Rosa Luxemburg Die Akkumulation des Kapitals Ein ... - Attac Berlin

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Rosa Luxemburg - Die Akkumulation des Kapitals, 30. Kapitel 1874 wurde noch der Versuch einer Landesanleihe von 1.000 Millionen Mark gegen eine Jahresrente von 9 Prozent gemacht, der aber nur 68 Millionen ergab. Die ägyptischen Papiere standen auf 54 Prozent ihres Nennwerts. Die öffentliche Schuld war im ganzen seit Said Paschas Tode binnen 13 Jahren von 3.293.000 Pfund Sterling auf 94.110.000 Millionen Pfund Sterling, d.h. auf zirka 2 Milliarden Mark gewachsen.(5) Der Zusammenbruch stand vor der Tür. Auf den ersten Blick stellen diese Kapitaloperationen den Gipfel des Wahnwitzes dar. Eine Anleihe jagte die andere, die Zinsen alter Anleihen wurden mit neuen Anleihen gedeckt, und riesige Industriebestellungen bei dem englischen und französischen Industriekapital wurden mit englischem und französischem geborgtem Kapital bezahlt. In Wirklichkeit machte das europäische Kapital, unter allgemeinem Kopfschütteln und Stöhnen Europas über die tolle Wirtschaft Ismails, beispiellose, märchenhafte Geschäfte in Ägypten, Geschäfte, die dem Kapital in seiner weltgeschichtlichen Laufbahn nur einmal als eine phantastische, modernisierte Auflage der biblischen fetten ägyptischen Kühe gelingen sollten. Vor allem bedeutete jede Anleihe eine wucherische Operation, bei der ein Fünftel bis ein Drittel und darüber hinaus der angeblich geliehenen Summe an den Fingern der europäischen Bankiers kleben blieb. Die wucherischen Zinsen mußten aber so oder anders schließlich bezahlt werden. Wo flossen die Mittel dazu her? Sie mußten in Ägypten selbst ihre Quelle haben, und diese Quelle war der ägyptische Fellah, die Bauernwirtschaft. Diese lieferte in letzter Linie alle wichtigsten Elemente der grandiosen Kapitalunternehmungen. Sie lieferte den Grund und Boden, da die in kürzester Zeit zu Riesendimensionen angewachsenen sogenannten Privatbesitzungen des Khediven, die die Grundlage der Bewässerungspläne, der Baumwoll- wie der Zuckerspekulation bildeten, durch Raub und Erpressung aus zahllosen Dörfern zusammengeschlagen wurden. Die Bauernwirtschaft lieferte auch die Arbeitskraft, und zwar umsonst, wobei die Erhaltung dieser Arbeitskraft während ihrer Ausbeutung ihre eigene Sorge war. Die Fronarbeit der Fellachen war die Grundlage der technischen Wunder, die europäische Ingenieure und europäische Maschinen in Bewässerungsanlagen, Verkehrsmitteln, in Landbau und Industrie Ägyptens schufen. Am Nilstauwerk bei Kaliub wie am Suezkanal, beim Eisenbahnbau wie bei der Errichtung der Dämme, auf den Baumwollplantagen wie in den Zuckerfabriken arbeiteten unübersehbare Scharen von Fronbauern, sie wurden nach Bedarf von einer Arbeit zur anderen geworfen und maßlos ausgebeutet. Mußte sich auch auf Schritt und ritt die technische Schranke der fronenden Arbeitskraft in ihrer Verwendbarkeit für moderne Kapitalzwecke zeigen, so war dies auf der anderen Seite reichlich wettgemacht durch das unbegrenzte Kommando über Masse, Dauer der Ausbeutung, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskraft, das hier dem Kapital in die Hand gegeben war. Die Bauernwirtschaft lieferte aber nicht nur Grund und Boden und Arbeitskraft, sondern auch Geld. Dazu diente das Steuersystem, das unter der Einwirkung der Kapitalswirtschaft dem Fellah Daumenschrauben anlegte. Die Grundsteuer auf bäuerliche Ländereien, die immer wieder erhöht wurde, betrug Ende der 60er Jahre 55 M pro Hektar, während der Großgrundbesitz 18 M pro Hektar, die königliche Familie aber von ihren enormen Privatländereien gar nichts zahlte. Dazu kamen immer neue spezielle Abgaben, so zur Erhaltung der Bewässerungsanlagen, die fast ausschließlich den vizeköniglichen Besitzungen zugute kamen, 2,50 M pro Hektar. Für jeden Dattelbaum mußte der Fellah file:///C|/DOKUME~1/peter1/LOKALE~1/Temp/Rar$DR10.6343/lu/lu05/lu05_365.htm (11 of 21) [19.07.2004 21:14:11]

