„Diagnose: Rett-Syndrom“ – und dann? - bei föpäd.net

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30.12.2012 Aufrufe

Es wird wahrscheinlich immer notwendig sein, dass den motorisch stark beeinträchtigten Mädchen durch Eltern, Pädagogen oder Mitschülern geholfen wird, um von der bloßen Beobachterrolle heraus in handlungskommunikative Interaktionen zu treten. Dobslaff ist der Ansicht, dass die Mädchen zunächst personengerichtete Zuwendung lernen müssen. Das Erlernen nonverbaler Mittel, wie das Entgegenbäumen, das Handausstrecken, das gezielte Anlächeln oder einfache stimmliche Äußerungen kombiniert einzusetzen, ist Voraussetzung, um soziale Kompetenz zu erwerben. „Die soziale Einordnung der Kinder mit Rett-Syndrom in die Klasse darf sich nicht darauf beschränken, daß die Kinder bei den Beschäftigungen, beim Spiel und beim Lernen mehr oder weniger von den anderen Kindern ‚geduldet’ werden. Soziale Beziehungen entwickeln sich vor allem über gemeinsames Tun [...] Deshalb müssen die Rett-Kinder es auch lernen elementare kooperative Situationen in der vertrauten Gemeinschaft zunächst zu ertragen und später auch mitzugestalten“ (Dobslaff 1999, 261). Durch alternative Kommunikation können nichtsprechende Kinder sich eher am Geschehen in der Klasse beteiligen. Wir teilen die Auffassung Dobslaffs, wobei wir betonen möchten, dass soziale Interaktion nicht mit freundschaftlichen Beziehungen gleichgesetzt werden darf. Es kommt uns vielmehr darauf an, dass die Mädchen sich einen Freundeskreis aufbauen, der über die Grenzen des Klassenzimmers hinaus existiert. Über Georgia, ein 16-jähriges Mädchen, das in einer Gesamtschule (inclusive middle school) Freundschaften aufbauen konnte, berichten Evans und Meyer (2001). In ihrer Fallstudie zeigt sich, dass, wenn man den Mädchen helfen will, Beziehungen zu schließen, die individuellen Fähigkeiten immer berücksichtigt werden müssen. Ebenso muss der Erwachsene seine Vermittlerrolle stetig reflektieren und es müssen die Fähigkeiten, Erwartungshaltungen und Beurteilungskriterien der ‘peer-group’ berücksichtigt werden. Damit sind auch die unterschiedlichen Arten des Umgangs, zwischen nichtbehinderten und behinderten Kindern gemeint sowie die Rollenverteilungen. www.foepaed.net 124

Außerdem muss das soziokulturelle Umfeld (Familie, Klassenstruktur, etc.) daraufhin untersucht werden, inwieweit es Nähe, Kommunikation und Unabhängigkeit der Mädchen unterstützt. Lindberg, aber auch Evans und Meyer weisen daraufhin, dass es wichtig ist, das soziale Umfeld der Mädchen mit Rett- Syndrom für die kommunikativen Signale, die sie aussenden, zu sensibilisieren (vgl. Evans/Meyer 2001, 168; Lindberg 2000, 131; Kap. 4.2). Am Beispiel Georgias wird deutlich, dass trotz begrenzter motorischer und sprachlicher Fähigkeiten es für Mädchen mit Rett-Syndrom möglich ist, durch Gesten, Mimik und Unterstützte Kommunikation Freunde zu finden. Georgia ist die älteste von drei Töchtern einer katholischen Mittelstandsfamilie in Neuseeland. Ihre Eltern haben von Anfang an versucht, Georgia trotz der Diagnose ‚Rett-Syndrom’ in alle Lebensbereiche zu integrieren. Sie hat eine integrative Vorschule und eine integrative Grundschule besucht, bis sie in die lokale Gesamtschule wechselte. Dort wurde für sie eine Vollzeitassistentin eingestellt, die sie sowohl beim Laufen unterstützte als auch die Unterrichtsmaterialien für sie modifizierte. Aufgrund ihrer körperlichen Behinderung gab es an der Schule für Georgia gelegentlich Sonderregeln, wie z.B. ein paar Minuten im Unterricht zu spät zu erscheinen. Evans und Meyer warnen eindringlich vor solchen Maßnahmen, da diese in der Regel dazu führen, dass nichtbehinderte Kinder das behinderte Kind als ‚irgendwie anders’ empfinden und aussondern (vgl. Evans/Meyer 2001, 169). Diese These belegt eine weitere Untersuchung (vgl. Evans et al. 1994). Der Beobachtungszeitraum der Untersuchung umfasste zwei Schuljahre. Wir beschränken uns hier auf die verschiedenen Freundschaften und Haltungen der nichtbehinderten Kinder gegenüber Georgia, die sich in dieser Zeit entwickelten. „Nur ein anderes Kind“ (just another kid) - ist eine Einstellung gegenüber dem Menschen mit Behinderung, die nicht die Behinderung in den Mittelpunkt stellt, sondern, dass es sich in erster Linie um ein anderen Menschen handelt. Georgias Eltern sorgten beispielsweise dafür, dass ihre Tochter den örtlichen Konfirmandenunterricht ohne ihre Assistenz besuchen konnte. Sie gaben den Mitarbeitern jedoch jegliche Unterstützung, die benötigt wurde, damit Georgia sich beteiligen konnte. In der Schule ließen die Eltern eine Frage-Antwort-Box aufstellen, www.foepaed.net 125

