Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie

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30.12.2012 Aufrufe

solche, die nur jedes allein hat. Dabei sind in den drei ersten Evangelien, den Synoptikern, in den gleichen Stoffen auch die Texte weithin so ähnlich, daß man nicht umhinkann, für diese eine allen gemeinsame Quelle anzunehmen. Schwieriger ist es schon im Alten Testament. In den Büchern Mose sind die vorstehend genannten Quellschriften sicher nachweisbar. Die Kriterien für die einzelnen Quellen sind aus der Beobachtung gewonnen, daß der Gottesname z. B. im I. Buch Mose deutlich wechselt. Ferner sind einzelne Begebenheiten an unterschiedliche Orte gebunden. Drittens aber läßt sich beobachten, daß in einzelnen Versen des biblischen Textes zwei verschiedene syntaktische Einheiten unvermittelt nebeneinander stehen, wobei die Tempusverhältnisse in den Verbformen und die Verbalpräfixe, die die Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat bestimmen, deutlich machen, daß hier zwei verschiedene Quellen aneinandergefügt worden sind. Deshalb ist in den Textangaben oft eine Trennung in Versabschnitten angegeben. Wenn also in einem Text hinter der Versnummer noch ein kleiner Buchstabe erscheint, markiert dieser die Versteile. Bei der Redaktionsarbeit wurde additiv verfahren; sowohl Neuinterpretationen schon vorhandener Stoffe als auch Neuschöpfungen wurden Überliefertem, wenn auch widerspruchsvoll, hinzugefügt. Altes wird durch das Neue erklärt, verändert und auch verworfen. Den großen alttestamentlichen Predigten von der Einzigkeit und Einmaligkeit eines Gottes können dann aus der christlichen Tradition im 4. Jahrhundert u. Z. die verschiedenen Evangelien vom Wirken eines Gottessohnes, Briefe und andere theologische Schriften hinzugefügt werden, ohne daß die christliche Lehre Gefahr lief, sich in Widersprüchen aufzulösen. Zusammengehalten werden diese disparaten Teile nur durch die immer wiederholte Behauptung, daß diese vielen verschiedenen Götter letztlich ein und derselbe Gott sind, der eben, darin gipfelt christliche Theologie im 4. Jahrhundert u. Z., zwar zwei verschiedene Naturen, eine menschliche und eine göttliche, haben und in drei Personen erscheinen kann, im Gottvater, Gottsohn und Gottgeist, aber dennoch, um das Ganze zu retten, nur eine Wesenheit ist. 26

Diese fromme Konstruktion, ihrerseits schon Bestandteil nachbiblischer christlicher Mythologie und deshalb hier nicht weiter zu erläutern, widerspiegelt noch einmal das große theologische Thema der Bibel: die vielen Götteranschauungen zu einem Gottesbild zu machen. Dieses Thema taucht in allen literarischen Gattungen auf. Sie selbst haben alle eine vorliterarische Form gehabt, deren absolute Anfangsdaten ebenso wie ihre Inhalte nicht mehr greifbar sind. Die Grenzen sind durch die vielen Bevölkerungsbewegungen verwischt. Die biblischen Formen sind nicht nur von der gemeinsemitischen Heimat, sondern auch von der babylonisch-ägyptischkleinasiatischen Kultur beeinflußt, mit der die israelitischen Stämme ständig konfrontiert werden. Die ursprünglich sicher kurzen literarischen Einheiten in allen Gattungen haben dabei vielfache Erweiterungen und Veränderungen erfahren. Bei einer groben Unterteilung in Prosa und Poesie gehören zur Prosa zunächst die längeren oder kürzeren Reden der großen Heroen, etwa Josuas Abschiedsrede im Buch Josua, Kapitel 24, die Abschiedsrede Samuels in I. Samuel, Kapitel 12, die Bergrede Jesu, Matthäus-Evangelium, Kapitel 5-7, die Apokalypse aus Matthäus, Kapitel 25, die Rede des Petrus aus der Apostelgeschichte, Kapitel 11. Ihnen gleichgestellt werden müssen auch große Teile der alttestamentlichen Prophetenbücher, die ziemlich sicher, obwohl sie im Kontext wie Reden erscheinen, schon gleich als Brief, also als geschriebene Abhandlung konzipiert gewesen sind. Die theologischen Reden, die man mit dem Begriff Predigt bezeichnet hat, sind erst spät in die Literatur eingedrungen. Seit der Mitte des 7. Jahrhunderts dringen sie in die Propheten- und Gesetzesliteratur ein und beherrschen sie fortan. Das Thema der Prediger wird dabei zusehends metaphysischer. Mit der schwindenden Macht des heiligen Gottes und seines Stellvertreters, des Königs, schwindet auch die Macht des Tempels. Den äußerlichen Verfall spiegelt auch der innerliche wider. Nachdem der heilige König nicht mehr anwesend und sichtbar ist, muß er durch die Magie des Wortes, durch den Mythos, beschworen werden. Dies ist die Geburtsstunde der „heiligen Geschichte". Der Mythos löst sich vom geläufigen Ritus, weil dieser nicht mehr praktizierbar ist. Aus der geschichtlichen, nationalen und politischen Bedeutungslosigkeit des Volkes folgern Priester und Propheten eine 27

