Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie

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30.12.2012 Aufrufe

Simson wuchs unter dem Segen Jahwes im Lager Dans auf. Seine Frau aber suchte und fand er bei den Philistern in Timnat. Auf der Brautwerbefahrt schlug er einen jungen Löwen ohne jede Waffe nieder. Als er nun später hinabzog, um sie zu ehelichen, fand er in dem Kadaver des erschlagenen Löwen einen wilden Bienenschwarm, den er plünderte. Von dem Honig gab er auch seinen Eltern. Auf der Hochzeit stellte Simson aus diesen Begebenheiten ein Rätsel auf, das er der Hochzeitsgesellschaft zum Raten aufgab: Speise ging aus von dem Fresser, und Süßes ging aus von dem Starken. Weil die Gäste es aber nicht lösen konnten, drang man in die Frau, aus Simson die Lösung herauszulocken. Und er verriet sie ihr, weil sie zu hartnäckig geworden war. Als die Hochzeitsgäste ihm dann die richtige Antwort gaben, antwortete er verärgert: Hättet ihr nicht gepflügt mit meinem Kalbe, ihr hättet mein Rätsel nicht gelöst; und er ging fort nach Hause. Seine Frau aber wurde einem der Brautgesellen gegeben. Nach einiger Zeit kam Simson zurück und nahm bittere Rache an den Philistern, indem er durch gefangene Füchse, denen er brennende Fackeln an die Schwänze gebunden hatte, die Felder und Pflanzungen vernichten ließ. Aus Rache verbrannten nun die Philister das Haus seiner Frau mit allen Bewohnern. Darüber ergrimmte Simson so, daß er, von seinen Landsleuten an die Philister ausgeliefert, etwa tausend Mann mit einem Eselskinnbacken erschlug, den er zufällig fand. Von da ging er nach Gaza. Als man ihn dort fangen wollte - er verbrachte die Nacht bei einer Hure -, hob er um Mitternacht das verschlossene Stadttor mit seinen Angeln aus und trug es auf einen Berg bei Hebron. Simson war stark und unbesiegbar. Aber seine nächste Freundin war die Philisterin Delila. Die versuchte das Geheimnis seiner Kraft und Unverletzbarkeit herauszulocken. Etliche Male hatte er sie mit falschen Auskünften irregeführt, und Delila mußte stets die gedungenen Mörder wieder fortschicken. Einmal verriet er ihr sein Geheimnis doch; es bestand darin, daß Simson so lange unbesiegbar und unverletzlich blieb, wie sein Haupthaar nicht geschnitten wurde. In der nächsten Nacht nun schnitt sie ihm das Haupthaar ab, die Philister drangen ein, überwältigten ihn und stachen ihm die Augen aus. Sie behielten ihn dann als Sklaven im Gefängnis. Neben der Arbeit holten sie ihn bei Festen auch zur Belustigung der Gäste herauf. Bei solch einer Gelegenheit rächte sich Simson für die Schmach: Seine Stärke war ihm 164

