Sonderdruck aus Heft 20/77 - Prof. Dr. Dr. med. Markus Reza Sanatger
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<strong>Sonderdruck</strong> <strong>aus</strong><br />
<strong>Heft</strong> <strong>20</strong>/<strong>77</strong><br />
Verlag <strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>. D. Straube,<br />
Vogelherd 35, Postfach 3740<br />
85<strong>20</strong> Erlangen, Telefon 0 91 31 / 6$'1
Medizin 5,<strong>20</strong> (19<strong>77</strong>),2267<br />
-2271, @ peri<strong>med</strong> Verlag <strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>. D. Straube,85<strong>20</strong> Erlangen<br />
Das stumpfe Bauchtrauma<br />
B. Kessler, V. Pircher, R. <strong>Sanatger</strong> und B. Stegemann,<br />
Chirurgische Klinik mit Poliklinik der Universität Münster - Allgemeinchirurgie -<br />
(Direktor: <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>. H. Bünte)<br />
Beim stumpfen Bauchtrauma<br />
steht zunächst eine allgemeine<br />
Symptomatik im Vordergrund<br />
Folgende Organe sind am häufigsten<br />
bei stumpfen Bauchverletzungen<br />
betroffen (Abb. z):<br />
1. Milz,<br />
2. Leber.<br />
3. Pankreas,<br />
4. Zwerchfell<br />
5. Magen - Darm, Mesenterium,<br />
6. Harnblase.<br />
Bei allen diesen Verletzungen besteht<br />
eine zunächst allgemeine<br />
Symptomatik:<br />
'(u<br />
\<br />
Unter den durch die Motorisierung ständig zunehmenden Unfällen<br />
nehmen die sogenannten stumpfen Bauchverletzungen einen<br />
großen und wichtigen Raum ein. Die genaue Kenntnis des<br />
Unfallherganges erleichtert dabei die insgesamt schwierige<br />
Diagnostik (Abb. 1). Die Gefahr der Verletzung eines Bauchorganes<br />
ist um so größer, je umschriebener stumpfe Gewalt einwirkt, ie<br />
mehr Bauchorgane gegen den knöchernen Widerstand der<br />
Wirbelsäule oder des Beckens gedrückt werden und je stärker die<br />
Füllung der Organe ist (1, 2).<br />
1. Schock: Pulsbeschleunigung, Absinken<br />
des Blutdruckes. Schweiß<strong>aus</strong>brüche,<br />
Blässe,<br />
2. Bauchdeckenspannung,<br />
3. Erbrechen,<br />
4. Fehlen jeglicher Peristaltik.<br />
Bei jedem begründeten Verdacht<br />
ist sofort zu laparotomieren<br />
Lokalbefund: In der Regel sind im<br />
Bereich der Bauchdecken keine Verletzungsspuren<br />
nachzuweisen. Es<br />
besteht jedoch eine palpatorisch<br />
nachweisbare, <strong>aus</strong>geprägte Bauchdeckenspannung<br />
mit erheblicher<br />
<strong>Dr</strong>uckschmerzhaftigkeit. Auskulta-<br />
Typischer Mechanismus<br />
einer stumpfen<br />
Bauchverletzung.<br />
Der Notfall<br />
torisch fällt das Fehlen jeglicher Peristaltik<br />
auf.<br />
Röntgenaufnahmen sind<br />
erforderlich<br />
Eine Abdomenübersichtsaufnahme<br />
zum Erkennen insbesondere<br />
einer Zwerchfell- oder Magen-<br />
Darm-Verletzung (Abb. 3 und 4) sowie<br />
ein Infusionspyelogramm zum<br />
Ausschluß einer Verletzung der Nieren<br />
und ableitenden Harnorgane.<br />
Laboruntersuchungen<br />
Bestimmt werden sollten die Hämoglobin-,<br />
Hämatokrit- und Leukozytenwerte.<br />
Zu beachten ist, daß<br />
auch bei starken Blutungen die Hbund<br />
Hk-Verte anfänglich noch sehr<br />
hoch sein können. Die Leukozyten<br />
hingegen steigen rasch an und sind<br />
insbesondere bei Milzrupturen in<br />
