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TRENDS · ANALYSEN · PERSPEKTIVEN 1 Online-JugendStile 2007<br />

Elmar Lange<br />

<strong>Zur</strong> <strong>Verschuldung</strong> <strong>von</strong> <strong>Kindern</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong><br />

<strong>zwischen</strong> <strong>10</strong> <strong>und</strong> 24 Jahren<br />

Ambivalenzen in der Sozialisation zum marktkonformen Verbraucher<br />

0. Fragestellungen<br />

In den letzten Jahren sind mehrere Studien durchgeführt<br />

worden, die im Zusammenhang mit dem kindlichen<br />

<strong>und</strong> jugendlichen Konsumverhalten auch deren<br />

<strong>Verschuldung</strong>smuster untersucht haben, so dass ein<br />

einigermaßen verlässliches Bild entstanden ist (vgl.<br />

Lange/Fries 2006, Lange 2004, IJF 2004a, IJF 2004b).<br />

Mit Bezug auf diese Studien soll im Einzelnen den<br />

folgenden Fragen nachgegangen werden:<br />

1. Was verstehen wir unter Sozialisation zum marktkonformen<br />

Konsumverhalten <strong>und</strong> welche nichtmarktkonformen<br />

Konsumverhaltensweisen, einschließlich<br />

der <strong>Verschuldung</strong>, lassen sich beobachten?<br />

2. Wie hoch sind der Grad <strong>und</strong> die Höhe der <strong>Verschuldung</strong><br />

bzw. der Überschuldung der Kinder <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong>,<br />

einschließlich der Jungerwachsenen?<br />

3. Für welche Güter <strong>und</strong> Dienstleistungen verschulden<br />

sich die Kinder <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong>, bei wem verschulden<br />

sie sich <strong>und</strong> wo erhalten sie Hilfe?<br />

4. Wie lässt sich die Entstehung der <strong>Verschuldung</strong> <strong>und</strong><br />

Überschuldung soziologisch erklären?<br />

5. Wie erklären die <strong>Jugendlichen</strong> selbst ihren Eintritt<br />

in die <strong>Verschuldung</strong> bzw. Überschuldung?<br />

6. Welche Probleme ergeben sich für die Kinder <strong>und</strong><br />

<strong>Jugendlichen</strong> mit der <strong>Verschuldung</strong>?<br />

7. Was unternehmen die Kinder <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong>, um<br />

aus der <strong>Verschuldung</strong> zu entkommen <strong>und</strong> wieweit<br />

gelingt es ihnen?<br />

8. Was geschieht beim Übergang vom Minderjährigen<br />

zum Erwachsenen?<br />

1. Was verstehen wir unter Sozialisation zum<br />

marktkonformen Konsumverhalten <strong>und</strong> welche<br />

nicht-marktkonformen Konsumverhaltensweisen,<br />

einschließlich der <strong>Verschuldung</strong>, lassen<br />

sich beobachten?<br />

Sozialisation bezeichnet nach Geulen <strong>und</strong> Hurrelmann<br />

allgemein den Prozess der „Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung<br />

der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit<br />

<strong>von</strong> der gesellschaftlich vermittelten sozialen <strong>und</strong><br />

materiellen Umwelt“ (Geulen/Hurrelmann 1980, S.<br />

51). Im Verlauf dieses Prozesses werden dem Mensch<br />

die allgemein, situationsspezifisch <strong>und</strong> rollenspezifisch<br />

vorgegebenen kulturellen Werte, Normen <strong>und</strong><br />

Symbole sowie das zugehörige Wissen vermittelt <strong>und</strong><br />

<strong>von</strong> ihm übernommen (internalisiert), um in den verschiedenen<br />

gesellschaftlichen Teilbereichen hand-<br />

lungsfähig zu werden. Werte, Normen, Symbole <strong>und</strong><br />

Wissen stellen für ihn gleichzeitig Handlungsressourcen<br />

<strong>und</strong> Restriktionen dar. Sozialisation aber bedeutet<br />

auch die Entwicklung eines eigenen Selbsts, einer Ich-<br />

Stärke <strong>und</strong> Individualität, die es ermöglicht, sich kritisch<br />

mit den vorgegebenen normativen <strong>und</strong> kognitiven<br />

Strukturen auseinanderzusetzen, um sie ggf. verändern<br />

zu können. Sozialisation läuft lebenslang in<br />

allen gesellschaftlichen Teilsystemen, in denen die<br />

Menschen Mitgliedschaftsrollen erwerben; hierzu gehören<br />

vor allem auch die Systeme der Familie, der<br />

Schule, der Fre<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Bekanntenkreise, der Politik<br />

sowie nicht zuletzt der Wirtschaft, in der u. a. auch<br />

die Berufsrolle <strong>und</strong> die Konsumentenrolle gelernt werden<br />

(müssen).<br />

Die „erfolgreiche“ Sozialisation in die Konsumentenrolle<br />

bedeutet unter marktwirtschaftlichen Bedingungen,<br />

sich konform auf den verschiedenen Märkten verhalten<br />

zu können. Um das zu verstehen, sei kurz ein<br />

einfaches Modell eines Konsumgütermarkts vorgestellt,<br />

das auf der Nachfrageseite die individuellen<br />

Präferenzen <strong>und</strong> Ressourcen <strong>und</strong> auf der Angebotsseite<br />

Güter <strong>und</strong> Dienstleistungen sowie deren Kosten<br />

sieht (vgl. Modell 1).<br />

Modell 1: „Magisches Viereck“ des Konsumverhaltens<br />

Präferenzen<br />

(Bedürfnisse<br />

Wünsche)<br />

Nachfrage<br />

Ressourcen<br />

(Geldmittel<br />

Arbeitskraft)<br />

Quelle: In Anlehnung an Dörge (1990)<br />

Materielle Ebene<br />

Monetäre Ebene<br />

Güter/Dienste<br />

(Quantität<br />

Qualität)<br />

Angebot<br />

Kosten<br />

(Preise<br />

Gebühren)<br />

Unter Bezug auf dieses Modell kann ein marktwirtschaftlich<br />

konformes Konsumverhalten jetzt wie folgt<br />

präzisiert werden: Das Konsumverhalten erscheint<br />

dann als marktkonform, wenn es diejenigen Güter <strong>und</strong><br />

Dienstleistungen nach Quantität <strong>und</strong> Qualität auswählt,<br />

die individuelle Präferenzen optimal zu befriedigen<br />

versprechen, wobei die Ressourcen so eingesetzt<br />

werden, dass die Kosten minimiert werden. Rational<br />

ist dieses Verhalten als wissenschaftliches Konstrukt, d. h.<br />

als ein Konstrukt 2. Ordnung im Sinne <strong>von</strong> Schütz.<br />

Legt man dieses Modell zugr<strong>und</strong>e, dann bedeutet Sozialisation<br />

zu marktkonformem Konsum, dass sich die<br />

Kinder <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong> ihrer Bedürfnisse bewusst


TRENDS · ANALYSEN · PERSPEKTIVEN 2 Online-JugendStile 2007<br />

werden müssen, dass sie lernen müssen, welche Güter<br />

<strong>und</strong> Dienstleistungen welche Bedürfnisse zu befriedigen<br />

vermögen, dass sie erkennen müssen, dass sie<br />

zum Kauf <strong>und</strong> Konsum <strong>von</strong> Gütern <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

Geldmittel einsetzen müssen, die chronisch knapp<br />

gehalten werden, weil auch andere Menschen um diese<br />

Güter <strong>und</strong> Dienstleistungen konkurrieren, <strong>und</strong> dass<br />

die Güter <strong>und</strong> Dienstleistungen mit Preisen versehen<br />

sind, die deren relative Knappheit unter der Bedingung<br />

des jeweiligen Verhältnisses <strong>von</strong> Angebot <strong>und</strong><br />

Nachfrage indizieren. Das alles zu begreifen, ist aber<br />

für junge Menschen höchst aufwendig, verlangt Reifung<br />

<strong>und</strong> bewusstes Lernen <strong>und</strong> ein ständiges In-<br />

Beziehung-Setzen der eigenen Präferenzen <strong>und</strong> Ressourcen<br />

zu den angebotenen Gütern <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

<strong>und</strong> ihren Kosten. Gr<strong>und</strong>legend sind dabei die eigenen<br />

