Mülleimer der Pädagogik< >Steiniger Acker< >Gedanke an eine ...

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Mülleimer der Pädagogik< Auszug aus: Uli Weyland: „Internate – Eliteschulen der Nation?“ In: ZEITmagazin Nr. 35 vom 1. September 1972, S. 4 f. „Die Psychologin Rivka Lehmann, 49, hat viele Jahre lang die Entwicklung von Internatskindern untersucht. 75 Prozent solcher Schüler seien „problematisch", erkannte sie, die Hälfte sei zeitweilig auf therapeutische Hilfe angewiesen, und mindestens ein Viertel der Internatskinder müsse über längere Zeit behandelt werden. „Abstellgleise für Schwierige", sagt Manuel, sein Freund Ulrich spricht gar von „pädagogischen Mülleimern". Da für viele Lehrer die Internate die letzte Station seien, da sie an Staatsschulen nicht lehren könnten, weil ihnen das zweite Staatsexamen fehle, seien Anstalten wie Schondorf, Salem oder Birklehof Orte, an denen oft mäßige Pädagogen schlechte Schüler unterrichteten: Mülleimer der Pädagogik. Der einzig positive Aspekt: Ein Lehrer habe nur zehn Schüler zu betreuen.“ >Steiniger Acker< Auszug aus: Renate Schostack: Der Steinige Acker der Erziehung - Drei Internate: St. Blasien, Salem und Odenwaldschule. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.10.1975 >>Der zu bearbeitende Acker ist steinig. Bernhard Bueb: „Es ist erschreckend, wie wenig Einfluss die Erzieher auf die Kinder haben.“ Ein Pater in St. Blasien: „Wir können nur ein Angebot machen.“ Gerold Becker: „Noch nie hat so viel pädagogischer Aufwand ein so geringes Ergebnis gehabt.“Gedanke an eine Elite weitgehend passe.< Auszug aus: „Zwischen Schule und Elternhaus – Neue Sorgen der katholischen Internate“ In: Deutsche Zeitung/Christ und Welt vom 7. Mai 1976: „Wie orientalische Lasten- oder Packesel müssen sich die Internatsleiter und -erzieher vorgekommen sein, als man ihnen noch eine weitere Last aufbürdete. Früher, da wollten sie vieler-orts eine katholische Elite heranbilden, manche gedachten auch so den nicht zuletzt aus den kinderreichen evangelischen Pfarrhäusern hervorquellenden Bildungsvorsprung der Protestanten in etwa wettzumachen. Heute mehren sich die pädagogisch und schulisch schwierigeren Fälle; der Gedanke an eine Elite ist weitgehend passe. Die traditionelle Ausbildung der Erzieher reicht oft nicht mehr aus, berufsbegleitende Kurse werden stärker als bisher" ihren Stundenplan belasten. Sisyphus lässt grüßen.“ >Schlechtes Schülermaterial< Auszug aus: Dr. Bernhard Bueb (ehemaliger Leiter der Schulen Schloss Salem): „Neue Wege der Stipendienpolitik“ In: Konzepte und Erfahrungen, 1986, S. 46 ff. „Als zentrales Problem bewegt die Leiter und Mitarbeiter der Landerzie-hungsheime jedes Jahr von neuem: Wie viele Schüler werden unser Heim im kommenden Schuljahr besuchen? An der Antwort auf diese Frage hängt die Planung für das nächste Schuljahr, und in der Zeit ab- nehmender Schülerzahlen hängt daran die weitere Frage, ob alle Arbeitsplätze erhalten bleiben, ob zusätzliche geschaffen oder bestehende abgebaut werden. Öffentlichkeitsarbeit, Profilierung, sogar zuweilen Veränderungen des pädagogischen Programms dienen der Schülerwerbung - und das ist recht so. Selten wird die Frage der Schülerzusammensetzung thematisiert. Man ist froh, wenn die Schule voll besetzt ist. Aber w e l c h e Schüler ein Landerziehungsheim besuchen, und ob das zentrale Problem gar nicht die Quantität, sondern die Qualität der Schülerzusammensetzung ist, darüber wird oft nur zögernd oder gar nicht gesprochen, vermutlich auch deshalb, weil man für dieses Problem keine Lösung weiß. Gegenwärtig verstärken viele Landerziehungsheime durch ihre Aufnahmepraxis das Image der Internate, vor allem schwierige, konsumorientierte, verwahrloste, abgeschobene Kinder aufzunehmen. Dieses Image und die entsprechende Wirklichkeit schrecken potentielle Eltern und Jugendliche ab, ein Internat zu besuchen - Jugendliche, für die ein Internat ein Segen wäre und die für Internate ein Segen wären. Es gibt mehr Jugendliche, die gern und mit Gewinn ein Internat besuchen würden als Plätze vorhanden sind. Aber eine Bedingung müßte erfüllt sein: wenn ein Schüler ins Internat geht, um mehr aus sich zu machen, dann muß er sicher sein, dort genügend Gleichge-sinnte zu treffen. Entscheidend für junge Menschen sind die Gleichaltrigen. Denn was nützen ein originelles pädagogisches Programm und engagierte Mitarbeiter, wenn die Mitschüler lethargisch, konsumorientiert, luxusverwahrlost oder so mit

