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Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie

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kleinen religiösen Splittergruppen weiter. Die Sieger aber griffen nun sehr<br />

schnell wieder auf <strong>die</strong> alte Weise zurück. Die kirchliche Trennung von Rom<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Reformation des Kultus brachten zwar der frühbürgerlichen<br />

Entwicklung nach 1517 große Vorteile, bedeuteten aber nicht das Ende der<br />

christlichen Mythopoetik. Der Einfluß der Kirche war Zurückgedrängt. In den<br />

von Luther <strong>und</strong> Calvin reformierten Gebieten war nunmehr nicht der treue<br />

Gehorsam gegenüber der Kirche <strong>und</strong> ihren Gesetzen <strong>und</strong> Forderungen <strong>die</strong><br />

unabdingbare Voraussetzung zum Heile, sondern der Glaube an <strong>die</strong><br />

bedingungslose Gnade Jesu Christi, <strong>die</strong> man nicht ver<strong>die</strong>nen konnte.<br />

Oberherrn <strong>und</strong> Hirten der reformierten Kirchen waren nun auch nicht mehr<br />

Bischöfe, Kardinale <strong>und</strong> Päpste, sondern <strong>die</strong> Fürsten <strong>und</strong> Herren der<br />

einzelnen Gebiete. Die Kirche wurde aus einer Herrin, einer ecclesia<br />

triumphans, wie sie noch das Straßburger Münster zierte, nun wieder zu einer<br />

Magd, einer Dienerin der Obrigkeit. Das bürgerliche <strong>und</strong> auch feudale<br />

gesellschaftliche Gr<strong>und</strong>bild von Vater <strong>und</strong> Sohn, <strong>die</strong> als <strong>die</strong> Besitzer von<br />

Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden oder von Zunftrechten <strong>und</strong> Handwerksbetrieben <strong>die</strong><br />

sichtbare Garantie für den Fortbestand der Gesellschaft boten, bestimmte<br />

auch weithin das Frömmigkeitsbild. <strong>Gott</strong>vater <strong>und</strong> <strong>Gott</strong>sohn sollten nach dem<br />

Willen der Reformatoren <strong>die</strong> Mitte der Frömmigkeit sein.<br />

Diese Reformation erwies sich als zweischneidiges Schwert. Sie entsprach<br />

zwar den Gesetzen der sozialökonomischen Entwicklung, machte aber<br />

sichtbar, daß <strong>die</strong> bis dahin für unverletzlich gehaltene Bindung an <strong>die</strong> Kirche<br />

zerrissen werden konnte. Das lebendige Bewußtsein von biblischer <strong>Mythologie</strong><br />

wurde in den protestantischen Kirchen durch <strong>die</strong> Katechismusweisheit<br />

verdrängt. Die Zehn Gebote ersetzten den ganzen Kanon des römischen<br />

Kirchenrechtes mit all seinen Fastenordnungen <strong>und</strong> Lebensregeln. Übrig blieb<br />

aus der Fülle der biblischen <strong>Mythologie</strong> hauptsächlich <strong>die</strong> Kenntnis von<br />

Lehrsätzen <strong>und</strong> Bibelsprüchen. Seit dem Zeitalter der Aufklärung <strong>und</strong> des<br />

Rationalismus, das in der Theologie von einem prof<strong>und</strong>en Pietismus begleitet<br />

<strong>und</strong> abgelöst wurde, vermochte man den biblischen Mythen nur wenig<br />

Interesse entgegenzubringen.<br />

Der erste im deutschsprachigen Raum, der sich bemühte, den Zugang zur<br />

Schönheit der Bibel als einem Literaturwerk zu finden, war Herder. 1782/83<br />

erschien seine Schrift „Vom Geist der ebräischen Poesie". Herder zählte <strong>die</strong><br />

Bibel wie <strong>die</strong> heiligen Bücher anderer Völker zu den Schriften, „in denen<br />

menschliche Einbildungskraft <strong>und</strong> Poesie göttliche Aussichten für <strong>die</strong>se Welt<br />

darstellen". Er will dabei das Fabel- <strong>und</strong> Märchenbuch der Ebräer nicht<br />

rechtfertigen, wie man ihm im Simsongespräch als selbstgeschaffenen Einwurf<br />

entgegenhält, sondern er will es erklären. Er war von der hohen Poesie der<br />

Bibel bezaubert <strong>und</strong> glaubte sagen zu können, „wenn Kindern alle<br />

Geschichten erzählt werden könnten, wie das Buch der Richter <strong>und</strong> Samuels<br />

<strong>die</strong> ihrigen beschreiben, sie würden sie alle als Poesie lernen".<br />

Goethe bürgerte durch den „Prolog im Himmel" <strong>Gott</strong>vater als Person in <strong>die</strong><br />

Dramatik ein, nachdem Lessing <strong>die</strong>sen im „Nathan" in eine Idee verflüchtigt<br />

hatte. Die sozialen Prinzipien des Christentums, von denen später Marx sagte,<br />

sie seien duckmäuserig im Vergleich zum revolutionären Proletariat, wie auch<br />

seine weltanschaulichen Aussagen - das, was das Christentum zur Religion<br />

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