Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie

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30.12.2012 Aufrufe

4. Zur Zeit Jesu war das prächtige Herodianische Jerusalem auch ein Zentrum frommer Weltverbesserer und Eiferer. Nur hatte die Stadt zu dieser Zeit noch nicht den Charakter des „heiligen Ortes", weil die jüdischen Frommen jener Tage das Heil des Menschen nicht in ihrer Anwesenheit an dieser Stätte sahen, sondern in der Ankunft und Herrschaft eines göttlichen Königs aus dem Hause David. Darin unterschied sich Jerusalem z. B. von dem griechischen Olympia. Nur so ist zu erklären, daß in der Vision vom neuen Jerusalem in der Offenbarung des Johannes das neue Jerusalem keinen Tempel mehr hat. Der Tempel ist überflüssig geworden, weil der Gott selber nun leibhaftig als König anwesend ist und regiert wie jeder andere König. Diese Auffassung teilt auch das nachbiblische Judentum. 5. Der biblische Sprachgebrauch von Jerusalem als der Geliebten Gottes beruht auf den alten Vorstellungen, wonach die Städte und Heiligtümer ursprünglich Sitze heiliger Königinnen waren, die von den eindringenden patriarchalischen Fremdvölkern erobert worden waren. Städte und Königinnen sind Synonyme. Es ist allerdings sicher, daß dieser reale Hintergrund zur Blütezeit der biblischen Prophetie schon in Vergessenheit geraten ist. Nur das feminine Genus für Stadt ist das letzte Rudiment jener Vorstellungswelt, in der Heimat, Haus und Volk mit Vorliebe in das Symbol der „großen Mutter" gehüllt werden, der vielbrüstigen magna mater der Spätantike. Der Name des ersten historisch bezeugten Königs von Urusalim, Abdihipa, das ist „Knecht der Chiba", deutet noch darauf hin, denn Chiba ist sonst als Name einer hethitischen Göttin bezeugt. 6. Bedeutsam wird Jerusalem für die christliche Mythologie. In Jerusalem sind die wichtigsten Begebenheiten aus dem Leben Jesu angesiedelt. Die Stadt ist heute noch angefüllt mit christlichen Heiligtümern. Dazu gehören die Grabeskirche, das heilige Grab Jesu am Hügel Golgatha, das Katholikon, in dem man das Grab Adams und Malkisedeks, des legendären Königs von Jerusalem, zeigt (siehe 4,1,c), wie die Stätten des Martyriums Jesu und die Gethsemane-Gärten (siehe 13,1). An diesen Stätten sind alle großen christlichen Konfessionen vertreten. Die frühchristliche Mythologie erwartete, daß Jesus nach seiner Himmelfahrt sehr bald nach Jerusalem zurückkehren werde, um das angefangene Reich des Heils, das Königreich Gottes oder auch Königreich der Himmel genannt, zu vollenden. In dieser Erwartung spielt der Tempel keine Rolle mehr, sondern nur noch die radikale endliche Umkehr der bestehenden Verhältnisse in der Welt. 7. Das Bild von der Stadt Jerusalem als Frau ist besonders einprägsam in der Hymnen- und Lieddichtung verwendet worden, wie beispielsweise in den „Klageliedern des Jeremia", die allerdings nicht von dem Propheten, sondern aus verschiedenen Jahrhunderten v. u. Z. stammen, wobei Lied 2 und 4 im babylonischen Exil entstanden sein können, während 1 und 5 im nachexilischen Jerusalem entstanden sind. So heißt es z. B. im ersten Klagelied, Vers 1: Ach, wie so einsam liegt die Stadt, einst reich an Volk, wie ist zur Witwe geworden, 214

die groß war unter den Völkern. Die Fürstin unter den Städten, sie muß Fronarbeit tun. Im zweiten Klagelied, Vers 13: Was soll ich dir gleichsetzen, du Tochter Jerusalem, was soll ich dir gleichstellen, um dich zu trösten, jungfräuliche Tochter Zion. 8. Im zeitlichen Übergang vom antiken theokratischen Königtum zur klassischen Epoche der Sklaverei Roms setzt die soziale Spannung zwischen Herrn und Diener das Problem von Gnade und Verdienst frei. Es beherrscht zunehmend die Religiosität und wird gerade in dem Bilde von Gott als Liebhaber bleibend verankert. Aus der Gnade des Despoten wird die Liebe des höchsten Gottes zur Menschheit. Die Liebe soll bringen, was die eigene Leistung nicht bringt, den Zugang in das Gottesreich der Herrlichkeit. 10.2 Der Tempel Nachdem Salomo den Thron seines Vaters bestiegen und sich Ruhe und Ordnung im Lande verschafft hatte, erinnerte er sich an das Wort Jahwes an seinen Vater, daß sein Sohn für den Namen Jahwes ein Haus bauen sollte. Deshalb schickte er Boten an den König von Tyrus und erbat Handwerker und Baumaterialien von ihm, insbesondere Zedern vom Libanon. Sein Wunsch wurde erfüllt. Zahllose Fronarbeiter waren an dem Transport der Baumaterialien und in den Steinbrüchen tätig. Alle Baumaterialien waren aber schon zugerichtet, bevor sie auf den Bauplatz kamen, und so hörte man dort keinen Hammer, kein Beil noch sonst ein eisernes Gerät. Der Tempel wurde ganz aus Haustein gebaut und wurde sechzig Ellen lang, zwanzig Ellen breit und dreißig Ellen hoch. Ringsherum liefen noch Seitenräume in drei Stockwerken, die durch Treppen verbunden waren. An der Ostseite befand sich eine große Vorhalle. Im Tempel selbst teilte eine Querwand das Allerheiligste, in dem die Lade stand, vom Tempelraum. Das Allerheiligste war mit vergoldetem Zedernholz getäfelt, der andere Raum nur mit geschnitztem Holz. Die Schnitzereien waren vornehmlich Cherubimen, Blumen und Früchte. An der hinteren Wand des Allerheiligsten waren zwei zehn Ellen hohe Cherubime aufgestellt, die die ganze Wand bedeckten. Vor dem Allerheiligsten, im 215

