Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie

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30.12.2012 Aufrufe

1. Der biblische Mythos vom Turmbau zu Babel ist durch zwei gelehrte Feststellungen, die nicht zur Urform des Mythos gehören, in eine ätiologische Sage verwandelt. Die erste Feststellung steht im Vers l der biblischen Zählung: In der ganzen Welt gab es nur eine Sprache mit eindeutigen Begriffen. Die zweite Feststellung steht in Vers 9: Deshalb heißt sie Babel. Das hebräische Äquivalent klingt an „verwirren" an. Jahwe hat dort die Sprachen aller Länder vermischt und sie in alle Länder zerstreut. Die Herkunft des Mythos liegt im Dunkel. Sie ist sicher in der nomadischen Tradition der Laienquelle zu suchen. Der Mythos ist ursprünglich positiv, während in vielen frommen Kommentaren der Turmbau als Überhebung des Menschen dargestellt wird, dem die Zerstreuung der Menschen als Strafe Gottes folgt. 2. Davon ist aber im eigentlichen Mythos nicht die Rede. Denn Jahwe stellt nur fest, daß die Menschen alles mit Hilfe der Technik können. Er beschließt, mit seinen Heerscharen die Sprache der Menschen zu verwirren und die Menschen gesondert nach ihren Sprachen über die Erde zu verteilen. Die Menschen bauen deshalb keine Welthauptstadt mehr. Damit ist für den Nomaden, der durch die Landstriche zieht, die Weltgeschichte erklärt und gedeutet. Die Menschen leben nicht in einer Stadt und beherrschen eine Sprache, sondern jeder lebt in seinem Teile der Erde mit seiner Sprache. Es ist sicher, daß der biblische Erzähler die Zikkurat von Babylon, d. i. der Tempelstufenturm, und die Stadt selber im Auge gehabt hat, als er diesen Mythos erzählte. Babylon war in der Mitte des 2. Jahrtausends v. u. Z. die große Welthauptstadt, in der alle Sprachen der Welt durcheinander schwirrten. Aber dieses Bild soll, nach Aussage des biblischen Erzählers, keine Anziehungskraft haben. Denn ausdrücklich wird gesagt, daß Jahwe diese Stadt entvölkert. Der Erzähler denkt sicher an die Zerstörung Babylons unter Tiglath-pilesar I. (1112 bis 1074). 3. Der Mythos erklärt die Verschiedenheit der Völker auf der Erde. Diese sollen nach dem Willen Jahwes gesondert voneinander wohnen. Deshalb ist diese Geschichte auch Ausdruck der Opposition gegen die entstehende Zentralgewalt in Jerusalem und das königliche und priesterliche Großreichdenken seit David und Salomo. Der Mythos, der vermutlich ohne Sintflutdrama existiert hat, geht davon aus, daß die Nomaden aus dem Osten, aus dem Inneren der arabischen Halbinsel kommen. Der Osten ist Metapher für die Situation der gut funktionierenden nomadischen Großfamilie, die im Westen auf die theokratischen Despotien trifft, die mit dem System der Ausbeutung und Unterwerfung ihre Großreiche zusammenhalten. b. Von den drei Söhnen Noahs, Japhet, Harn und Sem, die auch in dem Kasten waren, und ihren Frauen stammt die ganze Menschheit ab. Ihnen wurden nach der Flut Kinder geboren. Kus, der Sohn des Harn, zeugte den Nimrod, der der erste Großkönig auf der Erde war. Er war ein großer Jäger, weshalb man sprichwörtlich sagte: ein großer Jäger vor dem Herrn wie Nimrod. Und die Hauptstadt seines Reiches Babylon war die große Stadt Ninive, die 82

