30.12.2012 Aufrufe

Altstadtsanierung am "Pelô"

Altstadtsanierung am "Pelô"

Altstadtsanierung am "Pelô"

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Die Comunidade des Maciel<br />

begrenzten Zus<strong>am</strong>menbruch des sozialen Norm- und Wertgefüges der Gesellschaft unter-<br />

stellen. Gesellschaftliche Regeln, Gesetze und Normen spielten in dieser Zeit in der histo-<br />

rischen Altstadt aufgrund des Fehlens einer sozialen Kontrollinstanz kaum eine Rolle. Der<br />

baianische Staat hielt sich mit einer regelnden Einflußnahme auf das Stadtteilleben weitge-<br />

hend zurück. Die Bewohner schufen sich weitgehend ihre eigenen Regeln, die das soziale<br />

Leben ordnen sollten. So wurde z.B. das Wort f<strong>am</strong>ília (F<strong>am</strong>ilie) zum Symbol für Abgren-<br />

zung. An den Zimmertüren der cômodos oder an von außen sichtbaren Wänden angeschrie-<br />

ben bedeutete es, daß niemand das Recht hatte dort anzuklopfen, es sei denn, es handelte sich<br />

um Verwandte, gute Freunde etc. So schützten sich die F<strong>am</strong>ilien vor den Freiern ihrer<br />

Nachbarinnen, die in den angrenzenden cômodos ihrer Tätigkeit nachgingen. Zweitens konnte<br />

man bei den Bewohnern einen Zustand der Orientierungslosigkeit beobachten, der sich in<br />

konkret "unkalkulierbarem" Verhalten sowie in einer hohen Kriminalitätsrate äußerte.<br />

Normlosigkeit der Gesellschaft verstanden. Merton definierte Anomie als das Fehlen von Regeln (Sitten,<br />

Gebräuchen, Institutionen), die festlegen, wie (...) kulturell hochgeschätzte Ziele erreicht werden können"<br />

(Mikl-Horke 1989: 219). Anomie entsteht nach Merton durch eine Ziele-Mittel-Diskrepanz: Kulturell<br />

vorgegebene Ziele lassen sich mit den (legitimen) institutionalisierten Mitteln von den Individuen nicht<br />

erreichen. Dieser Zustand wird von den Individuen als Belastung empfunden, und er erzeugt bei ihnen eine<br />

anomische Spannung, die sie mit unterschiedlichen Formen der Anpassung bewältigten und die Merton als<br />

"Conformity, Innovation, Ritualism, Retreatism and Rebellion" beschreibt (Merton 1957: 140). Der<br />

Rückzug auf unerlaubte Mittel (abweichendes Verhalten) stellt dabei für Merton eine Möglichkeit der<br />

"innovativen" Anpassung dar. Je größer die Ziele-Mittel-Diskrepanz innerhalb einer sozialen Struktur ist,<br />

desto größer ist auch die Gefahr eines anomischen Zustandes: "In so far as one of the most general<br />

functions of social structure is to provide a basis for predictability and regularity of social behavior, it<br />

becomes increasingly limited in effectiveness as these elements of the social structure become dissociated.<br />

At the extreme, predictability is minimized and what may be properly called anomy or cultural chaos<br />

supervenes" (ebd.: 159). Auch wenn sich Mertons und Durkheims Anomiebegriffe offensichtlich voneinander<br />

unterscheiden, so stellt für beide das Fehlen bzw. der Verfall gesellschaftlicher Regeln und Normen,<br />

die die Individuen zu einer Anpassungsleistung drängen, die Grundlage für eine anomische Situation dar.<br />

Im Begriff der Anomie werden also zwei soziologische Dimensionen miteinander verknüpft. Anomie<br />

bedeutet "(a) den rapiden Zus<strong>am</strong>menbruch eines sozialen Norm- und Wertgefüges in einer Gesellschaft und<br />

(b) den Zustand der Orientierungslosigkeit, den einzelne oder Gruppen in einer solchen Situation (a)<br />

erfahren, bzw. an sich wahrnehmen und die sie zu unkalkulierbaren Handlungen veranlaßt" (Sternstein<br />

1984: 26). Die Gründe für den Verfall der sozialen Normen und Wertorientierungen können dabei ganz<br />

unterschiedlich sein: So kann ein beschleunigter sozialer Wandel durch ökonomische Transformationsprozesse<br />

(Durkheim) ebenso die Ursache für anomisches Verhalten sein, wie die innerhalb einer sozialen<br />

Struktur bestehende Diskrepanz zwischen kulturell vorgegebenen Zielen und den zur Verfügung stehenden<br />

institutionalisierten Mitteln zur Verwirklichung dieser Ziele (Merton).<br />

33

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!