Erfahrungen mit den Interaktionspartnern am<br />

Markt. Einige der Elemente <strong>und</strong> Beziehungen sollen<br />

hier ein wenig näher erläutert werden.<br />

Präferenzen werden in der mikroökonomischen Konsumtheorie<br />

üblicherweise als Bedürfnisse bezeichnet,<br />

die sich ganz grob wie folgt unterscheiden lassen, ohne<br />

hier auf die psychologische Diskussion über Bedürfnisse<br />

näher einzugehen zu können (vgl. Jäckel,<br />

2004, S. 63ff.):<br />

− Physiologische Gr<strong>und</strong>bedürfnisse, z. B. nach Nahrung,<br />

Kleidung, Wohnung. Für sie gilt offenbar<br />

das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens: Je<br />

stärker ihre Befriedigung, desto eher wird eine<br />

Sättigung erreicht.<br />

− Luxusbedürfnisse, die auf Güter <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

zielen, die über die Befriedigung <strong>von</strong><br />

Gr<strong>und</strong>bedürfnissen hinausgehen, z. B. besondere<br />

Nahrungsmittel, hochwertige Kleidung, Luxuswohnungen,<br />

Autos, Urlaubsreisen usw. Für sie<br />

sind keine immanenten Sättigungsgrenzen erkennbar,<br />

im Gegenteil: Sie scheinen mit den Möglichkeiten<br />

ihrer Befriedigung nach dem bekannten<br />

Motto zu wachsen: Je mehr er hat, je mehr er will.<br />

Grenzen werden allerdings durch das gerade vorhandene<br />

Güterangebot mit seinen Preisen, die eigenen<br />

Ressourcen, die natürlichen Ressourcen<br />

<strong>und</strong> durch soziale Normen gezogen.<br />

− Soziale Bedürfnisse nach Liebe, Zuneigung <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>schaft, Anerkennung <strong>und</strong> Achtung sowie<br />

Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung <strong>und</strong> Entfaltung<br />

des eigenen Persönlichkeitspotentials. Für<br />

diese Bedürfnisse gilt allerdings: Sie sind nicht<br />

direkt über den Besitz <strong>und</strong> Konsum materieller<br />

Güter <strong>und</strong> die Inanspruchnahme <strong>von</strong> Dienstleistungen<br />

zu befriedigen, sondern nur durch Leistung<br />

im sozialen Kontext <strong>und</strong> durch Kommunikation<br />

<strong>und</strong> Selbstreflektion. Gleichwohl wird immer wieder<br />

versucht, auch diese Bedürfnisse nach Anerkennung<br />

<strong>und</strong> nach Selbstverwirklichung unmittelbar<br />

<strong>und</strong> ausschließlich über materielle Güter zu<br />

befriedigen.<br />

Mit Bezug auf dieses Modell <strong>und</strong> seinen Elementen<br />

sind nun einige marktwirtschaftlich „irrationale Konsumverhaltensweisen“<br />

zu identifizieren, bei denen entweder<br />

Elemente oder aber Beziehungen <strong>zwischen</strong> den<br />

Elementen bei den Konsumenten ausgeblendet erscheinen,<br />

zumindest aus der Sicht des wissenschaftlichen<br />

Beobachters: So fehlt z. B. dem kompensatori-<br />

schen Konsum <strong>und</strong> der Kaufsucht das Element der<br />

Nutzung der gekauften Güter, dem demonstrativen<br />

Konsum liegt schwerpunktmäßig ein Bedürfnis nach<br />

sozialer Anerkennung zugr<strong>und</strong>e, das letztlich nur<br />

durch Leistung im sozialen Kontext <strong>und</strong> allenfalls indirekt<br />

über Güter <strong>und</strong> die Inanspruchnahme <strong>von</strong> Dienstleistungen<br />

erfüllt werden kann (vgl. Lange 2004, S. 113ff.).<br />

Bei der <strong>Verschuldung</strong> wird in einer Zeitperiode das<br />

Verhältnis der Einnahmen zu den Ausgaben negativ.<br />

Bleibt dieses Verhältnis dauerhaft negativ, tritt mittelfristig<br />

Überschuldung <strong>und</strong> langfristig Insolvenz auf.<br />

Subjektiv, d. h. als Konstrukte 1. Ordnung, können<br />

den Konsumenten aber auch diese Verhaltensweisen<br />

als völlig rational erscheinen.<br />

2. Wie hoch sind der Grad <strong>und</strong> die Höhe der <strong>Verschuldung</strong><br />

bzw. Überschuldung der Kinder <strong>und</strong><br />

<strong>Jugendlichen</strong>?<br />

Gr<strong>und</strong>lage der folgenden Aussagen sind im Wesentlichen<br />

zwei Studien: Die erste Studie ist eine <strong>von</strong> der<br />

DFG geförderte empirische Untersuchung zu Konsummustern<br />

bei insgesamt 846 <strong>Jugendlichen</strong> im Alter<br />

<strong>zwischen</strong> 15 <strong>und</strong> 24 Jahren, die ich im Jahr 2002 in<br />

Deutschland durchgeführt habe (vgl. Lange 2004). Die<br />

zweite Studie habe ich gemeinsam mit dem Institut für<br />

Jugendforschung in München im Auftrag der SCHU-<br />

FA zur Erfassung der <strong>Verschuldung</strong>ssituation <strong>von</strong><br />

Minderjährigen bei insgesamt <strong>10</strong>03 <strong>Kindern</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong><br />

<strong>und</strong> einem Elternteil im Jahr 2005 durchgeführt<br />

(vgl. Lange/Fries 2006). Ergänzend herangezogen<br />

werden zwei weitere Studien des Instituts für<br />

Jugendforschung aus früheren Jahren zum Umgang<br />

<strong>von</strong> <strong>Kindern</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong> mit Geld (vgl. IJF<br />

2004a, IJF 2004b); die Ergebnisse zeigt Tabelle 1.<br />

Tabelle 1: <strong>Verschuldung</strong>sraten <strong>und</strong> <strong>Verschuldung</strong>shöhen<br />

bei <strong>Kindern</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong> <strong>zwischen</strong> <strong>10</strong> <strong>und</strong> 24 Jahren<br />

Alter<br />

<strong>Verschuldung</strong>srate (%)<br />

<strong>Verschuldung</strong>shöhe (Euro)<br />

Überschuldungsraten (%)<br />

Überschuldungshöhen Euro)<br />

<strong>10</strong>-12<br />

5<br />

6<br />

13-17<br />

17<br />

930<br />

5<br />

2290<br />

19<br />

1930<br />

12<br />

3420<br />

Fasst man die Ergebnisse der verschiedenen Studien<br />

zusammen, dann steigen die <strong>Verschuldung</strong>sraten <strong>von</strong><br />

5 % bei den <strong>10</strong>-12-Jährigen über 11 % bei den 13-17-<br />

Jährigen auf 17 % bei den 18-20-Jährigen <strong>und</strong> 19 %<br />

bei den 21-24-Jährigen an. Gleichzeitig steigen die<br />

<strong>Verschuldung</strong>shöhen <strong>von</strong> etwa 6 Euro in der Gruppe<br />

der Jüngsten auf 1930 Euro in der Gruppe der Ältesten.<br />

Bemerkenswert ist besonders der Sprung ab dem<br />

18. Lebensjahr. Aber auch die Überschuldungsraten<br />

<strong>und</strong> Überschuldungshöhen gehen bei den Jungerwachsenen<br />

ab dem 18. Lebensjahr deutlich in die Höhe.<br />

11<br />

60<br />

18-20<br />

21-24<br />

Gr<strong>und</strong>lage sind die folgenden Studien: IJF 2004a, IJF 2004b, Lange/Fries 2006 <strong>und</strong> Lange 2004.<br />

Die <strong>Verschuldung</strong>sraten <strong>und</strong> -höhen sind als arithmetische Mittelwerte aus den in diesen Studien<br />

vorfindbaren Mittelwerten gebildet worden. Die <strong>Verschuldung</strong>sraten sind aufgr<strong>und</strong> der zum Teil<br />

geringen absoluten Fallzahlen in den Einzelstudien (n <strong>zwischen</strong> 60 <strong>und</strong> 120) mit Vorsicht zu interpretieren.<br />

Das gleiche gilt für die <strong>Verschuldung</strong>shöhen, die hier ebenfalls über das arithmetische<br />

Mittel gemessen werden; dieses wird bekanntlich stark durch „Ausreißer“ beeinflußt. Von Überschuldung<br />

wird hier gesprochen, wenn bei den Jungerwachsenen, also den über 18-Jährigen,<br />

die Höhe der Schulden höher ist als die Höhe der monatlichen Einkünfte. Unter inferenzstatistischen<br />

Aspekten ist bei der Art der Stichprobenziehung nach dem ADM-Verfahren ein Konfidenzintervall<br />

<strong>von</strong> +/- 2% zu berücksichtigen.


