Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie

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30.12.2012 Aufrufe

universal. Seine der stoisch-kynischen Diatribe eng verwandte Ethik und Moral verachtet Reichtum und Besitz. Der Arme und Besitzlose, der sich auf die Macht des Geistes verläßt, steht dem Reiche Gottes näher als der Begüterte. Ihnen allen gemeinsam war die Erwartung eines eschatologischen Reiches der Himmel, eines Gottesreiches. Diese Erwartung war die entscheidende Ausgangsbasis für den Mythos von Jesus Christus; in ihm manifestierte sich die Hoffnung auf die Umwälzung der Verhältnisse noch zu seinen Lebzeiten. Deshalb lassen die ersten drei Evangelien die Tätigkeit Jesu mit dem Aufruf beginnen: Kehrt um, das Reich Gottes bricht an! Es kann als sicher gelten, daß diese Deutung des Gottesreiches schon in der Frühzeit der Christenheit verankert war. Sie ist schon den Evangeliendichtern bekannt gewesen. Damit rücken sie deutlich von der bisherigen Apokalyptik und den eschatologischen Vorbildern ab, die das Kommen des Reiches Jahwes von einer großen Katastrophe abhängig machten. 3. Der Mythos von Jesus Christus enthält wesentliche Bestandteile älterer Königs- und Heilandsmythen. In unmittelbarer Nachbarschaft, in Kleinasien, lebte der Mythos vom sterbenden und wiederauferstehenden Gott Attis ebenso wie die Mysterienkulte des Mithras, in denen die Eingeweihten durch die Bluttaufe ewige Seligkeit und Göttlichkeit erlangten. Solche Wundertäter und Heilande waren auch Sabazios und Asklepios, deren Kultgemeinden im gesamten Imperium Romanum verbreitet waren. Vergils vierte Ekloge beschrieb schon 40 v. u. Z. einen Gottessohn, der herabsteigt aus himmlischen Höhen, als Gott lebt und der Welt Frieden bringt, mit der Kraft seines Vaters regierend. Die Darstellung der Geburt Jesu durch eine jungfräuliche Mutter, die durch den Geist Gottes geschwängert ist, die Anbetung der Magier aus dem Morgenland (Anatole), sein triumphaler Zug durch das Land nach Jerusalem und die Erhöhung zum Gott in den Himmeln sind Mythologeme, die auch in anderen Religionen sich vorfinden. Sie haben die Aufgabe, Jesus als den Herrn aller Herren zu erweisen. Die Beziehungen zu den Traditionen vom „Menschensohn" undGottesknecht", wie sie im Judentum entstanden waren, sind ebensolche Versuche. Beide Traditionen waren im Judentum lebendig. Die Dichter der Evangelien und die ersten Christen haben Jesus mit diesen messianischen Prototypen identifiziert (siehe 11,3 und Offenbarung 1,13; 14,14; siehe 14,2,c). Das gleiche gilt für den Titel des „Davidsohnes" (siehe 9,8). Diese Traditionen waren in den verschiedensten sozialen Schichten lebendig. Der historische Jesus hat offenbar keinen dieser messianischen Hoheitstitel für sich beansprucht, sondern hat, wie die Propheten, nur gepredigt, daß das Reich Gottes jetzt schon angefangen hat, wobei er eindeutig an den Gott Jahwe des Judentums gedacht hat. Das kann aus den biblischen Berichten geschlossen werden. Ebendeshalb war es auch möglich, daß ihn Vertreter aller jüdischen Gruppierungen als Messias anerkennen konnten. Sicher ist auch, daß Jesus kein genaues Bild von dem kommenden Gottesreich entworfen hat, weshalb Vertreter der konservativen jüdischen Gruppierungen, die auf den Davidsohn warteten, ebenso wie der unterdrückten Landbevölkerung, deren Sehnsucht sich vorwiegend im Bilde des Menschensohnes wiederfindet, der auf den Wolken des Himmels kommt, wie 244

