Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie

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30.12.2012 Aufrufe

6. Typologisch ist Simson in der christlichen Überlieferung das Beispiel für den sich der Wollust ergebenden Mann geworden, der dafür schmählich gestraft wird. Eine Reduktion des Mythos auf eine solche moralische Fabel geht aber an der biblischen Intention vorbei. Denn die biblische Rezeption feiert noch seinen Tod als hohe, bewundernswerte Leistung: Die Zahl derjenigen, die er mit in seinen Tod gerissen hat, war größer als die Zahl derer, die er im Leben getötet hatte. 7.10 Ruth In den alten Zeiten, als es in Israel noch keinen König gab, zog Elimelech aus Bethlehem mit seiner Frau Naemi und seinen beiden Söhnen in das Moabiterland. Dort heirateten die Söhne moabitische Mädchen. Aber bald starben die Männer. Übrig blieben Naemi und ihre kinderlosen Schwiegertöchter Orpa und Ruth. Da zog Naemi zurück nach Bethlehem. Ruth wollte unbedingt mit ihrer Schwiegermutter mitgehen und sagte: Wo du hingehst, will ich auch hingehen, wo du bleibst, will ich auch bleiben. Dein Volk sei mein Volk, und dein Gott sei mein Gott. Und so kamen beide nach Bethlehem zurück. Ruth verdingte sich bei dem Bauern Boas auf dem Felde, der war auch ein Anverwandter ihres Vaters und fand Gefallen an ihr. Auf Anraten ihrer Schwiegermutter hielt sie sich an ihn und folgte ihm des Nachts in die Scheune, wo er neben der geworfelten Gerste schlief. So begab es sich, daß er sie schwängerte. Boas aber ehelichte daraufhin die Ruth nach bethlehemischem Recht in vieler Zeugen Gegenwart. Und alles Volk im Tor samt den Ältesten sprach: Jahwe mache deine Frau fruchtbar wie Rahel und Lea, die beide das Haus Israel gebaut haben. Sie möge wachsen in Ephrata und sei gepriesen in Bethlehem. Ruth gebar den Obed und legte ihn ihrer Schwiegermutter Naemi in den Schoß, wie es Sitte war. Und die Frauen priesen die Naemi, daß sie nicht ganz kinderlos geblieben sei. Obed aber wurde der Vater Isais, der den David zeugte. Ruth 1-4. 1. Das Buch Ruth ist von der Anlage her eine klassische Novelle. Der mythische Charakter wird durch die detaillierte Milieuschilderung fast verdeckt, die den Erzähler als vertraut mit den Landesverhältnissen des 7. Jahrhunderts, eines vorexilischen Zeitalters, erweist. Der mythische Charakter wird nur durch die Fabel noch erkennbar. Die Fabel ist aber, daß durch eine 166

wunderbare Fügung Jahwes die kinderlose Naemi, d. i. „die Holde", noch ein Kind erhält. Indem sie das Kind der Ruth auf ihren Schoß nimmt, wird es ihr eigenes Kind, so wie Herakles zum Olympier erst werden konnte, nachdem er durch die gespreizten Beine der Hera gekrochen war. 2. Diese mythologische Form des Adoptionsaktes gehört zu den üblichen Königsgeschichten der Antike. Ein Gott erweckt der kinderlosen Ahnfrau unverhofft noch einen Erben. Der mythische Gestus war sicher die Voraussetzung dafür, daß die Geschichte den Davidstammbaum an sich ziehen konnte. Der Adoptionsakt ist ein radikaler Akt. Er macht aus Menschen Götter und aus Moabitern, den Erzfeinden Israels, Israeliten. Denn Obed wäre nach geltendem Recht ein Moabiter gewesen: Erst der Adoptionsakt tilgt den Makel aus Davids Stammbaum. 3. Das Buch Ruth wird im Judentum unter die „Schriften" gezählt, die nicht so wichtig sind, während die Christen es zu den „vorderen Propheten" zählen. Weil seine Handlung in der vorköniglichen Zeit spielt, muß es zwischen Richterbuch und I. Samuelbuch stehen. Seine Stellung innerhalb der Bibel hat das Büchlein nur dem Umstand zu verdanken, daß es schon frühzeitig mit der David-Genealogie verbunden war. Mit ihr zusammen ist es auch tradiert. 167