<strong>Mülleimer</strong> <strong>der</strong><br />

Pädagogik<<br />

Auszug aus:<br />

Uli Weyl<strong>an</strong>d: „Internate –<br />

Eliteschulen <strong>der</strong> Nation?“<br />

In: ZEITmagazin Nr. 35 vom 1.<br />

September 1972, S. 4 f.<br />

„Die Psychologin Rivka Lehm<strong>an</strong>n,<br />

49, hat viele Jahre l<strong>an</strong>g<br />

die Entwicklung von Internatskin<strong>der</strong>n<br />

untersucht. 75 Prozent<br />

solcher Schüler seien „problematisch",<br />

erk<strong>an</strong>nte sie, die<br />

Hälfte sei zeitweilig auf therapeutische<br />

Hilfe <strong>an</strong>gewiesen,<br />

und mindestens ein Viertel <strong>der</strong><br />

Internatskin<strong>der</strong> müsse über<br />

längere Zeit beh<strong>an</strong>delt werden.<br />

„Abstellgleise für Schwierige",<br />

sagt M<strong>an</strong>uel, sein Freund Ulrich<br />

spricht gar von „pädagogischen<br />

<strong>Mülleimer</strong>n". Da für<br />

viele Lehrer die Internate die<br />

letzte Station seien, da sie <strong>an</strong><br />

Staatsschulen nicht lehren<br />

könnten, weil ihnen das zweite<br />

Staatsexamen fehle, seien Anstalten<br />

wie Schondorf, Salem<br />

o<strong>der</strong> Birklehof Orte, <strong>an</strong> denen<br />

oft mäßige Pädagogen<br />

schlechte Schüler unterrichteten:<br />

<strong>Mülleimer</strong> <strong>der</strong> Pädagogik.<br />

Der einzig positive Aspekt:<br />

Ein Lehrer habe nur zehn<br />

Schüler zu betreuen.“<br />

><strong>Steiniger</strong> Acker<<br />

Auszug aus:<br />

Renate Schostack: Der Steinige<br />

Acker <strong>der</strong> Erziehung - Drei<br />

Internate: St. Blasien, Salem<br />

und Odenwaldschule.<br />

In: Fr<strong>an</strong>kfurter Allgem<strong>eine</strong> Zeitung<br />

vom 25.10.1975<br />

>>Der zu bearbeitende Acker<br />

ist steinig. Bernhard Bueb: „Es<br />

ist erschreckend, wie wenig<br />

Einfluss die Erzieher auf die<br />

Kin<strong>der</strong> haben.“ Ein Pater in St.<br />

Blasien: „Wir können nur ein<br />

Angebot machen.“ Gerold<br />

Becker: „Noch nie hat so viel<br />

pädagogischer Aufw<strong>an</strong>d ein so<br />

geringes Ergebnis gehabt.“<strong>Ged<strong>an</strong>ke</strong> <strong>an</strong> <strong>eine</strong><br />