TRENDS · ANALYSEN · PERSPEKTIVEN 3 Online-JugendStile 2007<br />

<strong>Verschuldung</strong>en <strong>und</strong> Kreditaufnahmen sind in einer<br />

Marktwirtschaft völlig normal, vor allem dann, wenn<br />

sie bewusst eingegangen werden. Sie sind für den<br />

Konsumenten auch unproblematisch, sofern sie denn,<br />

in der Regel in Raten <strong>und</strong> mit Zinsen, zurückgezahlt<br />

werden können. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> sind auch die<br />

<strong>Verschuldung</strong>sraten <strong>und</strong> -höhen zu beurteilen. Der<br />

Anstieg der <strong>Verschuldung</strong>sraten der <strong>Jugendlichen</strong> allein<br />

kann somit nicht an sich als problematisch, sondern<br />

kann auch als Ausdruck einer wachsenden Kompetenz<br />

im Umgang mit Krediten betrachtet werden.<br />

Auch die <strong>Verschuldung</strong>shöhen sind an sich ohne Aussagekraft;<br />

diese gewinnen sie erst, wenn man sie vor<br />

dem Hintergr<strong>und</strong> der jeweiligen Vermögenswerte <strong>und</strong><br />

der Einnahmen der <strong>Jugendlichen</strong> sieht.<br />

Überschuldungen hingegen bedeuten, dass den Kreditnehmern<br />

nach Zahlung <strong>von</strong> Tilgungsraten <strong>und</strong> Zinsen<br />

in einer bestimmten Periode nicht mehr genügend finanzielle<br />

Mittel zum Leben, z. B. zur Befriedigung der<br />

Gr<strong>und</strong>bedürfnisse bleiben. Grenzen werden hier <strong>und</strong><br />

heute etwa durch den Pfändungsfreibetrag oder die<br />

Sozialhilfe gezogen. Überschuldungen <strong>und</strong> ihr Anstieg<br />

stellen dagegen sehr wohl ein Problem für den Einzelnen<br />

wie für die Gläubiger dar, besonders dann, wenn<br />

sie längerfristig auftreten. Sie können darüber hinaus<br />

zu einem sozialen Problem werden, wenn letztlich die<br />

Öffentlichkeit für die Folgen aufkommen muss.<br />

3. Für welche Güter <strong>und</strong> Dienstleistungen verschulden<br />

sich die Kinder <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong>, bei<br />

wem verschulden sie sich <strong>und</strong> wo erhalten sie<br />

Hilfe?<br />

Fragen wir jetzt nach den Dingen, für die sich die Kinder<br />

<strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong> verschulden. Dabei geht es zunächst um<br />

die Gruppe der <strong>10</strong>-17-Jährigen (vgl. Grafik 1).<br />

Grafik 1: Gründe für die <strong>Verschuldung</strong><br />

Angaben in %; Basis: n=62 Jugendliche, die Schulden haben, <strong>10</strong>-17 Jahre,<br />

geschlossene Frage "Und wofür hast Du Dir Geld geliehen?"<br />

Quelle: Institut für Jugendforschung<br />

Fast Food<br />

Weggehen<br />

Kleidung<br />

Computer-Software<br />

Getränke<br />

Süßigkeiten<br />

Handy<br />

Zeitschriften/Zeitungen<br />

Sonstiges<br />

Kosmetik<br />

7%<br />

Die vorliegende Grafik enthält die <strong>10</strong> wichtigsten Güter<br />

bzw. Dienstleistungen, für die die <strong>10</strong>-17jährigen<br />

Kinder <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong> Geld geliehen haben, das sie<br />

nicht sofort zurückzahlen können.<br />

− An erster Stelle steht Fast Food mit knapp einem<br />

Viertel aller Nennungen. Gemeint sind damit alle<br />

Speisen, die außerhäuslich in entsprechenden Re-<br />

8%<br />

8%<br />

8%<br />

11%<br />

11%<br />

13%<br />

16%<br />

16%<br />

23%<br />

0% 5% <strong>10</strong>% 15% 20% 25%<br />

staurants, Kiosks, Tankstellen <strong>und</strong> anderen Einrichtungen<br />

gekauft werden.<br />

− An zweiter Stelle stehen das Ausgehen <strong>und</strong> die<br />

Kleidung mit jeweils 16 % aller Nennungen.<br />

− Es folgen Computersoftware, Computerspiele,<br />

Getränke <strong>und</strong> Süßigkeiten, auf die jeweils etwa<br />

ein Achtel aller Nennungen entfallen.<br />

− An letzter Stelle stehen gleichermaßen das Handy,<br />

Zeitschriften <strong>und</strong> Zeitungen, Kosmetik <strong>und</strong> Sonstiges<br />

mit jeweils 8 % aller Nennungen.<br />

Bezieht man das zuletzt genannte Ergebnis auf die in<br />

den Medien immer wieder diskutierte Frage, inwieweit<br />

das Handy zur <strong>Verschuldung</strong> der <strong>Jugendlichen</strong><br />

insgesamt beiträgt, dann lautet die Antwort: Der Umfang<br />

aller durch das Handy verschuldeten Kinder <strong>und</strong><br />

<strong>Jugendlichen</strong> liegt unter einem Prozent. Vergleicht<br />

man diese Zahlen mit den Daten der <strong>Jugendlichen</strong><br />

<strong>zwischen</strong> 15 <strong>und</strong> 24-Jahren, zeigt sich auch hier: Der<br />

Anteil der verschuldeten <strong>Jugendlichen</strong>, die ihre <strong>Verschuldung</strong><br />

auf das Handy zurückführen, liegt nahezu<br />

gleichauf bei 9 % aller Nennungen. Bezogen auf alle<br />

<strong>Jugendlichen</strong> dieser Altersgruppe trägt auch hier das<br />

Handy nur bei 1 % der <strong>Jugendlichen</strong> zur <strong>Verschuldung</strong><br />

bei.<br />

Was die Gläubiger der <strong>Jugendlichen</strong> angeht, so liegen<br />

die Fre<strong>und</strong>e mit 57 % vor den Eltern, die in 44 % aller<br />

Fälle angesprochen werden. Geschwister spielen mit<br />

nur <strong>10</strong> % <strong>und</strong> andere Verwandte mit 2 % keine nennenswerte<br />

Rolle. Bei Banken <strong>und</strong> Sparkassen findet<br />

keine <strong>Verschuldung</strong> statt (s. auch das gesetzliche Verbot<br />

der Kreditgewährung an Minderjährige).<br />

Knapp die Hälfte der <strong>Jugendlichen</strong> mit Schulden hat<br />

schon einmal mit Jemandem über seine Schulden gesprochen.<br />

Überwiegend werden natürlich die dominanten<br />

Gläubiger, die Eltern <strong>und</strong> die Fre<strong>und</strong>e angesprochen<br />

hin <strong>und</strong> wieder auch Geschwister <strong>und</strong> Verwandte.<br />

Wenn die <strong>Jugendlichen</strong> Jemanden um Hilfe bitten,<br />

dann tun sie dieses ebenso fast ausschließlich bei ihren<br />

Eltern <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en. Sie sind auch diejenigen, <strong>von</strong><br />

denen die Hilfe in den meisten Fällen stammt. Schuldnerberatungsstellen<br />

spielen als Anlaufstelle für die <strong>Jugendlichen</strong><br />

keine Rolle.<br />

Betrachten wir nun die Gruppe der älteren <strong>Jugendlichen</strong><br />

<strong>zwischen</strong> 15 <strong>und</strong> 24 Jahren (vgl. Lange 2004, S.<br />

157ff.). In dieser Gruppe finden wir andere Anlässe<br />

für die <strong>Verschuldung</strong> bzw. Überschuldung. Im Vordergr<strong>und</strong><br />

stehen hier „größere Anschaffungen“ (vgl.<br />

Grafik 2).<br />

An erster Stelle steht die Anschaffung eines Autos, bei<br />

einigen wenigen auch eines Motorrads, im Alter <strong>zwischen</strong><br />

18 <strong>und</strong> 21 Jahren, die für immerhin 38 % der<br />

<strong>Jugendlichen</strong> zum Anlass für die Überschuldung geworden<br />

ist. Vermutlich haben sich die <strong>Jugendlichen</strong><br />

diesbezüglich beim Kauf, der Finanzierung <strong>und</strong> dem<br />

Unterhalt übernommen. Dieser Anlass steht besonders<br />

bei den jungen Männern sowie auch generell bei den<br />

<strong>Jugendlichen</strong> in den neuen B<strong>und</strong>esländern im Vordergr<strong>und</strong>.<br />

