Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie
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1. Das Ezechielbuch ist innerhalb des Alten Testaments sicher das Buch mit<br />
der meisten Dramatik. Es ist eine Dichtung, deren Entstehung vermutlich<br />
einen längeren Zeitraum umfaßt, mindestens von 592 bis 530 v. u. Z., wenn<br />
nicht noch länger. Der Name des Propheten Ezechiel („<strong>Gott</strong> möge stärken")<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> spärlichen biographischen Notizen zwingen eher zu der Annahme,<br />
hinter der Person eine poetische Gestalt anzunehmen als in ihr eine<br />
historische Figur zu sehen.<br />
2. Das Buch ist außerdem in seiner sprachlichen Form nicht gerade leicht.<br />
Zahlreiche Textverderbnisse lassen oft nur ahnen, welchen Sinn der Text<br />
früher gehabt haben muß. Die griechischen <strong>und</strong> lateinischen Übersetzungen<br />
bieten einen vergleichsweise einfacheren Text, sind aber in der Bildhaftigkeit<br />
dem hebräischen Text durchaus ebenbürtig. Die sprachlichen Schwierigkeiten<br />
hängen auch damit zusammen, daß das Buch nicht nur von einer Hand<br />
geschrieben ist. Ziemlich sicher ist, daß <strong>die</strong> zahlreichen Datierungen der<br />
Visionen weniger <strong>die</strong> historische Zuverlässigkeit verbürgen sollen, sondern<br />
mehr den schriftstellerischen Rahmen des Buches darstellen.<br />
3. Das Buch zwingt zum Vergleich mit den Werken Homers <strong>und</strong> der Lösung<br />
der homerischen Frage, nämlich anzunehmen, daß ein großer Dichter <strong>und</strong><br />
Mythograph den Gr<strong>und</strong>stock gelegt hat, dessen Erweiterung dann von<br />
nachfolgenden Sängern vorgenommen wurde, <strong>die</strong> aus unterschiedlichen<br />
Gebieten gekommen sein müssen, aus Jerusalem, aus Babylon <strong>und</strong> aus dem<br />
ägyptischen Exil. Das Auftreten von einzelnen Begriffen in bestimmten Texten<br />
sollte man so erklären <strong>und</strong> nicht annehmen, daß Ezechiel in Babylon <strong>und</strong><br />
Jerusalem gewirkt habe.<br />
4. Ezechiel ist der Dichter der großen biblischen Bildreden. Stärker als <strong>die</strong><br />
Hirtengleichnisse der anderen Propheten hat seine Hirtenrede (Kapitel 34)<br />
gewirkt. Die dunkle Drohrede des apokalyptischen Krieges von Gog <strong>und</strong><br />
Magog (Kapitel 38) hat <strong>die</strong> jüdische <strong>und</strong> <strong>die</strong> christliche <strong>Mythologie</strong> angeregt.<br />
Seine drastischen Scheltreden über Israel (Samaria) <strong>und</strong> Juda (Jerusalem), in<br />
denen er sie Ohola <strong>und</strong> Oholiba nennt <strong>und</strong> sie der größtmöglichen Geilheit mit<br />
Bildern beschuldigt, <strong>die</strong> sonst ihresgleichen in der Bibel suchen (Kapitel 23),<br />
<strong>und</strong> seine Trostreden über den neuen Geist (Kapitel 36,25-30) sind<br />
eindrucksvoller als <strong>die</strong> sehr lyrischen Lieder Jesajas oder <strong>die</strong> Reden <strong>und</strong><br />
Briefe Jeremias.<br />
5. Der Dichter ist deutlich antiägyptisch eingestellt. Seine offenk<strong>und</strong>ige<br />
Sympathie gehört Nebukadnezar von Babylon, „der für Jahwe arbeitet"<br />
(Kapitel 29,18). Seine antijerusalemische Opposition ist wie <strong>die</strong> der anderen<br />
Propheten in seiner Position begründet. Er gehört nicht zu den Hofpropheten<br />
<strong>und</strong> -priestern, sondern zu der Landbevölkerung. Wenn <strong>die</strong> Kapitel 40-48 eine<br />
detaillierte Darstellung des neuen Tempels in Jerusalem bringen <strong>und</strong> auch<br />
Vorschriften enthalten über den pflichtschuldigen Kultbetrieb, so ist das kein<br />
Widerspruch zu der großen Vision des Dichters, sondern der allein mögliche<br />
Schluß, den seine Nachfolger noch dichten konnten <strong>und</strong> mußten, um mit der<br />
persischen Kabinettsorder über <strong>die</strong> Errichtung der Kultgemeinde in Jerusalem<br />
nicht in Konflikt zu geraten. Christliche <strong>Mythologie</strong> hat das verschlossene<br />
Osttor des von Ezechiel beschriebenen neuen Tempels, das nur der neue<br />
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