Elite weitgehend<br />

passe.<<br />

Auszug aus:<br />

„Zwischen Schule und Elternhaus<br />

– Neue Sorgen <strong>der</strong> katholischen<br />

Internate“<br />

In: Deutsche Zeitung/Christ und<br />

Welt vom 7. Mai 1976:<br />

„Wie orientalische Lasten- o<strong>der</strong><br />

Packesel müssen sich die<br />

Internatsleiter und -erzieher<br />

vorgekommen sein, als m<strong>an</strong><br />

ihnen noch <strong>eine</strong> weitere Last<br />

aufbürdete. Früher, da wollten<br />

sie vieler-orts <strong>eine</strong> katholische<br />

Elite her<strong>an</strong>bilden, m<strong>an</strong>che gedachten<br />

auch so den nicht<br />

zuletzt aus den kin<strong>der</strong>reichen<br />

ev<strong>an</strong>gelischen Pfarrhäusern<br />

hervorquellenden Bildungsvorsprung<br />

<strong>der</strong> Protest<strong>an</strong>ten in etwa<br />

wettzumachen.<br />

Heute mehren sich die pädagogisch<br />

und schulisch schwierigeren<br />

Fälle; <strong>der</strong> <strong>Ged<strong>an</strong>ke</strong> <strong>an</strong><br />

<strong>eine</strong> Elite ist weitgehend passe.<br />

Die traditionelle Ausbildung<br />

<strong>der</strong> Erzieher reicht oft<br />

nicht mehr aus, berufsbegleitende<br />

Kurse werden stärker als<br />

bisher" ihren Stundenpl<strong>an</strong> belasten.<br />

Sisyphus lässt grüßen.“<br />

>Schlechtes<br />

Schülermaterial<<br />

Auszug aus:<br />

Dr. Bernhard Bueb (ehemaliger<br />

Leiter <strong>der</strong> Schulen Schloss<br />

Salem): „Neue Wege <strong>der</strong><br />

Stipendienpolitik“<br />

In: Konzepte und Erfahrungen,<br />

1986, S. 46 ff.<br />

„Als zentrales Problem bewegt<br />

die Leiter und Mitarbeiter<br />

<strong>der</strong> L<strong>an</strong><strong>der</strong>zie-hungsheime<br />