Es wird wahrscheinlich immer notwendig sein, dass den motorisch stark<br />

beeinträchtigten Mädchen durch Eltern, Pädagogen oder Mitschülern geholfen wird,<br />

um von der bloßen Beobachterrolle heraus in handlungskommunikative<br />

Interaktionen zu treten.<br />

Dobslaff ist der Ansicht, dass die Mädchen zunächst personengerichtete Zuwendung<br />

lernen müssen. Das Erlernen nonverbaler Mittel, wie das Entgegenbäumen, das<br />

Handausstrecken, das gezielte Anlächeln oder einfache stimmliche Äußerungen<br />

kombiniert einzusetzen, ist Voraussetzung, um soziale Kompetenz zu erwerben.<br />

„Die soziale Einordnung der Kinder mit <strong>Rett</strong>-Syndrom in die Klasse darf sich<br />

nicht darauf beschränken, daß die Kinder <strong>bei</strong> den Beschäftigungen, <strong>bei</strong>m Spiel <strong>und</strong><br />

<strong>bei</strong>m Lernen mehr oder weniger von den anderen Kindern ‚geduldet’ werden.<br />

Soziale Beziehungen entwickeln sich vor allem über gemeinsames Tun [...]<br />

Deshalb müssen die <strong>Rett</strong>-Kinder es auch lernen elementare kooperative<br />

Situationen in der vertrauten Gemeinschaft zunächst zu ertragen <strong>und</strong> später auch<br />

mitzugestalten“ (Dobslaff 1999, 261).<br />

Durch alternative Kommunikation können nichtsprechende Kinder sich eher am<br />

Geschehen in der Klasse beteiligen. Wir teilen die Auffassung Dobslaffs, wo<strong>bei</strong> wir<br />

betonen möchten, dass soziale Interaktion nicht mit fre<strong>und</strong>schaftlichen Beziehungen<br />

gleichgesetzt werden darf. Es kommt uns vielmehr darauf an, dass die Mädchen sich<br />

einen Fre<strong>und</strong>eskreis aufbauen, der über die Grenzen des Klassenzimmers hinaus<br />

existiert.<br />

Über Georgia, ein 16-jähriges Mädchen, das in einer Gesamtschule (inclusive middle<br />

school) Fre<strong>und</strong>schaften aufbauen konnte, berichten Evans <strong>und</strong> Meyer (2001). In ihrer<br />

Fallstudie zeigt sich, dass, wenn man den Mädchen helfen will, Beziehungen zu<br />

schließen, die individuellen Fähigkeiten immer berücksichtigt werden müssen.<br />

Ebenso muss der Erwachsene seine Vermittlerrolle stetig reflektieren <strong>und</strong> es müssen<br />

die Fähigkeiten, Erwartungshaltungen <strong>und</strong> Beurteilungskriterien der ‘peer-group’<br />

berücksichtigt werden. Damit sind auch die unterschiedlichen Arten des Umgangs,<br />

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Rollenverteilungen.<br />

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