Strassen traben. Endlich läuft auch eine<br />

Lokaleisenbahn westlich von Bombay am Meere entlang mit<br />

einem halben Dutzend Stationen für die Stadt nach Norden


30 HI. Bombay.<br />

hin, an Malabar Hill vorbei,; in die Gegend hinaus. Malabar<br />

Hill ist ein nördlich von Bombay in das westliche Meer aus­<br />

laufender Bergrücken, welcher auf: seinen schöngeformten und<br />

bewaldeten Höhen ausser den Türmen des Schweigens, dem<br />

berühmten Bestattungsplatze der Parsi's, zahlreiche Villen und<br />

Tempel trägt. Dorthin war der erste Ausflug gerichtet, den<br />

wir unter Leitung unserer Freunde gegen Abend unternahmen.<br />

Der gefürchtete Sonnengott war in dem westlichen Meere<br />

verschwunden, rasch und fast ohne Dämmerung folgte die<br />

Nacht, als wir auf Malabar Hill anlangten, wo im Eingeborenen­<br />

viertel gerade ein kleines Volksfest stattfand. Überall hockten<br />

die Menschen vor den Häusern, zahlreiche Lämpchen mit<br />

Kokosöl brannten bei der, wie gewöhnlich in Indien, ganz<br />

unbewegten Luft auf offener Strasse, und mit Erstaunen sahen<br />

wir die vielfach beinah völlig nackten Menschen sich zwischen<br />

denselben hindurch und um uns her bewegen. Unsere Ab­<br />

sicht war, einen Heiligen zu besuchen, welcher zahlreiche Ver­<br />

ehrer hatte und von ihnen als ein geistlicher Gewissensrat<br />

vielfach in Anspruch genommen wurde., Eben kehrte er von<br />

einer Ausfahrt heim, ehrerbietig machte die Menge seinem<br />

Wagen Platzj auf dem er mit seinem Begleiter sass, der. vor<br />

ihm mit leisem Gesang einige Verse des Veda rezitierte. Der<br />

Wagen bog in einen geräumigen Hof ein, und einer der<br />

Freunde folgte, um eine Audienz für uns zu erwirken. Sie<br />

wurde nach einigen Unterhandlungen bewilligt, unter der<br />

Bedingung, dass wir unser Schuhwerk ablegten. Dies ge­<br />

schah, wie. in der Folge noch sehr oft bei ähnlichen Gelegen­<br />

heiten, und bald empfand ich diesen Brauch bei, der indischen<br />

Hitze so sehr als eine Wohltat, dass ich auch unaufgefordert<br />

gern die schweren Stiefel wegwarf und mich, in Strümpfen<br />

auf dem Teppich unter den Eingeborenen niederliess, welche<br />

diese Achtung vor ihrer Sitte immer sehr hoch aufnahmen.<br />

Der Heilige sass mit untergeschlagenen Beinen auf einem,er­<br />

höhten Diwan, um ihn herum ein grösserer Kreis von Ver-


Auf Malabar Hill. Audienz bei einem Heiligen. Veniräm. 31<br />

ehrern, und ihm gegenüber in angemessener Entfernung nahm<br />

ich mit meiner Frau auf dem Teppiche Platz. Die Unter­<br />

haltung begann, aber der heilige Mann sprach sein Sanskrit<br />

so schnell, dass mir vieles entging und wiederholt einer der<br />

Anwesenden den Faden des wie gewöhnlich um Veda-<br />

Fragen sich drehenden Gespräches auf englisch wieder an­<br />

knüpfen musste. Professor Peterson, dem ich am anderen<br />

Tage mein Leid klagte, tröstete mich damit, dass diese<br />

Heiligen oft ein sehr schlechtes Sanskrit sprächen und die<br />

Fehler desselben durch Schnelligkeit des Sprechens geschickt<br />

zu verstecken suchten. Übrigens besorgte er mir einen jungen<br />

Pandit, der nun täglich in mein Hotel kam und mit mir Kon­<br />

versationsübungen abhielt.<br />

Veniräm, so hiess der junge, fünfundzwanzigjährige Ge­<br />

lehrte, war der vollkommene Typus eines indischen Pandit.<br />

Von Europa und europäischen Dingen wusste er gar nichts.<br />

Die englische Sprache war ihm, so nahe dem heutigen Inder<br />

ihr Studium liegt, völlig unbekannt, ja er verabscheute die­<br />

selbe offenbar als etwas Unheiliges, Unreines, und diese<br />

Furcht, sich durch Ausländisches zu beflecken, erstreckte<br />

sich sogar auf die lateinischen Buchstaben. Wenn ich mit<br />

ihm meine in Aussicht stehende Reise durch Indien besprach<br />

und die Karte entfaltete, so. war er nicht im stände, einen<br />

Namen selbst zu lesen. Um so vertrauter war er in seiner<br />

eigenen Welt, wenn er auch mit manchem, als zu heilig für<br />

mich, zurückhielt. Wie alle erwachsenen Inder, war er ver­<br />

heiratet, hatte aber Frau und Kinder in seinem Heimatsdorf<br />

zurückgelassen und war nach Bombay gekommen, um auf<br />

der Bibliothek von Elphinstone College mit Vergleichen von<br />

Handschriften und Anfertigen von Katalogen mühsam seinen<br />

Lebensunterhalt zu verdienen; Sein Vater hatte; wie so viele<br />

Inder in höherem Alter, sich von allen Banden des Lebens<br />

gelöst und war nach Benares gegangen, um dort als Asket<br />

zu leben. Veniräm. gab mir einen Empfehlungsbrief an den-


32 III- Bombay.<br />

selben mit, der jedoch durch einen Zufall nicht in die Hände<br />

des Adressaten, sondern in die eines anderen Asketen ge­<br />

langte, wovon noch zu erzählen sein wird. In Bombay lebte<br />

Veniräm streng, nach den Vorschriften seiner Religion. Er<br />

stand allmorgendlich um vier Uhr auf, und nachdem er einen<br />

Augenblick an seine Schutzgottheit gedacht, nahm er das<br />

Morgenbad, trug mit roter Farbe das Sektenzeichen auf die<br />

Stirn auf, verrichtete seine Morgenandacht, die sogenannte<br />

Päjä, über deren Inhalt er nähere Auskunft verweigerte, las<br />

ein Kapitel aus den Upanishad's und wandte sich dann, ohne<br />

etwas genossen zu haben, den Geschäften des Tages zu.<br />

Seine beiden Mahlzeiten nahm er des Morgens etwa um elf<br />

und abends um acht Uhr ein. Er bereitete dieselben selbst,<br />

da kein anderes Mitglied seiner Kaste ihm zur Hand war,<br />

wie er auch seine Hausarbeiten und das Waschen und In­<br />

standhalten seiner Kleidung allein besorgte. Seine Kleidung<br />

war natürlich rein indisch: ausser dem stattlichen Turban<br />

und den stets vor der Türe gelassenen Schuhen bestand sie<br />

aus einer Anzahl von Zeugstücken aus dünnem, meist weissem<br />

Baumwollenstoff. Am meisten charakteristisch für den indischen<br />

Anzug ist das gänzliche Fehlen der Hose, welche durch einen<br />

langen, kunstvoll um Lenden und Beine geschlungenen Zeug­<br />

streifen ersetzt wird. In ähnlicher Weise war der Oberkörper<br />

eingehüllt, und den Abschluss bildete ein stattliches Plaid aus<br />

Kaschmirwolle. Viele Hindus bedürfen zu ihrer Kleidung<br />

gar keines Schneiders. Die Mehrzahl allerdings bedient sich<br />

zur Bedeckung des Oberkörpers bei kühlerem Wetter eines<br />

überzieherartigen Rockes mit Ärmeln. Von diesem abgesehen,<br />

wird die ganze Kleidung täglich neu gewaschen. Die Hindus<br />

erscheinen daher meist sehr sauber und appetitlich, auch<br />

bei dem täglich zweimaligen Baden völlig geruchlos, hingegen<br />

machen sie sich garnichts daraus, wenn ihre Gewandstücke<br />

hier und da kleine Risse zeigen. Noch einfacher ist die<br />

Tracht der Weiber im südlichen Indien. Sie soll sich oft


Indische Lebensweise und Kleidung. Morgenspaziergang. 33<br />

auf ein einziges weisses, rotes oder bei den Witwen schwarzes<br />

Stück Zeug beschränken, welches für gewöhnlich den ganzen<br />

Körper, namentlich auch den Kopf überdeckt, bei der Arbeit<br />

aber so in die Höhe geschlungen wird, dass die Arme und<br />

Beine von den Schenkeln abwärts ganz nackt bleiben, was<br />

den Inderinnen bei ihren zarten und schönen Körperformen<br />

ein sehr graziöses Aussehen gibt.<br />

Mein Pandit erschien täglich, nachdem ihm in der ersten<br />

Zeit von den Bediensteten des Hotels der Zutritt einige Male<br />

verweigert worden war. Wir lasen und sprachen miteinander<br />

eifrig Sanskrit, und für diese Vorübung bin ich ihm vielen<br />

Dank schuldig. Am Schluss des Kursus überreichte ich ihm<br />

fünfundzwanzig Rupien, was auf die Sitzung etwa eine Rupie<br />

ausmachen mochte. Aus der Anhänglichkeit, die er auch<br />

weiterhin und bei meinem zweiten Aufenthalte in Bombay<br />

bezeigte, glaubte ich entnehmen zu dürfen, dass er diese<br />

massige Entschädigung für eine reichliche ansah.<br />

Unsere Lebensführung in Bombay regelte sich durch die<br />

Natur des Klimas ganz von selbst. Morgens um sechs, wenn<br />

die ersten Sonnenstrahlen durch die mächtigen, im herr­<br />

lichsten Grün prangenden Bäume glitzerten, wenn das Krächzen<br />

der von Baum zu Baum fliegenden Krähen sich in das süsse<br />

Gezwitscher der kleinen grünen Papageien und der anderen<br />

überaus zahlreich in Indien vorhandenen Vögel mischte, wurde<br />

schnell aufgestanden und in der Morgenfrische ein Spazier­<br />

gang gemacht, meistens an dem westlich gelegenen Meere<br />

entlang, wo zwischen Stadt und See ein weiter, prächtige<br />

Promenaden bietender Landstreifen sich hinzieht, den die<br />

Betriebsamkeit der Engländer dem Meere abgerungen, was<br />

sie mit keckem Worte eine Reclamation nennen, — als<br />

wenn ihnen der Ozean diesen Landstreifen schuldig gewesen<br />

wäre. Hier konnte man namentlich die an ihren hohen<br />

schwarzen randlosen Mützen sofort kenntlichen Parsi's bei<br />

ihrer Morgenandacht beobachten, wie sie, Gebete murmelnd,<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 3


34 HL Bombay.<br />

sich auf den Boden warfen und mit dem heiligen Nass die<br />

Stirn und andere Körperteile besprengten. Oder wir ge­<br />

langten hinauf bis Malabar Hill, wo die Hindus in zahl­<br />

reichen Tempeln vor ihren Göttern knieten, ihren für sie die<br />

Gebete sprechenden Priestern einige Kupferstücke spendeten<br />

und in den anstossenden Teichen badeten. Unter anderen<br />

kuriosen Religionsübungen bemerkte ich, wie eine alte Frau<br />

unter Gebeten aus einem Gefässe Wasser sprengte und dabei<br />

unverwandt in die Sonne starrte. Meine Freunde versicherten,<br />

dass sie dies schon seit zwanzig Jahren betreibe, ohne dass<br />

es ihren Augen geschadet habe. Credat Judaeus Apella! —<br />

Um neun Uhr war man froh, bei zunehmender Hitze im<br />

Hotel zum Frühstück zurück zu sein. Der weitere Vormittag<br />

wurde dann, soweit nicht Besucher sich einstellten, der Arbeit<br />

gewidmet. O wie belebt sich, in einer solchen Umgebung,<br />

das Studium des Sanskrit! Welche konkrete Gestalt nehmen<br />

hier, wo das alles noch so lebendig ist, der Rigveda und<br />

die Upanishad's, die indischen Dramen und Romane an!<br />

Ich hoffe, dass die Zeit kommen wird, wo jeder deutsche<br />

Sanskritgelehrte es möglich machen kann, wenigstens einmal<br />

in seinem Leben Indien zu besuchen.<br />

Mittags nach eingenommenen Tiffin wurde während der<br />

grössten Tageshitze geruht, und nur ungern Hessen wir uns<br />

durch Besuche stören. Gegen vier Uhr aber erschienen<br />

unsere Freunde, der schwere Sonnenhelm konnte mit einem<br />

leichten Filzhute vertauscht werden, und nun ging es hinaus<br />

in die Stadt oder die Umgegend. Einer der reizendsten<br />

Ausflüge geht nach Elephanta, einer in dem östlichen Hafen­<br />

see gelegenen, von Bombay eine gute Stunde entfernten Insel<br />

mit den berühmten in den Felsen hineingearbeiteten und so<br />

halb unterirdischen Tempeln, von deren Säulen und Skulpturen<br />

trotz der Zerstörungswut der Mohammedaner noch stattliche<br />

Reste übrig geblieben sind. Wir bestiegen eines Sonntags<br />

nachmittags, zwölf Mann hoch, ausser mir und meiner Frau


Seite 34.<br />

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Morgen auf Malabar Hill. Ausflug nach Elephanta. 35<br />

lauter Eingeborene, ein Segelboot; der heitere Utsavläl hatte<br />

alle Bestandteile einer Hindu-Mahlzeit in Körben aufs Boot<br />

bringen lassen, er selbst schleppte sich mit einem Harmo­<br />

nium, und nun trieb uns der Wind, während allerlei Hindu-<br />

Lieder gesungen und gespielt wurden, über die glatte Fläche<br />

an den Häusern, Fabriken und Schiffswerften der Stadt ent­<br />

lang auf die hochragende Insel zu. Ein schöner Treppen­<br />

weg führte vom Ufer empor zu den auf halber Höhe ge­<br />

legenen Tempelhöhlen. Vergebens sah ich mich nach den<br />

Schlangen um, die nach Freund Garbe's Schilderung hier zu<br />

erwarten waren. Ohne Schwierigkeit und Gefahr erreichten<br />

wir die Tempel und betrachteten die in die Wände ge-<br />

meisselten Kolossalbilder, welche dem Leser gewiss aus<br />

Abbildungen bekannt sind, bis das von einer Seite herein­<br />

fallende Licht abnahm, und die Abenddämmerung diese<br />

steinernen Zeugen indischer Religion und Kunst einhüllte.<br />

Dann wurde draussen vor dem Tempel das Hindu-Mahl ein­<br />

genommen, und auch der durch widrigen Wind erschwerte<br />

Rückweg wurde uns bei der herrschenden fröhlichen Stimmung<br />

nicht zu lang. In der Heimat wird ein ernster Mann sich<br />

zu solchem harmlosen Zeitvertreib nicht leicht hergeben, hier<br />

aber bot er eine willkommene Gelegenheit, das eigenartige<br />

Treiben des fremden Volkes in seinem fernen Lande zu be­<br />

obachten. Und so wurden wir von Tag zu Tag mehr mit<br />

Sitten und Denkungsart der Hindus bekannt und werden<br />

nach und nach noch manches davon unserer Darstellung ein­<br />

flechten.<br />

Hier wollen wir zunächst der Totenbestattung gedenken,<br />

welche für die drei Religionen, aus denen hauptsächlich die<br />

Bevölkerung Bombay's sich zusammensetzt, eine charakteristisch<br />

verschiedene ist. Während nämlich die Mohammedaner ähnlich<br />

wie wir ihre Toten begraben, so werden dieselben von den<br />

Hindus verbrannt und von den Parsi's den Geiern zum<br />

Frasse ausgesetzt. Beides verdient eine nähere Schilderung.<br />

3*


36 HI. Bombay.<br />

Der Verbrennungsplatz der Hindus liegt in Bombay<br />

westlich von der Stadt bei der Station Marine Lines in der<br />

Nähe des Meeres. Es ist ein grosses, von hohem Zaun<br />

umfriedigtes Grundstück, von dem man schon von aussen bei<br />

Tage den Rauch, bei Abend einen Funkenregen aufsteigen sieht.<br />

Der Zutritt ist auch Fremden, wenn sie eingeführt werden,<br />

gestattet, und man kann von einem für die Träger und<br />

Leidtragenden abgeteilten Raum aus bequem den Ver-<br />

brennungsprozess in seinen verschiedenen Stadien beobachten.<br />

Die völlige Verbrennung einer Leiche nimmt vier Stunden in<br />

Anspruch, aber in der Regel trifft man mehrere Leichen an,<br />

an denen sich Anfang, Mitte und Ende der Ceremonie<br />

gleichzeitig betrachten lässt. Bei der durch die Hitze be­<br />

schleunigten Verwesung wird der Leichnam meist schon<br />

wenige Stunden nach eingetretenem Tode vom Kopf bis zu<br />

den Füssen in weisse Tücher gewickelt und von Trägern<br />

zum Friedhofe gebracht. Zwischen vier eisernen in der Erde<br />

steckenden Stangen werden ein bis zwei Meter lange dicke<br />

Holzscheite einen Meter hoch aufgeschichtet, der Leichnam<br />

wird darauf gelegt und über ihn wieder eine Lage Holz.<br />

Inzwischen wird daneben ein kleines Feuer vorbereitet; in<br />

Bombay wird dasselbe von dem häuslichen Herde des Ver­<br />

storbenen mitgebracht; in Benares, wo viele auswärtige, oft<br />

von weit her kommende Leichen verbrannt werden, muss das<br />

Feuer von einer stets gegenwärtigen niederen Kaste gekauft<br />

werden. Es folgen noch einige Ceremonien; namentlich muss<br />

der nächste Angehörige des Verstorbenen, oft ein junger<br />

Knabe, aus einem Kruge Wasser um den Scheiterhaufen<br />

herum und auf denselben giessen und dann den Krug<br />

zerbrechen. Hierauf wird das kleine vorbereitete Feuer in<br />

den grossen Scheiterhaufen eingefügt, bald prasseln die<br />

Flammen hoch empor und ergreifen ein Glied des Toten nach<br />

dem andern. In drei bis vier Stunden ist der Leichnam bis<br />

auf einige Knochen völlig verbrannt. Diese nebst der Asche


Leichenverbrennung. Semitischer Typus der Parsi's. 37<br />

werden in Benares in den unmittelbar daneben fliessenden<br />

Ganges gestossen; was an anderen Orten damit geschieht,<br />

ist mir nicht bekannt. Ein Priester, der einige Sprüche<br />

murmelt, auch wohl eine kleine Ansprache hält, ist nur aus­<br />

nahmsweise gegen besondere Bezahlung zugegen. Die<br />

Stimmung ist nicht sehr andächtig, nur einmal hörte ich eine<br />

Frau über ihren verstorbenen Gatten wehklagen; meist sehen<br />

die Leute anscheinend gleichgültig zu, mitunter plaudern<br />

sie dabei ganz vergnügt miteinander. Die Inder nehmen es<br />

mit dem Sterben weniger schwer; der Tod ist nur eine<br />

einzelne Station auf der grossen Reise für die wandernde<br />

Seele.<br />

Ganz anders sind die Gebräuche bei den Parsi's, welche<br />

in Bombay einen beträchtlichen und angesehenen Teil der<br />

Bevölkerung ausmachen. Die Parsi's sind die Nachkommen<br />

der alten Perser, welche, als der Islam mit Feuer und Schwert<br />

Persien eroberte, sich mit ihrer Religion und dem Reste<br />

ihrer heiligen Bücher, dem Avesta, nach dem toleranten<br />

Indien retteten, wo sie unter gewissen Bedingungen auf­<br />

genommen wurden und gegenwärtig zu den reichen Kauf­<br />

leuten Bombay's ein bedeutendes Kontingent stellen. Die<br />

Perser sind, wie die Sprache des Avesta beweist, ursprüng­<br />

lich unzweifelhaft Indogermanen, und dieser Tatsache gegen­<br />

über ist es sehr befremdlich, dass die Parsi's in Bombay<br />

vielfach einen ausgeprägt semitischen Typus tragen und<br />

nicht nur in Gesicht und Körperbildung sondern auch in<br />

Wesen und Manieren stark an unsere Juden erinnern. Unter<br />

meiner Sammlung von Photographien befindet sich eine<br />

Gruppe junger Parsi-Damen, welche, von üppigen Körper­<br />

formen und zum Teil von hoher Schönheit, ein deutlicher<br />

Ausdruck dessen sind, was wir eine beaute juive zu nennen<br />

pflegen. Und so finden wir bei den Parsi's dieselbe Be­<br />

triebsamkeit und Freude am Erwerb, dieselbe liebenswürdige<br />

Zugänglichkeit und mitunter etwas lästige Aufdringlichkeit,


38 HI. Bombay.<br />

wie bei unseren Juden. Woher diese Erscheinung? Ich<br />

kann sie mir nur daraus erklären,. dass die Perser nach der<br />

Eroberung von Babylonien und Assyrien durch Cyrus mit<br />

der dort einheimischen semitischen Bevölkerung eine weit­<br />

gehende Vermischung eingegangen sind, und dass die<br />

zähe Lebenskraft der semitischen Rasse sich bis zu den<br />

heutigen Parsi's herab behauptet hat. Auch das haben die<br />

Parsi's mit den Juden gemein, dass sie im Gegensatze zu<br />

den höchst konservativen Hindus fortschrittlich gesinnt und<br />

zu Reformen geneigt sind. Sie haben vortrefflich organisierte<br />

Schulen, nicht nur für Knaben sondern auch für Mädchen,<br />

in denen auf Gujerati allerlei Wissensdisziplinen gelehrt, auch<br />

der Unterricht in der Gymnastik nicht versäumt wird. Die<br />

Hindus folgen ihnen hierin langsam nach, aber wiederholte<br />

Besuche derartiger Anstalten haben in mir den Eindruck<br />

hinterlassen, dass die Schulen der Hindus hinter denen der<br />

Parsi's zurückstehen. Auch darin sind die Parsi's von dem<br />

Herkommen abgewichen, dass sie die Verheiratung der Kinder<br />

abgestellt haben, doch ist es vielen unter ihnen zweifelhaft,<br />

ob sie mit dieser Neuerung nicht zu rasch und unvermittelt<br />

vorgegangen sind.<br />

Wir hatten das Glück, in Herrn Chichgar einen sehr<br />

liebenswürdigen älteren Parsi-Gentleman kennen zu lernen,<br />

der uns nicht nur in seine Familie einführte sondern auch<br />

sonst alles Mögliche tat, uns gefällig zu sein. Zwar den<br />

Parsi-Tempel, in dessem Inneren das nie verlöschende<br />

heilige Feuer brennt, behauptete er nicht zeigen zu dürfen;<br />

dafür aber erbot er sich, uns nach Malabar Hill zu den<br />

Türmen des Schweigens, dem berühmten Begräbnisorte der<br />

Parsi's zu geleiten. In Gesellschaft eines Parsi-Priesters<br />

holte er uns eines Morgens früh mit seinem Wagen im Hotel<br />

ab; rasch war Malabar Hill erreicht, und nun führte ein an­<br />

mutiger Fussweg zu dem Bergrücken hinauf. Auf der Höhe,<br />

mit wundervoller Aussicht auf Bombay und das Meer, liegt


Gruppe junger Parsi-Damen. Seite 38.


Schulen der Parsi's, Die Türme des Schweigens. 39<br />

hier weit sich erstreckend der Friedhof der Parsi's; mit Ge­<br />

büsch und Blumen verziert, von wohlgepflegten Wegen<br />

durchzogen, hat er ganz die weihevolle Stille eines christ­<br />

lichen Kirchhofs, nur dass hier keine Gräber sich finden,<br />

sondern an Stelle derselben in ziemlicher Entfernung von<br />

einander eine Anzahl runder Türme, nicht höher als ein<br />

zweistöckiges Haus, aber so breit wie ein grosser Circus.<br />

Eine einzige, stets verschlossene Eisenpforte führt in das<br />

Innere, welches sich zu einer tellerartigen, ringsum von<br />

mannshohen Mauern eingeschlossenen, nach oben offenen<br />

Fläche ausbreitet. Durch zwei konzentrische Kreise ist diese<br />

Fläche in drei Teile zerlegt, in deren jeder zahlreiche Rillen<br />

rund herumlaufen zur Aufnahme der Leichen, die innere Kreis­<br />

fläche für Kinderleichen, die beiden sie umgebenden für<br />

solche von Erwachsenen. Ein Modell im Wartehause am<br />

Eingang zeigt die ganze Einrichtung. Das Innere der Türme<br />

selbst darf niemand betreten, auch kein Parsi, mit Ausnahme<br />

der gut bezahlten, aber als unrein gemiedenen Leichenträger.<br />

Diese bringen die in Tücher eingewickelte Leiche auf ihren<br />

Schultern herauf, gefolgt von dem Zuge der Leidtragenden.<br />

In angemessener Entfernung von den Türmen machen alle<br />

Halt, die letzten Ceremonien werden vollzogen, und dann<br />

bringen die Träger allein den Leichnam durch die geöffnete<br />

Eisenpforte in den Turm, wodurch sie für immer den Blicken<br />

der Menschen entzogen ist. Sofort stürzen sich mächtige<br />

Geier, deren man stets eine Anzahl um den Rand des Turmes<br />

sitzen sieht, auf die Leiche los, und es soll keine halbe<br />

Stunde dauern, bis alles bis auf die Knochen verzehrt ist.<br />

Die übrigen Gebeine werden nach einiger Zeit in ein<br />

Loch in der Mitte hinabgestossen, hier noch einem Des­<br />

infektionsprozesse unterworfen und dann vom Regen­<br />

wasser in das Meer hinausgespült. Der ganze Vorgang,<br />

in der würdigen und weihevollen Weise, wie er sich<br />

hier abspielt, hat durchaus nichts Abschreckendes, viel


40 III- Bombay.<br />

weniger jedenfalls als die christliche Gewohnheit des<br />

Begrabens.<br />

Es versteht sich, dass wir in Bombay, wie überall in<br />

Indien, fleissig die Tempel der Hindus besuchten. Doch<br />

geben sie mit ihren Götterbildern, denen vom Volke durch<br />

Vermittelung des den Tempel bedienenden Priesters unter<br />

Gebeten allerlei Blumen, Milch, Getreidekörner usw. dar­<br />

gebracht werden, keinen Begriff von dem altindischen<br />

Opferkultus zur Zeit des Veda, welcher weder Tempel noch<br />

Götterbilder kannte und den unsichtbaren Himmlischen die<br />

Opfergaben durch Vermittelung des Gottes Agni, d. h. des<br />

Opferfeuers, darbrachte. Nur vereinzelt und unter Ausschluss<br />

der weiteren Öffentlichkeit werden auch jetzt noch solche<br />

vedische Opfer veranstaltet. Mein grosser Wunsch war, ein<br />

solches zu sehen. Die Sache war nicht ohne Schwierigkeit,<br />

da die von meinen Freunden darum angegangenen Brahmanen<br />

ihre Einwilligung aus religiösen Bedenklichkeiten wieder­<br />

holt rückgängig machten. Endlich fanden sich ihrer viere<br />

bereit, am frühen Morgen im Garten unserer Freunde ein<br />

kleines Opfer zu veranstalten, bei dem ich mit meiner Frau<br />

vom Balkon des Hauses aus zusehen durfte und dafür als<br />

Yajamäna die Kosten der Opfermaterialien, sowie die<br />

Dakshinä (Opferlohn) an die Priester, zu entrichten hatte.<br />

Als wir ankamen, war die Sache bereits im Gange. Im<br />

Garten vor unseren Augen war ein viereckiges Loch in die<br />

Erde gegraben und etwas ausgemauert worden. In demselben<br />

flammte ein helles Feuer, und um dasselbe hockten drei<br />

Brahmanen, welche angeblich den Hotar, Adhvaryu und<br />

Udgätar vorstellten, während ein vierter als Brahmdn abseits<br />

sitzend die Handlung regierte. Um das Feuer herum be­<br />

fanden sich ein grosser Topf mit geschmolzener Butter,<br />

welche, löffelweise in das Feuer geschöpft, dasselbe hoch<br />

aufprasseln machte, ferner ein Bündel mit Kuca-Gras und


Seite 40.


Ein altvedisches Opfer. Ein indisches Theater. 41<br />

auf Blättern als Unterlage allerlei Körner von Getreide und<br />

Früchten. Die ganze Handlung beschränkte sich darauf, dass<br />

die drei Brahmanen alle drei ohne Unterschied unter Ab­<br />

singen von Vedaversen, aus denen ich das Purusha-Lied<br />

deutlich heraushörte, und Verneigungen gegen das Feuer<br />

immer in hockender Stellung die genannten Materien ins<br />

Feuer warfen. In einer halben Stunde war alles beendigt,<br />

und mir blieb nur noch die Ehre, 25 Rupien zu zahlen für<br />

ein Schauspiel, welches mit dem wirklichen altvedischen<br />

Opfer doch nur eine geringe Ähnlichkeit haben mochte, immer­<br />

hin aber der Phantasie einigen Anhalt bot, da das Gesehene,<br />

wenn auch stark reduziert, doch auf alte Traditionen zurück­<br />

gehen dürfte.<br />

Mehr Ursprüngliches mag das nationale Theater der<br />

Hindus sich erhalten haben, namentlich wenn antike oder<br />

der Antike nachgebildete Stücke gespielt werden. Der<br />

Dichter eines solchen war unser Freund Vicvanäth, dessen<br />

Stück die übertriebene, allen Versuchungen Trotz bietende<br />

Wahrheitsliebe des Hariccandra zum Gegenstand hatte und<br />

eben in Bombay gespielt wurde. Der Dichter lud uns ein,<br />

einer Vorstellung beizuwohnen; zwei Ehrenplätze unmittelbar<br />

vor der Bühne waren für uns reserviert; neben uns sass der<br />

Dichter, um den Gang der Handlung zu erklären, hinter<br />

uns ein zahlreiches Publikum, lauter Eingeborene; ein<br />

europäisches Gesicht habe ich nicht bemerkt. Zuschauerraum,<br />

Vorhang und Bühne waren von den Einrichtungen eines<br />

bescheidenen europäischen Theaters, wie man sie z. B. in<br />

Italien oder Spanien findet, nicht erheblich verschieden.<br />

Auf der Bühne, rechts und links vor dem Vorhange, hockten<br />

zwei Musiker; der eine spielte die Melodien auf einem<br />

Harmonium, der andere begleitete ihn auf mehreren Trommeln,<br />

die er in kunstvoller Weise mit dem Ballen und der Kante<br />

der blossen Hände zu schlagen wusste und dabei seinen


42 III- Bombay.<br />

von stattlicher Mütze gezierten Kopf nach dem Takte aufs<br />

zierlichste bewegte. Selten habe ich einen Menschen ge­<br />

sehen, der so ganz in seiner Beschäftigung aufging wie<br />

dieser Trommelschläger. Der Vorhang hob sich; ein Chor<br />

von Knaben, als Mädchen gekleidet, sang die Nändt. Hierauf<br />

folgte das übliche Zwiegespräch zwischen dem Sütradhära<br />

und der Primadonna, sodann das Stück, der Dialog in<br />

Gujerati, die häufig eingestreuten lyrischen Partien gesungen.<br />

Alle Rollen wurden von Männern und Knaben gespielt. Es<br />

ist eine besondere, geringere brahmanische Kaste, welche<br />

die Schauspielkunst als ihren angeborenen Beruf betreibt.<br />

Das Spiel war sehr sicher und von vortrefflicher Schulung;<br />

die Stimmen der Knaben in Dialog und Gesang waren<br />

frisch und hätten nur etwas weniger schrill sein dürfen.<br />

Die eigens zu dem Stücke komponierte Musik war ganz<br />

national indisch und hatte ihren eigentümlichen Reiz. Nur<br />

hier und da hatte der Komponist sich verleiten lassen, ein<br />

europäisches Motiv einzuflechten, was sich sofort störend<br />

bemerkbar machte und in dem Ganzen fast wie ein falscher<br />

Ton hervortrat. Das Stück, welches von edelmütigen Ge­<br />

sinnungen strotzte, spielte natürlich zum Teil im Himmel,<br />

der Rat der Götter versammelte sich; Agni, Indra, Varuna<br />

und viele andere Götter, an ihren traditionellen Kostümen<br />

leicht kenntlich, waren versammelt, der weise Närada trat<br />

zu ihnen, wurde höchst respektvoll empfangen, berichtete<br />

über die Verhältnisse auf Erden und wurde mit den Auf­<br />

trägen der Götter an die Menschen betraut. Andere Scenen<br />

spielen auf der Erde, am Hofe der Könige, wo der an<br />

konventioneller Kleidung leicht kenntliche Vidüshaka seine<br />

stets mit vielem Beifalle aufgenommenen Spässe macht, im<br />

Harem der königlichen Frauen, in den Hütten der Armen<br />

und in den Einsiedeleien des Waldes; und der Hauptgewinn<br />

von einer solchen Vorstellung ist vielleicht, dass viele<br />

Scenen des indischen Familienlebens, die dem Fremden


Eine Theatervorstellung. Einladung nach Baroda. 43<br />

stets verschlossen bleiben, hier auf der Bühne, ohne Zweifel<br />

in naturgetreuer Nachbildung, der Betrachtung offen gelegt<br />

werden. Einen Zwischenakt benutzte Vicvanäth, um uns<br />

auf die Bühne zu führen; wir wurden dem Direktor (Manager)<br />

vorgestellt, sahen, wie die Knaben die Ringe durch die Nase,<br />

welche sie als Prinzessinnen und andere indische Damen<br />

zu tragen hatten, und die nur durch eine Feder eingeklemmt<br />

waren, ablegten, wurden mit einigen Erfrischungen bewirtet<br />

und mussten es uns gefallen lassen, dass wir, wie in der<br />

Regel bei Besuchen in indischen Kreisen, mit mächtigen<br />

Blumenkränzen behangen, wieder zu unseren Parkettplätzen<br />

herabstiegen. Wir haben noch öfter in Baroda, Lucknow,<br />

Calcutta und wiederum in Bombay indische Theater besucht,<br />

aber der Eindruck des ersten Stückes war der tiefste und<br />

wird mir unvergesslich bleiben.<br />

Die Zeit rückte heran, wo wir Bombay zu verlassen<br />

gedachten. Wieder einmal sassen wir, von Besuchern<br />

umgeben, im Zimmer unseres Hotels, als ein neuer An­<br />

kömmling hinzutrat. Ich bat ihn, wie gewöhnlich in solchen<br />

Fällen, ohne mich weiter in meiner Unterhaltung stören zu<br />

lassen, Platz zu nehmen, als er freudig ausrief: „Kennen<br />

Sie mich nicht mehr? Ich bin Dhruva aus Baroda, den<br />

Sie damals in Berlin so freundlich aufnahmen. Ich<br />

habe in der Zeitung von Ihrem Hiersein gelesen und bin<br />

froh, Sie aufgefunden zu haben. Sie müssen," fuhr er fort,<br />

„mir auf der Durchreise ein paar Tage in Baroda schenken,<br />

wo ich als Richter angestellt bin. Richten Sie es ein, dass<br />

Sie auf einen Sonntag dort sind, dann bin ich frei und kann<br />

mich Ihnen ganz widmen." Gern sagten wir zu und ver­<br />

abredeten das Nähere. Einige Tage darauf schrieb uns Dhruva<br />

aus Baroda, dass der Fürst von Baroda zwar abwesend sei,<br />

dass aber der Premierminister des kleinen Ländchens sich<br />

freuen würde, uns als Gäste des Staates dort aufzunehmen.


Viertes Kapitel.<br />

Von Bombay bis Peshawar.<br />

p\er Abend unserer Abreise war gekommen. Unsere Freunde<br />

hatten uns die noch nötigen kleinen Koffer, einen<br />

Tiffin-Basket und die Betten, ohne welche man in Indien<br />

nicht reist, besorgt, sie hatten einpacken helfen und waren<br />

zahlreich in der letzten Stunde um uns. Dann ging es zur<br />

Bahn; der eine begleitete uns in seinem Wagen, der andere<br />

fuhr mit dem Gepäck, und wieder andere begaben sich<br />

nach dem Bahnhofe, um uns dort noch zum letzten Male<br />

die Hand zu drücken. Von den fünf Bombay-Stationen, an<br />

welchen der Nachtschnellzug hält, hatte ich die Ausgangsstation<br />

Colaba gewählt und war schon mit Sack und Pack eine<br />

Stunde vor Abgang dort, in der Erwartung, so am sichersten<br />

ein Coupe allein für mich und meine Frau zu erlangen.<br />

Diese Hoffnung erwies sich als eitel. Zwar waren wir mit<br />

die ersten Reisenden, und da stand der Zug, alle Türen<br />

geöffnet. Aber indem wir ihn abschritten, zeigte sich, dass<br />

kein Coupe erster Klasse mehr war, in welchem nicht schon<br />

einer oder mehrere Plätze durch Zettel als reserved bezeichnet<br />

waren. Für diesmal mussten wir vorlieb nehmen und<br />

richteten uns mit unseren acht Gepäckstücken, die man in<br />

Indien sämtlich in den geräumigen Coupes mitzunehmen<br />

pflegt, in einem Coupe ein, in das dann noch ein junger


Abreise von Bombay. 45<br />

Engländer einstieg, um seinen reservierten Platz einzunehmen.<br />

Die Freunde umdrängten die Tür unseres Wagens, der eine<br />

oder andere überreichte uns noch eine Erfrischung. In der<br />

Regel wählt man dazu eine Schachtel mit Trauben, welche<br />

in Indien selbst nicht wachsen, aber aus Afghanistan ein­<br />

geführt werden, und zwar in runden Holzschächtelchen, in<br />

denen, durch Watte getrennt, drei Schichten Beeren über<br />

einander zu liegen pflegen. Das Signal zur Abfahrt ertönte,<br />

noch einmal streckten sich alle Hände uns entgegen, dann<br />

fiel der Vorhang über dem lebensvollen Bilde. „Mit allen<br />

diesen Eingeborenen bin ich in den wenigen Wochen meines<br />

Aufenthaltes in Bombay befreundet geworden," sagte ich zu<br />

dem Engländer. „Wohl möglich; wir aber haben sie zu<br />

regieren, und das ist ganz etwas anderes," versetzte er mit<br />

Selbstgefühl und Bedeutung. Dann streckte er sich auf<br />

seiner unteren Bank; meine Frau nahm die gegenüberliegende<br />

ein, ohne für diese Nacht sich auskleiden zu können, und<br />

mir blieb nichts übrig, als nach oben zu klettern. Das<br />

Schlafen war unter diesen Umständen keine leichte Sache,<br />

zumal die Hitze, trotz dem Öffnen aller Fenster und Luken,<br />

noch sehr gross war. Aber es ging gegen Norden und auf<br />

den Dezember zu; man durfte also auf kühlere Tage hoffen.<br />

Lassen wir nun unsere Reisenden im Halbschlafe über<br />

Surat und die Narmadä durch viele herrliche ungesehene<br />

Gegenden dahineilen, um sie am frühen Morgen in Baroda<br />

wiederzufinden, und beschäftigen wir uns inzwischen mit<br />

den indischen Eisenbahnen. Ganz Indien ist mit einem<br />

Netz von Eisenbahnen durchzogen, welche, wie alles, was<br />

die Engländer von äusserlichen Dingen und Verhältnissen<br />

anfassen, vortrefflich organisiert sind. Wie in Russland, ist<br />

auch in Indien die Schienenweite grösser als bei uns, und<br />

schon dadurch sind die Wagen geräumiger und bequemer.<br />

Es gibt drei Wagenklassen und noch eine Intermediate Class


46 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

zwischen der zweiten und dritten. Alle Wagen haben die<br />

Farben der entsprechenden Billets, sodass man die weiss<br />

angestrichenen Wagen der ersten Klasse auf den ersten<br />

Blick und schon von fern herausfindet. Die Fahrpreise sind<br />

so abgestuft, dass jede höhere Klasse ungefähr das Doppelte<br />

der nächstfolgenden kostet. Erstaunlich billig, aber auch<br />

furchtbar überfüllt, ist die dritte Klasse. Sie wird nur von<br />

Eingeborenen benutzt, und es ist ein unterhaltendes Schau­<br />

spiel zu sehen, wie Männer, Weiber und Kinder mit grossen<br />

Packereien auf dem Kopfe, und die kleinsten Kinder rittlings<br />

auf den Hüften der Mütter sitzend, mit vielem Lärm sich um<br />

die geschlossenen Wagentüren drängen, von denen eine<br />

neue immer erst geöffnet wird, wenn das vorige Coupe<br />

gänzlich vollgepfropft ist. Doch gibt es auch hier besondere<br />

Abteilungen für die Frauen. Etwas besser ist die Intermediate<br />

Class, in der man bisweilen schon weisse Gesichter sieht;<br />

zuweilen sind hier die Coupes mit den Inschriften Natives<br />

oder Europeans only versehen. Die zweite Klasse wird von<br />

den besten Eingeborenen, soweit sie nicht als Fürsten eigene<br />

Wagen haben, und auch stark von den Europäern benutzt.<br />

Die Wagen der ersten Klasse enthalten nur vereinzelte Per­<br />

sonen und laufen meistens leer mit. Fast immer hatten wir<br />

ein Coupe allein und befanden uns bei Tag wie bei Nacht<br />

sehr komfortabel. Ein solcher Wagen erster Klasse besteht<br />

nur aus zwei geräumigen Coupes, in der Mitte durch eine<br />

meist verschlossene Tür getrennt; zu jedem Coupe gehört<br />

ein eigenes Waschzimmer mit allen Bequemlichkeiten, welches<br />

den Kopf des Wagens bildet. An beiden Längsseiten des<br />

Coupes befinden sich zwei gepolsterte, mit Leder überzogene<br />

Bänke, die am Tage zum Sitzen dienen, während bei Nacht<br />

die Betten auf denselben gemacht werden. Zwei ebensolche<br />

sind an der Decke befestigt und können erforderlichen Falls<br />

herabgelassen werden. Da für die Nacht sleeping accommo-<br />

dation garantiert ist, so dürfen nachts nicht mehr als vier,


Einrichtung der indischen Eisenbahnen. 47<br />

tags nicht mehr als sechs Personen in das geräumige Coupe<br />

gesetzt werden. In der Regel ist man darin, wie gesagt,<br />

ganz allein. Ausser dem Guard, der den Zug begleitet,<br />

bekommt man keine Schaffner zu sehen. Die Billets<br />

werden äusserst selten beim Halten auf den Stationen kon­<br />

trolliert, gewöhnlich sind es Halfcastes (Mischlinge von<br />

Europäern und Eingeborenen), welchen dieses Geschäft ob­<br />

liegt, da sie zu viel anderem nicht zu brauchen sind. Die<br />

Süffisance, mit der sie auftreten, macht bei der sonstigen<br />

Schlaffheit ihres Wesens oft einen lächerlichen Eindruck.<br />

Sie sind nicht gerade geeignet, eine allmähliche Mischung<br />

englischen und indischen Blutes als wünschenswert erscheinen<br />

zu lassen. Noch ist zu bemerken, dass auch die Verpflegung<br />

beim Eisenbahnfahren eine wohlgeregelte ist. Breakfast, Tiffin<br />

und Dinner werden vom Guard telegraphisch auf den dazu<br />

bestimmten Stationen vorausbestellt, wo dann 15—20 Minuten<br />

Aufenthalt zu sein pflegen. So kann man es denn ganz wohl<br />

aushalten, Tage und Nächte (z. B. von Bombay nach Calcutta<br />

mit dem Schnellzuge drei Nächte und zwei Tage) im Coupe<br />

zuzubringen, namentlich da gegen die Sonnenglut durch weit<br />

überragende Schutzdächer und Holzjalousien Vorsorge ge­<br />

troffen ist.<br />

Es war ein Sonntagmorgen gegen acht Uhr, als wir in<br />

Baroda ausstiegen, der Hauptstadt eines kleinen Fürstentums,<br />

dessen Beherrscher, der Gaikwar von Baroda, sich gerade<br />

in England befand, was jedoch seiner Gastfreundlichkeit<br />

gegen uns keinen Eintrag tat. Am Bahnhofe war Dhruva,<br />

der uns in einem herrlichen Hofwagen zunächst zu dem<br />

Palaste führte, welcher, fünf Minuten von dem Hauptpalaste<br />

des Gaikwar entfernt, uns als Wohnung dienen sollte. Hier<br />

empfing uns Herr Maier, ein junger Süddeutscher, der als<br />

Manager den verschiedenen Schlössern des Gaikwar vor­<br />

stand. Während seine Person und Sprache uns an die


48 IV. Von Bombay bis Peshawsr.<br />

Heimat erinnerte, so war das, was er uns zeigte und zur<br />

Benutzung anwies, von der Art, dass wir uns in ein orien­<br />

talisches Märchen hineingezaubert glaubten. Ein herrlicher<br />

Empfangssaal mit Teppichen, Diwanen und Sesseln, ein weiter<br />

und hoher und doch höchst behaglicher Speisesaal, zwei<br />

geräumige Schlafsäle mit Betten und Möbeln von erster<br />

Güte, alles neu, peinlich sauber und in auserlesenem Ge­<br />

schmack, eine von Säulen und Gewölben gebildete, rings<br />

um das Haus laufende Veranda, das war das Feenreich, in<br />

welchem wir für einige Tage als alleinige Herrscher schalten<br />

durften. Der Koch mit seinen Gehülfen, verschiedene Diener<br />

für die mannigfachen Anforderungen des Lebens, im ganzen<br />

wohl ein Dutzend, alle in sauberster nationaler Kleidung, be­<br />

dienten geräuschlos das Haus und waren jedes Winkes von<br />

uns gewärtig: Die herrlichste Zugluft durchströmte bei Tag<br />

und Nacht die kühlen Hallen des nach allen Seiten frei<br />

gelegenen Hauses, alle Türen und Fenster blieben auch bei<br />

Nacht geöffnet, wussten wir uns doch genugsam bewacht<br />

und beschützt, und das ferne Geheul der Schakale, die hier<br />

wie überall in Indien allnächtlich ihr vielstimmiges Konzert<br />

abhalten, diente nur, das Behagen dieses Zauberschlosses zu<br />

erhöhen. Diese Tiere, etwa von der Grösse und Gestalt<br />

unserer Füchse, sind sehr scheu und daher ausser in Museen<br />

und zoologischen Gärten, nie sichtbar, um so mehr aber hör­<br />

bar; ihr Geheul klingt, als wenn ein Dutzend junger Hunde,<br />

ein Dutzend Katzen und ein Dutzend kleiner Kinder ihre<br />

bellenden, miauenden und schreienden Töne zu einem Konzerte<br />

vereinigten.<br />

Fürstiich, wie unsere Wohnung, war auch die uns ge­<br />

botene Verpflegung. Es war nicht das erste Mal in meinem<br />

Leben, dass ich an einem Fürstentische speiste, aber eine<br />

auserlesenere Küche, als sie hier herrschte, habe ich kaum<br />

je angetroffen. Auch bedurfte es nur eines Wortes, und der<br />

beste französische Champagner, die edelsten Rheinweine


Baroda. Fürstliche Aufnahme. Besichtigungen. 49<br />

standen auf dem Tisch, eine Liberalität, von der wir teils<br />

aus Rücksicht auf das Klima, teils weil uns derartige Genüsse<br />

von der Heimat her nichts Neues waren, nur einen diskreten<br />

Gebrauch machten.<br />

Die Frühstunden des Sonntags benutzten wir, um mit<br />

Herrn Maier die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Residenz<br />

in Augenschein zu nehmen. Ein seltsames Kuriosum waren<br />

ein halb Dutzend Kanonen, welche angeblich aus gediegenem<br />

Golde bestanden und, wenn es wahr ist, einen ungeheuren<br />

Wert repräsentieren müssen und ein beredtes Zeugnis des<br />

fabelhaften Reichtums der früheren indischen Herrscher<br />

sind. Interessanter war noch ein Marstall voll edler Rosse,<br />

die unter überdachten Schuppen im Freien gehalten wurden,<br />

und eine Gesellschaft von zwanzig oder mehr Elefanten.<br />

Dieselben sind vollkommen zahm und umgänglich. Nur<br />

einige von ihnen, bei denen die Brunstzeit eingetreten war,<br />

waren von den anderen isoliert und mit starken Ketten an<br />

den Füssen gefesselt. Man warnte uns davor, denselben zu<br />

nahe zu kommen, und so sah ich nur aus einiger Entfernung<br />

ihre aufgebrochenen und einen klebrigen Saft ausschwitzenden<br />

Schläfen, von denen in der indischen Poesie so viel die<br />

Rede ist.<br />

So ging der Tag teils mit Besichtigung der Sehens­<br />

würdigkeiten, teils mit notwendigen Besuchen bei Ministem<br />

und anderen Würdenträgern in der angenehmsten Weise hin.<br />

Am Abend wurde uns zu Ehren eine Theatervorstellung<br />

gegeben, bei der wir wieder die Ehrenplätze einnahmen,<br />

während unter Ausschluss des allgemeinen Publikums nur<br />

ein auserlesener Kreis von Geladenen uns umgab, wobei<br />

denn mancherlei Vorstellungen und Begrüssungen stattfanden.<br />

Als Stück hatte man diesmal, auf meinen Wunsch, ein<br />

antikes Drama zu sehen, die Priy'adarcikä gewählt, und<br />

Dhruva war so aufmerksam gewesen, für uns den Gang der<br />

Handlung in einem englischen Programm drucken zu lassen,<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 4


50 IV. Von Bombay bis Pestiawar.<br />

sodass wir Scene für Scene ganz bequem folgen konnten.<br />

Das Stück wurde natürlich in Gujerati-Übersetzung gegeben,<br />

aber Bühneneinrichtung, Kostüme und Ausführung der Chöre,<br />

Dialoge usw. schlössen sich so vollkommen dem Sanskrit­<br />

texte an, dass ich vermuten möchte, dass das heutige Hindu­<br />

theater in allem Wesentlichen noch das des Kälidäsa ge­<br />

blieben ist. Am andern Morgen, in der Frühe wurde ein<br />

Ritt auf einem Elefanten zu dem eine Stunde entfernten Lust­<br />

schlosse Mackä unternommen, welches eben für die Rückkehr<br />

des Gaikwar in Stand gesetzt wurde. Unter Führung des<br />

Herrn Maier, der diese Arbeiten unter sich hatte, besichtigten<br />

wir die verschiedenen Prachtsäle, und mit Befremden hörte<br />

ich, dass, wenn der Gaikwar hier seine Hoffeste gibt, seine<br />

Gemahlin nicht teilnimmt. Die indischen Frauen lieben es<br />

eben nicht, aus dem engen Kreise ihres Hauswesens heraus­<br />

zutreten, und befinden sich, wie es scheint, ganz wohl dabei.<br />

Übrigens waren die Gemächer der Fürstin mit allem Komfort<br />

ausgestattet; es fiel mir auf, dass verschiedene prachtvolle<br />

Spieldosen, aber nur ein noch dazu recht mittelmässiger<br />

Flügel vorhanden war. Zuletzt besichtigten wir noch die das<br />

Schloss umgebenden Gärten- und Parkanlägen, welche noch<br />

jung sind, aber unter dem indischen Himmel einstmals gewiss<br />

sich zu einem Paradiese entwickeln werden. Dann zogen<br />

wir auf unserem Elefanten wieder heimwärts, die Morgen­<br />

sonne brannte schon heiss auf unserem Rücken, und Freund<br />

Dhruva erklärte mir die am Wege stehenden Bäume. Nament­<br />

lich der Unterschied von Nyagrodha (ficus Indica) und<br />

Agvattha (ficus religiosa) würde mir hier zum erstenmal klar.<br />

Beide sind nach Wuchs und Aussehen der Blätter sehr verschiedene<br />

Bäume.<br />

Den Nachmittag hatte der Minister für ein Zusammen­<br />

sein mit den Hauptwürdenträgern des Landes bestimmt.<br />

Durch zufällige Umstände wurde auch dieses in unser Palais<br />

verlegt, und so 'gewann es den Anschein, als wenn das


Seite 50.<br />

c<br />

3


Ritt nach Macka. Grosse Cour. Sanscrit College. 51<br />

ganze Ministerium und die halbe Universität bei uns zur<br />

grossen Cour angetreten wäre. Es waren alles intelligente,<br />

würdevolle und verbindliche Männer, welche sich von<br />

europäischen Grossen durch ihre malerische und kostbare<br />

Kleidung sehr unterschieden, aber an feinem, taktvollem Auf­<br />

treten denselben, wie mir schien, nicht im mindesten nach­<br />

standen. Die Unterhaltung bewegte sich einige Stunden lang<br />

in der angenehmsten Weise um indische und europäische<br />

Verhältnisse, und wir schieden sehr befriedigt von einander.<br />

Für den folgenden Tag wurde ein Besuch des Sanscrit<br />

College beschlossen, welches Gymnasium und Universität<br />

vereinigt und ein gutes Bild von dem Bildungsgange der<br />

indischen Gelehrten bot. Die beneidenswerte, dem Europäer<br />

unerreichbare Fertigkeit im Sanskrit, welche die Pandits in<br />

der Regel besitzen, beruht darauf, dass sie schon im Alter<br />

unserer Sextaner das Sanskrit zu lernen anfangen und meistens<br />

ein langes, fleissiges Leben hindurch nichts als Sanskrit treiben.<br />

Der Unterricht beginnt mit Auswendiglernen von Wortern<br />

und Grammatik. Als erstes grösseres Dichterwerk wird sodann<br />

Raghuvahca studiert, dem Kumärasambhava, Meghadüta sowie<br />

die Dramen Kälidäsas und anderer folgen. Für eine höhere<br />

Stufe dienen die Romane Dagakumäracaritam, Kädambari<br />

sowie die schwierigeren Kunstepen. Für die Universitäts­<br />

stufen spaltet sich der Unterricht; die einen treiben ihr<br />

ganzes Leben durch Grammatik, Literatur und Poetik, während<br />

andere Astronomie, Medizin, Jurisprudenz oder Philosophie<br />

studieren, alles nach den alten Sanskritlehrbüchern, .daher<br />

z. B. die Lehrer der Astronomie die Erde als in der Mitte<br />

ruhend und alles als um sie im Kreise sich drehend annehmen;<br />

nur wenige wagen sich das Kopernikanische System anzu­<br />

eignen, noch wenigere, sich offen zu demselben zu bekennen.<br />

Als wir in die stattlichen Räume des College eintraten,<br />

waren die verschiedenen Klassen mit ihren Lehrern bereits<br />

in einer grossen, nach der Seite offenen Halle versammelt.<br />

4*


52 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

Es wurden, wie dies gewöhnlich üblich ist, verschiedene<br />

Begrüssungsgedichte in Sanskrit vorgetragen und mir sodann<br />

überreicht. Ebenso händigte man mir ein langes, schön in<br />

Sanskrit geschriebenes Lehrprogramm ein, in welchem die<br />

Lehrpensa der verschiedenen Klassen spezifiziert waren. Ich<br />

wurde aufgefordert, Fragen zu stellen und musste, um keine<br />

der Abteilungen zu verletzen, wohl oder übel aus allen Dis­<br />

ziplinen, Grammatik, Literatur, Astronomie und Philosophie,<br />

Juristerei und Medizin, eine Frage stellen, die dann von ein­<br />

zelnen Schülern, und wo diese sich nicht zu helfen wussten,<br />

von den Lehrern beantwortet wurden. Auffallend war mir,<br />

dass immer nur die besten Schüler zu antworten bereit waren,<br />

auch dann, wenn ich meine Frage nicht an sie, sondern an<br />

andere gerichtet hatte. Im ganzen lief also die Sache doch<br />

mehr auf eine Schaustellung hinaus, und wenn ich später in<br />

Indien Schulen besuchte, pflegte ich zu bitten, dass man sich<br />

durch meinen Besuch nicht stören lassen, sondern ruhig im<br />

Unterricht fortfahren möge. Schon in Baroda hatten wir das<br />

später noch so oft genossene Schauspiel vor Augen, wie<br />

Lehrer und Schüler sämtlich mit untergeschlagenen Beinen<br />

auf dem Boden hockten. Beim Schreiben wird das Heft<br />

frei in der linken Hand gehalten, während die, rechte die<br />

Feder führt. Die Hindus sind so an diese Art des Schreibens<br />

gewöhnt, dass sie eine Unterlage, auch wenn man sie ihnen<br />

anbietet, zu verschmähen pflegen.<br />

Weniger interessant als das College war uns die Be­<br />

sichtigung eines benachbarten Palastes mit allerlei Waffen<br />

und den Kronjuwelen. Ich überzeugte mich dabei, dass, so<br />

viele Kostbarkeiten auch schon aus Indien ihren Weg nach<br />

England gefunden haben, doch noch immer genug übrig<br />

bleibt, was die englischen Gouverneure und Residenten, oder,<br />

wo dies bedenklich erscheinen sollte, ihre Damen sich ge­<br />

legentlich schenken lassen können. Ich bin weit davon ent­<br />

fernt, alles zu glauben, was mir in dieser Beziehung erzählt


Examen. Kronjuwelen. Dhruva's Heim. Musikmeister. 53<br />

wurde, will aber doch bemerken, dass die Schilderungen, welche<br />

mir von der Reise eines englischen Prinzen und der Herren<br />

in seinem Gefolge gemacht wurden, mitunter einigermassen<br />

an das aus Cicero bekannte Auftreten des Verres in Sicilien<br />

erinnerten.<br />

Mit besonderem Interesse folgten wir noch in Baroda<br />

einer Einladung Dhruvas in sein Haus, um so lieber, als die<br />

indischen Gelehrten nicht immer gern Besucher bei sich<br />

empfangen. Hier, wie später noch oftmals, wurde ich an<br />

das Wort des wackeren Javeriläl erinnert: simplicity is the<br />

type of our life. Wir trafen eine Einfachheit der Ausstattung<br />

an Möbeln und dergleichen an, wie sie bei uns etwa im<br />

Mittelalter die Regel gewesen sein mag. Auch Frau Dhruva<br />

mit den Kindern erschien, während wir über den Gang hin<br />

andere weibliche Gestalten halb sichtbar nach indischer Ge­<br />

wohnheit auf der Erde sitzen sahen. Es ist charakteristisch<br />

für die Inder, dass sie überall, im Hause wie im Freien, sich<br />

ohne Umstände auf die Erde setzen, welche freilich durch<br />

ihre grosse Trockenheit dafür ganz anders geeignet ist, als<br />

bei uns. Noch ein anderer Gast stellte sich bei Dhruva ein,<br />

ein indischer Musikmeister, ein ernster Mann, der seiner<br />

Kunst mit grosser Hingabe obzuliegen schien. Er überreichte<br />

ein Werk von sich über die Theorie der indischen Musik<br />

auf Hindostani mit eingeflochtenen Stellen aus Sanskrit­<br />

gedichten, sprach aber leider weder Englisch noch Sanskrit,<br />

sodass die Unterhaltung mit ihm sehr beschränkt war. Indes<br />

bestätigte der Eindruck seiner gediegenen, wissenschaftlich<br />

ernsten Persönlichkeit die schon früher von mir gefasste<br />

Überzeugung, dass in der indischen Musik viel mehr liegt,<br />

als unser ungeschultes Ohr herauszuhören vermag. Sie<br />

besitzt eine komplizierte Theorie, und die Hingebung, mit<br />

der ich oft Musikstücke aufführen hörte, scheint dafür zu<br />

zeugen, dass sie in ihrer Art ebenso sehr wie unsere Musik<br />

imstande ist, die Seele eines Menschen auszufüllen.


54 IV. Von Bombsy bis Peshswsr.<br />

Der Aufenthalt in Baroda war so reich an schönen<br />

Erinnerungen, dass wir beschlossen, nicht von dort zu<br />

scheiden, ohne vorher1 durch eine photographische Aufnahme<br />

das Andenken an unser Zusammensein dauernder zu machen.<br />

Ein leidlicher Photograph war vorhanden, und er versprach,<br />

am Tage vor unserer Abreise nachmittags vier Uhr mit<br />

seinem Apparate vor unserem Palaste zu erscheinen, der<br />

natürlich den Hintergrund abgeben sollte. Alle Personen<br />

waren rechtzeitig versammelt; als grosse Hauptperson zu­<br />

nächst der riesige Elefant, der uns nach Macka getragen<br />

hatte, und welcher, mit einer kostbaren Decke geschmückt<br />

und am Rüssel, den Wangen und sogar an den Ohren auf<br />

das schönste bemalt, mit seiner aus fünf Mann bestehenden<br />

Dienerschaft erschien. Eine zweite Hauptperson, für deren<br />

Mitaufnahme namentlich Herr Maier lebhaft plaidiert hatte,<br />

war der Citra (im Sanskrit „der buntfarbige"), d. h. der zahme<br />

Leopard des Fürsten, welcher für die Jagd auf Antilopen<br />

abgerichtet war. ' Seine Kunst besteht darin, die aufgespürte<br />

Antilope in schnellen Sätzen einzuholen und ihr die Gurgel<br />

durchzubeissen, sodass sie, im übrigen an Fell und Fleisch<br />

unbeschädigt, vom Jäger in Empfang genommen werden<br />

kann. Herr Maier war beim Minister sehr ins Zeug gegangen,<br />

um eine Jagd mit dem Citra für uns zu inscehieren; es wurde<br />

aber nichts daraus, namentlich da ich für meine Person auf<br />

das grausame Schauspiel durchaus keinen Wert legte. Dafür<br />

erschien jetzt der Citra, um mit uns photographiert zu werden.<br />

Er wurde auf einem kleinen eleganten Wagen herangefahren,<br />

mit einer Kappe über den Augen und auch sonst stark<br />

gefesselt. Drei Diener machten seinen Hofstaat aus, und<br />

man warnte mich, dem Tiere nicht allzu nah zu kommen.<br />

Ausser Elefant und Leopard waren ich selbst mit meiner<br />

Frau, Dhruva mit Frau und drei Kindern, Herr Maier mit der<br />

Reitpeitsche als steter Begleiterin und einige Nebenpersonen<br />

vorhanden. Alles war vollkommen bereit, nur eine Person


Photographische Aufnahme in Baroda. 55<br />

fehlte noch, ohne die wir nicht anfangen konnten, — und<br />

das war der Photograph. Es wurde nach ihm geschickt,<br />

aber er war nirgends zu finden. Vergebens warteten wir<br />

bis zum Dunkelwerden, der Photograph hatte uns einfach<br />

vergessen. Unter diesen Umständen und da alle sich sehr<br />

auf das Photographieren gefreut hatten, blieb uns nichts<br />

anderes übrig, als unsre Abreise bis auf den Mittag zu<br />

verschieben und für den anderen Morgen früh ein neues<br />

Zusammentreffen anzuberaumen, worauf dann endlich das<br />

Bild glücklich zu stände kam. Indem ich es in der Hand<br />

halte, ruft es mir die ganze Situation bis in die kleinsten<br />

Einzelheiten wieder ins Gedächtnis zurück.<br />

Den Hintergrund bildet unser Palais mit seiner stattlichen<br />

Einfahrt und seinen hohen Säulenhallen. Vor ihnen steht<br />

der Elefant, so ruhig und verständig, als wisse er, worum<br />

es sich handle. Vier Leute seines Gefolges stehen an seinem<br />

Kopfe, ihre langen Lanzen in der Hand. Der Elefantenführer<br />

sitzt vorne auf dem Nacken, als Symbol den kleinen Eisen­<br />

haken haltend, mit welchem das kolossale Tier gelenkt und<br />

zum schnelleren Schritt, zum Halten oder Niederknieen ver­<br />

anlasst wird. Letzteres geschieht, wenn Personen auf- oder<br />

absteigen wollen. Ein kräftiger Stoss mit dem Lenkhaken<br />

auf den Kopf veranlasst das Tier mit einem leisen Grunzen<br />

des Unbehagens langsam niederzuknieen; die Diener setzen<br />

eine kleine Treppe an, welche der Elefant zu diesem Zwecke<br />

stets an der Seite mit sich trägt. Man steigt hinauf und<br />

findet oben eine breite Fläche, auf welcher vier bis sechs<br />

Personen Platz haben, und die mit einem eisernen Geländer<br />

umgeben ist. Dort oben sitzen die Damen, d. h. Frau<br />

Dhruva mit kunstgerecht untergeschlagenen Beinen und meine<br />

Frau, der man das unbequeme ihrer Stellung wohl ansieht.<br />

Jede hält ein Dhruvakind auf dem Schosse, während der<br />

älteste Sohn, zwischen beiden, sitzend, voll Spannung der<br />

Begebenheit zuschaut. Vor dem Elefanten in der Mitte stehe


56 ^V. Von Bombay bis Peshawar.<br />

ich, sehr durch die ins Gesicht scheinende Sonne geniert,<br />

indem der Photograph im letzten Augenblicke mich auf­<br />

forderte, den Sonnenhut abzunehmen. Mir zur Rechten steht<br />

Dhruva im Nationalkostüme, zur Linken ein Schulvorsteher<br />

und Herr Maier im Reitkostüme, die Reitpeitsche in der<br />

Hand, seinen Blick auf den Leoparden gerichtet, welcher,<br />

von drei Wärtern gehalten, die Gruppe nach links abschliesst.<br />

Leider hat das Untier den Kopf bewegt und dadurch drei<br />

Köpfe erhalten, sodass man es für den Cerberus halten<br />

könnte. Die tropische Sonne ist an den hellen Lichtern<br />

und den scharf umgrenzten Schatten leicht erkennbar.<br />

Das war der Schluss unseres Aufenthaltes in Baroda.<br />

Nach einem solennen Abschiedsmahle schieden wir dankbar<br />

von der trefflichen Wohnung und fuhren, von reichem<br />

Gefolge, begleitet, zum Bahnhofe.<br />

Unser nächstes. Ziel, Ahmedabad, wird von Baroda aus<br />

durch eine Eisenbahnfahrt von wenigen Stunden erreicht.<br />

Es war das erste Mal, dass wir bei Tage durch die indische<br />

Landschaft fuhren und noch dazu durch eine besonders<br />

reiche Gegend, welche wegen ihrer Fruchtbarkeit von den<br />

Indern Cämtara genannt wird. Es war der 28. November,<br />

und mit Entzücken sahen wir die herrlich grünende und<br />

blühende Landschaft mit ihren Riesenbäumen und ihrer<br />

tropischen Pflanzenfülle an uns vorüberziehen, während hier<br />

und da eine Anzahl Affen, ohne sich durch den vorbei­<br />

sausenden Zug stören zu lassen, auf den Bäumen und im<br />

Grase ihre Männerchen machten. Wir wollen diese Gelegen­<br />

heit benutzen, um einiges über Klima und Boden Indiens<br />

im allgemeinen zu sagen.<br />

Die tropischen Länder sind keineswegs immer die<br />

fruchtbarsten; vielmehr lehrt ein Blick auf die Karte, dass<br />

sich von der Westküste Afrikas an durch die Sahara, Ägypten,<br />

Arabien und Centralasien bis nach China hinein ein breiter


Seite 56.