jedes Jahr von neuem: Wie<br />

viele Schüler werden unser<br />

Heim im kommenden Schuljahr<br />

besuchen? An <strong>der</strong> Antwort<br />

auf diese Frage hängt die<br />

Pl<strong>an</strong>ung für das nächste<br />

Schuljahr, und in <strong>der</strong> Zeit ab-<br />

nehmen<strong>der</strong> Schülerzahlen<br />

hängt dar<strong>an</strong> die weitere Frage,<br />

ob alle Arbeitsplätze erhalten<br />

bleiben, ob zusätzliche geschaffen<br />

o<strong>der</strong> bestehende<br />

abgebaut werden.<br />

Öffentlichkeitsarbeit, Profilierung,<br />

sogar zuweilen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

des pädagogischen<br />

Programms dienen <strong>der</strong><br />

Schülerwerbung - und das ist<br />

recht so.<br />

Selten wird die Frage <strong>der</strong><br />

Schülerzusammensetzung<br />

thematisiert. M<strong>an</strong> ist froh,<br />

wenn die Schule voll besetzt<br />

ist. Aber w e l c h e Schüler<br />

ein L<strong>an</strong><strong>der</strong>ziehungsheim besuchen,<br />

und ob das zentrale<br />

Problem gar nicht die Qu<strong>an</strong>tität,<br />

son<strong>der</strong>n die Qualität <strong>der</strong><br />

Schülerzusammensetzung ist,<br />

darüber wird oft nur zögernd<br />

o<strong>der</strong> gar nicht gesprochen,<br />

vermutlich auch deshalb, weil<br />

m<strong>an</strong> für dieses Problem k<strong>eine</strong><br />

Lösung weiß.<br />

Gegenwärtig verstärken viele<br />

L<strong>an</strong><strong>der</strong>ziehungsheime durch<br />

ihre Aufnahmepraxis das Image<br />

<strong>der</strong> Internate, vor allem<br />

schwierige, konsumorientierte,<br />

verwahrloste, abgeschobene<br />

Kin<strong>der</strong> aufzunehmen. Dieses<br />

Image und die entsprechende<br />

Wirklichkeit schrecken potentielle<br />

Eltern und Jugendliche<br />

ab, ein Internat zu besuchen -<br />

Jugendliche, für die ein Internat<br />

ein Segen wäre und die<br />

für Internate ein Segen wären.<br />

Es gibt mehr Jugendliche, die<br />

gern und mit Gewinn ein<br />

Internat besuchen würden als<br />

Plätze vorh<strong>an</strong>den sind. Aber<br />

<strong>eine</strong> Bedingung müßte erfüllt<br />

sein: wenn ein Schüler ins<br />

Internat geht, um mehr aus<br />

sich zu machen, d<strong>an</strong>n muß er<br />

sicher sein, dort genügend<br />

Gleichge-sinnte zu treffen.<br />

Entscheidend für junge Menschen<br />

sind die Gleichaltrigen.<br />

Denn was nützen ein originelles<br />

pädagogisches Programm<br />

und engagierte Mitarbeiter,<br />

wenn die Mitschüler<br />

lethargisch, konsumorientiert,<br />

luxusverwahrlost o<strong>der</strong> so mit


eigenen Problemen beschäftigt<br />

sind, daß sie das pädagogische<br />

Programm nur als<br />

notwendige Bedingung ihres<br />

Aufenthaltes absolvieren und<br />

die Energie <strong>der</strong> engagierten<br />

Mitarbeiter sich darin erschöpft,<br />

<strong>der</strong> Lethargie zu begegnen<br />

und <strong>an</strong> sich selbstverständliche<br />

Grundtugenden beizubringen.<br />

Seit vierzehn Jahren<br />

bin ich <strong>an</strong> L<strong>an</strong><strong>der</strong>ziehungsheimen<br />

tätig. Wenn ich<br />

die Kritik zusammenfassen<br />

und auf <strong>eine</strong>n Nenner bringen<br />

sollte, die von Mitarbeitern,<br />

Schülern, Eltern, den Medien<br />

und von interessierten Menschen<br />

außerhalb <strong>der</strong> L<strong>an</strong><strong>der</strong>ziehungsheime<br />