In der weiteren Rangfolge erscheinen mit jeweils etwa<br />

20 % gleichauf die Anschaffung elektronischer Geräte<br />

wie Fernseher, Videorekorder, Musikanlagen, die An-


TRENDS · ANALYSEN · PERSPEKTIVEN 4 Online-JugendStile 2007<br />

schaffung <strong>von</strong> Computern <strong>und</strong> Computerzubehör, die<br />

Ausgaben für teure Reisen sowie für Einrichtungsgegenstände<br />

<strong>und</strong> Kleidung. Dabei sind geschlechtsspezifische<br />

Unterschiede zu beobachten, die wir aus dem<br />

Kauf <strong>von</strong> Konsumgütern kennen. So führen bei den<br />

jungen Männern besonders die Ausgaben für Computer<br />

<strong>und</strong> deren Zubehör <strong>und</strong> bei den jungen Frauen die<br />

Ausgaben für Reisen, Einrichtungsgegenstände <strong>und</strong><br />

Kleidung in die Überschuldung.<br />

Grafik 2: <strong>Verschuldung</strong>sanlässe bei größeren Anschaffungen<br />

(Mehrfachnennungen in %) Quelle: Lange 2004<br />

Auto, Motorrad<br />

elektronische Geräte<br />

Reisen<br />

Kleidung<br />

Computer<br />

Einrichtungsgegenstände<br />

Freizeit<br />

Handy<br />

Schmuck<br />

1,3%<br />

9,3%<br />

11,8%<br />

20,5%<br />

19,7%<br />

18,7%<br />

18,4%<br />

22,1%<br />

Für nur etwa <strong>10</strong> % der <strong>Jugendlichen</strong>, insbesondere für<br />

die jungen Männer, sind Anschaffungen für die Freizeit<br />

<strong>und</strong> den Sport Anlass für die Überschuldung. Das<br />

in den Medien häufig genannte Handy rangiert auch in<br />

dieser Studie bei den überschuldeten <strong>Jugendlichen</strong> mit<br />

nur 9 % an vorletzter Stelle vor den Ausgaben für<br />

Schmuck.<br />

Was die Gläubiger der älteren <strong>Jugendlichen</strong> <strong>und</strong> Jungerwachsenen<br />

angeht, finden wir gegenüber den Jüngeren<br />

eine leicht veränderte Reihenfolge:<br />

An erster Stelle stehen bei mehr als der Hälfte (57 %)<br />

der <strong>Jugendlichen</strong> die Eltern; an sie wenden sich überwiegend<br />

die jungen Frauen, seltener die jungen Männer.<br />

Auch sind es eher die Schüler <strong>und</strong> Studierenden<br />

als die Auszubildenden <strong>und</strong> die Berufstätigen, die sich<br />

an die Eltern wenden.<br />

An zweiter Stelle rangieren mit 20 % jetzt die Fre<strong>und</strong>e,<br />

an sie wenden sich besonders die Schüler. An dritter<br />

Stelle stehen die Bekannten <strong>und</strong> Kollegen, bei denen<br />

12 % Schulden haben.<br />

Die Jungerwachsenen über 18 Jahre gehen darüber hinaus<br />

zu über 40 % zu einer Bank oder Sparkasse, um einen<br />

Dispositions- oder Ratenkredit zu erhalten. An sie<br />

wenden sich eher die jungen Männer als die jungen<br />

Frauen <strong>und</strong> unter Statusaspekt eher die Studenten, Auszubildenden<br />

<strong>und</strong> Berufstätigen als die Schüler.<br />

Wenn man Hilfe sucht, wendet man sich verständlicherweise<br />

zunächst einmal an seine Eltern: 58 % der<br />

<strong>Jugendlichen</strong> haben denn auch ihre Eltern um Hilfe<br />

gebeten; in nahezu allen Fällen haben sie auch Hilfe<br />

erfahren. An zweiter Stelle stehen, wie bekannt, die<br />

Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannten: Ein gutes Fünftel hat sich an<br />

sie gewandt <strong>und</strong> auch zu 80 % Hilfe erfahren. Ver-<br />

37,7%<br />

0% <strong>10</strong>% 20% 30% 40%<br />

wandte wurden immerhin noch <strong>von</strong> 15 % der überschuldeten<br />

<strong>Jugendlichen</strong> um Hilfe angesprochen; in<br />

drei Viertel aller Fälle wurde ihnen auch Hilfe zuteil.<br />

Arbeitgeber oder institutionelle Anbieter, z. B. das Sozialamt,<br />

werden dagegen <strong>von</strong> den <strong>Jugendlichen</strong> so gut<br />

wie gar nicht aufgesucht (2 bzw. 3 %). <strong>Zur</strong> Schuldnerberatung,<br />

die immerhin gut der Hälfte der <strong>Jugendlichen</strong><br />

(52 %) bekannt ist, ist <strong>von</strong> den hier untersuchten<br />

<strong>Jugendlichen</strong> noch niemand gegangen.<br />

4. Wie lässt sich die Entstehung der <strong>Verschuldung</strong><br />

<strong>und</strong> Überschuldung soziologisch erklären?<br />

<strong>Zur</strong> Erklärung der <strong>Verschuldung</strong>, sowie der jugendlichen<br />

Konsummuster insgesamt, haben wir in beiden<br />

Studien das aufgeklärte Modell der Rational Choice-<br />

Theorie gewählt, wie wir es abstrakt bei Coleman<br />

(1995) <strong>und</strong> Esser (1993, 1999-2001) ausgearbeitet finden.<br />

Es sollte prinzipiell sowohl die Erklärung <strong>von</strong><br />

Unterschieden in der statischen Betrachtung als auch<br />

der Entwicklung in der dynamischen Betrachtung ermöglichen.<br />

Zu erklären sind im Rahmen unserer Fragestellung<br />

nach diesem Modell auf der Makroebene die <strong>Verschuldung</strong>smuster<br />

der <strong>Jugendlichen</strong> <strong>und</strong> ihre Veränderung<br />

im Lebenslauf. Diese <strong>Verschuldung</strong>smuster erscheinen<br />

nach der Theorie als aggregierte Folgen individuellen<br />

Konsumverhaltens der <strong>Jugendlichen</strong> auf der<br />

Mikro-Ebene, die als Ergebnis eines Prozesses der<br />

subjektiven Nutzenoptimierung zustande kommen,<br />

wobei die <strong>Jugendlichen</strong> während ihres Sozialisationsprozesses<br />

sowohl <strong>von</strong> den situativen Kontextstrukturen<br />

auf der Mesoebene, wie z. B. Strukturen im Bereich<br />

der Familie, des Bildungssystems, der Fre<strong>und</strong>esgruppen<br />

<strong>und</strong> der Konsumgütermärkte, als auch <strong>von</strong><br />

den institutionellen <strong>und</strong> kulturellen Bedingungen auf<br />

der Makroebene beeinflusst erscheinen. Beeinflussung<br />

bedeutet soziologisch zum einen die Vermittlung der<br />

mit den Strukturen verb<strong>und</strong>enen Optionen <strong>und</strong> Restriktionen<br />

durch die Sozialisationsinstanzen <strong>und</strong> zum<br />

anderen die subjektive Orientierung der <strong>Jugendlichen</strong><br />

an diesen Strukturen (Definition der Situation). Statistisch<br />

sollten wir daher Zusammenhänge <strong>zwischen</strong> den<br />

institutionellen <strong>und</strong> kontextuellen Bedingungen (als<br />

unabhängigen Variablen), den individuellen Handlungsbedingungen<br />

(als intervenierenden Variablen)<br />

<strong>und</strong> den konsumbezogenen Handlungen bzw. den<br />

Konsummustern (als abhängigen Variablen) finden.<br />

Die statistische Modellierung sollte über Pfadanalysen<br />

möglich sein (vgl. Modell 2).<br />

Wenngleich dieses Modell hervorragend geeignet ist,<br />

rationales, demonstratives <strong>und</strong> kompensatorisches<br />

Konsumverhalten zu erklären (vgl. Lange 2004, S.<br />

113ff., Lange u. a. 2005, S.97ff., Lange/Fries 2006),<br />

versagt es in allen drei Untersuchungen völlig, wenn<br />

es darum geht, die Frage zu klären, wo<strong>von</strong> der Eintritt<br />

in die <strong>Verschuldung</strong> abhängt. Jeder Versuch, den Eintritt<br />

der <strong>Jugendlichen</strong> in die <strong>Verschuldung</strong> aus familiären,<br />