4. Zur Zeit Jesu war das prächtige Herodianische Jerusalem auch ein<br />

Zentrum frommer Weltverbesserer <strong>und</strong> Eiferer. Nur hatte <strong>die</strong> Stadt zu <strong>die</strong>ser<br />

Zeit noch nicht den Charakter des „heiligen Ortes", weil <strong>die</strong> jüdischen<br />

Frommen jener Tage das Heil des Menschen nicht in ihrer Anwesenheit an<br />

<strong>die</strong>ser Stätte sahen, sondern in der Ankunft <strong>und</strong> Herrschaft eines göttlichen<br />

Königs aus dem Hause David. Darin unterschied sich Jerusalem z. B. von<br />

dem griechischen Olympia. Nur so ist zu erklären, daß in der Vision vom<br />

neuen Jerusalem in der Offenbarung des Johannes das neue Jerusalem<br />

keinen Tempel mehr hat. Der Tempel ist überflüssig geworden, weil der <strong>Gott</strong><br />

selber nun leibhaftig als König anwesend ist <strong>und</strong> regiert wie jeder andere<br />

König. Diese Auffassung teilt auch das nachbiblische Judentum.<br />

5. Der biblische Sprachgebrauch von Jerusalem als der Geliebten <strong>Gott</strong>es<br />

beruht auf den alten Vorstellungen, wonach <strong>die</strong> Städte <strong>und</strong> Heiligtümer<br />

ursprünglich Sitze heiliger Königinnen waren, <strong>die</strong> von den eindringenden<br />

patriarchalischen Fremdvölkern erobert worden waren. Städte <strong>und</strong> Königinnen<br />

sind Synonyme. Es ist allerdings sicher, daß <strong>die</strong>ser reale Hintergr<strong>und</strong> zur<br />

Blütezeit der biblischen Prophetie schon in Vergessenheit geraten ist. Nur das<br />

feminine Genus für Stadt ist das letzte Rudiment jener Vorstellungswelt, in der<br />

Heimat, Haus <strong>und</strong> Volk mit Vorliebe in das Symbol der „großen Mutter" gehüllt<br />

werden, der vielbrüstigen magna mater der Spätantike. Der Name des ersten<br />

historisch bezeugten Königs von Urusalim, Abdihipa, das ist „Knecht der<br />

Chiba", deutet noch darauf hin, denn Chiba ist sonst als Name einer<br />

hethitischen Göttin bezeugt.<br />

6. Bedeutsam wird Jerusalem für <strong>die</strong> christliche <strong>Mythologie</strong>. In Jerusalem<br />

sind <strong>die</strong> wichtigsten Begebenheiten aus dem Leben Jesu angesiedelt. Die<br />

Stadt ist heute noch angefüllt mit christlichen Heiligtümern. Dazu gehören <strong>die</strong><br />

Grabeskirche, das heilige Grab Jesu am Hügel Golgatha, das Katholikon, in<br />

dem man das Grab Adams <strong>und</strong> Malkisedeks, des legendären Königs von<br />

Jerusalem, zeigt (siehe 4,1,c), wie <strong>die</strong> Stätten des Martyriums Jesu <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Gethsemane-Gärten (siehe 13,1). An <strong>die</strong>sen Stätten sind alle großen<br />

christlichen Konfessionen vertreten. Die frühchristliche <strong>Mythologie</strong> erwartete,<br />

daß Jesus nach seiner Himmelfahrt sehr bald nach Jerusalem zurückkehren<br />

werde, um das angefangene Reich des Heils, das Königreich <strong>Gott</strong>es oder<br />

auch Königreich der Himmel genannt, zu vollenden. In <strong>die</strong>ser Erwartung spielt<br />

der Tempel keine Rolle mehr, sondern nur noch <strong>die</strong> radikale endliche Umkehr<br />

der bestehenden Verhältnisse in der Welt.<br />

7. Das Bild von der Stadt Jerusalem als Frau ist besonders einprägsam in<br />

der Hymnen- <strong>und</strong> Lieddichtung verwendet worden, wie beispielsweise in den<br />

„Klageliedern des Jeremia", <strong>die</strong> allerdings nicht von dem Propheten, sondern<br />

aus verschiedenen Jahrh<strong>und</strong>erten v. u. Z. stammen, wobei Lied 2 <strong>und</strong> 4 im<br />

babylonischen Exil entstanden sein können, während 1 <strong>und</strong> 5 im<br />

nachexilischen Jerusalem entstanden sind. So heißt es z. B. im ersten<br />

Klagelied, Vers 1:<br />

Ach, wie so einsam liegt <strong>die</strong> Stadt,<br />

einst reich an Volk,<br />

wie ist zur Witwe geworden,<br />

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