Fahrt nach Ahmedabad. Klima Indiens. 57<br />

Ländergürtel hinzieht, in welchem es, vermöge einer Art<br />

Wechselwirkung zwischen der durch den wolkenlosen<br />

Himmel gesteigerten Hitze und der durch eben diese Hitze<br />

verhinderten Wolkenbildung, selten oder nie regnet, und<br />

die daher trotz der herrlichsten Sonnenkraft von der Natur<br />

dazu verurteilt sind, Wüste zu bleiben. Diesem Schicksale<br />

würde auch Ägypten verfallen, wäre nicht die Über­<br />

schwemmung des Nils, und ebenso würde fast das ganze<br />

herrliche Indien eine Wüste sein, wären nicht die Monsun's,<br />

welche im Winter aus Nordosten wehen und daher nur<br />

wenigen Orten an der Ostküste die Feuchtigkeit bringen,<br />

in den Sommermonaten hingegen von Juni bis September,<br />

aus Südwesten wehend, eine so reiche Fülle von Regen<br />

über Indien ausschütten, dass das Land daran für das ganze<br />

Jahr genug hat Denn den ganzen Winter durch regnet es<br />

in Indien so gut wie gar nicht, und wir haben, von einem<br />

Regentag in Benares und zweien in Calcutta abgesehen,<br />

während unsres viermonatlichen Aufenthalts in Indien selten<br />

den Himmel bewölkt und kaum je einen Tropfen Regen<br />

gesehen. Die Regel war, dass die Sonne von sechs Uhr<br />

morgens bis sechs Uhr abends ihren majestätischen Lauf<br />

am völlig wolkenlosen Himmel vollendete. Bei uns würde<br />

unter diesen Umständen nach wenigen Wochen alles anfangen<br />

zu verwelken; in Indien behalten Bäume und Pflanzen den<br />

ganzen Winter durch ihr saftiges Grün; so gross ist die<br />

in der Regenzeit angesammelte und den Boden durch­<br />

tränkende Feuchtigkeit.<br />

Eine weitere Folge dieser klimatischen Verhältnisse ist,<br />

dass der Ackerbau in Indien weniger als bei uns an be­<br />

stimmte Jahreszeiten gebunden ist. Denn die Kulturpflanzen,<br />

wie Korn, Weizen und dergleichen, bedürfen, um sich vom<br />

Samenkorn bis zur reifen Frucht zu entwickeln, einige Monate<br />

hindurch Feuchtigkeit, Bodenwärme, Sonnenschein u. dergl.<br />

Welche Monate dabei im Kalender stehen, darnach fragt die


58 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

Pflanze nicht, und wo ihr, wie in Indien, jene Bedingungen<br />

das ganze Jahr durch mit Ausnahme der Regenzeit geboten<br />

werden, da ist sie bereit, zu jeder Zeit, sobald sie ausgesäet<br />

worden, zu wachsen und zu reifen. Wir konnten daher oft­<br />

mals beobachten, wie auf dem einen Felde das Getreide ge­<br />

erntet wurde, während es auf einem anderen Felde daneben<br />

eben erst in die Halme schoss und auf einem dritten Felde<br />

in frischem Grün aus der Erde aufkeimte. Inzwischen hat,<br />

wie man mir sagte, Indien im allgemeinen zwei Jahresernten,<br />

die eine im Winter, die andere, für Gewächse, die der Feuchtig­<br />

keit weniger bedürfen, im Sommer vor Eintritt der Regenzeit.<br />

Nach der Regenzeit, die im Hochsommer einsetzt, zeigen die<br />

Bäume das herrlichste Grün und behalten es den ganzen<br />

Winter durch. Eine Landschaft mit Bäumen, welche, wie<br />

bei uns im Winter, der Blätter beraubt, ihre nackten Äste<br />

und Zweige gleichsam hülfeflehend zum Himmel strecken,<br />

habe ich in Indien nirgendwo gesehen. Erst im Frühling<br />

sollen, wie man mir sagte, die alten Blätter teilweise ab-<br />

gestossen und alsbald durch neu aufkeimende ersetzt werden.<br />

So genossen wir denn, während zu Hause alles in<br />

Schnee und Eis starrte, des herrlichsten Sommerwetters und<br />

können nicht in die Klage eines pessimistisch angehauchten<br />

und alles in Indien schlecht machenden Mitreisenden ein­<br />

stimmen, welcher behauptete, dass man dieses fortwährenden<br />

schönen Wetters zuletzt ganz müde würde.<br />

Die schöne Fahrt von Baroda nach Ahmedabad, welche<br />

diese Abschweifung veranlasste, war vollendet, und wir Hefen<br />

in den Bahnhof dieser einstmals, zur Zeit der Moguls, grössten<br />

und schönsten Stadt des westlichen Indiens ein. Heute zählt<br />

dieselbe nach langen Zeiträumen des Verfalls wieder 148,000<br />

Einwohner, besitzt aber kein Hotel und nur ein entfernt<br />

liegendes Dak Bungalow, daher wir es vorzogen, ein Zimmer<br />

im Bahnhofsgebäude zu beziehen. Eben erst hatten wir uns<br />

in dem dürftig ausgestatteten Räume, so gut es gehen wollte,


Pflanzenwuchs. Ahmedabad. Sanitäre Verhältnisse. 59<br />

eingerichtet, da erschienen auch schon vier junge Leute, denen<br />

wir von Bombay aus empfohlen waren, und zu denen sich<br />

bald der Vater des einen, der alte, reiche und würdige<br />

Randiodläl gesellte, welcher als Mitglied des Magistrates<br />

manchen schätzbaren Aufschluss zu geben wusste. So er­<br />

zählte er, dass Ahmedabad neuerdings eine teilweise schon<br />

durchgeführte Wasserleitung erhalten habe, dass aber das<br />

Unternehmen Widerstand finde infolge der Abneigung der<br />

Hindus, das Wasser aus künstlichen Leitungen zu benutzen.<br />

Sie halten nämlich das Wasser nur dann für rein (in reli­<br />

giösem Sinne), wenn es unmittelbar aus den Händen der<br />

Natur entgegengenommen wird, und so trinken sie oft das<br />

stagnierende Wasser von Teichen, in welchen gleichzeitig<br />

gebadet und Küchengerät, Wäsche u. dergl. gewaschen wird.<br />

Nur diesen Missständen ist es zuzuschreiben, dass die Cholera<br />

in Indien nicht auszurotten ist und alljährlich in der heissen<br />

Jahreszeit ihren verheerenden Lauf durch die indischen Städte<br />

hält. Indes wütet sie zumeist nur in den ärmeren Volks­<br />

schichten und pflegt, wie man mir öfter versicherte, einen<br />

„Gentleman" (d. h. wohl einen vernünftig lebenden Menschen)<br />

nicht anzugreifen. „Wir haben," so äusserte sich Ranchodläl,<br />

„in unserer Stadt die merkwürdige Erfahrung gemacht, dass<br />

diejenigen Viertel, in welchen die Wasserleitung schon durch­<br />

geführt ist, auffallend wenig von der Cholera gelitten haben,<br />

und so dürfen wir hoffen, des Übels mit der Zeit Herr zu<br />

werden."<br />

Unter diesen und anderen Gesprächen machten wir eine<br />

Rundfahrt durch die Stadt, besuchten den im Südosten der­<br />

selben gelegenen, von lieblich umwaldeten Hügeln umkränzten<br />

Kankariya-See, besichtigten auf dem Rückwege einige der<br />

zahlreichen erhaltenen Moscheen, deren Wände vielfach aus<br />

Steinen mit wunderfeinem Schnitzwerk und durchbrochener<br />

Arbeit bestehen, und endigten den Tag mit einem Spazier­<br />

gange nach der hohen und langen Brücke über die Sabar-


60 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

matt Hier war es, wo der wackere junge Hariläl mir sein<br />

Leid klagte. Es ist nämlich eine grausame Einrichtung der<br />

Engländer, dass die höheren Stellen im indischen Staats­<br />

dienste nur denjenigen offen stehen, welche ihre Examina<br />

in England abgelegt haben. „Ich traue mir wohl," sagte<br />

Hariläl, „den Fleiss und die Fähigkeit zu, diese Examina zu<br />

bestehen; auch bin ich durch die Gnade Gottes mit reich­<br />

lichen Mitteln ausgestattet; aber die Reise nach England<br />

würde für mich die Ausstossung aus meiner Kaste zur Folge<br />

haben, und diesen Schmerz kann ich meinen Eltern und Ver­<br />

wandten nicht antun. Ich sehe mich daher dazu verurteilt,<br />

zeitlebens eine untergeordnete Stelle zu bekleiden." Ich er­<br />

munterte ihn, diese Schwierigkeit zu überwinden und wies<br />

auf das Beispiel Dhruvas in Baroda hin, welcher in Europa<br />

gewesen und, nachdem er in aller Stille und ohne damit zu<br />

prunken, zurückgekehrt sei, durch Zahlung von ein paar<br />

hundert Rupien und einige leichte Bussübungen sich die<br />

Mitgliedschaft seiner Kaste erhalten habe. Hoffentlich gelingt<br />

es dem Hariläl und vielen jungen Hindus in seiner Lage,<br />

nachdem sie selbst den religiösen Vorurteilen entwachsen<br />

sind, auch die ihrer Familie soweit zu brechen, um nicht<br />

alle besseren Stellen des Landes den Engländern allein über­<br />

lassen zu müssen.<br />

Als ich, zum Bahnhofe zurückgekehrt, noch eine Weile<br />

vor demselben die Abendkühle genoss, hatte ich das ergötz­<br />

liche Schauspiel, zu sehen, wie zwei Hinduweiber sich zankten.<br />

Jede derselben sass ruhig vor ihrer Hütte, und während die<br />

eine mit lauter Stimme und leidenschaftlicher Beredsamkeit<br />

ihre Sache entwickelte, hörte die andere aufmerksam und<br />

ohne sie zu unterbrechen bis zu Ende zu, um dann in der­<br />

selben Weise ihre Gegenargumente weitläufig auseinander­<br />

zusetzen. So wurde der Ball der Unterredung mehrere Male<br />

herüber- und hinübergeworfen, bis mit der Ermüdung der<br />

Lungen auch eine Beruhigung der Gemüter allmählich eintrat.


Religiöse Vorurteile. Zankende Weiber. Die Jaina's. 61<br />

Der folgende Tag, der einzige, den wir noch auf Ahmedabad<br />

verwenden wollten, brachte viele Eindrücke. Zunächst führten<br />

uns unsere Freunde wieder zur Sabarmatt, um dort das<br />

Treiben der badenden Hindus zu sehen, ein Schauspiel,<br />

welches wir nachmals noch in manchen Städten und am<br />

besten in Benares genossen; davon später ein Mehreres. Es<br />

folgte sodann die Besichtigung des grossen Jaina-Tempels,<br />

eines der schönsten und prunkhaftesten in ganz Indien. An<br />

Stelle der Götterbilder treten, da der Jainismus ebenso wie<br />

der Buddhismus bekanntlich eine atheistische Religion ist,<br />

die sitzenden Statuen des Jina und seiner vierundzwanzig<br />

Vorläufer, denn ohne Idole kann das Volk nun einmal nicht<br />

fertig werden. Vom Buddhismus, der seit Jahrhunderten in<br />

Indien völlig ausgerottet worden, und dem wir daher nur an der<br />

Nord- und Südgrenze, im Himälaya und auf Ceylon begegnen<br />

werden, unterscheidet sich der Jainismus namentlich darin,<br />

dass er nicht international geworden, sondern mehr hinduisch<br />

national geblieben ist, daher er sich in Bombay, Ahmedabad<br />

und anderen Orten behauptet hat. Aber der -Brahmanismus<br />

hat seine erstaunliche' Lebenskraft auch darin betätigt, dass<br />

er sich den Jainismus fast völlig assimiliert hat. Daher die<br />

Jainas beinahe ebenso sehr wie die Brahmanen die Be­<br />

rührung mit den Fremden und namentlich das Zusammen­<br />

essen mit ihnen scheuen, auch gegen ihr ursprüngliches<br />

Prinzip bei Besichtigung ihrer Tempel und Festlichkeiten<br />

dem Fremden gelegentlich Schwierigkeit machen, während<br />

man in den buddhistischen Tempeln überall ganz ungeniert<br />

umhergehen kann.<br />

Übrigens sind die Jainas vielfach im Besitze grossen<br />

Reichtums, und wir besuchten im weiteren Verlaufe des<br />

Morgens die Werkstätte eines Jaina, in welcher herrliche Holz­<br />

schnitzereien und wundervolle Teppiche angefertigt wurden.<br />

Bei der Teppichwirkerei ist die Kette von oben nach unten<br />

gespannt; hinter derselben sitzt eine Reihe Knaben. Ihnen


62 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

gegenüber auf der andern Seite der Kette steht mit dem<br />

Muster in der Hand ein Mann, auf dessen Kommandoworte<br />

die Knaben abwechselnd kurze buntfarbige Wollten durch<br />

die Kette flechten, sodass die Enden der Fäden nach ihnen<br />

zu herausstehen und eine rauhe, wollige Masse bilden, welche<br />

nachmals glatt geschoren als die rechte Seite des Teppichs<br />

die schönsten Muster zeigt. Teppiche wie Schnitzereien<br />

wurden auf Bestellung für Amerika und andere Gegenden<br />

angefertigt. Die Preise waren so hoch, dass wir darauf ver­<br />

zichteten, irgend etwas anzukaufen. Der noch jugendliche<br />

Besitzer, in dem ich durch einige Fragen den von Freund<br />

Garbe beschriebenen Jüngling wiedererkannte, schien auch<br />

gar nicht zu erwarten, dass wir etwas erstanden. Wie<br />

üblich, legte,er uns zum Schluss das Fremdenbuch vor, in<br />

dem wir das. Vergnügen, mit welchem wir in der Tat die<br />

Arbeiten besichtigt hatten, r gerne bescheinigten. ,<br />

Von hier ging's zu dem Pinjra-Pol („Käfigbrücke") ge­<br />

nannten Tierhospitale, wie deren in Bombay, Ahmedabad<br />

und manchen anderen Städten Indiens bestehen. Diese mehr<br />

der Absicht als der Wirkung nach anerkennenswerten Institute<br />

haben den Zweck, kranke und alte Tiere bis an ihr Ende zu<br />

verpflegen, sowie auch, gesunde, namentlich. Kühe, den<br />

mohammedanischen Schlächtern abzukaufen und so am Leben<br />

zu erhalten. Man findet in denselben meist Pferde und Kühe,<br />

Ziegen und Hunde. In Bombay bemerkten, wir in dem<br />

Hospital einen Wagen mit aufgesetztem Käfige, in dem sich<br />

mehrere Affen befanden. Es waren dies, bösartige Tiere,<br />

welche von den Familien, die sie hielten, eingeliefert wurden<br />

und bestimmt waren, in den Wald abgeführt und dort los­<br />

gelassen ,zu werden. Der strenggläubige Hindu tötet kein<br />

Tier, auch kein Insekt, ja nicht einmal eine Schlange. Trifft<br />

er eine solche an Orten,. wo sie gefährlich werden kann, so<br />

fängt er sie ein und transportiert sie in eine Gegend, wo<br />

sie nach seiner Meinung unschädlich ist, um, sie. dort in


Teppichwirkerei. Tierhospitäler. Schlangen. 63<br />

Freiheit zu setzen. Es gibt viele alte Häuser in Indien, in<br />

deren Mauerwerk Schlangen hausen. Das niedere Volk ver­<br />

schont dieselben, weil es in ihnen die Geister der Vorfahren<br />

verkörpert glaubt. Öfter wurde mir versichert, dass diese<br />

Schlangen niemals einen Insassen des Hauses schädigten.<br />

Tatsache ist wohl, dass die Schlange dem Menschen aus<br />

dem Wege geht und nur dann beisst, wenn man sie reizt,<br />

also namentlich, wenn man unbehutsam oder im Dunkeln<br />

darauf tritt. Übrigens sind die Schlangen im Winter selten;<br />

sie bleiben dann zumeist in ihren Löchern. unter der Erde,<br />

und wir haben, ausser in den Händen der Gaukler und in<br />

den zoologischen Gärten, während unsres viermonatlichen<br />

Aufenthalts in Indien in der freien Natur nur einmal eine<br />

Schlange angetroffen. In der heissen Zeit und noch mehr<br />

in der Regenzeit sollen sie nicht selten sein und erscheinen<br />

manchmal an Orten, wo man sie ganz und-gar nicht ver­<br />

mutet, wie denn z. B. Frau Dr. Hörnle auf dem Balkon, ihrer<br />

mitten in Calcutta eine Treppe hoch gelegenen Wohnung<br />

eines Tages eine Schlange antraf; wie dieselbe dorthin ge­<br />

kommen, blieb allen ein Rätsel; sie mag wohl im Gemüse<br />

versteckt gewesen sein. Eine schöne Überraschung erlebte<br />

auch, wie Frau Dr. Hörnle erzählte, ein Freund dieser Familie,<br />

welcher eine Partie Schlangeneier in seinem Koffer ge­<br />

sammelt hatte und, als er denselben eines Tages öffnete,<br />

eine Gesellschaft munterer kleiner Schlangen vorfand, welche<br />

dank der tropischen Hitze aus den Eiern ausgekrochen waren.<br />

Um auf das Tierhospital in Ahmedabad zurückzukommen,<br />

so befanden sich in ihm nur die bereits genannten Haus­<br />

tiere. Manchem derselben, welches krank oder verstümmelt<br />

umherschlich, wäre der Todesstoss gewiss eine Wohltat ge­<br />

wesen, sodass der erreichte Zweck hier in seltsamem Kon­<br />

traste zu der grossen und edlen Absicht steht. Erhalten<br />

werden diese Institute durch reichliche Beiträge, wie denn<br />

z. B. in Bombay die Baumwollenhändler bestimmte Prozente


64 IV. Von Bombay bis Peshawar,<br />

vom Gewinn an das Pinjra-Pol abzugeben sich verpflichtet<br />

haben. Nur als einen schlechten Witz kann man es an­<br />

sehen, wenn in Büchern erzählt wird, dass die Tierhospitäler<br />

auch eine Abteilung für Insekten hätten, und dass Neger ge­<br />

halten würden, um denselben ihre Köpfe als Weide darzu­<br />

bieten. Die Hindus versicherten mir, dass dergleichen nie<br />

vorgekommen, und doch hatte einmal ein Missionar in<br />

Bombay die Stirn, mir gegenüber zu behaupten, dass die<br />

Sache auf Wahrheit beruhe, worauf wir später noch zurück­<br />

kommen werden. Vorläufig sei nur bemerkt, dass alles, was<br />

die Missionare von Indien erzählen und schreiben, sehr mit<br />

Vorsicht aufzunehmen ist. Ihr gewöhnlicher Kunstgriff be­<br />

steht darin, ganz seltene Ausnahmefälle so in den Vorder­<br />

grund zu stellen, dass dieselben als die Regel erscheinen,<br />

wodurch dann ein ganz verzerrtes Bild des indischen Volks­<br />

lebens entsteht.<br />

Wir beschlossen den Morgen mit einem Besuche bei<br />

den Sädhu's, worunter eine Art indischer Mönche zu ver­<br />

stehen ist, die in einem wohlfundierten Kloster zusammen­<br />

leben. Sofort wurde in einer geräumigen Halle eine Ver­<br />

sammlung derselben veranstaltet, zu der sich wohl 50 bis 60<br />

einfanden, von welchen jedoch kaum einer oder der andere<br />

ein noch dazu sehr kümmerliches Sanskrit sprach. Die in­<br />

dischen Pandits sprechen von diesen wohlgenährten Müssig-<br />

gängern mit Verachtung und mögen wohl Recht darin haben.<br />

Am Nachmittage hatten wir zwei grosse Versammlungen<br />

hintereinander, die eine mit Pandits, in der Sanskrit gesprochen<br />

wurde, die andere in einem Klub, wo in englischer Sprache<br />

mancherlei Themata berührt und namentlich Aufschluss über<br />

das Erziehungswesen in Europa verlangt wurde. Dann<br />

wurden Lieder aus Gitagovinda und anderen Dichtungen<br />

gesungen und mit den nationalen Instrumenten begleitet. Für<br />

den Abend entschuldigten sich meine Freunde, weil sie einem<br />

Diner ihrer Kaste beiwohnen mussten. Ich bat, mir den


Pinjra Pol. Sädhu's. Kastendiner. Abreise. 65<br />

Anblick desselben zu verschaffen, und sie sagten es zu, holten<br />

mich aber, wohl absichtlich, erst dazu ab, als die Hauptsache<br />

schon vorbei war. In einer langen, engen Strasse, die nur<br />

von dieser Kaste bewohnt wird, waren hier mehrere Hundert<br />

in langen Reihen auf der Strasse hockend gespeist worden.<br />

Ich sah nur noch einige Nachzügler und die Spuren der<br />

beendigten Mahlzeit, namentlich die zahllosen kleinen Ton-<br />

gefässchen, in welchen die Gerichte vor jeden einzelnen be­<br />

sonders hingesetzt werden, und die nach einmaligem Ge­<br />

brauche weggeworfen werden müssen. Man nimmt zu jeder<br />

Mahlzeit wieder neue, da ein ganzes Tausend derselben, wie<br />

man uns sagte, nur eine Rupie kostet. Ich hatte noch das<br />

Vergnügen, mit dem Gastgeber und einigen seiner Freunde<br />

bekannt zu werden und musste von allen Speisen nachträglich<br />

kosten und dieselben natürlich für vorzüglich erklären.<br />

Am andern Morgen brachen wir von Ahmedabad auf<br />

und waren froh, von unserm engen und geräuschvollen<br />

Bahnhofszimmer Abschied zu nehmen. Die Freunde fanden<br />

sich auf dem Bahnhofe ein; einer derselben, der jüngere<br />

Dhruva (Bruder des Dhruva in Baroda), welcher in Ahmed­<br />

abad eine Stelle als Lehrer des Sanskrit bekleidete, erklärte<br />

mir im Meghadüta, den ich stets zum Memorieren auf der<br />

Eisenbahn mit mir führte, mit Hülfe der Karte sehr sach­<br />

kundig die verschiedenen Örtlichkeiten, welche die Wolke<br />

als Bote auf ihrer Reise durch Indien berührte, und von<br />

denen auch wir einige zu besuchen hofften. Dann brauste<br />

der Zug heran, ein rascher Abschied von den Freunden, und<br />

nordwärts ging es hinein in unbekannte Gegenden, welche<br />

im weiteren Verlaufe einen mehr sterilen Charakter annahmen<br />

und die Nähe der Wüste Maru bekundeten, welche links von<br />

uns, das Industal von der Gangesebene scheidend, sich in<br />

einer Breite von 300 Kilometern erstreckt. Am Nachmittage<br />

tauchten einzelne Bergrücken auf, unter ihnen Mount Abu,<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 5


66 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

berühmt als Sommerfrische und durch seine Jaina-Tempel;<br />

wir konnten ihn nur vorüberfahrend betrachten. Die Nacht<br />

trat ein, und am nächsten Morgen um 5 Uhr sollten wir<br />

Jaipur, unser nächstes Reiseziel, erreichen. Vorsorglich bat<br />

ich den Guard des Zuges, uns rechtzeitig vor Jaipur zu<br />

wecken. Er versprach es, wir kleideten uns wie gewöhnlich<br />

aus und schliefen ruhig ein. In der Nacht erwachte ich;<br />

das Licht in unserm Coupe war erloschen, um uns her war<br />

die tiefste Finsternis. Ich zündete ein Streichholz an und<br />

sah nach der Uhr: 15 Minuten vor fünf; in einer Viertel­<br />

stunde mussten wir in Jaipur sein, wo der Zug nur sieben<br />

Minuten hält. Der Guard hatte sein Versprechen vergessen.<br />

Jetzt ging es darum, in fliegender Eile und im Dunkeln, denn<br />

Kerzen, wie später jederzeit, führten wir damals noch nicht<br />

bei uns, Strümpfe und Stiefel und alle Kleidungsstücke zu<br />

finden und anzulegen, wobei in den verzweifeltesten Fällen ein<br />

angezündetes Streichholz helfen musste. Nur die Weste mit<br />

all unserem Barvorrat wollte sich längere Zeit nicht finden<br />

lassen. Endlich waren wir fertig, und es war auch höchste<br />

Zeit; der Zug hielt bereits, und mit Hülfe des Dieners ge­<br />

langten wir mit allen sieben Sachen noch rechtzeitig heraus<br />

und fuhren zu dem nur massigen Hotel Kaiser-i-Hind. In­<br />

zwischen war die Morgenröte erschienen, und wir genossen<br />

von den Hotelfenstern aus den herrlichsten Sonnenaufgang,<br />

doppelt erfreulich nach dem tiefen Dunkel der Nacht und<br />

den Beängstigungen, die es diesmal für uns gehabt hatte.<br />

Die Häuptsehenswürdigkeiten von Jaipur sind das alte<br />

Königsschloss mit seinem Marstall und die zwei Stunden<br />

entfernt liegende Sommerresidenz Amber. Gleich nach der<br />

Ankunft wird dem Fremden ein Formular überreicht, auf dem<br />

er Tag und Stunde einträgt, wann er diese Dinge zu sehen<br />

wünscht, worauf dann alles Weitere von selbst besorgt und<br />

namentlich für die Tour nach Amber ein Elefant aus dem


Ankunft in Jaipur. Wanderung durch die Stadt. 67<br />

fürstlichen Marstall zur Verfügung gestellt wird. Nachdem<br />

wir diese Frage geordnet hatten, unternahmen wir einen<br />

Morgenspaziergang in die leider etwas entfernte und nur auf<br />

staubigen Wegen erreichbare Stadt, welche mit ihren schönen<br />

breiten Strassen und ihren rosa angestrichenen Häusern einen<br />

heiteren Eindruck macht, während ihre Bewohner, die<br />

Räjputen, mit ihren grossen, kräftigen Gestalten die stattlichsten<br />

Erscheinungen bilden, die man in Indien antrifft. In der<br />

Mitte der Stadt liegt ein grosser Marktplatz, auf dem, ähnlich<br />

wie in Venedig und Florenz, eine Anzahl Tauben gehalten<br />

werden. Wir kauften ein Körbchen mit Körnern und hatten<br />

bald das Vergnügen, die zarten Tierchen um Haupt und<br />

Schultern flattern und die Körner vertrauensvoll aus der<br />

Hand aufpicken zu sehen, bis ein zudringlicher Ziegenbock<br />

die Scene störte, den ich mit Rücksicht auf die Gefühle der<br />

umstehenden Eingeborenen nicht nach Gebühr abzufertigen<br />

wagte.<br />

Von hier wandten wir uns zu den fürstlichen Gärten,<br />

in denen, wie üblich, Tiger, Löwen und andere bissige Tiere<br />

in Käfigen gehalten wurden, während die Affen mit Kettchen<br />

an hohen Stangen angeschlossen waren, an denen sie beliebig<br />

nach oben zu ihrem kleinen Käfige oder nach unten zur<br />

Erde klettern konnten, um hier innerhalb des Spielraums,<br />

den die Kette gestattete, mit dem ihnen eignen possierlichen<br />

Ernste den Boden auf seine Bestandteile hin zu untersuchen.<br />

Nicht weit davon liegt in schönen Gartenanlagen das Museum<br />

von Jaipur, ein eleganter Bau mit sehr reichem Inhalte.<br />

Besonders fesselte mich eine Sammlung von Tonfiguren,<br />

welche die indischen Asketen in ihren mannigfaltigen selbst­<br />

quälerischen Übungen veranschaulichten. Ursprünglich wurzelt<br />

die indische Askese in der hohen und wahren Erkenntnis von<br />

der Sündlichkeit des Daseins, aus welcher das Bestreben<br />

erwächst, durch Entsagungen und Quälereien aller Art das<br />

Fleisch abzutöten. Indessen ist diese echte Askese selten


68 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

zu finden. Im Himälaya, oberhalb Haridvär, wo die Gangä<br />

aus dem Gebirge hervorbricht, sollen viele Asketen zu finden<br />

sein. Freund Candrikäprasäd wollte auf der Reise zu uns<br />

stossen, um mich dort einzuführen, war aber leider verhindert,<br />

und so unterblieb die Sache, da der Europäer allein schwer­<br />

lich dort viel zu sehen bekommen hätte. Denn die echten<br />

Asketen suchen die Einsamkeit auf und machen sich aus<br />

dem Europäer gar nichts. Sehr verschieden von ihnen sind<br />

diejenigen Asketen, welche die Städte aufsuchen und ihre<br />

Bussübungen zur Schau stellen. Von ihnen traf ich in Cal­<br />

cutta am Ufer des Hugli eine ganze Anzahl. Jeder sitzt für<br />

sich an seinem Feuer fast ganz nackt, mit Wasserkrug, einigen<br />

Lumpen und anderen dürftigen Habseligkeiten umgeben und<br />

von einer Anzahl Neugieriger umstanden, die ihn in der<br />

Ausübung seiner Spezialität bewundern und ihm einige Al­<br />

mosen spenden. Ihre Kunst, läuft meistens auf eine höchst<br />

unbequeme Art zu sitzen hinaus, in der sie möglichst lange<br />

auszuharren suchen. Einen sah ich, der auf einem Beine<br />

stand, während das andere an einer Stange hochgebunden<br />

war; ein anderer lag auf einem Bette mit spitzen Holznägeln,<br />

noch andere abenteuerliche Posituren konnte man an den<br />

Modellen in Jaipur beobachten. Fast alle haben den nackten<br />

Leib mit Asche beschmiert, die langen Haare hängen wüst<br />

über das Gesicht herunter, und die Nägel sind lang wie<br />

Adlersklauen. Der Gesichtsausdruck ist brutal und vertiert<br />

und zeigt schon, wie wenig ihre Askese auf geistigen Motiven<br />

ruht. Sie sind in der Tat nichts anderes als Bettler, welche<br />

sich das Ansehen von Asketen geben, und stehen mit ihren<br />

Künsten auf einer Linie mit den Kerlen in unsern Jahrmarkts­<br />

buden, welche Feuer essen oder sich Schwerter bis in den<br />

Magen hinunterschieben. Wie diese, ruinieren sie durch ihr<br />

elendes Gewerbe sehr bald ihre Gesundheit.<br />

Das Museum von Jaipur, welches diese Abschweifung<br />

veranlasste, gewährt von der Terrasse auf seinem Dache


Echte und falsche Asketen. Elefantenritt nach Amber. 69<br />

eine herrliche Rundsicht auf die Stadt und umliegende Ebene,<br />

welche nach drei Seiten hin von schönen Bergen einge­<br />

schlossen wird. Auf einem derselben befindet sich ein dem<br />

Prinzen von Wales zu Ehren in turmhohen Buchstaben ein­<br />

gegrabenes WELCOME, — vielleicht die grösste Inschrift<br />

der Welt, welche über die ganze Ebene hin sichtbar ist und<br />

wohl noch für viele Jahrhunderte Zeugnis ablegen wird von<br />

der Unterwürfigkeit gegenüber den fremden Beherrschern<br />

des Landes.<br />

Im Gebirge nach Norden zu liegt die Sommerresidenz<br />

Amber, die wir am folgenden Tage besuchten. Wir fuhren<br />

im Wagen bis zum Anfang der Berge, wo der Elefant bereit<br />

stand, welcher uns auf einem zwischen den Bergen anstei­<br />

genden und dann wieder sich senkenden Wege, an welchem<br />

links und rechts in Nischen allerlei Götterbilder standen,<br />

nach Amber führte. Der ganze Weg hatte grosse Ähnlich­<br />

keit mit der von Athen nach Eleusis führenden Strasse; wie<br />

auf dieser nach der Senkung des Weges die Bucht von<br />

Salamis sich öffnet, so liegt Amber an einem reizenden See,<br />

malerisch um eine Anhöhe herum gelagert. Die Häuser sind<br />

vielfach verlassen und allerlei Asketen haben sich in den­<br />

selben eingenistet. Auf der Höhe liegt das stattliche Schloss,<br />

welches mit seinen verschiedenen Sälen, Frauengemächern,<br />

Badezimmern usw. den gewöhnlichen Eindruck der moham­<br />

medanischen Paläste macht.<br />

Nach Jaipur zurückkehrend, kamen wir an einem Teiche<br />

vorbei, in welchem Krokodile gehalten wurden, deren Füt­<br />

terung ein seltenes Schauspiel bot. Unser Diener kaufte für<br />

eine halbe Rupie in einem Schlächterladen in der Nähe ein<br />

grosses Konglomerat von Fleischabfällen, bestehend aus<br />

Lunge, Leber und Eingeweiden; dieses wurde dem Wächter<br />

übergeben, der alles an einen Strick band und ins Wasser<br />

hinunterliess, worauf er mit lauten Rufen die Krokodile


70 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

lockte. Lange Zeit blieb die weite sumpfige Wasserfläche<br />

ganz still. Endlich machte er uns auf eine Bewegung des<br />

Wassers in der Ferne aufmerksam; es war ein riesengrosses<br />

Krokodil, welches langsam unter der Oberfläche des Wassers<br />

heranschwamm. Bald kamen noch andere, und zuletzt sahen<br />

wir zu unsern Füssen in der Tiefe ihrer viere, welche phleg­<br />

matisch ihre Mäuler aufklappten und nach den Fleischteilen<br />

schnappten. Nach und nach gelang es ihnen, ein Stück<br />

nach dem anderen loszureissen, bis schliesslich eines der<br />

Ungetüme sich der ganzen übrigen Masse bemächtigte und<br />

sie hinunterschlang.<br />

Eine Besichtigung des Schlosses mit seiner grossen<br />

offenen Audienzhalle, des schönen Gartens und der benach­<br />

barten Marställe mit ihren Pferden und Elefanten vervoll­<br />

ständigte die Eindrücke dieser indischen Residenzstadt.<br />

Wir eilten nach Hause, wo verschiedene Pandits ihren<br />

Besuch angekündigt hatten. Sie erschienen und mit ihnen<br />

noch mehrere andre, darunter ein alter blinder Pandit, kaum<br />

mit dem Notdürftigsten bekleidet, dem jedoch die Natur,<br />

wie so oft den Blinden, ein fröhliches Herz verliehen hatte.<br />

Nicht wissend, dass er schon von Geburt blind war, fragte<br />

ich ihn teilnehmend, welcher Unfall sein Leiden herbeigeführt<br />

habe. Seine Antwort war echt indisch: „Irgend eine in einer<br />

früheren Geburt begangene Sünde ist die Ursache," versetzte<br />

er in zufriedener Heiterkeit. Der Glaube an die Seelen­<br />

wanderung ist heute wie in alter Zeit die Grundlage der<br />

ganzen indischen Religion. Er tröstet den Inder über die<br />

Leiden des Lebens, weil er sie als die notwendige Folge<br />

früher begangener Sünden begreift, und er ist ein starker<br />

Sporn, ein rechtschaffenes Leben zu führen, weil jeder Fehl­<br />

tritt seine Sühnung in einem künftigen Dasein unvermeidlich<br />

im Gefolge hat. Auch lehrt eine tiefere Betrachtung, die wir<br />

jedoch hier nicht anstellen wollen, dass derSeelenwanderungs-


Krokodilfütterung'. Seelenwanderungsglaube. Kinderheiraten. f\<br />

glaube der allegorische Ausdruck einer für unsere Fassungs­<br />

kraft unerreichbaren Wahrheit, dass er somit die Wahrheit<br />

im Gewände des Mythus ist. Die eigentliche Wahrheit,<br />

welche dieser Mythus vertritt, können wir wegen der an<br />

Zeit und Raum gebundenen Organisation unseres Intellektes<br />

nicht fassen und würden sie auch dann nicht fassen, wenn<br />

ein Engel vom Himmel käme, sie uns zu lehren.<br />

Am Abende folgten wir einer Einladung in das Haus<br />

des Colonel Jacob, wo wir den englischen Komfort in seiner<br />

Anpassung an die indischen Lebensverhältnisse beobachten<br />

konnten und beim Diner eine kleine, auserlesene englische<br />

Gesellschaft zusammenfanden. Colonel Jacob ist einer der<br />

nicht sehr zahlreichen Engländer, welche nicht schlecht von<br />

den Eingeborenen sprechen, und von denen, wie ich zuver­<br />

sichtlich annehme, auch die Eingeborenen nicht schlecht<br />

sprechen werden. „Ich pflege," sagte er, „die Eingeborenen<br />

ähnlich zu behandeln wie Kinder, und bin dabei stets sehr<br />

gut mit ihnen ausgekommen." Als nach dem Essen die<br />

Damen, wie üblich, sich in den Salon zurückzogen, und die<br />

Herren ihre Cigarre anzündeten, kam das Gespräch auf eine<br />

wichtige Frage, nämlich auf die frühen Heiraten der Ein­<br />

geborenen. Bekanntlich herrscht heutzutage in den meisten<br />

indischen Kasten das Gesetz, dass alle Mädchen vor dem<br />

elften Jahre verheiratet werden müssen. Zu diesem Zwecke<br />

hält der Vater einer Tochter unter den Mitgliedern seiner<br />

Kaste — denn nur diese kommen in Frage — frühzeitig<br />

Umschau. Er sucht zunächst vorsichtig Fühlung zu gewinnen,<br />

es knüpfen sich Unterhandlungen zwischen den beiderseitigen<br />

Eltern an, die Vermögensverhältnisse, die Zusammenstimmung<br />

der Charaktere werden sorgfältig erwogen, und zuletzt wird<br />

zwischen den Eltern der Bund geschlossen, der ihre Kinder,<br />

das Mädchen von elf, den Knaben von etwa sechszehn Jahren,<br />

für das ganze Leben unauflöslich bindet. Unter grossen<br />

Feierlichkeiten, von denen wir später noch einiges mitteilen


72 IV. Von Bombay bis Peshawsr.<br />

wollen, wird die Hochzeit abgehalten; die kindliche Gattin<br />

bleibt nach wie vor im Hause ihrer Eltern, und der Knabe-<br />

Ehemann besucht seine Schule weiter und wird, wenn<br />

er artig ist, gelegentlich von seinen Schwiegereltern zum<br />

Essen eingeladen, wobei er dann auch seine Gattin zu sehen<br />

bekommt. Eine effektive wird die Heirat erst, sobald bei<br />

dem Mädchen etwa mit vierzehn Jahren die Periode der<br />

Reife eintritt. Unter erneuten, aber weniger feierlichen Cere-<br />

monien wird es alsdann seinem Gatten übergeben und lebt<br />

mit ihm zusammen im Hause der Schwiegereltern; denn<br />

dass die Eltern und ihre verheirateten Kinder einen gemein­<br />

samen Hausstand bilden, ist bei den Indern ganz gewöhnlich.<br />

Diese Kinderheiraten haben vieles gegen sich und auch<br />

manches für sich. Im ganzen läuft die Sache darauf hinaus,<br />

dass in Indien die Eltern die Ehe stiften, während bei uns<br />

das junge Paar sich mehr oder weniger selbständig zusammen­<br />

findet. Bedenkt man nun die zahllosen Missgriffe, welche<br />

das Liebesleben bei uns mit sich bringt, und die oft durch<br />

ein langes Leben schwer gebüsst werden, so wird man die<br />

indische Methode nicht so übel finden. Freilich fehlt dort<br />

der Zauber des Verliebtseins, das Langen und Bangen, und<br />

ein Liebesdrama, wie das der (Takuntalä, ist unter den<br />

heutigen Verhältnissen in Indien nicht mehr möglich. Dafür<br />

fehlt aber auch das ungestillte Sehnen, das trostlose Gefühl,<br />

welches bei uns ein alterndes Mädchen erfüllt, das Kokettieren,<br />

Schmeicheln und was die Künste alle sind, die von Mutter<br />

und Tochter geübt werden, um glücklich einen Mann zu<br />

kapern. Es fehlt die innere Leere des Daseins, welche so<br />

oft bei uns das Los der alten Jungfern ist, denn alte Jungfern<br />

gibt es in Indien nicht, und sollten in einer Kaste mehr<br />

Mädchen als Männer sein, so nehmen die letzteren zwei<br />

Frauen, denn untergebracht müssen sie alle werden. Dem<br />

gegenüber steht in Indien der grosse Übelstand der jungen<br />

Witwen. Denn ist ein Mädchen mit elf Jahren verheiratet,


Für und gegen die Kinderheiraten. Professorenversammlung. 73<br />

und stirbt der ihr angetraute Gatte, so bleibt das arme Kind<br />

fürs ganze Leben Witwe, kann nie wieder heiraten und führt<br />

im Hause der Eltern ein zurückgesetztes, mehr oder weniger<br />

trauriges Dasein. Der Witwer hingegen kann so oft wieder<br />

heiraten, wie er will, nur bleibt ihm dabei nichts übrig, und<br />

wäre er sechzig Jahre alt, als ein Kind von elf Jahren zur<br />

Gattin zu wählen, denn andere sind eben nicht da. Das<br />

grösste Übel dieser frühen Ehen aber ist, was eben an jenem<br />

Abend bei Colonel Jacob zur Sprache kam, dass die effektive<br />

Heirat bei den Mädchen eine viel zu frühe ist und statt­<br />

findet, ehe noch der Körper die erforderliche Widerstands­<br />

kraft besitzt. Die Folge davon ist nicht nur, dass die jungen<br />

Frauen oft sehr schnell verblühen, hinwelken, hinsiechen und<br />

sterben, sondern auch dass sie schwächlichen Kindern das<br />

Leben geben, und dieser Umstand zusammen mit der fehlen­<br />

den Fleischnahrung ist wohl der Hauptgrund, weswegen die<br />

Inder zwar nicht weniger intelligent, aber doch im Körper­<br />

lichen wie im Geistigen so viel weniger leistungsfähig sind,<br />

als wir Europäer. Übrigens sind die vorurteilsfreieren Ein­<br />

geborenen selbst von der Bedenklichkeit der frühen Heiraten<br />

überzeugt, wissen aber noch nicht, wie sie hier Abhülfe<br />

schaffen können, ohne in andre Übelstände zu verfallen.<br />

Wie in anderen Städten, statteten wir auch in Jaipur<br />

dem Sanscrit College einen Besuch ab. Ich fand das ganze<br />

Kollegium der Lehrer versammelt und auf der Erde hockend,<br />

und wir Hessen uns, an diesen Brauch bereits gewöhnt, als­<br />

bald zwanglos in ihrer Mitte auf einem mit Tintenflecken<br />

reichlich gezierten Polster nieder. Sie verlangten Auskunft<br />

über den Kaiser Wilhelm und Bismarck, über Deutschland,<br />

und ob es auch dort Kasten gäbe, ob alle Deutsche Sanskrit<br />

verständen usw. Ich musste ihnen über meine Lebensstellung,<br />

meinen Namen, der sich im Sanskrit als Devasena sehr glück­<br />

lich wiedergeben Hess, meine Titel usw. berichten und wurde


74 IV. Von Bombsy bis Peshawar.<br />

schliesslich gefragt, zu welcher Kaste ich gehöre? Ohne<br />

Zögern gab ich die vollkommen korrekte Antwort, dass ich<br />

ein Cüdra sei, denn alle Ausländer sind nach dem brahma-<br />

nischen System Qüdras, las aber auf den Gesichtern meiner<br />

Hörer ein solches Befremden über diese Antwort, dass ich<br />

mir vornahm, künftig etwas mehr mich dem Ideenkreise der<br />

Fragenden anzupassen. Ich pflegte daher späterhin bei der<br />

oft an mich gerichteten Frage nach meiner Kaste zu ant­<br />

worten, dass ich in meiner vorigen Geburt ein Brahmane ge­<br />

wesen sei, aber infolge irgend einer Sünde als Europäer,<br />

d. h. als Cüdra, habe wiedergeboren werden müssen und<br />

nunmehr nach dem Studium von Veda und Vedänta, nach<br />

dem Besuche Indiens und so vieler heiligen Orte und Männer<br />

hoffen dürfe, das nächste Mal mit Ueberspringung der<br />

zwischenliegenden Kasten wieder als Brahmane auf die Welt<br />

zu kommen. Dieses Märchen pflegte bei meinen Zuhörern<br />

viele Heiterkeit zu erregen, wurde aber auch einmal von<br />

einer Büsserin in Calcutta ernst genommen, wovon weiter<br />

unten noch die Rede sein soll.<br />

Am Morgen des fünften Dezember fanden wir uns in<br />

tiefem Dunkel vor fünf Uhr auf dem Bahnhofe ein, hatten<br />

die Freude, noch einmal Colonel Jacob zu begrüssen, den<br />

die unbequeme Zeit nicht abgehalten hatte, einer abreisenden<br />

Dame das Geleit zu geben, und bestiegen den Zug, der uns<br />

in neun Stunden nach Agra bringen sollte. Das Frühauf­<br />

stehen auf Reisen ist ja mit mancherlei Beschwerden ver­<br />

bunden, hat aber auch viele Vorzüge, namentlich in Indien<br />

und an jenem Morgen, wo wir von den Eisenbahnfenstern<br />

aus schrittweise den Übergang des nächtlichen Dunkels zur<br />

Dämmerung und zur Morgenröte verfolgen konnten. Lebhaft<br />

ergriff mich die Erinnerung an den Hymnus an die Morgen­<br />

röte, Rigveda 6,64, den ich als ersten Vedahymnus 1865 noch<br />

bei Lassen gelesen hatte, und dessen Worte mir schon so


Meine Kaste. Fahrt nach Agra. Morgenstimmung. 75<br />

oft zu einem Inbegriff des Zaubers geworden waren, mit dem<br />

der Orient uns umstrickt. Jetzt sah ich sie wirklich einmal,<br />

die Lichtwellen, wie sie aus dem zartesten Rosa durch eine<br />

Reihe von Zwischenstufen zu Gelb und Weiss übergjngen,<br />

bis dann am wolkenlosen Horizont blitzartig der oberste<br />

Streifen des Sonnenballs erschien und wenige Augenblicke<br />

später die vollaufgegangene Sonne eine Lichtflut über die<br />

Natur ergoss, von der wir uns unter unserem bleiernen<br />

nordischen Himmel schwer eine Vorstellung machen können.<br />

Erhöht wurde die Stimmung durch den Gedanken, dass wir<br />

uns jetzt der heiligen Yamunä näherten, welche mit ihrem<br />

Schwesterflusse, der Gangä, so grosse Erinnerungen wach­<br />

ruft, wenn dieselben auch durch die nachfolgende moham­<br />

medanische Epoche in ähnlicher Weise übertüncht erscheinen,<br />

wie in Italien die Denkmäler des klassischen Altertums durch<br />

das nachfolgende christliche Mittelalter. Um zwei Uhr er­<br />

reichten wir Agra, welches neben Delhi der Mittelpunkt der<br />

Erinnerungen an die Zeit der mohammedanischen Herrschaft<br />

bildet und von Denkmälern derselben ganz angefüllt ist.<br />

Wir Hessen unseren Diener allein mit dem Gepäck zum Hotel<br />

fahren und begaben uns vom Bahnhof sofort zu dem nahe­<br />

liegenden Fort. Von den in ihm eingeschlossenen Moscheen<br />

und mohammedanischen Palästen aus, die jetzt den Eng­<br />

ländern als Arsenale dienen, genossen wir den ersten Blick<br />

auf die Yamunä, die jenseits weit ausgebreitete Landschaft<br />

und den eine Viertelstunde unterhalb am Flusse liegenden<br />

weltberühmten Täj Mahal. Unwiderstehlich zog es uns zu<br />

diesem von Shahjehan seiner Lieblingsgattin Mumtaz-i-Mahal<br />

(„Erwählte des Palastes") errichteten Grabpalaste hin, wir<br />

achteten wenig des staubigen Weges und der glühenden<br />

Nachmittagsonne, bald war die tempelartige Eingangspforte<br />

erreicht, und da lag er vor uns, von seinem üppig grünendem<br />

Parke umgeben, der herrliche Täj Mahal. Der überwältigende<br />

Eindruck, den dieser Anblick, auch nach allen vorhergesehenen


76 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

Abbildungen, auf den Beschauer übt, beruht wesentlich auf<br />

der Wirkung der Kontraste. Der glitzernde Wasserstreifen<br />

mit seinen Lotosblumen, der sich von der Eingangspforte<br />

durch den Garten bis zum Täj Mahal hinzieht, der stolze<br />

Bau aus schneeweissem Marmor, die üppiggrünenden Park­<br />

anlagen, die ihn umgeben, und darüber das dunkle Blau des<br />

indischen Himmels, das alles vereinigt sich zu einem Bilde,<br />

welches für einen Augenblick in der Seele des Beschauers<br />

alle Sorgen und Nöten des Erdendaseins verschwinden macht<br />

und in dieser übermächtigen Wirkung auf der Welt nicht<br />

leicht seines Gleichen findet. Hingegen kann ich der<br />

Meinung derer nicht beistimmen, welche den Täj Mahal für<br />

das schönste Bauwerk der Erde erklären. Wer den Kölner<br />

Dom, die Peterskirche in Rom, die freilich nur von innen<br />

schöne Hagia Sophja in Konstantinopel und vor allen den<br />

Parthenon in Athen gesehen hat, der wird in dem Täj Mahal,<br />

trotz der edlen Einfachheit seiner Formen, und Verhältnisse,<br />

gewiss nicht den höchsten Typus architektonischer Schön­<br />

heit finden. Namentlich kann sich die mohammedanische<br />

Kuppel weder in der Form noch in der Art ihrer Aufsetzung<br />

mit der romanischen messen. Allerdings ist die Verjüngung,<br />

welche die erstere an ihrer Grundlage zeigt, wohl motiviert;<br />

sie soll das ungeheure Gewicht der Kuppel zur Anschauung<br />

bringen, ähnlich wie beim dorischen Tempel durch die An­<br />

schwellung des Säulenkapitäls das Gewicht des Architravs<br />

uns zum Bewusstsein gebracht wird. Aber während die<br />

dorische Säule dem Drucke von oben kraftvoll Widerstand<br />

leistet, so erscheint die Einknickung am Fusse der moham­<br />

medanischen Kuppel vielmehr als eine Schwäche.<br />

In diesen und ähnlichen Betrachtungen ging der Nach­<br />

mittag hin, und schon vergoldete die untergehende Sonne<br />

mit ihren letzten Strahlen die Kuppeln und Minarets des<br />

stolzen Grabpalastes, als ein wohlgekleideter junger Mann<br />

auf uns zutrat und uns unter Nennung unseres Namens be-


Seite 76.<br />

<<br />

cd<br />


Der Täj Mshal. Läl Bsij Näth. Der Yoga. 77<br />

grüsste. Es war Läl Baij Näth, Richter in Agra, welchem<br />

unsere Ankunft brieflich gemeldet worden war, und der,<br />

nachdem er uns im Hotel vergeblich gesucht, nicht in Zweifel<br />

sein konnte, wo er uns finden würde. Wir schickten unsere<br />

Wagen voraus und traten in der Abendkühle zu Fuss den<br />

Rückweg an. Das Gespräch wendete sich bald geistigen<br />

Dingen zu, und ich glaubte an meinem Begleiter eine etwas<br />

hochmütige Stimmung durchzufühlen. In seinen ersten Ant­<br />

worten lag so etwas, wie eine Frage, was wohl ich als<br />

Europäer über solche Dinge mitzureden habe. Wenige Aus­<br />

einandersetzungen genügten, um seine Stimmung umzu­<br />

wandeln, und nun zeigte er eine von Stunde zu Stunde zu­<br />

nehmende warme Anhänglichkeit, und er wurde nicht müde,<br />

über diesen oder jenen Punkt immer neue Aufschlüsse zu<br />

verlangen. Er nahm es wirklich ernst mit seinem Vedänta-<br />

Glauben; sein Erbauungsbuch, in dem er täglich las, war der<br />

umfangreiche Yogavasishtha, und er zeigte eine gewisse<br />

Tendenz, nicht bei dem Räja-Yoga, der intellektuellen Hin­<br />

gebung an das Göttliche stehen zu bleiben, sondern auch<br />

zum Hatha-Yoga überzugehen, welcher auf mehr oder weniger<br />

gewaltsamen Wegen die Abtötung der Weltlichkeit anstrebt.<br />

Er zeigte also ähnliche Neigungen wie bei uns der Pietismus,<br />

sofern man dessen Wesen darein setzen kann, dass er sich<br />

nicht begnügt, die Zeit der Gnade abzuwarten, sondern be­<br />

müht ist, durch geflissentliches Aufsuchen von Busse und<br />

Bekehrung gleichsam um dieselbe zu ringen. Was bei uns<br />

dem Pietismus entgegen zu halten ist, dass die Wiedergeburt<br />

nur dann echt ist, wenn sie durch den heiligen Geist und<br />

gleichsam ohne unser Zutun gewirkt wird, dasselbe konnte ich<br />

dem jungen Inder in seiner Sprache begreiflich machen durch<br />

Hinweisung auf die Vedastellen, in denen es heisst, dass der<br />

Ätman nur in dem, welchen er sich selbst erwählt, Wohnung<br />

nimmt, und dass alle Werke, die guten wie die bösen, wo<br />

es sich um das Höchste handelt, nichtig sind.


78 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

Die Tage in Agra wurden wesentlich in Gesellschaft<br />

mit Läl Baij Näth verbracht. Am andern Morgen in der<br />

Frühe holte er uns in seinem Wagen im Hotel ab und fuhr<br />

mit uns nach dem eine Stunde von Agra entfernten Sikandra,<br />

um das Grab des Kaisers Akbar zu besuchen. Auch dieses<br />

ist ein mächtiger Palast mit vielen Türmen, Säulen und Auf­<br />

gängen. Auf dem Dache breitet sich eine grosse Terrasse<br />

aus, von der man einen herrlichen Rundblick auf den um­<br />

gebenden Park und die weite indische Landschaft geniesst,<br />

und wo nichts die tiefe Ruhe stört, als das liebliche Ge­<br />

zwitscher der kleinen grünen Papageien, welche oft in ganzen<br />

Scharen auf den Kronen der unter uns Hegenden mächtigen<br />

Bäume sassen. „Hierher," sagte Läl Baij Näth, „begebe ich<br />

mich oft, um meinen Gedanken nachzuhängen;" und in der<br />

Tat, für die Sammlung der Seele konnte es keinen günstigeren<br />

Ort geben, als dieses Denkmal des grossen indischen Kaisers<br />

in seiner weltvergessenen Einsamkeit. Weiterhin besuchten<br />

wir mit unserem Freunde noch manche Erinnerungsstätte<br />

mohammedanischer Herrlichkeit, schenkten auch der Stadt<br />

mit ihren Kunstindustrien und Kaufläden die gebührende<br />

Beachtung und fanden uns am Abende in dem ausserhalb<br />

der Stadt gelegenen Hause unsres Freundes zusammen. Er<br />

hatte mich ersucht, ihm an diesem Abende die Gedanken,<br />

welche den Inhalt unserer Gespräche bildeten, einmal im<br />

Zusammenhang zu entwickeln und bat um die Erlaubnis,<br />

noch einige Freunde zuziehen zu dürfen. Gern willigte ich<br />

ein, war aber nicht wenig überrascht, als eine ansehnliche<br />

Versammlung sich einfand, vor der sich denn meine Rede<br />

zu einem zusammenhängenden Vortrage über alle Hauptpunkte<br />

des Vedänta-Systems gestaltete. In der darauf folgenden<br />

Diskussion, die teils in Englisch, teils in Sanskrit stattfand,<br />

fiel mir schon damals die theistische Neigung auf, welche<br />

viele heutige Vedäntisten zeigen, und auf die wir noch in<br />

einem anderen Zusammenhange zurückkommen wollen. Die


Akbars Grsbmonument. Abendgesellschaft bei Läl Baij Näth. 79<br />

Freunde, welche bei diesem ersten, durch zufällige Umstände<br />

veranlassten Vortrag zugegen waren, müssen wohl, ich weiss<br />

nicht ob mündlich, brieflich oder durch die Zeitungen, davon<br />

weiter erzählt haben; an mehreren Orten, die wir später<br />

berührten, wusste man darum und bat mit Berufung darauf<br />

um Haltung eines Vortrages, welches ich denn je nach<br />

Umständen bewilligte oder ablehnte.<br />

Die Gesellschaft bei Läl Baij Näth zog sich zurück, und<br />

wir blieben mit unserem Wirt allein, der uns zum Essen<br />

dahielt. „Heute," sagte er, „bekommen Sie eine europäische<br />

Mahlzeit, morgen abend aber will meine Frau für Sie eine<br />

Mahlzeit nach Hinduweise zubereiten; bei der ersten werde<br />

ich bloss Zuschauer sein, an der zweiten aber, wenn auch<br />

in einiger Entfernung, um die Pflicht meiner Kaste nicht zu<br />

übertreten, teilnehmen." Wir wollen diese Gelegenheit be­<br />

nutzen, um über die Mahlzeiten der Hindus, wie wir sie<br />

nachmals noch oft mitgemacht haben, einiges Nähere mit­<br />

zuteilen.<br />

Der orthodoxe Inder nimmt, wie es schon der Veda<br />

vorschreibt, zwei Mahlzeiten täglich zu sich, die eine morgens<br />

um elf Uhr, die andere abends um acht Uhr. Die Speisen<br />

werden von den Frauen des Hauses selbst zubereitet, welche<br />

in der Regel auch (natürlich nicht wenn Europäer zugegen<br />

sind) ihren Gatten beim Essen bedienen. Erst wenn<br />

die Männer gegessen haben, setzen sich die Frauen zu Tisch.<br />

Die Nahrungsmittel sind durchaus auf Milch und Vegetabilien<br />

beschränkt; Fleisch, Fische sowie auch Eier sind nicht er­<br />

laubt. Ebenso sind alle geistigen Getränke ausgeschlossen;<br />

der gesetzlich lebende Inder trinkt ausser Milch nur klares<br />

Wasser. Selbst gegen Thee und Limonade haben sie meist<br />

Bedenken. Weder Tische noch Stühle werden beim Essen<br />

gebraucht. In einer luftigen Halle des Hauses werden nach<br />

der Zahl der Gäste viereckige Holzbretter, etwa wie unsere<br />

Zeichenbretter, gelegt, vor welchen die Speisenden, nachdem


80 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

ihnen ein Diener Wasser über die Hände gegossen hat, sich<br />

mit kreuzweise untergeschlagenen Beinen niederlassen. So­<br />

dann werden die Speisen vor jeden einzelnen in ganz<br />

kleinen Näpfchen aus Ton oder Bananenblättern auf die<br />

Bretter gestellt. Die Zahl der Gerichte ist gross; zwölf bis<br />

zwanzig Gänge sind etwas ganz Gewöhnliches. Sie bestehen<br />

zur Hälfte aus verschiedenen, meist stark gewürzten Ge­<br />

müsen, Milchspeisen, Reis, zubereiteten Früchten usw. und zur<br />

Hälfte aus allerlei Süssigkeiten. Brot gibt es nicht, sondern<br />

nur sogenannte Chapäti's, dünne, in der Pfanne gebackene<br />

Fladen, von denen ein ganzer Stoss vor jedem Gaste steht.<br />

Sie dienen zugleich als Löffel, um die halbflüssigen Milch­<br />

speisen zu schöpfen. Irgend welche Werkzeuge, wie Messer<br />

und Gabel, werden nicht gebraucht, man isst, nur mit der<br />

rechten Hand, indem man nach Belieben bald in den einen,<br />

bald in den anderen Napf greift und das Erfasste vorsichtig<br />

von oben in den Mund schiebt. Die Überreste werden nie<br />

aufgehoben, sondern an Mohammedaner oder Qüdras weg­<br />

gegeben oder auch weggeworfen. Alles, was vorgesetzt<br />

wird, ist an demselben Tage frisch zubereitet. Da die ge­<br />

brauchten Rohstoffe sehr billig sind, so kann man für zwei<br />

Anas (20 Pf.) schon ein opulentes Mahl haben. Am Schlüsse<br />

wird wieder Wasser über die Hände gegossen und sodann<br />

das Tämbülam gereicht. Dieses besteht aus einem Betel­<br />

blatte, in welches kleine Stückchen der Arekanuss und<br />

andere Gewürze (Cardamum, Cinnanum und Nelke) ein­<br />

gewickelt sind. Man schiebt das Päckchen in den Mund<br />

und lässt es langsam zergehen, bis das Ganze herunter­<br />

geschluckt ist, worauf dann viele eine zweite Dosis nach­<br />

folgen lassen. Ja, manche halten sich den ganzen Tag am<br />

Betelkauen. Dasselbe soll die Verdauung befördern; der<br />

Geschmack ist scharf pikant und nicht unangenehm. Es<br />

vertritt für den Inder die Stelle der Cigarre. Hingegen ist<br />

das Tabakrauchen, abgesehen etwa von Bengalen, sehr wenig


Hindumahlzeiten. Betelkauen, Rauchen. Ein kostbares Andenken. 81<br />

eingeführt. Die meisten Inder enthalten sich desselben, weil<br />

es im Veda nicht erlaubt wird, während die wenigen Rauchen­<br />

den ihr Gewissen damit beschwichtigen, dass es im Veda<br />

ja doch auch nicht verboten werde. Übrigens produziert<br />

Indien selbst viel Tabak, der zu einer guten Mittelsorte ganz<br />

rauchbarer, wenn auch nicht feiner Cigarren verarbeitet wird.<br />

Die besten kosten 3, 4 oder höchstens 5 Rupien das Hundert;<br />

dann springt der Preis gleich auf 15 Rupien und höher für<br />

importierte Cigarren. Nach dem Essen greift der Inder gern<br />

zur Musik, wie an jenen Abenden auch Läl Baij Näth,<br />

welcher, auf dem Teppich kauernd und behaglich an ein<br />

grosses Rollkissen gelehnt, einige Lieder vortrug und sich<br />

dabei auf der Laute begleitete.<br />

Als wir am Abend Abschied nahmen, überreichte mir<br />

Läl Baij Näth zum Andenken einen Stock aus Ebenholz,<br />

von oben bis unten mit schönen Schnitzereien bedeckt und<br />

mit eingelegten edlen Steinen verziert, ein altes Stück, das<br />

er einst auf einer Auktion in Benares erstanden hatte. An<br />

dem Griff befinden sich in eingelegter Elfenbeinarbeit die<br />

wunderlich verschlungenen Züge eines arabischen Namens,<br />

welchen mein Freund und Kollege Hoffmann als Osman<br />

Elias Muhammed Padischah entzifferte und dazu die Ver­<br />

mutung äusserte, dass, nach dem letzten Titel zu schliessen,<br />

der Stock wohl einmal einem indischen Kaiser angehört<br />

haben könne. Im Laufe der Zeiten mag er denn durch<br />

viele Hände gegangen sein, bis er endlich in diejenigen<br />

kam, die ihn gewiss nicht wieder loslassen werden. Ich<br />

habe denselben durch alle Fährlichkeiten der Reise glücklich<br />

nach Hause gerettet, und er dient mir als wertes Andenken<br />

an den Geber, an die in Agra verbrachten Tage und an<br />

das herrliche Land, das wie ein verlorenes Paradies in<br />

unserer Erinnerung lebt.<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien.


