3. 1.2 Schulen und Bildungseinrichtungen - UniFr Web Access
3. 1.2 Schulen und Bildungseinrichtungen - UniFr Web Access
3. 1.2 Schulen und Bildungseinrichtungen - UniFr Web Access
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>3.</strong> <strong>1.2</strong> <strong>Schulen</strong> <strong>und</strong> <strong>Bildungseinrichtungen</strong><br />
als Sozialis ations ins tanzen<br />
ln den vorangehenden Abschnitten wurden die strukturellen Rahmenbedin-<br />
Diese verarbeitung wird vor allem durch die sozialen organisationsformen<br />
von Schule, Berufsausbildung <strong>und</strong> Hochschule geprägt. Es handelt sich um<br />
sen müssen, wobei sie zugleich auch Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung<br />
einiger der Handlungsanforderungen haben.<br />
in die<br />
oziale<br />
damit<br />
Alle Sozialisationsinstanzen haben einen Doppelcharakter als gesellschaft -<br />
lich prägende <strong>und</strong> zugleich individuell gestalibare l¡rstitutionen. si" köno"n<br />
erst dann erfolgreich ihre Aufgabe der Integration des gesellschaftlichen<br />
Nachwuchses in die bestehenden sozialstrukturen erfüllei, wenn sie einen<br />
ausreichenden Spielraum für die Individuation, die individuelle Gestaltung<br />
<strong>und</strong> B edeutungs gebung anbieten.<br />
93
deutung, die hochwertige Schulabschlüsse haben, bestimmt die Sozialisationsinstãnz<br />
Schule inzwischen für praktisch alle Angehörigen der jungen<br />
Generation den zeitlichen Tages-, Wochen- <strong>und</strong> Jahresplan <strong>und</strong> wichtige<br />
soziale Orientierungen. Sie ist der ,,Arbeitsplatz" def Jugendlichen, der über<br />
eine lange Spanne der Lebenszeit hinweg Intellekt, Emotion <strong>und</strong> soziales<br />
Verhalten prägt (Brusten <strong>und</strong> Hurrelmann 1973).<br />
Soziale <strong>und</strong> qualifÌkatorische Funktionen der Schule<br />
Der hohe Stellenwert der Schule als Sozialisationsinstanz im Jugendalter<br />
erscheint uns heute selbstverständlich, doch er hat sich erst in derjüngeren<br />
Geschichte herausgebildet. Noch zur Zeit der Industrialisierung war die<br />
schule nur für einen sehr kleinen Teil der bürgerlichen Jugendlichen von<br />
Bedeutung, denn es war die Aufgabe der Familie <strong>und</strong> der Verwandtschaft,<br />
die Einweisung in berufliche <strong>und</strong> gesellschaftliche Qualifikationen vorzunehmen.<br />
Diese Funktion hat die Familie inzwischen vollständig an die Spezialinstitution<br />
Schule abgegeben. Jugendliche erlernen gesellschaftliche<br />
Handlungsvollzüge <strong>und</strong> dafür notwendige Kenntnisse nicht mehr im unmittelbaren<br />
Lebensalltag zusammen mit ihren Eltem <strong>und</strong> anderen Verwandten,<br />
sondern sie werden nur mit ihresgleichen in speziell hierfür geschaffenen<br />
Organisationen von gesondert hierfür ausgebildeten professionellen Lehrkräften<br />
unterrichtet (Helsper <strong>und</strong> Böhme 2002; Mead 1971).<br />
<strong>Schulen</strong> haben vielf¿iltige Funktionen im Sozialisationsprozess (Fend 1988,<br />
S. 133; Tillmann 2000, S. 160)<br />
- Sie erfüllen die Funktion der Wissensvermittlung <strong>und</strong> der intellektuellen<br />
<strong>und</strong> sozialen Kompetenzbildung für ihre ,,Klienten", die Schülerinnen<br />
<strong>und</strong> Schüler.<br />
- Sie leisten für die Gesellschaft die Aufgabe der sozialen Integration, indem<br />
sie Jugendliche auf die vorherrschenden Normen <strong>und</strong> Werte einstimmen<br />
<strong>und</strong> deren Anpassungsbereitschaft gegenüber den gesellschaftlichen<br />
Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen einfordern.<br />
- Sie haben eine Auslesefunktion, indem sie die soziale Platzierung im Arbeitsprozess<br />
vorbereiten <strong>und</strong> legitimieren. Das K¡iterium für diesen Selektionsprozess<br />
sind die individuellen Leistungen, die einzelne Schülerinnen<br />
<strong>und</strong> Schüler erbringen.<br />
<strong>Schulen</strong> spiegeln den Charakter heutiger Gesellschaften als Leistungsgesellschaft<br />
wider, weil sie den gesellschaftlichen Nachwuchs mit den Spielregeln<br />
einer Wettbewerbsgesellschaft vertraut machen, in der im Prinzip<br />
nur die individuelle Leistung über die Platzierung in einem Gefiige von sozialen<br />
Privilegien entscheidet. Die Schule gehört zu denjenigen gesellschaftlichen<br />
Instanzen, in denen das Leistungsprinzip als Basis der Selektionsfunktion<br />
<strong>und</strong> damit der Vergabe von Privilegien in der reinsten Form in<br />
Kraft ist. Hierdurch soll die Schule den Jugendlichen Vorstellungen von so-<br />
zialer Rangfolge uncl Erfahrungen von Erfolg <strong>und</strong> Misserfolg vermitteln,<br />
die auf die Lebensrealität im Arbeitsleben vorbereiten.<br />
Struktur der Sozialbeziehungen in der Schule<br />
Typisch für die sozialisationsinstanz schule sind die stark reglementierten<br />
sozialen Beziehungen der Jugendlichen zu professionell ãusgebildeten<br />
Lehrkräften.
1980; Hurrelmann <strong>und</strong> Wolf 1986):<br />
- Die entscheidende Bes<br />
von der Mehrzahl der<br />
mit den Lehrern <strong>und</strong> E<br />
gesehen.<br />
- Der Schule wird<br />
Sinn für die eigene Le-<br />
bensplanungnurtwasfiirdieGestaltung<br />
<strong>und</strong> Bewältigung<br />
- Die gesellschaftliche Auslese- <strong>und</strong> Platzierungsfunktion der Schule wird<br />
.,,ror, ã"r, Jugendlichen erkannt <strong>und</strong> für notwendig <strong>und</strong> legitim gehalten.<br />
werbstätigkeit gleichgesetzt wird.<br />
Dieses Deutungsmust<br />
Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler<br />
verbreitet. Es iwingt<br />
en Sicht der Schule. Der<br />
Wert des schulischen<br />
sich demnach maßgeblich<br />
in dem wert des Abschlusszertifikats aus. Die schüler bewältigen diese orientierung,<br />
indern sie die schulische Tätigkeit wie eine industrielle, quasi<br />
den Gesetzen von Lohnarbeit folgende Beschäftigung, definieren <strong>und</strong> gestalten.<br />
Der Lohn ist für sie das Zeugnis mit seinem Tauschwert für vermeintlich<br />
erfüllendere Lebensbereiche.<br />
Diese Untersuchungsergebnisse sind aus erziehungswissenschaftlicher <strong>und</strong><br />
biografi etheoretischer Perspektive ernüchtemd, denn der Sozialisationsinstanz<br />
Schule wird keine pädagogisch wertvolle Bildungsfunktion, sondem<br />
nur eine Qualifizierungsfunktion zugeschrieben. Die Jugendlichen fühlen<br />
sich zu einer die Berufs- <strong>und</strong> Lebenschancen sichernden ,,Optimierungsstrategie"<br />
gezwungen, die gegenüber den Bildungsinhalten der Schule offen<br />
oder sogar indifferent ist. Die schulischen Bildungsgänge werden im Rahmen<br />
dieser Strategie instrumentalisiert. Sie sind Mittel zvm Zweck des Erwerbs<br />
eines Abschlusszertifikates. Was dabei gelernt wird, erscheint als<br />
zweitrangig.<br />
Die biografìsche Bedeutung von Schulerfolg <strong>und</strong> Schulversâgen<br />
Aus diesen Bewertungen des schulischen Bildungsganges durch die Jugendlichen<br />
lässt sich ableiten, welche hohe biografische Bedeutung Erfblg <strong>und</strong><br />
Versagen im schulischen Bildungsprozess haben. Versagensereignisse werden<br />
