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JETZT Uni&Job - Stellenmarkt - Süddeutsche Zeitung

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Dass ich studieren würde, stand bei mir in der Familie nie zur Debatte.<br />

Meine Mutter hat promoviert, mein Vater hat promoviert. Ohne<br />

Studium kann man gleich putzen gehen, dachte ich. Nach dem Abitur<br />

schrieb ich mich fürs Wintersemester ein. Ich grübelte gern darüber<br />

nach, warum Menschen bestimmte Dinge tun, mein Notenschnitt reichte,<br />

also wurde es Psychologie.<br />

Studium, das war zur Schulzeit ein großes Versprechen für mich. Freiheit.<br />

Endlich richtig schlau sein. Nur noch das lernen, was einen wirklich<br />

interessiert. Betrunken über Foucault reden, mit Rotweinflecken auf den<br />

Lippen, die man am nächsten Morgen nur noch mit der Zahnbürste abkriegt.<br />

Kommilitonen als Kollektiv von Geistesverwandten. Professoren,<br />

die mit Leidenschaft Wissen als Schatz an ihre intellektuellen Zöglinge<br />

weitergeben.<br />

Es wurden sechs quälende Semester. Fensterlose Hörsäle. Stundenlanges<br />

Zuhören. Multiple­Choice­Klausuren. Notenkontoauszüge. Das<br />

Einswerden mit der Immatrikulationsnummer. Ich mochte das Studentenleben<br />

(viel schlafen, viel trinken, keine Pflichten) – ich mochte nur das<br />

Studium nicht. Erst dachte ich, das werde sich mit der Zeit bessern. Dann<br />

dachte ich, es liege am Fach. Nach drei Jahren – da hatte ich zwei Drittel<br />

meines Studiums hinter mir und die Zielgerade schon im Blick – fühlte<br />

ich mich immer noch wie ein Erstsemester.<br />

Das Problem war nur, dass die echten Erstsemester den Eindruck<br />

machten, viel ernsthafter zu studieren und immer zu wissen, in welchem<br />

„Bib“­Ordner die wichtigen Seminarunterlagen hinterlegt waren, während<br />

ich es immer noch nicht auf die Reihe bekam, mir eine Karte für<br />

den Kopierer zu besorgen, weswegen ich einfach nichts kopierte. Ich<br />

fremdelte mit der bürokratischen Anonymität. Und, was es viel schlimmer<br />

machte: Ich wusste nicht, wozu das alles gut sein sollte. Einigen<br />

meiner Freunde ging es ähnlich. Sie beschlossen dennoch, es durchzuziehen<br />

(später machte ihnen die Uni tatsächlich etwas Spaß, und sie<br />

wurden mit einem Diplom belohnt). Ich nicht, ich ließ mich exmatrikulieren.<br />

Bereut habe ich die Entscheidung nicht. In der Zeit, als ich mich vor<br />

Vorlesungen und Hausarbeiten drückte, fing ich an zu schreiben, sogar<br />

für Geld, was ich bis dahin für ein Ding der Unmöglichkeit hielt. Fragen<br />

mich Leute inzwischen, was ich studiert habe, antworte ich wahrheitsgemäß,<br />

jaja, Psychologie an der Uni. Davon, dass man studiert hat, davon<br />

wird in meinem milieublinden Umfeld ausgegangen und auch davon,<br />

dass man dieses Studium selbstverständlich beendet hat. Ich lasse<br />

die Leute meist in dem Glauben und wechsle das Thema.<br />

12 jetzt UNI & JOB Nr.02/11<br />

Xifan Yang, 23, mag am Journalis<br />

mus, dass sie die Wirklichkeit<br />

jetzt nicht mehr nur aus<br />

Büchern kennt. Und sie ist froh<br />

über die Frei heiten, die sie an der<br />

Uni vermisst hat. Blauzumachen<br />

Kommen doch Anschlussfragen, sage traut sie sich aber nicht mehr.<br />

ich, wie es ist. Die Antwort ist dann ein Online erreichst du sie unter<br />

betretenes „Ah“, worauf ich mich ein biss­ xifan-yang.jetzt.de.<br />

chen schäme und in einer Art vorauseilender Empörung mein Gegenüber<br />

innerlich des Spießertums bezichtige, weil ich denke, er könnte<br />

mich für einen Drückeberger oder Versager halten. Aber, hey: Sind<br />

sechs Semester nicht auch was wert? Außerdem ist es nicht so, dass ich<br />

erschlichene Titel mit mir führe.<br />

Bildungspolitiker verbuchen die jährlich 55 000 Studienabbrecher unter<br />

der Rubrik „akademischer Misserfolg“. Grundsätzlich stelle ich den<br />

Sinn von Abschlüssen ja nicht infrage. Menschen ohne Staatsexamen<br />

dürfen mit gutem Grund nicht über Schuld oder Unschuld urteilen, und<br />

keiner würde sich freiwillig von einem Quereinsteiger operieren lassen.<br />

Mir aber fehlt nur ein Stück Papier, das meinen Lebenslauf makellos<br />

macht. Alles, was heute wichtig ist für meine Arbeit, habe ich außerhalb<br />

der Uni gelernt. Auch meine fertig studierten Freunde mit geisteswissenschaftlich­kreativen<br />

Berufen sagen, dass es keinen Vorgesetzten wirklich<br />

interessiert, ob man für vergleichende Literaturwissenschaften,<br />

Geschichte oder „KW“ eingeschrieben war, und dass auch keiner wirklich<br />

danach fragt. Das Uniwissen braucht man im <strong>Job</strong> dann nie wieder,<br />

was den Normalabsolventen nicht stört, weil er sich später ohnehin<br />

nicht mehr an den Stoff erinnern kann.<br />

Bin ich naiv, weil ich glaube, meine Ziele auch ohne Urkunden erreichen<br />

zu können? Ist es unverschämt von mir zu denken, ich könne es<br />

anders machen als alle anderen?<br />

Natürlich graut es mir vor dem Moment, in dem mir ein Master of<br />

Irgend was den <strong>Job</strong> wegschnappt. Wenn ich zu Ende studieren würde,<br />

dann, um nicht ständig aufs Neue beweisen zu müssen, dass meine universitäre<br />

Abschlussschwäche mich nicht zu einem geistigen Invaliden<br />

macht. Um mich nicht mehr dafür rechtfertigen zu müssen, dass es mit<br />

mir und der Uni nicht geklappt hat. Aber reicht das als alleiniges Studienziel?<br />

Ich glaube nicht.<br />

VON XIFAN YANG / TEXT<br />

Schluss.<br />

Nach sechs Semestern hat unsere<br />

Autorin ihr Studium abgebrochen –<br />

hin und wieder fragt sie sich, ob das<br />

damals eine gute Idee war.

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