82 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

Mittlerweile war der achte Dezember herangekommen,<br />

und der Winter fing an, sich so weit fühlbar zu machen,<br />

dass die Hindus morgens und abends um ihr kleines Feuer­<br />

chen hockten, sei es vor den Häusern, sei es in denselben,<br />

wobei dann in Ermanglung der Schornsteine der Rauch<br />

durch Tür und Fenster und alle Ritzen der mit Stroh oder<br />

Ziegeln bedeckten Dächer quillt. Das Heizmaterial ist, wie<br />

schon im Rigveda, in der Regel Kuhdünger, welcher sorg­<br />

fältig gesammelt, zu kleinen Kuchen geformt und an die<br />

Aussenwände der Hütten angeklatscht wird, um in der<br />

Sonne zu trocknen. Derselbe verbreitet beim Verbrennen<br />

einen eigentümlichen Ammoniakgeruch, der sich weithin<br />

bemerkbar macht. Sollte ich ihn je wieder riechen, so wird<br />

es mir sein, als wenn ich wieder in Indien wäre.<br />

Auch uns gemahnte der Winter, unsere Fahrt nach dem<br />

hohen Norden, d. h. nach dem Pendschäb, dem ältesten<br />

Sitze der indischen Kultur, nicht länger aufzuschieben, und<br />

wir beschlossen, Delhi und alles andere für die Rückkehr<br />

zu verschieben und von Agra über Lahore direkt nach<br />

Peshawar, dem nordwestlichen Endpunkte des anglo-<br />

indischen Reiches, durchzufahren.<br />

Am Morgen des achten Dezembers nahmen wir herz­<br />

lichen Abschied von Läl Baij Näth und von dem schönen<br />

Agra, um in zweiundzwanzigstündiger Fahrt gleich durch<br />

nach Lahore, der Hauptstadt des Pendschäb, zu fahren. Das<br />

Pendschäb, im Nordwesten des indischen Reiches gelegen,<br />

wird von den Reisenden gewöhnlich nicht besucht, war<br />

aber für mich von besonderem Interesse, weil es der Sitz<br />

der ältesten indischen Kultur gewesen ist, wie sie uns noch<br />

heute nach drei- bis viertausend Jahren in den frischesten<br />

Farben aus den Hymnen des Rigveda entgegenleuchtet.<br />

Seitdem ist freilich über das Pendschäb eine Völkerwelle<br />

nach der anderen geflutet; hierher brachte der Alexanderzug<br />

die griechische Kultur; von hier aus waren auch die Moham-


Indischer Winter. Heizmaterial. Die Mohammedaner. 83<br />

medaner hereingebrochen, und hier haben sie noch heute<br />

ihren Hauptsitz, indem die Hälfte der Bevölkerung oder<br />

mehr in den nordwestlichen Provinzen mohammedanisch<br />

ist. Freilich sind diese Mohammedaner nur teilweise ein­<br />

gewanderte Araber; ein grosser Teil derselben sind zum<br />

Islam bekehrte Hindus, und es wäre für die Beurteilung des<br />

Einflusses, welchen die Religion auf den Menschen ausübt,<br />

von grossem Interesse, festzustellen, inwieweit die islami-<br />

sierten Hindus den Hinducharakter oder den Charakter der<br />

Mohammedaner im allgemeinen zeigen, welcher ein sehr<br />

verschiedener ist. Die Grundzüge des letzteren lassen sich<br />

als Fanatismus, Neigung zu Gewalttätigkeiten und Habgier<br />

bezeichnen. So wird sich jeder, der Ägypten oder Palästina<br />

besucht hat, noch lebhaft an die unverschämte Bettelei, das<br />

ewige Bakschisch-Geschrei und die Unzufriedenheit erinnern,<br />

mit der auch die reichlichste Gabe entgegengenommen zu<br />

werden pflegt. Ähnliche Züge, wenn auch nicht in so hohem<br />

Grade, zeigen die Mohammedaner in Indien. Aber trotz<br />

ihrer Habgier haben sie doch keinen eigentlichen Erwerbs­<br />

trieb und unterscheiden sich dadurch von ihren Rassen­<br />

brüdern, den Juden, sehr merklich. Der Jude ist auch<br />

gewinnsüchtig, aber er ist dabei massig und sparsam und<br />

bringt es daher nicht selten zu einem Wohlstande, der für<br />

die christlichen Mitbürger etwas Beängstigendes hat. Der<br />

Mohammedaner hingegen, wie man mir in Indien oft ver­<br />

sicherte, rafft nur zusammen, um das Errungene alsbald<br />

wieder zu vergeuden. Daher er selten zu grösserem Wohl­<br />

stande und einer dementsprechenden einflussreicheren Stellung<br />

in der Gesellschaft gelangt. Als Diener ist der Moham­<br />

medaner, weil die Kastenvorurteile wegfallen, brauchbarer<br />

als der Hindu. Die Köche in den Hotels und Dak Bunga­<br />

lows sind fast durchweg mohammedanisch. Bekannt ist<br />

die starke Sinnlichkeit dieser Rasse. Eine Folge derselben<br />

ist die ängstliche Abschliessung der Weiber, und nichts ist<br />

6*


84 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

belustigender, als zu sehen, wie ein Mohammedaner mit<br />

seinem weiblichen Anhange zu reisen pflegt. Wenn er aus<br />

dem Eisenbahnwagen aussteigt, so muss jedes Weiblein<br />

aus dem Coupe unmittelbar in eine von allen Seiten ver­<br />

schlossene Sänfte schlüpfen und wird in dieser bis zum<br />

Wagen getragen. Ist keine Sänfte vorhanden, so stülpt der<br />

Gatte einer Frau nach der anderen einen langen, bis auf<br />

die Füsse reichenden Sack über und geleitet sie zu einer<br />

entlegenen Stelle des Bahnhofs, wo sie unbeweglich stehen<br />

bleibt oder niederhockt, bis auf diese Weise alle weiblichen<br />

Mitglieder der Familie ausgeladen worden sind und dann<br />

mittels Wagen weitertransportiert werden.<br />

Diese und ähnliche Scenen konnten wir oftmals auf<br />

unserer Fahrt nach Norden beobachten, die uns von Agra<br />

in vierzehn Stunden nach Umballa und sodann die Nacht<br />

durch in weiteren acht Stunden nach Lahore führte, wo wir<br />

am anderen Morgen früh um sieben Uhr ankamen.<br />

Da wir am selben Abend weiter zu fahren gedachten,<br />

so Hessen wir unser Gepäck unter Obhut des.Dieners auf<br />

dem Bahnhofe und machten einen Morgenspaziergang in<br />

die Stadt, die uns von einem Modell im India Museum in<br />

London her bekannt war und allerdings eine gute Vorstellung<br />

von der Anlage der indischen Städte gibt.<br />

Die indische Stadt im allgemeinen lässt sich vergleichen<br />

einem Kreise und einer an denselben gelegten Tangente.<br />

Die Kreisfläche wird gebildet durch die enge, mit krummen,<br />

winkligen Gässchen durchzogene Eingeborenenstadt, die<br />

Tangente besteht in einer schönen breiten Chaussee, ge­<br />

wöhnlich the Mall genannt, an welche sich ein System von<br />

Querstrassen und Parallelstrassen anschliesst, alle sehr breit,<br />

gerade und wohl gepflegt, welche die von den Europäern<br />

bewohnten Stadtteile bilden und häufig noch als Civil Lines<br />

und Cantonment unterschieden werden. Der letztgenannte


Die indische Stadt. Spaziergang in Lahore. 85<br />

Teil ist eigentlich für die Offizierswelt bestimmt, doch findet<br />

man in ihm auch viele Civilistenwohnungen. Die genannten<br />

breiten Chausseen, welche sich oft stundenlang erstrecken<br />

und der Stadt eine ungeheure, nur durch Wagen zu bewäl­<br />

tigende Ausdehnung geben, werden nun nicht etwa von<br />

Häusern eingerahmt, sondern von grossen Grundstücken mit<br />

Gärten und parkartigen Anlagen, in denen in erheblicher<br />

Entfernung von der Strasse wie von einander sich grosse<br />

Villen und palastartige Gebäude mit Säulengängen und<br />

schönen Hallen erheben. Teilweise sind dieselben Privat­<br />

wohnungen, teilweise dienen sie auch als Hotels, Bank­<br />

häuser, Verkaufsläden u. dgl. Auch die europäischen Hand­<br />

werker scheinen in Indien sehr komfortabel zu leben. Gerade<br />

in Lahore war es, wo ich eines Abends im Hotel nach ein­<br />

genommenem Diner meine Cigarre rauchend mit einigen<br />

Herren um das in der abendlichen Kühle willkommene<br />

Kaminfeuer sass. Einer derselben, von eleganter Kleidung<br />

und vornehmen Manieren, wusste über allerlei recht gute<br />

Auskunft zu geben, und ich war ein wenig überrascht, als<br />

sich im Laufe der Unterhaltung herausstellte, dass er nichts<br />

anderes als ein Militärschneider war.<br />

An jenem Morgen unserer Ankunft durchschritten wir<br />

die geschilderten Anlagen des europäischen Viertels und<br />

gelangten sodann in die Eingeborenenstadt, in deren engen<br />

Strassen die Menge hin- und herwogte, während die meisten<br />

Häuser nach der Strasse zu sich zu Verkaufsläden öffneten,<br />

in denen in Säcken, Fässern und Kisten die mannigfachsten<br />

Produkte feilstanden, während der Verkäufer in gravitätischer<br />

Ruhe hinter denselben auf dem Boden kauerte.<br />

Nachdem wir das Vergnügen, uns in dem Labyrinth der<br />

Gassen zu verlieren und wieder zurechtzufinden, genugsam<br />

durchgekostet hatten, stieg in mir der Wunsch auf, den Fluss<br />

zu sehen, an welchem Lahore liegt. Es ist die schon im<br />

Rigveda vorkommende Irävati („die Labungsreiche"), heute


86 IV. Von Bombsy bis Peshswsr.<br />

Rävi genannt, der mittlere von den fünf Zuflüssen des Indus,<br />

welche dem Pendschäb den Namen gegeben haben. Die<br />

indischen Flüsse pflegen in der Regenzeit ihr Bett häufig zu<br />

verändern, und selbst der Ganges wühlt sich immer neue<br />

Wege und gibt dadurch den Besitzern der umliegenden<br />

Felder vielen Anlass zu Streitigkeiten und mühsamer Arbeit.<br />

Und so fliesst denn auch die Irävati heute eine Viertelstunde<br />

entfernt von Lahore vorüber. Wir fanden einen Knaben, der<br />

eben mit seinem Sanskrit-Abcbuch aus der Schule kam und<br />

sich sehr freute, als wir einen Wagen nahmen und ihm er­<br />

laubten, mitzufahren. Rasch ging es nun zur Stadt hinaus,<br />

an Feldern und unbebauten Strecken vorüber, und bald war<br />

der Fluss erreicht. Wir überschritten denselben auf einer<br />

Schiffbrücke, die, wie gewöhnlich in Indien, höchst primitiv<br />

war, und genossen einen Blick in die freie Landschaft. Der<br />

Reiz der südlichen Natur kam weniger zur Geltung, weil das<br />

umliegende Land, wie überhaupt das ganze Hindostan, eine<br />

vollkommene Ebene bildet, während die gewaltigen Gebirgs-<br />

massen des Himälaya viel zu fern liegen, um dem Auge<br />

sichtbar zu werden. Etwas enttäuscht fuhren wir zur Stadt<br />

zurück, hielten bei einer Schule an und Hessen uns durch<br />

den Lehrer zum Vorsitzenden des Äryasamäj führen, eines<br />

über ganz Indien verbreiteten religiösen Vereins, welcher<br />

seinen Hauptsitz in Lahore hat.<br />

Solcher Vereine haben sich in Indien neuerdings mehrere<br />

gebildet. Sie beruhen alle auf dem Bestreben, der entarteten<br />

und in äusserlichem Ceremoniell erstarrten Volksreligion<br />

gegenüber zu älteren und würdigeren Anschauungen zurück­<br />

zukehren. Aber während der Brahmasamäj vielfach aus­<br />

ländische und namentlich auch christliche Elemente auf­<br />

genommen hat, und während der Dharmasamäj nach der<br />

anderen Seite extravagiert und die Verehrung der Idole duldet,<br />

so hält der Äryasamäj, der in Indien wohl die grösste Ver­<br />

breitung und die meiste Aussicht für die Zukunft haben


Die Irävati. Der Äryasamäj. Dr. Stein. 87<br />

dürfte, zwischen beiden eine massvolle Mitte. Er hält einer­<br />

seits alles Ausländische von sich fern, verwirft aber ander­<br />

seits auch den Dienst der Götterbilder und ist bestrebt, von<br />

ihnen zurück zur Religion des Veda zu gelangen. Unter den<br />

denkenden Hindus ist diese Richtung weit verbreitet, und<br />

wenn man auf dem Bahnhof am Billetschalter oder im Ge­<br />

päckraum einen Beamten sieht, auf dessen Angesicht hinter<br />

der selten fehlenden Brille liebreiches Wohlwollen und ein<br />

gewisser kontemplativer Zug sich ausprägt, so wird man<br />

selten fehl gehen, wenn man in ihm einen Anhänger des<br />

Äryasamäj sieht und ihn als solchen anspricht, worauf sich<br />

dann alsbald die freundlichsten Beziehungen entwickeln.<br />

In grösseren Städten besitzt der Äryasamäj ein eigenes Haus,<br />

in welchem regelmässig gottesdienstliche Versammlungen<br />

stattfinden. Götterbilder enthält dasselbe nicht; hingegen<br />

lodert in der Mitte in einem kleinen viereckigen Raum, so<br />

gross wie die Öffnung eines Schornsteins, ein Feuer. Den<br />

Versammlungssaal habe ich irgendwo gesehen; dem Gottes­<br />

dienste beizuwohnen, wozu man mich freundlich einlud, hatte<br />

ich keine Gelegenheit. Nach dem, was ich darüber gehört,<br />

werden dort Hymnen des Veda und Stellen der Upanishad's<br />

verlesen, über welche sodann gepredigt wird. In Lahore<br />

steht gegenwärtig an der Spitze des Äryasamäj ein noch<br />

junger Mann, Hans Räj, von freundlichem Aussehen und be­<br />

scheidenem Wesen, mit dem ich eine kurze Unterredung<br />

hatte. Er wird sehr hoch geschätzt, namentlich weil er alles<br />

aufgegeben hat, um sein ganzes Leben ohne Entgelt in den<br />

Dienst des Äryasamäj zu stellen. Ich verliess Hans Räj, um<br />

mich zu Dr. Stein geleiten zu lassen, einem noch jungen,<br />

aber sehr verdienten Sanskrit-Gelehrten, der damals noch<br />

Vorsteher des Sanscrit College in Lahore war. Er empfing<br />

uns sehr freundlich und entriss uns mit einer gewissen<br />

Hebenswürdigen Eifersucht den Äryasamäj-Leuten, um uns<br />

für sich allein in Anspruch zu nehmen. Wir mussten sogleich


88 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

an seinem Frühstück teilnehmen und tranken dazu eine<br />

Flasche Kaschmirwein, welcher ganz vortrefflich war. Von<br />

Indien zeigte sich Freund Stein wenig erbaut; um so mehr<br />

von Kaschmir, welches er viel bereist und zum Zweck seiner<br />

Herausgabe der Räjatarnagini fleissig durchforscht hat. Er<br />

erzählte viel von der Schönheit des Alpenlandes und von<br />

der primitiven Art, wie man dort reise, indem z. B. oft zum<br />

Überschreiten von Strömen als einzige Brücke nur drei<br />

Stricke gespannt seien, der eine für- die Füsse, die beiden<br />

anderen, um sich mit den Händen daran zu halten.<br />

Indem wir in Gesellschaft von Dr. Stein, der vorzüglich<br />

in allem Bescheid wusste, noch diese und jene Sehens­<br />

würdigkeit der Stadt besuchten, ging der Tag in der an­<br />

genehmsten Weise hin, und nachdem wir am Abend noch<br />

seiner Einladung zum Diner im Hotel Folge geleistet, be­<br />

stiegen wir, mit dem Versprechen, auf dem Rückwege einige<br />

Tage in Lahore zu verweilen, den Nachtzug, in welchem wir<br />

am andern Morgen in Rawal Pindi erwachten. Zahlreiche<br />

Soldaten auf dem Bahnhofe, viele militärische Baulichkeiten<br />

und Einrichtungen in der Umgegend deuteten darauf hin,<br />

dass hier die Engländer einen besonders starken Waffen­<br />

platz haben. Nach einem trefflichen Frühstück, wie es sonst auf<br />

den Bahnhöfen selten geboten wird, fuhren wir weiter und<br />

erreichten gegen Mittag den Indus, da wo im Westen der<br />

Kabulfluss in ihn hineinströmt, während im Osten vom Flusse<br />

das stark befestigte Attock in malerischer Lage an dem Ab­<br />

hänge eines Berges lehnt. Eine prächtige Eisenbahnbrücke<br />

führt über den Indus, welcher hier anmutig zwischen Bergen<br />

strömt, übrigens aber die Erwartung eines grossen Stromes<br />

nicht erfüllte; in meiner Erinnerung erscheint er kaum grösser<br />

als der Rhein bei Basel. In der Regenzeit, wenn die Berg­<br />

wasser von allen Seiten zuströmen, mag er wohl einen an­<br />

deren Anblick gewähren. Die Bahn zieht sich von hier<br />

weiter westlich in der kesselartig von Bergen umgebenen


Kaschmirerinnerungen. Der Indus. Hotel in Peshawar. 89<br />

Ebene des Kabultals hinauf, bis sie in Peshawar ihren End­<br />

punkt findet. Hier langten wir im Laufe des Nachmittags<br />

an und begaben uns sogleich in das einzige Hotel des<br />

Ortes. Wir hätten wohl besser getan, das Dak Bungalow zu<br />

wählen. Schon auf den ersten Blick zeigte es sich, dass<br />

dieses Hotel, das schlechteste, welches wir in Indien an­<br />

getroffen haben, in hohem Grade verwahrlost war. Gäste<br />

waren ausser uns nicht vorhanden, und das Fremdenbuch<br />

wies aus, dass nur selten Fremde sich hierher verloren hatten<br />

und dann baldmöglichst wieder verschwunden waren. Eine<br />

alte Frau erschien, welche sich als die Besitzerin des Hotels<br />

vorstellte. Sie wies uns ein sehr primitives Zimmer an und<br />

setzte mich nicht wenig in Erstaunen, als sie für den Tag<br />

und die Person sechs Rupien forderte, während wir sonst<br />

überall, mit drei berechtigten Ausnahmen, in den ersten Hotels<br />

nur fünf Rupien bezahlt hatten. Als ich dies geltend machte,<br />

ermässigte sie ihre Forderung sofort auf fünf Rupien, ver­<br />

suchte dann aber nochmals zu betrügen, indem sie später<br />

auf der Rechnung das Diner besonders anschrieb, mit der<br />

monströsen Behauptung, dass dasselbe im Pensionspreise<br />

nicht einbegriffen sei. Natürlich ging ihr dieses nicht durch,<br />

und so blieb ihr nichts anderes übrig, als wenigstens in<br />

allerlei Kleinigkeiten, über welche zu markten sich nicht der<br />

Mühe lohnte, uns möglichst zu überfordern. Wir begaben<br />

uns in den sogenannten Salon, in welchem mancherlei Haus­<br />

rat wunderlich zusammengewürfelt war, und da der Abend<br />

kühl wurde, so bemühte ich mich längere Zeit vergebens,<br />

das kümmerliche Kaminfeuer mittels eines zerbrochenen<br />

Blasebalges neu zu beleben.<br />

Inzwischen hatten wir an Colonel Warburton, die Haupt­<br />

person in Peshawar, einen Brief mit der Bitte gesandt, uns<br />

die Besichtigung von FortJamrud zu gestatten. Jamrud liegt<br />

zwei Stunden westlich von Peshawar, da, wo die indische<br />

Ebene ihr letztes Ende erreicht, und die grosse Heerstrasse


90 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

sich durch den berühmten Khaibar-Pass im Gebirge hinauf­<br />

windet, um nach Kabul in Afghanistan zu führen. Hier ist<br />

auch der letzte Endpunkt der britischen Herrschaft, deren<br />

Autorität wir es zu verdanken hatten, dass wir durch ganz<br />

Indien ebenso sicher reisen konnten, wie in der Heimat.<br />

Anders ist es jenseits von Fort Jamrud. Hier hört der eng­<br />

lische Einfluss auf, aber zwischen dem englischen Terri­<br />

torium und Afghanistan erstreckt sich ein zwanzig Kilometer<br />

breiter neutraler Landstreifen, welcher von sogenannten<br />

independent tribes bewohnt wird. So eifersüchtig diese<br />

Stämme auf ihre Unabhängigkeit sind, so wenig beneidens­<br />

wert ist dieselbe. Eine allgemeine Anarchie ist die Folge,<br />

und in den einzelnen Dörfern stehen sich die verschiedenen<br />

Parteien gegenüber, wie die Montecchi und Capuletti in<br />

Shakespeare's Romeo und Julia. Eine öffentliche Sicherheit<br />

gibt es nicht, jedermann geht bewaffnet, und alle Augen­<br />

blicke kommt es zu Streitigkeiten und Blutvergiessen. Ein<br />

Fremder kann diese Gegend nicht betreten ohne die Gefahr,<br />

als Spion betrachtet und ohne weiteres niedergeschossen zu<br />

werden. Immer wieder kommt von Zeit zu Zeit ein der­<br />

artiger Unglücksfall vor, worauf dann die Engländer als<br />

Repressalien ein paar Dörfer niederzubrennen pflegen. Um<br />

diese Vorkommnisse zu vermeiden, gestattet die englische<br />

Regierung niemandem, den Khaibar-Pass zu betreten, aus­<br />

genommen am Dienstag und Freitag, wo derselbe offen ist<br />

und durch genügende Besetzung mit Soldaten für die Sicher­<br />

heit der Reisenden Und Karawanen Sorge getragen wird.<br />

Um diese Dinge in der Nähe zu sehen, bedurfte es der<br />

Erlaubnis des Colonel Warburton, und zu diesem Zwecke<br />

hatte ich vom Hotel aus einen Brief nach seiner Wohnung<br />

in Peshawar gesandt. Der Bote kam zurück mit der Nach­<br />

richt, dass der Colonel sich auf Fort Jamrud befinde. So<br />

beschlossen wir, ihn dort am nächsten Morgen auf­<br />

zusuchen.


Fort Jamrud. Der Khaibar-Pass. Independent tribes. 91<br />

Es war ein wunderschöner Sonntagmorgen, an dem wir<br />

dies ausführten. Die Sonne strahlte herrlich auf die Ebene<br />

des Kabulflusses, welche als solche durch die umliegenden<br />

ragenden blauen Berge auf das schönste zur Geltung kam.<br />

Die nördliche Lage und die Nähe des Gebirges verbreitete<br />

Frische, und so rollten wir auf einem Tam-tam (einem<br />

leichten zweiräderigen Wäglein, welches für Fahrgäste und<br />

Kutscher vier mit dem Rücken gegeneinander stehende Sitze<br />

bietet) auf Jamrud zu. Die Natur war diesen Winter im<br />

Kabultale besonders schön, da man hier, wie wir hörten,<br />

ungewöhnlich reichen Regen und freilich auch infolge dessen<br />

mehr Fieber als sonst gehabt hatte. Immer näher kamen die<br />

Berge heran, und wir freuten uns zu denken, dass wir hier<br />

den Punkt erreichten, wo wir nach der Luftlinie gemessen<br />

in Indien der Heimat am nächsten waren. Praktisch be­<br />

trachtet waren wir ihr hier freilich ferner, als irgendwo.<br />

Denn welch ein Unternehmen wäre es gewesen, von hier<br />

der Luftlinie nach durch Afghanistan, Persien und das tür­<br />

kische Kleinasien oder Russland nach Hause zu kommen!<br />

Indes kommt das englische Bahnnetz dem russischen immer<br />

näher, und zuletzt werden alle politischen und technischen<br />

Schwierigkeiten nicht mehr hindern können, dass sie sich<br />

zusammenschliessen und man in etwa zehn Tagen und<br />

Nächten von Berlin bis Calcutta direkt mit der Eisenbahn<br />

gelangen kann. Unter solchen Träumereien waren wir bis<br />

an den Fuss des mächtig ansteigenden Gebirges gelangt, und<br />

da lag auch schon Jamrud auf einem Hügel zur Linken, das<br />

erste Dorf ausserhalb des britischen Reiches, und ihm gegen­<br />

über zur Rechten auf englischem Boden das kleine, aber<br />

respektabel befestigte Fort Jamrud, während zwischen beiden<br />

die Landstrasse die waldbewachsenen Berge hinauf sich nach<br />

dem Khaibar-Passe hinzog. Wir hielten vor dem Fort und<br />

Hessen uns bei Colonel Warburton anmelden. Er empfing<br />

uns sehr freundlich in seinem Arbeitszimmer, wo er gerade


92 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

mit einem eingeborenen Obersten konferierte, den er uns<br />

vorstellte, dessen Name mir aber leider entfallen ist. Einen<br />

eingeborenen Obersten! gewiss ein seltener Fall, dass ein<br />

Eingeborener zu einer so hohen Würde in Indien gelangt.<br />

Es waren aber auch besondere Verhältnisse, die ihn dazu<br />

befördert hatten. Dieser Mann stammte aus der Umgegend<br />

und hatte sich durch hervorragende Charaktereigenschaften<br />

eine solche Autorität unter den Eingeborenen zu verschaffen<br />

gewusst, dass die Engländer froh waren, bei den endlosen<br />

Verwickelungen, wie sie an einer solchen Grenzstation vor­<br />

zukommen pflegen und denen ein Engländer nie gewachsen<br />

sein würde, eine energische, der Sprache, des Landes und<br />

der Bevölkerung kundige Kraft dem englischen Befehlshaber<br />

zur Seite stellen zu können. Dem entsprach auch die äussere<br />

Erscheinung des Mannes; englisch sprach er so gut wie<br />

garnicht, aber seine hohe, kraftvolle Gestalt flösste Achtung<br />

ein, sein Blick Hess auf Mut und klaren Verstand, seine<br />

Gesichtszüge auf Entschlossenheit und eine Energie schliessen,<br />

der sich niemand so leicht zu widersetzen wagen mochte.<br />

Er verabschiedete sich von uns mit einem kräftigen Hände­<br />

druck, und nun entwarf Colonel Warburton von den herr­<br />

schenden Verhältnissen ein Bild, welches durchaus das be­<br />

stätigte, was wir auch von anderen gehört hatten und hier<br />

bereits mitgeteilt haben. „Den Khaibar-Pass", sagte er,<br />

„können Sie ausser am Dienstag und Freitag ohne Lebens­<br />

gefahr nicht betreten. Auch das Dorf Jamrud würde ich<br />

Ihnen zu besuchen nicht raten. Sie würden nichts anderes<br />

antreffen, als was sie schon oft gesehen haben, und die Ein­<br />

geborenen sind den Fremden nicht hold, als Mohammedaner<br />

sehr eifersüchtig auf ihre Weiber und dazu alle bewaffnet.<br />

Hingegen liegt unmittelbar vor dem Dorfe ein Teich, welcher<br />

noch heute der Teich des Jemschid heisst, worin Professor<br />

Darmesteter eine Erinnerung' an die iranische Sage sah.<br />

Wollen Sie diesen besuchen, so werde ich Sie unter Be-


Colonel Warburton und der eingeborne Oberst. 93<br />

deckung dorthin geleiten lassen." Wir nahmen das Anerbieten<br />

dankbar an, zehn Soldaten, alles braune Hindugesichter,<br />

traten mit dem Gewehr an und geleiteten uns an den fast<br />

gänzlich ausgetrockneten Teich, von wo wir eine gute Aus­<br />

sicht auf die Hauptstrasse des Dorfes, die davor sitzenden<br />

Leute und die mit Flinten hin- und hergehenden Menschen<br />

hatten. Mit diesem Blick in die verworrenen Verhältnisse<br />

der iranischen Grenzländer begnügten wir uns und kehrten<br />

zurück in Unterhaltung mit einem des Englischen kundigen<br />

Hindu, welchen der Oberst uns gleichfalls mitgegeben hatte.<br />

Er war zuerst reserviert, wurde aber warm und mitteilsam,<br />

als wir auf unsere Beziehungen zum Äryasamäj zu sprechen<br />

kamen, welchem er als Mitglied angehörte. Sein Amt war,<br />

von den Karawanen den üblichen Eingangszoll — zwei<br />

Rupien für jedes Kamel — zu erheben.<br />

Nachdem wir noch innerhalb des Forts unter dem<br />

Schatten unseres Wagens das mitgebrachte Frühstück ver­<br />

zehrt, traten wir den Heimweg an. Die schnelle Fahrt wurde<br />

plötzlich dadurch unterbrochen, dass der Kutscher bei einem<br />

kleinen Hause an der Landstrasse hielt, vor welchem ein<br />

Eingeborener sass und seinen Huqqa (indische Pfeife) rauchte.<br />

Unser Kutscher sprang vom Bock, bat den Rauchenden, ihm<br />

seine Pfeife zu erlauben, tat daraus einige kräftige Züge und<br />

schwang sich neugestärkt wieder auf den Bock. Nun ging<br />

es munter weiter und gegen halb drei Uhr war unser Hotel<br />

wieder erreicht. Hier hatte sich unterdessen ein junger<br />

Hindu eingefunden, dem wir brieflich empfohlen worden<br />

waren. Es war ein sanfter, lieber Jüngling von zarter, wie<br />

es schien, schwindsüchtiger Konstitution, welcher mit Vor­<br />

liebe Philosophie studierte und darüber klagte, dass ihm<br />

durch die englischen Professoren der Philosophie die Freude<br />

daran fast ganz benommen worden sei. Ich konnte diese<br />

Klage um so mehr verstehen, als bei uns ja ganz ähnliche<br />

Verhältnisse bestehen. Was sich heutzutage in Deutschland,


94 IV. Von Bombay bis Peshawar.<br />

England und, soweit der englische Einfluss reicht, auch in<br />

Indien als Philosophie breit macht, das ist nicht mehr die<br />

Wissenschaft des Piaton und Aristoteles, sondern ein<br />

psychologisches Experimentieren, bei dem es sehr fraglich<br />

ist, ob etwas dabei herauskommt, und welches im besten<br />

Falle doch nur für eine Vorhalle der Philosophie gelten kann,<br />

heute aber die wahre Philosophie verdrängt, um sich an<br />

deren Platz zu setzen. Ich verwies den jungen Mann auf<br />

die einheimische Philosophie des Vedänta und die Ge­<br />

dankenschätze, welche sie enthält, und das Wenige, was ich<br />

ihm in der Kürze sagen konnte, schien ihm neuen Mut ein­<br />

zuflössen. Er zeigte grosse Anhänglichkeit und begleitete<br />

uns auf einer Spazierfahrt in die Stadt. Der Basar, den wir<br />

hier zunächst besichtigten, war von besonderem Interesse,<br />

nicht nur wegen der Waren, die hier aus dem Gebirge jen­<br />

seits der Grenze zusammenflössen, sondern noch mehr wegen<br />

der halbwilden Gebirgsbewohner, welche, in , Tierfelle ge­<br />

kleidet, sich hier einfanden, um die Rohprodukte ihres Landes<br />

gegen die Erzeugnisse der Civilisation umzutauschen. „Sehen<br />

Sie diese Gestalten", sagte unser Begleiter, indem er auf<br />

eine abenteuerlich in Schaffelle gekleidete Gruppe hinwies,<br />

„sie gehören zu den unabhängigen Stämmen jenseits der<br />

Grenze; wenn sie hierher kommen, um ihre Schafhäute und<br />

ihren Käse abzusetzen, so sind sie ziemlich zahm, aber<br />

droben im Gebirge möchte ich ihnen nicht begegnen". Vom<br />

Basar führte uns der Freund auf das flache Dach eines<br />

öffentlichen Gebäudes, von wo man eine schöne Rundsicht<br />

auf die ganze Stadt genoss. Überall aus den Strassen und<br />

den Dächern der Häuser quoll der Rauch hervor von den<br />

Feuern, die man bei der Kühle des herannahenden Abends<br />

angezündet hatte. Peshawar ist berüchtigt durch seine<br />

häufigen Feuersbrünste, und diese sind sehr begreiflich.<br />

Sah ich doch selbst vor einem Hause auf der Strasse ein<br />

Feuer, dessen lodernde Flammen dem Holzwerke des Aussen-


Die Philosophie in Indien. Abfahrt von Peshawar. 95<br />

geländers und der Dachsparre ziemlich nahe kamen. So<br />

kam der Abend heran und mit ihm die Zeit, welche wir für<br />

unsere Abreise festgesetzt hatten. Wir hatten bis Lahore<br />

eine lange Fahrt vor uns, und ich hatte vorsichtig die beiden<br />

unteren Plätze eines Coupes erster Klasse reservieren lassen,<br />

in der Hoffnung, die Nacht wie gewöhnlich allein bleiben<br />

zu können. Aber es sollte anders kommen.


Fünftes Kapitel.<br />

Von Peshawar bis Calcutta.<br />

r\er freundliche Hindujüngling, der uns so schön in Peshawar<br />

geführt hatte, Hess es sich natürlich nicht nehmen, uns<br />

zum Bahnhof zu begleiten. Er war uns behülflich beim Ein­<br />

steigen, reichte noch eine ganze Anzahl von Schachteln mit<br />

köstlichen Trauben als Abschiedsgeschenk in unser Coupe,<br />

nahm herzlichen Abschied, und der Zug setzte sich in Be­<br />

wegung. Wir waren allein geblieben und hofften in ruhigem<br />

Schlafe die Gegenden des Industales, die wir schon bei<br />

Tage gesehen hatten, zu durchfahren, um dann den nächsten<br />

Tag lang alle seine fünf östlichen Zuflüsse, welche dem<br />

Pendschäb den Namen geben, zu geniessen. Wir kleideten<br />

uns aus und legten uns zum Schlafen nieder; da hielt der<br />

Zug auf der nächsten Station, die Coupetür wurde aufge­<br />

rissen, und hereinstiegen ein Herr und eine Dame. Es war<br />

verdriesslich, aber es war nicht zu ändern. Die beiden<br />

Betten über uns wurden heruntergelassen, und unsre beiden<br />

Reisegefährten kletterten hinauf. Ein Trost war es noch für<br />

uns, dass sie in Rawal Pindi um drei Uhr nachts auszusteigen<br />

gedachten. Bis dahin war an ein ruhiges Schlafen freilich<br />

nicht zu denken. Denn unsre Gefährten da oben verhielten<br />

sich zwar durchaus rücksichtsvoll und ruhig, konnten es aber<br />

in dem berechtigten Wunsche, ihre Station nicht zu ver-


Eine verdorbene Nacht. Die Flüsse des Pendschäb. 97<br />

säumen, nicht unterlassen, hin und wieder bei den Stationen<br />

das Fenster zu öffnen und sich zu erkundigen, wo wir seien,<br />

oder dann und wann ein Streichholz anzuzünden, um nach<br />

der Uhr zu sehen. Endlich kam Rawal Pindi, und wir wurden<br />

unsere Einquartierung los. Aber schon auf der nächsten<br />

Station stiegen zwei Jäger zu uns ein und nahmen von den<br />

oberen Betten Besitz. Am Morgen nach dieser verdorbenen<br />

Nacht erreichten wir Jhelum, welches an dem ersten Zuflüsse<br />

des Indus von Osten liegt, der heute ebenfalls den Namen<br />

Jhelum führt, während er bei den Griechen Hydaspes, im<br />

Veda aber die Vitastä, d. h. die Ausgebreitete heisst. Er<br />

macht diesem Namen auch alle Ehre, denn eine nicht enden<br />

wollende Eisenbahnbrücke führte über die zahlreichen Wasser­<br />

rinnen, in welche er sich während der trockenen Jahreszeit<br />

spaltet. Während der Regenzeit mögen sie wohl alle sich<br />

zu einer Wasserfläche verbinden und einen majestätischen<br />

Anblick gewähren, zumal da im Norden das Panorama hier<br />

durch die Vorberge des Himälaya seinen Abschluss findet,<br />

welche diese mächtige Wasserfülle aus sich ergiessen. Weiter<br />

ging es mit der Bahn über das zwischen Jhelum und dem<br />

Chenäb Hegende Doab, ein Name, mit dem man im Pendschäb<br />

die zwischen zwei Flüssen gelegenen Hochebenen bezeichnet,<br />

die stellenweise einen ziemlich sterilen Anblick bieten. Über­<br />

haupt entspricht das Pendschäb keineswegs den Vorstellungen,<br />

wie sie uns in dem Rigveda entgegentreten, von einem an<br />

Wäldern und Grasplätzen reichen Lande, sodass Dr. Stein die<br />

Meinung äusserte, die Inder des Rigveda möchten wohl viel­<br />

mehr in dem nördlichen Gebirgslande gesessen haben. Dem<br />

widerspricht aber der Tatbestand. Denn wenn z. B. in dem<br />

bekannten Liede an die Flüsse, Rigveda 3,33, Vigvämitra die<br />

Vipäg. und die (Tutudri zusammen feiert, so kann dieses Lied<br />

kaum anderswo als an dem Zusammenflusse von Bias und<br />

SutleJ, mithin südlich von Amritsar entstanden sein, wo das<br />

Gebirge schon über hundert Kilometer entfernt Hegt. Wir<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 7


'98 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

werden daher vielmehr annehmen müssen, dass das Land<br />

erst infolge der Abholzung so trocken geworden ist. Welchen<br />

Einfluss diese auf das Klima hat; das sieht man, wenn man<br />

nach Griechenland und Palästina kommt und die kahlen,<br />

nicht einmal mit Gras bedeckten Berge mit den Schilderungen<br />

aus dem biblischen und klassischen Altertum vergleicht. Was<br />

hier die Türken, das werden im Pendschäb die Araber be­<br />

sorgt haben; beide sind ja gewohnt, in den Tag hinein zu<br />

leben und für die Zukunft ihren Allah sorgen zu lassen.<br />

Weiter ging es dann über den: Chenäb,die alte Candrabhägä,<br />

und nachmittags um vier Uhr langten wir glücklich wieder<br />

in Lahore an. Schon am Bahnhofe hatte sich ein Pandit ein­<br />

gefunden, uns zu begrüssen, mit dem ich zu Fuss nach dem<br />

Hotel wanderte, wo sich bald darauf Dr. Stein und gegen<br />

Abend, nachdem er uns verlassen, noch mehrere Pandits ein­<br />

stellten. Das Gespräch kam auf Astronomie, und "mit Er­<br />

staunen bemerkte ich wiederum, wie diese gelehrten Männer,<br />

gestützt auf ihre einheimischen, aus dem Altertume über­<br />

kommenen Lehrbücher, den ganzen Himmel mit allen seinen<br />

Sonnen in 24 Stunden mit undenkbaren Geschwindigkeiten<br />

sich um die kleine Erde drehen lassen. Der gestirnte Himmel<br />

über uns hatte diese Betrachtung angefegt, und1 hier, wie<br />

öfter in Indien, fiel mir seine Verschiedenheit von unserem<br />

nordischen Himmel auf. Der Wagen steht so tief, dass er<br />

in der Regel gar nicht zu finden ist, da er ganz oder teil­<br />

weise durch die Dünste des Horizontes verdunkelt wird, so­<br />

weit er nicht völlig unter letzterem verschwindet. Auch der<br />

Polarstern ist unter diesen Umständen oft schwer zu er­<br />

mitteln, und hat man. ihn glücklich herausgefunden, so-ist<br />

man erstaunt über den tiefen Stand desselben.<br />

Da wir vier Nächte hinter uns hatten, von denen drei<br />

im Eisenbahncoupe und teilweise unter erschwerenden Um­<br />

ständen zugebracht worden waren, so gingen wir frühzeitig<br />

zu Bette. An den folgenden Tagen pflegte Dr. Stein uns


Klima des Pendschäb. Lahore, Sanscrit College. 99<br />

um sieben Uhr früh zum erquickenden Morgenspaziergang<br />

abzuholen. Wir besichtigten dann die Parkanlagen mit inter­<br />

essanten, aber armselig unterhaltenen Tieren, die einfachen<br />

Steindenkmäler, welche die Inder zu setzen pflegten, wo<br />

vormals eine Witwe mit ihrem Gatten sich hatte verbrennen<br />

lassen, die Schöpfräder und anderen Vorrichtungen, welche<br />

zur künstlichen Bewässerung des Landes dienen. Nachher<br />

besuchten wir dann in der Regel unseren Freund in seinem<br />

Sanscrit College. Mit Freuden sah ich, wie er mit seinen<br />

Hindustudenten namentlich auch die Hymnen des Rigveda<br />

las. Es ist dies um so anerkennenswerter, als gerade die<br />

Behandlung des Rigveda von Seiten der Eingeborenen, wie<br />

mich ein spätererer Fall lehrte, eine höchst ungenügende ist.<br />

Auch wüsste ich nicht, wo in der Welt diese ältesten Denk­<br />

mäler der indischen Kultur mehr verdienten gelesen zu wer­<br />

den, als in dem Lande, wo sie zuerst gesungen wurden, an<br />

den Ufern der Irävati. Übrigens docierten unter der Aufsicht<br />

von Dr. Stein auch mehrere treffliche Pandits, deren Lehr­<br />

stunden ich mit Genuss beiwohnte. Einen anderen Pandit<br />

lernte ich näher kennen, der an einer Missionsanstalt Sanskrit<br />

lehrte. Derselbe hatte grosse Lust, nach Europa zu kommen,<br />

und erkundigte sich angelegentlich danach, ob es Wohl mög­<br />

lich sein werde, sich dort durch Sanskrit-Vorlesungen seinen<br />

Lebensunterhalt zu verdienen. Leider musste ich ihm eröffnen,<br />

dass dazu jetzt und in absehbarer Zukunft nicht die mindeste<br />

Aussicht ist. Gehen wir doch einer Zeit entgegen, wo selbst<br />

die Kenntnis des-Griechischen nur noch den Vorzug ganz<br />

enger Kreise ausmachen wird. An Griechenland wurden wir<br />

gerade in Lahore lebhaft erinnert,' als wir mit Dr. Stein das<br />

dortige Museum besuchten. Die daselbst aufbewahrten<br />

Skulpturen bekundeten vielfach unzweifelhaft griechischen<br />

Einfluss und standen dadurch zu den Erzeugnissen der ein­<br />

geborenen Plastik in einem sehr merklichen Gegensatze.<br />

So gingen mit Besichtigung der Stadt und ihrer Um-<br />

7*


100 Von Peshawar bis Calcutta.<br />

gebung einige Tage in angenehmer Weise dahin. Weniger<br />

wollte es gelingen, mit der Gesellschaft des Äryasamäj unter<br />

diesen Umständen nähere Fühlung zu gewinnen. Sie bat<br />

mich, ihr einen Vortrag zu halten, welches ich auch bereit­<br />

willig zusagte. Aber durch irgend ein Missverständnis waren<br />

für den betreffenen Abend keine Vorbereitungen getroffen<br />

worden. Es fanden sich nur eine geringe Anzahl in der<br />

Eile herbeigeholter Mitglieder zusammen, und ich begnügte<br />

mich, ihnen eine kurze Ansprache zu halten. Um so reicher<br />

wurde ich beim Abschiede mit Büchern beschenkt. Es waren<br />

meist Ausgaben der bekannteren Upanishad's mit Erklärungen<br />

und englischen Übersetzungen, welche allerdings auf einen<br />

noch sehr primitiven Stand der Veda-Exegese schliessen lassen.<br />

Am Nachmittag des 14. Dezember verliessen wir Lahore,<br />

um die kurze Strecke bis Amritsar zu fahren. Der berühmte<br />

sogenannte goldene Tempel dieser Stadt lohnte wohl eine<br />

Unterbrechung ,der Fahrt, wenn auch die Nacht in einem sehr<br />

mittelmässigem Dak Bungalow zugebracht werden musste.<br />

Nachdem unsere Sachen dort untergebracht, fuhren wir sofort,<br />

denn der Abend rückte heran, zum goldenen Tempel, welcher<br />

den Sikh's angehört, deren Religion aus indischen und<br />

mohammedanischen Elementen gemischt ist, und die in Am­<br />

ritsar ihren Hauptsitz haben. Der Tempel ist nur klein, liegt<br />

aber wunderschön von der Stadt umgeben mitten in einem<br />

grossen Teiche, in dem sich seine vergoldeten Kuppeln spie­<br />

geln. Der Zugang ist über eine lange Brücke, auf welcher<br />

zur Zeit unserer Ankunft ein erstaunliches Menschengewimmel<br />

hin- und herwogte. Jedem fremden Besucher werden von<br />

geschäftigen, auf ihr Trinkgeld lüsternen Knaben ein paar<br />

Sandalen untergebunden. Auch ein eingeborener Policefnan<br />

hat den Fremden vorschriftsmässig zu begleiten, was in Indien<br />

sonst ganz ungewöhnlich ist und auf einen stark entwickelten<br />

Fanatismus schliessen lässt. Das Innere des Tempels, in


Abschied von Lahore. Amritsar. Mr. Summers. 101<br />

\<br />

welchem die Verehrer sich dicht durcheinander drängten,<br />

durfte von uns natürlich nicht betreten werden, doch Hess es<br />

sich von den weit geöffneten Pforten aus vollkommen über­<br />

sehen. Ein Führer geleitet den Fremden auf das flache Dach,<br />

wobei man die vergoldeten Kupferplatten, mit denen die<br />

Kuppeln und andere Teile bedeckt sind, und von welchen<br />

der Tempel den Namen hat, aus nächster Nähe betrachten<br />

kann. Die eintretende Dämmerung mahnte zur Rückkehr.<br />

Wir hatten ein Gewirr volkreicher Strassen zu passieren. Die<br />

Zudringlichkeit der Händler, welche den Wagen überall auf­<br />

zuhalten suchten, Hess auf einen stark entwickelten Fremden­<br />

verkehr schliessen. Beim Dinner im Dak Bungalow waren nur<br />

wenige Gäste vorhanden, und es entspann sich eine ganz<br />

angenehme Unterhaltung; namentlich ein Mr. Summers, ein<br />

Mann in den besten Jahren, der sich nachher als Member of<br />

Parliament vorstellte, zeigte durch seine Fragen eingehenderes<br />

Interesse, als man es sonst bei dem Durchschnittsengländer<br />

zu finden pflegt. Wir sassen noch lange mit ihm zusammen<br />

und haben ihn noch mehrere Male wieder getroffen; so in<br />

Delhi, wo er eifrig die Schulen besuchte, und am heiligen<br />

Abend in Lucknow, wo ich ihm, um die possenhafte Vor­<br />

stellung einer Bande von schottischen Musikanten zu ver­<br />

wischen, einige deutsche Weihnachtslieder vorspielte. Das<br />

sollte unser Abschied für dieses Leben sein. Am nächsten<br />

Morgen fuhr er nach Allahabad [zum nationalen Kongress,<br />

und zwei Tage später hörten wir, dass er dort, man wusste<br />

nicht an welchem Leiden, hoffnungslos erkrankt darnieder<br />

liege. Wenige Tage darauf lasen wir in der Zeitung seine<br />

Todesanzeige. Als wir dann später nach Allahabad kamen,<br />

hörten wir in dem Hotel, in welchem er gestorben war, das<br />

Nähere. Er war an den Pocken erkrankt, und man vergass<br />

nicht hervorzuheben, dass er im Parlamente als ein Gegner<br />

des Impfzwanges bekannt war.<br />

Wir haben es versäumt, uns vor unserer Reise nach


102 Von Peshawar bis Calcutta.<br />

Indien nochmals impfen zu lassen, und die Sache ist ja gut ge­<br />

gangen; aber wie die Dinge liegen, ist diese Vorsichtsmassregel<br />

jedem, der nach Indien reist, entschieden anzuraten. Die Cholera,<br />

wie schon oben bemerkt, pflegt, wie die Hindus sagen, einen<br />

Gentleman nicht zu befallen; die Fieber treten vorwiegend<br />

nur in der Regenzeit auf, aber einer Ansteckung durch die<br />

Pocken ist man durch jedes Hotelbett, ja durch jeden Wagen<br />

ausgesetzt, in dem vorher ein Pockenkranker gesessen hat.<br />

Nachdem wir uns an jenem Abend in Amritsar von Mr.<br />

Summers und der übrigen Gesellschaft verabschiedet, suchten<br />

wir unser Schlafzimmer auf, dessen Tür wir bei dem Fehlen<br />

jeder Schliessvorrichtung durch Vorbau aller unserer Koffer<br />

und Effekten notdürftig verrammelten.<br />

Der frühe Morgen fand uns wieder auf dem Bahnhofe,<br />

zu einer langen Eisenbahnfahrt, die uns abends nach zehn<br />

Uhr nach Delhi führen sollte. Viele von Sage und Poesie<br />

verherrlichte Orte flogen an uns vorüber. Zunächst ging es<br />

über die Vipäg. (die fessellose, heute Bias) und fiutudrt (die<br />

hundertläufige, heute Sutlej), beide sachgemäss benannt, nicht<br />

weit oberhalb ihres Zusammenflusses, an welchem vor mehr<br />

als dreitausend Jahren Vigvämitra das schon erwähnte Lied<br />

dichtete, welches uns im Rigveda mit solcher Frische ent­<br />

gegentritt, als wäre es gestern entstanden, und über so weite<br />

Zeiten und Räume hinweg eine uralte, ferne Vergangenheit<br />

wieder aufleben lässt. Indem wir dann weiter die kleine,<br />

in der Wüste unterhalb sich verlierende und doch so hoch<br />

gefeierte Sarasvati überschritten, traten wir gleichsam aus<br />

dem Sagenkreise des Rigveda in den des Mahäbhäratam<br />

hinüber, berührten bei Station Karnal die Gegend, in welche<br />

das grosse Schlachtfeld von der Sage verlegt wird, und<br />

kamen spät abends in Delhi an, der Hauptstadt des Reiches der<br />

Grossmogule, welche neben der Stätte des alten Indraprastham,<br />

der Residenz der Helden des Mahäbhäratam, erbaut ist.


Pockengefahr. Vipäc, und Cutudri. Delhi. 103<br />

Man hat Delhi sehr treffend mit Rom verglichen. Wie<br />

Rom ist Delhi heute eine gewerbfleissige Handelsstadt, nur<br />

dass in Rom Toga und Tunica dem Rock und der Hose<br />

gewichen sind, während in Delhi wie überall in Indien die<br />

alten malerischen Kostüme sich erhalten haben. Wie in Rom<br />

allenthalben die Denkmäler der päpstlichen Herrschaft ent­<br />

gegentreten, so in Delhi die nicht minder grossartigen Über­<br />

reste der mohammedanischen Herrlichkeit. Und wie in Rom<br />

durch Kirchen und Kapellen die Überbleibsel des klassischen<br />

Altertums in störender Weise zugedeckt werden, so verdecken<br />

auch in Delhi die Moscheen, Paläste und Grabmäler der<br />

mohammedanischen Periode eine ältere und für uns interes­<br />

santere Vergangenheit, die Erinnerungen an Indraprastham,<br />

die Hauptstadt der Mahäbhärata-Helden; nur dass das<br />

moderne Rom unmittelbar auf dem antiken steht, während<br />

sich südlich von Delhi das alte Indraprastham wenigstens<br />

in seiner Ringmauer vollständig erhalten hat. Denn so wie<br />

südlich von Rom die Campagna mit ihren zahlreichen Resten<br />

aus dem Altertume sich ausbreitet, so erstreckt sich im<br />

Süden von Delhi zwei Stunden weit eine Gegend, welche<br />

bis zum Kutb Minar hin mit Denkmälern aus der moham­<br />

medanischen und zum Teil auch aus der altindischen Zeit<br />

übersäet ist. Eine Beschreibung aller dieser Herrlichkeiten äst<br />

an vielen Orten zu finden, wir müssen uns darauf beschränken,<br />

einige persönliche Eindrücke wiederzugeben. Auch für Delhi<br />

fehlte es uns nicht an Empfehlungen, die uns die Kreise<br />

der Eingeborenen erschlossen. Diesmal waren es einige<br />

reiche Kaufleute, denen unsre Ankunft vorher brieflich<br />

gemeldet war, und die sich denn auch gleich am Morgen<br />

nach unserer Ankunft im Hotel zu unserer Begrüssung ein­<br />

fanden. Wir durchwanderten mit ihnen den südlich vom<br />

Bahnhofe innerhalb der Stadt gelegenen Park, warfen einen<br />

Blick in das dort befindliche Museum und wandten uns<br />

dann nach der Chandni Chauk, der Silberstrasse, welche in


104 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

ansehnlicher Breite die Stadt durchzieht und mit ihren statt­<br />

lichen Läden und dem davor auf- und abwogenden Verkehre<br />

emsiger Menschen Zeugnis davon ablegt, dass wir uns hier<br />

an einem Mittelpunkte des industriellen und kaufmännischen<br />

Indiens befinden. Besonders interessant war es uns, von<br />

unsern freundlichen Begleitern in das Innere ihres Waren­<br />

hauses eingeführt zu werden. Den Mittelpunkt desselben<br />

bildete, wie gewöhnlich in Indien, ein von dem Hause um­<br />

schlossener Hofraum, der als Empfangszimmer dient, und in<br />

welchem die Geschäfte abgewickelt werden. Um denselben<br />

herum zieht sich das an jedem Stockwerke mit Veranden<br />

versehene Haus, welches sich in offenen Rundgängen nach<br />

dem Hofe zu öffnet, während im Innern die mannigfachen<br />

Waren lagern. Wie die meisten Kaufleute in Indien, wo<br />

die Kultur noch nicht bis zum Begriffe der Arbeitsteilung<br />

gelangt ist, waren auch unsere Freunde General Merchants,<br />

d. h. sie befassten sich mit Export, Import und Verkauf aller<br />

möglichen Artikel. Im übrigen waren die Interessen zwischen<br />

uns doch zu verschieden, als dass es zu innigen Beziehungen<br />

hätte kommen können.<br />

Die oben genannte Hauptstrasse Chandni Chauk, welche<br />

Delhi von Westen nach Osten laufend durchschneidet, mündet<br />

am östlichen Ende in dem Fort, der Festung, welche, zwischen<br />

Stadt und Yamunä auf einer Erhöhung prachtvoll gelegen,<br />

eine Anzahl höchst interessanter Hallen und Prachtbauten ein-<br />

schliesst und zur Blütezeit der mohammedanischen Herrschaft<br />

wohl eine märchenhafte Herrlichkeit zeigen mochte, während<br />

heutzutage die Benutzung vieler Bauten zu Militärzwecken,<br />

die in Pyramiden aufgetürmten Kanonenkugeln, die auf den<br />

Wällen aufgepflanzten Kanonen, die hin- und hergehenden<br />

Schildwachen einen seltsamen Kontrast zu den noch erhaltenen<br />

Denkmälern der Grossmogule bilden. Die hervorragendsten<br />

sind die herrliche, nach drei Seiten offene allgemeine Audienz­<br />

halle (Divan-i-'Am) und die noch schönere, an der Yamunä-


Sehenswürdigkeiten Delhis. 105<br />

Seite gelegene und von Gartenanlagen umgebene private<br />

Audienzhalle (Divan-i-Khas), welche bei ihrem Reichtum von<br />

marmornen, mit Gold verzierten Säulen und bei der entzücken­<br />

den Natur, die sie umgibt, wohl die Inschrift rechtfertigen<br />

mag, die in persischer Sprache an der Wand prangt:<br />

GIBT ES AUF ERDEN EIN PARADIES,<br />

SO IST ES DIESES, JA DIESES GEWISS.<br />

Dass es freilich auf Erden kein Paradies gibt, das zeigen<br />

deutlicher als irgend etwas die furchtbaren Schicksale des<br />

Shah Jehan, welchen alle diese Herrlichkeiten nicht davor<br />

schützen konnten, von seinen eigenen Söhnen verraten und<br />

bekriegt zu werden und sein Leben im Kerker zu enden.<br />

Unweit des Divan-i-Khas und ebenfalls an dem zur<br />

Yamunä führenden Abhänge liegt die kleine, aber kostbare,<br />

aus weissem und grauem Marmor errichtete Moti Musjid,<br />

d. h. Perlmoschee. Sie ist in der Tat in ihrer Art eine Perle<br />

und bekundet, wie in ihrem Namen, so auch in ihrer Bauart<br />

die Verschmelzung des indischen und islamischen Elementes,<br />

welche die Signatur des Zeitalters war, aus der sie stammt.<br />

Abgesehen von dem, was das Fort enthält, ist das gross­<br />

artigste Gebäude Delhis die herrlich auf der Höhe gelegene<br />

Jumna Musjid, vollendet im Jahre 1658, demselben Jahre, in<br />

welchem der düstere Fanatiker Aurengzaib seinen Vater Shah<br />

Jehan des Thrones entsetzte. Von drei Seiten führen pracht­<br />

volle Freitreppen empor zu einem grossen, mit Mauern und<br />

Türmchen eingefassten Platze, während an der vierten Seite<br />

die Moschee selbst sich befindet, wie gewöhnlich in Indien<br />

nur aus einer offenen überwölbten Halle bestehend. In einem<br />

der kleinen Ecktürme des Vorplatzes werden einige kostbare<br />

Reliquien gezeigt, ein Pantoffel und ein Haar aus dem Barte<br />

des Propheten; daneben auch ein Abdruck seines Fusses in<br />

Stein, welcher für die Echtheit der beiden anderen Stücke<br />

gerade kein günstiges Vorurteil erweckt. Interessanter sind


106 Von Peshawar bis Calcutta.<br />

einige alte Koränhandschriften, darunter eine aus der Zeit des<br />

Ali, aus dem VII. Jahrhundert n. Chr.<br />

Zweimal verwendeten wir in Delhi einen Tag dazu, um<br />

die südlich von der Stadt sich erstreckende Gegend mit ihren<br />

zahlreichen, zum Teil wohlerhaltenen Grabpalästen und anderen<br />

Denkwürdigkeiten zu besuchen; das eine Mal begleitete uns<br />

einer von den jungen Kaufleuten unserer Bekanntschaft, das<br />

andre Mal ein Lehrer, den wir in der Schule kennen gelernt<br />

hatten und zufällig mit seinem Hündchen auf der Strasse auf­<br />

gabelten. Bei Humayun's Grab, zu welchem der Köter keinen<br />

Zutritt hatte, kam er uns abhanden, worüber der Hindulehrer<br />

sich höchlich beunruhigte, bis wir nach langem und vergeb­<br />

lichem Pfeifen, Herumlaufen und Suchen den Rückweg an­<br />

traten und schliesslich das Hündchen ganz ruhig auf einem<br />

Steinhaufen an der Chaussee im Schatten eines Mangobaumes<br />

sitzend fanden. Wir nahmen es in den Wagen und die<br />

Harmonie der Gemüter war wieder hergestellt.<br />

Auf diesen Rundfahrten im Süden von Delhi traten uns<br />

eine solche Fülle merkwürdiger Gegenstände entgegen, dass<br />

wir hier nur das Wenigste davon erwähnen können. Gleich<br />

nachdem man Delhi durch eines der südlichen Tore verlassen<br />

hat, bietet sich den über ein Trümmerfeld schweifendenBHcken,<br />

an der Stelle der nur aus einem hohen Steinhügel bestehenden<br />

ehemaligen Befestigung Ferozabad, die von ihrem ursprüng­<br />

lichen Standorte im 16. Jahrhundert hierher verpflanzte Säule<br />

des Agoka dar, welche, nebst einer Anzahl ähnlicher Säulen<br />

um das Jahr 250 v. Chr. von König Acoka errichtet, noch<br />

heute, neben später angebrachten anderen Inschriften, die be­<br />

rühmte Paliinschrift. an ihrem oberen Teile zeigt. Sie enthält<br />

ein Edikt des Königs A?oka und gilt für das älteste inschrift­<br />

liche Denkmal Indiens. Aber eine noch viel ältere Erinne­<br />

rung ruft der südlich davon gelegene Puräna Qila (die alte<br />

Festung) wach, welcher auch Indrapat genannt wird und<br />

sonach die Stätte bezeichnet, auf welcher die Stadt des alten


Umgebung von Delhi. Indraprastham. 107<br />

Bharata-Königs Yudhishthira stand. Sie besteht aus einem<br />

Hügel, der von einer uralten, meist noch wohl erhaltenen<br />

Mauer umgeben ist, während in dem Inneren sich ein Hindu­<br />

dorf behaglich eingenistet hat. Der Eingang erinnert sehr an<br />

die Porta Marina, durch die man in das wieder ausgegrabene<br />

Pompeji tritt. Jedesmal, wenn ich Pompeji besuchte, war ich<br />

bemüht, in meiner Phantasie den alten Zustand der Strassen<br />

und Häuser wieder herzustellen und dieselben durch die<br />

Gestalten alter Römer zu beleben. Was hier nur unvoll­<br />

kommen in der Einbildungskraft geschah, das zeigte Indra­<br />

prastham bis zu einem gewissen Grade in Wirklichkeit. Es<br />

war, als wenn Pompeji wieder lebendig geworden wäre; denn<br />

kaum waren wir durch den an die Porta Marina erinnernden<br />

Torweg geschritten, da hockte links bei seiner Arbeit ein nur<br />

mit Schurz und Turban bekleideter Schuster, da lehnten rechts<br />

an der Säule zwei Gestalten, welche bis auf die braune Farbe<br />

ganz aus dem klassischen Altertum hätten stammen können.<br />

Da spielten um die nach der Strasse zu offenen Hütten und<br />

Läden halb oder ganz nackte Kinder, und als uns gar zwei<br />

Männer begegneten, welche, bis auf die Lenden unbekleidet,<br />

über den Schultern eine Stange trugen, an welcher in der<br />

Mitte zwischen beiden ein grosses Tongefäss hing, wie man<br />

es so oft auf antiken Vasenbildern sieht, da war die Illusion<br />

nahezu vollständig, und die Freude eine nicht geringe. Wir<br />

bestiegen mit dem erwähnten Lehrer einen noch erhaltenen<br />

Turm aus alter Zeit, von welchem aus man das ganze Dörfchen<br />

übersah, und der einen bequemen Einblick in die inneren<br />

Hofräume und die Zimmer der Hütten gewährte. Gewöhn­<br />

lich bestand eine solche Wohnung aus einem kleinen, vier­<br />

eckigen, rings eingeschlossenen Hofraume. An der Vorder­<br />

seite war der torartige Eingang; ihm gegenüber lag eine über­<br />

dachte, nach dem Hofe zu offene Halle, in der die Haus­<br />

bewohner ihr Wesen hatten. In der einen Ecke war eine<br />

Feuerstätte zum Kochen angebracht; links und rechts bestand


108 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

die Umfassung des Hofes aus kleinen, verschliessbaren, stall­<br />

artigen Räumen, welche die Schlafstellen auf der einen Seite<br />

für die Männer, auf der anderen für die weiblichen Bewohner<br />

bildeten. Nachdem wir eine der Wohnungen näher besichtigt<br />

und die Dame des Hauses durch einige Kupferstücke glück­<br />

lich gemacht hatten, warfen wir noch einen Blick in die un­<br />

bedeutende Moschee und unternahmen dann einen Rundgang<br />

ausserhalb der Mauer um die Stadt herum, indem wir mit<br />

Ehrfurcht die hoch aufsteigende, zum Teil gewiss aus sehr<br />

alter Zeit stammende und fast durchweg wohl erhaltene Stadt­<br />

mauer betrachteten.<br />

Ein besonderer Glanzpunkt ist noch der zwei Stunden<br />

südlich von Delhi gelegene Kutb Minar mit einem gewaltigen,<br />

fünf Stockwerke hohen Aussichtsturm und einer Moschee, die<br />

zum Teil aus Säulen und anderen Resten von Hindutempeln<br />

errichtet sind. In der Mitte des Hofes ist eine höchst merk­<br />

würdige Säule, deren Schaft ganz aus Schmiedeeisen 23 Fuss<br />

hoch aufragt und in einer Sanskritinschrift den Sieg eines<br />

Königs Dhava, wahrscheinlich aus dem vierten Jahrhundert<br />

p. C, verkündigt.<br />

Auch in Delhi versäumten wir nicht, verschiedene Sans­<br />

kritschulen zu besuchen, und wurden dadurch mit einigen<br />

sehr liebenswürdigen Pandits bekannt. Namentlich einer der­<br />

selben, mit Namen Bankeläl, zeigte grosse Anhänglichkeit an<br />

uns. Da er von seinem verstorbenen Vater, einem der nam­<br />

hafteren indischen Gelehrten, eine grosse Sammlung von<br />

Handschriften geerbt hatte, so lud er uns an einem Morgen<br />

früh zur Besichtigung derselben ein. Meine Frau sollte bei<br />

dieser Gelegenheit mit der seinigen bekannt gemacht werden.<br />

Daraus wurde nun freilich nichts, denn als wir, von ihm ab­<br />

geholt und geleitet, in seiner engen und winkligen, aber darum<br />

nicht unbehaglichen Wohnung eintrafen, und ich ihm vor­<br />

schlug, dass er, der Absprache gemäss, meine Frau der<br />

seinigen zuführen möge, so bat er davon abzustehen mit der


Eine Dorfwohnung. Ein indisches Gelehrtenheim. 109<br />

Begründung: lajjate, „sie schämt sich". Wir wandten uns der<br />

Besichtigung der Bibliothek zu; sie bestand aus einer Art von<br />

Wandschrank, in welchem eine nach dem Katalog, den er auf­<br />

wies, zu schliessen sehr reichhaltige Sammlung zum Teil alter<br />

und vielleicht wertvoller Handschriften aufgestapelt lag. Jede<br />

derselben war in einen alten Lappen grünen Tuches sorg­<br />

fältig eingewickelt, namentlich wohl zum Schutze gegen die<br />

Insekten, und es war ein umständliches Verfahren, diese kost­<br />

baren Schätze jedesmal aus der anspruchlosen Hülle heraus­<br />

zuschälen. Den Vorschlag, etwas davon zu verkaufen, lehnte<br />

er bescheiden, aber mit Bestimmtheit ab. Hingegen schenkte<br />

er mir mehrere Handschriften, darunter eine sehr alte des<br />

ersten Buches des Amarakoga. Auch bei unserer Abreise<br />

von Delhi stellte sich Bankeläl auf dem Bahnhofe ein. Er<br />

überreichte meiner Frau eine von seiner Gattin für dieselbe<br />

zierlich gearbeitete Börse, und als wir ins Coupe stiegen,<br />

nahm er von dem hinter ihm schreitenden Diener ein auf<br />

mehreren Tabletts zusammengestelltes Hindu-Diner und schob<br />

es uns in den Wagen nach. Da waren mancherlei Gemüse,<br />

in kleinen Blätternäpfchen zierlich angerichtet, da war ein<br />

grosser Topf mit Milchreis, eine hohe Schicht aufeinander<br />

getürmter Fladen und eine grössere Anzahl von süssen Speisen<br />

und mancherlei Backwerk.<br />

Wieder einmal fuhr der Zug ab, und wieder einmal fiel<br />

damit der Vorhang über dem lebensvollen Bilde einer grossen<br />

und merkwürdigen Stätte der Erinnerung, belebt von so<br />

schnell gewonnenen und, ach! schon nach so wenig Tagen<br />

wieder verlassenen Freunden, die meisten wohl auf Nimmer­<br />

wiedersehen. Indessen fuhren wir getrosten Herzens in die<br />

im herrlichsten Sonnenschein und — es war am 20. Dezember<br />

— im üppigsten Sommerschmucke prangende indische Land­<br />

schaft hinaus und freuten uns, in dem heiligen Lande zwischen<br />

Yamunä und Gangä zu fahren und einer der allerheiligsten


HO V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

Städte zuzustreben, dem sagenumwobenen Mathurä,. dem<br />

Geburtsorte des Gottes Krishna, welches man füglich als das<br />

indische Bethlehem bezeichnen kann. Wir langten gegen<br />

Mittag auf einem kleinen, ziemlich öden Bahnhofe.an* Hessen<br />

uns, da das Dak Bungalow zu entfernt war, von dem freund­<br />

lichen Station Master die Zusicherung geben, dass er uns<br />

entweder im Waiting Room oder in einem Eisenbahnwagen<br />

für die Nacht unterbringen werde, und fuhren dann, um Zeit<br />

zu sparen, mit demselben Zuge eine Station weiter nach Vrin-<br />

daban, welches eine Stunde nördlich von Mathurä liegt und<br />

zugleich mit Mathurä und dem eine Stunde südlich davon<br />

gelegenen Mahäban den Schauplatz der Jugendgeschichte<br />

des Gottes Krishna bildet. Krishna, ursprünglich ein mensch­<br />

licher Held der indischen Sage, erscheint schon im Mahä­<br />

bhäratam als Inkarnation des Gottes Vishnu. Als der Wagen­<br />

lenker des Arjuna teilt er diesem, während beide Heere<br />

kampfgerüstet gegenüberstehen, in der Geschwindigkeit, um<br />

ihn zum Kampfe zu ermutigen, ein philosophisches Lehrgedicht<br />

in nicht weniger als achtzehn Gesängen mit. Es ist dies die be­<br />

rühmte Bhagavadgitä, welche lehrt, dass alles zeitliche Ent­<br />

stehen und Vergehen, Leben und Sterben im Hinblick auf das<br />

Ewige bedeutungslos ist. Weiter fortgebildet findet sieh die<br />

Krishna-Sage in den Puräna's, und.namentlich wird seine<br />

Jugendgeschichte in dem Bhägavata-Puränam in einer Weise<br />

erzählt, welche höchst auffallend an die Kindheitsgeschichte<br />

Jesu erinnert. Da prophezeit der Seher Närada dem Könige<br />

Kansa von Mathurä, dass Vasudeva und Devaki ein Kind<br />

erzeugen werden, welches ihn töten wird. Er lässt die Eltern<br />

in einem Hause einschliessen, welches noch heute gezeigt<br />

wird; Krishna wird daselbst geboren, aber die Wächter fallen<br />

in einen wunderbaren Schlaf, die Eltern entfliehen mit dem<br />

Kinde über die Yamunä nach Mahäban, der König befiehlt,<br />

alle männlichen Kinder, welche -Heldenkraft versprechen, zu<br />

töten, Krishna entgeht ihm, verbringt seine weitere Jugend in


Mathurä und Umgebung. Die Krishnalegeude. 11 ]<br />

Vrindaban, bis er heranwächst und den König Kansa erschlägt.<br />

Die Ähnlichkeit dieser spätindischen Legende mit der christ­<br />

lichen kann nicht zufällig sein, und so werden wir wohl an­<br />

nehmen müssen, dass zwischen der Zeit des Heldenepos und<br />

der Puräna's ein christlicher Einfluss stattgefunden hat. Diese<br />

Annahme wird noch wahrscheinlicher, wenn man, Krishnas<br />

Geburtshaus besuchend, die drei dort auf einer Erhöhung<br />

stehenden plumpen Puppen betrachtet, das Krishna-Kind in<br />

der Mitte und zu beiden Seiten sein Vater Vasudeva und<br />

seine Mutter Devaki. Es ist ganz die Art, wie in katholischen<br />

Ländern Maria und Joseph mit dem Christuskinde zusammen­<br />

dargestellt werden.<br />

Die Besichtigung von Mathurä auf den folgenden Tag<br />

verschiebend, fuhren wir, unser Gepäck mit dem Diener<br />

zurücklassend, gleich weiter nach Vrindaban, dem Orte, wo<br />

Krishna seine Jugend verbracht und seine mutwilligen Streiche<br />

mit den Hirtenmädchen verübt haben soll, indem er z. B.,<br />

während sie badeten, ihre Kleider auf einen Baum hinauf be­<br />

förderte und dieselben erst nach eindringlichen Bitten zurück­<br />

gab, — ein Vorgang, den man in Indien vielfach abgebildet<br />

sieht. Es entspricht ganz der Naivität, mit der in Indien<br />

Religion und Sport überall verwachsen sind, wenn dieser<br />

mutwillige Krishna in vielen prachtvollen Tempeln als Gott<br />

verehrt wird. In Vrindaban (eigentlich Vrindävanam, Wald<br />

der Vrindä, d'. i. Rädhä) angelangt, schickten wir nach zwei<br />

Pandits, an die wir Empfehlungsbriefe hatten, und schlügen<br />

inzwischen den Weg nach der Stadt ein, würden aber gleich<br />

in der Nähe des Bahnhofs durch den Anblick eines im Bau<br />

begriffenen Tempels gefesselt, welchen hier ein reicher Inder<br />

in überaus prunkvoller Weise errichten lässt. Wir besichtigten<br />

die marmornen Treppen und Hallen und die kostbaren, durch<br />

bunte Edelsteine hergestellten Ornamente und wurden dabei<br />

mit einem Brahmanen-Jüngling in himmelblauem Gewände be­<br />

kannt, der sich uns anschloss. Gutmütig, wie wir immer sind,


112 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

gestatteten wir ihm einen Sitz in unserem Wagen, waren aber<br />

nachher sehr enttäuscht, als er uhs beim Abschiednehmen um<br />

eine Gabe ansprach und, als das Gegebene ihm zu gering schien,<br />

auf seine Dienste hinwies, die wir gar nicht gefordert und<br />

die er auch nicht geleistet hatte. Denn gleich nachdem wir<br />

den Tempel verlassen, stellten sich unsere beiden Pandits<br />

Rädhägarana und Madhusudana ein und übernahmen unsere<br />

Führung durch die Stadt. Zunächst wurden drei oder vier<br />

sehr wohl unterhaltene Tempel besichtigt; einer derselben war<br />

auf seinem Giebel mit einem ganzen Wald von Statuen ge­<br />

schmückt; Krishna, wie er seine Heldentaten verrichtet oder<br />

vor der tanzenden Rädhä, seiner Geliebten, die Flöte spielt,<br />

trat überall hervor. Ein weiterer Schmuck der Tempel und<br />

Häuser, wenn man ihn so nennen will, bestand in einer Un­<br />

zahl lebender Affen, welche, an den Wänden sich empor­<br />

schwingend und auf den Zinnen und Dächern sitzend, allerlei<br />

Kurzweil übten. Eine ähnliche Belebung einer Stadt durch<br />

Affen, wie hier in Vrindaban, haben wir nur noch in Ayodhyä,<br />

der heiligen Stadt des Räma, wiedergefunden, nachdem man<br />

in Benares die possierlichen, aber bei grösserem Verkehr un­<br />

bequemen Tiere beseitigt und auf einen einzigen Tempel<br />

Durgakund beschränkt hat, den die Engländer zum grossen<br />

Verdruss der Eingeborenen den Monkey Temple nennen.<br />

Lästiger als diese harmlosen Bewohner der Dächer wurde<br />

uns in Vrindaban eine grosse Anzahl von Bettlern; man<br />

merkte wohl, dass man sich in einem von Fremden vielbe­<br />

suchten Wallfahrtsorte befand. Obgleich das Geleit der<br />

beiden Pandits einigen Schutz gewährte, wurden wir beinahe<br />

so sehr wie in Granada und Jerusalem jeden Augenblick<br />

durch Bettler aufgehalten, unter denen manche gesunde und<br />

kräftige Burschen in den besten Jahren waren. Wiederholt<br />

sah ich mich zu Ansprachen genötigt, wie: „Ich gebe den<br />

Alten, den Kranken, den Hülflosen, Dir aber gebe ich nichts."<br />

Diese Worte, im klarsten Sanskrit gesprochen, fanden nicht


Vrindabsn. Affen. Bettelei. Armut der Pandits. H3<br />

nur den vollen Beifall unserer Pandits, sondern verfehlten<br />

auch auf die neugierig herumstehende Menge ihre Wirkung<br />

nicht. Es bedarf keiner Erinnerung, dass in kleineren Orten<br />

Indiens ein paar weissfarbige Europäer eben so viel Aufsehen<br />

erregen, wie bei uns etwa ein Neger und eine Negerin, wenn<br />

sie über die Strasse gehen. Und so wurden wir denn, nach­<br />

dem wir die Sehenswürdigkeiten des Ortes genugsam durch­<br />

gekostet, von unsern Panditfreunden selbst als Sehenswürdig­<br />

keit behandelt und in ihre Häuser, sowie in die einiger be­<br />

rühmter Heiligen eingeführt. Wir suchten möglichst kurz<br />

loszukommen, denn der Abend brach herein und die Abfahrts­<br />

zeit des Zuges nahte. Schliesslich sassen wir denn mit un­<br />

seren Pandits in der wohltuenden Kühle des Abends auf<br />

einer Bank am Bahnhof und harrten des Zuges. Zur Er­<br />

frischung Hess einer der Pandits einen Teller mit Früchten<br />

von äusserst zweifelhaftem Aussehen anbieten. Ich wählte<br />

schliesslich eine Banane, als am wenigsten bedenklich; sie<br />

zeigte sich als völlig unreif, an Härte und Geschmack einer<br />

rohen Kartoffel vergleichbar; ich konnte mich nicht ent-<br />

schliessen, den Bissen im Munde herunter zu schlucken und<br />

musste um die Ecke gehen, um ihn und die Reste meiner<br />

Banane zu beseitigen. Ich erwähne dies, weil es zeigt, wie<br />

bedürftig und wie anspruchslos diese indischen Pandits sein<br />

müssen. Da der Zug auf sich warten Hess, so hatte ich noch<br />

eine längere Unterredung mit dem jüngeren Pandit Madhu-<br />

südana, welcher Philosophie trieb und natürlich ein Anhänger<br />

des Vedänta, jedoch in der realistischen Richtung des<br />

Madhva war. Seine Auffassungen hatten dadurch, wie auch<br />

sein Wesen, etwas nüchternes, waren aber im übrigen so<br />

klar und präzis, wie man es selten bei den Hindus findet.<br />

Als ein Typus des idealen, enthusiastischen, aber auch vielfach<br />

ins Vage sich verlierenden Hindu kann ich ihn nicht gelten<br />

lassen, aber für alle praktischen Zwecke möchte ich ihm vor<br />

einem solchen den Vorzug geben.<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 8


114 V. Von Peshawsr bis Cslcutta.<br />

Doch da rollte unser Zug heran, wir bestiegen den an<br />

seiner weissen Farbe erkenntlichen vollständig leeren Wagen<br />

erster Klasse, bemerkten im Halbdunkel nicht, dass alles in<br />

ihm mit einer dicken Staubschicht überzogen war, und ge­<br />

langten in zehn Minuten nach Mathurä.<br />

Hier war durch das Bahnhofspersonal unsere Ankunft<br />

ruchbar geworden, und so wurden wir von einer Deputation<br />

empfangen, welche mit echt indischer Naivität berichtete, dass<br />

der ganze Äryasamäj in der Stadt versammelt sei, dass ein<br />

Wagen bereit stehe, um mich sofort dorthin zu bringen; man<br />

hoffe, dass ich ihnen heute Abend, wie ich es in Agra getan<br />

habe, einen Vortrag halten werde. „Aber, liebe Freunde,"<br />

erwiderte ich, „es ist acht Uhr abends, wir haben seit Mittag<br />

nichts gegessen und sind beide müde von der Reise. Der<br />

Koch, den ihr dort in seiner weissen Schürze seht, drängt<br />

zum Abendessen; so wartet, bis wir schnell gegessen haben,<br />

dann will ich mit euch kommen, um eure Versammlung<br />

wenigstens in der Kürze zu begrüssen." Dieser Vorschlag<br />

fand Zustimmung; in fliegender Hast verzehrten wir unser<br />

Dinner und rollten sodann in dem höchst eleganten Wagen<br />

des reichen greshth Lakshman Das zur Versammlung.<br />

Unterdessen war es neun Uhr geworden; ich begrüsste<br />

die Anwesenden, lobte ihren Eifer und musste wohl oder<br />

übel versprechen, morgen nachmittag um fünf Uhr den ge­<br />

wünschten Vortrag zu halten. Nach kurzem Abschiede führte<br />

uns der Wagen, der auch für den ganzen folgenden Tag uns<br />

zur Verfügung gestellt wurde, nach dem Bahnhofe zurück, und<br />

totmüde sanken wir auf die improvisierten Betten des Waiting<br />

Room. Am andern Morgen, als wir uns eben zum Frühstück<br />

setzen wollten, wurde eine neue Deputation gemeldet, welche<br />

von uns empfangen zu werden wünschte. Sie kämen, sagten<br />

sie, vom Dharmasamäj, welcher in dieser Stadt viel zahl­<br />

reichere und angesehenere Mitglieder zähle. Ich möchte<br />

daher den für den Äryasamäj angekündigten Vortrag nicht


Mathurä. Indische Naivitäten. Ein Heilkünstler. H5<br />

dort, sondern im Dharmasamäj halten. „Es mag ja sein",<br />

erwiderte ich, „dass eure Gesellschaft in dieser Stadt die<br />

angesehenere ist, und hätte ich es früher gewusst, so hätte<br />

das meine Entschliessungen beeinflussen können; jetzt aber<br />

kann ich nicht daran denken, das den andern gegebene Ver­<br />

sprechen zu brechen." — Dann möchte ich, so meinten sie,<br />

noch einen zweiten Vortrag in dem Dharmasamäj halten. —<br />

„Es fällt mir nicht ein", antwortete ich, „wo ich Indien nur<br />

zu meinem Vergnügen bereise, in einer Stadt zwei Vorträge<br />

zu halten. Wollt ihr mich hören, so kommt heute um fünf<br />

Uhr zum Äryasamäj; ihr sollt alle willkommen sein."<br />

Damit schieden sie, und wir machten uns auf, um in<br />

Gesellschaft des Pandit Bäla Krishna, dem wir brieflich em­<br />

pfohlen waren, und an den sich nachher noch andere schlössen,<br />

die Stadt zu besehen. Unterwegs befragte ich den Pandit<br />

nach seinem Studium. Er war Mediziner, d. h. er hatte den<br />

Ayurveda studiert und übte daraufhin eine ausgedehnte Praxis<br />

in der Gegend aus. „Was ist das Fieber?" fragte ich ihn.<br />

— „Das Fieber", sagte er, „ist eine falsche Mischung der<br />

drei Körpersäfte, Wind, Schleim und Galle." — „Wie heilt<br />

man dasselbe?" — Hier nannte er mit grosser Geläufigkeit<br />

eine erschreckende Menge von Drogen, welche zerkleinert<br />

und gemischt dem Kranken einzugeben seien.<br />

Unter diesen Gesprächen waren wir bei der Hauptsehens­<br />

würdigkeit der Stadt, den Ghatta's, angelangt. Sie bestehen<br />

aus einem schön gepflasterten Promenadenwege und von ihm<br />

überall zum Flusse herabführenden, wohlbehauenen Treppen­<br />

stufen und ziehen sich zwischen Fluss und Stadt in deren<br />

ganzer Länge hin. Treppen und Treppchen führten überall<br />

herab ins Wasser und zu den Badenden, anmutige Pavillons<br />

luden zum behaglichen Niedersitzen ein, Sagenreiche Bauten<br />

begleiteten das Ufer der Länge nach, wie denn z. B. ein<br />

stattlicher Turm an der Stelle gezeigt wurde, wo Kansa's<br />

Weib, nachdem Krishna diesen erschlagen, ihre Satt beging.


