JETZT Uni&Job - Stellenmarkt - Süddeutsche Zeitung
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wenn wir zum Beispiel über das Zuviel oder das Zuwenig nachdenken.<br />
Es wird zur Lebensschule, wenn wir uns mit veganen oder Straight-X-<br />
Theorien beschäftigen. Es wird zum Geschäft, weil wir von der Werbung<br />
als Ziel auserkoren werden, und es ist natürlich auch Ausdruck unserer<br />
Loslösung von Mama und Papa: Die Essenszeiten binden uns nicht mehr,<br />
wir verlagern die Mahlzeiten erst in unser Zimmer und dann gleich nach<br />
außerhalb des Elternhauses. Der Döner nach Mitternacht ist dabei genauso<br />
Symbol unserer Autonomie wie die Fertigpizza – beide Essen sind<br />
eine Versicherung dafür, dass wir bei der Zubereitung auf niemanden<br />
angewiesen sind. Der Tisch, unter den wir eben noch unsere Füße strecken,<br />
der Eiche gewordene Mittelpunkt der Familienbindung, sieht uns jedenfalls<br />
kaum mehr.<br />
Noch weiter verändert sich unsere Nahrungsaufnahme, sobald wir ausgezogen<br />
sind. Die Notwendigkeit, das Essen organisieren zu müssen, die<br />
verführerische Freiheit auf der einen, der Hunger auf der anderen Seite<br />
stellen uns vor eine nicht unerhebliche Aufgabe. Wir delegieren sie in den<br />
meisten Fällen erst mal – an die Mensa, an die improvisierte WG-Küche<br />
oder eben an das Fertigfutter, das wir kurz vor Ladenschluss noch auf das<br />
Band an der Supermarktkasse werfen: Toastbrot, Fischdose, Kräuterquark,<br />
Ravioli, Trauben-Rum-Schokolade – fertig ist die Brotzeit derjenigen,<br />
die zwar viel Energie verbrauchen, aber wenig Geld, wenig Küchenzubehör<br />
und wenig Lust auf eine Auseinandersetzung mit Essen haben.<br />
Genussvoll brechen wir lieber erst mal alle Regeln, die uns an das Essen<br />
daheim erinnern, picken wochenlang nur noch Dinge aus dem Kühlschrank<br />
direkt in den Mund, ernähren uns streng monothematisch oder<br />
essen ein halbes Jahr im Liegen. Wir definieren uns in dieser Zeit nicht<br />
über unsere Ernährung, wir ordnen sie allen anderen wilden Belangen<br />
unter, sie muss, bitte schön, einfach, haltbar, sättigend, billig, immer verfügbar<br />
sein.<br />
Aber nur wenige bleiben lange auf diesem Nullniveau hängen.<br />
„Irgend was irgendwann essen hat seine Grenzen“, kennzeichnet der Soziologe<br />
Kaufmann das Ende dieser Phase. Das merken wir selber. Auf<br />
einmal freuen wir uns, wenn wir in die Heimat fahren, auf das große<br />
Sonntags essen, das uns als Kind so selbstverständlich war und jetzt so<br />
unendlich aufwendig erscheint. Wir kehren mit Rezepten zurück, mit<br />
ausrangierten Töpfen vielleicht und beginnen, jeder in seinem eigenen<br />
Tempo, die Treppe zu erklimmen, an deren Ende tatsächlich diese spießige<br />
Genusswelt steht, für die Gourmetkeller in die Kaufhäuser gebaut wurden,<br />
für die es Weinverkostungen, Kochshows und Sternerestaurants gibt.<br />
Die Liebe beschleunigt diese Entwicklung in manchen Fällen ungemein.<br />
28 jetzt UNI & JOB Nr.02/11<br />
Denn wir denken in einer Beziehung nicht nur an Sex und gemeinsames<br />
Ausflippen, sondern ziemlich bald auch an gemeinsames Essen. Das romantische<br />
Abendessen mit Kerzenlicht mag uns wie eine kitschige Filmszene<br />
vorkommen, wenn wir anfangen, den ein oder anderen Samstagabend<br />
für die Bolognese-Schlacht mit der Liebsten frei zu halten. Aber es<br />
ändert nichts an dieser Tatsache: Auf einmal kochen wir für jemanden,<br />
und das auch noch gern. Wir versorgen nicht mehr nur uns, und wir versorgen<br />
uns nicht mehr nur mit dem Nötigsten. Es liegt uns etwas an der<br />
Erweiterung unserer Fähigkeiten, eventuell sogar am Vorhandensein von<br />
Servietten, und wir betreiben diese Fortschritte bis zu einem Grad, der<br />
uns von daheim bekannt vorkommt.<br />
Mit dieser Bereitschaft sind wir ziemlich in der Essenswelt der Erwachsenen<br />
angekommen. Jetzt ändern sich Jahr für Jahr nur noch die<br />
Details.<br />
Wir rüsten auf, wir kaufen irgendwann zum ersten Mal frischen Fisch<br />
an der Fischtheke, verschenken Kochbücher und haben einen Lieblingswein.<br />
Wenn wir am Wochenende Freunde treffen, gehen wir nicht mehr<br />
zum Vorglühen ins WG-Zimmer, sondern beginnen wie selbstverständlich<br />
essen zu gehen oder einzuladen. Erst kommt uns das komisch vor,<br />
bald schon verwenden wir eine gewisse Energie darauf, für jeden Anlass<br />
ein passendes Restaurant zu kennen oder semiprofessionell zu kochen.<br />
Ohne es eigentlich zu bemerken, haben wir uns den Essensregeln unserer<br />
Eltern angeschlossen; oder, wie Jean-Claude Kaufmann schreibt: „Die in<br />
der Familie erlernten Regeln und Manieren sind (...) Orientierungspunkte,<br />
die das Leben leichter machen, indem sie den Rhythmen und dem Verhalten<br />
einen stabilen Rahmen geben.“ Nahrungsaufnahme wird jetzt, zu<br />
Beginn des Berufslebens, auch Inbegriff von Freizeit und Privatheit, und<br />
je weniger wir davon haben, desto mehr schätzen und überfrachten wir<br />
das Genießen. Damit immerhin können wir doch ziemlich gut ausdrücken,<br />
wie gut unsere individuelle Persönlichkeit gewürzt ist. Essen ist jetzt Belohnung,<br />
Status, Bei-sich-Sein, Ruhe und, ja, eben auch bald: Familienglück.<br />
Die einen werden sich von hier aus zu ehrgeizigen Küchenhalbgöttern<br />
entwickeln oder einen Lavasteingrill für ihre Einbauküche ordern. Andere<br />
werden glücklich genau das praktizieren, was sie früher verächtlich<br />
Hausmannskost genannt haben. Manche werden jeden Tag im Restaurant<br />
essen, manche jeden Tag ein Pausenbrot schmieren. Sie alle werden<br />
mindestens einmal gutes Essen als ihre Lei- Max Scharnigg, 31, hat gerade<br />
denschaft angeben. Es ist nicht die schlech- einen Roman veröffentlicht, in<br />
teste Leidenschaft – schließlich wird sie uns dem unter anderem ein Paprika<br />
bis ans Lebensende ernähren.<br />
hendl eine tragende Rolle spielt.<br />
Auch ansonsten hegt er großes<br />
Wohlwollen gegenüber allem,<br />
was essbar ist, und ist für grundsätzlich<br />
mehr Beschaffungs <br />
krimi nalität auf Streuobstwiesen.<br />
Online erreichst du ihn auf<br />
maxscharnigg.jetzt.de.