Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie
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macht - standen dabei für Herder <strong>und</strong> Goethe weit im Hintergr<strong>und</strong>, wie <strong>die</strong>se<br />
Prinzipien seitdem ja zusehends immer mehr in den Hintergr<strong>und</strong> treten. Die<br />
Kunst hob <strong>die</strong> Religion von gestern auf. Der Prozeß der Aufhebung der<br />
Religion durch Ästhetik <strong>und</strong> Kunst ist allerdings fast so alt wie <strong>die</strong> Religion<br />
selber. Hesiod war nicht der erste, Hegel nicht der letzte, der <strong>die</strong>s versuchte.<br />
Herder unternahm den Versuch, <strong>die</strong> Bibel als Bildungsgut darzustellen. Er<br />
sah seinen liebsten Leser „unter den Liebhabern der ältesten, einfältigsten,<br />
vielleicht herzlichsten Poesie der Erde, Liebhaber endlich der ältesten<br />
Geschichte des menschlichen Geistes <strong>und</strong> Herzens". Diese von Herder<br />
geöffnete Zugangspforte wird fortan zu allen Zeiten offenstehen. Sie ist durch<br />
keine kirchlichen Dogmen zu verschließen, <strong>die</strong>, was unbestritten bleibt,<br />
ihrerseits Menschen an <strong>die</strong>ses Buch so fesseln, daß sie in ihm <strong>die</strong> Mitte ihres<br />
Lebens <strong>und</strong> Denkens sehen.<br />
Die biblischen Mythen erhalten aber wie <strong>die</strong> Epen Homers ihr ästhetisches<br />
Gewicht nicht durch <strong>die</strong> Religiosität der Dichter, sondern durch <strong>die</strong> Harmonie<br />
der objektiven Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung mit ihrer<br />
subjektiven Gestaltung. Darin finden sie ihre Entsprechungen in den großen<br />
Werken der bildenden <strong>und</strong> darstellenden Kunst, wo immer <strong>die</strong>se sie als Motiv<br />
wählte. Dabei wird schnell klar, ob ein Kunstwerk zur religiösen Kunst gehört<br />
oder nicht. Denn jedes wirklich große, vielschichtige Kunstwerk überschreitet<br />
<strong>die</strong> Schwelle der historischen Begrenztheit durch <strong>die</strong> Religion, sobald es neu<br />
rezipiert wird. Die biblischen Mythen gehören zu ihnen. Ihre Bilder werden im<br />
ästhetischen Bewußtsein auch dann ihren Platz behalten, wenn jene Versuche<br />
aufgehört haben, <strong>die</strong> biblischen Mythen so ins Heute zu integrieren, wie es<br />
das fromme Selbstbewußtsein noch tut.<br />
Dabei ist sicher, daß es im Hegelschen Sinne für <strong>die</strong> Kunst auch<br />
aufhebenswerte Erkenntnisse der biblischen Religion gibt. Das große Bild<br />
biblischer <strong>Mythologie</strong> für <strong>die</strong> erwartete Endheilszeit ist <strong>die</strong> prophetische Vision<br />
der zu Pflugscharen umgeschmiedeten Schwerter (siehe 14,1,e). Ein<br />
sowjetischer Bildhauer schuf ein solches Denkmal für den Sitz der Vereinten<br />
Nationen. Das Bild der Taube, <strong>die</strong> den Frieden <strong>und</strong> <strong>die</strong> Versöhnung bringt, ist<br />
längst nicht mehr auf Altäre beschränkt, <strong>die</strong> gepriesene Glückseligkeit des<br />
friedlichen Beieinanderwohnens der Brüder hat nicht nur durch Schillers „Ode<br />
an <strong>die</strong> Freude", wie Beethoven sie in den Schlußchor seiner Neunten Sinfonie<br />
aufnahm, eine gültige Gestalt erhalten.<br />
Der Anfang der Welt ist nicht so gewesen, wie ihn der biblische Mythos<br />
denkt. Das Ende der Welt wird nicht so kommen, wie es der biblische Mythos<br />
erträumt. Noch ist „<strong>die</strong> Lösung des Rätsels der menschlichen Geschichte"<br />
(Marx) nicht vollendet. Teillösungen <strong>und</strong> Teilerkenntnisse aber antizipiert auch<br />
biblische <strong>Mythologie</strong>, wie <strong>die</strong> griechische, insofern sie versucht, das große<br />
Thema von der Menschlichkeit ihres <strong>Gott</strong>es, der eine menschliche Welt will,<br />
darzustellen als Sinn des geschichtlichen Verhaltens des Menschen.<br />
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