116 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

Satt, ursprünglich „die gute Gattin", d. h. diejenige, welche<br />

sich lebend mit dem Leichnam ihres Gatten verbrennen lässt,<br />

bedeutet dann zweitens weiter den Akt der Witwenverbren­<br />

nung und endlich drittens den durch ein Denkmal bezeich­<br />

neten Ort, an dem eine solche stattgefunden hat. Eine Strecke<br />

weiter zeigte man uns die Stelle, auf welcher der gegen­<br />

wärtige Mahäräja von Benares Prabhunäräyana, von dem<br />

noch weiter unten zu erzählen sein wird, bei seinem Besuche<br />

in Mathurä sich wiegen Hess und sein volles Körpergewicht<br />

in Gold an die Brahmanen verteilte. Dieser Scherz kostete<br />

ihm, wie mir später in Benares erzählt wurde, über 100000<br />

Rupien. Diese Grosstat begeisterte dann weiter den Professor<br />

Gangädhara, dessen treffliche Vorlesungen über indische<br />

Dichter ich später in Benares mit grossem Genuss hörte, zu<br />

einem Gedichte, welches er mir selbst überreicht hat; auf<br />

dem Titelblatt ist eine Wage gemalt, in deren Balken und<br />

Fächern die Namen Prabhunäräyana, Mathurä usw. silbenweise<br />

verteilt sind und auf der folgenden Seite zu einem Gedichte<br />

in komplizierten Versmassen verarbeitet werden, so kunstvoll<br />

und schwierig, dass der Dichter selbst geraten fand, einen<br />

gelehrten Kommentar beizufügen.<br />

Weiter führten uns unsre Freunde zur Stadt hinaus,<br />

vorüber an Brunnen, deren Steinwände in buntesten Farben<br />

mit abscheulich schönen Bildern aus der Krishnageschichte<br />

bedeckt waren, dann ging es durch ein Wäldchen zu einer<br />

Anhöhe, auf der das schon erwähnte Geburtshaus des<br />

Krishna stand. Es war eine nach vorn offene Halle, und<br />

die in ihrer Mitte auf einer Steinerhöhung aufgestellten drei<br />

Puppen in bunter Bemalung erinnerten, wie bereits bemerkt,<br />

lebhaft an das Christuskind mit Maria und Joseph, wie man<br />

sie so oft im südlichen Europa aufgestellt findet. Inzwischen<br />

hatte sich allerlei Volk um uns versammelt und jeder war<br />

bemüht, zu unserer Belehrung sein Scherflein beizutragen.<br />

Am hervortretendsten war die Gestalt eines Bettlers; es war


Bettler im Aufzuge eines Asketen.<br />

Seite 116.


Die Ghatta's. Krishna's Geburtshaus. Die Yamunäbrücke. 117<br />

ein junger, kräftiger Mensch mit schönem, so gut wie ganz<br />

nacktem Körper, die Haare lang und zottig wild um den<br />

Kopf herum, der ganze Leib scheusslich mit Asche beschmiert.<br />

Es ist dies der Aufzug der Asketen, welcher heutzutage von<br />

vielen Bettlern kopiert wird, um Eindruck beim Publikum<br />

zu machen. Beim Abschied gab ich dem Ältesten der An­<br />

wesenden eine Rupie mit der Weisung, dieselbe gerecht zu<br />

verteilen, musste aber erleben, dass einige mir nachkamen<br />

und sich beklagten, dass man sie bei der Verteilung über­<br />

gehen wolle. Es blieb mir nichts anderes übrig, als zurück­<br />

zukehren, die Rupie wieder einzufordern, in der Nähe wechseln<br />

zu lassen und dann jedem je nach Verdienst und Würdig­<br />

keit ein paar Anas einzuhändigen. Dieser Akt der Ge­<br />

rechtigkeit wurde mit grossem Beifall aufgenommen. Wir<br />

kehrten zu unserem Wagen zurück und fuhren der Absprache<br />

gemäss zu dem Eigentümer desselben, einem reichen Vaicya,<br />

namens (freshth Lakshman Das, der uns zu Ehren eine<br />

Panditversammlung anberaumt hatte. Statt der üblichen<br />

Blumengirlanden wurden uns diesmal Ketten aus Goldpapier<br />

umgehängt, welche wir noch jetzt besitzen, während wir die<br />

sonst von Ort zu Ort gespendeten herrlichen Blumenkränze<br />

und Bouquets wohl oder übel dahinten lassen mussten.<br />

Der Nachmittag war zu einem Ausfluge nach Mahäban<br />

bestimmt. Der Weg führte über die Yamunä, wo eine<br />

Eisenbahnbrücke auch Wagen passieren lässt, jedoch nur<br />

gegen Erlegung einer Gebühr von zwei Rupien, was uns<br />

sehr hoch schien. Hier sah ich eine grosse Muschel, wie<br />

sie den alten Indern als Kriegstrompete diente, und die an<br />

der Brücke zu Signalen benutzt werden mochte. Man blies<br />

in dieselbe durch ein in die Spitze gebohrtes Loch. Ich<br />

vermochte keinen Ton zu erzeugen und äusserte den Wunsch,<br />

die Muschel blasen zu hören. Man holte ein altes Weib<br />

herbei, welches die Muschel an den Mund setzte und ihr<br />

mehrere gellende, gequetschte Töne entlockte von über-


118 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

raschender Stärke und weithin hörbar. Endlich fuhren wir<br />

über die Brücke der Yamunä und sodann durch angenehme<br />

Landschaft nach Mahäban, wo in verschiedenen Häusern<br />

wieder allerlei Erinnerungen an die Kindheit des Krishna<br />

gezeigt wurden. Auch hier merkte man den schädigenden<br />

Einfluss des Fremdenverkehrs auf den Charakter des Volkes;<br />

die Leute zeigten sich als geldgierig und mit dem Ge­<br />

botenen nicht zufrieden. Nach kurzer Besichtigung wandten<br />

wir dem wenig bedeutenden Ort den Rücken, bestiegen<br />

unsern Wagen und langten rechtzeitig um fünf Uhr in der<br />

Versammlungshalle des äryasamäj an. Die Lichter wurden<br />

angezündet, der Saal füllte sich zusehends, ich Hess die<br />

grossen, nach einer geräuschvollen Strasse gehenden Flügel­<br />

türen schliessen und begann meinen Vortrag über den<br />

Vedänta. Nachdem ich denselben in englischer Sprache<br />

beendigt, wurde ich, wie schon erwähnt, gebeten, die Haupt­<br />

punkte nochmals in Sanskrit zu rekapitulieren, da viele des<br />

Englischen nicht mächtig seien. Es geschah, und nun folgte<br />

eine Diskussion, halb Englisch halb Sanskrit, in welcher<br />

mehrfach theistische Neigungen sich kundgaben. Ich schloss<br />

die Versammlung unter dem reichen Beifalle der Anwesenden<br />

und wurde von einer grösseren Anzahl derselben nach dem<br />

Bahnhof geleitet, wo wir bald müde auf die aus geflochtenen<br />

Rohrbänken hergestellten Betten sanken und so gut schliefen,<br />

wie es unter dem nächtlichen Lärm ankommender und<br />

abgehender Züge möglich war. Grössere Scharen von<br />

Pilgern hatten die Nacht ausserhalb des Bahnhofs nach<br />

indischer Sitte in Gruppen auf der Erde hockend zugebracht,<br />

und unser Diener Lalu erzählte mir am andern Morgen,<br />

wie er unter ihnen Bekannte aus seinem Heimatsort ge­<br />

funden habe, wie sie ihn gefragt hätten, ob er auch nicht<br />

versäumt habe, für seine Sünden ein Bad in der Yamunä<br />

zu nehmen, und wie er ihnen erklärt habe, dass er dazu<br />

keine Zeit finde, und dass er sich durch die Last seiner


Mahäban. Vortrag in Msthurä. Lslus Sünden. H9<br />

Sünden nicht sonderlich bedrückt fühle. Lalu war also<br />

freigeisterisch angehaucht, aber er hatte noch schlimmere<br />

Eigenschaften, die sich noch am selbigen Tage offenbaren<br />

sollten. Schon öfter war es vorgekommen, dass er die<br />

Ankunft des Zuges verschlief und ich ihn mir erst aus<br />

seinem Coupe dritter Klasse herausholen musste. Auch fiel<br />

mir mitunter auf, dass ein eigentümlicher Geruch von ihm<br />

ausströmte; aber wenn ich fragte: „Lalu, Sie trinken<br />

doch nicht?", so antwortete er mit Bestimmtheit: „Nein,<br />

Herr!"<br />

Wir bestiegen den Zug, der uns in einer Tagesfahrt<br />

aus dem Tal der Yamunä in das der Gangä führen sollte<br />

bis nach Fatehgarh, wo wir an den Clerk der Eisenbahn­<br />

station brieflich schon vorher empfohlen waren und über­<br />

nachten wollten. Gegen Abend langten wir daselbst an,<br />

und nach einigem Rufen und Warten stellte sich denn auch<br />

Lalu ein, um das Gepäck zu besorgen, konnte aber mit dem<br />

Zusammenwickeln und Verschnüren der Decken gar nicht<br />

zu stände kommen, bis ich näher zusah und entdeckte, dass<br />

er völlig betrunken war. „Lalu", sagte ich, „Sie sind be­<br />

trunken." „Ja, Herr," sagte er, „warum soll ich die Wahr­<br />

heit nicht gestehen? Ich habe mitunter etwas Fieber unt<br />

dann nehme ich wohl einen Trunk, um es zu bekämpfen."<br />

Ich schwieg, aber sein Schicksal war beschlossen. Mit<br />

Hülfe des Clerk schafften wir das Gepäck ins Waiting<br />

Room, wo wir auch diesmal übernachten sollten, während<br />

Lalu in irgend einer Ecke unter mächtigem Schnarchen<br />

seinen Rausch verschlief. Unter angenehmen Gesprächen<br />

mit dem Clerk, der ein geistig sehr empfänglicher Mann<br />

war, verbrachten wir den Abend. Zugleich war derselbe<br />

bemüht, uns einen anderen Diener zu besorgen es wollte<br />

sich aber an dem kleinen Orte nicht gleich etwas Passendes<br />

finden. So mussten wir uns am andern Tage noch mit<br />

Lalu behelfen. Er erschien am nächsten Morgen scheu


120 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

und verkatert; ich würdigte ihn keines Wortes mehr und<br />

nahm für uns alle drei Billets nach Cawnpore.<br />

Als wir nach einer Eisenbahnfahrt von sechs Stunden,<br />

auf der ich mich vergeblich bemühte, die in der Nähe fliessende<br />

Gaiigä zu sehen, in Cawnpore anlangten, wurden wir gleich<br />

am Bahnhofe in deutscher Sprache begrüsst. Es war Herr<br />

Bassler, ein wackerer junger Kaufmann, dessen Bekanntschaft<br />

wir auf dem Schiffe gemacht hatten, und dem wir hatten<br />

versprechen müssen, ihn in seinem Wohnorte Cawnpore zu<br />

besuchen. Dementsprechend hatten wir ihn von unserer An­<br />

kunft brieflich benachrichtigt, und so war er mit seinem<br />

Wägelchen am Bahnhofe und bestand darauf, dass wir die<br />

Nacht in seinem Bungalow zubrächten. Obwohl er Jung­<br />

geselle sei, so werde es uns dort an nichts fehlen. Wir<br />

nahmen das freundliche Anerbieten an, und ich bat nur noch<br />

so lange am Bahnhofe zu warten, bis ich mit Lalu Ab­<br />

rechnung gehalten hätte. Ich Hess den Sünder vor mich<br />

kommen und hielt ihm mit milden, aber ernsten Worten sein<br />

Vergehen vor und eröffnete ihm, dass ich ihn entlassen<br />

müsse. Er legte sich aufs Bitten und Versprechen, aber es<br />

gelang ihm nicht, mich umzustimmen. Ich zahlte ihm seinen<br />

rückständigen Lohn sowie die Rückreise nach Bombay, beides<br />

reichlich, und die lange Reihe von Silberstücken schien ihn<br />

über sein Schicksal zu trösten. Freundlich und mit einigen<br />

Ermahnungen für die Zukunft reichte ich ihm die Hand und<br />

er verschwand auf Nimmerwiedersehen.<br />

Meine Frau bestieg mit Herrn Bassler dessen leichtes,<br />

von ihm selbst gelenktes Tamtam, ich selbst folgte mit dem<br />

Gepäck in einem zweiten Wagen, und so fuhren wir zu<br />

Basslers Bungalow, indem wir unterwegs die Hauptsehens­<br />

würdigkeiten des Orts in Augenschein nahmen. Sie bestehen<br />

in einer Gedächtniskirche, einem ehemaligen mit dem schönen<br />

Standbilde eines Engels gezierten Brunnen und anderen<br />

Denkmälern, welche sich sämtlich auf den Aufstand des


Cawnpore. Lalu entlassen. Herrn Basslers Heim. 121<br />

Jahres 1857 beziehen. Die Engländer nennen denselben<br />

the mutiny und brandmarken dadurch das Andenken derer,<br />

die ihn anstifteten. Wären die Aufständischen zum Ziele<br />

gelangt, wozu ja eine Zeitlang alle Aussicht war, so würden<br />

sie heute bei ihrer Nation eine ähnliche Verehrung geniessen,<br />

wie bei uns Schill, Scharnhorst, Blücher und andere Helden<br />

der Freiheitskriege. Jetzt, wo sie unterlegen sind, heissen<br />

sie die Meuterer, und ihr Andenken wird verunglimpft. So<br />

sehr machen die Menschen ihre Wertschätzung von dem<br />

äusseren Erfolge abhängig, den doch oft nur der Zufall<br />

regiert. Nachdem wir noch zum Ufer der Gaiigä gewall­<br />

fahrtet, die schon hier, wo wir sie zum erstenmale sahen, sich<br />

in majestätischer Breite dahinwälzt, langten wir in Herrn<br />

Basslers Bungalow an. Dasselbe gab uns eine willkommene<br />

Vorstellung davon, wie ein deutscher Junggeselle, der nach<br />

Indien verschlagen worden, sich dort behaglich einzurichten<br />

weiss. Von der Strasse aus gelangte man in ein weitläufiges<br />

Grundstück, in dessen Mitte sich das einstöckige quadratische<br />

Haus erhob, welches mehrere stattliche Säle und an beiden<br />

Seiten Schlafzimmer enthielt. Das Mobiliar war einfach aber<br />

ausreichend, in unserem Schlafzimmer fanden wir zwei gute<br />

Betten, und sogar ein Spiegel wurde noch hinterher be­<br />

schafft. In diesen Räumen also thronte Herr Bassler und<br />

zwar für gewöhnlich ganz allein. Für seine Sicherheit hatte<br />

er nichts zu befürchten, denn in seinem Schlafzimmer sah<br />

ich ein kleines Arsenal von Waffen solidester und elegantester<br />

Art. Diese werden von der englischen Regierung dem in<br />

Indien wohnenden Europäer kostenlos geliefert, während den<br />

Eingeborenen das Halten von Waffen durch hohe Eingangs­<br />

zölle und andere Schwierigkeiten fast zur Unmöglichkeit<br />

gemacht wird. So würde im Falle eines Aufstandes ein<br />

kleines, aber wohlbewaffnetes und auch eingeübtes Heer von<br />

Europäern gleichsam aus der Erde wachsen.<br />

Natürlich war Herr Bassler von einem halben Dutzend


122 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

Dienern umgeben, welche ausserhalb des Gebäudes in kleinen<br />

Häuschen in der Nähe wohnten. Solche Diener leisten nicht<br />

viel, da jeder nur seine besondere Arbeit verrichtet, kosten<br />

aber auch sehr wenig, denn sie erhalten weder Wohnung<br />

noch Kleidung noch Beköstigung, sondern 5—10 Rupien im<br />

Monat, mit denen sie den ganzen Unterhalt für sich und<br />

ihre Familie bestreiten. Einige derselben servierten mit<br />

Geschick ein recht gutes Essen, wurden aber dabei von<br />

ihrem Herrn mehr als nötig zurechtgewiesen und überhaupt<br />

sehr streng gehalten. Er behauptete, dies sei notwendig,<br />

da die Kerle sonst unausstehlich werden würden. Nach dem<br />

Essen kommandierte Herr Bassler: „boyl cheroot!" und so­<br />

gleich brachten die Diener die gewünschten Cigarren, welche<br />

wir, die Beine behaglich über Stühle und Diwans gestreckt,<br />

in den Mund nahmen, worauf die Diener in demütiger<br />

Stellung das Feuer präsentierten; die Mühe des Ziehens war<br />

das einzige, was den Herrschaften nicht abgenommen werden<br />

konnte. Gemütlich plaudernd sassen wir noch lange; Herr<br />

Bassler erzählte von seiner Heimat, einem Städtchen in<br />

Sachsen, und wie er als Vertreter eines dortigen Geschäfts­<br />

hauses in Indien wohne, um die Einkäufe von Getreide und<br />

Tierhäuten zu besorgen. Er erzählte von den Krokodilen,<br />

die er im Ganges zu schiessen pflege, von den Gefahren<br />

des indischen Klimas, und wie ein Freund nachts an der<br />

Cholera gestorben sei, mit dem er am Abend vorher noch<br />

gemütlich Karten gespielt habe usw. Im ganzen, glaube ich,<br />

hat er uns bei seinen Erzählungen etwas mehr als Neulinge<br />

behandelt, als wir es in Wirklichkeit waren. Natürlich wurde<br />

auch das Kapitel der Schlangen gebührend durchgesprochen,<br />

wie ihr Biss in wenigen Minuten töte, wie sie nachts ihren<br />

Eingang in die Häuser und wohl gar in die Betten fänden;<br />

und so gingen wir mit ziemlich aufgeregter Phantasie schlafen.<br />

Mitten in der Nacht wurde ich wach und hörte in der Ecke<br />

ein Rascheln; ich hörte, wie es näher kam und schnuppernd


Schauergeschichten. Die Moschusratte. Purän. 123<br />

und fauchend sich um mein Bett herum zu schaffen machte.<br />

Ich wagte nicht Licht anzuzünden, um nicht durch irgend<br />

eine Bewegung das unheimliche Wesen zu reizen; angstvoll<br />

verfolgte ich das Geräusch und atmete erleichtert auf, als<br />

dasselbe sich entfernte und alles wieder ruhig wurde. Herr<br />

Bassler, dem ich die Sache am andern Morgen erzählte,<br />

meinte, es werde wohl eine Moschusratte gewesen sein,<br />

welche sich öfter in den Häusern fänden, übrigens aber<br />

ganz harmlos seien.<br />

Am nächsten Morgen, als wir mit Herrn Bassler von<br />

einem in die umliegenden Anlagen unternommenen Spazier­<br />

gang zurückkehrten, stellte sich der neue Diener vor, welchen<br />

Herr Bassler für uns ermittelt hatte. Er hiess Purän, d. h.<br />

„der Alte," und war auch wirklich schon gegen 60<br />

Jahre alt, infolgedessen wohl etwas träge und schwerfällig,<br />

aber reich an Erfahrung und sicher in seinem Auftreten.<br />

Auch sein Englisch war bedeutend besser als dasjenige,<br />

welches Lalu zu radebrechen pflegte. Der Religion nach<br />

war er Mohammedaner, wiewohl er in einem seiner Zeugnisse<br />

als Christ bezeichnet wurde. Diese bedenkliche Doppel­<br />

konfession erklärte Purän damit, dass er einst mit einem<br />

Herrn in Kaschmir gereist sei, dem es gefallen habe, seinen<br />

Diener als Christen zu produzieren. Wahrscheinlicher dürfte<br />

es wohl sein, dass Purän selbst seine Rechnung dabei ge­<br />

funden haben mochte, sich gelegentlich bei irgend einem<br />

hochfrommen Engländer als Christen einzuführen. Meine<br />

Frau erklärte ohne Zögern, dass sie den Mann für brauch­<br />

bar halte und engagieren wolle. Dies war mir sehr erfreu­<br />

lich, da sie in betreff der Dienerschaft nicht leicht zu be­<br />

friedigen ist, wie sie sich denn auch über Purän später­<br />

hin noch oft und bitter beklagte. Purän wurde also enga­<br />

giert, wir nahmen noch ein eiliges Frühstück im Hause des<br />

Herrn Bassler ein und fuhren dann die kurze Strecke bis<br />

Lucknow, wo wir weder durch die sommerliche Natur noch


124 V. Von Peshawsr bis Calcutta.<br />

durch das Gebahren der Menschen daran erinnert wurden,<br />

dass es der Abend vor Weihnachten war; denn das konnte<br />

man ja keine Weihnachtsfeier nennen, dass am Abend nach<br />

dem Dinner eine Bande phantastisch kostümierter Schotten<br />

vor dem Hotel eine humoristische Musik zum besten gaben.<br />

Ich zog mich in den Salon zurück, wo sich auch Mr.<br />

Summers einfand, dem ich einige deutsche Weihnachtslieder<br />

auf dem Klavier vorspielte. Er wollte am nächsten Morgen<br />

zum nationalen Kongress nach Allahabad reisen, wo er, wie<br />

bereits berichtet wurde, wenige Tage darauf an den Pocken<br />

gestorben ist.<br />

In Lucknow befanden wir uns in der Lage eines Mannes,<br />

der für gewöhnlich eine Brille trägt und diese dann plötzlich<br />

verlegt hat und nicht finden kann. Alles erscheint undeutlicher,<br />

nebelhafter und weniger schön. Die Brille, die uns in Lucknow<br />

fehlte, war die sonstin der Regel uns zu Gebote stehende Führung<br />

durch befreundete Eingeborene. Zwar hatten unsre Bombayer<br />

Freunde nicht unterlassen, uns auch in Lucknow an einen<br />

trefflichen Mann, Mathurä Prasäd, zu empfehlen; unglück­<br />

licherweise aber war derselbe die beiden Weihnachts­<br />

tage über verreist und stellte sich erst am Abend vor<br />

unsrer Abreise (am 26. Dezember) in unserm Hotel ein,<br />

zugleich mit seinem zehnjährigen Sohne, mit dem ich, infolge<br />

meines unlängst erwachten Interesses für das Hindostani,<br />

eine kleine Unterredung über diese seine Muttersprache<br />

hatte, die ich sonst nur im Munde von Kutschern und Dienern<br />

hörte, während ich mich hier an der reinen Art, wie der<br />

Knabe dasselbe sprach, erfreuen konnte.<br />

Nachdem wir am Nachmittage unsrer Ankunft in der<br />

grossen Stadt, zu welcher überdies kein Plan aufzutreiben<br />

war (Constable's trefflicher Hand-Atlas of India war leider<br />

noch nicht erschienen), ziemlich planlos umhergeirrt, be­<br />

schlossen wir, am folgenden Morgen systematischer vorzu-


Lucknow. Die Residency. Eine Opernvorstellung. 125<br />

gehen und zunächst die ziemlich inmitten der Stadt belegene<br />

Residency zu besuchen. Dieselbe besteht aus einem Kom­<br />

plex halb zerstörter Gebäude und Befestigungen, welche in<br />

diesem Zustande erhalten werden, da sie die denkwürdige<br />

Stätte bilden, wo von Juli bis September 1857 tausend Eng­<br />

länder, Männer, Frauen und Kinder, unter furchtbaren Ge­<br />

fahren und Entbehrungen die Belagerung der aufständischen<br />

Sepoys auszuhalten hatten. Alle Einzelheiten dieser denk­<br />

würdigen Episode traten beim Anblicke der halbzerstörten<br />

Gebäude und ihrer Umgebungen lebendig vor Augen. Hier<br />

war der unterirdische Raum, in welchem Frauen und Kinder,<br />

zusammengepfercht, Schutz vor den einschlagenden Kugeln<br />

suchten. Dort war das Zimmer, in welchem Sir Henry<br />

Lawrence, von einem Granatsplitter getroffen, sein Leben<br />

aushauchte. Dort drüben stand das Haus des Johannes, von<br />

welchem aus ein Afrikaner den Belagerten furchtbare Verluste<br />

beibrachte; und da war der Kirchhof mit seinen Denkmälern,<br />

auf welchem an zweitausend Opfer der Katastrophe be­<br />

graben liegen.<br />

Als wir von diesen wehmütigen Betrachtungen auf<br />

längerer Wanderung durch die weitausgedehnte, von grossen<br />

Anlagen, Gärten und freien Plätzen durchzogene Stadt zum<br />

Hotel zurückkehrten, bemerkte ich im Vorbeigehen in einer<br />

Vertiefung eine grosse Bretterbude, in welcher, wie die An­<br />

schläge kundgaben, heute abend von einer Parsi-Truppe die<br />

Qakuntalä des Kälidäsa gespielt werden sollte. Ich beschloss,<br />

diese Vorstellung zu besuchen. Abends nach dem Dinner<br />

zog sich meine Frau, welche ermüdet war, in unser Schlaf­<br />

zimmer zurück, welches, wie gewöhnlich in Indien, einen<br />

Ausgang direkt auf die Veranda ins Freie hatte. Bei dem<br />

Mangel von Schloss und Schlüsseln, welche selten in Indien<br />

vorhanden sind, verrammelte ich mit Hülfe des Dieners die<br />

Tür so gut es ging und machte mich mit demselben auf<br />

den Weg. Der Musensitz lag von unserm Hotel eine halbe


126 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

Stunde entfernt. Vergebens rief und pfiff der Diener nach<br />

einem Wagen; es wollte sich keiner einstellen. Endlich ge­<br />

lang es uns, einen Ekka aufzutreiben; es war das armseligste<br />

Gefährt, auf welchem ich je in meinem Leben gesessen habe."<br />

Wir lagerten uns auf der Fläche des Wagens und Hessen<br />

die Beine heraushängen. Das kümmerliche Pferdchen setzte<br />

sich in Trab im tiefen Dunkel der indischen Nacht. Eine<br />

Laterne war vorhanden, aber immer wieder und wieder er­<br />

losch dieselbe; öffnete man die Laternentür, so wehte sie<br />

der Wind aus; schloss man sie, so erstickte die Flamme<br />

aus Mangel an Luft. Endlich kamen wir an und befahlen<br />

dem Kutscher, bis zum Ende der Vorstellung zu warten. Er<br />

breitete eine Decke über sein Ross, kauerte vor den Vorder-<br />

füssen desselben nieder, wie die indischen Kutscher zu tun<br />

pflegen, und schlief ein. Wir stiegen hinunter, und ich nahm,<br />

mit grosser Zuvorkommenheit behandelt, meinen Platz auf<br />

den vordersten Bänken ein, wo ich ziemlich allein sass,<br />

während die hinteren Plätze recht gut besetzt waren. Meinen<br />

Dioner Hess man ohne Bezahlung herein. Das Publikum<br />

bestand nur aus Eingeborenen; ich war der einzige Europäer,<br />

der sich hierher verlaufen hatte. Das Stück ging an; es war<br />

Qakuntalä, aber, o weh! Qakuntalä als Oper! Es war ver­<br />

mutlich dieselbe Aufführung, welche Freund Garbe in Bombay<br />

sah und so abschätzig beurteilt. Ich muss ihm recht geben:<br />

die Sache war lang und wurde nachgerade langweilig.<br />

Mühsam bekämpfte ich den Schlaf und suchte mich in den<br />

Zwischenakten durch eine Tasse Thee aufzumuntern, welche<br />

draussen im Freien verabreicht wurde. Als man gegen ein<br />

Uhr noch nicht über die ersten Akte hinaus war, verzichtete<br />

ich auf die Fortsetzung und trat mit Purän den Heimweg an.<br />

Unser Kutscher sass noch ruhig zu den Füssen seines<br />

Pferdes und schlief. Nachdem wir ihn geweckt, begann ein<br />

grosses Gejammer; man hatte ihm die Decke vom Pferde<br />

weggestohlen. Es war wohl das einzige, was an diesem


Seite 126.<br />

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Ein Ekka. Tonfiguren. Fyzabad und Ayodhyä. 127<br />

Wagen zu stehlen war. Wir trösteten ihn durch einige<br />

Münzen und Hessen uns nach Hause haudern.<br />

Die folgenden Tage benutzten wir teils, um mohamme­<br />

danische Prachtbauten zu besuchen, deren es in und um<br />

Lucknow eine ganze Anzahl gibt, teils machten wir Be­<br />

kanntschaft mit mehreren Fabrikanten von Tonfiguren, welche<br />

die indischen Volkstrachten und Gewerbe darstellen und in<br />

Lucknow sehr schön angefertigt werden. Freilich waren die<br />

Preise nicht billig; für eine gut gefertigte, etwa 20 cm hohe<br />

Figur wurden 10 Mark und mehr gefordert.<br />

Erst am Abend vor unserer Abreise stellte sich in unserem<br />

Hotel der Hindufreund ein, an den wir empfohlen worden<br />

waren. Er widmete uns einige freundliche Stunden und ver­<br />

sah uns mit einer Empfehlung für Fyzabad, die Eisenbahn­<br />

station für das benachbarte Ayodhyä, die Stadt des Räma,<br />

welche das nächste Ziel unserer Reise bildete.<br />

Am frühen Morgen legten wir die kurze Strecke von<br />

Lucknow nach Fyzabad zurück und suchten dort, nachdem<br />

wir im Hotel Wohnung genommen, das Haus des Mannes<br />

auf, an den wir empfohlen waren. Leider war auch er in­<br />

folge der Feiertage verreist, und nachdem wir mit einem<br />

zu Besuch in seinem Hause anwesenden Freunde eine<br />

längere Unterhaltung gehabt und uns über die Verhältnisse<br />

in Ayodhyä einigermassen orientiert, beschlossen wir, den<br />

Weg dorthin allein anzutreten. Ein Wagen war schnell be­<br />

schafft, unser Diener schwang sich zum Kutscher auf den<br />

Bock, und wir rollten der berühmten Stadt des Räma zu.<br />

Ausser einigen kolossalen Säulentrümmern, die wir unter­<br />

wegs hier und da bemerkten, gemahnte nichts daran, dass<br />

wir uns auf der Stätte so vieler verklungener Herrlichkeit<br />

befanden. In weniger als einer Stunde war Oudh, auf der<br />

Stätte des alten Ayodhyä, erreicht, welches sich lang an dem


128 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

Ufer der sehr stattlichen Sarayu hinzieht und, ähnlich wie<br />

Mathurä, sich als heilige Stadt durch eine grössere Anzahl<br />

von Tempeln dokumentierte, sowie auch durch eine Menge<br />

von Affen, welche auf allen Dächern und Plätzen ihr<br />

Wesen hatten, an den Wänden der Häuser herumkletterten<br />

und von den Verkäufern von Esswaren in rücksichtsvoller<br />

Weise fern zu halten gesucht wurden. Auf einem freien<br />

Platze unter Bäumen schüttete jemand einen Rest von<br />

Getreidekörnern aus, und sofort machten sich viele Affen<br />

darüber her, zerrieben die Körner in den Händen, besichtigten<br />

prüfend ihren Inhalt und führten ihn zum Munde. Da kamen<br />

des Weges einige Schafe, voran ein ungestümer Widder,<br />

welcher mit Kopf und Hörnern die Affen rücksichtslos bei<br />

Seite stiess und anfing unter den Körnern aufzuräumen.<br />

Vergeblich suchten die Affen durch die furchtbarsten<br />

Grimassen die Eindringlinge zu verscheuchen, und mussten<br />

sich schliesslich begnügen mit den wenigen Körnern, die sie<br />

ohne Gefahr erreichen konnten, indem sie dieselben in<br />

possierlichster Weise zwischen den Hinterbeinen der Schafe<br />

hervorscharrten. Wir wandten uns von diesem Schauspiele<br />

einem benachbarten Tempel zu, der von vielem Volke um­<br />

drängt wurde, während an dem erhöhten Eingange einige<br />

Priester postiert waren, die von den Leuten Gefässe mit<br />

Milch, Früchten usw. entgegen nahmen, einen Teil des<br />

Inhaltes in grössere Gefässe zusammengössen und das<br />

übrige wieder zurückgaben. Leider war niemand da, der<br />

mir diesen eigentümlichen Brauch hätte erklären können.<br />

Wir erstiegen eine Anhöhe, auf der sich eine moham­<br />

medanische Moschee, wie gewöhnlich in Indien aus einer<br />

offenen Halle bestehend, befand; unser Diener beurlaubte<br />

sich für eine Viertelstunde, um an heiliger Stätte ein Bad<br />

zu nehmen, während wir uns einiger indiskreter Frager, es<br />

waren Mohammedaner, zu erwehren hatten. Auf der anderen<br />

Seite der Anhöhe stiegen wir durch Tabakspflanzungen hinab,


Ayodhyä. Affen, Tempel, Sehenswürdigkeiten. 129<br />

begrüssten im Vorbeigehen einen alten Gelehrten, der die<br />

Sän£/zva-Philosophie studierte, und lustwandelten dann an<br />

dem schönen Ufer des Flusses entlang zur Stadt zurück.<br />

Auf unserm Wege lag ein grosser Tempel des Räma. Ich<br />

trat ein, und man verwehrte mir ziemlich unfreundlich den<br />

Zutritt. Vergeblich setzte ich in Sanskrit auseinander, dass<br />

ich das Rämäyanam studiert habe und, wenn auch ein Aus­<br />

länder, doch gewiss würdiger als viele andere sei, dem<br />

Helden Räma meine Verehrung zu zollen. Man Hess sich<br />

nicht erweichen, vielleicht weil man mich nicht verstand;<br />

ich wurde heftig, Hess noch eine kleine Strafpredigt vom<br />

Stapel und wandte mit dem Ausrufe: kruddho 'smi! („ich<br />

zürne euch") den ungastlichen Pforten den Rücken.<br />

Die tropische Sonne neigte sich schon dem Horizonte<br />

zu, als wir unsern Wagen bestiegen und von der Stätte der<br />

alten Rämastadt Abschied nahmen. Eine Fahrt von zehn<br />

Minuten führte uns in die Nähe eines Hügels, auf dem einst<br />

Buddha gepredigt haben soll. Wir stiegen hinan und fanden<br />

oben ein halb verfallenes Haus, von einem anmutigen Gärt-<br />

chen umgeben, und als Wächter des Ortes ein freundliches<br />

altes Ehepaar, mit dem wir einige Worte wechselten und<br />

uns an der weiten Aussicht über Stadt und Ebene und den<br />

in der Abendsonne silbern glänzenden Strom erquickten.<br />

Dann gewannen wir unseren Wagen wieder und rollten auf<br />

Fyzabad zu. Mit der Dämmerung erreichten wir unser Hotel,<br />

wo beim Dinner noch ein Gast ausser uns zugegen war, ein<br />

Maler, der uns eine schöne Sammlung von Gemälden indischer<br />

Landschaften zeigte. Der Horizont auf denselben war, wie<br />

gewöhnlich in Indien, wolkenlos. „Aber hier ist einmal ein<br />

Stück mit Wolken", sagte ich, „welches an die Landschaften<br />

unserer Heimat erinnert." — „Sagen Sie das nicht," versetzte<br />

er, „diese Wolken sind von denen des nordischen Himmels<br />

sehr verschieden."<br />

Der nächste Morgen sah uns wieder auf dem Bahnhofe.<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 9


130 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

Wir lösten unsere Billets nach Benares, wo wir nach einer<br />

Fahrt von drei Stunden in der grössten Mittagshitze eintrafen<br />

und in Clark's Family Hotel Wohnung nahmen, zuerst par­<br />

terre links, dann, nachdem Platz geworden war, in einem<br />

grösseren und besseren Zimmer parterre rechts, welches wir<br />

drei Wochen lang innegehabt haben. Das Hotel lag an der<br />

Landstrasse. Auf der andern Seite derselben befand sich<br />

eine Kirche, von einem geräumigen Grundstücke mit wohl­<br />

gepflegten Wegen und Blumenbeeten umgeben. Auch einiges<br />

Schatten gebende Gebüsch war vorhanden. Die niedrige<br />

Mauer war von der Landstrasse her mit Hülfe der Steine<br />

eines verfallenen Brunnens bequem zu übersteigen, und wir<br />

benutzten täglich diese Gelegenheit, um auf dem Kirchhofe<br />

zu lustwandeln oder auch unsere Besucher dorthin zu führen,<br />

namentlich, wenn mehrere zusammen kamen und die Dis­<br />

kussion lebhaft und laut zu werden drohte, wie das mit den<br />

Indern als naiven Naturkindern leicht zu geschehen pflegt.<br />

Wenn wir dann, umgeben von national gekleideten Professoren<br />

oder Pandits, auf der Veranda des Hotels verweilten, so<br />

konnten wir wohl aus den Blicken der Ein- und Ausgehenden<br />

lesen, dass wir nicht ganz angenehm auffielen, und so<br />

pflegten wir uns lieber jenseits der Landstrasse mit den<br />

Stühlen des Hotels im Gebüsche des Kirchhofes zu postieren,<br />

wo dann dem Redefluss freiester Lauf gelassen werden<br />

konnte.<br />

Jenseits der Kirche kamen zuerst grosse, freie Grasplätze;<br />

hier lag die Wohnung des Professors Venis, etwas weiter<br />

die Buchdruckerei und der Buchladen seines Schwieger­<br />

vaters Lazarus, dann folgte unter anderm das Postbureau, und<br />

endlich kam man zu den Anfängen der Stadt, welche sonach<br />

ziemlich weit, wohl eine Viertelstunde, von uns entfernt lag.<br />

Die Stadt selbst, am linken Ufer des Ganges im Halb­<br />

kreise gelegen, ist ein Labyrinth von engen, winkligen<br />

Strassen und Gässchen, in denen man sich nicht leicht ohne


Benares. Clark's Family Hotel. Baden im Ganges. 13]<br />

Führer zurechtfindet, zumal da kein detaillierter Plan von<br />

der Stadt existiert. Diesen ganzen Wirrwarr von Strassen<br />

mussten wir jedesmal durchkreuzen, um zum Ganges zu<br />

kommen, welcher die Hauptsehenswürdigkeit von Benares<br />

bildet. Die Ufer sind hier hoch und steil. Auf der Höhe<br />

an ihnen entlang haben viele auswärtige Fürsten und Vereine<br />

ihre Versammlungshäuser. Von dieser Häuserreihe bis hinab<br />

zum Ganges führen viele Treppen, die sogenannten Ghatta's.<br />

Auf ihnen bis zum Ufer hin und in den Fluss hinein ent­<br />

wickelt sich allmorgendlich im Winter wie im Sommer ein<br />

sehr unterhaltendes Schauspiel. Morgens gegen 7 Uhr ist<br />

das Ufer belebt von badenden Gruppen, für welche das<br />

tägliche Bad im Ganges einerseits religiöse Pflicht, ander­<br />

seits ein sehr willkommener Zeitvertreib ist. Wenn man<br />

früh am Morgen sich bei Dagägvamedha Ghatta einfindet<br />

und eines der zahlreich vorhandenen, hohen und breiten<br />

Schiffe mietet, um sich am Ufer entlang fahren zu lassen,<br />

so kann man in nächster Nähe und in voller Bequemlichkeit<br />

die Gruppen der Männer und, etwas getrennt von ihnen,<br />

solche von Weibern beobachten, wie sie lustig im Wasser<br />

herumplätschern, indem sie zugleich ihre Kleider und Gefässe<br />

waschen. Die dünnen Kleider werden auf den Steinen des<br />

Ufers der prallen Morgensonne ausgesetzt und sind, wenn<br />

der Inhaber sein Bad genommen hat und aus dem Wasser<br />

steigt, schon hinreichend trocken, um wieder angezogen<br />

werden zu können. Weiter am Ufer entlang fahrend, ge­<br />

langt man an eine Stelle, wo vom Morgen bis an den Abend<br />

die Leichen von solchen verbrannt werden, welche im hohen<br />

Alter nach Benares gezogen sind, um dort ihr Leben zu<br />

beschliessen, oder auch erst nachdem sie gestorben sind,<br />

ihren Leib auf Grund letztwilliger Verfügung nach Benares<br />

haben transportieren lassen. Da hier in der Regel mehrere<br />

Verbrennungen gleichzeitig erfolgen, so kann man den<br />

ganzen Hergang in kurzer Zeit an ihnen beobachten.<br />

9*


132 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

Zunächst bringen Träger die mit Tüchern umwickelte und<br />

mit Blumen geschmückte Leiche herbei, und das erste ist,<br />

dass dieselbe mitsamt dem Brett, auf welchem sie befestigt<br />

ist, halb in den Fluss geschoben wird, von wo sie dann,<br />

nachdem der Scheiterhaufen fertig gestellt worden, auf die<br />

mannslangen, grossen Holzscheite gelegt wird, aus denen<br />

er besteht. Einige weitere Holzscheite werden über die<br />

Leiche gelegt, worauf von privilegierten, einer besonderen<br />

Kaste angehörigen Leuten, in deren Händen die ganze Cere-<br />

monie liegt, der Scheiterhaufen angezündet wird. Die Flamme<br />

prasselt empor und ergreift immer weitere Holzteile und<br />

zuletzt den Leichnam, während die Angehörigen des Verstor­<br />

benen, in einiger Entfernung stehend, meist mit dumpfem<br />

Schweigen dem Schauspiel folgen. In einigen Stunden ist,<br />

wie schon oben bemerkt wurde, die Leiche bis auf einige<br />

Knochenteile vollständig verbrannt; die Reste werden in den<br />

Ganges geschürt, dessen träge fliessende Wasser noch längere<br />

Zeit mit Kohlen, Blumenkränzen u. dgl. überzogen bleiben.<br />

Unterdessen ist bereits auf der leergewordenen Stelle ein<br />

neuer Scheiterhaufen errichtet worden, der für die folgende<br />

Leiche bestimmt ist. Selten besucht man den Ort, ohne<br />

dass nicht mehrere Scheiterhaufen gleichzeitig brennten.<br />

Der Zudrang ist ein grosser, da die Inder glauben, dass<br />

derjenige, dessen Leiche in Benares verbrannt wird, sofort<br />

in die Erlösung eingeht. Weniger belebt sind die Ufer<br />

Weiter unterhalb; folgt man ihnen, so gelangt man nach<br />

halbstündiger Wanderung, vom Mittelpunkte an ge­<br />

rechnet, an die Stelle, wo die Varanä, ein Flüsschen<br />

von etwa 10 Metern Breite, in den Ganges mündet.<br />

Ebenso bildet an der entgegengesetzten Seite oberhalb der<br />

Stadt die meist ganz wasserlose Ast die Stadtgrenze. Von<br />

beiden Flüssen hat die Stadt den Namen Väranäsi, das ist<br />

Benares.<br />

Auf dem anderen Ufer, oberhalb der Stadt, liegt auf


Seite 132.<br />

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Leichenverbrennung. Besuch beim Mahäräja. 133<br />

einer Erhöhung Rämanagaram, die Residenz des Mahäräja<br />

von Benares, bestehend aus einem weitläufigen Palast mit<br />

Nebengebäuden und einem unweit davon befindlichen<br />

Tempel der Durgä.<br />

Unsere Empfehlungsbriefe an den Mahäräja hatten wir,<br />

wie üblich, bei unserer Ankunft in Benares übersandt und<br />

um eine Audienz gebeten. Am folgenden Tage erschien<br />

der Sekretär des Mahäräja im Hotel, und der Besuch wurde<br />

für den nächsten Tag — es war der 31. Dezember — ver­<br />

abredet. Zur festgesetzten Stunde holte uns der Wagen<br />

des Mahäräja im Hotel ab und führte uns zum Ganges.<br />

Eine Sänfte mit Trägern stand für meine Frau bereit, um<br />

sie den Abhang hinunter bis ans Wasser zu tragen, ein<br />

fürstliches Boot setzte uns über, dann wieder Sänfte bis<br />

ins Palais. Hier empfing uns der Mahäräja im Kreise seines<br />

Gefolges, welches zumeist aus Pandits bestand. Nachdem<br />

die politische Herrschaft derindischenFürsten fast überall an die<br />

Engländer übergegangen ist, sind die meisten Mahäräjas nicht<br />

vielmehr als reiche und angesehene Privatleute. Manche von<br />

ihnen ergeben sich dem Wohlleben und gehen in Schlemmerei<br />

unter, andere benutzen ihren Einfluss, um Religion und<br />

Wissenschaft zu pflegen. Dies war der Fall des gegen­<br />

wärtigen Mahäräja von Benares, Prabhunäräyana, welcher<br />

einige Jahre vorher seinem Vater gefolgt war. Obgleich er<br />

schon einen erwachsenen Sohn hat, der auch nachher in<br />

der Versammlung erschien, macht der Mahäräja den Ein­<br />

druck eines jüngeren Mannes von sanftem und bescheidenem<br />

Wesen. Er spricht leidlich gut Englisch und ebenso Sanskrit.<br />

Die Unterhaltung, an der sich auch die anwesenden Pandits<br />

lebhaft beteiligten, wurde mit Rücksicht auf diese vorwiegend<br />

in Sanskrit geführt. Von Zeit zu Zeit Hess sich der<br />

Mahäräja eine kostbare Pfeife reichen, aus der er einige Züge<br />

rauchte und sie dann dem Diener zurückgab. Meine Bitte,<br />

mir täglich einige Pandits zur Unterhaltung im Sanskrit zu


134 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

schicken, wurde bereitwilligst gewährt. Ausserdem stellte<br />

uns der Mahäräja für die ganze Zeit unseres Aufenthaltes<br />

in Benares einen schönen Wagen mit Kutscher und zwei<br />

Dienern zur Verfügung. Von dem Reichtum und der Frömmig­<br />

keit des Mannes mag es einen Begriff geben, dass er, wie<br />

schon früher erwähnt, in Mathurä an heiliger Stelle sich<br />

wiegen Hess und sein Gewicht in Gold — es sollen über<br />

100000 Rupien gewesen sein — an die Brahmanen schenkte.<br />

Auch das Sanskritgedicht, in welchem Professor Gahgädhara<br />

an der Universität zu Benares dieses Ereignis in überaus<br />

künstlichen Versen feierte, wurde schon erwähnt.<br />

Nach längerer Unterhaltung in einem prunkvollen Saale<br />

lud uns der Mahäräja zur Besichtigung des Palastes ein.<br />

Wir bemerkten kostbare Elfenbeinschnitzereien und andere<br />

Kunstwerke, denen wir die gebührende Bewunderung zollten.<br />

Am interessantesten war das Cakuntalä-Zimmer, in welchem<br />

alle Hauptscenen des Dramas Qakuntalä in einer Reihe von<br />

Gemälden sehr anmutig dargestellt waren. Wir schieden<br />

höchst befriedigt, und noch lange dufteten unsere Hände<br />

von dem Rosenöl, welches man beim Abschied aus einer<br />

kostbaren Vase in dieselben geträufelt hatte.<br />

Einige Tage darauf stattete uns der Mahäräja seinen<br />

Gegenbesuch ab, wozu ein in der Nähe des Hotels ge­<br />

legenes Palais gewählt wurde. Diesmal war die Anzahl der<br />

umgebenden Pandits noch grösser. Wir sprachen u. a. von<br />

Deutschland, und ich hatte Mühe, in Sanskrit eine Schilderung<br />

des nordischen Klimas mit Eis und Schnee zu machen;<br />

denn die allermeisten Inder haben nie in ihrem Leben Schnee<br />

gesehen, und es ist schwer, ihnen einen Begriff davon zu<br />

geben. Plötzlich brach der Mahäräja auf und lud mich ein,<br />

mit ihm in seinen Wagen zu steigen, während meine Frau<br />

einige Minuten später in einem anderen Wagen, von einigen<br />

Ministern begleitet, folgte. Die Unterhaltung während der<br />

Fahrt, teils in Englisch, teils in Sanskrit, drehte sich um


Mit dem Mahäräja zu Bhäskaränanda Svämin. 135<br />

die Reisen, welche der Mahäräja zu Elefant öfter nach<br />

seinen südlich gelegenen Besitzungen unternahm. Meine<br />

Frage, ob er nicht einmal nach Europa kommen möchte, ver­<br />

neinte er mit Entschiedenheit. Als ich darauf hinwies, dass<br />

ja auch der Mahäräja von Baroda gegenwärtig in Europa<br />

weile, antwortete er kurz: „Ja, der ist ein Cüdra." Unsere<br />

Fahrt ging zu Bhäskaränanda Svämin, einem berühmten<br />

Heiligen, bei welchem der Mahäräja persönlich mich ein­<br />

führen wollte. Durch einen Zufall hatte ich ihn allerdings<br />

schon früher kennen gelernt. Der junge Pandit Veniräm<br />

nämlich, mit dem ich in Bombay Sanskritkonversation trieb,<br />

erzählte mir, dass sein Vater in Asisanga bei Benares<br />

Askese übte und hatte mir auch einen Sanskritbrief an den­<br />

selben mitgegeben. Mit diesem hatten wir uns bald nach<br />

unserer Ankunft in Benares nach Asisanga begeben, wo<br />

man uns nach mehrfachem Fragen in einen Garten wies,<br />

in welchem ein nackter Büsser lebte. Ein kleines Tuch<br />

um die Lenden bildete sein einziges Bekleidungsstück. Er<br />

nahm den Brief an, überblickte ihn flüchtig und empfing<br />

uns aufs freundlichste. Er war aber nicht Veniräms Vater,<br />

den ich auf diese Weise nie zu sehen bekommen habe,<br />

sondern Bhäskaränanda Svämin, und zu diesem führte<br />

mich nun auch der Mahäräja. Diesmal war er vollständig<br />

nackend; es ist mir ein unvergesslicher Eindruck, wie dieser<br />

arme, nichts auf der Welt sein eigen nennende Asket den<br />

vornehmen und reichen Mahäräja, der sich ihm mit demütiger<br />

Verneigung nahte, mit herablassender Leutseligkeit empfing,<br />

während er mich ohne Umstände als alten Bekannten und<br />

Mitarbeiter auf dem Gebiete des Vedänta begrüsste. Er<br />

lud uns zum Sitzen auf einer Steinplatte ein, setzte sich<br />

selbst daneben, wobei er seine Blosse geschickt zu be­<br />

decken wusste, und fing lustig an, mit mir über die Upanishad's<br />

zu perorieren, während ich das peinliche Gefühl hatte, dass<br />

meine Frau jeden Augenblick nachkommen konnte und ihn


136 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

in diesem Zustande sehen würde. Ich erwähnte wiederholt,<br />

dass auch meine Frau sogleich eintreffen würde, aber er<br />

Hess sich nicht stören, und erst als meine Frau mit Gefolge<br />

hinter den Bäumen erschien, Hess er sich ein kleines<br />

Lümpchen reichen, und so war er auch für diesen Besuch<br />

hinreichend gerüstet. Der Mahäräja verabschiedete sich,<br />

Bhäskaränanda Hess sich die Druckbogen einer von ihm<br />

unternommenen und seitdem auch erschienenen Ausgabe<br />

der Upanishad's reichen, und so fehlte es nicht an Stoff<br />

für die Unterhaltung.. Im weiteren Verlaufe Hess er eine<br />

Frucht bringen, zerlegte sie und bestand darauf, die ein­<br />

zelnen Stückchen mir und meiner Frau aus seinen braunen<br />

Händen direkt in den Mund gelangen zu lassen. Beim<br />

Abschiede schenkte er uns eine Mangofrucht, die ein Ver­<br />

ehrer ihm aus dem fernen Süden mitgebracht hatte, wo<br />

alles früher reif ist als in dem nördlichen Indien. Obwohl<br />

nämlich dieser Heilige das Gelübde völliger Besitzlosigkeit<br />

befolgte und ihm zum guten Teile die Verehrung verdankte,<br />

mit der die Menge zu ihm aufblickte, obwohl er schlechter­<br />

dings nichts auf der Welt sein eigen nannte, so fehlte es<br />

ihm doch keineswegs an dem Notwendigen. Da sein Ge­<br />

lübde völliges Nackendgehen erforderte, und dieses in den<br />

Strassen der Stadt polizeilich untersagt ist, so hielt er sich<br />

in einem grossen und schönen Garten auf, den ihm irgend<br />

ein Verehrer zur Verfügung gestellt hatte. Hier wandelte<br />

er zwischen schattigen Bäumen, verfasste seine Werke und<br />

empfing die Besuche seiner. Verehrer. Viele derselben<br />

schickten ihm regelmässig Essen, andere sahen es als eine<br />

besondere Gnade an, ihn bedienen zu dürfen. Als ich ihn<br />

ein anderes Mal mit meiner Frau und Herrn und Frau Aus<br />

dem Winkel, einem jungen Dresdener Ehepaare, besuchte,<br />

führte er uns überall umher, nannte die beiden Damen<br />

seine Mütter und war in rührender Weise bemüht, ihnen<br />

beim Herabsteigen der steinernen Treppe behülflich zu sein,


Ein Asketenheim. Das Sanscrit College. 137<br />

obgleich er mit seinen nackten Füssen und Gliedern viel<br />

mehr exponiert war als wir anderen. Ich fragte ihn, wo<br />

er schliefe? Er zeigte uns einen kleinen stallartigen Raum,<br />

dessen Boden mit Stroh bedeckt war. Hier schlief er<br />

ohne weitere Unterlage und ohne Decken im Winter wie<br />

im Sommer. Dann führte er uns in einen tiefer gelegenen<br />

Schuppen, wo ein Bildhauer beschäftigt war, eine sitzende<br />

Kolossalstatue unseres Heiligen für einen seiner Verehrer<br />

in Marmor auszuführen. Der Bildhauer hatte als Vorübung<br />

ein paar Miniaturstatuetten in Stein geschnitten; ich kaufte<br />

ihm eine derselben ab, welche Bhäskaränandas Gestalt und<br />

Gesichtszüge ganz richtig wiedergibt, und bin froh, dieses<br />

Unicum noch heute zu besitzen.<br />

Mit Ungeduld erwartete ich den 4. Januar 1893 als den<br />

Tag, an welchem nach den Weihnachtsferien die Vorlesungen<br />

an der Universität wieder beginnen sollten. Von nun an<br />

besuchte ich täglich von 7-—9 Uhr morgens die Vorlesungen<br />

des Sanscrit College in der Universität. Es ist dies eine<br />

Abteilung derselben, in welcher für die Eingeborenen die<br />

verschiedenen Wissenschaften in alter Weise auf Grund der<br />

klassischen Sanskritlehrbücher vorgetragen werden. Die Vor­<br />

tragssprache war, soweit ich die Vorlesungen besucht habe,<br />

stets Sanskrit. Hier hörte ich mit grossem Genüsse die<br />

Vorträge der Professoren Gangädhara über Grammatik und<br />

Literatur, Sudhäkara über Astronomie, Rämamigra über<br />

Philosophie und andere mehr. Die Räume der Universität<br />

sind gross und hoch, von Hallen umgeben und in einem<br />

Garten liegend. Alle Türen stehen während des Unterrichts<br />

offen. Zwei bis drei Professoren lehren oft gleichzeitig in<br />

demselben Räume, wo jeder mit seinem Häuflein von Schülern<br />

eine Ecke einnimmt. Wie bei uns am Eingang der Auditorien<br />

eine Reihe von Hüten hängt, so sieht man in Indien vor<br />

jedem Auditorium eine Sammlung von Schuhen, denn Pro-


138 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

fessoren wie Studenten behalten während der Vorlesung ihre<br />

Turbane auf, ziehen hingegen die Schuhe aus und finden es<br />

sehr wunderlich, dass der Europäer die Kopfbedeckung, die<br />

Zierde des Mannes, ablegt, wenn er ins Zimmer tritt, wo es<br />

doch kühler ist als draussen, hingegen die vom Gehen auf<br />

der Strasse bestaubten Schuhe anbehält. Wie sollte man<br />

aber auch in Schuhen bleiben können, ohne den Boden des<br />

Zimmers und die eigenen Kleider beim Sitzen mit unter­<br />

geschlagenen Beinen zu beschmutzen? Denn von Stühlen,<br />

Bänken oder Tischen ist ja keine Rede; der Professor wie<br />

die Studenten ihm gegenüber sitzen mit untergeschlagenen<br />

Beinen auf dem Boden. Wenn nachzuschreiben ist, so tun<br />

sie dies auf der flachen Hand und weisen eine Unterlage,<br />

wenn man sie ihnen anbietet, als unbequem zurück. Die<br />

Pünktlichkeit wird nicht sehr streng beobachtet. Manche<br />

kommen nach Beginn der Vorlesung, andere verlassen sie<br />

vor dem Schlüsse, indem sie geräuschlos eintreten und sich<br />

zu den Füssen des Lehrers niederlassen und ebenso sich<br />

wieder entfernen. Mehr als ein halbes Dutzend waren selten<br />

um einen Lehrer versammelt. Am Schlüsse der Vorlesung<br />

spricht der Lehrer das Wort alam, „genug", manchmal<br />

kommen ihm auch die Schüler zuvor mit dem Ruf alam.<br />

Während im allgemeinen auch die Universität oder viel­<br />

mehr das College (denn university bedeutet in Indien nur<br />

eine examinierende, nicht eine lehrende Korporation) zu<br />

Benares einen englischen Charakter trägt, so ist das einen<br />

Teil derselben bildende Sanscrit College ganz national indisch<br />

geblieben. Die verschiedenen Wissenschaften, Grammatik und<br />

Literatur, Rechtslehre, Philosophie, ja sogar die Astronomie<br />

und die Medizin werden hier auf Grund der alten, ein­<br />

heimischen Lehrbücher vorgetragen. Die völlige Abhängig­<br />

keit vom indischen Altertum, die Lösung jeder Streitfrage<br />

durch Zurückgehen auf die antiken Autoritäten und Dis­<br />

kussionen ihrer Aussprüche erinnert gar sehr an die Lehr-


Lehrweise im Sanscrit College. Mittelalterlicher Standpunkt. 139<br />

weise, wie sie in Europa während des Mittelalters üblich<br />

war; und so ist ganz mittelalterlich auch das Festhalten an<br />

allerlei Aberglauben, welcher auch den Vorstellungskreis ge­<br />

lehrter und scharfsinniger Männer in wunderlicher Weise<br />

einschränkt und beherrscht. Die Erde steht still, und die<br />

Sonne mit allen Sternen dreht sich um die Erde; die<br />

Schlangen, welche mitunter in dem alten Mauerwerke be­<br />

wohnter Häuser ihre Schlupfwinkel haben, gelten für Ver­<br />

körperungen von Seelen der Vorfahren; das Sterben in Be­<br />

nares hat unmittelbaren Eingang in die Erlösung zur Folge;<br />

diese und andere abergläubische Vorstellungen kann man<br />

mitunter bei den gelehrtesten Pandits antreffen. So sehr<br />

daher auch die Arbeiten der indischen Gelehrten der Be­<br />

richtigung durch die europäische Wissenschaft bedürfen, so<br />

wenig kann ein Europäer jemals jene wunderbare Beherrschung<br />

des Sanskrit erreichen, welche bei den indischen Gelehrten<br />

etwas ganz Gewöhnliches ist. Sie sprechen das Sanskrit<br />

so geläufig, als hätten sie nie etwas anderes gesprochen,<br />

und sie lesen die Texte, welche sie interpretieren, so schnell,<br />

dass man kaum mit den Augen zu folgen vermag. Gangä-<br />

dhara erklärte in einer Sitzung von zwei Stunden einen<br />

ganzen Akt des Dramas Mälatimädhavam; auf meine Frage,<br />

ob es auch Texte gebe, die er nicht beim ersten Lesen ver­<br />

stehe, erwiderte er, dass ihm dies nur selten vorkomme. Der<br />

Astronom Sudhäkara entwickelte die schwierigsten mathe­<br />

matisch-astronomischen Vorstellungen mit Hülfe höchst<br />

primitiver Instrumente in beredtem Sanskrit, und Rämamigra<br />

interpretierte die Sänkhya-kärikä nebst dem Kommentare des<br />

Väcaspatimigra, indem er dabei kaum ins Buch blickte; er<br />

schien nicht nur die Kärikä sondern auch den ganzen weit­<br />

läufigen Kommentar so ziemlich auswendig zu wissen. „Das<br />

Sanskrit", sagte er zu mir, „ist für mich wie meine Mutter­<br />

sprache." Gegen die Geläufigkeit, mit der er es sprach,<br />

stach sehr ab sein unbeholfenes Englisch, mit welchem er


140 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

mir gegenüber mit Vorliebe kokettierte, sodass ich ihn bei<br />

unseren zahlreichen Disputationen immer wieder zum Sanskrit<br />

zurückholen musste. Den Inhalt seiner Philosophie bildete<br />

freilich nur der spätere zum Säiikhyam entartete Vedänta,<br />

nicht die reine Lehre der älteren Upanishad's und ihrer<br />

Wiedererneuerung durch (Jankara. Eine Vorlesung wurde<br />

zur Besprechung dieser Fragen anberaumt, wobei es mir be­<br />

greiflicherweise nicht gelang, ihn von seinem aus Rämänuja<br />

geschöpften und eingewurzelten Realismus zu bekehren. Als<br />

ich von dieser Vorlesung nach Hause ging, schloss sich mir<br />

einer der anwesenden Schüler an und bekannte, dass er<br />

meiner Anschauungsweise viel näher stehe, als der seines<br />

Lehrers Rämamicra.<br />

An einem. Sonntag Nachmittag sass ich mit Rämamicra<br />

unter den Rosenpflanzungen des Kirchhofs gegenüber unserem<br />

Hotel im philosophischen Gespräch über die Natur der<br />

Seele, welche er sich als eine im Körper wohnende immaterielle<br />

Substanz, etwa in der Weise des Cartesius, vorstellte, und<br />

ich hatte ihn gerade vor das Dilemma gestellt, dass seine<br />

Seele, entweder pratighäta (Repulsionskraft) besitze und<br />

dann nicht durch die Schädelwand und andere materielle<br />

Hindernisse durchgehen könne, oder nicht pratighäta besitze,<br />

und dann weder die Glieder des Leibes zu bewegen noch<br />

von einem Orte zum anderen zu wandern imstande sein<br />

würde, — da gesellte sich zu uns ein vornehm gekleideter<br />

junger Inder, der unser Gespräch mit lebhaftem Interesse<br />

verfolgte. Sein Name war Govind Das, und er bewohnte<br />

ein elegantes Haus nahe bei Durgakund, oberhalb der Stadt.<br />

Wie alle besser situierten Hindus hatte er Wagen und Pferd,<br />

mit denen er uns öfter zu.Spazierfahrten abholte. Er sprach<br />

nicht Sanskrit, aber um so besser Englisch, und bezeichnete<br />

sich selbst als a busy idler, „einen geschäftigen Müssig-<br />

gänger", d. h. als einen Mann, der seine materielle Unab­<br />

hängigkeit zu literarischer Tätigkeit benutzte.