auch der priesterlich-prophetischen Kreise, die ihre Hoffnung auf den Gottesknecht setzten, Jesus als ihren Messias anerkennen und ihn so verherrlichen konnten. Diese verschiedenen Anschauungen sind die Ursache für das widerspruchsvolle Jesusbild der Bibel. So plädiert der biblische Jesus weder für die Sklavenbefreiung noch für die Sklaverei; wenn er die Armen selig preist, meint er nicht, daß die Reichen nicht selig werden können, sondern lediglich, daß die Reichen dem Reich Gottes weniger zutrauen als ihrem eigenen Besitz. Der biblische Jesus ist deshalb kein Revolutionär. Er fordert lediglich die Menschen dazu auf, zu bedenken, daß die vorfindliche Situation des Menschen in dem kommenden Reich Gottes aufgehoben wird, das durch ihn vertreten wird. 4. Die Besonderheit des biblischen Jesusbildes liegt nicht in dem Auferstehungsmythos. Ihn teilt es mit den Mysterienkulten und anderen Göttern, wie z. B. dem Menschen Herakles, der auch erst nach seinem Tode zum Olympier erhoben wird. Der Auferstehungsmythos ist überall in der Religionsgeschichte die Form einer primitiven Dialektik, mit der Menschen das philosophische Gesetz der Negation der Negation vorwegnehmen. Ostern als Tod des Todes Jesu bedeutet religionsgeschichtlich, das Charakteristischste der Wirksamkeit von Jesus aufzuheben. Das ist aber nach den biblischen Texten sein Leben und Wirken für das Regiment des alttestamentlichen Jahwe als zeitlich zu erlebendes Phänomen gewesen. Die Besonderheit liegt in dem Exklusivitätsbewußtsein des biblischen Jesus begründet, der meint, nur in seiner Nachfolge können die Menschen das Heil, den Zugang zum Reich Gottes, erhalten. Dieser Absolutheitsanspruch ist von den ersten Christen in das biblische Bild der Gottessohnschaft gekleidet, wie die Geburtsgeschichten Jesu ausweisen. 5. Auf eine geschichtliche Grundlage ist sicher die Kreuzigung Jesu zurückzuführen. Dabei bleibt unklar, an welchem Tage und in welchem Jahre genau die Hinrichtung geschah. Die synoptischen Evangelien geben Freitag, den 15. Nisan, an, das Johannesevangelium Freitag, den 14. Nisan. Nach dem Johannesevangelium müßte Jesus dann am ersten Festtag des Passah hingerichtet worden sein, was unwahrscheinlich ist. Vermutet werden darf aber, daß man den Todestag auf den 15. Nisan festlegte, um das überlieferte Abendmahl Jesu mit dem jüdischen Passahmahl zu identifizieren. Jesus soll das wahre Opferlamm sein, das die Sünden der Welt trägt und geopfert wird. Der Bericht vom Abendmahl ist formal eine richtige Kultlegende. Der Todesort wird sicher Jerusalem gewesen sein. Der Geburtsort Jesu ist sicher nicht Bethlehem gewesen, sondern Nazareth. Bethlehem mußte mythologisch der Geburtsort sein, um Jesus als Davidsohn zu erweisen (siehe Römer 1,3-4; II. Timotheus 2,8; Markus 10,48). Die synoptischen Evangelien stehen auch mit ihren Geburtsgeschichten und den Tauf berichten im Widerspruch zu dem Mythos von der ewigen Präexistenz Christi, wie ihn das Johannesevangelium und die neutestamentlichen Briefe (Philipper 2) lehren, und stellen anschaulich das Problem der Zwei-Naturen-Lehre dar, wonach Jesus Christus als eine Person zwei Naturen in sich vereinigt haben soll, eine göttliche und eine menschliche. 245

universal. Seine der stoisch-kynischen Diatribe eng verwandte Ethik <strong>und</strong> Moral<br />

verachtet Reichtum <strong>und</strong> Besitz. Der Arme <strong>und</strong> Besitzlose, der sich auf <strong>die</strong><br />

Macht des Geistes verläßt, steht dem Reiche <strong>Gott</strong>es näher als der Begüterte.<br />

Ihnen allen gemeinsam war <strong>die</strong> Erwartung eines eschatologischen Reiches<br />

der Himmel, eines <strong>Gott</strong>esreiches. Diese Erwartung war <strong>die</strong> entscheidende<br />

Ausgangsbasis für den Mythos von Jesus Christus; in ihm manifestierte sich<br />

<strong>die</strong> Hoffnung auf <strong>die</strong> Umwälzung der Verhältnisse noch zu seinen Lebzeiten.<br />