hartnäckig<br />

vorgetragen wird und die sich<br />

wie ein c<strong>an</strong>tus firmus durch<br />

viele Ge-spräche von Leitern<br />

und Vorständen zieht, d<strong>an</strong>n<br />

bezieht sie sich auf die Art von<br />

Schülern, die heute vornehmlich<br />

L<strong>an</strong><strong>der</strong>ziehungsheime<br />

besuchen. Das „Schülermaterial"<br />

(sit venia verbo) eignet<br />

sich nur bedingt, um die wohldurchdachten<br />

pädagogischen<br />

Programme und Ziele zu verwirklichen.<br />

Zwar haben wir uns<br />

Rechtfertigungen überlegt, mit<br />

denen wir leben können; aber<br />

allzu offensichtlich leiden Leiter<br />

und Mitarbeiter <strong>an</strong> diesem<br />

Zust<strong>an</strong>d. Auf k<strong>eine</strong>r Tagung ist<br />

das so deutlich geworden wie<br />

auf <strong>der</strong> Heimleitertagung <strong>der</strong><br />

L<strong>an</strong><strong>der</strong>ziehungsheime in Urspring<br />

im Oktober 1985.<br />

Die For<strong>der</strong>ung nach <strong>eine</strong>r<br />

qualifizierten Schülerzusammensetzung<br />

stelle ich jenseits<br />

<strong>der</strong> gegenwärtig stattfindenden<br />

Elitediskussion. Sie ist<br />

pädagogisch begründet: Jugendliche<br />

werden vor allem<br />

durch Gleichaltrige erzogen.<br />

Ge-rade schwierige Jugendliche<br />

werden eher <strong>eine</strong> Ch<strong>an</strong>ce<br />

haben, ihrer Schwierigkeiten<br />

Herr zu werden, wenn sie von<br />

Gleichaltrigen mitgetragen<br />

werden, die aufgrund <strong>eine</strong>r<br />

glücklichen Biographie ausgeglichen,<br />

wißbegierig, kameradschaftlich,<br />

lebensoffen und<br />

zukunftsorientiert leben und<br />

lernen. Häufen sich Jugendliche<br />

in <strong>eine</strong>r Gemeinschaft,<br />

die schulverdrossen, depres-<br />

siv, aggressiv, unmotiviert<br />

o<strong>der</strong> in <strong>an</strong><strong>der</strong>er Weise psychisch<br />

labil reagieren, wird die<br />

Aufgabe für Erzieher und Lehrer<br />

zu <strong>eine</strong>r Sisyphusarbeit;<br />

die Erfolglosigkeit wird sich auf<br />

Stimmung und Atmosphäre in<br />

<strong>der</strong> Schulgemeinschaft auswirken,<br />

und das wird wie<strong>der</strong>um<br />

zurückwirken auf den Erziehungsstil.“<br />

>Vom Aussterben<br />

bedroht!<<br />

Quelle: H<strong>an</strong>s-Joachim Nöh:<br />

„Deutsche Internate vom<br />

Aussterben bedroht!“ In:<br />

WELT am SONNTAG vom 5.<br />

Juli 1992, Seite 47<br />

„Deutsche Führungskräfte in<br />

Wirtschaft, Politik und Verwaltung<br />

halten wenig von <strong>der</strong> Erziehung<br />

Jugendlicher in Internaten.<br />

Nur je<strong>der</strong> vierte M<strong>an</strong>ager in<br />

den alten Bundeslän<strong>der</strong>n<br />

glaubt, daß <strong>eine</strong> Internatserziehung<br />

die Entwicklung<br />

von Kin<strong>der</strong>n för<strong>der</strong>t. Je<strong>der</strong><br />

Zweite (49 Prozent) hingegen<br />

hält den Internatsbesuch nur<br />

für <strong>eine</strong> Notlösung, beispielsweise<br />

d<strong>an</strong>n, wenn die Eltern -<br />

weil beide berufstätig o<strong>der</strong><br />

all<strong>eine</strong>rziehend - zuwenig Zeit<br />

für ihre Kin<strong>der</strong> haben. Knapp<br />

je<strong>der</strong> siebte lehnt Internate<br />

rundweg ab.<br />

Das ist das Ergebnis <strong>eine</strong>r<br />

Umfrage, die unlängst das<br />

Institut für Demoskopie in<br />

Allensbach veröffentlichte. Es<br />

steht im Einkl<strong>an</strong>g mit <strong>eine</strong>r seit<br />

Jahren <strong>an</strong>haltenden Entwicklung:<br />

Immer mehr deutsche<br />

Internate müssen schließen<br />

o<strong>der</strong> zumindest Kapazitäten<br />

abbauen.<br />

Ein Hauptgrund dafür läßt sich<br />

zwar nicht empirisch ermitteln,<br />

aber aus <strong>eine</strong>r gemeinhin unausgesprochenen<br />

Erfahrung<br />

benennen: Als <strong>der</strong> Weg zur<br />

Hochschulreife in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

noch in allen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />

ein mühevoller war, bot das<br />

Internat - durchaus nicht nur,<br />

aber auch - <strong>eine</strong> Option auf<br />

ein ordentliches Abitur für jene<br />

Kin<strong>der</strong> bemittelter Eltern, die<br />

entwe<strong>der</strong> mit mehr Faulheit<br />

o<strong>der</strong> mit weniger Intelligenz<br />

ausgestattet waren. Dieses<br />

Rekrutierungspotential entfällt<br />

aber in dem Maße, da die Aufnahmeprüfungen<br />

für Höhere<br />

Schulen abgeschafft und die<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen für das Abitur<br />