der Regel stark erhöht.<br />
Explorative Laparotomie: Bei jedem<br />
begründeten Verdacht auf eine<br />
Verletzung eines intraabdominellen<br />
Organes (Blutdruckabfall, steigender<br />
Puls, Erbrechen, Leukozytenanstieg,<br />
DOUGLAS-<strong>Dr</strong>uckschmerz) ist sofort<br />
die Laparotomie durchzuführen.<br />
Medizin5,<strong>20</strong>(19q 2267
B. Kessler: Das stumpfe Bauchtrauma<br />
Schmerzen in der linken Schulter<br />
können ein wichtiger Hinweis auf<br />
Milzruptur sein<br />
Die klassischen Symptome bei<br />
Milzverletzungen sind: lokale linksseitige<br />
Oberbauchspannung, erheblicher<br />
<strong>Dr</strong>uckschmerz, Schalldämpfung<br />
in rechter Seitenlage und röntgenologische<br />
Vergrößerung des<br />
Milzschattens mit Verdrängung von<br />
Magen- und linker Kolonflexur. Ein<br />
wichtiger Hinweis für die Erkennung<br />
der Milzruptur sind auftretende<br />
Schmerzen in der linken Schulter.<br />
Ist bei der Erstuntersuchung die<br />
Diagnose Milzruptur nicht sicher zu<br />
stellen und erlaubt es die Situation<br />
des Patienten, mit der explorativen<br />
Laparotomie ztJzrJwarten, ist die intensive<br />
Überwachung mit Messung<br />
des zentralen Venendrucks und der<br />
peripheren Blutdruckwerte sowie<br />
mit Kontrollen von Hb-, Hk- und<br />
Leukozytenwerten angezeigt, um<br />
eine zweizeitige Milzruptur (Latenzzeit<br />
bis L4Tage) nicht zu übersehen<br />
(r,4).<br />
Eingeschränkte Bauchatmung<br />
weist auf Leberverletzung hin<br />
Besonders wichtig bei Leberverletzungen<br />
sind der Unfallhergang<br />
sowie der Nachweis von Prellungs-,<br />
Quetschmarken und Hautabschür-<br />
Abb.2:<br />
Übersichtüber<br />
stumpfe<br />
Bauchverletzungen.<br />
2268 u"ai.in s, 2o(19<strong>77</strong>)<br />
Nierenkont usion<br />
fungen im Bereich des rechten<br />
Oberbauches. Es bestehen eingeschränkte<br />
Bauchatmung und rechtsseitige<br />
Schulterschmerzen, Abwehrspannung<br />
und <strong>Dr</strong>uckschmerz im<br />
rechten Oberbauch, rechtsseitige<br />
Flankendämpfung. Die Zeichen des<br />
Entblutungsschocks sind bei großen<br />
Leberverletzungen besonders stark<br />
<strong>aus</strong>geprägt. Eine zweizeitige Leberruptur<br />
kann nur durch die weitere<br />
Verlaufssymptomatik diagnostiziert<br />
werden (Hämobilie, erhöhte Leberenzyme,<br />
Gallenperitonitis).<br />
Fettgewebsnekrosen machen die<br />
Pankreasverletzung gef ährlich<br />
Im Gegensatz zu den bei Milz und<br />
Leber beschriebenen, meist eindeutigen<br />
Symptomen gibt es für die<br />
Pankreasverletzung keine sicheren<br />
allgemeinen Symptome. Es kommt<br />
in der Regel zur Abwehrspannung,<br />
die auf den Oberbauch beschränkt<br />
ist. Diese kann jedoch von einem<br />
symptomarmen Intervall von Tagen<br />
bis STochen abgelöst werden (3).<br />
'STeiterhin diagnostisch verwertbar<br />
sind eine Diastaseerhöhung sowie<br />
das Ergebnis der selektiven Arteriographie<br />
von A.'zoeliaca und A. mesenterica<br />
superior. Die Gefährlichkeit<br />
der Pankreasverletzung liegt weniger<br />
in einer starken Blutung, als in<br />
dendurchAustritt des <strong>Dr</strong>üsensekretes<br />
entstehenden Fettgewebsnekrosen.<br />
sonstige Intraabdom.<br />
Auch die Ruptur des<br />