Professor Rämamicra. Govind Das. Die Theosophisten. 141<br />

Govind Das führte uns in sein von einem schönen<br />

Garten umgebenes Haus ein. In einem der Zimmer waren<br />

die Hochzeitsgeschenke ausgestellt, welche eine Neuvermählte<br />

aus der Familie erhalten hatte, und wir bemerkten mit Ver­<br />

wunderung anstatt der bei uns üblichen Statuen, Uhren,<br />

Lampen und Prunkstücke eine Sammlung von Säcken mit<br />

mancherlei Getreide, Schalen mit Früchten und ähnlichen<br />

Naturgaben, die zum Teil wohl eine symbolische Bedeutung<br />

haben mochten. Weiter führte er uns in seine Bibliothek;<br />

rings an den Wänden standen die Bücher, während fast der<br />

ganze Innenraum des Zimmers von einem sehr langen und<br />

breiten Arbeitstisch nach indischer Weise eingenommen<br />

wurde, nicht um sich daran zu setzen, sondern um darauf<br />

zu sitzen, da er nur um einen Fuss höher als der Boden<br />

und mit grauer Leinwand überzogen ist. Der Arbeitende<br />

sitzt mit untergeschlagenen Beinen auf der Mitte des Tisches,<br />

dessen grosse Breite und Länge es ihm bequem ermöglicht,<br />

mancherlei Bücher um sich herum aufzustapeln. Wie wir<br />

zur Sommerzeit mitunter in Hemdärmeln bei der Arbeit<br />

sitzen, so macht auch der indische Gelehrte es sich bequem,<br />

indem er das Obergewand bis an den Gürtel herunterstreift,<br />

und so mit völlig nacktem Oberkörper dasitzt. So interessant<br />

dieses alles für uns war, so wenig erbaut war ich von der'<br />

Zusammenstellung dieser Bibliothek. Der Vedänta war zu­<br />

meist in seiner spätesten entartetesten Form vertreten, welchem<br />

sich eine grosse Reihe moderner theosophistischer Produkte<br />

anschloss. Denn Freund Govind Das war eifriger Theosophist,<br />

und mit der grössten Ehrfurcht breitete er vor mir mehrere<br />

dicke Bände aus, welche in elegantestem Einbände die<br />

wüsten Phantasien der Madame Blawatski enthielten. Es ist<br />

bedauerlich zu sehen, wie das den Indern einwohnende edle<br />

philosophische Streben durch den überall in Indien grassieren­<br />

den Theosophismus in falsche Bahnen gelenkt wird. Das<br />

Haupt dieser Richtung ist gegenwärtig Colonel Oleott in


142 V. Von Peshawar bis Calcutts.<br />

Calcutta. Ich habe ihn dort nicht besucht, traf aber später<br />

zufällig mit ihm zusammen. Als wir nämlich von Calcutta<br />

nach Bombay zurückfuhren, hatten wir in Moghal Sarai, der<br />

Eisenbahnstation, welche am südlichen Ufer des Ganges,<br />

Benares gegenüber, liegt, zehn Minuten Aufenthalt. Ich trat<br />

auf den Perron und blickte zum letzten Abschiede nach dem<br />

so viele schöne Erinnerungen umschliessenden Benares<br />

hinüber, als plötzlich Govind Das zu mir trat, mich mit lebhafter<br />

Freude begrüsste und zugleich anbot, mich mit dem<br />

zufällig anwesenden Colonel Oleott bekannt zu machen.<br />

Wir begrüssten uns wie zwei, die schon längere Zeit von<br />

einander wissen und das Gefühl haben, dass zwischen ihren<br />

Anschauungen wohl schwerlich jemals eine geistige Brücke<br />

sich schlagen lässt. Die Abfahrt meines Zuges erlaubte kein<br />

eingehenderes Gespräch und machte unserer kurzen, reser­<br />

vierten, doch nicht unfreundlichen Berührung ein Ende.<br />

Von den übrigen reichen Eindrücken, die unser zwanzig­<br />

tägiger Aufenthalt in Benares uns bot, wollen wir nur noch<br />

einiges erwähnen. Eine sehr willkommene Ergänzung unserer<br />

gelehrten Bekanntschaften war Raghunandana Prasäd, ein<br />

Advokat am Gerichtshofe von Benares und zugleich ein Mit­<br />

glied der städtischen Verwaltung. Als solchem standen ihm<br />

alle Türen offen, und die Art, wie er uns in Benares herum­<br />

führte, war ebenso interessant wie lehrreich. Am frühen<br />

Morgen bestiegen wir mit ihm ein Schiff und Hessen uns<br />

an den fröhlichen Gruppen der Badenden beiderlei Geschlechts<br />

vorbeirudern. Dann gelangten wir durch ein Labyrinth enger<br />

Gässchen zu einer heiligen Stätte, dem Inänakäpa oder<br />

„Brunnen der Erkenntnis", einem wenig einladenden Orte, wo<br />

die zudringliche Bettelei einen fast an Ägypten streifenden Grad<br />

erreicht. Auch können die Hindus es nicht lassen, Blumen<br />

und andere Spenden in den tiefen Ziehbrunnen hinabzuwerfen,<br />

welche dort in Verwesung übergehen und die Luft verpesten.


Colonel Oleott. Rundgsng mit Raghunandana Prasäd. 143<br />

Unser Freund zeigte uns die auf seine Anordnung ange­<br />

brachten Vorrichtungen zum Auffangen der hinabgeworfenen<br />

Gegenstände, durch welche dem Unfuge wenigstens teil­<br />

weise gesteuert wurde. Von hier führte unser Weg zu den<br />

beiden grossen Minarets, welche Benares als Wahrzeichen<br />

der Stadt überragen. Sie wurden von den übermütigen<br />

mohammedanischen Eroberern als Symbol ihrer Herrschaft<br />

über die heiligste Stadt Indiens aufgerichtet, zum grossen<br />

Verdruss der Hindus, bis sie lernten, sich in das Unabänder­<br />

liche zu fügen und die beiden Minarets ihrem Religions­<br />

system einzuverleiben, indem sie dieselben für zwei Säulen<br />

des Krishna erklärten. Eines der Minarets ist wegen Bau-<br />

fälligkeit jetzt geschlossen. Das andere bestiegen wir auf<br />

einer im Innern emporführenden Wendeltreppe und genossen<br />

von hier aus eine grossartige Übersicht auf das am Ganges<br />

im Halbkreise sich ausbreitende Benares und die umliegende,<br />

mit Gärten und Landhäusern übersäte Gegend. Weiter wurden<br />

wir von unserem kundigen Freunde durch die ärmeren Stadt­<br />

viertel geführt. Wir sahen die Weber bei ihrer Arbeit, welche die<br />

schönsten Webearbeiten auf den primitivsten Webstühlen<br />

hervorbrachten. Wir sahen den Töpfer, wie er, auf dem<br />

Boden kauernd, ein grosses, auf einer Spitze laufendes Rad<br />

in Umschwung versetzte, eine unförmige Tonmasse auf die<br />

Mitte warf und in wenigen Augenblicken daraus ein zier­<br />

liches Gefäss verfertigte. Wir nahmen ein solches, welches<br />

an dem daneben brennenden Feuer hart gebrannt war, zum<br />

Andenken mit und besitzen es noch heute. Weiter führte<br />

uns noch unser Weg durch enge Gassen, vorüber an zahl­<br />

reichen Tempeln, deren Benares 5000 besitzen soll, und von<br />

denen manche freilich nur die Grösse einer Hundehütte<br />

haben. Gegen Abend besuchten wir ein Hochzeitsfest; die<br />

Ceremonie war vorüber, und die Unterhaltung hatte be­<br />

gonnen, um die ganze Nacht durch zu dauern. Sie bestand<br />

darin, dass die männlichen Gäste, es mochten ihrer einige


144 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

hundert sein, in einem grossen Saale auf dem Boden hockten<br />

und den Aufführungen der zu diesem Zwecke gedungenen<br />

Tanzmädchen mit gespannter Aufmerksamkeit lauschten. Es<br />

trat immer nur ein Mädchen auf, mit einem goldgestickten<br />

Gewände bis auf die Füsse bekleidet, welches in eintöniger<br />

Weise Liebeslieder sang und sie mit ebenso eintönigen Be­<br />

wegungen der Arme und des Oberkörpers begleitete. Das<br />

Höchste war, dass sie sich gelegentlich um sich selbst herum<br />

drehte; sonst war von Tanzen keine Rede. Wenn sie müde<br />

war, wurde sie durch eine frische Kollegin abgelöst, welche<br />

es auch nicht anders machte. Wir fanden die Produktion<br />

in hohem Masse langweilig, und der Bräutigam, ein Knabe<br />

von fünfzehn Jahren, schien diesen Eindruck zu teilen. Er<br />

war auf seinem Ehrenplatze in der Mitte der Versammlung<br />

friedlich eingeschlafen. Gegen elf Uhr abends verabschiedeten<br />

wir uns und konnten auf dem Heimwege beobachten, wie<br />

auf den Strassen in allen dazu geeigneten Winkeln Obdach­<br />

lose ihre Nachtruhe hielten.<br />

Wir können Benares nicht verlassen, ohne noch der<br />

Beziehungen zu gedenken, die wir zu einigen jüngeren Pandits<br />

unterhielten. Ich hatte den Mahäräja gebeten, mir den einen<br />

oder andern seiner Pandits zum Sanskritsprechen zu schicken,<br />

und seitdem fanden sich deren täglich drei bald zusammen,<br />

bald abwechselnd in unserm Hotel ein, um einen grossen<br />

Teil des Nachmittags uns zu widmen. Es waren der fromme<br />

und weichmütige Priyanätha, sein Bruder, der kernige, klare<br />

und feste Pramathanätha und der jüngere und leichter ange­<br />

legte Bahuvallabha: Die einzige Möglichkeit mit ihnen zu<br />

verkehren, war in Sanskrit (meine Frau pflegte sich durch<br />

Zeichen und einiges Hindostani mit ihnen zu verständigen),<br />

aber auch dieses Medium ermöglichte es, in Geist und Herz<br />

dieser Männer die interessantesten Blicke zu tun. Priyanätha,<br />

der am regelmässigsten kam, war, obgleich er einige


Seite 144<br />

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Tanzmädchen. Drei Panditfreunde. 145<br />

Schriftchen über Säiikhyam u. dgl. verfasst hatte, eine treue<br />

gläubige Seele, und gerade an ihm hatte ich Gelegenheit zu<br />

beobachten, dass die indische Religiosität auf das Gemüts­<br />

leben ganz ebenso einwirkt, wie bei uns die christliche.<br />

So wehrte er meinen Vorschlag, nach England zu gehen, mit<br />

der Bemerkung ab, dass die Religion es ihm verbiete, und<br />

als ich darauf hinwies, dass er durch das Bestehen der allein<br />

in England ablegbaren Examina zu höheren Stellungen in<br />

seiner Heimat gelangen werde, erwiderte er einfach und<br />

ruhig, dass die ewigen Interessen wichtiger seien, als die<br />

zeitlichen. Auch er teilte den Glauben, dass durch ein<br />

Sterben in Benares ein unmittelbarer Eingang in die Erlösung<br />

gesichert sei, und als ich daran erinnerte, dass nach den<br />

heiligen Schriften erlöst werde, wer die Erkenntnis besitze,<br />

wo er auch immer sterbe, nicht aber, wer sie nicht besitze,<br />

auch wenn er in Benares stürbe, so erteilte er mir die Be­<br />

lehrung, dass eben durch eine besondere Gnade des Civa<br />

allen in Benares Sterbenden im Augenblicke des Sterbens<br />

das vollkommene Wissen geschenkt werde. Gelegentlich<br />

streifte unser Gespräch auch die politische Lage des Landes,<br />

und hier trat mir ein tiefer und fast hoffnungsloser Schmerz<br />

entgegen, den die geistigen und zartfühlenden Inder darüber<br />

empfinden, dass sie unter der Fremdherrschaft der so ganz<br />

heterogenen Engländer stehen.<br />

Als ein noch grösseres Zeichen des Vertrauens mussten<br />

wir es ansehen, dass Priyanätha eines Tages unserer Bitte<br />

willfahrte und mich und meine Frau in sein Haus und seine<br />

Familie einführte, natürlich mit dem Vorbehalte, dass nur<br />

meine Frau zu den Damen des Hauses geführt wurde, mit<br />

denen sie eine kümmerliche Unterhaltung in Hindostani zu<br />

führen suchte. Die Wohnung des Pandit lag im oberen<br />

Stockwerke eines jener grossen Mietshäuser,-welche einen<br />

engen Hofraum durch rings an den Stockwerken herum­<br />

gehende hölzerne Veranden umschliessen. Die Ausstattung<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 10


146 V. Von Peshawsr bis Cslcutts.<br />

der Wohnung war äusserst bescheiden; die Möbel erinnerten<br />

an diejenigen, welche man im Lutherzimmer auf der Wartburg<br />

findet, das Ganze machte einen durchaus mittelalterlichen<br />

Eindruck. Es war dies am letzten Abend, den wir in Benares<br />

verbrachten, und wir beschlossen ihn, indem wir ein den<br />

Pandits oder vielleicht ihrem Herrn, dem Mahäräja, gehörendes<br />

Boot bestiegen und uns über den Ganges rudern Hessen.<br />

Von den Feldern aus, die das gegenüberliegende Ufer ein­<br />

nehmen, genossen wir den vollen Anblick der heiligen Stadt<br />

mit ihren beiden Minarets, ihren treppenartigen Aufstiegen<br />

vom Ganges aus und den zahlreichen Palästen und<br />

Tempeln, welche dieselben krönen.<br />

Am Dienstag dem 17. Januar 1893 fuhren wir, von den<br />

drei Pandits begleitet, zum Bahnhofe, wo ich in einem letzten<br />

Gespräche mit ihnen noch die Geschmeidigkeit der Sanskrit­<br />

sprache bewunderte, welche es möglich macht, über alle<br />

Errungenschaften der modernen Kultur, wie Eisenbahn,<br />

Lokomotive u. dgl. sich in Sanskrit auszudrücken.<br />

Eine Eisenbahnfahrt von wenigen Stunden führte uns<br />

nach Bankipore, welches, am Ganges in unmittelbarer Nähe<br />

des alten Pätaliputra jetzt Patna gelegen, den Knotenpunkt<br />

mehrerer Eisenbahnlinien bildet. Wir hatten hier eine<br />

Empfehlung an Mahega Näräyana, den Redakteur der Wochen­<br />

schrift „the Behar Times". Wir fanden ihn nach längerem<br />

Suchen, und er widmete sich uns in liebenswürdigster Weise,<br />

gab mancherlei Aufschlüsse über Stadt und Gegend und<br />

führte uns auf meinen Wunsch auf lehmigem Landwege an<br />

das Ufer des Ganges, welcher zwischen Abhängen, die mit<br />

Kornfeldern bedeckt waren, seine gelben Fluten dahinwälzte.<br />

Mit Staunen nahmen wir die Spuren der Verwüstungen<br />

wahr, welche der Fluss anrichtet, wenn er alljährlich sein<br />

Bett verändert und dadurch zu einer neuen Verteilung der<br />

Äcker nötigt. Gegen Abend verliess uns Mahega Näräyana.<br />

Was wir dann weiter vornahmen, und wo wir für die Nacht


Abschied von Benares. Bankipore. Fahrt nach Gayä. 147<br />

unterkamen, darauf kann ich mich merkwürdigerweise gar nicht<br />

mehr besinnen, während doch sonst alle Einzelheiten der<br />

indischen Reise mir noch heute nach zehn Jahren so ziemlich<br />

gegenwärtig sind. Vielleicht war es die Spannung, mit der<br />

wir dem nächsten Tag entgegensahen, welche die Auf­<br />

merksamkeit auf die Gegenwart abschwächte. Denn am<br />

andern Morgen lösten wir unsere Billetts für eine kleine<br />

Sekundärbahn, welche nach Süden in drei Stunden nach<br />

Gayä und zu den heiligen Stätten des Buddhismus führt.<br />

Die Fahrt führte durch Niederungen, häufig vorüber an<br />

Palmenwäldern, an deren jungen nur fünf Meter hohen<br />

Stämmen oben unterhalb der Krone Töpfe angebunden<br />

waren, in welche aus einem oberhalb gemachten Einschnitte<br />

der Palmsaft (Täli, heute Toddy genannt) rieselt, mit dem<br />

wir in Calcutta noch nähere Bekanntschaft machen sollten.<br />

An den kleinen Stationen der Sekundärbahn bemerkten wir<br />

hinter einem absperrenden Gitter viel bettelndes Volk.<br />

Ein Mann steht mir noch vor Augen, welcher, nur mit einem<br />

Schurz bekleidet, auf verkrümmten und gelähmten Glied­<br />

massen herankroch und seine abgezehrten Arme flehend<br />

durch das Gitter streckte. Es war vielleicht der elendeste<br />

Mensch, den ich je gesehen habe. Er erinnerte an die Er­<br />

scheinungen, welche den Buddha aus einem Fürstensohne<br />

zum heimatlosen Bettler machten.<br />

Gayä ist ein kleines Landstädtchen, welches im fernen<br />

Indien und unter den entsprechenden Änderungen denselben<br />

Familientypus wie so viele kleine Städte in Deutschland<br />

und im übrigen Europa aufweist. Ein Hotel ist nicht vor­<br />

handen, dafür besteht, wie überall, wo ein solches fehlt, ein<br />

von der Regierung unterhaltenes Logierhaus, Dak Bungalow,<br />

wo jeder Ankommende wenigstens für eine Nacht ein Zimmer<br />

mit Bett für eine Rupie beanspruchen kann. In der Regel<br />

ist auch ein Koch vorhanden, welcher auf Bestellung nach<br />

Vorschrift für 11ji Rupie ein Tiffin (Luncheon), für 2 Rupien<br />

10*


148 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

ein Dinner mit zwei Fleischgängen zu liefern hat. Wir be­<br />

stellten ein solches auf den Abend, belegten ein Zimmer<br />

und sassen bald darauf in einer der jämmerlichsten Land­<br />

kutschen, um uns auf breitem, gutem Wege durch Felder<br />

und Waldungen nach dem 1 Va Stunden entfernten Buddha-<br />

Gayä haudern zu lassen. Der Ort besteht aus wenigen an<br />

der Strasse liegenden Häusern; weiter liegt auf der linken<br />

Seite der Landstrasse ein Kloster brahmanischer Sädhu's,<br />

während auf der rechten Seite in einer von der Aufhöhung<br />

des Bodens durch den Kulturschutt der Jahrhunderte frei<br />

gehaltenen Niederung der grosse Buddhatempel liegt,<br />

sicherlich an derselben Stelle (denn Buddha lebte lange<br />

genug, um sie noch oft seinen zahlreichen Schülern zeigen<br />

zu können), wo der Erhabene in jener grossen Nacht unter<br />

dem Feigenbaume sass, als ihm die Buddhaschaft zu teil<br />

wurde. An der Stelle, wo er sass, steht jetzt im Innern<br />

des Tempels eine vergoldete Kolossalstatue des Buddha,<br />

mit hinterindischem Typus, und auch heute sitzt er, nur<br />

durch die hintere Tempelwand davon getrennt, unter einem<br />

Feigenbaum, der vielleicht ein Abkömmling des ursprüng­<br />

lichen ist. Auf Treppenstufen steigt man ein Stockwerk<br />

hoch zu einer ringsherumlaufenden Veranda hinauf, von<br />

welcher aus man einen Überblick über die zahlreichen<br />

ringsum zerstreuten Denkmäler hat, welche die Buddhisten<br />

der verschiedensten Länder dem Siegreichvollendeten an<br />

dieser für sie heiligsten Stätte der Welt geweiht haben.<br />

Alles atmet hier grosse Erinnerungen, nur dass in Buddha-<br />

Gayä so wenig wie im ganzen übrigen Indien auch nur<br />

ein einziger Buddhist aufzutreiben war, mit dem wir unsere<br />

Empfindungen hätten austauschen können. Einen Ersatz<br />

suchten wir vergebens nach vollendeter Besichtigung in dem<br />

erwähnten Kloster der Brahmanenmönche. Wir Hessen uns<br />

melden; man führte uns durch einen weiten Hofraum, in<br />

dem die Mönche einen schwunghaften Handel mit Korn


Buddha-Gayä. Ein Sädhukloster. 149<br />

und Öl betrieben. Auf einer Treppe gelangten wir zu einer<br />

hochgelegenen, breiten und langen, in Stufenform ansteigenden<br />

Terrasse, auf der alsbald der Prior an der Spitze der<br />

Klosterbrüder uns feierlich empfing, worauf die ganze Ge­<br />

sellschaft, es mochten dreissig Personen sein, im Halbkreise<br />

um uns her sich lagerte, in der Mitte natürlich der Prior,<br />

und zu seinen Füssen hockend ein junger Mensch, dessen<br />

Gegenwart allerdings sehr notwendig war; denn es zeigte<br />

sich bald, dass er der einzige in der ganzen Gesellschaft<br />

war, der eine Unterhaltung in Sanskrit zu führen vermochte.<br />

Der Prior, an den natürlich meine Worte sich richteten,<br />

hörte sie an, nickte, lächelte, brachte das eine oder andere<br />

Wort hervor, aber die Beantwortung überliess er dem<br />

Jüngling zu seinen Füssen. Dieser begleitete uns auch nach<br />

beendigter Audienz und zeigte uns die Klostergebäude. Dann<br />

durchschritten wir ein Feld und sahen in der Ferne die<br />

Hügelkette, an welche Räjagriha sich lehnt. Ein steiniger,<br />

lehmiger Boden, den wir betreten hatten, schien die Nähe eines<br />

Flussbettes zu verraten, und so fragte ich unseren Begleiter<br />

nach dem in buddhistischen Schriften so viel genannten<br />

Flüsschen Nairanjanä, worauf der junge Mann antwortete:<br />

„Sie befinden sich eben mitten darin." Wie so viele kleine<br />

Flüsschen Indiens war auch die Nairanjanä schon im Januar<br />

gänzlich ohne Wasser.<br />

Der herannahende Abend mahnte zum Aufbruch. Wir<br />

nahmen Abschied von dem geweihten Boden Büddha-Gayä's,<br />

bestiegen unsere elende Kutsche und rollten auf Gayä zu.<br />

So unerträglich langsam und holpernd war die Fahrt, dass<br />

ich es vorzog, in der Abendkühle den Weg zu Fuss zu<br />

machen, immer ein Stück vorauslaufend und dann wieder<br />

wartend, bis der Wagen mit meiner Frau nachkam. Mit<br />

einiger Furcht vor Schlangen, die auf dem Wege lagern<br />

mochten, genoss ich doch, umgeben von herrlichen Wal­<br />

dungen, den indischen Abend, wo die Sonne nicht mehr


150 V. Von Peshawar bis Calcutta.<br />

ihre glühenden Pfeile entsendet und ein sanfter Windhauch<br />

mit Wohlgerüchen uns umschmeichelt. Weniger harmonisch<br />

waren die Eindrücke in Gayä. Der Kutscher, wiewohl durch­<br />

aus hinreichend bezahlt, zeigte sich unzufrieden und schimpfte<br />

noch lange Zeit aus der Ferne über den weiten Platz weg,<br />

an dem unser Logierhaus lag. In diesem war das Dinner<br />

bereitet. Die zwei vorschriftsmässigen Fleischgänge bestanden<br />

darin, dass man uns als ersten Gang ein halbes Huhn und<br />

als zweiten die andere Hälfte desselben vorsetzte, beide reich­<br />

lich zähe, weil das Tier offenbar erst eben geschlachtet war.<br />

Am anderen Morgen benutzte ich die Zeit vor Abgang<br />

des Zuges, um einen grösseren Tempel oberhalb der Stadt<br />

zu besuchen; da ich allein kam, so sah man mich mit Miss­<br />

trauen an, die Unterhaltungen, die ich anknüpfte, wollten<br />

nicht recht in Fluss kommen, und als ich in der Nähe einer<br />

Seitennische stehen blieb, um eine dort vor sich gehende<br />

Ceremonie zu beobachten, wurde ich sogar weggewiesen<br />

mit der Bemerkung, dass hier ein Cräddham (Totenopfer)<br />

gebracht werde, bei dem die Gegenwart eines Fremden un­<br />

zulässig sei.<br />

Am Nachmittag langten wir wieder in Bankipore an,<br />

leider ohne unseren Freund von vorgestern nochmals zu<br />

sehen, wie er versprochen hatte, da ihn ein unvorhergesehenes<br />

Geschäft in Anspruch nahm. So lösten wir unsere Billetts<br />

nach Calcutta und bestiegen gegen Abend den dort hin­<br />

führenden Nachtschnellzug. Ausnahmsweise war auch die<br />

erste Klasse stark besetzt, und schon machten wir uns darauf<br />

gefasst, eine unruhige Nacht zu verbringen. Da hörte ich,<br />

dass unser Zug auf der direkten Linie Calcutta schon<br />

morgens um 5 Uhr erreichen werde, während von einer der<br />

nächsten Stationen ein Zug, auf einer Loop Line nördlich im<br />

Bogen herumlaufend, um 10 Uhr morgens in Calcutta ein­<br />

treffe. Schnell entschlossen stiegen wir aus und verbrachten<br />

in dem anderen Zuge in einem Coupe erster Klasse, welches


Gayä. Bankipore. Candrsnsgaram. 151<br />

wir allein hatten, eine gute Nacht. Am Morgen waren wir<br />

in Candranagaram, welches neben Pondidierry im Süden die<br />

einzige Stadt Indiens ist, die noch den Franzosen gehört<br />

und wohl nur aus Eitelkeit behalten wird, da ein Nutzen<br />

aus dem Besitze dieser Enklave wohl schwerlich erspriesst.<br />

Hier sahen wir auch die ersten bengalischen Pandits, grosse<br />

schöne Gestalten mit üppigem schwarzem Haar und einem<br />

Gewand, dessen Zipfel vorn wie eine Art Schurz bis auf die<br />

Füsse niederhängt. Trotz der Glut der bengalischen Sonne<br />

gehen sie ganz ohne Kopfbedeckung. Eine gewisse Eitel­<br />

keit spricht aus ihrer Kleidung, ihren Reden, ihrem Gebaren;<br />

es ist nicht unzutreffend, wenn man mir die Bengalen als<br />

die Franzosen Indiens schilderte.<br />

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Sechstes Kapitel.<br />

Calcutta und der Himälaya.<br />

/^egen elf Uhr lief unser Zug in den Bahnhof von Calcutta<br />

ein. Er liegt auf der andern Seite des Hughli, eines<br />

breiten Armes des Ganges, über welchen eine lange Dreh­<br />

brücke nach der Stadt führt. Sie war gerade ausgefahren,<br />

aber die Zeit des Wartens war uns nicht zu lang; ganz in<br />

unserer Nähe konnten wir die Gruppen der badenden<br />

Männlein und Weiblein beobachten, während am anderen<br />

Ufer am Flusse entlang eine Anzahl sogenannter Asketen<br />

ihre Lagerstätte hatte; dies sind, wie wir schon in einem<br />

früheren Zusammenhange erwähnten, allerdings wohl viel­<br />

mehr Bettler, welche eine billige Askese zur Schau tragen,<br />

um dem Volke zu imponieren. Jeder treibt seine Spezialität;<br />

der eine reckt die Arme beständig in die Höhe, ein anderer<br />

hat sich ein Bein hochgebunden, ein dritter Hegt auf einem<br />

Bette von hölzernen Nägeln. Jeder ist von Zuschauern um­<br />

standen, wie bei uns die arbeitenden Kesselflicker; hin und<br />

wieder wird ihnen eine Kupfermünze zugeworfen, und dies<br />

scheint auch der eigentliche Zweck bei der Sache zu sein.<br />

Es war Mittag geworden, als wir endlich die Brücke<br />

überschritten hatten und nach einigem Suchen in einem<br />

der Boarding Houses der Mrs. Monk Unterkommen fanden.<br />

Die Pension kostet hier 7 Rupien, also noch etwas mehr als<br />

in dem Great Eastern Hotel, soll aber auch besser als die


Seite 152.<br />

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Calcutta. Jung-England in Indien. 153<br />

dortige sein. Das Essen war in der Tat recht gut, aber die<br />

Gesellschaft war die unbehaglichste, welche wir in Indien<br />

gefunden haben. Sie bestand überwiegend aus jungen<br />

Männern, welche den Sport, und jungen Weibern, welche<br />

den Putz als eigentliches Endziel des Daseins zu betrachten<br />

schienen. Eine gehaltvolle Unterhaltung war nicht in Gang<br />

zu bringen. Das Gespräch drehte sich meistens um Cricket<br />

und Croquet, um Jagd und Tennis-Spielen; daneben war<br />

es das Hauptthema dieser vom Tropenkoller ergriffenen<br />

jungen Engländer, in allen Tonarten auf die Eingeborenen<br />

zu schimpfen. Ein Gespräch der Art will ich mit historischer<br />

Treue referieren. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob ein<br />

englischer Klub die Herausforderung (challenge) zum Wett­<br />

kampfe (match) annehmen müsse, wenn dieselbe von einem<br />

Native Club ausgehe. Die einen verneinten die Frage; die<br />

Eingeborenen ständen zu tief unter dem Engländer, als dass<br />

dieser sich auf irgend welche Wettspiele mit ihnen einlassen<br />

könne. Von anderer Seite wurde das Prinzip vertreten, dass<br />

jede Herausforderung angenommen werden müsse, selbst die<br />

der Eingeborenen, denn, so fügte ein Redner bezeichnender<br />

Weise hinzu: „wenn der Schornsteinfegerklub in London<br />

uns eine Herausforderung zukommen lässt, so darf auch<br />

diese nicht abgelehnt werden." Wie die Gespräche, so<br />

waren auch die Manieren dieser jungen Kaufleute sehr selt­<br />

same. So lange die Damen zugegen waren, war das Be­<br />

nehmen ein sehr respektvolles. Standen diese nach dem<br />

Essen auf, um hinaus zu gehen, so sprang die ganze Gesell­<br />

schaft in die Höhe, als käme das Venerabile, und blieben<br />

stehen, bis die letzte Dame den Saal verlassen hatte, auch<br />

dann, wenn irgend ein Gänschen auf dem Wege zur Tür<br />

im Vorbeigehen noch eine kleine Unterhaltung anzuknüpfen<br />

für gut fand. Sobald die Damen das Lokal verlassen hatten,<br />

entschädigte sich Jung-England für den erlittenen Zwang;<br />

man rekelte sich und flegelte sich in aller Weise, man steckte


154 VI. Calcutts und der Himälsya.<br />

nicht Cigarren, sondern die kurzen qualmenden Stummel­<br />

pfeifen an, und einer meiner Nachbarn ging so weit, dass<br />

er, auf seinem Stuhle sitzend und sich nach hinten wiegend,<br />

auf den Tisch, von dem wir soeben gegessen hatten, beide<br />

Beine legte. Im übrigen fanden und suchten wir auch keine<br />

Beziehung zu dieser Tischgesellschaft, da unser ganzer Tag<br />

von Eindrücken anderer Art ausgefüllt wurde.<br />

Da war zunächst die Stadt selbst, die grösste in Indien,<br />

welche, im Gegensatze zu so vielen anderen von uns be­<br />

suchten Städten, keinen rein indischen, sondern einen halb­<br />

europäischen Charakter trägt. Alles, die Anlage der Strassen<br />

und Plätze, die Namen und vieles andere erinnert an London;<br />

und so sind auch die Bewohner mehr als anderswo von<br />

europäischer Kultur angeweht und übertüncht. Namentlich<br />

ist dies auf dem Gebiete der Religion bemerkbar. Wie im<br />

westlichen Indien der Äryasamäj, worüber wir bei Lahore<br />

sprachen, so herrscht hier der Brahmasamäj, eine religiöse<br />

Gemeinschaft, welche ebenso wie jener auf das Altertum<br />

zurückzugehen bemüht ist, dabei aber, im Gegensatz zu dem<br />

rein nationalen Äryasamäj, vieles aus dem biblischen Vor-<br />

stellungskreise und dem christlichen Ritus herübergenommen<br />

hat. Unsere Freunde führten uns an einem der ersten<br />

Abende zu einer gottesdienstlichen Feier; sie fand in einem<br />

grossen Gebäude statt, welches schon durch die Anlage mit<br />

Kanzel, Gallerien usw. an eine christliche Kirche erinnerte.<br />

Gedruckte Blätter wurden verteilt und abgesungen. Sie<br />

enthielten Verse aus dem Rigveda, aber gerade solche,<br />

namentlich aus den Hymnen an Varuna, welche an die<br />

biblischen Busspsalmen anklingen. Dann wurde eine richtige<br />

Predigt gehalten über einen vedischen Text, und so merkte<br />

man überall den europäischen Einfluss. Dasselbe gilt vom<br />

Familienleben. Unsere nächsten Freunde, der Advokat<br />

P. L. Roy und der Professor der Philosophie am Sanscrit<br />

College P. K. Ray leben mit ihren Familien ganz in euro-


Der Brahmasamäj. P. L. Roy und P. K. Ray. 155<br />

päischer Weise. Sie kleiden sich europäisch; sie sitzen bei<br />

Tisch auf Stühlen, sie essen Fleisch und trinken Wein und<br />

sind dabei von höchster Toleranz. Unsere liebenswürdige<br />

Freundin Mrs. Roy gehörte der brahmanischen Religion in<br />

der Form des Brahmasamäj an. Ihre unverheiratete Schwester<br />

Miss Cakravartt war in England in einer Pension erzogen<br />

und dort in der Stille zu einer Protestantin umgemodelt<br />

worden, und eine dritte Schwester, die ich nur aus Erzählungen<br />

kenne, war in Calcutta zum grossen Schmerz der Familie<br />

von den katholischen Patres umgarnt und als Braut des<br />

Himmels in ein Kloster gesteckt worden, denn sie hatte ein<br />

grosses Vermögen. Trotz dieser Polyphonie der religiösen<br />

Bekenntnisse herrschte in der Familie die schönste Harmonie<br />

und wurde auch nicht gestört durch einen jungen moham­<br />

medanischen Gentleman, der als Freund der Familie öfter<br />

erschien und freilich durch sein etwas rohes und ungestümes<br />

Wesen von dem sanften, feinfühlenden, intellektuellen Mr.<br />

Roy sehr merklich abstach. Zum Teil mag daran wohl die<br />

Religion schuld haben, welche ja nicht nur dem Individuum,<br />

sondern auf dem Wege der Vererbung ganzen Geschlechtern<br />

ihren Stempel aufdrückt.<br />

Ebenso frei wie die Familie P. L. Roy's stand auch ein<br />

zweiter Freund mit Frau und Kindern den religiösen Vor­<br />

urteilen gegenüber. Es war dies der Professor der Philosophie<br />

am Sanscrit College P. K. Ray. Er lud uns zu Tisch ein;<br />

dann hatte ich mit ihm in seinem Studierzimmer, von wo<br />

die Frauen ab und zu vergebens versuchten, uns zurück­<br />

zuholen, eine lange Unterredung über Piaton, Kant und<br />

Schopenhauer, über die er gut orientiert war und viele<br />

Fragen zu stellen wusste. Für den weiteren Nachmittag<br />

hatte er uns zu Ehren eine Versammlung von etwa zwanzig<br />

Pandits anberaumt, unter denen sich mehrere hervorragende<br />

Professoren des Calcuttaer Sanscrit College befanden. Ich<br />

besuchte in den nächsten Tagen fleissig ihre Vorlesungen.


156 VI. Calcutta und der Himälaya.<br />

Drei Männer sind mir noch in bester Erinnerung, wenn mir<br />

auch ihre Namen entfallen sind, der Principal, ein wohl­<br />

beleibter, stattlicher Mann von vornehmer Haltung, welcher<br />

nach einem antiken Sanskrit-Kompendium die Logik vortrug,<br />

ein jüngerer Professor, der mit grossem Ernst und Eifer die<br />

Käthaka-Upanishad erklärte, und ein von allen mit besonderer<br />

Hochachtung behandelter älterer Professor der Literatur,<br />

dessen schön geformte Stirn an Kant erinnerte, und der sich<br />

nicht nur als Gelehrter durch sein eminentes Wissen, sondern<br />

auch als Dichter eigener Dramen ausgezeichnet hatte. Er<br />

interpretierte die Kädambari und ich erinnere mich noch,<br />

wie er anfing einen Satz zu lesen, der kein Ende nahm, und<br />

dann weiterblätternd sagte: „Um das Ende des Satzes zu<br />

finden, müssen wir zwölf Seiten weitergehen." Wie in<br />

Benares, wurde auch hier die ganze Stunde durch nur<br />

Sanskrit gesprochen; doch sass man nicht wie dort auf der<br />

Erde, sondern auf Stühlen an einem Tisch, welcher für alle<br />

genügend Platz bot, denn mehr als fünf oder sechs Zuhörer<br />

habe ich nie dabei zusammen gesehen.<br />

Ausser den Familien P. L. Roy und P. K. Ray wurden<br />

wir noch besonders befreundet mit zwei Brüdern Mullik,<br />

welche jenseits des Hughlistromes eine Schiffswerft besassen.<br />

Bei Besichtigung derselben sah ich mit Erstaunen, .wie die<br />

zahlreichen Arbeiter ganz wie bei uns die glühenden Eisen­<br />

stangen walzten und schmiedeten, nur dass sie dabei fast<br />

nackt waren und daher gewiss sehr oft Brandwunden durch<br />

das herumspritzende Eisen erleiden mussten. Man war<br />

gerade damit beschäftigt, ein grosses Güterschiff zu reparieren,<br />

welches mit seiner Ladung auf der See in Brand geraten<br />

war. Hierbei hatten sich alle Stangen des aus Eisen be­<br />

stehenden Rumpfes mehr oder weniger verbogen. Es war<br />

sehr mühsam und kostspielig, dieses alles so wieder her­<br />

zustellen, wie es ursprünglich gewesen war, während es un­<br />

verhältnismässig weniger Kosten verursacht haben würde,


Calcuttaer Professoren. Mr. Mullik's Werft und Haus. 157<br />

das Schiff mit Verzicht auf die Schönheit wieder in brauch­<br />

baren Zustand zu bringen. Aber das Schiff war bei einer<br />

Gesellschaft versichert gewesen, und der Eigentümer konnte<br />

die Wiederherstellung desselben in den ursprünglichen Zu­<br />

stand verlangen und hatte kein Interesse daran, an den<br />

Kosten zu sparen. Die Brüder Mullik bewohnten mit ihrer<br />

Mutter ein palastartiges Haus in der Stadt; oft holten sie<br />

uns dorthin in ihrem eleganten Wagen oder fuhren, wenn<br />

ich verhindert war, meine Frau allein spazieren. Wiederholt<br />

luden sie uns ein, bei ihnen zu speisen, das eine Mal<br />

europäisch, das andere Mal indisch. Die erste Art unter­<br />

schied sich von einem opulenten englischen Dinner nur durch<br />

diejenigen Änderungen, welche das Klima gebietet. Man<br />

sitzt auf Stühlen, man isst Fleisch und trinkt Wein wie bei<br />

uns. Der indische Gesellschaftsanzug besteht aus Hose und<br />

elegantem, bis zu ihr herabreichendem Hemde. Hemd und<br />

Hose werden durch einen seidenen Gürtel zusammengehalten;<br />

die Weste kommt ganz in Wegfall und ein sehr weit offenes<br />

kurzes Jackett vollendet den malerischen Anzug. Wer keinen<br />

solchen besitzt, der hat die Wahl, entweder in seinem<br />

europäischen Frack fürchterlich zu schwitzen oder einfach im<br />

Promenadenanzug aus dünner Leinwand oder Seide zu er­<br />

scheinen. In Indien ist man, vielleicht abgesehen von den<br />

Engländern, in Bezug auf Toilette sehr nachsichtig. Professor<br />

Petersen pflegte in Abendgesellschaften, wenn erst die Sonne<br />

untergegangen ist, ganz ohne Kopfbedeckung über die Strasse<br />

zu gehen, und so werden es wohl noch viele machen.<br />

Höchst originell war ein Diner im Eingeborenenstile,<br />

welches uns einer der Herren Mullik offerierte. Zunächst<br />

wurden wir getrennt, meine Frau speiste oben bei den<br />

Damen aus silbernem Geschirr; mir wurde unten serviert,<br />

während Mr. Mullik mich unterhielt, selbst aber nichts<br />

anrührte, angeblich weil er heute seinen Fasttag habe. Ein<br />

indisches Diner aus zwanzig Gängen, zur Hälfte nicht süss,


158 VI. Calcutta und der Himälaya.<br />

zur anderen Hälfte süss, bestehend aus den mannig­<br />

fachsten Zubereitungen von Milch, Butter, Reis, Gemüsen,<br />

Kartoffeln, Mehlspeisen und Früchten, mit Ausschluss von<br />

Fleisch, Fisch und Eiern, ist etwas ganz Gewöhnliches.<br />

Diesmal aber wollte Mr. Mullik mir zeigen, was die vege­<br />

tarische Küche alles zu leisten vermag, und so folgten auf<br />

einander nicht weniger als achtzig verschiedene Gerichte,<br />

welche alle mein liebenswürdiger Gastgeber mir im einzelnen<br />

erklärte, während ich von jedem der späteren Gerichte nur<br />

ein ganz kleines Teilchen zu kosten vermochte. Merk­<br />

würdigerweise befand sich darunter ein einzelner sehr<br />

appetitlich zugerichteter Fleischgang. Es wird nämlich in<br />

dem eine halbe Stunde von Calcutta entfernt gelegenen<br />

Tempel zu Kältghatta, dessen Protektor Mr. Mullik war,<br />

der furchtbaren Göttin Kalt jeden Morgen um 10 Uhr eine<br />

Ziege geschlachtet, indem ihr Kopf in eine eiserne Gabel<br />

eingespannt und mit einem Schwertstreiche vom Rumpfe<br />

getrennt wird. Das Fleisch dieser Ziege darf gegessen<br />

werden und gilt als besonders heilsam, ist aber wohl nur<br />

sehr wenigen erreichbar. Ich habe mit Andacht davon ge­<br />

gessen, und es ist mir, wie auch die ganze übrige ungeheure<br />

Mahlzeit, sehr wohl bekommen.<br />

Ein lieber Freund ausser den genannten war auch<br />

Hara Prasäda, ein frischer offener Charakter von gediegener<br />

Bildung. Er war früher Professor des Sanskrit gewesen,<br />

hatte aber dann diese Stellung mit der lukrativeren und<br />

einflussreicheren eines Rates in der Verwaltung der Provinz<br />

Bengalen vertauscht. Als solcher hatte er die Aufgabe, über<br />

alle in Bengalen erscheinende Schriften je nach Bedarf der<br />

Regierung mehr oder weniger eingehend Bericht zu erstatten.<br />

Ich verhandelte viel mit ihm über das Sähkhyasystem, ohne<br />

dass auch er es vermocht hätte, mir über dieses vertrackteste<br />

aller philosophischen Systeme Klarheit zu geben. Erst nach<br />

Jahren habe ich, vom Studium der Upanishad's kommend,


Eine schwere Sitzung. Hara Prasäda. Naihati. 159<br />

das Sähkhyasystem, wie auch dessen epischen Vorläufer, be­<br />

griffen und erwiesen als eine realistische Umbildung des<br />

reinen Idealismus der ältesten Upanishadtexte. Die stufen­<br />

weise fortschreitende Degeneration dieses ursprünglichen<br />

Idealismus durch die Stadien des Pantheismus, Kosmogonismus,<br />

Theismus bis zum Atheismus des Sähkhyam hin, habe ich<br />

in der zweiten Abteilung des ersten Bandes meiner Ge­<br />

schichte der Philosophie nachgewiesen.<br />

Hara Prasäda wohnte mit seiner Familie in idyllischer<br />

Abgeschiedenheit in dem in halbstündiger Eisenbahnfahrt<br />

erreichbaren Dorfe Naihati. Dort befinden sich noch heute<br />

viele brahmanische Schulen, oder besser gesagt Pensionen.<br />

Ganz in alter Weise wohnt hier eine Anzahl von Schülern<br />

in der Hütte eines Guru (Lehrer), für welchen sie die häus­<br />

lichen Arbeiten verrichten, vielleicht auch betteln gehen und<br />

als Entgelt im Veda und anderen Disciplinen unterrichtet<br />

werden. Hara Prasäda nahm uns eines Tages mit nach<br />

Naihati, führte uns bei den Lehrern und in ihren Wohnungen<br />

ein und veranstaltete zum Schlüsse eine Zusammenkunft von<br />

etwa 60 Schülern. Ich musste derselben präsidieren und<br />

an die Schüler mancherlei Fragen richten, natürlich in Sanskrit,<br />

welche sie in derselben Sprache, zum Teil recht gut, zu<br />

beantworten wussten. Zum Schlüsse brachte man mir die<br />

üblichen Ovationen dar, und es geschah dabei das Un­<br />

glaubliche, dass mir Hara Prasäda vor allen Lehrern und<br />

Schülern die heilige Opferschnur (yajnopavttam) über die<br />

Schulter hängte, welches sogar ein Frevel am Heiligen ge­<br />

wesen wäre, hätte man nicht einen der Fäden, aus denen<br />

die Opferschnur besteht, weggelassen. Nachdem die Ver­<br />

sammlung aufgelöst war, zeigte uns Hara Prasäda die schönen<br />

Umgebungen von Naihati, führte uns in sein Haus und<br />

stellte uns sein Söhnchen vor, einen lebhaften achtjährigen<br />

Knaben von grosser Schönheit, welche um so deutlicher<br />

hervortrat, weil der Knabe völlig unbekleidet seinem Vater


160 VI. Calcutta und der Himälays.<br />

auf der Strasse entgegensprang, und auch uns mit einem:<br />

„Good morning, sir!" begrüsste. Sein Vater erzählte uns,<br />

dass er schon jetzt den Knaben die wichtigsten Sanskrit­<br />

worte aus dem Amarakoca lernen lasse. Hiernach ist es<br />

begreiflich, dass die Inder eine Fertigkeit im Gebrauche des<br />

Sanskrit besitzen, welche kein Europäer jemals erreicht.<br />

Noch manche andere Eindrücke verdanke ich dem stets<br />

gefälligen und überall trefflich orientierten Hara Prasäda.<br />

So hatte ich den Wunsch geäussert, einmal einen Kokila in<br />

der Nähe zu sehen, welches nicht leicht ist, da dieser indische<br />

Kuckuck sehr scheu ist. Er wird von den indischen Dichtern<br />

wegen der Schönheit seines Gesanges, ähnlich wie bei uns<br />

die Nachtigall, gefeiert. An Klarheit und Stärke der Stimme<br />

ist er dieser wohl noch überlegen, nicht aber an Mannig­<br />

faltigkeit, da er, so oft ich ihn hörte, immer nur zwei Motive<br />

auf seinem Repertoir hatte. Das eine besteht darin, dass er<br />

unermüdlich vom Grundtone in die Quart geht, das andere<br />

darin, dass er von Zeit zu Zeit die Tonleiter vom Grundton<br />

bis zur Oktave ohne deutliche Scheidung der ganzen und<br />

halben Töne durchläuft. Gesehen hatte ich einen Kokila<br />

noch nie, und so war meine Freude nicht gering, als Hara<br />

Prasäda eines Morgens in unser Zimmer trat, gefolgt von<br />

einem Diener, der in der einen Hand einen Käfig mit einem<br />

Kokila und in der anderen einen grossen Topf mit frisch<br />

gezapftem Toddy (Palmsaft) trug. Wir bewunderten den<br />

Kokila, welcher schwarz wie unsere Raben war, im übrigen<br />

aber mehr an eine Taube erinnerte, nur dass der Kokila viel<br />

schlanker und feiner gebaut ist als diese. Hierauf wurde<br />

von dem Palmsaft getrunken, welcher, so lange er frisch ist,<br />

wie eine etwas fade Limonade schmeckt und ein bei den<br />

Indern sehr beliebtes, ganz unschuldiges Getränk ist. Hebt<br />

man ihn auf, so verwandelt er sich in wenigen Stunden<br />

durch die Gärung in ein schnapsartiges, scharfschmeckendes,<br />

sehr berauschendes Getränk. Wir beschlossen, den Versuch


Ein Kokila. Der Toddy. Auf zum Himälaya. 161<br />

zu machen, Hessen in einer benachbarten Apotheke vier<br />

Fläschchen davon abfüllen und hermetisch verkorken. Diese<br />

legten wir in unsere Koffer, um sie mit nach Europa zu<br />

nehmen. Dann reisten wir für vier Tage in den Himälaya<br />

und fanden bei unserer Rückkehr, dass das perfide Getränk<br />

bei der Gärung durch Pfropfen und alle Verpackungen durch­<br />

gedrungen war und an den benachbarten Sachen allerlei<br />

Unheil angerichtet hatte, sodass uns nichts übrig blieb, als<br />

die fast leeren Flaschen wegzuwerfen und uns an den An­<br />

denken genügen zu lassen, welche der Palmwein an Büchern<br />

und sonstigen Effekten hinterlassen hatte.<br />

Die erwähnte viertägige Reise in den Himälaya gehört<br />

mit zu den originellsten Episoden unseres Aufenthaltes in<br />

Indien, und ich bereue es nicht, die vierundzwanzig Stunden<br />

von Calcutta nach Darjeeling auf der Eisenbahn verbracht<br />

zu haben, nur um eine Himälayalandschaft zu sehen und<br />

dann desselbigen Weges zurückzukehren, ähnlich wie wenn<br />

einer von Norddeutschland nach Interlaken reisen wollte,<br />

um einige Stunden lang den Anblick der Jungfrau zu ge­<br />

messen und dann wieder nach Hause zu fahren. Gewöhnlich<br />

fährt man allerdings aus dem Glutkessel Bengalens nach<br />

dem 7000 Fuss hoch gelegenen Darjeeling hinauf, um dort<br />

mehrere Monate zu verweilen und die angegriffene Gesund­<br />

heit in der herrlichen frischen Gebirgsluft wieder herzustellen,<br />

welche das ganze Jahr durch nie weniger als -f- 2 und nie mehr<br />

als -f- 14° R. hat. Retourbilletts geben die klugen Engländer<br />

gerade auf dieser Strecke nicht, vermutlich, weil sie sicher sind,<br />

dass, wer dort hinauffährt, auch ohne Preisermässigung auf<br />

demselben Wege zurückkehren wird, da es keinen anderen gibt.<br />

Nachdem wir unser Gepäck zu Mr. Roy befördert, der<br />

uns eingeladen hatte, nach unserer Rückkehr weiterhin bei<br />

ihm zu wohnen, begaben wir uns am 1. Februar 1893 nach<br />

Sealdah Station, beurlaubten unsern Diener für vier Tage und<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 11