Diese fromme Konstruktion, ihrerseits schon Bestandteil<br />

nachbiblischer christlicher <strong>Mythologie</strong> <strong>und</strong> deshalb hier nicht weiter<br />

zu erläutern, widerspiegelt noch einmal das große theologische<br />

Thema der Bibel: <strong>die</strong> vielen <strong>Götter</strong>anschauungen zu einem<br />

<strong>Gott</strong>esbild zu machen.<br />

Dieses Thema taucht in allen literarischen Gattungen auf. Sie<br />

selbst haben alle eine vorliterarische Form gehabt, deren absolute<br />

Anfangsdaten ebenso wie ihre Inhalte nicht mehr greifbar sind. Die<br />

Grenzen sind durch <strong>die</strong> vielen Bevölkerungsbewegungen verwischt.<br />

Die biblischen Formen sind nicht nur von der gemeinsemitischen<br />

Heimat, sondern auch von der babylonisch-ägyptischkleinasiatischen<br />

Kultur beeinflußt, mit der <strong>die</strong> israelitischen Stämme<br />

ständig konfrontiert werden. Die ursprünglich sicher kurzen<br />

literarischen Einheiten in allen Gattungen haben dabei vielfache<br />

Erweiterungen <strong>und</strong> Veränderungen erfahren.<br />

Bei einer groben Unterteilung in Prosa <strong>und</strong> Poesie gehören zur<br />

Prosa zunächst <strong>die</strong> längeren oder kürzeren Reden der großen<br />

Heroen, etwa Josuas Abschiedsrede im Buch Josua, Kapitel 24, <strong>die</strong><br />

Abschiedsrede Samuels in I. Samuel, Kapitel 12, <strong>die</strong> Bergrede<br />

Jesu, Matthäus-Evangelium, Kapitel 5-7, <strong>die</strong> Apokalypse aus<br />

Matthäus, Kapitel 25, <strong>die</strong> Rede des Petrus aus der<br />

Apostelgeschichte, Kapitel 11. Ihnen gleichgestellt werden müssen<br />

auch große Teile der alttestamentlichen Prophetenbücher, <strong>die</strong><br />

ziemlich sicher, obwohl sie im Kontext wie Reden erscheinen, schon<br />

gleich als Brief, also als geschriebene Abhandlung konzipiert<br />

gewesen sind.<br />

Die theologischen Reden, <strong>die</strong> man mit dem Begriff Predigt<br />

bezeichnet hat, sind erst spät in <strong>die</strong> Literatur eingedrungen. Seit der<br />

Mitte des 7. Jahrh<strong>und</strong>erts dringen sie in <strong>die</strong> Propheten- <strong>und</strong><br />

Gesetzesliteratur ein <strong>und</strong> beherrschen sie fortan. Das Thema der<br />

Prediger wird dabei zusehends metaphysischer. Mit der<br />

schwindenden Macht des heiligen <strong>Gott</strong>es <strong>und</strong> seines Stellvertreters,<br />

des Königs, schwindet auch <strong>die</strong> Macht des Tempels. Den<br />

äußerlichen Verfall spiegelt auch der innerliche wider. Nachdem der<br />

heilige König nicht mehr anwesend <strong>und</strong> sichtbar ist, muß er durch<br />

<strong>die</strong> Magie des Wortes, durch den Mythos, beschworen werden. Dies<br />

ist <strong>die</strong> Geburtsst<strong>und</strong>e der „heiligen Geschichte". Der Mythos löst<br />

sich vom geläufigen Ritus, weil <strong>die</strong>ser nicht mehr praktizierbar ist.<br />

Aus der geschichtlichen, nationalen <strong>und</strong> politischen<br />

Bedeutungslosigkeit des Volkes folgern Priester <strong>und</strong> Propheten eine<br />

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