Diaphragmas kann ein- oder<br />
zweizeitig erfolgen<br />
Bei Verletzung des Zwerchfells ist<br />
der Entstehungsmechanismus sehr<br />
wichtig, weil der Zwerchfellruptur<br />
ursächlich eine breitflächige Gewalteinwirkung<br />
vor<strong>aus</strong>geht (Uberfahrenwerden,<br />
Eingequetschtwerden, Sturz<br />
<strong>aus</strong> großen Höhen, Verschüttung).<br />
Der Entstehungsmechanismus ist<br />
dabei in der Regel folgender: Die<br />
durch die Bauchquetschung bedingte<br />
<strong>Dr</strong>uckerhöhung in diesem Hohlraum<br />
führt zur Ruptur des Zwerchfells;<br />
durch das abdomino-thorakale<br />
<strong>Dr</strong>uckgefalle werden die Baucheingeweide<br />
dann in den Thoraxraum<br />
hineingezogen. In 95 oÄ der Fälle<br />
liegen die Rupturen links und nur in<br />
5 oÄ rechts (4) (Pufferwirkung der<br />
Leber). Ahnlich wie bei der Milzruptur<br />
kann auch die des Diaphragmas<br />
ein- oder zweizeitig erfolgen, d. h.<br />
also sofort posttraumatisch oder aber<br />
mit einer Latenzzeit von mehreren<br />
Tagen. Diagnostisch können Perkussion<br />
und Auskultation Hinweise<br />
auf einen in den Thoraxraum erfolgten<br />
Organprolaps geben (tympanitischer<br />
Klopfschall, hörbare Darmgeräusche<br />
im Thoraxbereich). Es<br />
schließen sich an Röntgenaufnahmen<br />
des Abdomens im Stehen sowie<br />
die des Thorax in 2 Ebenen (Konturenregelmäßigkeit<br />
sowie Hochstand<br />
des Zwerchfells, Ausbildung einer<br />
großen Luftblase mit oder ohne<br />
Flüssigkeitsspiegel).<br />
Typisch sind Luftsicheln unter<br />
den Zwerchfellkuppeln<br />
Zu Rupturen von Magen und<br />
Darm kommt es hauptsächlich<br />
dann, wenn diese Organe überfüllt<br />
sind und ganz umschriebene Gewalteinwirkungen<br />
von außen ein<br />
'Widerlager an der'Wirbelsäule finden.<br />
Es enrwickelt sich ein sehr<br />
schnell einsetzendes Krankheitsbild<br />
im Sinne des akuten Abdomens mit<br />
sehr starken Schmerzen, brettharter<br />
Bauchdecke und durch den <strong>aus</strong>getretenen<br />
Magen-Darminhalt schnell
einsetzender Perforationsperitonitis.<br />
Vichtig ist hier die Röntgenübersichtsaufnahme<br />
des Abdomens mit<br />
den unter den Zwerchfellkuppeln<br />
liegenden typischen Luftsicheln<br />
(Abb. 4). Zur Sicherung der Diagnose<br />
kann ein Gastrographinschluck<br />
durchgeführt werden. Zu reichlichem<br />
Blutverlust mit den oben besch<br />
riebenen einsetzenden Anderungen<br />
des Kreislaufes kommt es dann,<br />
wenn größere Mesenterialgefäße abgerissen<br />
sind (Z).<br />
lm Vordergrund steht Hämaturie<br />
oder blutige Anurie<br />
Neben den auch bei diesen Verletzungen<br />
in der Regel bestehenden<br />
Schocksymptomen steht im Vordergrund<br />
die Hämaturie. Blasenrupturen<br />
sind durch die sogenannte blutige<br />
Anurie gekennzeichnet, d. h., es<br />
entleert sich kein Harn, sondern es<br />
treten nur kleinere Blutmengen <strong>aus</strong>.<br />
Die nach dem Katheterisieren eingespritzte<br />
sterile physiologische<br />
Kochsalzlösung kehrt nicht zurück.<br />
Zusätzliche Untersuchungsmöglichkeit<br />
ist die röntgenologische Kontrastdarstellung<br />
der ableitenden<br />
Harnwege mittels Infusionspyelogramms.<br />
Die Behandlung der stumpfen<br />
Bauchverletzungen ist rein<br />