162 VI. Calcutta und der Himälaya.<br />

traten um drei Uhr nachmittags allein die Fahrt nach dem<br />

Norden an. Um acht Uhr abends waren wir am Ganges, über<br />

welchen, bei seiner grossen Breite, hier keine Brücke mehr<br />

führt. Ein Dampfer brachte die Reisenden hinüber. Auf<br />

dem Verdeck wurde ein gutes Abendessen serviert. Am<br />

anderen Ufer angelangt, beeilten wir uns, in dem bereit­<br />

stehenden Zuge ein leeres Coupe zu erobern, und waren<br />

auch so glücklich allein zu bleiben.<br />

Während wir auf den mitgebrachten Betten vortrefflich<br />

schliefen, eilte der Zug die ganze Nacht durch nach Norden.<br />

Als wir nach Tagesanbruch zum Fenster hinausschauten,<br />

sahen wir zum ersten Male und mit Entzücken die hoch­<br />

ragende blaue Kette der Himälayaberge, welche nicht kokett<br />

zerrissen wie die Alpen, sondern in ruhigeren Formen ernst<br />

und gross sich über die Ebene erheben. In Siliguri endet<br />

die Bahn, und während wir frühstückten, konnten wir in<br />

Müsse die niedlichste Puppenbahn betrachten, welche be­<br />

stimmt war, uns in achtstündiger Fahrt von hier nach Darjeeling<br />

hinaufzubringen. Das Prinzip beim Bau dieser Eisenbahn<br />

war, alle Tunnels zu vermeiden und die Ersteigung der<br />

Höhe durch zahllose Windungen zu bewerkstelligen. Nur<br />

einige Male wird eine allzu schroffe Steigung dadurch über­<br />

wunden, dass der Zug im Zickzack, abwechselnd vorwärts<br />

und rückwärts fahrend, in kurzer Zeit sich beträchtlich höher<br />

hebt. Wegen der vielen, oft kurzen Windungen mussten<br />

die Schienen möglichst nah zusammen sein. Sie liegen in<br />

der Tat nur zwei Fuss von einander entfernt, während die<br />

Wagen vier Fuss breit sind. Um auf dem halb so schmalen<br />

Geleise sicher zu fahren, musste der Schwerpunkt möglichst<br />

tief gelegt werden, und wirklich liegt auch der Fussboden<br />

des Wagens kaum einen Fuss höher als der Erdboden. Die<br />

Räder laufen also im Innern der Wagen, wo eine Ver­<br />

schalung Schutz gegen sie gewährt. Die meisten Wagen<br />

der ersten Klasse sind nach oben überdeckt, sonst aber


Die Himälayabahn. Die Region der Terai. 163<br />

nach allen Seiten offen, und enthalten nur zwei Vordersitze<br />

und zwei Rücksitze. Wir bestiegen einen solchen Wagen,<br />

nachdem wir vorsorglich alle Mäntel, Schlafröcke und Reise­<br />

decken um uns geschlagen, denn da oben auf der Höhe<br />

ist es empfindlich kalt. Das kleine, tapfere Lokomotivchen,<br />

welches uns hinaufbefördern sollte, setzte sich zischend und<br />

fauchend in Bewegung, jagte zuerst noch eine Stunde lang<br />

durch die mit Theepflanzungen bedeckte Ebene dahin, und<br />

dann begann die Region der Terai, — so heissen die<br />

untersten Abhänge des Gebirges, in denen das herabfliessende<br />

Wasser sich vielfach zu Sümpfen staut. Sie sind mit ihren<br />

Fieberlüften für Menschen ebenso gefährlich, wie für die<br />

Vegetation erspriesslich. In unglaublicher Fülle drängen<br />

sich hier Riesenbäume und hochklimmende Schlingpflanzen<br />

durcheinander; das Auge vermag stellenweise nicht, sich in<br />

dem Wirrwarr der nebeneinander, durcheinander, umeinander<br />

wuchernden Vegetation zurecht zu finden, und hoch über<br />

die höchsten Bäume schiessen gewaltige Farnkräuter empor<br />

und vollenden den Eindruck eines Bildes, welches der nie<br />

sich vorstellen kann, welcher es nicht gesehen hat, und<br />

der, welcher es sah, nie vergessen wird. Eine Stunde<br />

etwa dauert die Durchfahrt dieser ungesunden Region,<br />

dann steigt der Zug immerfort zischend in unzähligen<br />

Windungen wie eine feuerspeiende Schlange höher und<br />

höher empor. Immer deutlicher hebt sich beim Zurück­<br />

blicken die weite bengalische Ebene vom Gebirge ab; jeden<br />

Augenblick wechselt das Panorama, man möchte keinen<br />

Blick verlieren und jeden für immer festhalten. Die Vor­<br />

berge, die von unten als mächtige Gebirgsmassen sich auf­<br />

türmten, liegen jetzt wie im Abgrunde tief unter uns, auf<br />

ihre höchsten Gipfel blicken wir hoch von oben hinab.<br />

Doch sind die Abhänge des Himälaya viel sanfter als die<br />

der Alpen. Seltener als dort kriecht der Zug unmittelbar<br />

am Rande des Abgrundes hin. Nur ein Punkt dieser Art,<br />

ll*


164 VI. Calcutta und der Himälaya.<br />

von den Engländern sensational point genannt, ist mir in<br />

lebendigster Erinnerung verblieben. Weiter arbeitet sich<br />

der Zug in die Höhe, indem er sich an die rechte Wand<br />

eines ungeheuren Gebirgstales anklammert und dabei alle<br />

Vorsprünge dieser Gebirgswand durch zahllose Windungen<br />

umgeht. Hin und wieder zeigen sich zwischen den Waldungen<br />

die armseligen Hütten eines Gebirgsdorfes; einige Bewohner<br />

stehen an den Stationen und betteln. Im schärfsten Gegen­<br />

satze zu den Indern der Ebene zeigen sie durchaus den<br />

mongolischen Typus: gelbe Hautfarbe, breite Gesichter,<br />

platte Nasen und hervorstehende Backenknochen. Wir<br />

atmen mit Entzücken die reine, stärkende Bergluft. Zugleich<br />

aber fängt es an, empfindlich kalt zu werden. So gelangen<br />

wir gegen Mittag nach Korscheong Bazar, der Frühstücks­<br />

station mit zwanzig Minuten Aufenthalt, und in weiteren drei<br />

Stunden nach Goom, dem höchsten Punkte der Bahn. Hier<br />

lag auf dem Gemäuer in unserer Nähe zu Anfang Februar<br />

wirklicher echter Schnee, der einzige, den wir in diesem<br />

Winter aus der Nähe zu sehen bekamen. Ein altes häss-<br />

liches Weib mit närrischen Gebärden geht bettelnd von<br />

Wagen zu Wagen. Sie wird jedem Darjeelingfahrer als die<br />

Witch of Goom in Erinnerung sein. Fröstelnd nehmen wir<br />

wieder unsere Sitze ein. Die Bahn senkt sich ein wenig,<br />

umläuft noch einen Gebirgsknoten und fährt um vier Uhr<br />

auf der Endstation im Bahnhofe von Darjeeling ein. Hier<br />

gibt es nur drei Arten von Wegen, entweder steil bergauf<br />

oder steil bergabführende, oder in Windungen auf gleicher<br />

Höhe sich haltende. Von Wagen haben wir nichts gesehen;<br />

einige Weiber bemächtigten sich unseres Gepäcks, um es<br />

hinauf nach Woodland's Hotel zu tragen, und wir kletterten<br />

ihnen nach. Wir fragen nach Zimmern; der Manager macht<br />

ein bedenkliches Gesicht und fragt, wie lange wir zu bleiben<br />

gedächten. Ich glaubte schon der Abweisung sicher zu<br />

sein, als ich antwortete, dass wir allerdings nur zwei Tage


Korscheong Bazar. Goom. Darjeeling. 165<br />

bleiben könnten. Aber wider Erwarten hellen sich die<br />

Mienen des Mannes auf und er spricht: „Dann kann ich<br />

Ihnen die besten Zimmer geben. Hier von der grossen<br />

Terrasse ist der Eingang, und Sie können von der Terrasse<br />

oder aus dem Zimmer, ja von dem Bette aus, durch die<br />

Fenster und Glastüren den vollen Anblick des Gebirges<br />

gemessen. Aber von übermorgen an muss ich das Zimmer<br />

wieder haben, denn diese ganze Flucht von Zimmern ist<br />

für den österreichischen Prinzen und sein Gefolge bestimmt."<br />

Bei Erwähnung des österreichischen Prinzen musste ich<br />

lachen, denn schon unten in Calcutta hatten wir darüber<br />

spötteln hören, dass er nicht nur kein Sanskrit, kein Hindostani,<br />

sondern auch so wenig Englisch konnte, dass er sich selbst<br />

in dieser Sprache eines Dolmetschers bedienen musste. Und<br />

das reist nach Indien! Wir bezogen das Zimmer, Hessen<br />

einheizen, etwas ganz Neues in diesem Winter, und wandten<br />

uns der Aussicht auf den zweithöchsten Berg der Welt zu,<br />

sahen aber nichts als eine dichte Nebelwand, während die<br />

näheren Berge und das malerisch um einen solchen gelagerte<br />

Darjeeling deutlich zu übersehen waren. Da lag zu unseren<br />

Füssen der Bahnhof, wo die wackere kleine Lokomotive so­<br />

eben ihre letzten Seufzer für heute ausstiess, da lag weiter<br />

nach unten der Marktplatz, auf dem die Gebirgsbewohner<br />

von Sikkim, Bhutan und Nepal ihre Produkte gegen einander<br />

austauschten, und dann ging es tief, tief hinunter, wo der<br />

Weg, immer steil absteigend, am botanischen Garten und<br />

an Theeplantagen vorüber sich in unverfolgbarer Tiefe verlor.<br />

Aber was war das alles, wenn uns der Blick auf die Schnee­<br />

berge verhüllt bleiben sollte? Man tröstete uns damit, dass<br />

die Aussicht gegen sechs Uhr morgens für eine Stunde sich<br />

aufzuhellen pflege. Für heute blieben wir zu Hause in der<br />

Hoffnung, dass einer der beiden Inder, denen wir unsere<br />

Empfehlungsbriefe ins Haus sandten, uns im Hotel aufsuchen<br />

würde. Aber der Bote brachte die Antwort, dass der eine


166 VI. Calcutta und der Himälaya.<br />

verreist sei und der andere eine Stunde weit von Darjeeling<br />

wohne und erst am nächsten Morgen zur Bureaustunde<br />

in die Stadt kommen werde. Etwas enttäuscht legten wir<br />

uns beizeiten schlafen, um am nächsten Morgen das gross­<br />

artige Naturschauspiel nicht zu versäumen.<br />

Unser erster Blick nach dem Erwachen galt den Schnee­<br />

bergen; aber gegen die Erwartungen, die man uns gemacht<br />

hatte, zeigten sie sich ganz in Wolken gehüllt. Wir standen<br />

auf und gingen spazieren, immer in der Hoffnung, dass das<br />

Gebirge während des Tages seine Nebelkappe für einen<br />

Augenblick lüften werde, eine Hoffnung, deren Vergeblich­<br />

keit uns jeder Erfahrene voraussagen konnte. Für die<br />

mangelnde Fernsicht musste die Nähe uns schadlos halten.<br />

Das Wetter war schön; von den an den Abhängen entlang<br />

führenden Wegen tauchte der Blick in abgründliche Täler,<br />

in denen die Nebelmassen, auf- und abwogend, allerlei<br />

gespenstige Formen annahmen. Wir erreichten einen Hügel,<br />

auf dem ein buddhistisches Heiligtum lag, welches schon<br />

von aussen durch die zahllosen bunten Fähnchen, mit denen<br />

es besteckt war, mehr den Eindruck einer Jahrmarktsbude<br />

als eines Tempels machte und im Innern allerlei Teufels­<br />

fratzen, aber nichts enthielt, was die Seele hätte erheben<br />

können. Das also sind die Mittel, welche hinreichen, um<br />

die metaphysischen Bedürfnisse dieser einfachen Gebirgs-<br />

menschen zu befriedigen. Denn im Gegensatze zu Indien,<br />

wo es keine Buddhisten mehr gibt, huldigt hier alles dem<br />

Buddhismus, freilich einem Buddhismus, der die ursprüngliche<br />

reine ethische Lehre zu einem Wüste abergläubischer und phan­<br />

tastischer Vorstellungen fortentwickelt hat. Bescheiden, wie die<br />

religiösen Ansprüche, sind auch die übrigen Anforderungen,<br />

welche die Bewohner dieses Gebirgslandes an das Leben stellen.<br />

Ihr Los ist harte Arbeit und karger Gewinn, und dabei sind<br />

sie lustig wie die Sperlinge. Überall sieht man sie schwatzen,<br />

singen und lachen, im scharfen Gegensatz zu den ernsten,


Land und Leute des Himälays. Der Buddhismus. 167<br />

schwermütigen Indern dort unten in der Ebene. Wenn in<br />

Darjeeling ein Haus gebaut werden soll, so müssen, bei<br />

dem Mangel an Fahrwegen, die Steine dazu alle in Kiepen<br />

auf dem Rücken von Weibern hinaufgetragen werden. Wir<br />

sahen sie, drall und rüstig, mit ihren Lasten emporsteigen.<br />

Mit einer derselben machten wir Bekanntschaft. Als sie mit<br />

einem halben Dutzend schwerer Steine in der Tragkiepe<br />

auf ihrem Rücken an uns vorbeistieg, fiel ein Stein herunter.<br />

Sie konnte sich nicht bücken, wollte sie nicht noch mehr<br />

Steine verlieren, und sie konnte nicht die ganze Kiepe ab­<br />

setzen, da sie dieselbe ohne Hülfe nicht wieder über die<br />

Schultern bekommen hätte. In dieser Not leistete ich ihr<br />

den kleinen Ritterdienst, den Stein wieder in die Kiepe zu<br />

bringen und wurde dafür mit einem dankbaren Blicke be­<br />

lohnt. Ich konnte sie nun ganz aus der Nähe betrachten<br />

und bemerkte, wie sie nicht nur all ihren Schmuck, sondern<br />

auch ihr Vermögen mit sich trug, bestehend aus einer<br />

Anzahl durchlöcherter Silber- und Kupfermünzen, welche<br />

als Guirlanden um den Hals und bis zum Gürtel herab­<br />

hingen.<br />

So vertrieben wir uns den Vormittag und traten bei<br />

unserem Rückwege noch in den Curiosity Shop des Herrn<br />

M. ein. Dieser war sichtlich erfreut, deutsche Landsleute bei<br />

sich zu sehen. Er zeigte uns alle seine Herrlichkeiten, als<br />

da waren: Teufelsmasken, Fähnlein, Schädel als Trinkbecher<br />

und buddhistische Gebetsmühlen. In diese braucht man nur<br />

die geschriebenen Gebete hineinzustecken und mit der Trommel<br />

zu drehen, so leistet dies ganz ebenso viel, als wenn man<br />

die Gebete so viele Male wie die Umdrehung war gesprochen<br />

hätte. Die Buddhisten sind also noch um einiges praktischer<br />

als unsere Katholiken, welche bei Wallfahrten und Prozessi­<br />

onen immer fort und fort ihre Gebete wiederholen. Jesus<br />

hat es verboten, beim Beten zu plappern wie die Heiden,<br />

die da meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte


168 VI. Cslcutts und der Himälsya.<br />

machen und stellt als Beispiel eines kurzen, einfachen, herz­<br />

lichen Gebetes das Vaterunser auf. Was würde er sagen,<br />

wenn er sähe, wie sein Vaterunsergebet von den Schafen<br />

seiner Herde so und so oft hinter einander gedankenlos ab­<br />

geleiert wird! Der Buddhismus von heute ist ein Ver-<br />

grösserungsspiegel der Fehler des Katholizismus.<br />

Gegen Mittag erschien unser indischer Freund im Hotel.<br />

Er war ein grosser, stattlicher Mann mit vollem schwarzem<br />

Haar und Bart, die in Ringelungen sein ausdrucksvolles<br />

braunes Gesicht umspielten. Natürlich blieben wir für den<br />

Rest des Tages zusammen. Er führte uns auf den Markt­<br />

platz, der nicht nur für die Provinz Sikkim, in welcher er<br />

liegt, sondern auch für die Völker des östlich gelegenen<br />

Bhutan und des nach Westen sich erstreckenden Nepal<br />

die Centrale bildet, Sikkim und Bhutan haben buddhistische<br />

Bevölkerung mongolischer Rasse, die Nepaler aber, zu denen<br />

eben auch unser Freund gehörte, sind indischen Blutes. Sie<br />

sind die einzige Bevölkerung Indiens, welche, dank ihrer<br />

Lage im Hochgebirge und ihrer Vorsicht, sich von dem<br />

Joch der englischen Fremdherrschaft bis jetzt freigehalten<br />

haben. Sie erlauben den Europäern nicht den ungezwun­<br />

genen Verkehr in ihrem Lande, welcher dem übrigen Indien<br />

so schlecht bekommen ist. Wer in Nepal zu tun hat, der<br />

wird mit seinem Passe nach der Hauptstadt Khatmandu ge­<br />

leitet, darf dort seine Geschäfte besorgen und muss das Land<br />

sodann wiederum verlassen. Nepal kann sich rühmen, den<br />

höchsten Berg der Welt, den 8800 Meter hohen Gaurtgankar<br />

zu besitzen. Die Engländer haben die Unbescheidenheit ge­<br />

habt, diesen Berg, der nicht einmal ihr Eigentum ist, nach<br />

dem Namen eines englischen Geometers, der dort Ver­<br />

messungen vornahm, Mount Everest zu nennen. Sollte dieser<br />

Mr. Everest hierdurch, wenn auch nur in England, eine ge­<br />

wisse Unsterblichkeit behalten, so ist es eine traurige, der<br />

des Herostratus vergleichbar. Denn wer kann es ohne In-


Der Gauricankar. Ein nepalesischer Freund. 169<br />

dignation hören, wenn die Engländer an den Wirtstafeln in<br />

Indien die Fragen: „Did you see Mount Everest? Where<br />

can we get a view of Mount Everest?" etc. verhandeln, nicht<br />

wissend, die Unglücklichen, dass dieser Berg von alters her<br />

seinen schönen und hochheiligen Namen hat, nämlich von<br />

Cankara d. i. Civa, der schon von Kälidäsa als der höchste<br />

Gott, die höchste Inkarnation des Ätman gefeiert wird, und<br />

seiner Gemahlin Gauri, deren Vermählung mit Qankara in dem<br />

wunderschönen Gedicht Kumärasambhava von Kälidäsa mit<br />

den glühenden Farben der Tropenwelt und des Orientes ge­<br />

schildert wird. In dem höchsten Doppelgipfel verehrten die<br />

Inder ihr höchstes Götterpaar, Gauri und Qankara, die Eng­<br />

länder aber nennen ihn Mount Everest!<br />

Vom Marktplatz zu Darjeeling führte uns der nepalesische<br />

Freund immer stark bergab bis zum botanischen Garten,<br />

welcher für die Vegetation des Himälaya höchst lehrreich<br />

ist. Er wollte uns noch weiter bergab zu einer Theeplan-<br />

tage führen, aber ein schneidend kalter Wind, der grosse<br />

Massen Staubes aufwirbelte, gemahnte zur Rückkehr. Von<br />

den Schneebergen war diesen ganzen Tag durch nichts zu<br />

sehen, aber die Unterhaltung mit dem edlen Hindu in un­<br />

serem Hotelzimmer am behaglichen Kaminfeuer konnte uns<br />

wohl einigermassen entschädigen. Dieser Mann war, wie alle<br />

besseren Inder, von tiefem Schmerze über die Knechtung<br />

seines Vaterlandes, denn der Nepalese fühlt sich durchaus<br />

als Inder, erfüllt. Er hoffte mit der Zuversicht und dem weihe­<br />

vollen Tone eines Propheten auf einen künftigen Heiland,<br />

eine Art von Messias, welcher die Fremdherrschaft brechen,<br />

die Mohammedaner vertreiben und Indien in seiner alten Grösse<br />

und Herrlichkeit wiederherstellen werde, die freilich wohl<br />

niemals bestanden hat. Denn die Inder waren von jeher zu<br />

hochsinnig und geistig veranlagt, um nicht von der brutalen<br />

Superiorität der Wollenden über die Erkennenden unter die<br />

Füsse getreten zu werden, zuerst von den Brahmanen und


170 ' VI. Calcutta und der Himälaya.<br />

Königen des eigenen Stammes, dann von den Griechen<br />

Alexanders, von den Baktrern, den Skythen, den Arabern und<br />

Mongolen und zuletzt von den Europäern. Wir plauderten<br />

bis zum späten Abend, worauf unser Freund Abschied nahm,<br />

wohl auf Nimmerwiedersehn. „Denn wir können nicht",<br />

sagte ich zu meiner Frau, „Tag für Tag hier versitzen in der<br />

unsichern Hoffnung, an einem günstigen Morgen die Schnee­<br />

berge zu sehen. Morgen um zehn Uhr fahren wir hinunter<br />

nach Calcutta!"<br />

Am nächsten Morgen beim Erwachen sehe ich schon<br />

vom Bett aus eine ungewöhnliche Helle; ich springe zur<br />

Glastür der Veranda, und wer beschreibt unser Entzücken,<br />

als wir die ganze Bergkette des Kanchinjinga, des zweit­<br />

höchsten Berges der Welt, mit all ihren Schluchten, Abhängen<br />

und Gipfeln bis hinauf zu den in der Sonne strahlenden<br />

Goldhörnern (käncana-gringa, woraus die Pandits den Namen<br />

erklären) in wolkenloser Klarheit vor uns ausgebreitet sahen.<br />

Wohl wissend, dass das Schauspiel nicht lange zu geniessen<br />

sein werde, sprang ich selbst nach den Stiefeln in die noch<br />

menschenleere Küche. In fliegender Hast kleideten wir uns<br />

an und eilten durch die leeren Strassen des Städtchens nach<br />

Observatory Hill, um die Aussicht noch voller zu geniessen.<br />

Unterwegs trafen wir den uns schon bekannten Kuriositäten­<br />

händler M., der mit seinem Hunde soeben einen Morgen­<br />

spaziergang machte; wir luden ihn ein mitzukommen, und<br />

er führte uns an den vorteilhaftesten Aussichtspunkt. Hier<br />

wurde der Eindruck des Gebirges nicht wie auf der Wengern-<br />

alp durch die zu grosse Nähe abgeschwächt, sondern vor uns<br />

gähnte in ungeheurer Weite und Tiefe ein abgründliches Tal,<br />

und unmittelbar jenseits desselben erhob sich, sichtbar vom<br />

Fusse bis zu den unglaublich hoch empordringenden Gipfeln,<br />

der ganze mit ewigem Schnee bedeckte Gebirgsstock. Ich<br />

unterschied den höchsten Gipfel in der Mitte, der links und<br />

rechts von zwei weniger hohen, wie diese wieder von zwei


Seite HO.<br />

c<br />

!sä


Der Kanchinjinga in seiner Herrlichkeit. 17]<br />

noch niedrigeren Hörnern flankiert war. Herr M. erwies<br />

sich sehr nützlich, wenn ich auch wegen der Zuverlässigkeit<br />

der folgenden Angaben, die ich ihm verdanke, die Verant­<br />

wortung ihm selbst überlassen muss. „Sie sehen dort rechts",<br />

sprach er, „zwischen den beiden letzten Hörnern einen<br />

schwarzen Einschnitt. Das ist der Pass, welcher 21000 Fuss<br />

hoch durch ewigen Schnee nach Tibet führt. Ich selbst bin<br />

schon bis zu 20000 Fuss Höhe vorgedrungen, musste aber<br />

umkehren, da diese Reise durch völlig unbewohnte Gletscher­<br />

gegenden ohne einen grösseren Apparat von Trägern und<br />

Führern nicht durchzuführen ist. Von dem Pass bis zum<br />

höchsten Gipfel sind volle 8000 Fuss, die Sie hier mit einem<br />

Blick des Auges umspannen. Den andern noch höheren Berg,<br />

nach dem Sie fragten, und den ich- mit Ihrem Verlaub<br />

Mount Everest nennen muss, da ich den andern Namen<br />

nicht behalten kann, diesen allerhöchsten Berg der Welt<br />

können Sie von Darjeeling aus nicht sehen. Zu diesem<br />

Zwecke müssten Sie sich auf Tiger Hill, eine gute Stunde<br />

von hier, bemühen; ich würde es Ihnen aber nicht raten, denn<br />

auch dort würden Sie wegen der vorliegenden Berge nur<br />

die höchsten Gipfel wie drei kleine aufgesetzte Zuckerhüte<br />

bemerken. Aber jetzt beeilen Sie sich, denn die Sonne steigt<br />

höher, und bald wird die ganze Aussicht sich für heute<br />

schliessen." Was wir jetzt sahen, war ein wunderbares Schau­<br />

spiel. Die Nebel und Wolkenmassen, welche wie schläfrige<br />

Tiere tief unten in den Tälern geruht hatten, fingen, von der<br />

Sonne geweckt, an, sich zu bewegen. Langsam und träge<br />

leckten sie an den Bergen empor, um wieder matt in sich<br />

zusammenzufallen. Aber immer erfolgreicher und dazu von<br />

allen Seiten griffen sie die höchsten Gipfelriesen an. Jetzt<br />

erreichten einzelne Nebelmassen von den seltsamsten Formen<br />

schon den obersten Gipfel, sanken wieder herab, bis sie,<br />

durch die nachrückenden Massen unterstützt, das Feld be­<br />

haupteten. Da sehen wir nur noch die drei höchsten Spitzen


172 VI. Calcutta und der Himälaya.<br />

aus dem Nebel herausschauen, und jetzt sind auch sie in<br />

dem Wolkenmeere ertränkt. „Vielleicht wird es noch einmal<br />

wieder klar", sagte ich zu meinem Begleiter. „Darauf ist für<br />

heute nicht mehr zu hoffen", erwiderte er. Wir kehrten sehr<br />

befriedigt zum Hotel zurück. Der Eindruck war uns um so<br />

kostbarer, je mehr der Berg mit seiner Gunst gekargt, und<br />

je gemessener er sie uns schliesslich zugeteilt hatte. Wer<br />

länger in Darjeeling weilt, dem wird wahrscheinlich auch<br />

diese, vielleicht grösste Gebirgsaussicht der Welt zuletzt zur<br />

Gewohnheit werden und nicht mehr viel zu sagen haben.<br />

Vor diesem Schicksal waren wir bewahrt geblieben. Nicht<br />

wir nahmen von dem Berge Abschied, sondern der Berg von<br />

uns, und das ist eigentlich das Schönere.<br />

Um zehn Uhr morgens sagten wir dem lieblichen Dar­<br />

jeeling Lebewohl, und wieder führte uns eine kleine tapfere<br />

Lokomotive in demselben Tempo, mit dem wir emporgestiegen<br />

waren, nicht schneller und nicht langsamer, bergabwärts,<br />

nur dass die Fahrt etwas mehr beunruhigte, weil wir jetzt<br />

stets nach unten blickten. Auf der Mittelstation in Korscheong<br />

Bazar, wo die Züge von oben und unten sich begegnen,<br />

sahen wir in flüchtigen Minuten eine alte Bekannte, die<br />

hinauffahren wollte. Es war Mrs. Davidson, eine gute alte<br />

Dame aus Schottland, welche wohl eine ähnliche Rundtour<br />

durch Indien machen wollte, wie wir, nur dass sie in erster<br />

Linie immer diejenigen Leute aufsuchte, welche wir am<br />

meisten zur Seite Hessen, nämlich die Missionare. Von<br />

ihnen geleitet und inspiriert, hat sie ohne Zweifel ein ganz<br />

anderes Bild von Indien mit nach Hause gebracht, als wir<br />

es aus dem Verkehr mit den Eingeborenen gewannen. Wir<br />

hatten in Watson's Hotel zu Bombay zu dreien denselben<br />

Tisch bei den Mahlzeiten, und gelegentlich brachte sie einen<br />

Missionar als vierten Partner mit. Eine solche Gelegenheit<br />

benutzte ich dann wohl, um mich an dem frommen Mann<br />

ein wenig zu reiben. „Ich habe", so erzählte ich, „früher in


Rückfahrt. Mrs. Davidson und ihr Missionar. 173<br />

einem Buche, — vielleicht sind es Grubes geographische<br />

Charakterbilder, — gelesen, dass in den indischen Tier­<br />

hospitälern (Pinjra Pol) auch eine besondere Abteilung für<br />

Ungeziefer bestehe, und dass man einige Neger eigens dazu<br />

halte, um auf ihren Köpfen diesen Verkörperungen der<br />

ewigen Weltseele die nötige Nahrung zu bieten. Als ich<br />

kürzlich," so fuhr ich fort, „mit meinen indischen Freunden<br />

das Pinjra Pol besuchte und vergeblich, wie ich schon<br />

denken konnte, nach einer solchen Abteilung fragte, da<br />

lachten mir meine Hindufreunde ins Gesicht und erklärten,<br />

dass es nie dergleichen gegeben habe, und dass das Ganze<br />

nur eine Erfindung der Herren Missionare sei." Erwartungs­<br />

voll sah ich den Glaubensboten an meiner Seite an. Als<br />

er mir aber ganz unbefangen entgegnete, dass es wirklich<br />

eine derartige Abteilung im Pinjra Pol gebe oder doch<br />

gegeben habe, da schwieg ich, um nicht zu beleidigen.<br />

Mrs. Davidson also, der wir diese interessante Bekanntschaft<br />

verdankten, war in Bombay unsere Tischgenossin, und als<br />

wir uns zum Abschied die Hände schüttelten, da sagten wir<br />

„auf Wiedersehen", ohne doch an ein Wiedersehen im mindesten<br />

zu glauben. Und da ist es wirklich merkwürdig, dass wir<br />

auf unserem Wege durch Indien mit dieser guten alten Dame<br />

nicht weniger als dreimal, und immer eiligst an einander<br />

vorbei zu gehen genötigt, uns wieder begrüssen konnten.<br />

Das erste Mal war in Korscheong Bazar, das zweite Mal in<br />

Madura im Süden Indiens, und das dritte Mal am Tage vor<br />

unserer Heimreise, in Colombo vor dem Postschalter.<br />

In Siligari am Fusse des Gebirges angelangt, fanden<br />

wir eine weniger gute Verbindung als bei der Hinauffahrt,<br />

sodass wir erst nach Mitternacht über den Ganges setzten,<br />

dessen mächtige Flutmassen in der zauberhaften Beleuchtung<br />

des indischen Vollmondes glitzerten. Halb verschlafen fragte<br />

ich nach der eigentümlichen Bauart der am Ufer dem Ver­<br />

kehre dienenden Hallen und Schuppen, welche alle aus


174 VI. Calcutta und der Himälaya.<br />

dünnen Latten bestanden und so. aussahen, als habe man<br />

sie von oben her in den Boden hineingepflanzt. Ich erfuhr,<br />

dass der Fluss sein Bette hier sehr oft ändere, und dass<br />

aus diesem Grunde der ganze Bahnhof mit all seinen<br />

Baulichkeiten leicht transportabel sein müsse. Weiter fuhren<br />

wir durch die tiefe indische Nacht, begrüssten die auf­<br />

gehende Sonne hier an dem östlichsten Punkte der ganzen<br />

Reise und liefen am Nachmittag wohlbehalten in Dum Dum,<br />

der letzten Station vor Calcutta, ein. Hier trafen wir mit<br />

Mr. Roy und dessen Familie der Absprache nach zusammen,<br />

um die hier eröffnete landwirtschaftliche Ausstellung in<br />

Augenschein zu nehmen. Da gab es Pferde, Ochsen, Kühe<br />

mit ihren Kälbern, landwirtschaftliche Maschinen usw. Das<br />

alles hatte wenig Reiz für mich, und ich wunderte mich,<br />

dass der Strom der Besucher, in dem wir fortgetragen<br />

wurden, mehr Interesse für diese Trivialitäten zeigte als für<br />

die wunderbare Umgebung des- Tropenlandes, und mehr<br />

Interesse für uns europäische Blassgesichter als für die<br />

braunen Gesichter und die malerischen Trachten ihres<br />

eigenen Volkes.<br />

Mit der Familie Roy zogen wir in Calcutta ein, um<br />

weiterhin die Gastfreundschaft ihres Hauses zu geniessen<br />

und zum ersten Male den Reiz des indischen Familienlebens<br />

kennen zu lernen. Die Schwester von Mrs. Roy, die zarte<br />

liebliche Miss Cakravarti (von den Engländern in Chucker-<br />

butty verquatscht), — dieselbe, welche man in England<br />

meuchlings zur Christin umgeknetet, ohne dass es der lieb­<br />

reizenden Unschuld ihres Wesens geschadet hätte, — diese<br />

räumte uns ihr Zimmer ein, wo wir denn unter Nippsachen,<br />

Photographien und zierlichen Malereien uns ausbreiten<br />

durften. Ausser ihr und dem Ehepaar Roy waren noch<br />

deren Kinder, zwei reizende kleine Hindumädchen vorhanden,<br />

welche, wie gewöhnlich in Indien, von einer zahlreichen<br />

Dienerschaft umgeben waren; denn ohne ein Dutzend Diener


Tierschau in Dum Dum. Eine indische Haushaltung. 175<br />

kann ein wohlgeordneter Haushalt in Indien nicht bestehen.<br />

Da ist zunächst als oberster der Kammerdiener, der die<br />

Garderobe des Herrn in Ordnung hält und auch bei Tisch<br />

aufwartet, sodann eine Kammerjungfer zur Bedienung der<br />

Frau des Hauses und eine Kinderfrau für die Kleinen.<br />

Letztere wird auch häufig nach Europa mitgenommen, und<br />

in London ist sie unter dem Namen Äyä wohlbekannt und<br />

überall anzutreffen. Weiter folgt in der Hierarchie der<br />

Dienerschaft der Koch (Bävarchi), eventuell mit Gehülfen, der<br />

Pförtner, der Kutscher, der Waschmann, deren jedes Haus<br />

schon wegen der Ansteckungsgefahr seinen eigenen hat, der<br />

Gärtner (Mali), der Wasserträger oder Bhisti und endlich,<br />

als unterster in dieser Klimax, der Mehtar (von den Eng­<br />

ländern auch Sweeper genannt), welcher immer auf der Lauer<br />

liegen muss, um alle Exkremente sofort in den hierzu<br />

dienenden Porzellaneimern zu beseitigen. Ein indisches<br />

Haus ist daher in der Regel sehr sauber, appetitlich und<br />

geruchlos, zumal auch die Küche nicht im Hause, sondern<br />

in einem Nebengebäude zu sein pflegt. An Gehalt erhalten<br />

diese Diener von 20 bis herab zu 5 Rupien monatlich, also<br />

zwischen 30 und 7 Mark. Ausser diesem gewiss sehr<br />

niedrigen Lohn bekommen sie gar nichts, weder Essen, noch<br />

Kleidung oder Wohnung. Sie wohnen irgendwo in der<br />

Nachbarschaft mit ihrer Familie, kommen nur, um die ihnen<br />

obliegenden Dienste zu verrichten, und gehen dann wieder<br />

nach Hause. Im ganzen mögen die Kosten der Bedienung<br />

für ein Haus sich auf etwa 150 Mark monatlich belaufen.<br />

Mr. Roy hat uns alle die folgenden Tage in Calcutta<br />

nicht nur in der freigebigsten Weise logiert, gespeist und<br />

getränkt, sondern er war auch unablässig darauf bedacht,<br />

uns neue und wertvolle Eindrücke zu verschaffen. Einer der<br />

interessantesten war der folgende.<br />

Es hielt sich damals in Calcutta eine hochheilige Büsserin<br />

auf, und ein Freund von Mr. Roy erbot sich, mir eine Audienz


176 VI. Calcutta und der Himälaya.<br />

bei ihr um acht Uhr morgens zu verschaffen. Ein Diener holte<br />

mich und meine Frau früh morgens ab und erzählte von der<br />

Heiligen allerlei Wunderdinge. Sie sei eine Prinzessin aus<br />

dem Süden, besitze 6 Laksha (6 x 100 000) Rupien, habe<br />

aber alles weggegeben, um als Sannyäsint zu leben; niemand<br />

kenne ihr Alter, man glaube, sie sei hundert Jahre alt, und dabei<br />

sehe sie aus wie ein junges Mädchen etc. Unter diesen<br />

Gesprächen kamen wir zum Hause des Freundes und Hessen<br />

uns melden, mussten aber geraume Zeit in dem von dem<br />

Hause umschlossenen, geräumigen und wohnlichen Hofraume<br />

warten. Der Herr, hiess es, verrichte eben seine Pujä<br />

(Morgenandacht), und darin dürfe ihn niemand stören. Wir<br />

waren also aus dem in dem Roy'schen Hause herrschenden<br />

Freisinn in die Region des frommen Indiens gelangt. Endlich<br />

kam der Freund, und nun ging es zur Büsserin. Wir wurden<br />

eine Treppe hoch in ein geräumiges, aber vollkommen leeres<br />

Zimmer geführt; nur ein einfacher Teppich überdeckte den<br />

ganzen Fussboden. Die Heilige erschien, und ich verneigte<br />

mich, wagte aber nicht, ihr die Hand zu reichen. Sie war<br />

durchaus einfach aber anständig gekleidet, von den schwarzen<br />

aufgelösten Haaren an, welche lang auf beide Schultern<br />

herunterfielen, bis herab zu den Strümpfen, auf denen sie<br />

mich empfing. Ihr Wesen war ruhig und anspruchslos; alles<br />

an ihr machte den Eindruck einer gutherzigen, mütterlichen<br />

Matrone zwischen 40 und 50 Jahren. Sie sprach ganz gut<br />

Sanskrit, und ich legte ihr unter anderem die Frage vor,<br />

welches von den sechs philosophischen Systemen das beste<br />

sei. Sie antwortete, dass alle miteinander gut seien, eine<br />

Äusserung, welche mich jetzt weniger überraschen würde als<br />

damals. Denn in gewissem Sinne ergänzen sich die sechs philo­<br />

sophischen Systeme zu einer einheitlichen Weltansicht. Die<br />

Mimähsä steht in der Vorhalle der Philosophie, da sie nur<br />

das Ritual logisch verarbeitet und alle dabei auftauchenden<br />

Pro's und Contra's dialektisch verfolgt. Der Vedänta ist die


Audienz bei einer Heiligen. Die sechs Systeme. 177<br />

eigentliche Metaphysik Indiens, das Säiikhyam nur eine re­<br />

alistische Umgestaltung eben dieser, schon in den ältesten<br />

Upanishad's vorliegenden Vedänta-Metaphysik. Zwischen<br />

diesen beiden Systemen ist der Gegensatz noch am grössten,<br />

ohne doch die innere Verwandtschaft aufzuheben. Der Yoga<br />

ist die praktische Seite der Ätmanlehre, nicht Moral, denn<br />

wer diese Welt als Illusion erkannt hat, ist über gute und<br />

böse Werke hinaus, sondern der Yoga ist eine eigentümliche<br />

Technik, durch Vertiefung in das eigne Innere dort das<br />

Brahman, den Ätman unmittelbar zu ergreifen. Was endlich<br />

den Nyäya und das Vaigeshikam betrifft, so bietet der erstere<br />

einen allgemein gültigen Kanon der Logik und noch mehr<br />

der Eristik, das letztere eine naturwissenschaftliche Klassi­<br />

fikation alles Seienden unter sechs Kategorien.<br />

Die Antwort der Büsserin auf meine Frage lässt sich also<br />

von dem unhistorischen Standpunkte, auf dem alle Inder<br />

stehen, ganz wohl begreifen. Unhistorisch war freilich auch<br />

die Antwort, die sie mir gab, als ich es wagte, das hundert­<br />

jährige junge Mädchen nach seinem Alter zu befragen;<br />

najnäyate, „das ist nicht bekannt," war ihre einfache Antwort.<br />

Nun aber kam das Fragen auch an sie, und ihre Haupt­<br />

frage war, aus welcher Kaste ich sei? Da alle nicht brah-<br />

manischen Inder eo ipso zur Kaste der Cüdra's, der Ver­<br />

worfenen, gehören, so hatte ich mich früher, wie schon be­<br />

richtet wurde, des öfteren für einen Qüdra erklärt, begegnete<br />

aber dabei einem solchen Befremden in den Mienen der<br />

Hörer, dass ich weiterhin ein anderes Märlein erfand, indem<br />

ich mich für einen Brahmanen ausgab, der durch eine in<br />

der früheren Geburt begangene Sünde zum Qüdra, zum Eu­<br />

ropäer herabgesunken sei und hoffen dürfe, in einer nächsten<br />

Geburt wieder zum Brahmanen zu werden. Diesen Scherz,<br />

der viel belacht zu werden pflegte, beschloss ich auch vor<br />

der Büsserin zum besten zu geben, kam aber dabei nicht<br />

an die rechte. Kaum hatte ich mich dafür erklärt, in meiner<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 12


178 VI. Calcutta und der Himälaya.<br />

vorigen Geburt ein Brahmane gewesen zu sein, als sie mich<br />

unterbrach und in strengem Tone fragte, woher ich das<br />

wisse? Ich antwortete: „Es werde gehört! Der erlauchte<br />

Kälidäsa sagt in der Cakuntalä:<br />

Wenn bei dem Anblick schöner Gegenstände,<br />

Bei süssen Tönen Sehnsucht unsern Geist,<br />

Auch wenn wir glücklich sind, oft übermannt,<br />

So kommt dies, weil wir, wenn auch unbewusst,<br />

An Freundschaften, noch wurzelnd tief im Innern,<br />

Aus früheren Geburten uns erinnern."<br />

„Seit meinem ersten Bekanntwerden mit der Sanskrit­<br />

sprache," fuhr ich fort, „fühlte ich mich zu ihr in so starker<br />

Freundschaft hingezogen, dass ich glauben muss, in einer<br />

früheren Geburt schon Sanskrit gesprochen zu haben, also<br />

ein Brahmane gewesen zu sein."<br />

Diese Argumentation war für die gute Matrone über­<br />

zeugend, und als ich weiter schilderte, wie ich durch eine<br />

schwerere Sünde zum Cüdratum, zum Europäertum, herabge­<br />

sunken sei, da malte sich in ihren Zügen das tiefste Mitleid;<br />

und als ich mit gehobener Stimme fortfuhr: „Jetzt aber, nach­<br />

dem ich Indien besucht, in Benares geweilt, Dich, o Heilige,<br />

gesehen habe, darf ich hoffen, bei der nächsten Geburt wieder<br />

ein Brahmane zu werden", — da rollten der frommen Frau<br />

die hellen Tränen über Wangen und Brust, welche sie von<br />

beiden Seiten mit den herabhängenden Haaren abtrocknete.<br />

Endlich war die Audienz zu Ende; die hohe Frau ver­<br />

abschiedete sich, und als auch wir die Türe gewonnen, da<br />

stand dort ein Diener und belud uns mit einer Menge kost­<br />

barer indischer Süssigkeiten, mit welchen wir für die Welt<br />

nichts anzufangen wussten, und froh waren, sie den Roy'schen<br />

Kindern zum Geschenk machen zu können.<br />

Am Nachmittage dieses glorreichen Tages machte ich<br />

mit Mr. Roy einen Besuch bei dem auch in Europa wohl<br />

bekannten, aber mehr berüchtigten als berühmten Heraus-


Meine Kaste. Besuch bei Jivänanda Vidyäsägara. 179<br />

geber zahlreicher Sanskrittexte, Jivänanda Vidyäsägara, und<br />

fand ihn, ganz wie er sich auf dem Bilde vor seinen Aus­<br />

gaben zeigt, mit untergeschlagenen Beinen auf einem niedrigen,<br />

aber sehr langen und breiten Tisch sitzend, von Manuskripten<br />

und Büchern umgeben. Sein Vater, Väcaspatimigra, ist der<br />

Herausgeber eines überaus reichhaltigen, vier dicke, engge­<br />

druckte Lexikonbände füllenden, encyklopädischen Sanskrit­<br />

wörterbuches, welches in Europa fast ganz unbekannt ist, da<br />

es meines Wissens auch in Böhtlingk's und Roth's Wörter­<br />

buch nirgendwo citiert wird, während sie doch auf den<br />

Cabdakalpadruma, das grosse aber viel weniger reichhaltige<br />

Parallelwerk, des öfteren verweisen. Beide Encyklopädien<br />

werden in Indien viel gebraucht und suchen bei einer neuen<br />

Auflage das Schwesterwerk zu benutzen und zu überbieten.<br />

Eben erschien eine neue Ausgabe des Cabdakalpadruma, auf<br />

welche ich für den geringen Preis von 70 Rupien subskri­<br />

bierte, und die auch späterhin bis zum Letzten vollständig<br />

in meine Hände gelangt ist. Neben diesem wollte ich auch<br />

das Väcaspatyam haben und erstand es in vier sehr starken,<br />

gut gebundenen Bänden für 100 Rupien (damals 125, jetzt<br />

133,3 Mk.). Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich von Jivänanda,<br />

wie unglaublich billig in Indien der Buchbinderlohn ist, so­<br />

dass er auch bei starken Bänden noch nach Pfennigen be­<br />

rechnet werden kann. Weiter kaufte ich noch eine Menge<br />

Bücher aus der Offizin des Jivänanda, deren Gebrauch wegen<br />

ihrer Unkorrektheit zwar nicht anzuraten ist, die aber in Er­<br />

mangelung anderer Ausgaben doch gute Dienste leisten können,<br />

zumal die schwierigen Texte von Jivänanda mit einem<br />

kurzen, von ihm selbst verfassten oder kompilierten Kom­<br />

mentare versehen zu sein pflegen. Der Mann mag ein ganz<br />

bedeutender Polyhistor sein und war als solcher nicht frei<br />

von Eitelkeit. „Ich habe", sagte er, „in meine Ausgaben mehr<br />

als 600000 Rupien gesteckt; jeden Tag lasse ich über vierund­<br />

sechzig Seiten drucken und schreibe deren wohl gegen vierzig."<br />

12*


180 VI. Calcutta und der Himälaya.<br />

Ich erwiderte, dass man ihn in Europa höher schätzen würde,<br />

wenn er weniger und das Wenige um so korrekter drucken<br />

lassen wollte. Er antwortete: das.komme daher, dass er<br />

oft durch Überarbeitung krank sei und dann die Arbeit frem­<br />

den Händen überlassen müsse. Zuletzt kamen wir auf das<br />

Versemachen im Sanskrit, und er sprach: „jetzt will ich<br />

Ihnen einen Vers aufschreiben, und ich wette, dass Sie den<br />

Sinn nicht herausbekommen sollen, wie Sie sich auch<br />

immer stellen". Er schrieb den Vers, den ich noch unter<br />

meinen Papieren aufbewahre, und ich erwiderte nur, dass<br />

man es bei uns höher schätze, wenn jemand Verse schreibe,<br />

die jeder, als solche, die niemand verstehe. Wir füllten die<br />

grosse Kiste bis an den Rand mit Büchern, und ich bezahlte<br />

das Ganze wie" auch die Fracht, welche von Calcutta bis<br />

Hamburg nur 7 Rupien kostete. Ungefähr ebensoviel betrug<br />

dann noch die Fracht von Hamburg bis Kiel, wobei<br />

eine lange Rechnung für Ausbootung, Landung, Zollrevision<br />

etc. etc. aufgestellt war. Aber wovon,sollten wohl die Ham­<br />

burger Agenten, Joller und Jobber leben, wenn sie es nicht<br />

auf diese Weise anfingen?<br />

Wir wollten Calcutta nicht verlassen, ohne seinem welt­<br />

berühmten botanischen Garten einen Besuch abzustatten.<br />

Schon früher hatten wir einen solchen mit Frau Dr. Hörnle ge­<br />

plant, deren Gemahl damals Prinzipal des mohammedanischen<br />

Madrasa College in Calcutta war, aber begreiflicherweise<br />

seine Hauptinteressen im Sanskrit stecken hatte. So zeigte<br />

er mir nach einem angenehm in seinem Hause verbrachten<br />

Abende auch die beiden buddhistischen Handschriften medi­<br />

zinischen Inhaltes aus dem vierten Jahrhundert p. C, welche<br />

damals vor kurzem gefunden worden waren und wegen ihres<br />

hohen Alters Aufsehen erregten. An diesem Abende wurde<br />

auch für den folgenden Tag ein Ausflug in den botanischen<br />

Garten verabredet, der aber- nicht zu stände kam, weil es in<br />

der Nacht ziemlich stark geregnet hatte, und der Aufenthalt


Der botanische Garten. Der Nyagrodhabaum. 181<br />

in einer feuchten Pflanzenluft in Indien leicht Fieber nach<br />

sich ziehen kann. Erst kurz vor unserer Abreise kamen wir<br />

nun doch noch dazu, mit der Familie Roy den botanischen<br />

Garten zu besuchen. Derselbe Hegt nördlich von der Stadt,<br />

jenseits des Hughli, und da auch Roy's Wohnung im Norden<br />

von Calcutta lag, so konnten wir uns den langen Umweg<br />

nach Süden über die Hughlibrücke und wieder nach Norden<br />

ersparen, wenn wir direkt im Boot über den Strom fuhren<br />

und am botanischen Garten landeten. Ein Boot mit einem<br />

Dutzend uniform gekleideter Ruderer wurde von Freund<br />

Mullik zur Verfügung gestellt, und so fuhren wir in vor­<br />

nehmster Weise über die gelben Fluten der Gaiigä, deren<br />

einen Arm der Hughli bildet, und landeten an einem kleinen<br />

Treppchen, welches direkt in den schönsten Teil des weit<br />

ausgedehnten botanischen Gartens führte. Gleich beim Ein­<br />

tritte gelangten wir in eine breite und lange Allee, welche<br />

auf beiden Seiten von hohen Palmbäumen umgeben war,<br />

die, alle von gleicher Grösse, gleicher Art und gleichem<br />

Wüchse, einen Anblick von überwältigender Schönheit boten.<br />

Aber auch weiter trat dem Beschauer überall, wohin er das<br />

Auge richtete, die Herrlichkeit der tropischen Pflanzenwelt<br />

in ihrer vollsten Entfaltung entgegen. Vorüber an geschmack­<br />

vollen Anlagen mit Baumgruppen, Schlingpflanzen, Blumen­<br />

beeten gelangten wir zu der grössten Sehenswürdigkeit des<br />

Gartens, dem grossen Nyagrodha-Baum. Dieser Baum, ficus<br />

Indica, dessen Sanskritname, „der nach unten Wachsende"<br />

bedeutet, sendet seine Zweige nach unten, wo sie unter<br />

günstigen Umständen den Boden erreichen, dort Wurzel<br />

schlagen und zu neuen Stämmen erstarken, sodass schliess­<br />

lich aus dem einen Baume ein ganzer Wald wird. Jedoch<br />

ist dieses Resultat selten, so häufig auch der Nyagrodha­<br />

baum ist, den man in Gärten und an der Landstrasse überall<br />

antrifft. Gewöhnlich erreichen die nach unten strebenden<br />

Zweige gar nicht den Erdboden und treiben ihre Wurzeln


182 VI. Calcutta und der Himälaya.<br />

in der Luft, wo sie dann verkümmern. Nur bei einigen<br />

Nyagrodhabäumen, die in ganz Indien als Sehenswürdig­<br />

keiten berühmt sind, ist die Entwicklung des Hauptstammes<br />

zu einem Komplex von Stämmen gelungen. Das berühmteste<br />

Beispiel ist der Baum, von dem wir reden, im botanischen<br />

Garten zu Calcutta. Nicht nur beim Anblicke einer Abbildung<br />

desselben, sondern auch wenn man persönlich unter seinen<br />

Stämmen umherspaziert, ist es schwer, den Zusammenhang<br />

des Ganzen aufzufassen. Von dem durch seine Dicke leicht<br />

erkenntlichen Hauptstamme geht ein mächtiger Ast nach<br />

der Seite hin, dieser wiederum sendet seine Nebenäste seit­<br />

wärts, und von allen diesen Ästen und Nebenästen laufen<br />

neue Stämme nach unten in den Boden. Eine Anzahl<br />

derselben ist schon zu stattlichen Baumstämmen erstarkt,<br />

viele andere sind noch in der Entwickelung begriffen und<br />

werden künstlich in Hülsen von Bambusrohr nach dem<br />

Boden geleitet.<br />

Wir verzichten darauf, die übrigen zahlreichen Sehens­<br />

würdigkeiten von Calcutta zu besprechen. Der zoologische<br />

Garten, die weite Maidan-Ebene, auf der wir in der Morgen­<br />

frühe spazieren gingen, bis die Sonne, uns vertrieb, das<br />

Antiquitätenmuseum, der Edengarten mit seiner aus Hinter­<br />

indien importierten siamesischen Pagode, das Museum der<br />

asiatischen Gesellschaft, welches ich auf dem Umschlag<br />

der Hefte der Bibliotheca Indica so oft mit Sehnsucht be­<br />

trachtet hatte, das alles mag hier nur genannt werden.<br />

Auch so manche freundliche, ja herzliche Berührungen mit<br />

Eingeborenen verschiedener Stände, die sich von Tag zu<br />

Tage mehrten, müssen hier übergangen werden. Am 8.<br />

Februar 1893 packten wir unsere Koffer, um am Abend ab­<br />

zureisen. Als sinniges Andenken an Calcutta schenkte mir<br />

Mrs. Roy einen Huqqa (Wasserpfeife), bestehend aus einer<br />

Kokosnuss, in welche von oben her der Rauch bis ins<br />

Wasser geleitet wird. Ein zweites Loch in der oberen,


Seite 128.<br />

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Abschied von Calcutta. Der Huqqa. 183<br />

wasserfreien Hälfte der Kokosnuss wird art den Mund ge­<br />

bracht, um den Rauch herauszusaugen. Da der brennende<br />

Tabak in einem tönernen Kopfe senkrecht über der Kokos­<br />

nuss balanciert, so darf das Ganze nicht aus derperpendikulären<br />

Lage gebracht werden, und es sieht äusserst possierlich<br />

aus, wenn der Rauchende sich bei jedem Zuge mit Mund,<br />

Kopf und Hals an die Kokosnuss anschmiegt. Ein hinein­<br />

gestecktes Röhrchen würde diese Unbequemlichkeit heben;<br />

aber die wenigsten erlauben sich einen solchen Luxus. Der<br />

gewöhnliche Raucher, wie man ihn in Calcutta vor der Tür<br />

seiner Hütte an der Strasse sitzen sieht, trinkt den Rauch<br />

unmittelbar aus dem in die Kokosnuss gebohrten Loch.<br />

Anders und viel künstlicher mit Glasbehälter und Schlauch<br />

ausgestattet sind die Wasserpfeifen in den türkischen Ländern.<br />

Sie heissen dort Nargileh, welcher Name aus dem Persischen<br />

stammen soll. Indes gebe ich zu bedenken, dass närikela<br />

im Sanskrit die Kokosnuss bedeutet, und dass die indische<br />

Wasserpfeife statt der in der Türkei üblichen Glaskaraffe.<br />

noch heute als Hauptbestandteil eine wirkliche Kokosnuss<br />

hat. Es dürfte also der Name und mit ihm der ganze Ge­<br />

brauch aus Indien stammen und von dort erst nach den<br />

westlichen Ländern gelangt sein.


Siebentes Kapitel.<br />

Von Calcutta über Allahabad nach Bombay.<br />

Am Abend des 8. Februar brachte uns Freund Roy zum<br />

Bahnhofe, und dort hatte sich noch ein grösserer Kreis<br />

der in Calcutta gewonnenen Bekannten und Freunde ein­<br />

gefunden. Leider war die Abschiedsstunde eine sehr un­<br />

behagliche, denn der Zug war ein mail train, "d. h. ein<br />

solcher, der in Bombay (bis wohin er drei Nächte und zwei<br />

Tage braucht) an den Postdampfer nach Europa anschliesst,<br />

und diese Züge sind in der Regel sehr überfüllt. Eine<br />

ungeheure Menge wogte auf dem Perron auf und nieder.<br />

Auch in der ersten Klasse war kaum unterzukommen, sodass<br />

ich meine Frau im Damencoupe placierte und für mich<br />

anderswo einen Liegeplatz eroberte, denn ein solcher wird<br />

für die Nacht den Reisenden der ersten Klasse von der<br />

Gesellschaft garantiert. Schon auf einer der nächsten<br />

Stationen wurde mehr Platz, indem zwei junge Engländer,<br />

welche die oberen Lager einnahmen, ausstiegen. Während der<br />

Zug einlief, krochen sie gemächlich herunter und fingen an,<br />

ihre Toilette zu ordnen. Der Zug hielt; sie zogen die Stiefel<br />

an, banden die Cravatte vor, — erstes Zeichen zur Abfahrt,<br />

sie setzten die Hüte auf und schlössen ihre Koffer, — zweites<br />

Zeichen, der Zug setzte sich langsam in Bewegung, — der<br />

eine stieg aus, nahm nebenher laufend das Gepäck an, der


Von Calcutta nach Allahabad. Professor Thibaut. 185<br />

andere aber, ganz kaltblütig, tappte noch nach diesem und<br />

jenem, und der Zug bewegte sich schon mit einer ziemlichen<br />

Geschwindigkeit, als der junge Mann ganz pomadig hinaus­<br />

kletterte und noch glücklich unten ankam. Eine gewisse<br />

Verwegenheit ist den Engländern eigen, und doch läuft alles<br />

gut ab, denn sie wissen sehr genau, wie viel sie riskieren<br />

können.<br />

Am andern Morgen hielt der Zug in Moghal Sarai,<br />

gegenüber von Benares, und hier begrüsste mich, wie bereits<br />

erzählt, noch einmal Govind Das und lief, den Colonel Oleott<br />

zu holen, um uns mit einander bekannt zu machen. Die<br />

Scene war nur von kurzer Dauer, denn sie blieben, und ich<br />

musste weiter. Ich warf noch einen verehrungsvollen Blick<br />

auf die heilige Stadt, die sich drüben jenseits des Ganges<br />

im Morgenglanz auftürmte, und einen zweiten weniger ver­<br />

ehrungsvollen auf den gefeierten Häuptling der Theosophisten<br />

und seinen getreuen Adepten, und weiter ging es am süd­<br />

lichen Ufer des Ganges hin, bis wir um drei Uhr nachmit­<br />

tags in Prayäga einliefen, einer Stadt, deren heiliger Name<br />

von den Mohammedanern getilgt und durch das persische<br />

Allahabad ersetzt wurde, ähnlich wie ihre Brüder im Westen<br />

in der Hagia Sophia die Gesichter der Engel auskratzten<br />

und dafür Sterne aufpinselten.<br />

Wir verliessen den Zug und fuhren in Laurie's Hotel.<br />

Eben überlegte ich, was zu tun sei, um hier den mir be­<br />

kannten Professor Thibaut, mit dem ich im Sommer 1866 bei<br />

Weber Qakuntalä gehört, aufzusuchen; da las ich auf der Hotel­<br />

tafel unter anderen Namen auch die Worte: Professor Thibaut<br />

und Familie. Er lebte bis zum Auffinden einer passenden<br />

Wohnung mit seiner Frau und zwei Kindern hier im Hotel,<br />

während er sein Amt als Professor des Sanscrit College in<br />

Allahabad versah. Er lehrte dort als geborener Deutscher<br />

merkwürdigerweise Englisch, während sein prineipal und<br />

philosophischer Berater Gough das Sanskrit vertrat. Beide


186 VII. Von Calcutta nach Bombay.<br />

sind sehr achtbare Forscher auf dem Gebiete der indischen<br />

Philologie, aber ein tieferes Verständnis für die Philo­<br />

sophie der Inder kann ich weder dem einen noch dem an­<br />

dern zusprechen, so sehr sie sich auch beide um dieselbe<br />

bemüht haben. Ihre persönliche Erscheinung war so ver­<br />

schieden wie möglich: Mr. Gough, ein hochgewachsener,<br />

wohlbeleibter Engländer, immer vergnügt, lachend und jovial,<br />

während Thibaut ein ernstes und in sich gekehrtes Wesen<br />

zeigte. Thibaut erzählte mir, dass er täglich vier Stunden<br />

zu unterrichten habe. Hiernach werden, wie es scheint, die<br />

in Indien wirkenden Professoren zwar viel höher bezahlt, aber<br />

auch viel mehr ausgenutzt, als ihre deutschen Kollegen.<br />

Ich beeilte mich, der Familie Thibaut, ehe wir beim<br />

Abendessen im Hotel zusammentrafen, noch meinen Besuch<br />

zu machen, und so setzten wir uns auch zu den Mahlzeiten<br />

an einem isolierten Tische zusammen. Unsere Auffassungen<br />

von Indien waren sehr verschieden. Thibaut segnete die<br />

englische Fremdherrschaft, da durch sie erst Ordnung und<br />

Zustände, mit denen sich leben lasse, ins Land gebracht<br />

worden seien. Auch die Schönheit des Landes fand in ihm<br />

keinen rückhaltlosen Bewunderer. So stehe Indien, meinte<br />

er, darin gegen Europa zurück, dass es zwar Gartenblumen,<br />

aber keine wilden Blumen habe, eine Behauptung, die in<br />

dieser Ausdehnung doch wohl nicht verstanden sein wollte;<br />

denn wo es keine wilden Blumen gibt, woher sollen da die<br />

Gartenblumen kommen? Oder haben vielleicht erst die Eng­<br />

länder diese hereingebracht, sodass die in der altindischen<br />

Poesie so häufigen, vom Himmel herabfallenden Blumen­<br />

regen von irgend einem anderen Planeten herabgekommen<br />

wären? — Noch schwerer wurde es mir, mich mit Mrs.<br />

Thibaut zu verständigen. Wenn wir auf die Eingeborenen<br />

zu sprechen kamen, so äusserte sie sich in so scharfer, weg­<br />

werfender Weise, dass ich auf Grund meiner persönlichen<br />

Erfahrungen nicht umhin konnte, ihr entschiedener entgegen-


Mr. Gough. Besuch von Prayäga. 187<br />

zutreten, als man es sonst einer blossen Vertreterin des<br />

schönen Geschlechts gegenüber zu tun pflegt.<br />

Neben diesen etwas kühlen Berührungen machte sich<br />

die Wärme, mit der die Inder mir auch hier entgegenkamen,<br />

um so mehr fühlbar. Kaum war unsere Ankunft ruchbar ge­<br />

worden, so stellten sich am ersten Abend noch vor Ende<br />

der Table d'hote ein halbes Dutzend Besucher ein, und da<br />

ich übermorgen schon Weiterreisen musste, so wurde für den<br />

folgenden Tag ein sehr reiches Programm entworfen. Der<br />

erste Besuch sollte natürlich der hochheiligen Stätte des Zu­<br />

sammenflusses von Gangä und Yamunä gelten, darauf der<br />

Besichtigung der übrigen Sehenswürdigkeiten, und gegen<br />

Abend sagte ich dann zu, einen Vortrag über die Vedänta-<br />

philosophie zu halten, zu welchem ein junger Advokat,<br />

Roshan Läl, in der Eile Einladungszettel drucken und ver­<br />

breiten Hess, wie er denn auch für alles Weitere zu sorgen<br />

übernahm. Krishna Joshin hinwiederum hatte sich erboten,<br />

uns am andern Morgen früh mit einem Wagen abzuholen,<br />

und so eilig geschah unser Aufbruch, dass ich meine ganze<br />

Barschaft, bestehend in einem fingerdicken Pack von Zehn-<br />

Rupien-Scheinen, unter dem Kopfkissen liegen Hess. Ich Hess<br />

nochmals zurückfahren, angeblich, um meinen Diener Purän,<br />

mehr aber noch, um mein Banknotenpäckchen zu holen und<br />

durch Mitnahme beider beide vor einander in Sicherheit zu<br />

bringen. Purän hatte die Betten schon gemacht, und das<br />

Vermisste lag anscheinend unberührt unterm Kopfkissen. Ich<br />

musste daraus schliessen, dass Purän sehr ehrlich war, oder<br />

dass er seine Betten sehr schlecht zu lüften pflegte. Er­<br />

leichterten Herzens fuhren wir durch die grosse volkreiche<br />

Stadt über die Yamunä und kamen endlich nach Prayäga,<br />

dem „Opferplatz", der auch Triveni heisst, d. h. „die drei­<br />

fache Locke", weil hier drei Flüsse ihre Wasser vereinigen,<br />

die Gangä, die Yamunä und als dritter die nur in der Ein­<br />

bildung bestehende himmlische Gangä. Die letzte vor-


188 VII. Von Calcutta nach Bombay.<br />

springende Landzunge zwischen beiden Flüssen ist zwar un­<br />

bewohnt und unbebaut, hat aber doch nichts von der schauer­<br />

lichen Erhabenheit, wie man sie etwa in Delphi oder am<br />

Herthasee empfinden mag. Die schon öfter erwähnte Nei­<br />

gung der Inder, Religion und Sport zu kombinieren, kommt<br />

auch hier zum Ausdrucke. Eine bunte, fröhliche Menge<br />

tummelt sich zur morgendlichen Badezeit auf Prayäga. Die<br />

einen plätschern lustig im Wasser, die andern trocknen am<br />

Ufer ihre Kleider, plaudern, lachen und scherzen; allerlei<br />

Messbuden sind aufgeschlagen, an Blumen und Süssigkeiten<br />

ist kein Mangel, Bettler und Gaukler drängen sich durch die<br />

festlich gestimmte Menge und halten reichliche Ernte. Wir<br />

nahmen eines der zahlreichen Boote und Hessen uns zu der<br />

Stelle rudern, wo die blauen Wasser der Yamunä mit den<br />

gelben Fluten der Gangä zusammenstossen, um dann in<br />

trüberem Gemische zusammen fortzugleiten. Die fröhlichen<br />

Gruppen am Ufer, die weite sonnebeglänzte indische Land­<br />

schaft, die hochragende Stadt als Abschluss in der Ferne,<br />

das alles wäre ein Schauspiel für Götter gewesen; denn der<br />

Mensch erträgt eine solche Fülle von Eindrücken, wie sie unsere<br />

Reise bot, nicht, ohne zuletzt in etwas abgestumpft zu werden.<br />

Unsern Rückweg nahmen wir über das Fort und be­<br />

sichtigten hier, wie vormals bei Delhi, die berühmte Säule,<br />

welche mit den Edikten des buddhafreundlichen, aber gegen<br />

alle Religionen toleranten Königs Agoka geschmückt ist, an<br />

die sich verschiedene Inschriften aus späterer Zeit anschliessen.<br />

Ganz in der Nähe stiegen wir in ein Gewölbe hinunter, um<br />

den wunderbaren Akshaya Bata, den „unvergänglichen Feigen­<br />

baum" zu beschauen, welcher in einem kellerartigen Räume<br />

unter Ausschluss von Licht und freier Luft wächst und doch<br />

nie abstirbt, unzweifelhaft ein Wunder, — wenn nicht viel­<br />

leicht von Zeit zu Zeit ein wenig nachgeholfen werden sollte.<br />

Der Rest des Vormittags wurde mit Besichtigung der<br />

Stadt und Besuchen ausgefüllt. Gleich nach dem Tiffin nahm


Das Fort. Vortrag in Allahabad. 189<br />

mich eine Anzahl Pandits in Beschlag, bis um vier Uhr Roshan<br />

Läl erschien, um mich zum Thee in seinem Hause abzuholen<br />

und von dort in die Vorlesung zu geleiten. Der geräumige<br />

Saal füllte sich erst allmählich, während ich, auf meinem<br />

Katheder zwischen zwei Kandelabern thronend, mich ruhig<br />

von den Versammelten betrachten Hess und in der Geschwin­<br />

digkeit Anfang, Mitte und Ende meines Vortrags überdachte.<br />

Zur "Vorbereitung hatte ich keine Zeit gehabt, aber der<br />

Gegenstand war mir in seiner allgemeinen Gliederung und<br />

in allen Einzelheiten so vertraut, dass ich mich ruhig der<br />

Gunst des Augenblickes anbefehlen konnte. Diese Hess mich<br />

denn auch nicht im Stiche. Als der Saal sich mit Sitzenden<br />

und Stehenden ganz gefüllt hatte, Hess ich Türen, Fenster<br />

und Läden schliessen und entwickelte mit dem Feuer und<br />

Nachdruck eines Überzeugten den Vedänta in seiner allein<br />

ernst zu nehmenden monistischen Advaita-Form, indem ich,<br />

unbekümmert um die Standpunkte meinet Zuhörer, alle an­<br />

deren Formen, wie denn namentlich auch die theistische,<br />

als empirische Entartungen charakterisierte. Auch hier wurde<br />

mir, nachdem ich geendet, mit echt indischer Naivität die<br />

Bitte unterbreitet, mit Rücksicht auf diejenigen Anwesenden,<br />

welche des Englischen unkundig seien, meinen Vortrag noch<br />

einmal auf Sanskrit zu wiederholen. Ich willfahrte in der<br />

Kürze, und nun begann die Diskussion, welche für den Ernst<br />

und Eifer, mit dem man in Indien die Philosophie treibt, ein<br />

sprechendes und für Europa beschämendes Zeugnis ablegte.<br />

Die einen sprachen Englisch, die anderen Sanskrit, noch<br />

andere Hindi. Neben zustimmenden Äusserungen stiess ich<br />

auch auf ernsten Widerspruch, namentlich von Seiten derer,<br />

welche sich an einem unpersönlichen Brahman nicht genügen<br />

lassen und seine Personifikation als Igvara nicht als blosse<br />

Akkomodation an das auf empirische Anschauungen be­<br />

schränkte menschliche Erkenntnisvermögen gelten lassen<br />

wollten. Ihnen wurde wiederum von anderen widersprochen,


190 VII. Von Calcutta nach Bombay.<br />

und so wogte der Kampf der Meinungen hin und her, bis<br />

sich schliesslich alles vereinigte in dem begeisterten Aus­<br />

drucke des Dankes für die gewährte Belehrung. Ein Redner<br />

überbot sich in Lobpreisungen und fasste alles zusammen<br />

in den Schlussworten: dhanyo 'si, dhanyo 'si, dhanyo 'si!<br />

d. h. „du bist ein glückseliger Mann". Ein anderer, in<br />

englischer Sprache, kam auf meine nahe bei mir sitzende<br />

Frau zu sprechen, stellte mich als Ideal der Männer und<br />

meine Frau als Muster der Frauen hin und verstieg sich<br />

bis zu dem Wunsche: „Möchten alle indischen Männer dem<br />

Professor Deussen, und alle indischen Frauen der Frau<br />

Deussen gleichen!" — Nun war es denn doch Zeit aufzubrechen.<br />

Man geleitete uns im Triumphe in unser Hotel, und wir<br />

gingen zu Bette mit dem Bewusstsein, einen reichen Tag<br />

durchlebt zu haben.<br />

Ich hatte den Wunsch geäussert, indische Musik zu<br />

hören. Diesem willfahrte Krishna Joshin, indem er am<br />

nächsten Morgen ein kleines Konzert für uns veranstaltete.<br />

Früh morgens holte er uns mit seinem Sohne im Hotel ab.<br />

Unterwegs gab es manches zu sehen und zu erklären. So<br />

war da eine aus freiwilligen Beiträgen errichtete und unter­<br />

haltene geräumige Lesehalle, in der jeder ohne Entgelt vom<br />

Morgen bis zum Abend Bücher, Zeitschriften und Zeitungen<br />

lesen durfte. Ich konnte nicht umhin, über das ganze<br />

Institut meine höchste Anerkennung auszusprechen und trug<br />

gern eine entsprechende Sanskritnotiz in das mir vorgelegte<br />

Fremdenbuch ein. Wir kamen zu unseren Musikern, die<br />

sich im Freien an einem schattigen Orte gelagert hatten<br />

und nach unserer Ankunft verschiedene Stücke zum besten<br />

gaben. Über den Eindruck der indischen Musik wollen<br />

wir dem früher Gesagten nur noch hinzufügen, dass sie bei<br />

jedem neuen Anhören an Reiz gewinnt. Die Art, wie die<br />

ohne harmonische Begleitung nur vom Rhythmus gezügelte<br />

Melodie vom Grundton rasch bis zur Septime und Oktave


Eine Lesehalle. Indische Musik. Abschied. 191<br />

ansteigt und dort wie ein vom Springbrunnen empor ge­<br />

triebener Ball sich in leidenschaftlichen Molltönen hin und<br />

herwiegt, bis sie endlich wieder melodisch herabsinkt, dieses<br />

Gaukelspiel hat etwas in sich, was bis in die innerste<br />

Seele dringt. Besonderes Interesse erregte auch die ge­<br />

nauere Besichtigung und Erklärung der Instrumente; es sind<br />

teils Streichinstrumente wie die Vinä, zur Wiedergabe der<br />

Melodie, teils paukenartige Instrumente, wie z. B. der<br />

Mirdanga, welche als Träger des Rhythmus dienen.<br />

Den Rest des Morgens benutzten wir, um eine Schule<br />

zu besuchen, in der speziell der Rigveda gelehrt wurde.<br />

Sie lag in einer schmutzigen und verwahrlosten Gegend<br />

der Eingeborenenstadt und hatte äusserlich wenig Anziehendes.<br />

Um so interessanter war es mir, einmal den in Indien stark<br />

in den Hintergrund getretenen Rigveda von den Schülern<br />

recitieren zu hören. Sie taten dies, indem sie auch die<br />

Accente durch Bewegungen mit der Hand genau markierten.<br />

Ungern schieden wir von Allahabad, einem Orte, wo<br />

indische Wärme und europäische Kühle so unmittelbar<br />

neben einander uns fühlbar geworden waren. Herzerfreuend<br />

war noch die letzte halbe Stunde am Bahnhofe, wo sich<br />

ein grösserer Kreis der gestern gewonnenen Freunde ein­<br />

gefunden hatte. Ich sage Freunde, denn wenn auch unsere<br />

Bekanntschaft erst von vorgestern her war, so verkehrten<br />

wir doch und schieden schliesslich von einander mit einer<br />

Herzlichkeit, als hätten wir uns schon seit Jahren gekannt.<br />

Von Allahabad an verliess der Zug das Gangestal und<br />

strebte dem Süden Indiens zu, um nach einer weiteren Fahrt von<br />

vierzig Stunden in Bombay einzulaufen. Aber wir konnten<br />

uns nicht entschliessen, dorthin zurückzukehren, ohne vorher<br />

einen Ort besucht zu haben, der ziemlich weit von der<br />

grossen Verkehrsstrasse abseits liegt und daher fast nie<br />

von Europäern aufgesucht wird, obgleich er einen Besuch


192 VII. Von Calcutta nach Bombay.<br />

in erster Linie verdient. Es ist das die oben im Vindhya-<br />

gebirge gelegene alte Königsstadt Ujjayint, die Vaterstadt<br />

Kälidäsa's, des grössten indischen Dichters. Sein Geist<br />

schien uns die Worte des Meghadüta zuzurufen:<br />

Wenn du such nordwärts strebend nicht magst weilen,<br />

So lass dich doch den Umweg nicht verdriessen,<br />

Ujjayini's Palästen zuzueilen<br />

Und ihrer Dächer Freundschaft zu geniessen.<br />

Unser Ziel war allerdings noch nicht die nordische<br />

Heimat, sondern zunächst Bombay und der Süden Indiens,<br />

aber gerade darum mussten wir ein gutes Stück auf einer<br />

Nebenlinie den Vindhya hinauf nach Norden zurückfahren,<br />

wollten wir auch einmal in dem Dunstkreise der Stadt ver­<br />

weilen, welche in alten Zeiten eine von Kälidäsa in so<br />

glühenden Farben beschriebene Herrlichkeit gehabt haben<br />

muss. Nach einer Eisenbahnfahrt von zwanzig Stunden ge­<br />

langten wir von Allahabad nach Khandwa, welches ungefähr<br />

gleich weit von Allahabad und Bombay entfernt liegt,<br />

und von wo die schmalspurige Vindhyabahn nach Norden<br />

abzweigt. Hier verliessen wir gegen Mittag den Bombayer<br />

Zug und nahmen zunächst in der Bahnhofshalle das Tiffin<br />

ein, konnten aber nur mit Mühe etwas geniessen; so gross<br />

war hier, zwanzig Eisenbahnstunden südlicher als Allahabad,<br />

bereits die Hitze. Wir trösteten uns damit, bald wieder<br />

nach Norden und ins kühlere Hochgebirge zu kommen,<br />

bestiegen einen etwas engen, aber dafür auch während der<br />

ganzen Fahrt uns allein verbleibenden Wagen der Sekundär­<br />

bahn und rollten nordwärts. Höchst malerisch präsentierte<br />

sich beim Überschreiten die am Südabhange des Viiidhya-<br />

gebirges hinströmende Narmadä, indem sie durch' vor­<br />

springende Felspartien und Geröll ihren Weg suchte, bald<br />

ihre ungestümen Fluten zur Umgehung der Hindernisse zer­<br />

teilend, bald sie wieder zur Einheit zusammenleitend, daher<br />

sie mit Recht von Kälidäsa „der Malerei (bhüti), welche


Über die Narmadä. Indore. 193<br />

man durch Einteilung von Feldern (bhakti-chedais) auf dem<br />

Rüssel des Elefanten anbringt," (Meghadüta 19) verglichen wird.<br />

Weiter ging es in gemächlicher Steigung den Vindhya hinan, bis<br />

wir gegen Abend die GarnisonstadtMhow und bald darauf Indore,<br />

die Residenz des Holkar, erreichten, um hier zu übernachten.<br />

Ein Hotel ist in Indore nicht vorhanden. Das Dak<br />

Bungalow Hegt ziemlich weit von der Bahn. Unter diesen<br />

Umständen zogen wir es vor, das Ladies Waiting Room des<br />

Bahnhofs zu beziehen und dort unsere Reisebetten ausbreiten<br />

zu lassen. Leider war aber ein Büffet mit dem Bahnhofe<br />

nicht verbunden, sodass wir zum Abendessen doch den<br />

weiten Weg nach dem Dak Bungalow unter Führung eines<br />

Knaben hin und her zurücklegten. Weniger unbequem war<br />

die Sache am andern Morgen, wo wir die Besichtigung der<br />

Stadt mit dem Frühstück im Dak Bungalow verbinden<br />

konnten. Wir machten dort die Bekanntschaft eines Hand­<br />

lungsreisenden, eines jungen Parsi, der mit der Ungeniertheit,<br />

welche die Parsis so merklich von den Hindus unterscheidet,<br />

uns zumutete, ihm nach unserer Rückkehr einen German<br />

Primär (Elementarbuch des Deutschen für Engländer) zu<br />

schicken. Wir begnügten uns, ihm einige Titel anzugeben<br />

und verwiesen ihn im übrigen an die Buchhändler.<br />

Eine flüchtige Besichtigung der Stadt, des Marktplatzes<br />

nebst dem blauen Palaste, des Lal Bagh, eines öffentlichen<br />

Gartens mit wilden Tieren, füllte den Vormittag aus. Im<br />

Vorbeigehen sah ich etwas, was mir aus indischen Märchen<br />

wohl bekannt, aber in Wirklichkeit noch nie vorgekommen, näm­<br />

lich den Kampf zweier Widder gegen einander. Wie auf Ver­<br />

abredung erhoben sich die Tiere gleichzeitig auf die Hinter­<br />

beine und Hessen ihre Köpfe mit solcher Heftigkeit gegen<br />

einander prallen, dass sie wohl nur durch die grosse Dicke<br />

ihrer Schädel vor Schaden bewahrt blieben. Dies wieder­<br />

holten sie fort und fort ganz phlegmatisch und ohne eine Spur<br />

von Gemütsbewegung, als sei es ihnen ein angenehmer Sport.<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 1.5