von den Jugendlichen als empfindliche Rückschläge im Lebenslauf<br />
empf<strong>und</strong>en. Das umso mehr, als die versagenden Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler<br />
die Legitimität der bestehenden Lem-, Beurteilungs- <strong>und</strong> Auslesemechanismen<br />
der Schule ausdri.icklích nicht in Frage stellen, obwohl sie davon<br />
negativ betroffen sind.<br />
- Die Leishrngsanforderungen der Schule werden als unvermeidbar <strong>und</strong><br />
formal gerechtfertigt verstanden <strong>und</strong> hingenommen (Hurrelmann <strong>und</strong><br />
Wolf 1986). Auch die versagenden Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler haben die<br />
Anforderungen so stark verinnerlicht, dass sie die eigentliche ,,Schuld"<br />
für ihr Versagen bei sich selbst suchen. Das heißt: Sie können ihre<br />
schmerzlichen Enttäuschungen <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene ldentitätsbedrohung<br />
nicht öffentlich innerhalb der Institution Schule artikulieren <strong>und</strong><br />
abarbeiten. lVas ihnen - außer Resignation - bleibt, ist eine mechanische<br />
<strong>und</strong> fast opportunistische Leistungsanstrengung, um vielleicht doch noch<br />
einen akzeptablen Schulabschluss zu erreichen. Gelingt auch das nicht,<br />
bleibt vielen Jugendlichen als Ausweg nur noch ein Ausweichen auf Anerkennungsfelderjenseits<br />
der offiziellen schulkultur, also auf sozial abweichendes<br />
Verhalten wie Aggressivität, Gewalt <strong>und</strong> Drogenkonsum.<br />
- Vor allem an Hauptschulen <strong>und</strong> Sonderschulen <strong>und</strong> dort vor allem bei<br />
Jüngeren treten solche Ausweichmuster auf. schlechte Schulleistungen<br />
schwächen das Selbstwertgefühl der Jugendlichen <strong>und</strong> führen zu Anerkennungsdefiziten<br />
mit starken inneren Spannungen. Vor allem die männlichen<br />
Jugendlichen an Haupt- <strong>und</strong> Sonderschulen können diesen Druck<br />
nicht lange aushalten. sie fühlen sich als die ,,verlierer der v/ettbewerbsgesellschaft"<br />
<strong>und</strong> reagieren auf diese für sie unerträgliche situation<br />
mit unsicherheit <strong>und</strong> Beschämung, oft auch mit einem Rückgriff auf traditionelle<br />
Männerklischees mit Machtausübung <strong>und</strong> demonstrativer Ablehnung<br />
gegenüber Fremden <strong>und</strong> gesellschaftlich Schwachen. Dahinter<br />
verbirgt sich eine irritierte <strong>und</strong> verängstigte persönlichkeit, die den Spielregeln<br />
der ,,individualisierten" Gesellschaft nicht gewachsen ist (Shell<br />
Jugendstudie 2002, S. 68).<br />
Der 'heimliche" Lehrplan der <strong>Schulen</strong><br />
wie die hier vorgestellten studien zeigen, stellt die Schule für die meisten<br />
schule, sondern für das (Erwachsenen-) Leben" geworden ist. Sie wissen,<br />
dass der Schulabschluss zrvar eine notwendige, aber keinesfalls eine hinrei-
chende voraussetzung für den Eintritt in das Erwerbsleben ist (classen'<br />
Berg-Winkels <strong>und</strong> Merkens 1998; Fend 2000, S' 330)'<br />
Die schule übt ihre sozialisationseffekte nicht nur über die Lehrpläne <strong>und</strong><br />
ihre Leistungsanforderungen aus, sondem auch über einen ,,heimlichen<br />
Lehrplan", der sich aus den<br />
ergibt. Die Schule ist deshalb<br />
kognitiven <strong>und</strong> intellektuelle<br />
hängig von den Interaktionen mit L<br />
VitJcñtite¡nnen <strong>und</strong> Mitschülem aufgebaut <strong>und</strong> Solidaritäts- <strong>und</strong> Spannungserlebnisse<br />