beson<strong>der</strong>s in den SPD-regierten<br />

Län<strong>der</strong>n systematisch abgesenkt<br />

wurden.<br />

Noch vor zehn Jahren lebten<br />

und lernten <strong>an</strong>nähernd<br />

50.000 Schüler in über 400<br />

deutschen Internaten. Heute<br />

existieren nur noch rund 250<br />

Internate mit knapp 30.000<br />

Plätzen, die aber längst nicht<br />

alle belegt sind.<br />

Den dramatischsten Schwund<br />

erlitten die katholischen Erziehungseinrichtungen.<br />

Von<br />

einst 346 Internaten, die von<br />

Schülern <strong>der</strong> allgemeinbildenden<br />

Schulen besucht werden,<br />

blieben nur 175 übrig. Die Zahl<br />

<strong>der</strong> Plätze s<strong>an</strong>k dort seit 1978<br />

von 34.000 auf gut 14.000.<br />

Auch zahlreiche nichtkonfessionelle<br />

Schülerheime mußten<br />

m<strong>an</strong>gels Nachfrage aufgeben.<br />

So reduzierte sich beispielsweise<br />

die Zahl <strong>der</strong> im Bundesverb<strong>an</strong>d<br />

Deutscher Privatschulen<br />

(VDP) org<strong>an</strong>isierten<br />

Internate seit Mitte <strong>der</strong> 70er<br />

Jahre von 25 auf zwölf.<br />

Allein die niedrige Geburtenrate<br />

und damit geringe Schülerzahl<br />

begründen den Abwärtstrend<br />

<strong>an</strong> den Internaten<br />

nicht.<br />

Gerold Becker, Sprecher <strong>der</strong><br />

Vereinigung Deutscher L<strong>an</strong><strong>der</strong>ziehungsheime,<br />