194 VII. Von Calcutta nach Bombay.<br />

Um zehn Uhr verliessen wir Indore, stiegen auf der<br />

nächsten Station um und gelangten so endlich auf einer<br />

Zweigbahn der Zweigbahn bald nach Mittag nach Ujjayini.<br />

Der kleine Bahnhof sowie, ganz in seiner Nähe, das Dak<br />

Bungalow liegen ausserhalb der Stadt. Nicht eine halbe<br />

Minute weit davon liegt das heutige Ujjayini, umgeben von<br />

einer gut erhaltenen zierlichen Mauer mit Türmchen, Zinnen<br />

und Toren, aus dem Mittelalter stammend. Ujjayini hat<br />

33 000 Einwohner, beherbergt aber nur drei europäische<br />

Familien, die des Gouverneurs, des Steuererhebers und eines<br />

Ingenieurs, ist also eine durch und durch indische Stadt<br />

geblieben, ohne Hotels und ohne jeden europäischen Kom­<br />

fort. Da es hier auf dem Gebirge nicht so heiss ist wie in<br />

der Ebene, so unternahmen wir, um unsere erste Neugierde<br />

zu befriedigen, auf gut Glück eine Wanderung durch die<br />

Hauptstrasse vom nördlichen Tore neben dem Bahnhof und<br />

Dak Bungalow bis zum südlichen hin. Da wir niemand<br />

kannten und auch keine Empfehlungsbriefe hatten, so fragten<br />

wir uns nach dem College durch und verlangten den Vor­<br />

steher zu sprechen. Wir wurden etwas kühl empfangen,<br />

aber ich hatte nun schon einige Übung darin, den Weg zum<br />

Herzen der Inder zu finden. Bald wurde auch der eine<br />

oder andere Sanskritkundige herbeigeholt, und in einer<br />

halben Stunde war eine ganze Gesellschaft beisammen und<br />

die Unterhaltung im besten Fluss. Es wurde verabredet,<br />

gegen Abend im Dak Bungalow zusammenzutreffen; unter­<br />

dessen sollte ein jüngerer Lehrer uns einiges von der Stadt<br />

zeigen. Unser erster Besuch galt dem ganz in der Nähe<br />

befindlichen, weithin leuchtenden Mahäkäla-Tempel, der<br />

zwar nicht mehr der von Kälidäsa gefeierte und später<br />

zerstörte sein kann, aber auf derselben Stelle wie der alte<br />

errichtet sein soll. Man habe, so hiess es, in alten Auf­<br />

zeichnungen die Maasse noch vorgefunden und sich genau<br />

nach diesen gerichtet. In der Tat wird das turmartig auf-


Ujjayini. Die Qiprä. Eine Sitzung im Dak Bungalow. 195<br />

steigende Bauwerk gekrönt von einem Bilde des Civa mit<br />

einem Wald von Armen, ähnlich wie es Kälidäsa beschreibt.<br />

Sollte der Tempel wirklich auf der Stelle des alten stehen,<br />

so muss er, vielleicht durch Gärten getrennt, über eine halbe<br />

Stunde südlich von der Stadt gelegen haben; denn das alte<br />

Ujjayini lag, wie wir noch sehen werden, nicht auf der Stelle<br />

der jetzigen Stadt, sondern über eine halbe Stunde weiter<br />

nach Norden. In das unterirdische Innere des Tempels<br />

wollte man uns nicht einlassen, versicherte aber, dass dort<br />

nichts zu sehen sei als ein grosses steinernes Lihgam als<br />

Symbol des Civa. Nicht weit vom Tempel und an der<br />

neuen Stadt wie auch an der alten vorüber strömt die viel­<br />

gepriesene Ciprä. Sie war auch im Februar noch ein statt­<br />

liches Wasser, so breit wie die Mosel bei Koblenz, aber<br />

nicht sehr tief, da wir sie am folgenden Tage auf dem Ele­<br />

fanten durchwateten. Eine Brücke erinnere ich mich nicht<br />

gesehen zu haben; weiter unten, bei Alt-Ujjayini, kann man<br />

sich mittels einer Fähre übersetzen lassen. Wir wanderten<br />

nun zwischen Fluss und Stadt auf der Höhe hin und ge­<br />

langten mit Einbruch der Dämmerung glücklich in unser<br />

Bungalow. Dort waren schon unsere Bekannten von vorhin<br />

und einige mehr eingetroffen. Zum Glück waren keine<br />

Logiergäste ausser uns vorhanden. So konnte das eine der<br />

beiden Zimmer des einstöckigen Hauses zu unserem Schlaf­<br />

zimmer eingerichtet werden, während wir im andern unsere<br />

Gäste empfingen. Eine Bewirtung derselben ist in Indien,<br />

wo jeder nur mit seiner Kaste isst und trinkt, nicht möglich;<br />

hingegen sprachen sie meinen Cigarren gern und fleissig zu.<br />

Ich bestellte das Abendessen; da stellte sich heraus, dass<br />

es zwar dabei die üblichen Pfannkuchen, hingegen kein Brot<br />

geben werde. Meine Frau bestand darauf, sie könne dieses<br />

Zeug nicht essen und müsse Brot haben. Ich befahl, in der<br />

Stadt welches zu holen. Verlorene Mühe! In der Stadt, wie<br />

man mir von allen Seiten versicherte, gibt es kein Brot. „Wenn<br />

13*


196 VII. Von Calcutta nach Bombay.<br />

Sie Brot haben wollen", bemerkte ein kluger Kopf, „so müssen<br />

Sie nach Indore schreiben, dann kann es morgen noch ein­<br />

treffen." Ein anderer schlug vor, an den Gouverneur zu<br />

schreiben und ihn um ein Brot zu bitten. „Ich kenne den<br />

Gouverneur nicht", sagte ich, „und habe keine Empfehlung<br />

an ihn." — „Das tut nichts", hiess es, „als Europäer sind<br />

Sie schon genugsam empfohlen. Und wie wollen Sie ohne<br />

den Gouverneur die Stadt und Umgebung besehen?" —<br />

„Ich werde einen Wagen nehmen und mich herumfahren<br />

lassen." — „Einen Wagen? In Ujjayini gibt es nur Ochsen­<br />

karren." — „Nein", fuhr der Erfahrenste fort zu sprechen,<br />

„folgen Sie meinem Rat, schreiben Sie an Sir Michel Filose,<br />

den Gouverneur, und bitten Sie ihn, dass er Ihnen für<br />

morgen einen Führer und ein Vehikel stellt; er wird Ihnen<br />

dann voraussichtlich einen Elefanten schicken. Der Gouver­<br />

neur wohnt zwanzig Minuten von hier; in einer Stunde kann<br />

der Bote mit der Antwort zurück sein."<br />

Der Rat schien gut, und ich schrieb in dem entsprechen­<br />

den Sinne und fügte die Bitte hinzu, uns etwas Brot zu<br />

schicken. Die Antwort war die denkbar liebenswürdigste.<br />

Morgen um sieben Uhr solle ein Elefant wie auch ein orts­<br />

kundiger Führer an unserer Tür sein. Wir möchten aber<br />

lieber, um alles zu sehen, zwei Tage bleiben und übermorgen<br />

Abend seine, des Gouverneurs, Gäste sein. Ein Wagen<br />

werde uns zur rechten Zeit abholen. Zugleich überbrachte<br />

der Bote ein Brot nebst einem zierlichen Arrangement von<br />

Butter und Früchten.<br />

Pünktlich um 7 Uhr morgens stand vor unserer Tür ein<br />

stattlicher Elefant nebst seinem Lenker. Zugleich aber hatte<br />

der Gouverneur einen seiner Sekretäre als Führer für uns<br />

bestimmt. Er hiess Abdul, war über alles sehr wohl unter­<br />

richtet und für einen Mohammedaner ausserordentlich be­<br />

scheiden und taktvoll. Viel weniger gefiel uns Vinäyaka, der<br />

junge Hindulehrer, der uns gestern geführt hatte, und dem


Freundlichkeit des Gouverneurs. Alt-Ujjayini. 197<br />

wir, um ihm eine Freude zu machen, einen leeren Sitz neben<br />

uns auf dem Elefanten anboten. Wiederholt begegneten uns<br />

kleine Mädchen und auch alte Weiber, welche sich mehr<br />

oder weniger tief verneigten, mitunter sogar platt auf den<br />

Boden warfen. „Diese Verehrung", sagte Vinäyaka, „gilt<br />

nicht Ihnen, sondern dem Elefanten. Dieses dumme Volk ist<br />

dazu abgerichtet worden, vor jedem Bilde des Ganega, des<br />

Gottes mit dem Elefantenkopfe, seine Verehrung zu bezeigen.<br />

Kommt ihnen nun einmal ein wirklicher Elefant zu Gesicht,<br />

der in unserer Stadt eine ziemlich seltene Erscheinung ist,<br />

so machen sie auch vor ihm mechanisch und ohne sich da­<br />

bei viel zu denken ihre Reverenz."<br />

Unser erster und wichtigster Ritt galt natürlich der<br />

Stätte des alten Ujjayini. Dasselbe Hegt eine halbe Stunde<br />

nördlich von der heutigen Stadt gleichfalls an der Ciprä, da<br />

wo sie sich in einem prachtvollen Bogen nach Nordosten<br />

hinwendet und ein hügeliges Gelände umströmt, auf dem<br />

die alte Stadt lag. Sehr deutlich sieht man noch heute an<br />

und auf den Hügeln lange gerade Linien sich hinziehen,<br />

welche wohl Spuren der ehemaligen Strassen sind. „Bei<br />

jedem Regengusse", sagte Abdul, „spült das herabströmende<br />

Wasser Münzen und andere Reliquien der alten Stadt los.<br />

Ausgrabungen würden im höchsten Grade lohnend sein, aber<br />

der Holkar von Indore, dem das Land gehört, interessiert sich<br />

nicht dafür". „Warum", so fragte ich, „hat man die so schön<br />

gelegene alte Stadt aufgegeben und sich weiter südlich im<br />

flachen Lande angesiedelt?" — „Man weiss es nicht," ver­<br />

setzte Abdul, „die einen meinen, es sei in Folge einer Pest<br />

geschehen, die andern behaupten, ein Erdbeben habe die<br />

alte Stadt zerstört." — „Ist gar nichts mehr davon übrig?" —<br />

„Nur noch ein einziges Haus. Sie werden es nachher sehen.<br />

Das Volk nennt es das Haus des Dichters Bhartrihari". —<br />

„Aber was ist denn das," rief ich, „was bedeuten alle diese<br />

aus Steinen zierlich geschichteten kleinen Denkmäler, und


198 VII. Von Calcutta nach Bombay,<br />

was die niedlichen Füsschen, die jedem derselben einge-<br />

meisselt sind?" — „Diese Denkmäler bezeichnen die Stelle,<br />

wo eine Witwe sich lebend mit ihrem verstorbenen Gatten<br />

hat verbrennen lassen." — „Also eine Satt," ergänzte ich,<br />

„oder, wie der Engländer in seinem Jargon sagt, eine Suttee."—<br />

Das Wort satt bedeutet, wie schon oben bemerkt wurde,<br />

„die Seiende", „die Gute", d. h. die Frau, welche ihrem Gatten<br />

in den Tod folgt, dann auch den Akt der Witwenverbrennung und<br />

endlich die Stelle, wo einesolche Verbrennung stattgefunden hat.<br />

Wir wanderten weiter fort über die Stätte des alten<br />

Ujjayini, und überall bemerkten wir durch die mit Rasen und<br />

Buschwerk überdeckte Bodenfläche hindurch eigentümliche<br />

Bildungen, welche für künftige Ausgrabungen ein lohnendes<br />

Objekt sein werden und einstweilen der kombinierenden<br />

Phantasie viele Unterhaltung boten. Wir gelangten zu einer<br />

Anhöhe mit schönem Blick auf die in der Tiefe unten dahin-<br />

fliessende Ciprä, und hier oben stand das einzige, irgend<br />

einem Zufalle seine Erhaltung verdankende Haus der alten<br />

Stadt, heute ohne erkennbaren Grund das Haus des Bhar-<br />

trihari genannt. Es mochte einer jener von Kälidäsa ge­<br />

feierten Paläste gewesen sein mit flachem Dach, mit ge­<br />

räumigem Hofe, aussichtsreichen Terrassen, das Ganze durch<br />

eine wohl erhaltene Mauer nach aussen hin abgeschlossen und<br />

verwahrt. Wir traten in den Hofraum durch ein Tor, dessen<br />

oberen Abschluss ein mächtiger Stein bildete. Ein durch­<br />

wachsender Baum hatte ihn in der Mitte gesprengt, aber die<br />

beiden Stücke lehnten gegen einander und schützten sich so<br />

gegenseitig vor dem Herabfallen. Vom Hofe aus eröffnete<br />

sich eine herrliche Aussicht auf die in der Tiefe strömende<br />

Qiprä und das jenseitige Land. Nach der bevorzugten Lage<br />

durften wir schliessen, dass das erhaltene Haus eines der<br />

vornehmsten der Stadt gewesen sein muss. Dem entsprach<br />

auch sein Aufbau in mehreren, teilweise erhaltenen Etagen,<br />

von denen die eine, durch eindringende Erdmassen ver-


Das Haus des Bhartrihari. Unser Elefant. 199<br />

schlämmt, einen kellerartigen Eindruck macht, während die<br />

darüberliegende einen Begriff der vornehmen Wohnungen im<br />

alten Indien geben kann. Das ganze Stockwerk stellte sich<br />

dar als eine einzige sehr lange und breite, aber sehr niedrige<br />

Halle. Zahlreiche zierlich in Stein gehauene Säulen von<br />

wenig mehr als Mannshöhe trugen die Decke. Man konnte<br />

in aufrechter Haltung darunter stehen und gehen. Vielleicht<br />

bezweckten diese niedrigen Zimmerdecken ein besseres Fest­<br />

halten der Kühle. Das Ganze erinnerte mich an das gleich­<br />

falls ziemlich alte Haus in Mahävan bei Mathurä, in welchem<br />

der junge Krishna erzogen worden sein soll. Auch hier wird<br />

das sehr niedrige Plafond von Säulen getragen, an deren<br />

eine der junge Gott von seiner Pflegemutter angebunden<br />

wurde, als er unartig war.<br />

Die höhersteigende Sonne mahnte zum Aufbruch. Wir<br />

bestiegen unsern Elefanten, verliessen die jetzt so verein­<br />

samten Stätten einer grossen Vergangenheit und gelangten<br />

durch wohlangebaute Felder zurück zur Neustadt, deren<br />

Strassen jetzt so belebt waren, dass kaum durchzukommen<br />

war. Der Elefant schien gewohnt zu sein, dass ihm alles<br />

auswich. Er ging ungestört seinen bedächtigen Schritt<br />

weiter und verschmähte es nicht, von den vorüberfahrenden<br />

Wagen aus der Höhe herab einen Tribut für sich zu nehmen.<br />

Schliesslich holte er von einem mit Rohrbündeln beladenen<br />

Karren, der eben vorbeifuhr, mit seinem Rüssel eine ganze<br />

Garbe herunter, welche er quer im Rüssel behielt, sodass<br />

ein grosser Teil der Strasse dadurch gesperrt wurde.<br />

„Was will er nur damit machen?" fragte ich Abdul.<br />

„Sie werden es sogleich sehen," sagte er, und wirklich<br />

machte sich der Elefant daran, während des Weitermarsches<br />

mit Rüssel und Mund das Bündel zu lösen und ein Rohr<br />

nach dem anderen behaglich zu verspeisen. Beim Mar­<br />

schieren beobachtete der Elefant stets grosse Vorsicht. Als<br />

er mit uns durch die Qiprä watete, tat er keinen Schritt,


200 VII. Von Calcutta nach Bombay.<br />

ohne sich vorher durch Tasten des Bodens unter dem<br />

Wasser zu versichern. In einer wenig bebauten Gegend<br />

der Stadt hatten wir einige Teiche besucht, von denen noch<br />

heute einer den Namen Gandhavatt, wie bei Kälidäsa, trägt,<br />

und wollten von hier quer durch eine Niederung den Hügel<br />

in der Mitte der Stadt ersteigen, der eine Rundsicht nach<br />

allen Seiten gewährt. Der Führer lenkte den Elefanten quer<br />

über die Wiese, als dieser nach dem ersten Schritt mit<br />

seiner Tatze einen halben Meter tief einsank. Schnell be­<br />

freite er sich aus dieser gefährlichen Lage, und wir be­<br />

wunderten und belachten alle das riesige Loch, welches der<br />

eine Elefantentritt geschaffen hatte.<br />

So "genossen wir zwei Tage lang von der Höhe unseres<br />

Elefanten herab und in der angenehmen Gesellschaft Abdul's<br />

die alte Königsstadt und ihre Umgebung, besichtigten das<br />

in früherer Zeit hoch berühmte Observatorium, von dem nur<br />

noch die Mauern erhalten sind, besuchten Kalideh mit seiner<br />

Wasserleitung und den Resten palastartiger Bauten und<br />

kehrten am Nachmittag des zweiten Tages sehr befriedigt<br />

zurück, um uns zum Diner bei Sir Michel Filose anzukleiden.<br />

Pünktlich holte uns der Wagen ab und führte uns zu dem<br />

fern von der Stadt liegenden Landhause des Gouverneurs.<br />

Dieser war von Geburt ein Italiener, aber völlig anglisiert,<br />

sodass er mit seiner imposanten Gestalt und seinen weissen<br />

Haaren sich in nichts von einem alten englischen Gentleman<br />

unterschied. Es waren einige erwachsene Töchter und<br />

Verwandte des Hauses zugegen, dazu ein katholischer<br />

Geistlicher, Padre Pio, welcher mit Plänen herumreiste, um<br />

Propaganda für den Bau einer katholischen Kirche in<br />

Gwalior zu machen. Wir gingen zu Tisch; der Pater sprach<br />

das Gebet; ich bemerkte, wie im Hause ein strenger<br />

Katholicismus herrschte. Meine Tischnachbarin war unlängst<br />

aus Italien zurückgekehrt; ich sprach mit ihr italienisch und<br />

fühlte, wie ihr das wohltat. Denn in der Familie Filose,


Diner beim Gouverneur. Padre Pio. Abdul. 201<br />

die schon seit Generationen in Indien lebte, schien der<br />

Gebrauch des Italienischen schon ziemlich ausgestorben zu<br />

sein. Die Unterhaltung war lebhaft, die Stimmung die<br />

denkbar beste. So standen wir nach Tische noch in<br />

animiertem Gespräche, als der Pater anfing sich zu verab­<br />

schieden, da er mit dem Nachtzuge nach Gwalior wollte.<br />

Um dem Wagen des Gouverneurs nicht zweimal die weite<br />

Fahrt zuzumuten, beschloss ich gleichfalls aufzubrechen und<br />

sprach eben zum Gouverneur ein paar freundliche Abschieds­<br />

worte, als plötzlich die ganze Gesellschaft auf die Kniee<br />

sank. Betroffen trat ich zurück und sah im Hintergrunde<br />

stehend respektvoll zu, wie der Pater den Anwesenden den<br />

Segen erteilte. Wir verabschiedeten uns mit herzlichem<br />

Danke für alle uns erwiesene Freundlichkeit und fuhren mit<br />

Padre Pio zum Bungalow, wo er, da bis zur Abfahrt des<br />

Zuges noch über eine Stunde Zeit war, mir an den mit­<br />

geführten Plänen seinen Kirchenbau erläuterte, auch gern eine<br />

Cigarre sowie eine zweite mit mir rauchte. Mein freund­<br />

liches Zureden, einige Cigarren mit auf den Weg zu nehmen,<br />

lehnte er dankend ab. Als man den Zug in der Ferne<br />

hörte, ging er zum Bahnhof hinüber, und wir legten uns schlafen.<br />

Wir hatten unsere Abfahrt auf zehn Uhr des andern<br />

Morgens festgesetzt. Mehrere Bekannte waren an der Bahn,<br />

auch Abdul, der mir noch dies und jenes von seinen Kurio­<br />

sitäten zeigen wollte. Er hatte uns diese Tage geführt und<br />

sehr artig behandelt. Da ich nicht wagte ihm Geld anzu­<br />

bieten, so schenkte ich ihm einen kleinen Taschenatlas, wie<br />

man sie in London in gefälligster Ausstattung für 2l/2 Shilling<br />

kauft. Selten habe ich einen Menschen sich mehr freuen<br />

sehen, als Abdul über dieses kleine Geschenk, welches frei­<br />

lich in Ujjayini eine grosse Seltenheit sein mochte.<br />

Nun folgte eine lange Fahrt von Ujjayini bis Bombay,<br />

welche mit geringen Ruhepausen den Tag, die Nacht und<br />

noch den ganzen folgenden Tag bis zum Abend in Anspruch


202 VII. Von Calcutta nach Bombay.<br />

nahm. Wieder ging es an Indore vorbei den Vindhya<br />

herunter über die Narmadä nach Khandwa, wo wir den Nacht­<br />

zug bestiegen, am andern Morgen das berühmte Nasik vor­<br />

überfahrend grüssten und gegen Nachmittag in das höchst<br />

romantische Bergland der westlichen Ghatta's gelangten,<br />

welche aus imposanten Gebirgsmassen bestehen, die dem<br />

Hochplateau von Dekhan an dessen Westrande gleich wie<br />

Mauerzinnen aufgesetzt sind. Von diesen Höhen nach Bom­<br />

bay herunter zu kommen ist für die Bahn keine leichte Arbeit.<br />

Da gibt es Kehren, an welchen der Zug im Zickzack vor­<br />

wärts und rückwärts läuft, da fehlt es nicht an Tunnels,<br />

Brücken und kühnen Windungen, alles dies mit herrlichen<br />

Aussichten auf das Gebirge und auf Ebene und Meer in der<br />

Tiefe. Um 9 Uhr abends liefen wir nach einer herrlichen<br />

Rundreise von mehr als zwei Monaten in Bombay ein, wo<br />

uns niemand erwartete. Wir nahmen einen Wagen, der, wie<br />

alles in Bombay, merklich eleganter und besser war, als man<br />

es in Calcutta zu finden pflegt, und fuhren direkt zu Tri-<br />

bhuvandäs, dem wir versprochen hatten, seinen Cosmopolitan<br />

Club dadurch in die Mode zu bringen, dass wir in demselben<br />

Wohnung nahmen. Da noch nichts vorgesehen war, so<br />

brachte er uns für die erste Nacht in einem bescheidenen<br />

Zimmer seines prächtigen Palastes unter.<br />

Von seinem Vater Sir Mangaldäs, einem Manne von be­<br />

deutenden und anerkannten Verdiensten, hatte Tribhuvandäs,<br />

wenn auch nicht dessen Verstand, so doch seinen Reichtum<br />

geerbt und war als echter Vaicya bemüht, denselben beständig<br />

zu mehren. Er war sehr dienstbeflissen und gutmütig, und<br />

seine nicht geringe Eitelkeit fühlte sich auch darin noch ge­<br />

schmeichelt, wenn man ihn zur Zielscheibe des Witzes nahm,<br />

wozu er nur zu viel Anlass bot. Er besass nördlich von der<br />

Stadt in Girgaum Road ein palastartiges Haus mit herrlichem<br />

Garten, in welchem Lotosblumen, Betelpflanzen und mancher­<br />

lei seltene Gewächse zu finden waren. Im Hintergrunde des


Seite 202.<br />

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Ankunft in Bombay. Der Cosmopolitan Club. 203<br />

geräumigen Gartens war ein zweites Haus, in welchem un­<br />

sere Freunde, die vier Brüder Nazar, zur Miete wohnten.<br />

Durch sie wurden wir mit Tribhuvandäs bekannt und haben<br />

manchen köstlichen Abend mit ihm und seiner Familie in<br />

der kühlen, geräumigen Vorhalle seines Palastes unter Plaudern,<br />

Scherzen und Musizieren zugebracht. Auch das grosse Grund­<br />

stück gegenüber auf der anderen Seite von Girgaum Road ge­<br />

hörte Tribhuvandäs. Hier hatte er in einer verschämten Ecke<br />

eine Schnapsbude für Arbeiter angelegt, während er in dem<br />

geräumigen Hauptgebäude seine Lieblingsschöpfung, den<br />

Cosmopolitan Club, begründet hatte. Dieser sollte, wie schon<br />

der Name besagt, den Bedürfnissen aller Nationen entgegen­<br />

kommen. Hier konnte man vegetarisch auf Hinduweise oder<br />

auch europäisch mit Fleisch und geistigen Getränken bedient<br />

werden, und eine Gesellschaft dem europäischen Komfort zu­<br />

neigender Inder fand sich bei den täglichen Mahlzeiten hier<br />

zusammen. Eifrigst strebte Tribhuvandäs danach, auch ein­<br />

mal Europäer in seinem Klub zu beherbergen, und so Hessen<br />

wir uns dazu einfangen, teils um unsere Freunde bei der Hand<br />

zu haben, teils um dem indischen Volksleben etwas näher zu<br />

treten, als es von der Terrasse des Esplanadehotels aus mög­<br />

lich gewesen war. Die Zimmer konnten wir nach Belieben<br />

wählen und wechseln. Bei der Einfachheit ihrer Ausstattung<br />

waren sie mit drei Rupien täglich für uns beide reichlich be­<br />

zahlt. Dafür konnten wir uns in den weiten, leeren Räumen<br />

des ersten Stockes nach Herzenslust ausbreiten und genossen<br />

eine für Bombay seltene Ruhe. Diese war uns in der Tat<br />

jetzt sehr erwünscht, denn ich hatte dem ehrwürdigen und<br />

liebenswerten Javeriläl Umiagankar, dem Sekretär der Asiatic<br />

Society, versprochen, in dieser am 25. Februar einen Vortrag<br />

zu halten, und ich beschloss, denselben gleichzeitig im Druck<br />

erscheinen zu lassen und zu einem kleinen Vermächtnisse für<br />

Indien zu gestalten. In der Tat hat er dort seine Wirkung<br />

getan, da er nicht nur in englischer Sprache als Broschüre


204 VII. Von Calcutta nach Bombay.<br />

und durch vollständige Wiedergabe in den Hauptzeitungen,<br />

sondern auch durch Übersetzung in das Mahratti, Guzerati,<br />

Bengali und vielleicht noch andere indische Dialekte eine<br />

grosse Verbreitung gefunden hat. In der Einleitung warf ich<br />

einen kurzen Blick auf den gegenwärtigen Zustand der<br />

Philosophie in Indien und entwarf dann in gedrängten Zügen<br />

ein Bild der allein ernst zu nehmenden und konsequenten<br />

Philosophie Indiens, der Advaita-Lehre der ältesten Upani-<br />

shads und ihres grossen Interpreten Caiikara (geboren 788,<br />

gerade tausend Jahre vor dem ihm geistig so nahe verwandten<br />

Schopenhauer). Ich versäumte nicht, auf die tiefe innere<br />

Übereinstimmung dieser Lehre nicht nur mit der kantisch-<br />

schopenhaüer'schen Philosophie, sondern auch mit dem<br />

Piatonismus und den Grundanschauungen des Christentums<br />

hinzuweisen und ermahnte zum Schlüsse die Inder, an diesem<br />

Vedänta als der ihnen angemessenen Form der einen, allge­<br />

meinen, ewigen philosophischen Wahrheit festzuhalten.<br />

Die Ausarbeitung dieses Vortrages sowie seine schnelle<br />

und sorgfältige Drucklegung beschäftigte mich und meine<br />

Freunde während der folgenden Tage, und als der 25.<br />

Februar erschien, war es mir möglich, vor einem zahlreichen<br />

Publikum nicht nur die erwähnten Gedanken in freier Rede<br />

zu entwickeln, sondern auch die gedruckte Broschüre an die<br />

Anwesenden zu verteilen und an alle unsere Freunde über ganz<br />

Indieh zu versenden.<br />

Als ein kurzer und zuverlässiger Inbegriff der noch heute<br />

in Indien vorherrschenden religiös-philosophischen Weltan­<br />

schauung bildet der erwähnte Vortrag eine wesentliche Ergän­<br />

zung unserer Mitteilungen über Indien und mag daher anhangs­<br />

weise auch hier seine Stelle finden (unten, Seite 239—251).<br />

Voraus geht ihm ein von mir verfasster poetischer Abschieds-<br />

gruss an so viele in Indien gewonnene Freunde, welcher<br />

ihnen zugleich mit der Abhandlung überreicht oder übersandt<br />

wurde.


Vortrag in der Asiatic Society. Eine Hochzeitsfeier. 205<br />

Von den mancherlei Ereignissen, welche sich in den<br />

;tzten Tagen unseres Aufenthaltes in Bombay zusammen-<br />

rängten, wollen wir noch einer Hochzeit gedenken, zu der<br />

ns ein befreundeter Hindu einlud. Es wurde schon erwähnt,<br />

ass in vielen Kasten die Mädchen bis zum elften Jahre<br />

erheiratet sein müssen. Rückt dieser Zeitpunkt heran, so<br />

alt der Vater des Mädchens Umschau unter den verfüg-<br />

iaren Knaben, natürlich nur innerhalb seiner eigenen Kaste,<br />

robei Rang, Ansehen, Lebensstellung und Vermögen ge-<br />

lührend berücksichtigt werden. Zeigt sich bei den beider-<br />

eitigen Eltern Geneigtheit, so werden die Brahmanen be­<br />

ragt, und diese lassen sich die Horoskope der Kinder<br />

inreichen. Ähnlich nämlich, wie bei uns jeder seinen<br />

"aufschein hat, wird jedem indischen Kinde in. frühester<br />

ugend das Horoskop gestellt. Ein solches besteht aus<br />

iner langen Rolle, die mit Figuren, Zeichen und Sanskrit-<br />

ersen beschrieben ist. Die Anfertigung eines derartigen<br />

)okumentes kostet zehn Rupien; auch uns wollte man für<br />

liesen Preis das Horoskop stellen, aber wir waren nicht so<br />

ehr neugierig, unser Schicksal aus den Sternen zu lesen.<br />

Soll also eine Heirat zu stände kommen, so werden<br />

on den Brahmanen die Horoskope beider Kinder ver­<br />

liehen. Sind dieselben dem Unternehmen günstig, so wird<br />

viederum aus ihnen der Zeitpunkt der Hochzeit nach Tag,<br />

Hunde und Minute ausgerechnet. Das Resultat kann für<br />

lie Geladenen oft unbequem werden, wenn sie etwa die<br />

;anze Nacht warten müssen, weil die Hochzeit auf drei<br />

ider vier Uhr morgens angesetzt wurde. Bequemer war<br />

;s in unserem Falle, denn aus den Horoskopen hatte sich<br />

ergeben, dass die Hochzeit um sieben Uhr dreiundfünfzig<br />

Minuten abends stattzufinden habe. Nach sechs Uhr fand<br />

ich eine distinguierte Versammlung im Hause des Hochzeits-<br />

;ebers ein. Wir wurden eingeladen, in den Hofraum zu<br />

reten, wo hinter einem Gitter die Ceremonie stattfand, so


206 VII. Von Calcutts nach Bombay.<br />

jedoch, dass wir alles aus nächster Nähe beobachten konnten.<br />

Die Vorbereitungen zogen sich lang hin. Bald war es der<br />

Bräutigam, bald die Braut, um welche sich die Ceremonien<br />

drehten; zuweilen sprachen die Eltern ihnen zu, zuweilen<br />

murmelte ein Brahmane über ihnen seine Sprüche und<br />

Verse. Unterdessen wurden Kokosnüsse unter die Zuschauer<br />

verteilt, und auch wir nahmen aus Höflichkeit einige der­<br />

selben an. Mittlerweile rückte die Zeit der Eheschliessung<br />

heran; jedermann beobachtete die Uhr. Noch zehn Minuten,<br />

noch fünf Minuten, und die Zeit war da. Jetzt wurde<br />

innerhalb des Gitters ein Teppich wie ein Vorhang aus­<br />

gespannt. Auf der einen Seite erschien der Vater des<br />

Sohnes, auf der anderen der der Tochter, beide mit den<br />

Kindern an der Hand, die sich wegen des Teppichs nicht<br />

sehen konnten. Da rückt der Moment heran, und in dem<br />

Augenblick, wo es 53 Minuten nach sieben ist, werden die<br />

Hände der Kinder über dem Vorhang zusammengebracht;<br />

sie fassen sich, der Vorhang fällt herunter, und damit ist<br />

das Ehepärchen fürs Leben mit einander verbunden. Es<br />

folgen, wie bei uns, Glückwünsche, Umarmungen und all­<br />

gemeine Rührung. Dann gibt sich alles der Festfreude<br />

hin. In einem Saale werden den Männern, in einem anderen<br />

den Frauen die ganze Nacht durch Speisen angeboten, in<br />

einem dritten Räume finden die Produktionen der Tanz­<br />

mädchen statt, die wir schon früher einmal beschrieben haben.<br />

Zu den Männern, bei welchen Freund Ätmaräm uns<br />

während der letzten Tage in Bombay noch einführte, gehörte<br />

auch der rühmlichst bekannte Sanskritforscher und Ober­<br />

richter Telang, einer der wenigen Eingeborenen, welche eines<br />

jener exorbitanten Gehälter bezogen, die sonst nur den<br />

europäischen Beamten in Indien erreichbar sind. Wir<br />

trafen ihn des Morgens früh um acht im Studierzimmer<br />

seines eleganten Hauses, im Eingeborenenkostüm, von Büchern<br />

und Papier umgeben. Eine angenehme Unterhaltung über


Besuch bei Telang. Abschied von Peterson. 207<br />

wissenschaftliche Gegenstände entspann sich, und zum Schluss<br />

begleitete er uns, um uns sein Haus zu zeigen. Merkwür­<br />

diger als alle die schönen Säle und Hallen war eine stille<br />

Ecke, in der allerlei Götterbilder standen, deren Kultus hier<br />

offenbar betrieben wurde, wie eine Anzahl frischer Blumen<br />

bewies, die vor ihnen lagen. Ich drückte Herrn Telang<br />

meine Verwunderung darüber aus, dass er als philosophisch<br />

gebildeter Mann auf dergleichen Wert legte. „Es geschieht",<br />

sagte er, „um der Frauen des Hauses willen. Jeden Morgen<br />

kommt ein Brahmane, spricht einige Gebete und setzt frische<br />

Blumen auf, wofür er monatlich eine massige Summe bezieht."<br />

Wir schritten dem Ausgang zu und sahen hinter einer Säule<br />

einige Frauengestalten, die uns neugierig nachblickten. Ich<br />

hielt sie für Dienerinnen und erfuhr erst später von Ätmaräm,<br />

dass es die Frauen des Hauses, Mutter und Gattin des Ober­<br />

richters, gewesen waren. Da meine Frau uns begleitete, so<br />

hätte es für unser Gefühl nahe gelegen, dass man wenigstens<br />

sie den Damen des Hauses zuführte. Aber wir erwähnten<br />

schon öfter die Scheu der indischen Frauen, mit Europäern<br />

in Berührung zu treten. Diese wird erst schwinden, wenn<br />

es gelingt, durch Hebung der Mädchenschulen die religiösen<br />

und nationalen Vorurteile zu beseitigen und auch beim weib­<br />

lichen Geschlechte eine allgemeinere Kenntnis der englischen<br />

Sprache anzubahnen. Wie anregend und erfreulich unter<br />

diesen Voraussetzungen der Umgang mit indischen Frauen<br />

sein kann, das hatten wir zu Calcutta im Hause Roy zur Ge­<br />

nüge erfahren.<br />

Zum Abschied suchten wir nochmals Professor Peterson<br />

auf, der alljährlich dreimal umzuziehen pflegte; in der heissen<br />

-Zeit wohnte er mit seiner Familie im Gebirge, während der<br />

Regenzeit in einem städtischen Hause und den Winter durch<br />

in einem Zelte. Solche Zelte werden auf einer grossen<br />

Wiese fern von dem Geräusch und den Dünsten der Stadt<br />

aufgepflanzt, und man kann sie mieten wie ein Haus. Wie


208 VII. Von Calcutta nach Bombay.<br />

ein solches enthalten diese Zelte Eingänge mit Türen,<br />

Salons, Schlafzimmer und andere Räume, welche weder an<br />

Grösse noch an Eleganz hinter den städtischen Wohnungen<br />

zurückstehen. Der Rasen des Bodens ist von einem Teppich<br />

überdeckt, an den Wänden hängen Spiegel und Bilder,<br />

Hängelampen hängen von dem Leinwanddach herunter, Tische,<br />

Sofas, Stühle, Betten und anderes Hausgerät sind vollständig<br />

vorhanden. Vor Dieben schützt ein Wächter die Zelte,<br />

welche oft zu mehreren zusammen stehen und eine kleine<br />

Strasse bilden. Das ganze System des Zeltwohnens ist eben­<br />

so gesund wie angenehm, lässt sich aber nur da durchführen,<br />

wo, wie in Bombay, den ganzen Winter hindurch kein Wind<br />

und keine Kälte und nur ein Minimum von Regen zu er­<br />

warten ist.


Achtes Kapitel.<br />

Von' Bombay nach Madras und Ceylon.<br />

F^Ver Tag der Abreise kam immer näher. Die verschiedenen<br />

Abschiedsfeste, welche von den Besuchern des Cosmo­<br />

politan Club, vom Prinzen Baldevi, von Herrn Chichgar im<br />

Parsiklub usw. über uns verhängt wurden, waren glücklich<br />

überstanden, alle Abschiedsbesuche gemacht, die Andenken<br />

eingekauft und die Koffer gepackt. Schon früh hatten sich<br />

einige Dutzend Freunde und Bekannte in unserer geräumigen<br />

Wohnung eingefunden und sahen zu, wie wir frühstückten.<br />

Schmunzelnd strich Tribhuvandäs eine lange Reihe von<br />

Silberrupien ein; mit der scherzhaften Versicherung, seinen<br />

Cosmopolitan Club in allen Ländern Europas rühmen und<br />

empfehlen zu wollen, bestiegen wir den Wagen und rollten<br />

nach dem palastartigen Bahnhof von Victoria Station. Dort<br />

hatten sich auch alle vorher Anwesenden und noch viele<br />

andere eingefunden. Des Abschiednehmens war kein Ende,<br />

und ein theosophistischer Parsijüngling namens Ardeshir,<br />

d. h. Artaxerxes, fuhr einige Stationen mit, um mich über<br />

die Theosophie zu befragen. Ich konnte ihm nur wieder­<br />

holen, was ich oftmals bei ähnlicher Veranlassung gesagt<br />

habe. „Ihr Theosophisten", sagte ich, „verfolgt anerkannter-<br />

massen drei Hauptzwecke: 1) Erneuerung der glorreichen<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. I4


210 VIII. Von Bombay nach Ceylon,<br />

Traditionen des Altertums; das ist sehr löblich, nur muss es<br />

von Kennern der Sache ausgehen und nicht, wie so oft,<br />

von solchen, die nichts davon verstehen; 2) allgemeine Verbrü­<br />

derung der Menschen; wer wollte dem nicht von Herzen<br />

zustimmen; 3) Erforschung der geheimnisvollen Tiefen der<br />

menschlichen Seele, wie es in Euren Programmen heisst.<br />

Durch diesen Punkt verderbt Ihr Eure ganze Sache und<br />

öffnet dem Schwindel, dem Betrug und allen Arten von Täu­<br />

schung Tür und Tor. Wohl gibt es Tiefen der menschlichen<br />

Seele, die noch nicht erforscht sind; Somnambulismus, Wahr­<br />

träumen und zweites Gesicht kommen vor, wenn auch<br />

seltener als man glaubt; aber, um hier nicht irre zu gehen,<br />

sind Männer erforderlich, wie es deren heute noch nicht<br />

gibt, solche nämlich, welche die genaueste Kenntnis der Natur­<br />

wissenschaften, namentlich der Medizin, mit einem völligen<br />

Eingelebtsein in die wahre Philosophie, ich meine die<br />

Kantisch-Schopenhauersche, verbinden."<br />

Unter solchen Gesprächen hatte der Zug die Ebene<br />

durcheilt, welche Bombay von dem Hochgebirge der west­<br />

lichen Ghatta's trennt. Der Parsijüngling empfahl sich und<br />

wir konnten.uns dem vollen Genüsse der Gegend hingeben.<br />

Hoch und höher hob sich durch alle Mittel des modernen<br />

Eisenbahnbaues die Bahn; immer weiter und herrlicher<br />

öffnete sich der Blick auf die grüne Ebene, die reiche Stadt,<br />

das weite Meer, bis die Berge sich wie ein Vorhang über<br />

dieser Scenerie zuzogen und der Zug dem auf der Hoch­<br />

ebene gelegenen Poona zueilte. Hier empfing uns am Bahn­<br />

hofe der jüngere Apte, dem uns sein meistens in Bombay<br />

weilender Onkel von dort aus anbefohlen hatte. Dieser<br />

Onkel, der seitdem verstorbene alte Apte, war ein sehr<br />

reicher und ebenso frommer Mann. Er begründete in Poona<br />

das Änandägrama (Einsiedelei der Wonne) genannte Institut,<br />

welches wertvolle Manuskripte religiösen und philosophischen<br />

Inhaltes sammelt und in feuerfesten Räumen von vorzüg-


Programm der Theosophisten. Apte in Poona. 211<br />

jicher Konstruktion aufbewahrt. Eine weitere Abteilung des<br />

viele Baulichkeiten umfassenden Instituts ist die Änandä-<br />

grama-Presse, welche jahraus jahrein mit der Herausgabe<br />

der entsprechenden Werke beschäftigt ist. Andere Räume<br />

enthielten Hörsäle und Wohnungen für die zahlreichen Mit­<br />

arbeiter, boten auch sonst armen Gelehrten ohne Entgelt<br />

ein zeitweiliges Unterkommen.<br />

In Bombay hatte ich mit dem alten frommen Apte und<br />

seinen Pandits eine Zusammenkunft gehabt, war, wie nach<br />

solchen Besuchen üblich, mit herrlichen, über Schultern und<br />

Brust herabhängenden Blumenkränzen, den zugehörigen<br />

Blumensträussen in der einen und dem Rosenöltropfen in<br />

der anderen Hand verabschiedet worden, hatte mich aber<br />

auch dadurch nicht übel empfohlen, dass ich auf die ganze,<br />

zur Ansicht vorgelegte Änandäcrama-Serie subskribierte, deren<br />

Fortsetzungen ich noch gegenwärtig regelmässig von Freund<br />

Apte beziehe, dem jüngeren natürlich, den sein Onkel zum<br />

Erben des ganzen Unternehmens einsetzte, als er vor einigen<br />

Jahren aufhörte sterblich zu sein. Kurz vorher noch hatte<br />

er sich, wie viele fromme Inder im Alter pflegen, zum<br />

Sannyäsin (Entsager) gemacht, hatte, der Sitte gemäss, einen<br />

neuen Namen angenommen und wurde dementsprechend<br />

nach dem Tode nicht verbrannt, sondern, was nur bei<br />

Sannyäsins und ganz kleinen Kindern Brauch ist, begraben.<br />

Beide machen eine Ausnahme von der Sitte des Verbrennens,<br />

die einen, weil sie noch nicht,, die anderen, weil sie nicht<br />

mehr als Menschen gelten. So ruht denn Apte inmitten der<br />

geistigen Schätze, die er selbst in Poona aufgestapelt, und<br />

die jetzt nach und nach, dank der Betriebsamkeit des Neffen,<br />

ihren Weg in alle Welt finden.<br />

Dieser Neffe traf uns also auf dem Bahnhofe zu Poona<br />

und stellte sich für die Tage unseres Aufenthalts ganz zur<br />

Verfügung. Sein Wort hat er treulich gehalten. Er zeigte<br />

uns das gesamte Änandäcrama-Institut, beraumte dort uns zu<br />

14*


212 VIII. Von Bombay nsch Ceylon.<br />

Ehren eine Versammlung von Pandits an, begleitete uns durch die<br />

Stadt, zu den Gärten und zu dem berühmten Saiiga, d. h. dem<br />

Zusammenflusse der Flüsse Muta und Mula. Das Endziel<br />

unserer Wanderung war dann wiederholt der im Süden der<br />

Stadt gelegene Pärvati-Hügel mit einem Tempel der Durgä<br />

oder Pärvatt, auch Gauri genannt, der Gemahlin des Civa.<br />

Von der Höhe geniesst man eine herrliche Aussicht auf die<br />

Stadt und weite.Umgegend. Hier sassen wir lange Stunden<br />

und führten manches angenehme Gespräch. Apte als gebil­<br />

deter und gelehrter Mann hatte natürlich keine andere Reli­<br />

gion als den Vedänta, erklärte aber, ähnlich wie Telang in<br />

Bombay, um seiner Familie willen an dem Kultus der Götter­<br />

bilder festzuhalten. Für ihn seien alle Götterbilder nur Inkar­<br />

nationen des Ätman, aber er hüte sich, ein Gemüt irre zu<br />

machen, welches sich nicht zur Reinheit dieses Standpunktes<br />

zu erheben vermöge. Hier wie so oft hatte ich den Ein­<br />

druck, dass der denkende Teil der Bevölkerung in Indien<br />

ebenso gut wie in Europa den Priesterlehren frei gegenüber­<br />

steht, aber nur um der Familien willen nicht auf den Götter­<br />

kultus verzichtet, wie wir nicht auf die kirchliche Trauung,<br />

Taufe und Beerdigung, auch wenn wir uns von allen aber­<br />

gläubischen Vorstellungen frei gemacht haben.<br />

Es war Nacht geworden, als wir den Parva/z-Hügel<br />

verliessen und den Rückweg durch die Stadt antraten. Hier<br />

war gerade das Holt genannte Volksfest im Gange. Auf<br />

der Strasse vor den Häusern waren kleine Scheiterhaufen<br />

mit hellem, flammendem Feuer zu sehen; fröhliche Gestalten<br />

sassen oder standen um dieselben herum und warfen Blumen<br />

oder Körner in die Flamme. Andere zogen in Gruppen um­<br />

her und trieben allerlei Mutwillen. Ein Hauptspass bestand<br />

darin, dass man sich gegenseitig mit Erde bewarf; viele<br />

trugen, um die Kleider zu schonen, einen sackartigen Über­<br />

wurf, welchem die Spuren der auf den Eigentümer gewor­<br />

fenen Erdschollen ein buntscheckiges Ansehen gaben. Das


Das Holifest. Bhandarkar. Von Poona nach Madras. 213<br />

Ganze erinnerte an unseren Karneval oder die Saturnalien<br />

der Römer, und welches auch immer die religiösen Motive<br />

des Festes sein mögen, jedenfalls beruht seine gegenwärtige<br />

Form auf dem auch bei uns bestehenden Bedürfnis, ge­<br />

legentlich einmal der strengen Herrscherin Vernunft zu ent­<br />

laufen und ein Kind oder ein Narr zu sein: dulce est desipere<br />

in loco.<br />

Wir verfehlten natürlich nicht, in Poona den um das<br />

Sanskrit so hoch verdienten Professor Bhandarkar zu be­<br />

suchen, von dem wir in seiner höchst anmutigen, in edelstem<br />

Geschmack ausgestatteten Villa auf das freundlichste<br />

empfangen wurden. Von Bombay aus hatte ich meinen<br />

Vedäntavortrag gleichsam als Visitenkarte vorausgeschickt.<br />

So wandte sich das Gespräch naturgemäss der Philosophie<br />

zu, und auf einem längeren Abendspaziergang erwärmte ich<br />

mich an dem lebendigen Interesse, welches dieser geistes­<br />

klare und warmherzige Inder an Schopenhauers Philosophie<br />

nahm.<br />

So verflossen die drei Tage unseres Aufenthaltes in<br />

Poona in der angenehmsten Weise und stärkten uns für die<br />

lange und heisse, achtundzwanzigstündige Eisenbahnfahrt,<br />

die wir um drei Uhr nachts begannen und die Nacht, den fol­<br />

genden Tag und die ganze nächstfolgende Nacht fortsetzten,<br />

bis wir am 5. März morgens um acht Uhr im Bahnhofe zu<br />

Madras einliefen. Hiermit waren wir von dem westlichen<br />

nach dem östlichen Meer, von Malabar nach Koromandel<br />

gelangt, zugleich aber aus dem mittleren nach dem süd­<br />

lichen Indien, und eine ganz bedeutende Steigerung der<br />

Hitze machte sich schon auf dem kurzen Spaziergang in der<br />

Morgenfrühe vom Bahnhofe bis zum Hotel bemerklich.<br />

Die klimatischen Verhältnisse- sind hier andere und<br />

weniger günstige als im nördlichen und westlichen Indien.<br />

Dort ist die Regenzeit im Hochsommer und schützt vor<br />

den schärfsten Pfeilen der senkrecht herabstrahlenden Sonne;


214 VIII. Von Bombay nsch Ceylon.<br />

Madras hingegen unterliegt der Einwirkung des im Winter<br />

wehenden Nordwest-Monsun, hat seine eigentliche Regen­<br />

zeit im Winter, und im Sommer die strengste, nur durch<br />

den Einfluss des Meeres gemässigte Tropenhitze.<br />

Wie das Klima, so war auch die Bevölkerung nach<br />

Farbe, Typus und Sprache sehr von der des nördlichen und<br />

nordwestlichen Indiens verschieden. Dort war die Sprache<br />

und mithin wohl auch die Bevölkerung arischen Ursprungs;<br />

hier im Südosten und Süden Indiens werden Sprachen ge­<br />

sprochen, welche mit dem Sanskrit gar keine Verwandt­<br />

schaft haben. Zieht man eine Linie von Bombay oder süd­<br />

licher nach Orissa, so trennt dieselbe die sieben arischen<br />

Sprachen von den vier nichtarischen, welche im Süden<br />

Indiens gesprochen werden. An der Spitze der ersteren<br />

steht das in der ganzen Gangesebene vom Pendschäb bis<br />

Bengalen herrschende Hindostani. Dasselbe zerfällt in das<br />

von der Bevölkerung gesprochene Hindi und in das Urdu<br />

(auch Hindostani im engeren Sinne genannt), welches nichts<br />

anderes als ein durch zahlreiche persische und arabische<br />

Wörter verunstaltetes Hindi ist. Diese Eindringlinge, ver­<br />

gleichbar den französischen Wörtern im Englischen, er­<br />

schweren das Studium des Hindostani erheblich, während<br />

das reine Hindi dem Sanskritkundigen sehr leicht wird, da<br />

es im Grunde nur ein die Endungen abstreifendes und<br />

durch Partikeln ersetzendes Sanskrit ist. Durch die mo­<br />

hammedanischen Eroberer wurde das Hindostani in der er­<br />

wähnten entstellten Form eine Art lingua franca, welche<br />

mehr oder weniger in ganz Indien verstanden wird. An das<br />

im Gangestale gesprochene Hindi schliessen sich östlich da­<br />

von das Bengali und Orissa, westlich das Pendschabi im<br />

Pendschäb, das Sindi am unteren Laufe des Indus, das<br />

Gujerati nördlich von Bombay und das Mahratti, welches<br />

von Bombay aus nach Nordosten sich weit über das Plateau<br />

von Dekhan erstreckt. Das sind die sieben arischen Sprachen


Die Sprachen Indiens. Professor Oppert. 215<br />

Indiens, welche sich zum Sanskrit verhalten, wie die roma­<br />

nischen Sprachen zum Lateinischen, und ungefähr ebenso<br />

weit wie diese von einander abstehen mögen. Hingegen<br />

haben die folgenden vier Sprachen des Südens nichts mit<br />

dem Sanskrit gemein: 1. an der Ostküste Indiens das Telugu<br />

von Orissa bis Madras und 2. das Tamil von Madras bis<br />

auf Ceylon, wo es an das für eine arische Sprache gehaltene<br />

Singhalesische grenzt, endlich im äussersten Südwesten Indiens<br />

3. das Kanaresische und 4. das Malayälam. Das sind die<br />

zwölf Volkssprachen, welche heutigen Tages in Indien und<br />

Ceylon gesprochen werden. Wir befanden uns also in<br />

Madras schon im Telugulande. Die dunkelfarbige Bevöl­<br />

kerung der Eingeborenenstadt, von den Engländern the black<br />

town genannt, und ihre Sprache mutete uns fremdartig an;<br />

auch einzelne vom Ohr aufgefangene Worte Hessen sich<br />

nicht deuten.<br />

Um so wertvoller war es mir, in dem damals noch in<br />

Madras das Sanskrit vertretenden Professor Oppert einen<br />

alten Bekannten begrüssen zu können. Er bewohnte als<br />

Junggeselle ein mehrstöckiges Haus und bestand darauf, dass<br />

wir bei ihm wohnen sollten. Erst am folgenden Tage nahm<br />

ich dieses Anerbieten an, nachdem wir im Hotel bei sehr<br />

<strong>•</strong> grosser Hitze in einem kleineren Zimmer eine recht schlechte<br />

Nacht verbracht hatten. Aber auch die Nacht bei Oppert<br />

sollte uns keine Ruhe gewähren. Er hatte für den Abend<br />

einige Gäste gebeten und brachte uns, nachdem diese sich<br />

zurückgezogen, in ein geräumiges, luftiges Schlafzimmer,<br />

dessen Betten aber keine Mückennetze hatten. Freund<br />

Oppert tröstete uns mit der vorhandenen Pankha, einem von<br />

aussen gezogenen, über den Betten hin- und herschwingenden<br />

Vorhang. Ich hatte viel von diesen, während der Nacht von<br />

Pankhaziehern mittels eines Seiles gezogenen, Pankhas ge­<br />

hört und beschloss, einen solchen für die Nacht anzustellen.<br />

Für diesen Nachtdienst erhält er 50 Pfennig. Er versah


216 VIII. Von Bombay nach Ceylon.<br />

seinen Dienst ohne einzuschlafen; ich brauchte nicht Wasser<br />

nach ihm zu spritzen oder ihn mit Stiefeln zu werfen, wie<br />

viele zu tun pflegen, wenn er einschläft und man, in Schweiss<br />

gebadet, erwacht, denn ich schlief überhaupt nicht ein son­<br />

dern lag die ganze Nacht im Kampfe mit den Mücken, welche<br />

uns trotz der Pankha keine Ruhe Hessen. Übrigens war<br />

Oppert nicht nur gegen uns liebenswürdig, sondern hatte<br />

auch eine ausnahmsweise nette Art, mit den eingeborenen<br />

Studierenden umzugehen. Er ging mit ihnen spazieren, lud<br />

sie in sein Haus und nahm sich ihrer in jeder Weise an.<br />

Er nahm mich mit in seine Sanskritklasse und überliess mir<br />

dort das Regiment. Es war eine erhebende Stunde; vor mir<br />

sassen wohl dreissig schwarzbraune Jünglinge, welche meinen<br />

Worten lauschten, und rechts schweifte mein Blick auf den<br />

roten Sand und das ganz in der Nähe brandende Meer, von<br />

welchem eine erquickende Kühle durch die weit geöffneten<br />

Fenster hereindrang.<br />

Madras hat einen herrlichen Strand aber, wie die ganze<br />

Ostküste von Indien, keinen Hafen. Mit ungeheuren Kosten<br />

hatte man durch Einsenken von Steinmassen in das Meer<br />

einen solchen erbaut, da kam eine Sturmflut und schwemmte<br />

die ganze Arbeit weg. Eben war man damit fertig geworden,<br />

ein noch stärkeres Bollwerk in die See hinauszuschieben.<br />

Hoffen wir, dass dieses allen Stürmen trotzen wird.<br />

Auf ein sonderbares Schauspiel machte man mich auf der<br />

Seewarte des Fort George aufmerksam. Durch ein scharfes<br />

Fernrohr sah ich weit im Meere, wohl eine Stunde vom Ufer<br />

entfernt, zwei Männer auf einem Fahrzeug treiben, welches<br />

nur aus einigen durch Querhölzer zusammengehaltenen Balken<br />

bestand. Grosse, wüste Wellenberge gingen über sie weg,<br />

das Fahrzeug war bald unter, bald über Wasser. Die Sache<br />

sah wohl gefährlicher aus als sie war. So lange diese<br />

Fischmenschen nicht von ihrem Balkengefüge weggespült<br />

werden, haben sie nichts zu befürchten, denn das andauernde'


Mückenplage. Eine Sanskritklasse. Ein edler Mahäräja. 217<br />

Bad ist bei den dortigen Temperaturverhältnissen nur eine<br />

Erquickung.<br />

Auf dem Fort in Madras sah ich unter vielen Büchern und<br />

Handschriften auch ein Exemplar des aus unübersehbar vielen<br />

Bänden bestehenden Indian Gazetteer. Es ist dies eine von Jahr<br />

zu Jahr fortschreitende statistische Sammlung aller möglichen<br />

Tatsachen, welche für jede Provinz aufgezeichnet und der Nach­<br />

welt aufbewahrt werden. Auch hier, wie in so vielem, kann<br />

die englische Verwaltung allen anderen als Muster dienen.<br />

Durch einen Zufall hörte ich in Madras, dass der<br />

Mahäräja von Vijayanagaram, einem kleinen Reiche an der<br />

Ostküste südlich von Orissa, für kurze Zeit auf einem seiner<br />

Schlösser in der Nähe von Madras sich aufhalte. Der Name<br />

dieses Mannes war uns von dem vor sechs Monaten in<br />

London abgehaltenen Orientalistenkongresse her in guter<br />

Erinnerung. Als nämlich Max Müller zu einem Neudruck<br />

seiner Rigveda-Ausgabe in vier starken Bänden schreiten<br />

musste, und die englische Regierung es ablehnte, die grossen<br />

Kosten des Druckes, wie bei der ersten Auflage, auch diesmal<br />

zu tragen, da war der Mahäräja von Vijayanagaram für sie<br />

eingetreten. „Und dieser edle Fürst," so sagte Max Müller<br />

in einem Vortrage auf dem Kongresse, „hat nicht nur die<br />

sämtlichen Kosten für die Herstellung des Werkes getragen,<br />

sondern auch eine so grosse Anzahl von Freiexemplaren mir<br />

zur Verfügung gestellt, dass jeder von Ihnen, welcher ernstlich<br />

mit dem Studium des Rigveda beschäftigt ist, ein Exemplar<br />

gratis erhalten kann." Diese Liberalität bei einem Werke,<br />

dessen Ladenpreis 160 Mark ist, machte auf alle Anwesenden<br />

tiefen Eindruck. Ich selbst konnte davon keinen Vorteil ziehen,<br />

da ich das Werk durch die Güte Max Müllers schon längst be-<br />

sass, habe aber wiederholt für würdige jüngere Freunde und<br />

Freundinnen von Max Müller ein Exemplar erbeten und erhalten.<br />

Die Nachricht von der Anwesenheit dieses Mahäräja auf<br />

seinem Schlosse bei Madras erfüllte mich mit um so grösserer


218 VIII. Von Bombay nach Ceylon.<br />

Freude, als ich nicht gehofft hatte, auch diesem edlen Förderer<br />

der Wissenschaft in Indien zu begegnen. Nach dem Tiffin<br />

nahm ich einen Wagen und fuhr mit meiner Frau nach dem<br />

von herrlichen Gartenanlagen umrahmten Schlosse. Auf der<br />

Veranda sass, von Schreibsachen umgeben, ein alter, schwer­<br />

höriger und von Gicht geplagter Engländer, welcher mir<br />

ziemlich mürrisch erwiderte, dass Seine Hoheit der Mahäräja<br />

nicht zu Hause sei und auch nach seiner Rückkehr zu be­<br />

schäftigt sein werde, um mich zu empfangen. „Das werden<br />

wir ja sehen," sagte ich, „wenn er erst meinen Namen ge­<br />

lesen haben wird. Einstweilen werde ich sein Eintreffen<br />

hier abwarten." Ein unbestimmtes Knurren ward mir zur<br />

Antwort. Ich wartete geduldig eine halbe Stunde und knüpfte<br />

unterdessen eine Unterhaltung mit einem indischen Sekretär<br />

an, der abseits auf der Veranda sass, und wir waren schon<br />

ein wenig warm geworden, als ein Diener erschien und uns<br />

zum Mahäräja geleitete. Dieser war ein feiner, schmächtiger,<br />

etwas schüchterner junger Mann von vornehmer Haltung.<br />

Ich berichtete ihm vom Orientalistenkongress in London,<br />

und wie dankbar wir alle für seine Tat seien. Er hörte<br />

mit grossem Interesse zu und fragte nach meiner Reise.<br />

Inzwischen wurde in kostbaren silbernen Tassen der Thee<br />

serviert. Ich erzählte von meinen Eindrücken, überreichte meinen<br />

Bombayer Vortrag, und als hierbei auch das unten (S. 242)<br />

mitgeteilte Gedicht Farewell to India zur Sprache kam, bat<br />

er mich dasselbe vorzulesen und war sichtlich gerührt, als<br />

ich es ihm überreichte. Mit den angenehmsten Empfindungen<br />

verabschiedeten wir uns und rollten nach Madras zurück.<br />

Statt mit dem Dampfer von Madras um Ceylon herum<br />

(denn durch Räma's Brücke, bedauerlicherweise Adam's<br />

Bridge genannt, können keine Dampfer fahren) nach Colombo<br />

zu reisen, zogen wir es vor, auch noch die südlichste Spitze<br />

des geliebten Landes auf der Bahn zu durchfahren und<br />

hierbei im Fluge den Städten Tanjore, Trichinopoly und


Beim Mahäräjs von Vijsyanagaram. Tanjore. Trichinopoly. 219<br />

Madura mit ihren Tempeln und Palästen einen flüchtigen<br />

Besuch abzustatten. Es war dies möglich, wenn wir die<br />

Nächte zum Fahren benutzten und Tags über die Städte<br />

besuchten. Die erste Nacht brachte uns von Madras nach<br />

Tanjore, wo wir von 8—10 Uhr morgens auf einem über­<br />

spannten Ochsenkarren, dem einzigen vorhandenen Fuhr­<br />

werk, lang ausgestreckt Hegend und wieder einmal Mrs.<br />

Davidson im Fluge begrüssend, zu den Sehenswürdigkeiten,<br />

vor allem zu dem grossen Tempel fuhren. Der Brahmanismus<br />

ist in Südindien importiert und hat hier seinen Göttern,<br />

gleichsam zum Schutze im fremden Lande, riesige Tempel<br />

erbaut, welche ganze Stadtviertel einnehmen und wohl­<br />

verwahrten Festungen gleichen. Um das Allerheiligste,<br />

welches keinem Europäer zugänglich ist, ziehen sich drei, vier,<br />

fünf oder mehr Umwallungen, welche die zum Tempel ge­<br />

hörigen Priesterwohnungen und andere Baulichkeiten ent­<br />

halten. Durch diese Umwallungen führen die sogenannten<br />

Gopura's, hohe Torbogen, welche sich zu gewaltigen Türmen<br />

zuspitzen. Die Torbogen und überragenden Türme sind<br />

übersät von einem Gewimmel mythologischer Figuren, welche<br />

plastisch hervortreten und in ihrer farbigen Ausführung<br />

manche Gruppen von hoher Schönheit zeigen.<br />

Nach zweistündiger Weiterfahrt erreichten wir Trichino­<br />

poly, wo wir wieder einen solchen Riesentempel mit hoch­<br />

ragenden Gopuras besichtigten und dann, als es kühler<br />

geworden war, einen die Stadt hoch überragenden Felsen<br />

mit eingeschnittenen Wegen, Betstationen und einem die<br />

Spitze krönenden Tempel bestiegen. Die Aussicht von hier<br />

oben auf Stadt, Landschaft und Gebirge war von wunder­<br />

barer Schönheit. Wir genossen sie mit dem Bewusstsein,<br />

in 24 Stunden den heiligen Boden Indiens verlassen zu müssen.<br />

Wieder verbrachten wir eine unruhige Nacht auf der<br />

Eisenbahn, die wir am frühen Morgen in Madura verliessen,<br />

um uns von einem Führer zu den Sehenswürdigkeiten geleiten


220 VIII. Von Bombay nach Ceylon.<br />

zu lassen. Als wir unterwegs einige Erfrischungen zu uns<br />

nahmen und davon auch dem Führer anboten, lehnte er sie<br />

dankend ab, mit der Begründung, dass seine hohe Kaste<br />

ihm die Annahme nicht gestatte. Er führte uns zu dem be­<br />

rühmten Nyagrodhabaume, der an Schönheit dem in Cal­<br />

cutta nahe, wenn auch nicht gleich kommt. Dann wurden<br />

Palast und Tempel mit ihrem reichen Inhalte besichtigt, und<br />

um 12 Uhr sassen wir wieder auf der Bahn, der letzten<br />

Südspitze Indiens zustrebend, wo in Tuticorin der Dampfer<br />

nach Ceylon uns aufnehmen sollte. Da dieser von Bom­<br />

bay kommende Dampfer Tuticorin um 6 Uhr abends anlief,<br />

unser Zug aber erst 5 Minuten später eintraf, so hatten wir<br />

telegraphisch ersucht, auf uns zu warten. Am Bahnhofe von<br />

Tuticorin war denn auch bei unserer Ankunft ein unter­<br />

geordneter Vertreter derDampfschiffsagentur anwesend, welcher<br />

zur Eile aufforderte, da der Dampfer schon draussen in der<br />

See auf uns warte. „Haben Sie", fragte ich, „die von mir<br />

telegraphisch gewünschte Steam-launch (Dampfpinasse) be­<br />

sorgt?" — „Ja wohl, mein Herr." Wir eilten zum Ufer<br />

und fanden dort statt der versprochenen Dampfpinasse nur<br />

ein ganz ordinäres Segelboot, ohne Bänke und ohne Verdeck,<br />

die Wände so hoch, dass man jedesmal hinaufklettern<br />

musste, wenn man etwas sehen wollte. In diesem elenden<br />

Obstkahn sollten wir bei hereinbrechendem Dunkel nach<br />

dem Dampfer befördert werden, welcher so weit im Meere<br />

lag, dass man ihn kaum sehen konnte. Ich war über diese<br />

Zumutung höchst aufgebracht und bestand darauf, dass der<br />

Kommissionär zu unserer Sicherheit mit zum Dampfer fahren<br />

müsse. Wir Hessen also meine Frau und unsere zahlreichen<br />

Gepäckstücke vorsichtig an den hohen Wänden des Fahr­<br />

zeugs auf den schmutzigen Boden herunter, kauerten selbst<br />

auf demselben nieder, und die Fahrt begann. Der Wind<br />

war konträr; es musste laviert werden. Der Wind wurde<br />

stärker, die See immer unruhiger. Meine Frau wurde see-


Madurs. Tuticorin. Eine ungemütliche Bootfshrt. 221<br />

krank, die Situation immer ungemütlicher. Wie gewöhnlich<br />

in den Tropen war auf eine kurze Dämmerung tiefdunkle<br />

Nacht gefolgt. Immer wieder kletterte ich an der Bootswand<br />

hinauf und spähte nach dem Licht des Dampfers, aber es<br />

wollte und wollte nicht näher kommen. Plötzlich stiess der<br />

Mann am Steuerruder mit dem Ausdruck des Schreckens<br />

einige mir unverständliche Worte hervor. „Was hat er ge­<br />

sagt?" fragte ich. „Er sagte", hiess es, „auf dem Wrack,<br />

das auf unserem Wege liege, sei kein Licht." Wie, wenn<br />

wir in der Dunkelheit dagegen rannten! „Das wäre," sagte<br />

mir später der Schiffskapitän, „Ihre letzte Stunde gewesen."<br />

Endlich kam das Licht des Dampfers näher und näher, und<br />

gegen 8 Uhr erreichten wir nach zwei qualvollen Stunden<br />

das Schiff. Die See war so wüst, dass man nicht wagte,<br />

die Schiffstreppe herunterzulassen. Zwei Schiffsoffiziere<br />

kletterten an einer Strickleiter herunter und brachten schie­<br />

bend und ziehend meine Frau auf das Verdeck, während<br />

das Boot an der Seite des Schiffes ungestüm auf- und<br />

niedertanzte. Jetzt wurden die verschiedenen Kollis und<br />

Köfferchen an Stricken in die Höhe gezogen. Mit Angst<br />

sah ich sie über dem Wasser schweben. Es brauchte nur<br />

ein Schloss aufzugehen, und der ganze Inhalt wäre im<br />

Meere verschwunden. Endlich war nun alles oben. Ich<br />

stieg auf der Strickleiter hinauf, bezahlte die Leute, und der<br />

Dampfer setzte sich in Bewegung. Es war ein grosser, mit<br />

allem Komfort ausgestatteter Dampfer der von Eingeborenen<br />

unterhaltenen Asiatic Society. Nur wenige Passagiere, meist<br />

Eingeborene der besseren Stände, waren an Bord. Man<br />

empfing uns äusserst liebenswürdig, gab uns reichlich zu<br />

essen und zu trinken und wies uns eine für uns reservierte<br />

grosse, luftige und saubere Kabine an, in der wir zum ersten<br />

Male seit langer Zeit wieder eine gute Nachtruhe hatten.<br />

Der andere Morgen fand uns noch zwischen Himmel und<br />

Wasser; erst gegen Mittag tauchten die Umrisse von Ceylon


222 VIII. Von Bombay nsch Ceylon.<br />

aus dem Meere auf, und nun kam das wundervolle Eiland<br />

mit seinem Kranze von Palmenwäldern und seinen hoch­<br />

ragenden Bergen immer näher heran. Um drei Uhr warfen<br />

wir Anker, lasen beim Aussteigen eine in den grössten<br />

Buchstaben dem Reisenden entgegentretende Warnung vor<br />

den grossen Gefahren des Sonnenstichs, und bald darauf<br />

waren wir in dem Zimmer eines guten Hotels behaglich unter­<br />

gebracht. Da hier nicht wie in Indien ein Pensionspreis für<br />

den Tag, sondern wie bei uns .alles einzeln bezahlt wurde,<br />

so war vorauszusehen, dass die Hotelkosten doppelt so hoch<br />

wie in Indien sein würden. Wir bestellten das Dinner für den<br />

Abend und Hessen zwei der an allen Strassenecken zu fin­<br />

denden Jinrikisha herbeiholen. Es sind das allerliebste<br />

kleine Kärrchen von eleganter Ausstattung, deren zwischen<br />

zwei hohen Rädern befindlicher Sitz nur für eine Person<br />

Platz gewährt, und welche nicht von Pferden, sondern von<br />

einem chokoladenfarbigen, bis auf Kopftuch und Lendentuch<br />

vollkommen nackten Manne gezogen werden. Die Sitte<br />

stammt aus Japan, wie auch der Name, der auf Japanisch<br />

„Mannwagen" bedeutet. Dieses Beförderungsmittel steht<br />

der Droschke an Schnelligkeit wenig nach und ist dabei<br />

bedeutend billiger. Unser Besuch galt einem meiner ältesten<br />

Jugendfreunde, dem Kaiserlich deutschen Konsul Philipp<br />

Freudenberg, der ebenso wie ich vom Westerwald stammte.<br />

Unsere Eltern waren dort befreundet gewesen, und wir selbst<br />

hatten als Kinder uns oft besucht und zusammen gespielt,<br />

aber seit 1853, also seit 40 Jahren, uns nicht mehr gesehen.<br />

Unsere beiden Menschenpferde trabten tapfer darauf los,<br />

doch bedurfte es längeren Herumfahrens in der von duftigen<br />

Gärten durchzogenen Villengegend Colombos, bis wir das herr-<br />

liche,von Veranden und Gärten umgebene Haus Freudenbergs<br />

erreichten. Auf der Veranda brannte Licht, und kaum hatten wir<br />

unsere Karten hineingeschickt, als von dorther der kräftige<br />

deutsche Ausruf hörbar wurde: „Na, endlich!" Freudenberg


Ankunft in Colombo. Konsul Freudenberg. 223<br />

empfing unsern längst erwarteten Besuch auf das freund­<br />

lichste. Er sei ganz allein zu Hause, da seine Frau mit den<br />

vier Söhnen in Deutschland weile, und sein Bruder sich eben<br />

auf der Hochzeitsreise im Gebirge befinde. Wir müssten<br />

ohne Widerrede, so lange wir in Colombo weilten, bei ihm<br />

wohnen. Ich sagte es für den nächsten Tag zu, aber er<br />

bestand darauf, dass wir noch am selbigen Abend bei ihm<br />

unseren Einzug halten müssten, und so blieb mir nichts<br />

übrig, als ins Hotel zurückzufahren, die Bestellung der<br />

Zimmer wieder rückgängig zu machen und in später Abend­<br />

stunde mit Sack und Pack in dem schönen Hause Freuden­<br />

bergs einzutreffen, welches den Namen Sirinivesa, d. h.<br />

„Wohnsitz des Glückes" führte. Hier konnten wir uns in der<br />

oberen Etage nach Herzenslust ausbreiten und genossen mit<br />

Behagen die Gastfreundschaft des reichen und vornehmen<br />

Hauses. Eine zahlreiche Dienerschaft, die Haare nach singha-<br />

lesischer Sitte mit einem Kamme nach Weiberart hinten<br />

aufgesteckt, bediente uns bei Tische, zum Schlüsse der Mahl­<br />

zeit erschienen die köstlichsten Früchte, Ananas, Bananen,<br />

Mangos, und als wir über diese Fülle der Gaben des Landes<br />

unsere Bewunderung aussprachen, äusserte Freudenberg mit<br />

Bescheidenheit: „Es ist unser gewöhnliches Dessert!"<br />

Aber auch für unsere geistigen Bedürfnisse sorgte unser<br />

liebenswürdiger Wirt, indem er, soweit es seine Zeit erlaubte,<br />

mit uns in die Stadt und zu den Sehenswürdigkeiten fuhr.<br />

Das reichhaltige Museum, der grosse Buddhatempel mit<br />

seiner Kolossalstatue des liegenden Buddha, der herrliche<br />

Strand mit seiner erfrischenden Brise sind mir noch in<br />

bester Erinnerung. Mit besonderem Interesse besuchten wir<br />

auch die weitausgedehnten Anlagen der Kokosölfabrik<br />

unseres Freundes. Er führte uns durch das Lager, in<br />

welchem das von überall her angekaufte Rohmaterial, näm­<br />

lich das zwischen der hölzernen Schale und dem inneren<br />

Saft sich zu einer Schicht ablagernde Fleisch der Kokos-


224 VIII. Von Bombay nach Ceylon.<br />

nüsse, getrocknet wurde. Wir sahen die Vorrichtungen,<br />

durch welche dieses Material zerschnitten, zerstampft, zer­<br />

rieben wurde, bis aus ihm unter dem Drucke gewaltiger<br />

Pressen ein breiter Strom goldig klaren Kokosöls in mäch­<br />

tigem Sprudel emporquoll. In einer besonderen Abteilung<br />

wurden die 500 Liter haltenden Fässer gebaut, dicht gemacht<br />

und schliesslich gefüllt, um nach allen Himmelsgegenden<br />

versandt zu werden. Mit diesem Hauptgeschäfte war früher<br />

ein Handel mit Kaffee verbunden. Neuerdings war an seine<br />

Stelle der Thee getreten, seit der Kaffee in Ceylon'den Ver­<br />

heerungen durch ein gewisses Insekt ausgesetzt ist, sodass<br />

der Anbau sich nicht mehr lohnt.<br />

Wir verliessen den Freund für einige Tage, um der oben<br />

im Gebirge Hegenden Stadt Kandy, der alten Hauptstadt des<br />

Reiches, einen Besuch abzustatten. Die dort hinführende Ge­<br />

birgsbahn durchläuft längere Zeit die dichten Palmenwälder<br />

des Küstensaumes, bis sie dann, am Gebirge emporsteigend,<br />

in fünf Stunden nach Kandy führt. An einer Haltestelle bot<br />

ein Mann als Erfrischung Kokosnüsse, das Stück zu zehn<br />

Pfennig, an. Ich kaufte eine solche; er schlug mit einem<br />

wohlgezielten Hiebe die obere Decke ab, und so empfing ich<br />

das kühle, wie eine matte Limonade schmeckende Getränk<br />

mitsamt seinem natürlichen Becher. Gegen Abend erreichten<br />

wir das von bewaldeten Bergen umgebene, reizend an einem<br />

See gelegene Kandy. An den Ufern desselben liegen mehrere<br />

Buddhistenklöster, denen wir am folgenden Tage einen Be­<br />

such abstatteten. Um einen bescheidenen Hofraum herum zog<br />

sich das Gebäude, welches die Zellen für die Mönche enthielt.<br />

Wir besichtigten eine solche, welche gerade leer stand. Ein<br />

Tisch mit einem Wasserkrug und ein ärmliches Lager machten<br />

den ganzen Inhalt aus. Die übrigen Zellen durften wir nicht<br />

betreten, weil, wie es hiess, die Mönche darin mit Studieren<br />

beschäftigt seien. Da es gerade um die heisse Mittagszeit<br />

war, so werden sie wohl über ihren Palmblatthandschriften


Nach Kandy. Ein Buddhistenkloster. Heutiger Buddhismus. 225<br />

ein wenig eingenickt sein. Das Studieren der Mönche, so­<br />

weit es überhaupt statt hat, besteht wohl überwiegend im<br />

Abschreiben von Handschriften. Das Schreiben geschieht auf<br />

Streifen von Palmblättern. Mit einer Nadel, die sich dabei<br />

auf den immer weiter vorangeschobenen Daumennagel der<br />

linken Hand stützt, werden die rundlichen Schriftzüge von<br />

der rechten Hand mit grosser Geschwindigkeit dem Blatte<br />

eingegraben und durch eine hinterher eingeriebene Schwärze<br />

sichtbar gemacht. Solche Handschriften sind sehr billig zu<br />

haben. Von einem Händler auf der Strasse erstand ich für<br />

ein paar Rupien ein ganzes Bündel solcher beschriebener<br />

Palmblätter und habe daraus manchen Buddhaschwärmer in<br />

Europa beschenkt.<br />

Gegen Abend besuchten wir den berühmten Buddha­<br />

tempel, in welchem wir uns unter den Schwärm der aus- und<br />

eingehenden Verehrer mischten. Ein junger Mönch erkannte<br />

uns als Fremde und machte sich mit uns zu schaffen, indem<br />

er unaufgefordert uns auf dieses und jenes im Tempel auf­<br />

merksam machte. Ich Hess es mir gefallen, war aber nicht<br />

wenig überrascht, als mich der Mönch zum Schlüsse um ein<br />

Trinkgeld bat. „Ich denke, Ihr Buddhisten dürft kein Geld<br />

nehmen", sagte ich. „Ich will es auch nicht für mich", er­<br />

widerte er, „sondern für meine Bücher". Der Buddhismus<br />

scheint in der Tat von seiner alten Strenge so ziemlich alles<br />

verloren zu haben, wenn ich auch die Geschichte dahinge­<br />

stellt sein lassen will, welche mir unser Führer erzählte, dass<br />

aus dem Kloster drüben am See vor einigen Jahren ein Mönch<br />

gehenkt worden sei, weil er, in einen Liebeshandel verwickelt,<br />

seinen Rivalen aus Eifersucht ermordet habe.<br />

Am Nachmittag fuhren wir nach Peradeniya, um den<br />

dortigen weltberühmten botanischen Garten zu besuchen.<br />

Wir wurden, dank einem Empfehlungsbriefe Freudenbergs,<br />

sehr zuvorkommend empfangen und herumgeführt. Während<br />

es unten in der Ebene von Colombo für viele Pflanzen zu<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien. 15


226 VIII. Von Bombay nach Ceylon.<br />

heiss ist, so gedeiht hier oben alles, was wir von Jugend auf<br />

zu schätzen wissen, Kaffee, Zucker, Vanille, Kampfer, Kakao,<br />

Zimt und alle möglichen Gewürze in freier Luft. Einige<br />

Schuppen dienen zum Schutze gegen Wind und Regen; Ge­<br />

wächshäuser gibt es im übrigen nicht, denn was hier nicht<br />

im Freien fortkommt, das würde wohl überhaupt nirgendwo<br />

wachsen. Auch viele edle Baumarten wurden uns teils als<br />

lebende Pflanzen, teils als Holz im Querschnitt gezeigt, und ich<br />

bemerkte beim Ebenholz, dass nur der innere Kern des<br />

Stammes schwarz ist, während die umgebenden Schichten<br />

sich von denen anderer Bäume nicht merklich unterscheiden.<br />

Nachdem wir beim Direktor des botanischen Gartens<br />

den Nachmittagsthee eingenommen, folgten wir gern seiner<br />

Einladung, eine benachbarte Theeplantage zu besichtigen.<br />

Man führte uns durch die nur niedrigen, in regelmässigem<br />

Abstände von einander entfernten Theesträuche, an denen<br />

wir viele Weiblein mit Tragkörben auf dem Rücken be­<br />

schäftigt sahen. Sie sammelten die einzelnen Blätter, wobei,<br />

wie man mir sagte, die Vorschrift besteht, dass von sieben<br />

Blättern drei gepflückt werden dürfen und vier stehen bleiben<br />

müssen. Wir wandten, uns dem auf der Plantage stehenden<br />

Hause zu. In einem Zimmer war gerade Ablöhnung. Die<br />

Weiber drängten sich mit ihren Körben heran, ein Knabe<br />

setzte jeden Korb auf die Wage, und ein junger Engländer<br />

beobachtete den Zeiger und warf jeder Sammlerin einige<br />

Kupferstücke aus einem vor ihm liegenden Haufen zu. Dies<br />

alles war das Werk eines Augenblicks, und so wurden viele<br />

in kurzer Zeit abgefertigt, einige auch dadurch, dass sie<br />

kein Geld, sondern den Korb mit den Blättern zurück erhielten.<br />

Das alles geschah, ohne dass ein Wort dabei gesprochen<br />

wurde. Weiter sahen wir die künstlichen Vorrichtungen<br />

zum Rollen und nachfolgenden Dörren der Blätter. Vierund­<br />

zwanzig Stunden nach dem Abpflücken der Theeblätter können<br />

sie bereits zum Getränke verwendet werden.