er errichten ließ. Außerdem herrschte er über Uruk, Akkad und Kalchu. Mizraim, der zweite Sohn des Ham, zählte zu seinen Nachkommen die Ludier, Anamer, Kaslucher und Kaphtorer, woher auch die Philister kamen. Die Nachkommen Kanaans, eines weiteren Sohnes des Ham, wohnten zwischen Sidon, Gaza, Sodom und Lasa. Sems Nachkommen, er war der Stammvater aller Hebräer, wohnten am Ostgebirge. l. Mose 10,8-19.21.24-30. 1. Die jahwistische Völkertafel geht davon aus, daß Kanaan und Sem als unmittelbare Nachbarn längst in einem geregelten Verhältnis zusammen leben, weshalb darüber nicht weiter gehandelt wird. Ausführlich wird nur von Nimrod, dem sagenhaften Begründer Uruks und Ninives, gehandelt. Denn Babylon ist für den Erzähler eine ernst zu nehmende Großmacht. Die babylonische Tradition scheint dem Erzähler geläufig. Nicht so sicher ist die oft angeführte Vermutung, Nimrod sei Amenophis III. (1411-1375), dessen ägyptischer Name Neb-me-re zwar Ähnlichkeit aufweist, aber kaum das detaillierte Lokalkolorit an sich gebunden haben kann. 2. Der Mythos ist eine eigenständige Schöpfung der jahwistischen Erzähler. Er unterrichtet nämlich den Zeitgenossen darüber, daß Jahwe die Nachkommen Sems zwischen Ham und Japhet, zwischen Nilland und Mesopotamien, gesetzt hat. Der Mythos soll den Anspruch der Israeliten auf das Territorium erhärten, das von beiden Großreichen stets begehrt war. c. Die Söhne Noahs waren Sem, Ham und Japhet. Sie wohnten jeder gemäß seiner Sprache und seinem Geschlecht getrennt in ihren Ländern. Von ihnen haben sich die Völker nach der Flut verzweigt. Die Söhne Japhets sind Gomer, Magog, Madaj, Jawan, Tubal, Mesek und Tiras. Zu ihnen gehören auch die Inselbewohner. Zu den Söhnen Harns gehören Kus (Äthiopien), Mizraim (Ägypten), Pat und Kanaan. Zu den Söhnen Sems gehören Elam (Persien), Assur, Arpachsad, Lud und Aram. I. Mose 10,1a.2-7.20.22-23.31-32. 1. Der Bericht, durchaus im Mythischen verschwimmend, ein Priestertext aus dem 5. Jahrhundert v .u. Z., läßt erkennen, daß der Redaktor eine Korrektur vornimmt. Sem, obwohl nicht der älteste, wird zuerst genannt. In der Aufzählung der Völker benutzt der Erzähler dann die tradierte Reihenfolge Japhet, Harn, Sem. Die Besonderheit dieser biblischen Völkertafeln, das gilt für die ältere jahwistische wie für die priesterliche Überlieferung, besteht darin, daß alle Völker nach der Flut unter dem Segensspruch Gottes stehen, der ihnen mit dem noahidischen Segen zuteil wurde. Die priesterliche Tradition 83

1. Der biblische Mythos vom Turmbau zu Babel ist durch zwei gelehrte<br />

Feststellungen, <strong>die</strong> nicht zur Urform des Mythos gehören, in eine ätiologische<br />

Sage verwandelt. Die erste Feststellung steht im Vers l der biblischen<br />

Zählung: In der ganzen Welt gab es nur eine Sprache mit eindeutigen<br />

Begriffen. Die zweite Feststellung steht in Vers 9: Deshalb heißt sie Babel.<br />

Das hebräische Äquivalent klingt an „verwirren" an. Jahwe hat dort <strong>die</strong><br />

Sprachen aller Länder vermischt <strong>und</strong> sie in alle Länder zerstreut. Die Herkunft<br />

des Mythos liegt im Dunkel. Sie ist sicher in der nomadischen Tradition der<br />