schulischen oder Peergruppen spezifischen Bedingungen<br />

zu erklären, scheitert genauso wie der Versuch,<br />

die <strong>Verschuldung</strong> auf individuelle Handlungsbedingungen,<br />

wie Persönlichkeitsmerkmale oder Einstel-


TRENDS · ANALYSEN · PERSPEKTIVEN 5 Online-JugendStile 2007<br />

lungen, zurückzuführen. Die verschuldeten <strong>Jugendlichen</strong><br />

zeigen damit im Unterschied zu den nichtverschuldeten<br />

<strong>Jugendlichen</strong> weder ein „gestörtes“ Persönlichkeitsprofil<br />

noch kommen sie aus „zerrütteten“<br />

Familienverhältnissen.<br />

Modell 2: Theoretisches Modell zur Erklärung jugendlicher Konsummuster<br />

Makro- u. Mesoebene<br />

I. Rahmenbedingungen IV. Explanandum<br />

Makroebene<br />

Mesoebene<br />

institutionelle <strong>und</strong> kulturelle<br />

Rahmenbedingungen<br />

kontextuelle Bedingungen<br />

- familiäre Bedingungen<br />

- schulische Bedingungen<br />

- Peergruppenbedingungen<br />

- Alters- u. Geschlechtsnormen<br />

Konsummuster<br />

- rationales Konsummuster<br />

- demonstratives Muster<br />

- kompensatorisches Muster<br />

- <strong>Verschuldung</strong>smuster<br />

(Logik der Situation) (Logik der Aggregation)<br />

Mikroebene<br />

II. Individ. Handlungsbedingungen III. Individ. Handlung<br />

Optionen u. Restriktionen<br />

- Ressourcen/Einnahmen<br />

- Präferenzen/Bedürfnisse<br />

- Erwartungen <strong>und</strong> Einstellungen<br />

(Logik der Selektion)<br />

konsumbezogene Handlungen<br />

- rationales Handeln<br />

- demonstratives Handeln<br />

- kompensatorisches Handeln<br />

- Verschulden<br />

Wir finden keinerlei Zusammenhänge z. B. zur<br />

Schichtzugehörigkeit, zu allgemeinen familiären Erziehungszielen<br />

oder -stilen, zum familiären Kommunikationsstil,<br />

zur elterlichen Finanz- <strong>und</strong> Haushaltserziehung.<br />

Auch die Finanz- <strong>und</strong> Werbeerziehung in den<br />

Schulen spielt hier keine Rolle. Kein Zusammenhang<br />

ergibt sich zu Art <strong>und</strong> Grad der Einbindung in die<br />

Fre<strong>und</strong>esgruppen. Und auch die Affinität zur Werbung<br />

hat keinerlei Einfluss darauf, ob die Kinder <strong>und</strong><br />

<strong>Jugendlichen</strong> in die <strong>Verschuldung</strong> geraten.<br />

Auch die individuellen Präferenzen wie Wertorientierungen<br />

der verschiedensten Art <strong>und</strong> individuelle<br />

Ressourcen wie Einkommen <strong>und</strong> Vermögen, ökonomische<br />

Kenntnisse, speziell Finanzkenntnisse sind<br />

genauso irrelevant wie etwa besondere Lebensstile,<br />

Kontrollorientierungen <strong>und</strong> die Selbstwertschwäche,<br />

um nur einige individuelle Bedingungen zu nennen,<br />

die mit erhoben wurden. Der einzige Zusammenhang<br />

der <strong>Verschuldung</strong> ergibt sich zum kompensatorischen<br />

Konsum <strong>und</strong> zur Kaufsucht: Kompensatorisch<br />

konsumierende Jugendliche bzw. kaufsüchtige Jugendliche<br />

sind eher verschuldet als rational konsumierende<br />

Jugendliche.<br />

Halten wir also zunächst einmal fest: Soziologisch<br />

gesehen ist <strong>Verschuldung</strong> ein ganz normales <strong>und</strong> in<br />

der Regel auch vorübergehendes Phänomen im Rahmen<br />

der biographischen Entwicklung junger Menschen<br />

zu marktkonformen Verbrauchern.<br />

Für diese These spricht auch, dass über 80 % der <strong>10</strong>-<br />

17-jährigen Kinder <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong> ihre Schulden so<br />

schnell wie möglich zurückzahlen wollen <strong>und</strong> dass<br />

auch genau so viele glauben, das auch in einem Monat<br />

erledigen zu können. Für diese These spricht weiterhin,<br />

dass sich über 60 % der <strong>Jugendlichen</strong> in der Altersgruppe<br />

der 15-24-Jährigen, die bereits einmal in<br />

einer Überschuldungssituation waren, bereits wieder<br />

aus dieser Situation lösen konnten, <strong>und</strong> weitere 30 %<br />

kurz davor standen, wenn man den Daten glauben<br />

darf. Auch die Schufa-Daten über die <strong>Verschuldung</strong><br />

junger Erwachsener (Eintrag <strong>von</strong> Negativmerkmalen)<br />

zeigen eine hohe Dynamik in der Gruppe der 18-24-<br />

Jährigen: Nach drei Jahren (solange bleiben Eintragungen<br />

bestehen, wenn keine neuen vorgenommen<br />

werden) sind knapp 30 % der Jungerwachsenen wieder<br />

aus der Kartei verschw<strong>und</strong>en (vgl. Lange/Fries<br />

2006, Lange 2004, SCHUFA 2005).<br />

5. Wie erklären die <strong>Jugendlichen</strong> selbst ihren Eintritt<br />

in die <strong>Verschuldung</strong> bzw. Überschuldung?<br />

Wenn wir schon mit dem gewählten Ansatz nicht erklären<br />

können, warum es zur <strong>Verschuldung</strong> kommt,<br />

können wir aber diejenigen jungen Leute, die bereits<br />

einmal in einer Überschuldungssituation waren, fragen,<br />

warum sie in diese Situation geraten sind; wir<br />

können also nach den subjektiven Begründungen für<br />

die Überschuldung fragen. Erste Antworten gibt die<br />

Grafik 3.<br />

Wenn wir <strong>von</strong> den größeren Anschaffungen, die für<br />

zwei Drittel aller <strong>Jugendlichen</strong> zur Überschuldung geführt<br />

<strong>und</strong> die wir bereits oben im Einzelnen behandelt<br />

haben, absehen, dann wird <strong>von</strong> mehr als einem Drittel<br />

der <strong>Jugendlichen</strong> auf eine unzureichende Wirtschaftsplanung<br />

verwiesen. Die <strong>Jugendlichen</strong> gestehen sich<br />

also ein, nicht vernünftig mit ihrem Einkommen bzw.<br />

Vermögen umgegangen zu sein <strong>und</strong> schlicht über ihre<br />

Verhältnisse gelebt zu haben. Hier sind es eher die<br />

jungen Frauen als die jungen Männer <strong>und</strong> eher die <strong>Jugendlichen</strong><br />

in den neuen als in den alten Ländern, die<br />

für sich eine unzureichende Wirtschaftsplanung eingestehen.<br />

Grafik 3: Subjektive Begründung der Überschuldung<br />

(Mehrfachnennungen in %) Quelle: Lange 2004<br />

größere Anschaffung<br />

unzulängliche Wirtschaftsplanung<br />

Erhöhung der fixen Lebenskosten<br />

Gaststätten- <strong>und</strong> Discobesuch<br />

psychische Probleme<br />

Verdienstausfall<br />

Verleitung durch Kreditgeber<br />

Krankheit/Unfall<br />

Geburt eines Kindes<br />

Unterstützung <strong>von</strong> Familienmitgliedern<br />

Arbeitsplatzverlust<br />

6,3%<br />

5,3%<br />

5,2%<br />

4,2%<br />

3,2%<br />

3,2%<br />

11,8%<br />

<strong>10</strong>,4%<br />

22,1%<br />

36,0%<br />

67,0%<br />

0% 15% 30% 45% 60% 75%<br />

Ein Fünftel der <strong>Jugendlichen</strong> verweist auf eine Erhöhung<br />

ihrer fixen Lebenshaltungskosten, zu denen sie<br />

z. B. die Miete, die Wohnungseinrichtung, die Kosten<br />

für den Unterhalt eines Fahrzeugs, Nahrungsmittel<br />

<strong>und</strong> Kleidung zählen, die die <strong>Jugendlichen</strong> mit ihrem<br />

