Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie
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6. Dem steht das Johannesevangelium <strong>und</strong> <strong>die</strong> johanneische Briefliteratur<br />
entgegen. Für <strong>die</strong>se ist Jesus der Logos, der ursprünglich <strong>Gott</strong> war <strong>und</strong> auch<br />
als solcher in Erscheinung tritt. Das Johannesevangelium kennt auch <strong>die</strong><br />
Versuchungsgeschichte nicht. Es legt auch keinen Wert auf <strong>die</strong> Familie Jesu,<br />
sondern wertet sie deutlich ab, indem es überhaupt keinen Namen tra<strong>die</strong>rt<br />
(Johannesevangelium 2,1-12; 19,25-27).<br />
7. Den Namen seines göttlichen Vaters kennt das Neue Testament nicht. In<br />
der Beziehung Jesu auf den <strong>Gott</strong> Jahwe des Alten Testaments redet <strong>die</strong><br />
biblische Überlieferung nur von dem <strong>Gott</strong> <strong>und</strong> Vater Jesu Christi. Das Neue<br />
Testament greift damit auf den jüdischen Gebrauch zurück, den Namen<br />
Jahwes nicht auszusprechen, sondern ihn mit „Herr" zu umschreiben. So hat<br />
<strong>die</strong> erste griechische Übersetzung, <strong>die</strong> Septuaginta, den <strong>Gott</strong>esnamen schon<br />
mit der griechischen Vokabel für Herr, „Kyrios", wiedergegeben. Im Neuen<br />
Testament erscheint deshalb auch der Engel Jahwes als der Engel des Herrn<br />
(Matthäus 7,20 u. ö.). Die Übersetzungen des Neuen Testaments folgen<br />
<strong>die</strong>sem Sprachgebrauch, weil <strong>die</strong> neutestamentlichen Schriftsteller davon<br />
ausgehen, daß es nur einen <strong>Gott</strong>, den <strong>Gott</strong> Abrahams <strong>und</strong> Isaaks <strong>und</strong> Jakobs<br />
gibt, der seinen Sohn Jesus gesandt hat (z.B. Apostelgeschichte 3,12-26 u.<br />
ö.). Wenn theologisch im Neuen Testament von <strong>Gott</strong> als „Herrn" gesprochen<br />
wird, wird im mythologischen Schema stets der Name Jahwe mitklingen.<br />
Der Begriff „Kyrios" = „Herr" wird im Neuen Testament auch auf Jesus<br />
Christus angewandt. In der Petrusrede Apostelgeschichte 2,25 oder Römer<br />
10,9 <strong>und</strong> sonst in den Briefen wird der von den Toten Auferstandene <strong>und</strong> zum<br />
Himmel Aufgefahrene, der zur Rechten <strong>Gott</strong>es Sitzende „Jesus Christus<br />
Kyrios" genannt. Für <strong>die</strong> Christen ist der Kyrios nun Jesus Christus (Kolosser<br />
2,6). Jesus, der Christus, ist der am Kreuz Gestorbene <strong>und</strong> wieder Erweckte<br />
(Römer 5,6.8; 6,4.9). Er erlöst <strong>die</strong> Menschen (Römer 8,35 u. ö.), <strong>und</strong> das<br />
Evangelium des Christus macht frei; aber Jesus der Kyrios ist derjenige, der<br />
kommen wird (I. Thessalonicher 4,15-18; I. Korinther 4,5 u.ö.). Er ist der<br />
Kyrios, der richtet (z. B. I. Korinther 4,4; 11,32; II. Korinther 5,11), er ist der<br />
Geist (z.B. II. Korinther 3,17), <strong>und</strong> zu ihm kann Paulus dann auch beten (z. B.<br />
II. Korinther 12,8). Mit <strong>die</strong>ser Entwicklung schließt <strong>die</strong> mythologische<br />
Konzeption von Jesus als dem Sohn <strong>Gott</strong>es ab. Sie macht Jesus als<br />
<strong>Gott</strong>essohn zum <strong>Gott</strong>e selbst. Damit trennte sich <strong>die</strong> christliche Gemeinde<br />
endgültig vom Judentum. Aus der jüdischen Sekte wurde <strong>die</strong> christliche<br />
Kirche.<br />
8. Religionsgeschichtlich folgt <strong>die</strong>se Entwicklung dem auch sonst<br />
nachweisbaren Vorgang der Sektenbildung. Eine Gruppe erhebt <strong>die</strong><br />
Teilerkenntnis einer Lehre<br />
zur Alleinwahrheit <strong>und</strong> spaltet sich ab, wenn sie in eine Interessenkollision<br />
gerät. In einem zweiten Schritt schafft sie <strong>die</strong> verdrängten <strong>und</strong><br />
zurückgelassenen Ideen <strong>und</strong> Gedanken neu, wobei sie auf <strong>die</strong> alten<br />
heimatlichen Traditionen zurückgreift, bis sie um ihre ursprüngliche<br />
Teilerkenntnis eine neue Lehre geschaffen hat. Der Prophet Jesus aus<br />
Nazareth lehrte noch, daß das Reich <strong>Gott</strong>es herbeigekommen sei; der<br />
<strong>Gott</strong>essohn Jesus Christus ist schon der Garant, daß seine Botschaft richtig<br />
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