Laienquelle zu suchen. Der Mythos ist ursprünglich positiv, während in vielen<br />

frommen Kommentaren der Turmbau als Überhebung des Menschen<br />

dargestellt wird, dem <strong>die</strong> Zerstreuung der Menschen als Strafe <strong>Gott</strong>es folgt.<br />

2. Davon ist aber im eigentlichen Mythos nicht <strong>die</strong> Rede. Denn Jahwe stellt<br />

nur fest, daß <strong>die</strong> Menschen alles mit Hilfe der Technik können. Er beschließt,<br />

mit seinen Heerscharen <strong>die</strong> Sprache der Menschen zu verwirren <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Menschen gesondert nach ihren Sprachen über <strong>die</strong> Erde zu verteilen. Die<br />

Menschen bauen deshalb keine Welthauptstadt mehr. Damit ist für den<br />

Nomaden, der durch <strong>die</strong> Landstriche zieht, <strong>die</strong> Weltgeschichte erklärt <strong>und</strong><br />

gedeutet. Die Menschen leben nicht in einer Stadt <strong>und</strong> beherrschen eine<br />

Sprache, sondern jeder lebt in seinem Teile der Erde mit seiner Sprache. Es<br />

ist sicher, daß der biblische Erzähler <strong>die</strong> Zikkurat von Babylon, d. i. der<br />

Tempelstufenturm, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Stadt selber im Auge gehabt hat, als er <strong>die</strong>sen<br />

Mythos erzählte. Babylon war in der Mitte des 2. Jahrtausends v. u. Z. <strong>die</strong><br />

große Welthauptstadt, in der alle Sprachen der Welt durcheinander schwirrten.<br />

Aber <strong>die</strong>ses Bild soll, nach Aussage des biblischen Erzählers, keine<br />

Anziehungskraft haben. Denn ausdrücklich wird gesagt, daß Jahwe <strong>die</strong>se<br />

Stadt entvölkert. Der Erzähler denkt sicher an <strong>die</strong> Zerstörung Babylons unter<br />

Tiglath-pilesar I. (1112 bis 1074).<br />

3. Der Mythos erklärt <strong>die</strong> Verschiedenheit der Völker auf der Erde. Diese<br />

sollen nach dem Willen Jahwes gesondert voneinander wohnen. Deshalb ist<br />

<strong>die</strong>se Geschichte auch Ausdruck der Opposition gegen <strong>die</strong> entstehende<br />

Zentralgewalt in Jerusalem <strong>und</strong> das königliche <strong>und</strong> priesterliche<br />

Großreichdenken seit David <strong>und</strong> Salomo. Der Mythos, der vermutlich ohne<br />

Sintflutdrama existiert hat, geht davon aus, daß <strong>die</strong> Nomaden aus dem Osten,<br />

aus dem Inneren der arabischen Halbinsel kommen. Der Osten ist Metapher<br />

für <strong>die</strong> Situation der gut funktionierenden nomadischen Großfamilie, <strong>die</strong> im<br />

Westen auf <strong>die</strong> theokratischen Despotien trifft, <strong>die</strong> mit dem System der<br />

Ausbeutung <strong>und</strong> Unterwerfung ihre Großreiche zusammenhalten.<br />

b. Von den drei Söhnen Noahs, Japhet, Harn <strong>und</strong> Sem, <strong>die</strong> auch in<br />

dem Kasten waren, <strong>und</strong> ihren Frauen stammt <strong>die</strong> ganze<br />

Menschheit ab. Ihnen wurden nach der Flut Kinder geboren. Kus,<br />

der Sohn des Harn, zeugte den Nimrod, der der erste Großkönig auf<br />

der Erde war. Er war ein großer Jäger, weshalb man sprichwörtlich<br />

sagte: ein großer Jäger vor dem Herrn wie Nimrod. Und <strong>die</strong><br />

Hauptstadt seines Reiches Babylon war <strong>die</strong> große Stadt Ninive, <strong>die</strong><br />

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