Rosa Luxemburg - Die Akkumulation des Kapitals, 30. Kapitel 1,35 M, für jede Lehmhütte, die er bewohnte, 75 Pf zahlen Ferner kam die Kopfsteuer für jeden Mann über zehn Jahre im Betrage von 6,50 M hinzu. In Summa entrichteten die Fellachen unter Mehemed Ali 50 Millionen, unter Said 100 Millionen, unter Ismail 163 Millionen Mark. Je mehr die Verschuldung bei dem europäischen Kapital wuchs, um so mehr mußte aus der Bauernwirtschaft herausgeschlagen werden.(6) 1869 wurden sämtliche Steuern um 10 Prozent erhöht und für 1870 im voraus erhoben. 1870 wurde die Grundsteuer um 8 M pro Hektar erhöht. Die Dörfer in Oberägypten begannen sich zu entvölkern, Hütten wurden eingerissen, man ließ das Land unbebaut, um Steuern zu entgehen. 1876 wurde die Steuer auf Dattelbäume um 50 Pf erhöht. Ganze Dörfer zogen aus, um ihre Dattelbäume umzuhauen, und mußten mit Gewehrsalven davon abgehalten werden. 1879 sollen 10.000 Fellachen oberhalb Siuts vor Hunger umgekommen sein, da sie die Steuer für die Bewässerung ihrer Felder nicht mehr erschwingen konnten und ihr Vieh getötet hatten, um der Viehsteuer zu entgehen.(7) Jetzt war der Fellah bis auf den letzten Blutstropfen ausgesogen. Der ägyptische Staat hatte seine Funktion als Saugapparat in den Händen des europäischen Kapitals vollendet und ward überflüssig. Der Khedive Ismail wurde verabschiedet. Das Kapital konnte die Liquidation antreten. 1875 hatte England 172.000 Suezkanalaktien für 80 Millionen M gekauft, wofür ihm Ägypten jetzt noch 394.000 ägyptische Pfund Sterling an Zinsen zahlen muß. Englische Kommissionen zur "Ordnung" der Finanzen Ägyptens traten nun in Aktion. Merkwürdigerweise erbot sich das europäische Kapital, durch den verzweifelten Zustand des bankrotten Landes gar nicht abgeschreckt, zu seiner "Rettung" immer neue Riesenanleihen zu gewähren. Cave und Stokes schlugen zur Umwandlung aller Schulden eine Anleihe von 1.520 Millionen Mark zu 7 Prozent vor, Rivers Wilson hielt 2.060 Millionen Mark für erforderlich. Der Crédit Foncier kaufte Millionen schwebender Wechsel auf und versuchte mit einer Anleihe von 1.820 Millionen Mark die Gesamtschuld zu konsolidieren, was jedoch fehlschlug. Aber je verzweifelter und unrettbarer die Finanzlage war, um so näher und unentrinnbarer der Augenblick, wo das ganze Land mit all seinen Produktivkräften dem europäischen Kapital in die Krallen fallen mußte. Im Oktober 1878 landeten die Vertreter der europäischen Gläubiger in Alexandrien. Eine Doppelkontrolle der Finanzen durch das englische und französische Kapital wurde eingesetzt. Jetzt wurden im Namen der Doppelkontrolle neue Steuern erfunden, die Bauern geprügelt und gepreßt, so daß die 1876 zeitweilig eingestellten Zinsenzahlungen 1877 wieder aufgenommen werden konnten.(8) Nun wurden die Forderungsrechte des europäischen Kapitals zum Mittelpunkt des Wirtschaftslebens und zum einzigen Gesichtspunkt des Finanzsystems. 1878 kam eine neue Kommission und ein halbeuropäisches Ministerium zustande. 1879 kamen die ägyptischen Finanzen unter dauernde Kontrolle des europäischen Kapitals in der Person der Commission de la Dette Publique Egyptienne in Kairo. 1878 wurden die Tschifliks, die Ländereien der vizeköniglichen Familie im Umfange von 431.000 Acres, in Staatsdomänen verwandelt und den europäischen Kapitalisten für die Staatsschuld verpfändet, ebenso die Daira-Ländereien, das Privatgut des Khediven, das meist in Oberägypten gelegen war und 485.131 Acres umfaßte; es ist später an ein Konsortium verkauft worden. Ein großer Teil des sonstigen Grundbesitzes kam in die Hände von kapitalistischen Gesellschaften, namentlich an die Suezkompanie. Die geistlichen Ländereien der Moscheen und der Schulen hat England für die Kosten der Okkupation beschlagnahmt. file:///C|/DOKUME~1/peter1/LOKALE~1/Temp/Rar$DR10.6343/lu/lu05/lu05_365.htm (12 of 21) [19.07.2004 21:14:11]

<strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong> - <strong>Die</strong> <strong>Akkumulation</strong> <strong>des</strong> <strong>Kapitals</strong>, 30. Kapitel<br />

1874 wurde noch der Versuch einer Lan<strong>des</strong>anleihe von 1.000 Millionen Mark gegen eine Jahresrente von<br />