chirurgisch<br />
Bei jedem Verdacht einer stumpfen<br />
Bauchverletzung muß sofort<br />
eine sorgfältige Überwachung und<br />
Diagnostik einsetzen. Hierzu gehöfen:<br />
a) Überwachung der Kreislauffunktionen<br />
(Blutdruck, Puls, zentraler<br />
Venendruck),<br />
B. Kessler: Das stumpfe Bauchtrauma<br />
Abb.3:<br />
Zwerchfellruptur:<br />
Magenblase und<br />
Darmschlingen<br />
in der linken<br />
Brusthöhle.<br />
Abb.4: Luftsicheln unter beiden Zwerchfellkuppeln bei Magen- und Darmrupturen.<br />
b) Registrierung der Atem frequenz,<br />
c) Temperaturkontrolle,<br />
d) laufende Kontrolle von Hämoglobin-,<br />
Hämatokrit- und Leukozytenwerten.<br />
Erhärtet sich der Verdacht einer<br />
intraabdominellen Organverletzung,<br />
so ist das weitere Vorgehen rein chirurgisch,<br />
d. h. explorative Laparotomie.<br />
Bei Milzrupturen bedeutet dies<br />
Splenektomie, bei Leberverletzungen<br />
Stillung der Blutung durch Naht<br />
oder Tamponade; bei Pankreasverletzungen<br />
sind je nach Schweregrad<br />
Pankreaskapselnaht oder die Pankreatojejunostomie<br />
oder die Pankreasteilresektion<br />
möglich. Bei<br />
Zwerchfellverletzungen erfolgt die<br />
Reposition der prolabierten Organe<br />
sowie der Verschluß der Bruchlücke,<br />
wobei der Zugang entweder thorakal<br />
oder abdominal sein kann. Bei Magen-Darm-Verletzungen<br />
ist ein<br />
schnelles chirurgisches Vorgehen<br />
von besonderer \Tichtigkeit, weil<br />
hier die Letalität mit dem zeitlichen<br />
Abstand zwischen Unfall und Operation<br />
stark (2) ansteigt. Hier kommt<br />
entweder die Übernähung oder die<br />
Resektion mit anschließender Anastomosierung<br />
in Frage. Bei Verletzungen<br />
von Niere und ableitenden<br />
Harnwegen ist je nach Schwere der<br />
Verletzung die Naht oder aber die<br />
Nephrektomie angezergt Die Rupturen<br />
der Harnblase sind ebenfalls in<br />
der Regel durch eine Naht zu versorgen.<br />
Anschriften der Verfasser:<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>. \Zilfried Pircher, <strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>. Bernd Kessler,<br />
OA <strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>. <strong>Reza</strong> <strong>Sanatger</strong>, <strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>. Burckart Stegemann,<br />
Chirurgische Univeßitätsklinik, Jungeblodtplatz<br />
1, 4400 Münster.<br />
LITERATUR<br />
1. GARRE,STICKER, BAUER: Lehrbuch derChir<br />
urgie. 18./19. Auflage. Springer-Verlag, Berlin,<br />
He idelberg, New York, 1968.<br />
2. BUNTE, H.: Traumatische Verletzungen des Maqens<br />
und Duodenum. <strong>Sonderdruck</strong> <strong>aus</strong> Handbuch<br />
der inneren Medizin, dritter Band/zweiter<br />
Teil. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New<br />
York, r974.<br />
3. BEDACHT, R.: Die traumatische Pankreasverlet<br />
zung und ihre Konolikationen. Cfir Praxis 16.<br />
Harii-Marserlle-Verläg, München, 1972.<br />
4. BAHR, R., I(ENZEL, R., KRAUSE; Fr. und B.<br />
PETRACIC; Die Versorgung der traunratischen<br />
Milz- und Zwerchfellrupturen bei kombinierten<br />
Verletzungen. Chir. Praxis 16 (1972).<br />
Medlzln <strong>20</strong>/<strong>77</strong><br />
-<br />
Medizin5,<strong>20</strong>(19<strong>77</strong>) 2271