Einkommen offensichtlich nicht aufzufangen in der<br />

Lage waren. Möglicherweise liegen aber hier keine<br />

Erhöhungen vor, sondern falsche Einschätzungen der<br />

jeweiligen Höhe der Kosten für die Lebenshaltung.<br />

Auf der anderen Seite spielen Verdienstausfälle, Ar-


TRENDS · ANALYSEN · PERSPEKTIVEN 6 Online-JugendStile 2007<br />

beitsplatzverluste, aber auch Krankheiten für die <strong>Jugendlichen</strong><br />

eine eher untergeordnete Rolle, wobei allerdings<br />

die Geburt eines Kindes – immerhin 5 % der<br />

15-24-Jährigen haben bereits ein Kind – offensichtlich<br />

direkt in die Überschuldungssituation geführt hat.<br />

Auf eine Verleitung durch Kreditgeber wird nur <strong>von</strong><br />

5 % der <strong>Jugendlichen</strong> hingewiesen. Auch aus der Perspektive<br />

der <strong>Jugendlichen</strong> wird damit den Kreditinstituten<br />

eine im Großen <strong>und</strong> Ganzen sorgfältige Kreditvergabe<br />

bescheinigt.<br />

Immerhin <strong>10</strong> % der <strong>Jugendlichen</strong> verweisen auf psychische<br />

Probleme, die sie mit der Überschuldung in<br />

Beziehung setzen. Handelt es sich hier etwa um familiären,<br />

schulischen <strong>und</strong> beruflichen Stress, der dann<br />

über den kompensatorischen Konsum <strong>und</strong> die Kaufsucht<br />

zur Überschuldung führt?<br />

Halten wir fest: Die <strong>Jugendlichen</strong> <strong>und</strong> jungen Erwachsenen<br />

sehen mit dem Hinweis auf eine unzulängliche<br />

Wirtschaftsplanung die Ursachen für ihre<br />

Überschuldung überwiegend bei sich selbst <strong>und</strong> weniger<br />

in äußeren Umständen. Damit sind sie auch in<br />

der Lage zu lernen <strong>und</strong> ihr zukünftiges Verhalten an<br />

die Marktbedingungen anzupassen.<br />

6. Welche Probleme ergeben sich für die Kinder<br />

<strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong> mit der Überschuldung?<br />

<strong>Verschuldung</strong> <strong>und</strong> Überschuldung gehen bei den <strong>Jugendlichen</strong><br />

mit ökonomischen, sozialen <strong>und</strong> psychischen<br />

Problemen einher, die gleichzeitig Hinweise<br />

auf wahrgenommene Problemlösungsmöglichkeiten<br />

bieten. In welchem Umfang diese Probleme <strong>und</strong> ihre<br />

Lösungsmöglichkeiten bei den <strong>Jugendlichen</strong> nach<br />

ihren eigenen Vorstellungen aufgetreten sind bzw.<br />

noch auftreten, zeigt Grafik 4.<br />

An erster Stelle stehen nach Auskunft der <strong>Jugendlichen</strong><br />

ökonomische Probleme. D. h. die <strong>Jugendlichen</strong><br />

mussten bzw. müssen ihre Ausgaben einschränken, so<br />

dass sie mit ihrem Einkommen besser auskommen<br />

können. Fast 60 % der <strong>Jugendlichen</strong> mussten bzw.<br />

müssen mit diesen Problemen leben. Ökonomische<br />

Einschränkungen werden häufiger <strong>von</strong> den jungen<br />

Frauen als <strong>von</strong> den jungen Männern <strong>und</strong> häufiger in<br />

den älteren als den jüngeren Altersgruppen genannt.<br />

An zweiter Stelle stehen Probleme im sozialen Bereich:<br />

30 % der <strong>Jugendlichen</strong> berichten <strong>von</strong> erheblichen<br />

familiären Konflikten, die sich aus ihrer <strong>Verschuldung</strong>s-<br />

bzw. Überschuldungssituation ergeben<br />

haben. Offensichtlich wird diese Situation auch <strong>von</strong><br />

den Eltern wahrgenommen <strong>und</strong> gegenüber den <strong>Jugendlichen</strong><br />

thematisiert. Aber auch mit den Fre<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> Bekannten gibt es Schwierigkeiten: Immerhin<br />

6 % der <strong>Jugendlichen</strong> berichten <strong>von</strong> einer Abnahme<br />

der sozialen Kontakte. Wenn das Geld knapper wird,<br />

kann man weder mit den Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten regelmäßig<br />

ausgehen noch mit seinen Ausgaben Eindruck<br />

zu machen versuchen.<br />

An dritter Stelle stehen psychische Probleme: Ein<br />

Fünftel der überschuldeten <strong>Jugendlichen</strong> berichtet <strong>von</strong><br />

zunehmendem Stress, 16 % sehen einen Anstieg des<br />

Suchtverhaltens, besonders bei den legalen Süchten<br />

wie Alkohol <strong>und</strong> Nikotin. 14 % berichten <strong>von</strong> resignativen<br />

Tendenzen <strong>und</strong> noch 11 % <strong>von</strong> Minderwertigkeitsgefühlen.<br />

Stress <strong>und</strong> Resignation sind vor allem<br />

Reaktionen der Mädchen <strong>und</strong> der jungen Frauen, während<br />

Jungen <strong>und</strong> junge Männer eher in Suchtverhaltensweisen<br />

wie Alkohol <strong>und</strong> Nikotin ausweichen <strong>und</strong><br />

ihre Probleme zu lösen suchen. Insgesamt zeigt sich<br />

hier eine erhebliche Problembelastung der überschuldeten<br />

<strong>Jugendlichen</strong> im psychischen Bereich: Etwa die<br />

Hälfte aller Nennungen entfällt auf psychische Probleme.<br />

Viele der hier <strong>von</strong> den überschuldeten <strong>Jugendlichen</strong><br />

berichteten psychischen Belastungen lassen sich<br />

dabei als Indikatoren eines Rückzugsverhaltens deuten,<br />

das das eigentliche Überschuldungsproblem kaum<br />

zu lösen in der Lage ist.<br />

Grafik 4: Probleme bei der <strong>Verschuldung</strong>/Überschuldung<br />

(Mehrfachnennungen in %) Quelle: Lange 2004<br />

ökonom. Einschränkungen<br />

familiäre Konflikte<br />

Stress<br />

Süchtiges Verhalten<br />

Resignation<br />

Minderw ertigkeitsgefühl<br />

Bedrohung durch rechtl. Verfahren<br />

Schw ierigk. b.d. Zahlung d. Kreditzinsen<br />

Abnahme des sozialen Kontakts<br />

Verschlechterung d. Schulleistung<br />

Gefährdung d. Arbeitsplatzes<br />

6,7%<br />

5,8%<br />

5,8%<br />

4,9%<br />

4,8%<br />

14,4%<br />

<strong>10</strong>,6%<br />

19,2%<br />

16,3%<br />

29,5%<br />

58,5%<br />

0% <strong>10</strong>% 20% 30% 40% 50% 60% 70%<br />

Zuletzt wird <strong>von</strong> den <strong>Jugendlichen</strong> auch auf erhebliche<br />

„harte“ Belastungen ihrer Alltagssituationen hingewiesen:<br />

Immerhin jeweils 5 % der Schüler berichten<br />

<strong>von</strong> Verschlechterungen ihrer Schulleistungen <strong>und</strong> 5 %<br />

der Berufstätigen <strong>von</strong> einer Gefährdung ihres Arbeitsplatzes.<br />

6 % der erwachsenen <strong>Jugendlichen</strong> haben erhebliche<br />

Schwierigkeiten, ihre Kreditzinsen zu bezahlen, <strong>und</strong><br />

7 % sehen sich bereits durch rechtliche Verfahren, wie<br />

z. B. eine Zwangsvollstreckung bedroht.<br />

Halten wir fest: Die Überschuldung stellt für die <strong>Jugendlichen</strong><br />

<strong>und</strong> Jungerwachsenen eine auch subjektiv<br />

als erheblich wahrgenommene Problemsituation dar,<br />

die sie so schnell wie möglich überwinden wollen.<br />

7. Was unternehmen die <strong>Jugendlichen</strong>, um aus<br />

der Überschuldung zu entkommen <strong>und</strong> inwieweit<br />

gelingt es ihnen?<br />

Um aus ihrer Überschuldungssituation heraus zu kommen,<br />

haben die <strong>Jugendlichen</strong> im Prinzip nur zwei<br />

Möglichkeiten: entweder die Ausgaben einzuschränken<br />

oder aber die Einnahmen zu erhöhen. Sieht man<br />

einmal da<strong>von</strong> ab, dass man auch gar nichts tun kann,<br />

weil man glaubt, mit den Schulden gut leben zu können<br />

– immerhin 15 % der <strong>Jugendlichen</strong> (20 % der jungen<br />

Männer <strong>und</strong> 9 % der jungen Frauen) wählen diese<br />

Strategie – dann finden wir die in Grafik 5 gewählten<br />

Lösungsmöglichkeiten.