9 Prozent gemacht, der aber nur 68 Millionen ergab. <strong>Die</strong> ägyptischen Papiere standen auf 54 Prozent<br />

ihres Nennwerts. <strong>Die</strong> öffentliche Schuld war im ganzen seit Said Paschas Tode binnen 13 Jahren von<br />

3.293.000 Pfund Sterling auf 94.110.000 Millionen Pfund Sterling, d.h. auf zirka 2 Milliarden Mark<br />

gewachsen.(5) Der Zusammenbruch stand vor der Tür.<br />

Auf den ersten Blick stellen diese Kapitaloperationen den Gipfel <strong>des</strong> Wahnwitzes dar. <strong>Ein</strong>e Anleihe jagte<br />

die andere, die Zinsen alter Anleihen wurden mit neuen Anleihen gedeckt, und riesige<br />

Industriebestellungen bei dem englischen und französischen Industriekapital wurden mit englischem und<br />

französischem geborgtem Kapital bezahlt.<br />

In Wirklichkeit machte das europäische Kapital, unter allgemeinem Kopfschütteln und Stöhnen Europas<br />

über die tolle Wirtschaft Ismails, beispiellose, märchenhafte Geschäfte in Ägypten, Geschäfte, die dem<br />

Kapital in seiner weltgeschichtlichen Laufbahn nur einmal als eine phantastische, modernisierte Auflage<br />

der biblischen fetten ägyptischen Kühe gelingen sollten. Vor allem bedeutete jede Anleihe eine<br />

wucherische Operation, bei der ein Fünftel bis ein Drittel und darüber hinaus der angeblich geliehenen<br />

Summe an den Fingern der europäischen Bankiers kleben blieb. <strong>Die</strong> wucherischen Zinsen mußten<br />

aber so oder anders schließlich bezahlt werden. Wo flossen die Mittel dazu her? Sie mußten in Ägypten<br />

selbst ihre Quelle haben, und diese Quelle war der ägyptische Fellah, die Bauernwirtschaft. <strong>Die</strong>se lieferte<br />

in letzter Linie alle wichtigsten Elemente der grandiosen Kapitalunternehmungen. Sie lieferte den Grund<br />

und Boden, da die in kürzester Zeit zu Riesendimensionen angewachsenen sogenannten<br />

Privatbesitzungen <strong>des</strong> Khediven, die die Grundlage der Bewässerungspläne, der Baumwoll- wie der<br />

Zuckerspekulation bildeten, durch Raub und Erpressung aus zahllosen Dörfern zusammengeschlagen<br />

wurden. <strong>Die</strong> Bauernwirtschaft lieferte auch die Arbeitskraft, und zwar umsonst, wobei die Erhaltung<br />

dieser Arbeitskraft während ihrer Ausbeutung ihre eigene Sorge war. <strong>Die</strong> Fronarbeit der Fellachen war<br />

die Grundlage der technischen Wunder, die europäische Ingenieure und europäische Maschinen in<br />

Bewässerungsanlagen, Verkehrsmitteln, in Landbau und Industrie Ägyptens schufen. Am Nilstauwerk<br />

bei Kaliub wie am Suezkanal, beim Eisenbahnbau wie bei der Errichtung der Dämme, auf den<br />

Baumwollplantagen wie in den Zuckerfabriken arbeiteten unübersehbare Scharen von Fronbauern, sie<br />

wurden nach Bedarf von einer Arbeit zur anderen geworfen und maßlos ausgebeutet. Mußte sich auch<br />

auf Schritt und ritt die technische Schranke der fronenden Arbeitskraft in ihrer Verwendbarkeit für<br />

moderne Kapitalzwecke zeigen, so war dies auf der anderen Seite reichlich wettgemacht durch das<br />

unbegrenzte Kommando über Masse, Dauer der Ausbeutung, Lebens- und Arbeitsbedingungen der<br />

Arbeitskraft, das hier dem Kapital in die Hand gegeben war.<br />

<strong>Die</strong> Bauernwirtschaft lieferte aber nicht nur Grund und Boden und Arbeitskraft, sondern auch Geld.<br />

Dazu diente das Steuersystem, das unter der <strong>Ein</strong>wirkung der <strong>Kapitals</strong>wirtschaft dem Fellah<br />

Daumenschrauben anlegte. <strong>Die</strong> Grundsteuer auf bäuerliche Ländereien, die immer wieder erhöht wurde,<br />

betrug Ende der 60er Jahre 55 M pro Hektar, während der Großgrundbesitz 18 M pro Hektar, die<br />

königliche Familie aber von ihren enormen Privatländereien gar nichts zahlte. Dazu kamen immer neue<br />

spezielle Abgaben, so zur Erhaltung der Bewässerungsanlagen, die fast ausschließlich den<br />

vizeköniglichen Besitzungen zugute kamen, 2,50 M pro Hektar. Für jeden Dattelbaum mußte der Fellah<br />

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