Peradeniya. Eine Theeplantage. Der Brotbaum. Eine Schlange. 227<br />

Unter Donner, Blitz und Regen eines tropischen Ge­<br />

witters, wie sie auf Ceylon häufig sind, kehrten wir nach<br />

Kandy zurück. Am nächsten Morgen machten wir vor der<br />

Abreise noch einen Spaziergang auf den bewaldeten Hügeln<br />

der Umgebung. Beim Heraufsteigen vom See aus kamen<br />

wir an einem Brotbaum vorbei, dessen unförmige Früchte<br />

ungefähr die Grösse und Form eines Schwarzbrotes haben.<br />

Ich Hess von einem Knaben eine Frucht herunterholen. Sie<br />

enthielt eine schwammige Masse, in welcher eine grosse<br />

Zahl von Kernen eingebettet liegt. Nur diese Kerne sind<br />

es, welche gegessen werden und um derentwillen die Frucht<br />

geschätzt wird. Anmutige Promenadenwege führten höher<br />

hinauf und gewährten Durchblicke auf den See und die<br />

'Stadt von überraschender Schönheit. Alle diese Wege<br />

waren nach dem Namen irgend einer englischen Lady,<br />

Lady Hortoris Walk usw., benannt, als wenn diese Dämchen<br />

erst diese paradiesische Herrlichkeit geschaffen hätten. Noch<br />

stand die Sonne tief und glitzerte horizontal durch die<br />

Blätter der Bäume; eine herrliche Morgenfrische umwehte<br />

uns; der Gesang der Vögel, das Summen der Insekten, der<br />

ganze Zauber des tropischen Waldes umstrickte uns. Unter<br />

angenehmen Gesprächen schritten wir auf einem teilweise<br />

mit Blättern bedeckten Waldwege dahin, als ich eben noch<br />

zur rechten Zeit bemerkte, wie meine Frau im Begriff war,<br />

ihr Füsschen auf eine gerade über den Weg kriechende<br />

schwarze Schlange zu setzen. Mit einem Aufschrei riss ich<br />

sie zurück; ich war erschrocken, sie war erschrocken, aber<br />

auch die Schlange war erschrocken und schlängelte sich<br />

eiligst ins Gebüsch, wo sie verschwand. Das war die<br />

einzige Schlange, die wir im freien Zustande in Indien<br />

während unseres Aufenthaltes vom November bis zum März<br />

angetroffen haben. Für den Europäer, der mit guten Stiefeln<br />

versehen ist und seine Wege wählen kann, ist die Schlangen­<br />

gefahr nicht gross. Anders bei den Eingeborenen, wenn<br />

15*


228 VIII. Von Bombay nach Ceylon.<br />

sie mit nackten Füssen und Beinen in den Feldern arbeiten<br />

oder zur Nachtzeit wandern. Hierbei kann es gar leicht<br />

vorkommen, dass sie unversehentlich auf eine Schlange<br />

treten, und das können die Schlangen nun einmal nicht leiden.<br />

Zwei Stunden später waren wir auf dem Bahnhofe und<br />

sahen in der benachbarten Strasse eine vielbeschriebene<br />

Scene. Drei buddhistische Mönche mit kahl geschorenem<br />

Kopfe und langem gelben Gewände hielten in den Händen<br />

ihre durch das Obergewand halbverdeckten Almosenschalen.<br />

Sie gingen von Haus zu Haus und blieben schweigend auf<br />

der Strasse gegenüber der Haustür stehen, bis jemand<br />

heraustrat und ihnen drei Klösse, oder was es sonst sein<br />

mochte, in den Topf legte. Dann gingen sie weiter. Be­<br />

kannt ist, dass alle Nahrung der buddhistischen Mönche<br />

erbettelt sein muss. Was sie im Laufe des Vormittags von<br />

Haus zu Haus gesammelt haben, das verzehren sie noch<br />

vor Mittag in ihren Klöstern und dürfen nach zwölf Uhr<br />

mittags den ganzen Tag keine feste Speise mehr zu sich<br />

nehmen. Nach allem, was ich gesehen habe, ist die Lage<br />

eines buddhistischen-Mönches noch weniger zu beneiden<br />

als die eines christlichen, womit doch schon viel gesagt ist.<br />

Auf der Rückfahrt nach Colombo genoss ich noch ein­<br />

mal die herrliche' Landschaft und kam mit mir zu dem Schlüsse,<br />

dass die Natur in Ceylon viel schöner ist als in Indien,<br />

dass aber die Bevölkerung Ceylons lange nicht so interessant<br />

ist wie die indische. Denn in Ceylon herrscht der Buddhis­<br />

mus, welcher eine grosse Toleranz, aber, als Kehrseite der­<br />

selben,, eine ebenso grosse Indifferenz zeigt. Wie der<br />

religiöse, so ist auch der politische Fanatismus den<br />

Singhalesen fremd. Freilich ist Ceylon nicht, wie Indien,<br />

ein von England aus beherrschtes und ausgesogenes Land,<br />

sondern eine englische Kolonie, und das ist ein grosser<br />

Unterschied. In Indien zehrt die sehr kostspielige Ver­<br />

waltung das Mark des Landes auf. Wiederholt hat man mir


Bettelnde Buddhistenmönche. Ceylon und Indien. 229<br />

versichert, dass alljährlich 15 Millionen Pfund Sterling, gleich<br />

300 Millionen Mark, für Pensionen und Verwaltungskosten<br />

nach England abgeführt werden, ohne dass ein materieller<br />

Ersatz dafür zurückflösse. Das ist ein Aderlass, den auf<br />

die Dauer auch das reichste Land nicht ertragen kann. „Da<br />

hatten wir es doch noch besser," sagten meine indischen<br />

Freunde, „zur Zeit der Mohammedaner. Diese plagten und<br />

schunden uns auf alle Weise, aber sie vergeudeten auch<br />

das Erpresste wieder, und das Geld blieb im Lande. Aber<br />

die Engländer verzehren ihre Pensionen in England, und<br />

das Land wird immer ärmer." — Ich kann nicht beurteilen,<br />

wie weit diese Klagen begründet sind; ich weiss nur, dass ein<br />

Freund von mir, ein noch nicht sehr alter Mann, als Colonel aus<br />

Indien schied und jetzt, in England lebend, als Pension die<br />

Kleinigkeit von 1100 Pfund Sterling gleich 22000 Mark bezieht.<br />

Was aber den Buddhismus betrifft, der diese Abschweifung<br />

veranlasste, so kann ich <strong>•</strong> nicht umhin, dem Urteile meines<br />

Freundes Garbe beizustimmen, dass diese Religion der Liebe und<br />

Barmherzigkeit zugleich die der Trägheit und Unwissenheit ist.<br />

Dieser ungünstige Eindruck konnte auch nicht durch<br />

den Besuch verwischt werden, den ich mit Freudenberg zu­<br />

sammen kurz vor meiner Abreise bei Samangala, dem Ober­<br />

haupte des Buddhismus in Ceylon machte. Ich fand in ihm<br />

einen liebenswürdigen Greis von kleiner Gestalt, aber voll<br />

Würde und mit einem schönen beschaulichen Ausdrucke des<br />

Angesichts. Er sprach leidlich gut Sanskrit, und unser Zu­<br />

sammensein verlief aufs beste. Aber von einem Feuer, einer<br />

Begeisterung, wie ich sie von Indien her gewohnt war, konnte<br />

keine Rede sein. Die umgebenden Mönche griffen nicht in<br />

die Unterhaltung ein, vielleicht weil sie des Sanskrit nicht<br />

hinreichend mächtig waren. Dies bestätigte sich auch, als<br />

sie mir auf einen Wink des Oberpriesters die schon auf<br />

Tischen bereitgestellten Handschriften zeigten, wobei wir uns<br />

mühsam durch ein Gemisch von Sanskrit und Pali verständigten.


230 VIII. Von Bombay nach Ceylon.<br />

So rückte der 16. März heran, an welchem die von<br />

Australien kommende Britannia uns aufnehmen und in die<br />

Heimat zurückführen sollte. Der Gedanke, von Indien zu<br />

scheiden, hatte etwas Wehmütiges, und doch kehrte ich nicht<br />

ungern zurück. Ich sehnte mich nach einer geregelten Tätig­<br />

keit, auch hatte ich in diesem Winter eine Überfülle von<br />

Eindrücken eingesogen und verlangte nach Ruhe, um das<br />

alles in mir zu verarbeiten. Dazu kam, dass um die Mitte<br />

des März die Sonne über Ceylon bei seinen acht Grad nörd­<br />

licher Breite fast senkrecht stand. Der eigene Schatten be­<br />

schränkte sich zur Mittagszeit auf ein kleines Klümpchen<br />

unter den Füssen. Man kam sich vor wie Peter Schlemihl,<br />

der seinen Schatten verloren hatte. Ein glänzendes Diner,<br />

welches Freudenberg uns zwei Tage vor der Abreise gab,<br />

musste im Frack überstanden werden und .brachte durch furcht­<br />

bares Schwitzen den Unterschied der Temperaturen hier und<br />

in Deutschland recht fühlbar zum Bewusstsein. Meinen<br />

Diener Purän bezahlte ich aus, fügte ein reichlich bemessenes<br />

Reisegeld zur Rückkehr nach Cawnpore hinzu und Hess ihn<br />

in Frieden ziehen, denn "die zahlreichen Diener des Hauses<br />

Freudenberg machten seine Hilfe entbehrlich. Eingedenk<br />

der Knappheit des Obstes auf den Seeschiffen übergab ich<br />

einem der Diener drei Rupien mit dem Auftrage, Obst da­<br />

für zu kaufen. Er kam zurück mit einem grossen Korbe voll<br />

Ananas und Mangos, Bananen und Apfelsinen. Unsere Freude<br />

über diesen Schatz sollte nicht von langer Dauer sein. Ob­<br />

gleich wir das Obst auf dem Schiff sogleich in den Gefrier­<br />

raum bringen und nur zu den Mahlzeiten herbeiholen Hessen,<br />

so zeigten sich doch nach den ersten Tagen schon solche<br />

Spuren der Fäulnis, dass wir die Hoffnung aufgaben, das<br />

Obst auch nur bis Aden zu bringen, und uns beeilten, nach<br />

links und rechts davon auszuteilen, zur grossen Freude un­<br />

serer Tischnachbarn.


Neuntes Kapitel.<br />

Die Heimreise.<br />

"\17ir hatten die ungünstige Lage unserer Kabine auf dem<br />

Himälaya noch zu lebendig in der Erinnerung, um nicht<br />

für die Rückreise bessere Vorkehrungen zu treffen. Schon von<br />

Bombay aus hatten wir auf der am 16. März von Colombo<br />

abfahrenden Britannia eine Kajüte auf der rechten Seite des<br />

oberen Decks bestellt, und die Agentur hatte diese Bestellung<br />

angenommen. Als wir aber in Colombo auf der Agentur uns<br />

einfanden, behauptete man, dort nichts von der Bestellung zu<br />

wissen, und konnte uns eine bessere Kabine nur bis Aden<br />

zur Verfügung stellen, da sie von dort ab reserviert sei. Am<br />

Donnerstag früh zeigte sich vor Ceylon der Koloss der<br />

Britannia; wir frühstückten noch ein letztes Mal zusammen,<br />

nahmen mit warmem Danke Abschied von Freudenberg und<br />

wurden auf seinen Befehl in dem Kaiserlich deutschen Boote<br />

von zwölf Blaujacken mit schwarzbraunen Gesichtern zur<br />

Britannia gerudert. Dies gab uns von vornherein schon ein<br />

Ansehen, welches auch nicht gestört wurde, indem wir dafür<br />

sorgten, dass man auf dem zurückkehrenden Boote nur zufriedene<br />

Gesichter sah. Die Anker wurden gelichtet, und


232 IX- D'e Heimreise.<br />

mit Wehmut sahen wir das herrliche Land ferner und fer­<br />

ner rücken und zuletzt in der Abenddämmerung ver­<br />

schwinden.<br />

Die Britannia war nicht so neu wie der Himälaya, da­<br />

für aber um vieles besser eingefahren. Der Kapitän war ein<br />

pflichttreuer, wackerer Mann, der auch für seine Passagiere<br />

ein freundliches Wort übrig hatte. Die Mannschaft tat pünkt­<br />

lich ihren Dienst und die Stewards waren nicht so faul, wie<br />

die auf dem Himälaya. Auch die Passagiere hatten ein an­<br />

deres Gepräge als das junge, turburlente, übermütige, ver­<br />

gnügungssüchtige Volk, das uns auf dem Hinwege begleitet<br />

hatte. Unsere jetzigen Mitreisenden kamen meist aus Austra­<br />

lien und waren zum grösseren Teile gesetzte, ältere Leute,<br />

die ihre Geschäfte dort abgeschlossen haben mochten und<br />

in die Heimat zurückkehrten. Zwei wackere freidenkende<br />

Geistliche und ein Arzt, Dr. Jameson — nicht der berüchtigte —<br />

mit seinem reizenden Töchterchen Violet hingen enger zusammen<br />

und wir wurden bald näher mit ihnen bekannt. Vier junge Inder<br />

schlössen sich naturgemäss an uns an. Sie waren für uns<br />

der letzte Nachhall indischer Herrlichkeit. Natürlich fehlte<br />

es auch nicht an weniger sympathischen Elementen.<br />

Am Sonntag war zweimal Gottesdienst, und wir hörten<br />

gern die praktischen, zu Herzen dringenden Reden der er­<br />

wähnten Geistlichen an. Da war nichts von Dogmatik; da<br />

wurden die Verhältnisse des wirklichen Lebens mit seinen<br />

Bestrebungen und Sorgen durchgesprochen,, und das alles in<br />

einer Weise, welche diskret und darum wirksam auf das<br />

Ewige, Unnennbare hinwies. „Viele Leute", sagte der Geist­<br />

liche, „müssen bei allem klagen und murren. Sie wohnen<br />

in einer schlechten Gegend, in Grumbling Street; wir aber<br />

wollen sie zu uns herüberlocken, damit sie ihre Wohnung mit<br />

uns in Thanksgiving Street nehmen und alles, was ihnen zu-<br />

stösst, mit Gelassenheit, ja mit Dank gegen die Vorsehung<br />

entgegennehmen".


Die Britannia. Zweierlei Prediger. Aden. 233."<br />

Am nächsten Sonntag hielt ein Missionar die Predigt..<br />

Die befreundeten Geistlichen erklärten, dass sie nicht hin­<br />

gehen würden und rieten auch mir davon ab. Dies reizte<br />

meine Neugierde, und ich ging erst recht hin. Der Text<br />

war aus dem Hohen Lied: „Du bist die Rose von Saron<br />

und die Lilie in den Tälern." Diese Rose, diese Lilie sollte<br />

dann Jesus sein, und die rote Farbe, der Duft und wer<br />

weiss was sonst noch wurde in der geschmacklosesten,<br />

Weise auf das süsse Jesulein angewendet, welches unser<br />

Redner hätschelte und liebkoste, ja aus welchem er geradezu<br />

ein Idol machte. Von moralischen Gedanken war in der<br />

ganzen Predigt keine Spur zu entdecken.<br />

Während dieser und anderer Erlebnisse hatte sich die<br />

Schraube unseres Dampfers Tag und Nacht unermüdlich/<br />

gedreht, und eine Woche nach der Abfahrt, am Donnerstag,<br />

dem 23. März, ankerten wir am südwestlichen Ende von<br />

Arabien vor Aden. Hier müssten wir die Post von Bombay<br />

an Bord nehmen, die erst gegen Abend eintreffen konnte,<br />

und so durften wir ans Land gehen und uns umsehen.<br />

Am Hafen liegen nur die zu ihm gehörenden Gebäude und<br />

ein elendes Hotel; das Städtchen Aden liegt eine Stunde.<br />

entfernt auf der anderen Seite eines hohen Bergrückens.<br />

Die Umgebung von Aden ist das Trostloseste, was man<br />

von Landschaften sehen kann. Da gibt es keinen Baum,.<br />

keinen Strauch, ja nicht einmal ein Grashälmchen ist zu<br />

finden; alles ist sonneverbrannte, ausgedörrte Wüste. Es<br />

soll hier nur alle drei Jahre einmal regnen. Dann wird das<br />

Wasser in einem System von trichterförmig nach unten.<br />

zugespitzten Cisternen aufgefangen, in deren Tiefen wir eine<br />

armselige Wasserlache bemerkten. Neben diesen Cisternen<br />

befindet sich der „Park von Aden". Es ist eine kümmer­<br />

liche Anpflanzung kleiner Bäume mit verstaubten, halb<br />

welken Blättern, welche schlaff und ohne Lebenslust herab­<br />

hängen. Diese mühsam unterhaltene Anlage ist das Einzige,.


234 IX- D'e Heimreise.<br />

was man an Vegetation in der Umgegend von Aden zu<br />

sehen bekommt. Wir stiegen ans Land, da wo, als Mittel­<br />

punkt des Verkehrs, das schmutzige Hotel liegt. Vor dem­<br />

selben gingen jüdische Geldwechsler in langem Kaftan und<br />

von den Schläfen herabhängenden Judenlocken, unaufhörlich<br />

mit dem Gelde in ihren Händen klappernd, hin und her.<br />

Ich wechselte eine Rupie, indem ich mich darauf gefasst<br />

machte, betrogen zu werden. Diese Erwartung bestätigte<br />

sich; unter dem Wechselgelde befand sich ein falsches<br />

Stück, wie, ich erst durch andere und zu spät erfuhr. Ich nahm<br />

einen elenden Wagen, um auf die Passhöhe zu fahren, von<br />

welcher es auf der anderen Seite zu den Cisternen und<br />

nach Aden heruntergeht. Der Kutscher, ein frecher Araber<br />

von entsprechendem Äusseren, erhob jeden Augenblick Ein­<br />

wendungen gegen die von mir gewählte Fahrt. Am liebsten<br />

hätte ich auf den ganzen Wagen verzichtet, wenn nur ein<br />

anderer zu haben gewesen wäre. Endlich rappelte unser<br />

Wagen durch die öden Strassen von Aden und auf den mit<br />

Säulenhallen umgebenen Markt zu. Hier kaufte ich einiges<br />

Obst, aber es war wenig Geniessbares darunter. Wie in<br />

Ägypten und Palästina, so lauerten auch hier überall hungrige<br />

Arabergesichter, immer darauf bedacht, den Fremden aus­<br />

zubeuten. Wir kehrten über den Bergrücken zum Hafen<br />

zurück, und ich war froh, den widerspenstigen Kutscher los<br />

zu werden. Wir sassen einen Augenblick in dem stark<br />

besuchten Hotel, aber weder die Umgebung noch die<br />

Speisen und Getränke luden zu längerem Verweilen ein.<br />

So fuhren wir schon gegen Mittag wieder auf das Schiff.<br />

Welch ein Trost ist es, in wilden, gefährlichen, verkom­<br />

menen Gegenden ein mit allem Komfort ausgerüstetes Schiff<br />

als Zuflucht zu haben! Gegen Abend langte die Post von<br />

Bombay an, und es dauerte mehrere Stunden, bis alle die<br />

tausend Gepäckstücke aus dem einen Dampfer in den anderen<br />

hinüber geworfen waren.


Eine trostlose Landschaft. Suez. Abenteuer im Kanal. 235<br />

Die dreitägige Fahrt durch das rote Meer war lange<br />

nicht so heiss, wie auf dem Hinwege, da wir beständig<br />

einem kräftigen Nordwinde entgegenfuhren. In Suez wurde<br />

Proviant eingenommen, und es kamen Händler an Bord mit<br />

Photographien, Obst, Naschwerk, Schmucksachen und allerlei<br />

Kram. Die Langeweile einer Seereise bewirkt es, dass sie<br />

ein gutes Geschäft machen. Ein Knabe bot einen Korb mit<br />

Muscheln von seltsamer Bildung feil. Eine besonders.schöne<br />

Muschel lag obenauf. „Was kostet diese?" fragte ich. —<br />

„Six pence, Sir." — „Und der ganze Korb?" — „Zwei<br />

Shilling." — „Ich gebe dir einen dafür." — „Take it." —<br />

So wurde die Zahl unserer Gepäckstücke noch um eines<br />

vermehrt.<br />

Wir fuhren in den Kanal ein; es wurde Nacht, und wir<br />

legten uns schlafen. Am frühen Morgen erwache ich und<br />

bemerke mit Verwunderung, dass die Maschine still steht.<br />

Es ist vielleicht wegen des Ausweichens, dachte ich und eilte<br />

hinauf; aber welcher Anblick bot sich hier! An einer ziem­<br />

lich engen Stelle des Kanals hatte sich die grosse Britannia<br />

mit dem Schnabel in die sandigen Böschungen des Ufers<br />

eingebohrt, und die Wasserströmung, welche stets im Kanal<br />

vorhanden ist, hatte das Hinterteil bis ans andere Ufer ge­<br />

trieben. Vor uns und hinter uns in der Ferne hielten schon<br />

eine Anzahl von Schiffen, denen wir die Durchfahrt sperrten.<br />

Auf unserem Verdeck war alle Mannschaft in fieberhafter<br />

Tätigkeit, der Kapitän mit hochrotem Kopfe eilte hin und<br />

her und erteilte seine Befehle. Der englische Geistliche be­<br />

gegnete mir und rief mit triumphierendem Patriotismus:<br />

„Britannia bars the Suez Canal!" — „Pull her off", erwiderte<br />

ich gelassen. Die Ursache des Unfalls wurde bald bekannt.<br />

Der französische Lotse, den jedes Schiff an Bord zu nehmen<br />

verpflichtet ist, hatte befohlen, langsamer zu fahren. Der<br />

Kapitän hatte eingewendet, dass das grosse Schiff dann<br />

nicht mehr dem Steuerruder gehorchen werde. Der Lotse


236 'X. Die Heimreise.<br />

hatte auf seinem Willen bestanden, und die Folge war, dass<br />

wir feststeckten. Eine solche Lage kann sehr unangenehm<br />

werden, denn wenn ein Schiff binnen vier Stunden nicht<br />

wieder flott wird, so muss es nach dem Verkehrsreglement<br />

ausladen, und was das bedeutet, das hatten wir in Aden bei<br />

Übernahme der Bombayer Post gesehen. Inzwischen waren<br />

Kapitän und Mannschaft eifrig damit beschäftigt, das Schiff<br />

wieder <strong>•</strong> flott zu machen. Starke Eisentaue wurden von der<br />

Spitze und ebenso vom Hinterteil des Schiffes cjuer über den<br />

Kanal nach denjenigen Uferseiten gezogen, von welchen das<br />

Schiff sich abgewandt hatte, und dort an Pflöcken befestigt.<br />

Diese Taue wurden von der Schiffsmaschine gleichzeitig nach<br />

der Mitte des Schiffes hin angezogen, und die Folge war,<br />

dass der Koloss sich wieder gerade legte und seine Fahrt<br />

mit einigen Stunden Verspätung fortsetzen konnte.<br />

Es war ein herrlicher Morgen. Die reine Wüstenluft<br />

Ägyptens umfing uns, und der Nordwind gewährte erquickende<br />

Kühle. Da zeigte sich in der umgebenden Wüste bald links,<br />

bald rechts eine von mir nie vorher gesehene Erscheinung,<br />

nämlich eine immer schöner sich entwickelnde Fata Morgana,<br />

worunter hier nicht das Sichtbarwerden einer entfernten Stadt<br />

durch Luftspiegelung zu verstehen ist, — denn östlich vom<br />

Kanal gibt es nah und fern keine Stadt, — sondern eine<br />

Illusion, welche entsteht, wenn im Sonnenschein die heissen<br />

Wüstendämpfe aufsteigen. Zuerst hatte man den Eindruck<br />

einer Chaussee mit lauter gleichen Akazienbäumen; dann<br />

wieder schien eine Reihe von Pelikanen unbeweglich in der<br />

Ferne zu sitzen, und endlich sah man mitten in der Wüste<br />

ein flutendes, wallendes, wogendes Wasser, und in demselben<br />

baute es sich auf in wagerechten und senkrechten Linien wie<br />

eine Stadt mit hohen Häusern und Türmen, mit mancherlei<br />

Haupt- und Querstrassen. Die Illusion war vollkommen, und<br />

auch das schärfste Opernglas vermochte nicht, sie zu heben,<br />

sondern nur noch zu verstärken. Das einzige Unnatürliche


Eine Fata Morgana. Port Said. Der Taygetos. Brindisi. 237<br />

dabei war, dass die Stadt mitten in dem wogenden Wasser<br />

gleichsam zu schweben schien. Über eine Stunde lang<br />

konnten wir diese Erscheinung in aller Ruhe beobachten.<br />

Gegen Mittag erreichten wir Port Said, und da wir<br />

einige Stunden Aufenthalt hatten, so nahm ich unsere vier<br />

indischen Schützlinge mit mir in die Stadt, um ihnen ein<br />

freilich nur ärmliches Stück Ägyptens zu zeigen. Gegen<br />

Abend stachen wir in See, und jetzt war es nicht mehr die<br />

Spiegelglätte des indischen Ozeans und des roten Meeres,<br />

die uns trug, sondern das mittelländische Meer mit seiner<br />

lebhaften und stellenweise wüsten Wellenbewegung. Die<br />

Stimmung der Passagiere war denn auch wesentlich beein­<br />

trächtigt; viele verschwanden; hier und da drückte sich eine<br />

weibliche Gestalt in die Ecke eines Strandstuhls, einer<br />

welkenden Lilie vergleichbar, und zum ersten Male wies<br />

der Mittagstisch erhebliche Lücken auf. In der folgenden<br />

Nacht passierten wir Kreta, und am nächsten Morgen hatten<br />

wir die Südspitze des Peloponnes erreicht und konnten den<br />

hochragenden, schneebedeckten Taygetos zwischen Sparta<br />

und Messenien in seiner ganzen Herrlichkeit übersehen.<br />

Dann ging es den Tag über nach Norden, während ein<br />

Felseneiland der griechischen Inselwelt nach dem anderen<br />

auftauchte und in respektvoller Ferne liegen blieb. „Ich<br />

fahre sonst wohl zwischen den Inseln durch," sagte mir der<br />

Kapitän, „aber bei dem jüngsten Erdbeben könnte irgend<br />

etwas in die Höhe gekommen sein, und so ziehe ich es vor,<br />

das offene Meer zu halten." Der Abend kam, und mit ihm<br />

begann das Abschiednehmen, denn viele wollten wie wir um<br />

drei Uhr nachts in Brindisi aussteigen. An ein Schlafen­<br />

gehen dachten in dieser unruhigen Nacht die wenigsten.<br />

Um ein Uhr nachts wurde noch ein kräftiges englisches Früh­<br />

stück serviert, und bald nach zwei Uhr nahmen wir von dem<br />

trefflichen Schiffe Abschied und betraten, nicht wie sonst<br />

immer in Booten hinübergerudert, sondern stolz über die


238 IX. Die Heimreise.<br />

Landungsbrücke schreitend, welche die englische Gesell­<br />

schaft für ihre Schiffe hier gebaut hat, den Boden Italiens.<br />

Derselbe Tag brachte uns nach Neapel, wo uns Hebe Freunde<br />

eine warme Aufnahme bereiteten. Einige Tage weilten wir<br />

hier und bei unseren Freunden in Rom und eilten dann<br />

über Mailand, Basel und Mainz der Heimat zu, wo wir um<br />

die Mitte des April wohlbehalten eintrafen.<br />

Über den folgenden Anhang vgl. Seite 204.


ON<br />

The Philosophy of the Vedänta<br />

IN ITS RELATIONS TO OCCIDENTAL<br />

METAPHYSICS.<br />

An address, delivered before the Bombay Branch of the Royal Asiatlc<br />

BY<br />

Society, Saturday, the 25th February, 1893.<br />

Dr. PAUL DEUSSEN,<br />

Professor of Philosophy at the University of Kiel, Germany.<br />

BOMBAY:<br />

PRINTED AT THE EDUCATION SOCIETY'S STEAM PRESS.<br />

1893.<br />

Price: One Ana.<br />

To be had ot JYESHTARAM MUKUNJI and Co, Booksellers,.<br />

Kalkadevi Road, Bombay.


Whose kindness<br />

TO<br />

All my Indian Friends,<br />

has made my journey through india<br />

from November 1892 till March 1893<br />

in all parts of the peninsula<br />

so delightful, instructive, and heart-<br />

elevating,<br />

i dedicate these few pages,<br />

P. D.<br />

Deussen, Erinnerungen an Indien.<br />

in recommending them<br />

TO THEIR<br />

SERIOUS CONSIDERATION<br />

16


FAREWELL TO INDIA.<br />

O, sun of India, what have we committed,<br />

That we must leave thee and thy children now,<br />

Thy giant-trees, thy flowers, so well befitted<br />

To thy blue heaven's never-frowning brow?<br />

And you, our Indian friends, whose hearty feeling<br />

Deep sympathy with you has fast obtained—<br />

From Ceylon to Peshawar and Darjeeling,<br />

Are you now lost to us, so soon as gained?<br />

Farewell! Now Space and Time, in separating<br />

Our bodies, will create a cruel wall;<br />

Until forgetful darkness over-shading,<br />

Like Himalayan fog, beöims you all.<br />

Did we but dream of your brown lovely faces,<br />

Of your dark eyes, and gently touching hands ?<br />

Was it a dream, that le'ft such tender traces,<br />

Accompanying us to foreign lands?<br />

0, yes, a dream is all that we are living,<br />

And India be a dream in this great dream;<br />

A dream, repose and recreation giving,<br />

Under a paler heaven's fainter beam.<br />

But what are Time and Space, whose rough intrusion,<br />

Will separate what is so near allied!<br />

Are they not taught to be a mere illusion ?<br />

May we not be against them fortified ?<br />

0, yes, this thought shall be our consolation,<br />

When we are severed soon by land and sea!<br />

Your sun and ours is one ! no Separation!<br />

Keep friendship, friends, let it eternal be.<br />

Colombo, Uth March, 1893.<br />

P. D.<br />

M. D.


On my journey through India I have noticed with satisfaction, that<br />

in philosophy tili now our brothers in the East have maintained a very<br />

good tradition, better perhaps, than the more active but less contemplative<br />

branches of the great Indo-Aryan family in Europe, where Empirism,<br />

Realism and their natural consequence, Materialism, grow from day<br />

to day more exuberantly, whilst metaphysics, the very centre and heart<br />

of serious philosophy, are supported only by a few ones, who have<br />

learned to brave the spirit of the age.<br />

In India the influence of this perverted and perversive spirit of our<br />

age has not yet overthrown in religion and philosophy the good traditions<br />

of the great ancient time. It is true, that most of the ancient dargana's<br />

even in India find only an historical interest; followers of the Sänkhya-<br />

System occur rarely; Nyäya is cultivated mostly as an intellectual sport<br />

and exercise, like grammar or mathematics,—but the Vedänta is, now as<br />

in the ancient time, living in the mind and heart of every thoughtful Hindoo.<br />

It is true, that even here in the sanctuary of Vedäntic metaphysics, the<br />

realistic tendencies, natural to man, have penetrated, producing the<br />

misinterpreting variations of Caiikara's Advaita, known under the names<br />

Vigishtädvaita, Dvaita, Cuddhädvaita of Rämänuja, Madhva, Vallabha,—but<br />

India tili now has not yet been seduced by their voices, and of hundred<br />

Vedäntins (I have it from a well informed man, who is himself a zealous<br />

adversary of Qafikara and follower of Rämänuja) fifteen perhaps adhere<br />

to Rämänuja, five to Madhva, five to Vallabha, and seventy-five to<br />

Qankarächärya.<br />

This fact may be for poor India in so many misfortunes a great consolation<br />

; for the eternal interests are higher than the temporary ones;<br />

and the System of the Vedänta, as founded on the Upanishads and<br />

Vedänta Sütras and accomplished by Qahkara's commentaries on them,<br />

—equal in rank to Plato and Kant—is one of the most valuable products<br />

of the genius of mankind in his researches of the eternal truth,—as I<br />

propose to show now by a Short sketch of Qahkara's Advaita and comparison<br />

of its principal doctrines with the best that occidental philosophy<br />

has produced tili now.<br />

Taking the Upanishads, as Cahkara does, for revealed truth with<br />

absolute authority, it was not an easy task to build out of their<br />

materials a consistent philosophical System, for the Upanishads are in<br />

Theology, Kosmology and Psychology füll of the hardest contradictions.<br />

So in many passages the nature of Brahman is painted out in various<br />

and luxuriant colours, and again we read, that the nature of Brahman<br />

16*


244 On the philosophy of the Vedänta.<br />

is quite unattainable to human words, to human understanding;—so we<br />

meet sometimes longer reports explaining how the world has been created<br />

by Brahman, and again we are told, that there is no world besides<br />

Brahman, and all variety of things is mere error and illusion;—so we<br />

have fanciful descriptions of the Sanisära, the way of the wandering soul<br />

up to heaven and back to earth, and again we read, that there<br />

is no Samsära, no variety of souls at all, but only one Atman, who is<br />

fully and totally residing in every being.<br />

Carikara in these difficulties created by the nature of his materials, in<br />

face of so many contradictory doctrines, which he was not allowed to<br />

decline and yet could not admit altogether,—has found a wonderful way<br />

out, which deserves the attention, perhaps the Imitation of the Christian<br />

dogmatists in their embarrassments. He constructs out of the materials<br />

of the Upanishads two Systems, one esoteric, philosophical (called<br />

by him nirgunä vidyä, sometimes päramärthikä avasthä) containing the<br />

metaphysical truth for the few ones, rare in all times and countries, who<br />

are able to understand it; and another exoteric, theological (sagunä<br />

vidyä, vyävahärikt avasthä) for the general public, who want images,<br />

not abstract truth, worship, not meditation.<br />

I shall now point out briefly the two Systems, esoteric and exoteric,<br />

in pursuing and confronting them through the four Chief parts, which<br />

Qankara's System contains, and every complete philosophical System<br />

must contain:— -<br />

I. Theology, the doctrine of God or of the philosophical principle.<br />

II. Kosmology, the doctrine of the world.<br />

III. Psychology, the doctrine of the soul.<br />

IV. Eschatology, the doctrine of the last things, the things after death.<br />

I.—Theology.<br />

The Upanishads swarm with fanciful and contradictory descriptions of<br />

the nature of Brahman. He is the all-pervading äkäca, is the purusha in<br />

the sun, the purusha in the eye; his head is the heaven, his eyes are sun<br />

and moon, his breath is the wind, his footstool the earth; he is infinitely<br />

great as the soul of the universe and infinitely small as the soul in us; he is<br />

in particular the tcvara, the personal God, distributing justly reward and<br />

punishment according to the deeds of man. All these numerous descriptions<br />

are collected by Carikara under the wide mantle of the exoteric.theology,<br />

the sagunä vidyä of Brahman, consisting of numerous "vidyäs"<br />

adapted for approaching the eternal being not by the way of knowledge


I. Theology. II. Kosmology. 245<br />

but by the way of worshipping, and having each its particular fruits.<br />

Mark, that also the conception of God as a personal being, an tgvara,<br />

is merely exoteric and does not give us a conform knowledge of the<br />

Ätman;—and indeed, when we consider what is personality, how narrow<br />

in its limitations, how closely connected to egoism, the counterpart of<br />

godly essence, who might think so low of God, to impute him personality<br />

?<br />

In the sharpest contrast to these exoteric vidyäs Stands the esoteric,<br />

nirgunä vidyä of the Ätman; and its fundamental tenet is the absolute<br />

inaccessibility of God to human thoughts and words;<br />

and again:<br />

yato väco nivartante<br />

apräpya manasä saha,<br />

avijnätam vijänatäm,<br />

vijnätam avijänatäm,<br />

and the celebrated formula occurring so offen inBrihadäranyaka-Upanishad:<br />

neu! neu! viz., whatever attempt you make to know the Ätman, whatever<br />

description you give of him, I always say: na iti, na iti, it is not so, it<br />

is not so ! Therefore the wise Bähva, when asked by the king Väshkalin,<br />

to explain the Brahman, kept silence. And when the king repeated his<br />

request again and again, the rishi broke out into the answer: "I teil it<br />

you, but you don't understand it; fänto 'yam ätmä, this Ätmä is silence ! "<br />

We know it now by the Kantian philosophy, that the answer of Bähva<br />

was correct, we know it, that the very Organisation of our intellect (which<br />

is bound once for ever to its innate forms of perception, space, time, and<br />

causality) excludes us from a knowledge of the spaceless, timeless, godly<br />

reality for ever and ever. And yet the Ätman, the only godly being is<br />

not unattainable to us, is even not far from us, for we have it fully and<br />

totally in ourselves as our own metaphysical entity; and here, when<br />

returning from the outside and apparent world to the deepest secrets of<br />

our own nature, we may come to God, not by knowledge, but by anubhava,<br />

by absorption into our own seif. There is a great difference between<br />

knowledge, in which subject and object are distinct from each other, and<br />

anubhava, where subject and object coincide in the same. He who by<br />

anubhava comes to the great intelligence, " aham brahma asmi," obtains<br />

a State called by Qankara Samrädhanam, accomplished satisfaction; and<br />

indeed, what might he desire, who feels and knows himself as the sum<br />

and totality of all existence!<br />

II.—Kosmology.<br />

Here again we meet the distinction of exoteric and esoteric doctrine,<br />

though not so clearly severed by Cankara as in other parts of his<br />

System.


246 On the philosophy of the Vedänta.<br />

The exoteric Kosmology according to the natural but erroneous realism<br />

(avidyä) in which we are born, considers this world as the reality, and<br />

can express its entire dependency of Brahman only by the mythical way<br />

of a creation of the world by Brahman. So a temporal creation of the<br />

world, even as in the Christian documents, is also taught in various and<br />

well-known passages of the Upanishads. But such a creation of the material<br />

world by an immaterial cause, performed in a certain point of time after<br />

an eternity elapsed uselessly, is not only against the demands of human<br />

reason and natural science, but also against another important doctrine<br />

of the Vedänta, who teaches and must teach (as we shall see hereafter)<br />

the "beginninglessness of the migration of souls," samsärasya anäditvam.<br />

Here the expedient of Qahkara is very clever and worthy of imitation.<br />

Instead of the temporary creation pnce for ever of the Upanishads, he<br />

teaches that the world in great. periods is created and reabsorbed by<br />

Brahman (referring to the misunderstood verse of the Rigveda: süryacandramasau<br />

dhätä yathäpürvam akalpayat); this mutual creation and<br />

reabsorption lasts from eternity, and no creation can be allowed by our<br />

System to be a first one, and that for good reasons, as we shall see just<br />

now.—If we ask: Why has God created the world ? the answers to this<br />

question are generally very unsatisfactory. For his own glorification ?<br />

How may we attribute to him so much vanity!—For his particular amusement<br />

? But he was an eternity without this play-toy!—By love of mankind?<br />

How may he love a thing before it exists, and how may it be called love,<br />

to create millions for misery and eternal pain!—The Vedänta has a better<br />

answer. The never ceasing new-creation of the world is a moral necessity<br />

connected with the central and m


II. Kosmology. 247<br />

our understanding. So the Samsära is just so far|from the truth, as the<br />

sagunä vidyä is from the nirgunä vidyä; it is the eternal truth itself,<br />

but (since we cannot conceive it otherwise) the truth in allegorical<br />

form, adapted to our human understanding. And this is the character<br />

of the whole exoteric Vedänta, whilst the esoteric doctrine tries to find<br />

out the philosophical, the absolute truth.<br />

And so we come to the esoteric Kosmology, whose simple doctrine<br />

is this, that in reality there is no manifold world, but only Brahman, and<br />

that what we consider as the world, is a mere illusion (mäyä) similar to<br />

a mrigatrishnikä, which disappears when we approach it, and not more<br />

to be feared than the rope, which we took in the darkness for a serpent.<br />

There are, as you see, many similes in the Vedänta, to illustrate the<br />

illusive character of this world, but the best of them is perhaps, when<br />

Qahkara compares our life with a long dream;—a man whilst dreaming<br />

does not doubt of the reality of the dream, but this reality disappears<br />

in the moment of awakening, to give place to a truer reality which we<br />

were not aware of whilst dreaming. The life a dream! this has been the<br />

thought of many wise men from Pindar and Sophocles to Shakspere and<br />

Calderon de la Barca, but nobody has better explained this idea, than<br />

Cankarä. And indeed, the moment when we die may be to nothing so<br />

similar as to the awakening from a long and heavy dream; it may be,<br />

that then heaven and earth are blown away like the nightly phantoms<br />

of the dream, and what then may stand before us ? or rather in us ?<br />

Brahman, the eternal reality, which was hidden to us tili then by this<br />

dream of life!—This world is mäyä, is illusion, is not the very reality,<br />

that is the deepest thought of the esoteric Vedänta, attained not by calculating<br />

tarka but by anubhava, by returning from this variegated world<br />

to the deep recess of our own Seif (Ätman). Do so, if you can, and you<br />

will get aware of a reality very different from empirical reality, a timeless,<br />

spaceless, changeless reality, and you will feel and experience that whatever<br />

is outside of this only true reality is mere appearance, is mäyä,<br />

is a dream!—This was the way the Indian thinkers went, and by a similar<br />

way, shown by Parmenides, Plato came to the same truth, when knowing<br />

and teaching that this world is a world of shadows, and that the reality<br />

is not in these shadows, but behind them. The accord here of Platonism<br />

and Vedäntism is wonderful, but both have grasped this great metaphysical<br />

truth by intuition; their tenet is true, but they are not able to<br />

prove it, and in so far they are defective. And here a great light and<br />

assistance to the Indian and the Greek thinker comes from the philosophy<br />

of Kant, who went quite another way, not the Vedäntic and Piatonic<br />

way of intuition, but the way of abstract reasoning and scientific<br />

proof. The great work of Kant is an analysis öf human mind, not in the<br />

superficial way of Locke, but getting to the very bottom of it. And in


248 On the philosophy of the Vedänta.<br />

doing so, Kant found, to the surprise of the, world and of himself, that<br />

three essential elements of this outside world, viz. space, time, and<br />

causality, are not, as we naturally believe, eternal fundamentals of an<br />

objective reality, but merely subjective innate perceptual forms of our own<br />

intellect. This has been proved by Kant and by his great disciple<br />

Schopenhauer with mathematical evidence, and I have given these proofs<br />

(the base of every scientific metaphysics) in the shortest and clearest<br />

form in my „Elemente der Metaphysik"—a book which I am resolved<br />

now to get translated into English, for the benefit not of the Europeans<br />

(who may learn German) but of my brothers in India, who will be greatly<br />

astonished to find in Germany the scientific substruction of their own<br />

philosophy, of the Advaita Vedänta! For Kant has demonstrated, that<br />

space, time and causality are not objective realities, but only subjective<br />

forms of our intellect, and the unavoidable conclusion is this, that the<br />

world, as far as it is extended in space, running on in time, ruled throughout<br />

by causality, in so far is merely a representation of my mind<br />

and nothing beyond it. You see the concordance of Indian, Greek<br />

and German metaphysics; the world is mäyä, is illusion, says Cankara;<br />

—it is a world of shadows, not of realities, says Plato;—it is "appearance<br />

only^ not the thing in itself," says Kant. Here we have the same doctrine<br />

in three different parts of the world, but the scientific proofs of it are<br />

not in Carikara, not in Plato, but only in Kant.<br />

III.—Psychology.<br />

Here we cohvert the order and begin with the esoteric Psychology,<br />

because it is closely connected with the esoteric Kosmology and its<br />

fundamental doctrine: the world is mäyä. All is illusive, with one<br />

exception, with the exception of my own Seif, of my Ätman. My Ätman<br />

cannot be illusive, as Carikara shows, anticipating the "cogito, ergo<br />

sum" of Descartes,—for he who would deny it, even in denying it, witnesses<br />

its reality. But what is the relation between my individual soul,<br />

the Jtva-Ätman, and the highest soul, the Parama-Ätman or Brahman?<br />

Here Qarikara, like a prophet, foresees the deviations of Rämänuja, Madhva<br />

and Vallabha and refutes them in showing, that the Jiva cannot be<br />

a part of Brahman (Rämänuja), because Brahman is without parts (for<br />

it is timeless and spaceless, and all parts are either successions in time<br />

or co-ordinations in Space,—as we may supply),—neither a different<br />

thing from Brahman (Madhva), for Brahman is ekam eva advitiyam,<br />

as we may experience by anubhava,—nor a metamorphose of<br />

Brahman (Vallabha), for Brahman -is unchangeable (for, as we know<br />

now.by Kant, it is out of causality). The conclusion is, that the Jiva,<br />

being neither a part nor a different thing, nor a Variation of Brahman, must<br />

be the Paramätman fully and totally himself, a conclusion made


III. Psychology. 249<br />

equally by the Vedäntin Carikara, by the Piatonic Plotinos, and by the<br />

Kantian Schopenhauer. But Carikara in his conclusions goes perhaps<br />

further than any of them. If really our soul, says he, is not a part of<br />

Brahman but Brahman himself, then all the attributes of Brahman, allpervadingness,<br />

eternity, all-mightiness (scientifically spoken: exemption<br />

of space, time, causality) are ours; aham brahma asmi, I am Brahman,<br />

and consequently I am all-pervading (spaceless), eternal (timeless), almighty<br />

(not limited in my doing by causality). But these godly qualities<br />

are hidden in me, says Carikara, as the fire is hidden in the wood, and<br />

will appear only after the final deliverance.<br />

What is the cause of this concealment of my godly nature? The<br />

Upädhi's, answers Qarikara, and with this answer we pass from the<br />

esoteric to the exoteric psychology. The Upädhi's are manas and indriya's,<br />

präna with its five branches, sükshmam gariram, — in Short, the<br />

whole psychological apparatus, which together with a factor changeable<br />

from birth to birth, with my karman, accompanies my Ätman in all his<br />

ways of migration, without infecting his godly nature, as the crystal is<br />

not infected by the colour painted over it. But wherefrom originate<br />

these Upädhi's? They form of course part of the mäyä, the great worldillusion,<br />

and like mäyä they are based in our innate avidyä or ignorance,<br />

a merely negative power and yet strong enough to keep us from our<br />

godly existence. But now, from where comes this avidyä, this primeval<br />

cause of ignorance, sin, and misery? Here all philosophers in India<br />

and Greece and everywhere have been defective, until Kant came to<br />

show us that the whole question is inadmissible. You ask for the cause<br />

of avidyä, but she has no cause; for causality goes only so far as<br />

this world of the Samsära goes, connecting each link of it with another,<br />

but never beyond Samsära and its fundamental characteristic, the avidyä.<br />

In enquiring after a cause of avidyä with mäyä, Samsära and Upädhi's,<br />

you abuse, as Kant may teach us, your innate mental organ of causality<br />

to penetrate into a region for which it is not made, and where it is no more<br />

available. The fact is, that we are here in ignorance, sin and misery, and<br />

that we know the way out of them, but the question of a cause for them<br />

is senseless.<br />

IV.—ESCHATOLOGY.<br />

And now a few words about this way out of the Samsära, and first<br />

about the exoteric theory of it. In the ancient time of the hymns<br />

there was no idea of Samsära, but only rewards in heaven and (somewhat<br />

later) punishments in a dark region (padam gabhiram), the precursor<br />

of the later hells. Then the deep theory of Samsära came up,<br />

teaching rewards and punishment in the form of a new birth on earth.<br />

The Vedänta combines both theories, and so he has a double


250 On the philosophy of the Vedänta.<br />

expiation, first in heaven and hell, and then again in a new existence<br />

on the earth. This double expiation is different (1) for performers of<br />

good works, going the pitriyäna, (2) for worshippers of the sagunam<br />

brahma, going the devayäna, (3) for wicked deeds, leading to what is<br />

obscurely hinted at in the Upanishads as the trittyam sthänam, the third<br />

place. (1) The pitriyäna leads through a succession of dark spheres to<br />

the moon, there to enjoy the fruit of the good works and, after their<br />

consumption, back to an earthly existence. (2) The devayäna leads<br />

through a set of brighter spheres to Brahman, without returning to the<br />

earth (teshäm na punar ävrittih). But this Brahman is only sagunam<br />

brahma, the object of worshipping, and its true worshippers, though<br />

entering into this sagunam brahma without returning, have to wait in it<br />

until they get moksha by obtaining samyagdarganam, the füll knowledge<br />

of the nirgunam brahma. (3) The trittyam sthänam, including the later<br />

theories of hells, teaches punishment in them, and again punishment<br />

by returning to earth in the form of lower castes, animals, and plants.<br />

All these various and fantastical ways of Samsära are considered as true,<br />

quite as true as this world is, but not more. For the whole world and<br />

the whole way of Samsära is valid and true for those only who are in<br />

the avidyä, not for those who have overcome her, as we have to show<br />

now.<br />

The esoteric Vedänta does not admit the reality of the world nor<br />

of the Samsära, for the only reality is Brahman, seized in ourselves as<br />

our own Ätman. The knowledge of this Ätman, the great intelligence:<br />

"aham brahma asmi," does not produce moksha (deliverance), but is<br />

moksha itself. Then we obtain what the Upanishads say:<br />

bhidyate hridaya-granthih,<br />

chidyante sarva-samgayäh,<br />

kshtyante cäsya karmäni,<br />

tasmin drishte parävare.<br />

"When seeing Brahma as the highest and the lowest everywhere, all<br />

knots of our heart, all sorrows are split, all doubts vanish, and our works<br />

become nothing." Certainly no man can live without doing works, and<br />

so also the Jivanmukta; but he knows it, that all these works are illusive,<br />

as this whole world is, and therefore they do not adhere to him nor<br />

produce for him a new life after death.—And what kind of works may<br />

such a man do ?—People have öften reproached the Vedänta with being<br />

defective in morals, and indeed, the Indian genius is too contemplative<br />

to speak much of works; but the fact is nevertheless, that the highest<br />

and purest morality is the immediate consequence of the Vedänta. The<br />

Gospels fix quite correctly as the highest law of morality: "love your<br />

neighbour as yourselves." But why should I do so, since by the order


IV. Eschatology. 251<br />

of nature I feel pain and pleasure only in myself, not in my neighbour?<br />

The answer is not in the Bible (this venerable book being not yet quite<br />

free of Semitic realism), but it is in the Veda, is in the great formula<br />

"tat tvam asi," which gives in three words metaphysics and morals<br />

altogether. You shall love your neighbour as yourselves,—because you<br />

are your neighbour, and mere illusion makes you believe, that your<br />

neighbour is something different from yourselves. Or in the words of<br />

the Bhagavadgitäh : he, who knows himself in everything and everything<br />

in himself, will not injure himself by himself, na hinasti ätmanä<br />

ätmänam. This is the sum and tenor of all morality, and this is the<br />

Standpoint of a man knowing himself as Brahman. He feels himself<br />

as everything,—so he will not desire anything, for he has whatever<br />

canbehad;—he feels himself as everything,—so he will not injure<br />

anything, for nobody injures himself. He lives in the world, is surrounded<br />

by its illusions but not deceived by them: like the man suffering from<br />

timira, who sees two moons but knows that there is one only, so the<br />

JTvanmukta sees the manifold world and cannot get rid of seeing it, but<br />

he knows, that there is only one being, Brahman, the Ätman, his own<br />

Seif, and he verifies it by his deeds of pure uninterested morality. And<br />

so he expects his end, like the potter expects the end of the twirling<br />

of his wheel, after the vessel is ready. And then, for him, when death<br />

comes, no more Samsära: na tasya pränä utkrämanti; brahma eva san<br />

brahma apyeti! He enters into brahman, like the streams into the ocean:<br />

yathä nadyah syandamänäh samudre<br />

astam gacchanti nämarüpe vihäya,<br />

tathä vidvän namarüpäd vimuktah<br />

parät param purusham upaiti divyam;<br />

he leaves behind him näma and rüpam, he leaves behind him individuality,<br />

but he does not leave behind him his Ätman, his Seif. It is<br />

not the falling of the drop into the infinite ocean, it is the whole ocean,<br />

becoming free from the fetters of ice, returning from his frozen State to<br />

that what he is really and has never ceased to be, to his own all-pervading,<br />

eternal, all-mighty nature.<br />

And so the Vedänta, in its unfalsified form, is the strongest support<br />

of pure morality, is the greatest consolation in the sufferings of life<br />

and death, — Indians keep to it! —


Zusätze und Verbesserungen.<br />

S. 13. Z. 22 und S. 23 Z. 21: diota haziri wird von den in Indien<br />

lebenden Engländern gewöhnlich gesagt; richtiger wäre chott häzirt.<br />

Hingegen sind pankha, ekka, paijama, für welche der Usus im Abendlande,<br />

soweit ein solcher besteht, sich dem Femininum zuneigt, im Hindostani<br />

Maskulina.<br />

S. 75. Z. 17: statt der lies den.<br />

S. 81. Z. 21: statt Osman Elias Muhammed Padischah lies Muhammed<br />

Elias Osman Padischah (der erste Name ist der eigene, der<br />

zweite der des Vaters, der dritte wohl der des Grossvaters).<br />

S. 88. Z. 5: statt Räjatarnagint lies Räjatarangini.<br />

S. 100. Z. 6: statt betreffenen lies betreffenden.<br />

S. 113. Z. 31: statt ein lies einen.<br />

S. 119. Z. 22: unt lies und.<br />

S. 130. Z. 28: Schwiegervaters lies Pflegevaters.<br />

S. 142. Z. 28: statt Ihänaküpa lies Jhänaküpa.<br />

Die Schreibung indischer Wörter wurde tunlichst an die bei uns<br />

für das Sanskrit übliche angeschlossen, während für anglisierte Ausdrücke<br />

die englische Transskription befolgt werden musste. (Daher<br />

z. B. Sanskrit neben Sanscrit College). Für die modernen Ortsnamen,<br />

deren Schreibung in Reisebüchern und auf Landkarten eine sehr schwankende<br />

ist, war Thacker's Railway Guide for the whole of India massgebend.<br />

Eine völlige Konsequenz war nicht zu erreichen.


Aberglaube 34. 63. 139. 145.<br />

Aden 15. 233.<br />

Affen 56. 62. 112. 128.<br />

Agra 75 flg.<br />

Ahmedabad 58 flg.<br />

Akbar 78.<br />

Allahabad 185 flg.<br />

Amber 66. 69.<br />

Amritsar 100 flg.<br />

Änandägrama-Institut 210 flg.<br />

Äryasamäj 86 flg.<br />

Register.<br />

(Die Zahlen verweisen auf die Seiten.)<br />

Asketen 67 flg. 135 flg. vgl. 117. 152.<br />

Ayodhyä 127 flg.<br />

Baden (religiöses) 25. 34. 61. 118.<br />

131. 152.<br />

Bankipore 146.<br />

Baroda 47 flg.<br />

Benares 130 flg.<br />

Betelkauen 28. 80.<br />

Bettler 68. 112. 116 flg. 152.<br />

Bombay 19 flg. 202 flg.<br />

Brahmasamäj 86. 154.<br />

Britannia (Schiff) 232.<br />

Brot 195 flg.<br />

Brotbaum 227.<br />

Buddha-Gayä 148 flg.<br />

Buddhatempel 166. 225.<br />

Buddhismus 61. 148. 166. 167. 225.<br />

228. 229.<br />

Buddhistenklöster 224.<br />

Calcutta 152 flg. 174 flg.<br />

Candranagaram 151.<br />

Cawnpore 120 flg.<br />

Ceylon 221 flg. 228 flg.<br />

Chapäti 80. 195.<br />

Cholera 59. 102. 122.<br />

Qiprä 197. 198. 199.<br />

Citra 54. 56.<br />

Colombo 222 flg. 229 flg.<br />

Cosmopolitan Club 202 flg. 209.<br />

Qräddham 150.<br />

Dak Bungalow 19 flg. vgl. 147. 150.<br />

195 flg.<br />

Darjeeling 164 flg.<br />

Delhi 102 flg.<br />

Dharmasamäj 86. 114 flg.<br />

Dum Dum 174.<br />

Eisenbahnen 44. 45 flg.<br />

Ekka 29 126<br />

Elefanten 49.' 50. 54 flg. 66. 69. 196.<br />

199 flg.<br />

Elephanta 34 flg.<br />

Everest, Mount s. Gaurigankar.<br />

Farewell to India 242. vgl. 204. 218.<br />

Fata Morgana 236 flg.<br />

Fatehgarh 119.<br />

Frauen 37 flg. 50. 53. 79. 108. 145.<br />

155. 207.<br />

Fyzabad 127. 129.<br />

Gangä (Ganges) 121. 131 flg. 146.<br />

187 flg.<br />

Gauricankar 168 flg.<br />

Gayä 147 flg. 149 flg.<br />

Gazetteer 217.<br />

Geldwesen 21.<br />

Ghatta's 115. 131. 202.<br />

Götterbilder 40. 207. 212.<br />

Goom 164.<br />

Gopura's 219.<br />

Haifisch 16 flg.<br />

Haushaltung 174 flg.<br />

Heilige 30 flg. 135 flg. 175 flg.<br />

Heilkunde 115.<br />

Himälaya 161 flg.<br />

Himälaya (Schiff) 7 flg.<br />

Hochzeiten 143 flg. 205 flg.<br />

Holifest 212 flg.<br />

Hotelwesen 19. 21 flg.<br />

Hughli 152. 181.<br />

Huqqa (Wasserpfeife) 93. 182 flg.<br />

Independent tribes 90. 94.<br />

Indore 193.<br />

Indus 88<br />

Jaina's 61.<br />

Jaipur 66 flg.<br />

Jamrud 91 flg.<br />

Kalideh 200.<br />

Kandy 224 flg.


254<br />

Register.<br />

Kaschmir 88.<br />

Peradeniya 225 flg.<br />

Kanchinjinga 170 flg.<br />

Peschawar 89 flg. 93 flg.<br />

Kasten 25 flg. 32. 60. 64 flg. 74. 177. Philosophie 93. 176. 213. 243 flg.<br />

195. 220.<br />

Pinjra Pol 62. 63 flg. 173.<br />

Khaibar-Pass 90. 91. 92.<br />

Pockengefahr 101 flg.<br />

Khandwa 192. 202.<br />

Pondicherry 151.<br />

Kinderheiraten 71 flg.<br />

Poona 210 flg.<br />

Kleidung 32.<br />

Port Said 10. 237.<br />

Klima 56 flg.<br />

Prayäga 185. 187 flg.<br />

. Kokila 160.<br />

Professoren 51 flg. 73 flg. 137 flgi<br />

Korscheong Bazar 164.<br />

155 flg.<br />

Krishnalegende 110 flg.<br />

Räjagrihä 149.<br />

Krokodilfütterung 69 flg.<br />

Rauchen 80 flg. 195.<br />

Lahore 82. 84 flg. 98 flg.<br />

Rawal Pindi 88. 96.<br />

Leichenverbrennung 36 flg. 131 flg. Reisediener 24 flg. 118 flg.^120. 123.<br />

Lesehalle 190.<br />

Reisekosten 21.<br />

Lucknow 123 flg.<br />

Sädhu's 64. 148 flg.<br />

Macka 50.<br />

Sänkhyasystem 158 flg. 177. vgl. 129.<br />

Madras 213 flg.<br />

243.<br />

Madura 219 flg.<br />

Sannyäsin's 135 flg. 211.<br />

Mahäräja von Baroda 47. 135. Sannyäsini's 176 flg.<br />

„ „ Benares 133 flg. vergl. Sarasvati 102.<br />

116.<br />

Schakale 48.<br />

Mahäräja von Vijayanagaram 217 flg. Schlangen 35. 62 flg. 122. 227 flg.<br />

Mahävan 110. 117.<br />

Schulen 38. 51 flg. 159. 191.<br />

Mahlzeiten 79 flg.<br />

Seelenwanderungsglaube 70. 246 flg.<br />

Malabar Hill 30. 34.<br />

Sikandra 78.<br />

Mathurä 114 flg.<br />

Siliguri 162. 173.<br />

Mhow 193.<br />

Sprachen Indiens 214 flg.<br />

Missionare 64. 172 flg.<br />

Suez 11. 235.<br />

Moghal Sarai 185.<br />

Suezkanal 11. 235 flg.<br />

Mohammedaner 83 flg. 123. 128. Täj Mahal 75 flg.<br />

155. 196.<br />

Tanjore 219. - <strong>•</strong><br />

Moschusratte 123.<br />

Tanzmädchen 144.<br />

Mückenplage 215 flg.<br />

Terai 163.<br />

Muschelblasen 117.<br />

Theater 41 flg. 49 flg. 125 flg.<br />

Musik 53. 190 flg.<br />

Theeplantage 226.<br />

Naihati 159 flg.<br />

Theosophisten 209 flg. vgl. 141 flg.<br />

Nairanjanä 149.<br />

185.<br />

Narmadä 192 flg.<br />

Toddy 147. 160.<br />

Nepal 165. 168 flg.<br />

Trichinopoly 219.<br />

Nyagrodha 181 flg. 220.<br />

Tropenkoller 14 flg. 153 flg. ,<br />

Opfer (vedisches) 40 flg.<br />

Türme des Schweigens 38 flg.<br />

Opferschnur 159.<br />

Tuticorin 220.<br />

Paijäma 13.<br />

Ujjayini 194 flg.<br />

Pandit's 2. 31 flg. 98. 99.108 flg. 113. Unterrichtswesen 51.<br />

144 flg.<br />

Vedänta 3 flg. 243 flg.<br />

Pankha 12. 215.<br />

Vrindaban 111 flg.<br />

Parsi's 37 flg.<br />

Widderkampf 193.<br />

Pätaliputra 146.<br />

Witwenverbrennung 116. 198.<br />

Pendschäb 82 flg.<br />

Yamunä 75. 187.<br />

Flüsse des P. 97 flg. 102. Yoga 77. 177.<br />

Klima des P. 97.<br />

Zeltwohnen 207 flg.


Von demselben Verfasser sind erschienen:<br />

255<br />

Commentatio de Piatonis Sophistae compositione ac doctrina.<br />

Bonn, Marcus, 1869. 1 Mk. 20 Pf.<br />

Das System des Vedänta nach den Brahma-Sütra's des Bäda-<br />

räyana und dem Commentare des Cankara über die­<br />

selben als ein Compendium der Dogmatik des Brahma-<br />

nismus vom Standpunkt des Cankara aus dargestellt.<br />

Leipzig, F. A. Brockhaus, 1883. 12 Mk.<br />

Die Sütra's des Vedänta oder die Cänraka-Mimärisä des<br />

Bädaräyäna nebst dem vollständigen Commentare des<br />

Qankara. Aus dem Sanskrit übersetzt. Leipzig, F. A.<br />

Brockhaus, 1887. 18 Mk.<br />

On the philosophy of the Vedänta in its relations to Occi­<br />

dental Metaphysics, an address delivered before the<br />

Bombay Branch of the Royal Asiatic Society, the 25th<br />

February 1893. Bombay 1893. One Ana. Leipzig,<br />

F. A. Brockhaus. 10 Pf.<br />

Zur Erinnerung an Gustav Glogau, geboren am 6. Juni 1844<br />

zu Laukischken (Ostpreussen), gestorben als Professor<br />

der Philosophie an der Universität Kiel am 22. März<br />

1895 zu Laurion (Attika). Gedächtnisrede, gehalten an<br />

der Christian-Albrechts-Universität am 11. Mai 1895.<br />

Kiel, Lipsius & Tischer, 1895. 50 Pf.<br />

Über die Notwendigkeit, beim mathematisch-naturwissenschaft­<br />

lichen Doktorexamen die obligatorische Prüfung in der<br />

Philosophie beizubehalten. Kiel, Lipsius & Tischer, 1897.<br />

50 Pf.<br />

Jakob Böhme. Über sein Leben und seine Philosophie.<br />

Rede, gehalten (in kürzerer Fassung) zu Kiel am 8. Mai<br />

1897. Kiel, Lipsius & Tischer, 1897. 50 Pf.


256<br />

Sechzig Upanishads des Veda, aus dem Sanskrit überse z<br />

und mit Einleitungen und Anmerkungen versehen.<br />

Leipzig, F. A. Brockhaus, 1897. Geh. 20 Mk., geb-<br />

22 Mk.<br />

Allgemeine Geschichte der Philosophie mit besonderer Berücksichtigung<br />

der Religionen (2 Bände in 6 Abteilungen).<br />

Erster Band, erste Abteilung: Allgemeine Einleitung<br />

und Philosophie des Veda bis auf die Upanishad's.<br />

Leipzig, F. A. Brockhaus, 1894. 7 Mk.<br />

Erster Band, zweite Abteilung: Die Philosophie der<br />

Upanishad's. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1899. 9 Mk.<br />

Erinnerungen an Friedrich Nietzsche. Mit einem Porträt und<br />

drei Briefen in Faksimile. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1901.<br />

Geh. 2 Mk. 50 Pf., geb. 3 Mk. 50 Pf.<br />

Die Elemente der Metaphysik. Als Leitfaden zum Gebrauche<br />

bei Vorlesungen sowie zum Selbststudium zusammen­<br />

gestellt. Dritte, durch eine Vorbetrachtung Über das<br />

Wesen des Idealismus vermehrte Auflage. Leipzig,<br />

F. A. Brockhaus, 1902. 5 Mk. (Englisch, London,<br />

Macmillan & Co., 1894. Französisch, Paris, Perrin<br />

et Cie, 1899.)<br />

Outlines of Indian Philosophy. Bombay 1902.<br />

(Indian Antiquary).<br />

Discours de la Methode pour bien etudier l'histoire de la<br />

Philosophie et chercher la verite dans les systemes. Paris,<br />

Armand Collin, 1902.<br />

Der kategorische Imperativ. Rede. Zweite Auflage. Kiel,<br />

Lipsius & Tischer, 1903. 50 Pf.<br />

Druck von G. Reichardt, Groitzsch i. S.

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