TRENDS · ANALYSEN · PERSPEKTIVEN 7 Online-JugendStile 2007<br />

Auf der Ausgabenseite setzen die <strong>Jugendlichen</strong> mit<br />

ihren Entschuldungsstrategien konsequenterweise dort<br />

an, wo sie auch die wichtigsten Ursachen für ihre <strong>Verschuldung</strong><br />

bzw. Überschuldung gesehen haben, nämlich<br />

bei den größeren Anschaffungen: Immerhin 71 %<br />

geben an, in der nahen Zukunft auf größere Anschaffungen<br />

verzichten zu wollen. Diese Strategie wird eher<br />

<strong>von</strong> den jungen Frauen als <strong>von</strong> den jungen Männern<br />

gewählt.<br />

Darüber hinaus versucht man, in kostenträchtigen Bereichen<br />

zu sparen: So wollen 54 % den Besuch in<br />

Gaststätten oder Diskotheken einschränken, 53 % weniger<br />

für Kleidung, Kosmetik <strong>und</strong> Schmuck ausgeben,<br />

51 % bei den Handy- bzw. Telefongebühren <strong>und</strong> 45 %<br />

bei Ausgaben für die tägliche Lebensführung sparen.<br />

Immerhin 35 % setzen den Rotstift bei den Reisen <strong>und</strong><br />

26 % bei den Betriebskosten ihrer Autos, Motorräder<br />

oder Mofas an. All diese Entschuldungsstrategien<br />

werden häufiger <strong>von</strong> den jungen Frauen als <strong>von</strong> den<br />

jungen Männern gewählt.<br />

Sofern die <strong>Jugendlichen</strong> auf der Einnahmeseite anset-<br />

Grafik 5: Entschuldungsstrategien der <strong>Jugendlichen</strong><br />

(Mehrfachnennungen in %) Quelle: Lange 2004<br />

Verschiebung größerer Anschaffungen<br />

Einschränkung des Gaststättenbesuchs<br />

mehr arbeiten<br />

weniger ausgeben<br />

Sparen der Handygebühren<br />

Sparen beim täglichen Einkauf<br />

Verzicht auf Reisen/Urlaub<br />

besser bezahlte Arbeit<br />

Sparen bei den Betriebskosten des Autos<br />

nichts<br />

mehr Taschengeld<br />

billigere Wohnung<br />

5,7%<br />

14,6%<br />

13,6%<br />

28,8%<br />

26,2%<br />

35,0%<br />

44,8%<br />

54,3%<br />

53,8%<br />

53,3%<br />

50,5%<br />

zen, wollen bzw. wollten immerhin 54 % mehr arbeiten,<br />

29 % eine besser bezahlte Arbeit annehmen <strong>und</strong><br />

14 % der jüngeren <strong>Jugendlichen</strong> die Eltern um mehr<br />

Taschengeld bitten.<br />

Halten wir fest: Unter der erheblichen Problembelastung<br />

einer Überschuldungssituation erweisen sich die<br />

<strong>Jugendlichen</strong> <strong>und</strong> Jungerwachsenen durchweg als<br />

lernfähig, lernbereit <strong>und</strong> setzen mit ihren Entschuldungsstrategien<br />

bei ihrer eigenen unzureichenden<br />

Wirtschaftsplanung <strong>und</strong> dort konsequenterweise bei<br />

den Ursachenkomplexen auf der Ausgaben- <strong>und</strong> der<br />

Einnahmenseite an, die sie für ihre Überschuldungssituation<br />

verantwortlich machen.<br />

Die Folge ist, wie bereits oben erwähnt, dass sich die<br />

meisten <strong>Jugendlichen</strong> zwar mit großen Anstrengungen<br />

<strong>und</strong> vermutlich auch großen Schmerzen selbst sowie<br />

mit Hilfe ihrer Eltern <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e aus dieser Situation<br />

befreien können. <strong>Verschuldung</strong> <strong>und</strong> Überschuldung<br />

bleiben für die meisten <strong>Jugendlichen</strong> damit eine zwar<br />

problematische, aber vorübergehende Passage während<br />

ihrer Sozialisation zu einem marktkonformen<br />

Verbraucher. Gleichwohl bleibt als Desiderat die Betrachtung<br />

derjenigen, die sich nicht aus dieser Situation<br />

befreien können.<br />

71,4%<br />

0% 15% 30% 45% 60% 75%<br />

8. Was geschieht mit dem Übergang vom Minderjährigen<br />

zum Erwachsenen?<br />

Als kritische Lebensphase hat sich der Übergang <strong>von</strong><br />

den Minderjährigen zu den Erwachsenen im Alter<br />

<strong>zwischen</strong> 18 <strong>und</strong> 25 Jahren erwiesen. In dieser Phase<br />

− steigen die <strong>Verschuldung</strong>s- <strong>und</strong> Überschuldungsraten<br />

deutlich an,<br />

− steigen die <strong>Verschuldung</strong>s- <strong>und</strong> Überschuldungshöhen<br />