sieht das<br />

Hauptproblem für die Internate<br />

in <strong>eine</strong>m verän<strong>der</strong>ten Bewußtsein<br />

von Eltern und Familien,<br />

wie es auch die Allensbach-<br />

Studie <strong>an</strong>deutet. „Früher war<br />

es in einigermaßen gutsituierten<br />

Familien selbstverständlich,<br />

daß die Kin<strong>der</strong> ein Internat<br />

besuchten", sagt<br />

Becker. Heute, so Becker, sei<br />

für viele Familien ein Internat<br />

tatsächlich nur <strong>eine</strong> Notlösung<br />

- bei Zeitm<strong>an</strong>gel <strong>der</strong> Eltern,<br />

schulischen o<strong>der</strong> familiären<br />

Problemen.<br />

Im übrigen entscheiden sich<br />

deutsche Eltern wenn überhaupt,<br />

sehr spät für ein Internat,<br />

d<strong>an</strong>n nämlich, wenn


das Kind über die Pubertät<br />

hinaus ist, die gymnasiale Mittelstufe<br />

schon fast beendet<br />

hat. Daraus resultiert, daß die<br />

meisten unbelegten Plätze <strong>an</strong><br />

Internaten in <strong>der</strong> Unterstufe zu<br />

finden sind, während die<br />

Oberstufe (17 bis 19 Jahre) in<br />

<strong>der</strong> Regel ausgebucht ist.<br />

Neben pädagogische und gesellschaftliche<br />

treten zunehmend<br />

auch h<strong>an</strong>dfeste wirtschaftliche<br />

Motive von Eltern,<br />

sich gegen <strong>eine</strong> Internatserziehung<br />

zu entscheiden: die<br />

Preise. Ein Internatsplatz<br />

kostet den Träger zwischen<br />

2000 und 3500 Mark. Während<br />

die Kirchen ihre Erziehungsheime<br />

zumeist subventionieren<br />

und dadurch den<br />

Beitrag für ihre Schüler auf<br />

rund 1000 bis 1200 Mark<br />

senken, müssen Besucher <strong>der</strong><br />

nichtkonfessionellen Internate<br />

in aller Regel den vollen Preis<br />

bezahlen. Wer sein Kind<br />

beispielsweise nach Salem am<br />

Bodensee schickt, muß 2800,-<br />

Mark, wer das L<strong>an</strong>dschulheim<br />

Stein am Chiemsee bevorzugt,<br />

muß gut 3600 Mark pro Monat<br />

aufbringen, sofern das Kind<br />

kein volles o<strong>der</strong> ein Teil-Stipendium<br />

erhält.<br />

„In vielen Fällen ist bei<br />

Kosten und Preisen die<br />

Schmerzgrenze erreicht", sagt<br />

Gerold Becker vom Verb<strong>an</strong>d<br />

<strong>der</strong> L<strong>an</strong><strong>der</strong>ziehungsheime.<br />

Monatliche Gebühren von<br />

„nur" 2000 Mark seien auch für<br />

gutverdienende Elltern häufig<br />

schon <strong>eine</strong> zu hohe Hürde.<br />

Angesichts steigen<strong>der</strong> Belastungen<br />

privater Haushalte<br />

durch Steuern und Abgaben,<br />

so erwartet auch Anneliese<br />

Knoop, bundesweit <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nte<br />

