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Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie

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1. Die Geschichten von Jerobeam <strong>und</strong> Rehabeam sind in Jerusalem tra<strong>die</strong>rt<br />

worden, nachdem das Nordreich schon untergegangen war. Der Erzähler stellt<br />

im letzten Drittel des 6. Jahrh<strong>und</strong>erts v. u. Z. <strong>die</strong> Vorgänge so dar, wie sie in<br />

Jerusalem gesehen wurden.<br />

2. Die Auflösung des Reiches ist nach der Meinung des Erzählers mit<br />

Zustimmung Jahwes geschehen. Die Darstellung der Trennung zwischen<br />

beiden Reichshälften ist sicher zutreffend. Die Nordstämme - Israel ist fortan<br />

der Begriff für den Stämme-B<strong>und</strong> um Bethel <strong>und</strong> Sichern - sind konservativer<br />

als Juda gewesen. Die Einflüsse des Jerusalemer Hofes waren im Norden<br />

nicht so wirksam, daß sie <strong>die</strong> alten Stammesordnungen brechen konnten; vor<br />

allem bestand <strong>die</strong> Ordnung des Heerbannes weiter. Sozialökonomisch waren<br />

<strong>die</strong> beiden Reichsteile zwei verschiedene Welten. Der Süden war viel weiter<br />

entwickelt als der Norden.<br />

3. Der Zorn des priesterlichen judäischen Erzählers richtet sich vor allem<br />

gegen <strong>die</strong> Wiederbelebung der alten Heiligtümer in Bethel <strong>und</strong> Dan.<br />

Jerobeams Maßnahme gegen <strong>die</strong> Pilgerfahrten seiner Landeseinwohner nach<br />

Jerusalem brachte dem Tempel in Jerusalem nämlich einen empfindlichen<br />

Verlust an Einnahmen. Zugleich sahen <strong>die</strong> Jerusalemer Priester ihr mühsam<br />

<strong>und</strong> kunstvoll errichtetes Lehrgebäude von dem einen <strong>und</strong> einzigen <strong>Gott</strong><br />

Israels in Gefahr, wenn sie zuließen, daß in Bethel <strong>und</strong> Dan derselbe <strong>Gott</strong><br />

unter ganz anderen Vorstellungen verehrt werden sollte. Jerobeams<br />

Proklamation der Stierbilder von Bethel <strong>und</strong> Dan als <strong>Gott</strong>, der Israel aus<br />

Ägypten befreit hat, kann dabei auf vorhandene Überzeugungen von Jahwe<br />

als einem <strong>Gott</strong>-Stier zurückgegriffen haben, denn eine derartige Proklamation<br />

ist nicht ohne Traditionen möglich (siehe 2,4).<br />

4. Die Prophezeiung Achias von Silo über den Untergang der Dynastie<br />

Jerobeams <strong>und</strong> Israels ist eine nachträgliche jerusalemische Reprojektion der<br />

schon erfahrenen <strong>und</strong> vergangenen Geschichte. Der Mythos von Jahwe als<br />

Herrn, der Geschichte macht, ist <strong>die</strong> Erklärung für den kurzen Zeitraum der<br />

Existenz des Nordreiches von 932 bis 722 v. u. Z. Der Erzähler sieht nicht in<br />

der sozialökonomischen Struktur der Gesellschaft <strong>und</strong> der instabilen <strong>und</strong><br />

unfähigen Staatsgewalt <strong>die</strong> Ursache für den raschen Zerfall, sondern schreibt<br />

ihn dem Willen Jahwes zu. Die Trennung zwischen religiösem Leitbild <strong>und</strong><br />

gesellschaftlicher Wirklichkeit ist so weit vorangeschritten, daß der Erzähler<br />

nicht mehr <strong>die</strong> Menschen als unmittelbar Betroffene in den Mittelpunkt der<br />

Erzählung rückt, sondern den göttlichen Großkönig Jahwe, von dessen Wohl<br />

oder Wehe nun <strong>die</strong> Geschichte abhängt. Rilke hat einmal in seinem<br />

Kunstmärchen „Wie der Verrat nach Rußland kam" gesagt: „In den primitiven<br />

Sprachen haben viele Dinge denselben Namen. Da ist dann wohl ein Land,<br />

das heißt <strong>Gott</strong>, <strong>und</strong> der es beherrscht, heißt auch <strong>Gott</strong>. Einfache Völker<br />

konnten ihr Land <strong>und</strong> ihren Kaiser oft nicht unterscheiden, beide sind groß <strong>und</strong><br />

gütig, furchtbar <strong>und</strong> groß." Für den Erzähler der biblischen Königsmythologien<br />

ist <strong>die</strong>se ursprüngliche Naivität nicht mehr anzunehmen, sondern vielmehr<br />

festzustellen, daß sie geradezu entgegengesetzt überw<strong>und</strong>en wird. Die in ihrer<br />

geschichtlichen Eigenart einzigartige klassische biblische Prophetie<br />

überwindet nämlich <strong>die</strong> primitive Dialektik von Land-König <strong>und</strong> Land-<strong>Gott</strong>,<br />

indem sie behauptet, daß <strong>die</strong> katastrophale Geschichte des einstmaligen<br />

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