überproportional an.<br />

Wie ist dieser Anstieg zu erklären? Unserem theoretischen<br />

Modell entsprechend ist hier auf Veränderungen<br />

in rechtlicher, ökonomischer <strong>und</strong> sozialer Hinsicht<br />

einzugehen, also im Bereich der institutionellen <strong>und</strong><br />

kontextuellen Bedingungen:<br />

− Mit 18 Jahren werden die <strong>Jugendlichen</strong> volljährig<br />

<strong>und</strong> damit rechtlich selbstständig.<br />

− Mit der Volljährigkeit können sie einen Führerschein<br />

für einen PKW erwerben <strong>und</strong> ein eigenes<br />

Auto fahren.<br />

− Mit der Volljährigkeit können sie eigenständig<br />

Mietverträge unterschreiben <strong>und</strong> in eine eigene<br />

Wohnung einziehen.<br />

− Mit der Volljährigkeit können sie bei Banken <strong>und</strong><br />

Sparkassen Kredite aufnehmen.<br />

− Allgemein kann man sagen, dass mit dem Übergang<br />

in die Volljährigkeit die Optionen steigen<br />

<strong>und</strong> die Restriktionen sinken.<br />

Zwischen dem 18 <strong>und</strong> dem 21. Lebensjahr schließen<br />

viele der jetzt Jungerwachsenen ihre Schulausbildung<br />

ab <strong>und</strong> nehmen entweder eine berufliche Ausbildung,<br />

ein Studium oder auch eine Berufstätigkeit auf. Damit<br />

sind in vielen Fällen auch ein Auszug aus der elterlichen<br />

Wohnung <strong>und</strong> die Einrichtung einer eigenen<br />

Wohnung oder eines eigenen Zimmers verb<strong>und</strong>en<br />

(56 % der über 18-Jährigen leben bereits in einer eigenen<br />

Wohnung; bei den Studierenden sind es 74 % <strong>und</strong><br />

bei den Berufstätigen 62 %). Damit ist vielfach auch<br />

eine erhöhte Mobilität erforderlich oder auch gewünscht.<br />

Die Folge ist zunächst die Führerscheinprüfung<br />

<strong>und</strong> vielfach die Anschaffung eines eigenen Autos<br />

(<strong>von</strong> den 18-20-Jährigen verfügen bereits 38 %,<br />

<strong>von</strong> den 20-24-Jährigen sogar 45 % über ein eigenes<br />

Auto). Eine eigene Wohnung <strong>und</strong> ein Auto mit ihren<br />

festen <strong>und</strong> laufenden Kosten verlangen bekanntermaßen<br />

viel Geld.<br />

Da sich die meisten Jungerwachsenen in dieser Phase<br />

aber entweder noch in einer beruflichen Ausbildung,<br />

einschließlich eines Studiums oder aber in einer Berufstätigkeit<br />

mit noch niedrigen Einkünften befinden,<br />

werden viele Ausgaben zumeist über Banken- oder<br />

Sparkassenkredite finanziert, die ihrerseits mit Zinsen<br />

zurückgezahlt werden müssen. Über 40 % der über<br />

18-Jährigen <strong>und</strong> über 55 % der über 22-Jährigen haben<br />

bereits bei Kreditinstituten Kredite aufgenommen<br />

(51 % der Studierenden <strong>und</strong> 76 % der Berufstätigen).<br />

Mit dem Auszug aus dem „schützenden“ Elternhaus<br />

sinkt darüber hinaus die soziale Kontrolle der Jungerwachsenen<br />

durch die Eltern <strong>und</strong> steigt der Einfluss der<br />

Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannten.<br />

Ökonomisch ausgedrückt: Zwischen dem 18. <strong>und</strong><br />

dem 25. Lebensjahr steigen die Einnahmen der Jung-


TRENDS · ANALYSEN · PERSPEKTIVEN 8 Online-JugendStile 2007<br />

erwachsenen allenfalls linear <strong>und</strong> nur leicht an. Die<br />

größtenteils über Kredite finanzierten Ausgaben aber<br />

steigen bis zum 25. Lebensjahr überproportional an.<br />

Der finanzielle Engpass ist damit in der Gruppe der<br />

25-Jährigen am größten, um danach aufgr<strong>und</strong> der mit<br />

einer Berufstätigkeit verb<strong>und</strong>enen steigenden Einnahmen<br />

wieder zurückzugehen. Auch die jüngsten<br />

SCHUFA-Daten (vgl. SCHUFA 2006) belegen, dass<br />

die eine Überschuldung indizierenden Negativeinträge<br />

in dieser Altersgruppe einen Höhepunkt erreichen, um<br />

anschließend wieder abzunehmen.<br />

Soziologisch ausgedrückt: Die Jungerwachsenen geraten<br />

mit der Volljährigkeit im 18. Lebensjahr bis zur<br />

beruflichen Etablierung etwa um das 25. Lebensjahr in<br />

eine Situation der Statusinkonsistenz: Der rechtlichen<br />

<strong>und</strong> sozialen Selbstständigkeit entspricht noch keine<br />

finanziell-ökonomische Selbstständigkeit. Die frühere<br />

rechtliche Verantwortung der Eltern wird durch<br />

Selbstverantwortung ersetzt. Wenn die Jungerwachsenen<br />

aber zu dieser Selbstverantwortung aufgr<strong>und</strong> unzureichender<br />

eigener Wirtschaftsplanung noch nicht in<br />

der Lage sind, tritt <strong>Verschuldung</strong> <strong>und</strong> häufig auch Überschuldung<br />

auf.<br />

Besonders kritisch wird diese Situation, wenn die jungen<br />

Erwachsenen mit ihren teils noch hohen Kreditverpflichtungen<br />

nach ihrem Eintritt ins Beschäftigungssystem<br />

<strong>und</strong> nach einer Eheschließung <strong>und</strong> Familiengründung<br />

einige Jahre später entweder arbeitslos<br />

<strong>und</strong>/oder geschieden werden. Dann treten zu den eigenen<br />

unzureichenden Wirtschaftsplanungen kritische<br />

äußere Ereignisse ein, die direkt in die Überschuldung<br />

führen <strong>und</strong> aus der die jungen Erwachsenen nicht so<br />

schnell wieder hinaus finden. Arbeitslosigkeit <strong>und</strong><br />

Scheidung sind nämlich die für die Erwachsenen bedeutsamsten<br />

Ursachen für eine Überschuldung (vgl.<br />

Korczak 2000).<br />

Damit kommen wir zu dem bekannten <strong>und</strong> in den Medien<br />

immer wieder herausgestellten Phänomen der<br />

Klassenabhängigkeit der Überschuldung: Da <strong>von</strong> Arbeitslosigkeit<br />

vor allem diejenigen betroffen sind, die<br />

keinen Schul- <strong>und</strong>/oder Berufsabschluss besitzen, trifft<br />

die Überschuldung jetzt diejenigen, die sich selbst in<br />

den unteren sozialen Klassen befinden. Aber auch mit<br />

der Scheidung <strong>und</strong> der, wenn Kinder vorhanden sind,<br />

damit verb<strong>und</strong>enen Situation des Alleinerziehenmüssens<br />

sowie der Kosten einer doppelten Haushaltsführung<br />

ist ein sozialer Abstieg verb<strong>und</strong>en. Erst bei den<br />

arbeitslos gewordenen ehemals Berufstätigen <strong>und</strong>/oder<br />

bei den geschiedenen, ehemals verheirateten Erwachsenen,<br />

die darüber hinaus noch Kinder haben, gilt: Überschuldung<br />

ist vor allem ein Phänomen der unteren<br />

sozialen Klassen. Für die Kinder <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong><br />

selbst gilt das nicht.<br />

9. Literatur<br />

Coleman, J.S. (1995): Gr<strong>und</strong>lagen der Sozialtheorie,<br />

Bde 1-3. München, Wien<br />

Dörge, F.W. (1990): Verbraucherverhalten in der Sozialen<br />

Marktwirtschaft. In: Informationen zur politischen<br />

Bildung Nr. 173, Bonn, S. 7-23<br />

Esser, H. (1993): Soziologie. Allgemeine Gr<strong>und</strong>lagen.<br />

Frankfurt; New York<br />

Esser, H. (1999-2001): Soziologie, Spezielle Gr<strong>und</strong>lagen,<br />

Bde 1-6. Frankfurt; New York<br />

Geulen, D.; Hurrelmann K. (1980): <strong>Zur</strong> Programmatik<br />

einer umfassenden Sozialisationstheorie. In: Hurrelmann,<br />

K.; Ulich, D. (Hrsg.): Handbuch der Sozialisationsforschung.<br />

Weinheim; Basel, S. 51-67<br />

Institut für Jugendforschung (2004): Die Finanzkraft<br />

der 13-20-Jährigen in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland. Daten, Fakten, Trends. München<br />

(zitiert als 2004a)<br />

Institut für Jugendforschung (2004): Taschengeldkalender<br />

2004. München (zitiert als 2004b)<br />

Jäckel, M. (2004): Einführung in die Konsumsoziologie.<br />

Fragestellungen – Kontroversen – Beispieltexte.<br />

Wiesbaden<br />

Korczak, D. (2000): Überschuldung in Deutschland,<br />

Gutachten im Auftrag des BMfSFJ. München<br />

Lange, E. (2004): Jugendkonsum im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Wiesbaden<br />

Lange, E.; Choi, S.; Yoo, D.; Adamczyk, G. (2005):<br />

Jugendkonsum im internationalen Vergleich. Eine<br />

Untersuchung der Einkommens-, Konsum- <strong>und</strong><br />

<strong>Verschuldung</strong>smuster der <strong>Jugendlichen</strong> in<br />

Deutschland, Korea <strong>und</strong> Polen. Wiesbaden<br />

Lange, E.; Fries, K. (2006): Jugend <strong>und</strong> Geld 2005.<br />

Eine empirische Untersuchung über den Umgang<br />

<strong>von</strong> <strong>10</strong>-17-jährigen <strong>Kindern</strong> <strong>und</strong> <strong>Jugendlichen</strong> mit<br />

Geld. Münster; München<br />

SCHUFA Holding AG (Hrsg.) (2005): Schuldenkompass<br />

2005. Wiesbaden<br />

SCHUFA Holding AG (Hrsg.) (2006): Schuldenkompass<br />

2006. Wiesbaden<br />

Dr. Elmar Lange ist Professor für Soziologie an der<br />

Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld.<br />

(Der Beitrag beruht auf einem Vortrag, den Professor<br />

Lange bei der Tagung zum Thema „Per Mausklick in<br />

die Miesen. <strong>Zur</strong> Prävention privater <strong>Verschuldung</strong><br />

Jugendlicher“ an der Ev. Akademie Bad Boll am 14.<br />

Mai 2007 gehalten hat.<br />

Eine frühere Fassung des Beitrags wurde bereits veröffentlicht<br />

in: Michael Jäckel (Hrsg.) (Hrsg.): Ambivalenzen<br />

des Konsums <strong>und</strong> der werblichen Kommunikation.<br />

Wiesbaden, S. 141-160.)

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