im umgang mit anderen Jugendlichen erfahren (Böhme<br />
200õ; Keuffer, Krüger, Reinhardt, Weise <strong>und</strong> Wenzel 1998)'<br />
Auch im Unterricht spielt nicht nur die ,,offizielle" Leistungs- <strong>und</strong> Beziehungsebene<br />
eine Ro[è, vielmehr bieten unterschwellige <strong>und</strong> versteckte Ritualã<br />
zahlreiche Anknüpfungen für soziale Erfahrungen. Hier lernen Jugendliche<br />
wie sie sich piäsentieren <strong>und</strong> durchsetzen können, soziale Regeln<br />
ãushandeln, <strong>und</strong> sich ìhnen unterwerfen müssen, Diskriminierungen <strong>und</strong><br />
Enttäuschungen verarbeiten <strong>und</strong> Anerkennung <strong>und</strong> Erfolg erleben. Der Lebensbereich<br />
-Schule ist so gesehen auf verschiedenen Erfahrungsebenen ein<br />
Bestandteil des ,,ernsten" Lebens im Jugendalter <strong>und</strong> stellt eine mächtige<br />
Sozialisationsinstanz dar (Fend 2000, S. 355; Krappmann <strong>und</strong> Oswald<br />
1e9s).<br />
Ges<strong>und</strong>heitliche Belastungen durch Leistungsdruck<br />
Die hohe biografische Bedeutung der schulischen Erfolgs- <strong>und</strong> Misserfolgsbilanz<br />
wiikt sich auf die psychische <strong>und</strong> körperliche Befindlichkeit der<br />
Jug-endlichen aus. So sind körperliche <strong>und</strong> psychische Auffâlligkeits- <strong>und</strong><br />
Belastungssymptome, Drogenkonsum <strong>und</strong> delinquentes Verhalten verstärkt<br />
bei denjenigen- Jugendlichen anzutreffen, die sich in schwierigen schulischen<br />
Leistungssituationen befinden. Bei diesen Jugendlichen treten überdurchschnittlich<br />
häufig psychosomatische Beeinträchtigungen wie Konzentrationsschwierigkeiten,<br />
Schlafstörungen, Verdauungsstörungen <strong>und</strong><br />
Rückenschmerzen auf (Engel <strong>und</strong> Hurrelmann 1992,1993).<br />
- Wie wissenschaftliche Analysen zeigen, liegen viele der persönlichen<br />
Ausgangsbedingungen für psychosoziale <strong>und</strong> psychosomatische Belastungen<br />
in den verunsicherten ,,statuserwartungen" der Jugendlichen, der<br />
teilweise uneingestandenen Angst vor,,sozialem Abstieg". Vor allem die<br />
Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler, die von zu Hause aus unter dem Druck stehen,<br />
den sozialen Status der Eltern qua schulischer Bildung zu erhalten oder<br />
zu übertreffen, werden angesichts einer unendlich lang erscheinenden<br />
Durststrecke formalisierter Leistungsanforderungen mit ungewissem<br />
Ausgang <strong>und</strong> unsicher werdendem ,,Tauschwert" für später stark belastet<br />
(Mansel <strong>und</strong> Hurrelmann 1991, S.132).<br />
- Die Selbstansprüche Jugendlicher an ihre schulische Leistungsfühigkeit<br />
sind nach den vorliegenden Studien sehr hoch. Die Jugendlichen sind<br />
sehr leistungsbereit <strong>und</strong> haben hohe Ziele an ihre eigene Schullaufbahn.<br />
Da aus der Sicht der Jugendlichen die eigenen Leisfungen entscheidend<br />
fiir das Erreichen des angestrebten Schulabschlusses sind, ist es ihnen<br />
auch sehr wichtig, in der Schule gute Leisfungen zu erbringen (Shell Jugendstudie<br />
2002, S. 62). Traditionelle leistungsorientierte Werte werden<br />
seit den l990er Jahren wieder stark betont. Ganz offensichtlich identifizieren<br />
sich die meisten Jugendlichen mit dem Leistungsprinzip <strong>und</strong> akzeptieren<br />
es als geeignetes Kriterium für die gesellschaftliche Verteilung<br />
von chancen. Zumindest bek<strong>und</strong>en die schülerinnen <strong>und</strong> schüler eine<br />
hohe Leistungsbereitschaft <strong>und</strong> geben an, dass gute Leistungen für sie<br />
