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Altstadtsanierung am "Pelô"

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206 Mangelnde Demokratieerfahrung<br />

(2) Mangelnde Demokratieerfahrung<br />

Gleichfalls eng mit der historischen Entwicklung des politischen Systems verbunden, ist die<br />

mangelnde Erfahrung mit einem demokratischen politischen System und dessen Institutionen,<br />

aus der bei großen Teilen der baianischen Bevölkerung eine allgemeine Akzeptanz der<br />

autoritären Haltung der Regierung herrührt. Es mangelt nicht nur an einer normativen Orien-<br />

tierung der Bevölkerung an früheren demokratischen Verhältnissen, 54) sondern ganz all-<br />

gemein an einer demokratischen politischen Kultur, 55) obgleich Brasilien eine achtjährige<br />

Demokratieerfahrung (1956-64) aufweist, die jedoch durch die d<strong>am</strong>aligen Probleme (Rezes-<br />

sion, zunehmende Inflation, hohe Auslandsverschuldung, externe Abhängigkeit der brasiliani-<br />

schen Wirtschaft) in der Erinnerung der Bevölkerung "eingeschränkt" 56) negativ besetzt ist.<br />

Auch in der neuen demokratischen Republik (seit 1985) muß Demokratie erst "eingeübt",<br />

d.h., es müssen demokratische Verhaltensnormen erlernt und angewandt werden. Ein idealer<br />

Ort zum S<strong>am</strong>meln solcher praktischen Erfahrungen sind Gruppen und Initiativen als "Agentu-<br />

54) Auf den Einfluß vorautoritärer Demokratieerfahrung für die Zustimmung bzw. Ablehnung von autoritären<br />

Regimes verweist u.a. Dieter Nohlen (1986, 1989). So konnte sich z.B. das Militärregime in Uruguay<br />

aufgrund der langen und in der Bevölkerung als Wert verankerten demokratischen Tradition nie konsolidieren.<br />

Die Erinnerung an das vorautoritäre Regime war in Uruguay derart positiv besetzt, daß der<br />

Redemokratisierungsprozeß mit der Wiederherstellung der alten Demokratie gleichzusetzen ist (ebd. 1989).<br />

Dagegen überlagerte in Chile die sehr negative Erinnerung an die chaotische innenpolitische Situation in<br />

den Monaten vor dem Putsch durch die Militärs jene Erinnerung an die lange demokratische<br />

Verfassungstradition. In keinem anderen süd<strong>am</strong>erikanischen Land hielt sich das Militär so lange an der<br />

Macht wie in Chile (ebd. 1986; vgl. auch Nohlen und Barrios 1989).<br />

55) Vgl. dazu die Ausführungen zum "Wesen" der politischen Kultur in Kap. III.B.3.<br />

56) Die acht Jahre Demokratie in Brasilien (1956-64) waren vor allem in der Anfangsphase mit hohen<br />

wirtschaftlichen Wachstumsraten verknüpft. Der wirtschaftliche "Fortschritt" manifestierte sich sozial<br />

jedoch sehr einseitig. Die Industrialisierung wurde nahezu ausschließlich auf Produkte und Dienstleistungen<br />

des gehobenen Konsums und des Exports konzentriert; die einfachsten Bedürfnisse der Bevölkerung<br />

wurden stark vernachlässigt. Wie die meisten Wirtschaftsbooms war auch dieser sehr kurzlebig. Der<br />

Präsident Juscelino Kubitschek (1956-61) hinterließ seinem Nachfolger Jânio Quadros eine beginnende<br />

Rezession, eine zunehmende Inflation und eine hohe Auslandsverschuldung. Nach kurzer Amtszeit trat<br />

Quadros frustriert zurück, da er es nicht schaffte, die externe Abhängigkeit der brasilianischen Wirtschaft<br />

zurückzuschrauben und mit den wachsenden Problemen fertig zu werden. Seinem Nachfolger João Goulart<br />

gelang dies ebensowenig, auch er verlor innen- und wirtschaftspolitisch allmählich die Kontrolle; eine<br />

Situation, die durchaus für eine negative Demokratieerfahrung spricht. Meiner Auffassung nach muß ein<br />

derartiger Schluß jedoch aus zwei Gründen relativiert werden: Erstens bestätigte die brasilianische<br />

Bevölkerung im Jahre 1963 ihren "Jango" (so nannte der Volksmund Goulart) mit überwältigender<br />

Mehrheit (82%!) durch ein Plebiszit mit allen exekutiven Befugnissen in seinem Amt; ein Ereignis, das<br />

nicht auf eine von der Demokratie enttäuschte Bevölkerung schließen läßt. Zweitens bestand das Mißtrauen<br />

der Bevölkerung gegenüber dem Militärregime, das sich in dem Sprichwort ausdrückt: "A onça não tem<br />

<strong>am</strong>igo" (Der Jaguar hat keinen Freund) (Wöhlcke 1987: 125).

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