6. Typologisch ist Simson in der christlichen Überlieferung das Beispiel für<br />

den sich der Wollust ergebenden Mann geworden, der dafür schmählich<br />

gestraft wird. Eine Reduktion des Mythos auf eine solche moralische Fabel<br />

geht aber an der biblischen Intention vorbei. Denn <strong>die</strong> biblische Rezeption<br />

feiert noch seinen Tod als hohe, bew<strong>und</strong>ernswerte Leistung: Die Zahl<br />

derjenigen, <strong>die</strong> er mit in seinen Tod gerissen hat, war größer als <strong>die</strong> Zahl<br />

derer, <strong>die</strong> er im Leben getötet hatte.<br />

7.10 Ruth<br />

In den alten Zeiten, als es in Israel noch keinen König gab, zog<br />

Elimelech aus Bethlehem mit seiner Frau Naemi <strong>und</strong> seinen beiden<br />

Söhnen in das Moabiterland. Dort heirateten <strong>die</strong> Söhne moabitische<br />

Mädchen. Aber bald starben <strong>die</strong> Männer. Übrig blieben Naemi <strong>und</strong><br />

ihre kinderlosen Schwiegertöchter Orpa <strong>und</strong> Ruth. Da zog Naemi<br />

zurück nach Bethlehem. Ruth wollte unbedingt mit ihrer<br />

Schwiegermutter mitgehen <strong>und</strong> sagte: Wo du hingehst, will ich auch<br />

hingehen, wo du bleibst, will ich auch bleiben. Dein Volk sei mein<br />

Volk, <strong>und</strong> dein <strong>Gott</strong> sei mein <strong>Gott</strong>.<br />

Und so kamen beide nach Bethlehem zurück. Ruth verdingte sich<br />

bei dem Bauern Boas auf dem Felde, der war auch ein<br />

Anverwandter ihres Vaters <strong>und</strong> fand Gefallen an ihr. Auf Anraten<br />

ihrer Schwiegermutter hielt sie sich an ihn <strong>und</strong> folgte ihm des<br />

Nachts in <strong>die</strong> Scheune, wo er neben der geworfelten Gerste schlief.<br />

So begab es sich, daß er sie schwängerte. Boas aber ehelichte<br />

daraufhin <strong>die</strong> Ruth nach bethlehemischem Recht in vieler Zeugen<br />

Gegenwart. Und alles Volk im Tor samt den Ältesten sprach: Jahwe<br />

mache deine Frau fruchtbar wie Rahel <strong>und</strong> Lea, <strong>die</strong> beide das Haus<br />

Israel gebaut haben. Sie möge wachsen in Ephrata <strong>und</strong> sei<br />

gepriesen in Bethlehem.<br />

Ruth gebar den Obed <strong>und</strong> legte ihn ihrer Schwiegermutter Naemi<br />

in den Schoß, wie es Sitte war. Und <strong>die</strong> Frauen priesen <strong>die</strong> Naemi,<br />

daß sie nicht ganz kinderlos geblieben sei. Obed aber wurde der<br />

Vater Isais, der den David zeugte.<br />

Ruth 1-4.<br />

1. Das Buch Ruth ist von der Anlage her eine klassische Novelle. Der<br />

mythische Charakter wird durch <strong>die</strong> detaillierte Milieuschilderung fast verdeckt,<br />

<strong>die</strong> den Erzähler als vertraut mit den Landesverhältnissen des 7.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts, eines vorexilischen Zeitalters, erweist. Der mythische Charakter<br />

wird nur durch <strong>die</strong> Fabel noch erkennbar. Die Fabel ist aber, daß durch eine<br />

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