von hoher persönlicher Bedeutung sind. Stellen sich die erwarteten <strong>und</strong><br />
ersehnten guten Leistungen nicht ein, reagieren sie mit Nervosität <strong>und</strong><br />
unruhe, aus denen ges<strong>und</strong>heitliche Beeinträchtigungen erwachsen können.<br />
Auslöser von Stress in der Schule<br />
Nach diesen studien sind Jugendliche mit hoher Leistungsrnotivation heute<br />
sonders stark zum Ausdruck. sie können sich in unges<strong>und</strong>em stress manifestieren.<br />
Die psychische Ausgangsdisposition hierfür kann bereits im Kindesalter<br />
gebildet werden, insbesondere, wenn übersteigerte Kontrollambitionen<br />
schon in der Gr<strong>und</strong>schule vorherrschen (ulich l99l). Häufìge Reaktionen<br />
bei Misserfolg sind Aggressionen gegen andere <strong>und</strong> gegen sich selbst.<br />
Auch Jugendliche mit niedriger Leistungsmotivation sind ,,stressgeführdet,.,<br />
sie reagieren bei Belastungen mit Macht- <strong>und</strong> Hilflosigkeit. TrCIen bei ihnen<br />
Leistungseinbrüche <strong>und</strong> Misserfolge ein, dann sehen sie keine Ansätze<br />
für eine aktive Behebung <strong>und</strong> Bewältigung dieser Situation. sie fühlen sie<br />
sserfolgserle zur<br />
Die Folgen sive<br />
rminderung Or_
sprechend hoch ist der psychische <strong>und</strong> soziale ,,Druck im System", der von<br />
den meisten Jugendlìchen sensibel gespürt wird. Die intemational vergleichenden<br />
Studien zu den Schulleistungen im weiterführenden Schulsystem<br />
durch das Programme for International Student Assessment (PISA) <strong>und</strong> die<br />
mathematisch naturwissenschaftlichen Vergleiche (TIMSS) haben diesen<br />
Druck noch weiter erhöht, weil die deutschen Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler relativ<br />
schlecht abgeschnitten haben (Baumert <strong>und</strong> Lehmann 1997; Deutsches<br />
PlSA-Konsortium 200 I ).<br />
<strong>3.</strong>1.3 Sozialisationsfunktion der Berufs- <strong>und</strong><br />
H o c hs c hu I ins t ituti onen<br />
Für Jugendliche, die nach neun oder zehn Jahren Schulausbildung in das<br />
,,Duale System" übergehen, bei dem die theoretische Unterrichtung in Berufsschulen<br />
<strong>und</strong> die praktische Unterrichtung am Arbeitsplatz kombiniert<br />
werden, beginnt der erste Schritt der Übernahme der Erwerbstätigenrolle<br />
biografisch deutlich früher als für die Jugendlichen in den gymnasialen Oberstufen<br />
<strong>und</strong> den anderen Bildungsgängen der Vollzeitberufsschule. Bis in<br />
die 1980er Jahre hinein mündete die überwältigende Mehrheit eines jeden<br />
Jahrganges nach der allgemein bildenden Schule direkt in das Duale Ausbildungssystem<br />
ein. Seit den l990er Jahren wird der Langzeitausbildungsgang<br />
Gymnasium - Gymnasiale Oberstufe - Hochschulstudium immer häufiger<br />
gewählt, oft mit einer Kombination von Ausbildungselementen des<br />
Dualen Systems. Er bietet seinen Klienten nicht nur eine hochwertige Allg"rtt"inbild.tng,<br />
"o.ráern zugleich auch einen langen biografischen Spielraum<br />
fiir die Festlegung auf bestimmte Berufsfelder unabhängig von konjunkturellen<br />
<strong>und</strong> betrieblichen Zwängen (Huber l99l).<br />
Steigende Attraktivität der akademischen Ausbildung<br />
Durch die immer höhere Bewertung des akademisch orientierten Bildungsstranges<br />
gehen die für die Persönlichkeitsentfaltung interessanten Potenziale<br />
des unmittelbar berufsbezogenen Ausbildungsgangs im Dualen System in<br />
der Wahrnehmung vieler Jugendlicher fast unter.<br />