Internatsberaterin und<br />

ehemals Leiterin des Internats<br />

Marienau, werde die<br />

fin<strong>an</strong>zielle Hürde weiter wachsen<br />

und sich zw<strong>an</strong>gsläufig die<br />

Auslastung vieler Internate<br />

verschlechtern.<br />

Wirtschaftliche Schwierigkeiten<br />

o<strong>der</strong> gar Konkurse verdeutlichen,<br />

daß auch die Internate<br />

selber oftmals ihre<br />

Leistungsgrenze erreicht o<strong>der</strong><br />

überschritten haben. Als „An-<br />

bieter" auf <strong>eine</strong>m pädagogischen<br />

„Markt" geraten sie<br />

schnell in <strong>eine</strong>n ökonomischen<br />

Teufelskreis. Wenn Plätze<br />

nicht belegt sind und damit<br />

Einnahmen ausbleiben, müssen<br />

sie beim Angebot - beispielsweise<br />

internatseigene<br />

Reitpferde, Segelboote,<br />

Schwimmbä<strong>der</strong> und <strong>eine</strong> oftmals<br />

große Zahl <strong>an</strong> Pädagogen<br />

für <strong>eine</strong> optimale Schüler-Betreuung<br />

- sparen. Das<br />

wie<strong>der</strong>um min<strong>der</strong>t Attraktivität<br />

und Konkurrenzfähigkeit.<br />

Zur Stillegung zahlreicher<br />

konfessioneller, zumal katholischer<br />

Internate führen insbeson<strong>der</strong>e<br />

drastisch steigende<br />

Personalkosten. Einst unterrichteten<br />

dort vorwiegend Ordensschwestern<br />

o<strong>der</strong> -brü<strong>der</strong><br />

für wenig o<strong>der</strong> überhaupt<br />

k<strong>eine</strong>n monetären Lohn. Weil<br />

aber die Orden immer weniger<br />

Nachwuchs finden, müssen<br />

die Internate vermehrt Lehrer<br />

und Erzieher „von außen"<br />

einstellen und sie nach Tarif<br />

bezahlen, was oftmals über<br />

ihre Kräfte geht.<br />

Ein dritter Faktor, <strong>der</strong> bisl<strong>an</strong>g<br />

viele Internate in den Ruin<br />

trieb: die wachsende Konkurrenz<br />

durch staatliche Schulen.<br />

Waren Erziehungsheime einst<br />

die letzte Rettung für Jugendliche,,<br />

die fernab <strong>eine</strong>r<br />

Realschule o<strong>der</strong> <strong>eine</strong>s Gymnasiums<br />

lebten, findet heute<br />

beinahe je<strong>der</strong> deutsche Schüler<br />

den geeigneten Schultyp in<br />

erreichbarer Nähe.<br />

Überdies wuchs gerade in den<br />

letzten zehn Jahren die Zahl<br />

staatlicher G<strong>an</strong>ztagsschulen<br />

beträchtlich. Allein in Nordrhein-Westfalen<br />

verdoppelte<br />

sie sich seit 1980 von 254 auf<br />

492. Damit eröffneten sich für<br />

<strong>eine</strong> wichtige Klientel <strong>der</strong><br />

Internate, all<strong>eine</strong>rziehende<br />

Mütter/Väter und berufstätige<br />

Eltern, neue Perspektiven.<br />

Obendrein machen hartnäckig<br />

haftende Klischees den Internaten<br />

zu schaffen. „Internate<br />

gelten vielfach als goldene<br />

Käfige, als >Luxusinstitute< für<br />

Kin<strong>der</strong> von Mächtigen, als Kin<strong>der</strong>gefängnisse<br />

o<strong>der</strong> als Ka-<br />

detten<strong>an</strong>stalten mit strengster<br />

Überwachung, minutiös geregeltem<br />

Tagesablauf und harten<br />

Strafen bei Übertretung<br />

<strong>der</strong> Regeln", zählt Gerold<br />

Becker vom Verb<strong>an</strong>d <strong>der</strong><br />

L<strong>an</strong><strong>der</strong>ziehungsheime auf.<br />

„Die Realität sieht meistens<br />

g<strong>an</strong>z <strong>an</strong><strong>der</strong>s aus", versichert<br />

er. Ziel mo<strong>der</strong>ner Internate sei<br />

die Erziehung von Kin<strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen zum ver<strong>an</strong>twortungsbewußten<br />

Umg<strong>an</strong>g mit<br />

sich und <strong>an</strong><strong>der</strong>en. Dazu<br />

gehören Raucherlaubnis und<br />

maßvoller Umg<strong>an</strong>g mit Alkohol<br />

sowie die freie Entscheidung<br />

darüber, w<strong>an</strong>n <strong>der</strong> Schüler<br />

schlafen geht.<br />

Daß Internatsbesucher zumindest<br />

beim Thema Bettruhe<br />

noch nicht überall als mündig<br />

eingeschätzt werden, zeigen<br />

die Beispiele Schloß Heessen<br />

(Nordrhein-Westfalen) und<br />

Scheeßel (Nie<strong>der</strong>sachsen).<br />

In beiden Internaten gilt<br />

selbst für 18jährige: „Licht<br />

aus um 22.30 Uhr". Ein<br />

Scheeßeler Schüler dazu:<br />

„Ich darf wählen und Verträge<br />

unterschreiben. Demnächst<br />

werde ich ausgebil<br />

det, um notfalls mein L<strong>an</strong>d<br />

zu verteidigen. Warum darf<br />

ich d<strong>an</strong>n nicht selber entscheiden,<br />

wie l<strong>an</strong>ge ich<br />

abends lese o<strong>der</strong> fernsehe?"<br />

>Nicht im Trend<<br />

06.06.2005 (bikl/idw) Der<br />

Trend zur G<strong>an</strong>ztagsschule<br />

sollte ei-gentlich auch<br />

Internaten zugute kommen.<br />

Tut er aber nicht: Seit Jahren<br />

gehen die Zahlen in den<br />

Schülerpensionaten zurück.<br />

Wissenschaftler <strong>der</strong><br />

Universität Bonn haben nun<br />

untersucht, auf welche<br />

Wünsche Internate sich<br />

einstellen müssen, um<br />

erfolgreich zu sein. Ein Ergebnis:<br />

Eltern suchen <strong>eine</strong> heile<br />

Welt hinter Mauern, in <strong>der</strong> ihre<br />

Sprösslinge nicht mit dem<br />

"Bösen" in Berührung<br />

kommen.<br />

Quelle:<br />

URL:<br />

http://bildungsklick.de/serviceText<br />

.html?serviceTextId=15007

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