BOUR DIEU

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30.12.2012 Aufrufe

12 man sie in Beziehung zu Geschäften des gleichen Feldes, jedoch von geringerem Rang und in anderen Regionen des physischen Raums platziert, setzt. So sind etwa die Innen- dekorateure der Rue du Faubourg Saint-honoré sowohl hinsichtlich ihrer noblen Geschäftsnamen als auch be- treffs all ihrer Eigenschaften (Natur, Qualität und Preis der angebotenen Waren, soziale Herkunft der Kunden etc.) das exakte Gegenteil von dem, was man in der rue du faubourg Saint-Antoine einen „ébéniste“, d.h. einen Kunsttischler nennt. Gleicherart treten die „hairdressers“ in Gegensatz zu den einfachen Friseuren, die Schuhdesigner in Opposition zu schlichten Schustern etc. solche Gegensätze spiegeln eine regelrechte Symbolik der feinen Unterschiede wieder: Hin- weise auf die Einzigartigkeit von „Schöpfung“ und „Schöp- fer“, Anspielungen auf das Alteingessensein, die Tradition, den „Adel“ des Geschäftsgründers und seine Betätigungen, Schöpfung und Schöpfer Bei dem links abgebildeten Haus am Weißen Hirsch ist ohne Vorkenntnis nicht zu erahnen, dass es eine Rechtsanwaltskanzlei beherbergt. Die Adresse ist aus den Gelben Seiten zu erfahren, das Klingelschild ist sehr dezent. Die Kanzlei im Prohliser Plattenbau erweckt keine der Assoziationen, die man beim Begriff Anwaltskanzlei bekommt. Man stellt sich die Frage, ob der Begriff Kanzlei in diesem Fall überhaupt zutreffend ist. Rechtsanwaltskanzlei ist nicht gleich Rechtsanwaltskanzlei.

die immer mit distinguierten, oft dem Englischen entlehnten Dubletten bezeichnet werden. Ebenso ist ja die Kapitale zumindest im Falle Frankreichs – ganz ohne Wortwitz gemeint – der Ort des Kapitals, d.h. derjenige Ort des physischen Raums an dem sich die positiven Pole aller Felder und die meisten der Akteure in dominanter Position konzentrieren. Sie kann deshalb auch nur im Verhältnis zur Provinz (und dem „Provinziellen“), was ja nichts anderes als das (durch und durch relative) Entbehren der Kapitale und des Kapitals bedeutet, adäquat gedacht werden. Die im physischen Raum objektivierten großen sozialen Gegensätze (z.B. Hauptstadt/Provinz) tendieren dazu, sich im Denken und Reden in Gestalt konstitutiver Oppositionen von Wahrnehmungs- und Unterscheidungsprinzipien nieder- zuschlagen, also selbst zu Kategorien der Wahrnehmung und Bewertung bzw. zu kognitiven Strukturen zu gerinnen (pariserisch/provinziell, schick/ohne Schick etc.). Solcherart ist der Gegensatz rive gauche/rive droite, also zwischen linkem und rechtem Seineufer, der bei statistischen Analy- sen und kartographischen Darstellungen der Publika (bei Theatern) oder der Kennzeichen ausgestellter Künstler (bei Galerien) zum Ausdruck kommt, auch im Denken poten- tieller Besucher bzw. Zuschauer wirksam, wirkt aber auch bei den Schriftstellern, Malern und Kritikern in Gestalt der Opposition zwischen experimentellem Theater und bürger- lichem (Boulevard)- Theater, eine Opposition, die ja selbst als Wahrnehmungs- und Bewertungsschema fungiert. Ganz allgemein spielen die heimlichen Gebote und stillen Ordnungsrufe der Strukturen des angeeigneten Raums die 1

die immer mit distinguierten, oft dem Englischen entlehnten<br />

Dubletten bezeichnet werden.<br />

Ebenso ist ja die Kapitale zumindest im Falle Frankreichs<br />

– ganz ohne Wortwitz gemeint – der Ort des Kapitals,<br />

d.h. derjenige Ort des physischen Raums an dem sich die<br />

positiven Pole aller Felder und die meisten der Akteure in<br />

dominanter Position konzentrieren. Sie kann deshalb auch<br />

nur im Verhältnis zur Provinz (und dem „Provinziellen“),<br />

was ja nichts anderes als das (durch und durch relative)<br />

Entbehren der Kapitale und des Kapitals bedeutet, adäquat<br />

gedacht werden.<br />

Die im physischen Raum objektivierten großen sozialen<br />

Gegensätze (z.B. Hauptstadt/Provinz) tendieren dazu, sich im<br />

Denken und Reden in Gestalt konstitutiver Oppositionen von<br />

Wahrnehmungs- und Unterscheidungsprinzipien nieder-<br />

zuschlagen, also selbst zu Kategorien der Wahrnehmung<br />

und Bewertung bzw. zu kognitiven Strukturen zu gerinnen<br />

(pariserisch/provinziell, schick/ohne Schick etc.). Solcherart<br />

ist der Gegensatz rive gauche/rive droite, also zwischen<br />

linkem und rechtem Seineufer, der bei statistischen Analy-<br />

sen und kartographischen Darstellungen der Publika (bei<br />

Theatern) oder der Kennzeichen ausgestellter Künstler (bei<br />

Galerien) zum Ausdruck kommt, auch im Denken poten-<br />

tieller Besucher bzw. Zuschauer wirksam, wirkt aber auch<br />

bei den Schriftstellern, Malern und Kritikern in Gestalt der<br />

Opposition zwischen experimentellem Theater und bürger-<br />

lichem (Boulevard)- Theater, eine Opposition, die ja selbst als<br />

Wahrnehmungs- und Bewertungsschema fungiert.<br />

Ganz allgemein spielen die heimlichen Gebote und stillen<br />

Ordnungsrufe der Strukturen des angeeigneten Raums die<br />

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