- Der Statusübergang von der Schule in die betriebliche Berufsausbildung<br />
ist sozialstrukturell gesehen ein Übertritt von einer staatlich reglementierten<br />
<strong>und</strong> gelenkten Bildungsinstitution mit strukturell geringen Verhaltensspielräumen<br />
in einen überwiegend privatwirtschaftlich organisierten<br />
Bereich, in dem es um die Produktion von Waren oder die Erstellung von<br />
Dienstleistungen geht <strong>und</strong> potentiell große Möglichkeiten der Persönlichkeitsentfaltun<br />
g bestehen.<br />
- Im beruflichen Ausbildungsstrang werden viel früher als irn akademischen<br />
unmittelbare Verantwortlichkeiten <strong>und</strong> produktive Wirksamkeiten<br />
ermöglicht.<br />
- Jugendliche können sich aus der überwiegend passiven Rolle des Schülers<br />
oder der Schülerin in die aktivere des Produzenten <strong>und</strong> Dienstleistungsanbieters<br />
bewegen <strong>und</strong> haben vor allem die Möglichkeit, ein selbst<br />
verdientes Einkommen zu erwirtschaften (Mansel <strong>und</strong> Hunelmann 1 991 ,<br />
S. 93). Mit dem Eintritt in die Berufsausbildung ist ein deutlicher Schritt<br />
in Richtung der Übernahme des Status eines Erwachsenen verb<strong>und</strong>en.<br />
Wie vergleichende Untersuchungen zeigen, empfinden trotz dieser Vorteile<br />
immer mehr Jugendliche den schritt in das Erwerbsleben traditioneller Art<br />
als unangemessen oder zu füih. Sie scheuen davor zurück, sich auf den festen<br />
Rhythmus der Produktions- <strong>und</strong> Dienstleistungsarbeit einzurichten <strong>und</strong><br />
sich den Anforderungen <strong>und</strong> Ritualen des Berufslebens zu unterwerfen. Im<br />
Vergleich zu den gleichaltrigen Jugendlichen, die in vollzeitschulischen<br />
Ausbildungsgängen verbleiben, ist insbesondere das Ausmaß der zeitlichen<br />
Bindung im Tagesrh¡hmus höher. viele Jugendliche fiihlen sich schon aus<br />
diesem Gr<strong>und</strong> in ihrem Freiheitsspielraum für die Gestaltung des eigenen<br />
Lebens eingeschränkt. Hinzu kommt die Erfahrung, sich durch die ersten<br />
schritte in das Berufsleben auf bestimmte wege festgelegt zu haben, die<br />
andere optionen ausschließen. Mit dem voranschreiten der Berufsausbildung<br />
wird es tatsächlich auch immer schwieriger, alternative Berufsbereiche<br />
zu erschließen (Hoff 1996).<br />
sch sehr hohen Ansprüche Jugendberuflichen<br />
Leben noch gestärkt.<br />
spielt die Chance, sich in der Ar<strong>und</strong><br />
selbstbestimmt eigene<br />
inzubringen, eine sehr gro-<br />
Vergleich nicht so sehr im<br />
vordergr<strong>und</strong>. Die Jugendlichen gehen also nicht in erster Linie mit materiellen,<br />
sondern eher ideellen, auf Selbstverwirklichung orientierten Moti-
Reformbedarf im beruflichen Ausbildungssystem<br />
gen.<br />
eitstätigkeiten heran. Ofdurch<br />
die heutige Orgabei<br />
immer mehr Jugend-<br />
Neben diesen Verbesserungen der eualität in der Ausbildung, die auch<br />
durch eine Intensivierung der Fort- <strong>und</strong> weiterbildung der Ausbilder erreicht<br />
werden muss, sollten veränderungen der Ausbildungsstruktur treten.<br />
Hierzu gehört vor allem eine Stärkung des theoretischen Gr<strong>und</strong>lagenwissens<br />
<strong>und</strong> der berußfeldübergreifenden Ausbildungselemente, sodass<br />
eine spätere Flexibilität des Berufsweges möglictr wir¿. weiterhin<br />
müssen die tatsächlich gegebenen Anschluss- <strong>und</strong> Außtiegsmöglichkeiten<br />
der Jugendlichen verbessert werden, die das Duale Sfstemier Beru<br />
fsausbildun g durchlaufen.