Deshalb lassen <strong>die</strong> ersten drei Evangelien <strong>die</strong> Tätigkeit Jesu mit dem Aufruf<br />

beginnen: Kehrt um, das Reich <strong>Gott</strong>es bricht an!<br />

Es kann als sicher gelten, daß <strong>die</strong>se Deutung des <strong>Gott</strong>esreiches schon in der<br />

Frühzeit der Christenheit verankert war. Sie ist schon den Evangeliendichtern<br />

bekannt gewesen. Damit rücken sie deutlich von der bisherigen Apokalyptik<br />

<strong>und</strong> den eschatologischen Vorbildern ab, <strong>die</strong> das Kommen des Reiches<br />

Jahwes von einer großen Katastrophe abhängig machten.<br />

3. Der Mythos von Jesus Christus enthält wesentliche Bestandteile älterer<br />

Königs- <strong>und</strong> Heilandsmythen. In unmittelbarer Nachbarschaft, in Kleinasien,<br />

lebte der Mythos vom sterbenden <strong>und</strong> wiederauferstehenden <strong>Gott</strong> Attis<br />

ebenso wie <strong>die</strong> Mysterienkulte des Mithras, in denen <strong>die</strong> Eingeweihten durch<br />

<strong>die</strong> Bluttaufe ewige Seligkeit <strong>und</strong> Göttlichkeit erlangten. Solche W<strong>und</strong>ertäter<br />

<strong>und</strong> Heilande waren auch Sabazios <strong>und</strong> Asklepios, deren Kultgemeinden im<br />

gesamten Imperium Romanum verbreitet waren. Vergils vierte Ekloge<br />

beschrieb schon 40 v. u. Z. einen <strong>Gott</strong>essohn, der herabsteigt aus<br />

himmlischen Höhen, als <strong>Gott</strong> lebt <strong>und</strong> der Welt Frieden bringt, mit der Kraft<br />

seines Vaters regierend. Die Darstellung der Geburt Jesu durch eine<br />

jungfräuliche Mutter, <strong>die</strong> durch den Geist <strong>Gott</strong>es geschwängert ist, <strong>die</strong><br />

Anbetung der Magier aus dem Morgenland (Anatole), sein triumphaler Zug<br />

durch das Land nach Jerusalem <strong>und</strong> <strong>die</strong> Erhöhung zum <strong>Gott</strong> in den Himmeln<br />

sind Mythologeme, <strong>die</strong> auch in anderen Religionen sich vorfinden. Sie haben<br />

<strong>die</strong> Aufgabe, Jesus als den Herrn aller Herren zu erweisen. Die Beziehungen<br />

zu den Traditionen vom „Menschensohn" <strong>und</strong> „<strong>Gott</strong>esknecht", wie sie im<br />

Judentum entstanden waren, sind ebensolche Versuche. Beide Traditionen<br />

waren im Judentum lebendig. Die Dichter der Evangelien <strong>und</strong> <strong>die</strong> ersten<br />

Christen haben Jesus mit <strong>die</strong>sen messianischen Prototypen identifiziert (siehe<br />

11,3 <strong>und</strong> Offenbarung 1,13; 14,14; siehe 14,2,c). Das gleiche gilt für den Titel<br />

des „Davidsohnes" (siehe 9,8). Diese Traditionen waren in den<br />

verschiedensten sozialen Schichten lebendig.<br />

Der historische Jesus hat offenbar keinen <strong>die</strong>ser messianischen Hoheitstitel<br />

für sich beansprucht, sondern hat, wie <strong>die</strong> Propheten, nur gepredigt, daß das<br />

Reich <strong>Gott</strong>es jetzt schon angefangen hat, wobei er eindeutig an den <strong>Gott</strong><br />

Jahwe des Judentums gedacht hat. Das kann aus den biblischen Berichten<br />

geschlossen werden. Ebendeshalb war es auch möglich, daß ihn Vertreter<br />

aller jüdischen Gruppierungen als Messias anerkennen konnten. Sicher ist<br />

auch, daß Jesus kein genaues Bild von dem kommenden <strong>Gott</strong>esreich<br />

entworfen hat, weshalb Vertreter der konservativen jüdischen Gruppierungen,<br />

<strong>die</strong> auf den Davidsohn warteten, ebenso wie der unterdrückten<br />

Landbevölkerung, deren Sehnsucht sich vorwiegend im Bilde des<br />

Menschensohnes wiederfindet, der auf den Wolken des Himmels kommt, wie<br />

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