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FWF - Publikationen - Jahresbericht 2004

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Zwischen Kommunismus & Kapital<br />

Neben ihrer wissenschaftlichen Leidenschaft ist für Waltraud Bayer der Koffer das<br />

wichtigste Forschungsutensil. In den vergangenen zwölf Jahren bereiste sie elf<br />

Länder – Russland, Estland, Lettland, Litauen, Armenien, Kasachstan, die Ukraine, die<br />

Tschechische Republik, Deutschland, Großbritannien und die USA.<br />

Dass sie die politisch dynamischen Länder Osteuropas besonders häufig besucht, hat<br />

seinen Grund: Waltraud Bayer gilt weltweit als Expertin der gesellschaftspolitischen<br />

Entwicklungen des dortigen Kunstmarkts ab dem Jahr 1850. Diese hat sie seit dem<br />

Jahr 1990 in vielen Forschungsprojekten analysiert und so einen umfassenden Überblick<br />

über die Zusammenhänge von Kunst und Kapital schaffen können. Am Anfang<br />

stand eine Arbeit zur Kunstförderung des Moskauer Wirtschaftsbürgertums im Zarenreich<br />

von 1850–1917. Es folgten zahlreiche Projekte, die sich mit Kunstsammlungen in<br />

der UdSSR, deren Export und Verstaatlichung in den Jahren 1917–1938 befassten. Im<br />

Jahr 2001 erhielt sie dann ein wohlverdientes Hertha Firnberg-Stipendium, das es ihr ermöglichte,<br />

bis ins Jahr <strong>2004</strong> den inoffiziellen Kunstmarkt der UdSSR von<br />

1917 bis 1991 zu analysieren.<br />

Wandel im Kunstmarkt Derzeit untersucht sie den Wandel des (post-)<br />

sowjetischen Kunst- und Sammelmarkts seit den Reformen Gorbatschows –<br />

von der offiziellen Anerkennung privater Kollektionen bis zur Entwicklung<br />

marktwirtschaftlicher Strukturen, von der Rettung diskreditierter Kunstströmungen<br />

bis zur Anerkennung von Kunst als Ware. Diese Transformation<br />

erfasste auch die gesellschaftliche Elite. War diese es doch, die nach dem<br />

Verbot von Privateigentum Kunst erwerben konnte. Dabei wurde nicht dem<br />

offiziellen ästhetischen Kanon entsprochen: Moderne, Avantgarde und<br />

Ikonen wurden bevorzugt. Dass die Elite eher kulturelles als monetäres Kapital einsetzte,<br />

wandelte sich mit den Änderungen im Jahr 1991. Nun wurde finanzielles Kapital Vorbedingung<br />

für Kunstförderung: Firmensammlungen, Sponsoring, Mäzenatentum sowie Galerieund<br />

Museumsgründungen verdrängten den individuellen Sammlertypus.<br />

Keine Sprachbarrieren Dass Bayer Pionierarbeit leistet, sieht sie als Sinn von Forschung.<br />

Das Neuland, das sie beschreitet, kommt in Form von Materialien aus Archiven<br />

und Museen der ehemaligen UdSSR sowie aus Interviews. Dabei wird die Authentizität<br />

ihrer Forschung dadurch gefördert, dass Waltraud Bayer in der Muttersprache der<br />

Betroffenen kommunizieren kann – sie ist Dolmetscherin für Russisch.<br />

Mag. Dr. Waltraud Bayer vom Institut für Geschichte der Universität Graz ist sich<br />

der Aktualität ihrer Forschung bewusst: „Mäzenen wie der inhaftierte YUKOS-<br />

Gründer Chodorkowski, der Hauptsponsor der Eremitage-Filiale in London, oder der<br />

Industrielle Vekselberg, der <strong>2004</strong> die unter Stalin zwangsverkauften Fabergé-Pretiosen<br />

bei Sotheby‘s aus der New Yorker Sammlung Forbes erwarb, können vorerst in<br />

Russland für ihr kulturelles Engagement nicht mehr gewürdigt werden. Damit betrifft<br />

dieses Projekt durchaus auch aktuelle und brisante politische Aspekte.“<br />

PROJEKTE Geistes- und Sozialwissenschaften<br />

JAHRESBERICHT <strong>2004</strong><br />

Das Projekt „Vom<br />

kulturellen zum öko-<br />

nomischen Kapital,<br />

1985–ca. 2000“ ist<br />

thematisch inno-<br />

vativ: Die Einführung<br />

der Marktwirtschaft<br />

und Formierung<br />

einer neuen mäze-<br />

natischen Schicht<br />

in der ehemaligen<br />

UdSSR ist interna-<br />

tional noch nicht<br />

bearbeitet worden.<br />

Dazu werden neue<br />

methodische Ansätze<br />

wie Erinnerungsforschung,<br />

Kunst- und<br />

Kultur-Soziologie,<br />

Oral History und<br />

Corporate Collecting<br />

verwendet.<br />

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