wiedergekommen, weil sein Haupthaar lange Zeit nicht geschnitten worden war, und so ließ er sich bei einem Fest der hohen Philisterfürsten an die Mittelpfeiler des Saales führen, in dem er zur Belustigung der Anwesenden hatte dienen müssen, und riß die Pfeiler um. Dabei stürzte das Dach ein und erschlug alle Gäste im Saal. Zugleich starben auch die dreitausend Leute, die auf dem Dach weilten. Simson starb mit unter den Trümmern. Seine Stammesbrüder aber holten ihn von dort und begruben ihn in der Gruft seines Vaters Manoah. Richter 13-16. 1. Die biblische Geschichte von Simson ist in sich geschlossen. Die Versuche der biblischen Erzähler, ihn unter die Richter Israels zu zählen, sind fadenscheinig. Überall dringt durch, daß der Heros, dessen Name den „Sonnegeborenen" meint, kein Richter in Israel gewesen sein kann, weil er seine ganze Lebenszeit nicht in Israel verbracht hat. 2. Verschiedene Details haben zu der Annahme geführt, im Simsonmythos eine Analogie zum Heraklesmythos zu sehen und für beide eine gemeinsame vorderasiatische Vorlage anzunehmen. Diese Theorie ist wahrscheinlich nicht ganz falsch. Sie ist eine Hypothese, deren Tragfähigkeit davon abhängt, ob es gelingt, die Voraussetzung dafür, nämlich die vergleichsweise ähnlichen sozialökonomischen Bedingungen, zu fixieren. In der biblischen Geschichte ist die Landschaft Philistäa, die Gesellschaft die gut funktionierende philistäische Despotie (siehe dazu 4,4,b,1). Delila wird als Hure dargestellt. Die sozialökonomische Basis des Mythos vom Sonnenheros, der durch die Mondgöttin geopfert wird, indem sie ihm die Haare schneidet, ist aber die Großfamilie, die von der heiligen Königin und großen Mutter regiert wird. 3. Deshalb ist nur anzunehmen, daß der alte Mythos in der biblischen Rezeption schon weiter von dieser Ausgangssituation entfernt liegt als die griechische. In der biblischen Rezeption wird das Schema noch beibehalten, daß der Heros stets noch die Gewalt seines göttlichen Vaters benötigt. Wie Herakles noch Zeus und im alten lyrischen Mythos der Stadtgott noch Samas, so braucht Simson noch seinen Gott und Vater Jahwe. Denn in der mythischen Sprache ist die Weissagung des Engels Jahwes an die Frau des Manoah: „Du sollst schwanger werden und einen Sohn gebären" (Richter 13,3c.5), gleichbedeutend mit Zeugung, wie denn auch fromme, mythische Denkweise die gleiche Botschaft des Engels an Maria, die Mutter Jesu (Lukas 1,31), nie anders verstehen konnte, als daß der Gott selber die Frau geschwängert hat. 4. Die Geburtsgeschichte Simsons hat Ähnlichkeiten mit der Geburtsgeschichte Samuels (I. Samuel l; vgl. 8,1). Die Ähnlichkeiten bedeuten keine Abhängigkeit der Mythen voneinander, sondern zeigen nur die gemeinsame Funktion an: Der Heros ist nicht wahrer Gott, sondern ein göttlicher Mann. Herakles war nie einer der vollblütigen zwölf Olympier, Simson nie ein Gott wie Samas oder Sin, Samuel nie Elohim. 5. Die Angaben im Bibeltext, die bestimmte geographische Punkte mit der Simsonsage verknüpfen, sind geschichtsätiologische Versuche, den Heros kultisch und rituell zu verankern. Sie sind Teile des Mythos. 165

wiedergekommen, weil sein Haupthaar lange Zeit nicht geschnitten<br />

worden war, <strong>und</strong> so ließ er sich bei einem Fest der hohen<br />

Philisterfürsten an <strong>die</strong> Mittelpfeiler des Saales führen, in dem er zur<br />

Belustigung der Anwesenden hatte <strong>die</strong>nen müssen, <strong>und</strong> riß <strong>die</strong><br />

Pfeiler um. Dabei stürzte das Dach ein <strong>und</strong> erschlug alle Gäste im<br />

Saal. Zugleich starben auch <strong>die</strong> dreitausend Leute, <strong>die</strong> auf dem<br />

Dach weilten. Simson starb mit unter den Trümmern. Seine<br />

Stammesbrüder aber holten ihn von dort <strong>und</strong> begruben ihn in der<br />

Gruft seines Vaters Manoah.<br />

Richter 13-16.<br />

1. Die biblische Geschichte von Simson ist in sich geschlossen. Die Versuche der<br />

biblischen Erzähler, ihn unter <strong>die</strong> Richter Israels zu zählen, sind fadenscheinig.<br />

Überall dringt durch, daß der Heros, dessen Name den „Sonnegeborenen" meint,<br />

kein Richter in Israel gewesen sein kann, weil er seine ganze Lebenszeit nicht in<br />

Israel verbracht hat.<br />

2. Verschiedene Details haben zu der Annahme geführt, im Simsonmythos eine<br />

Analogie zum Heraklesmythos zu sehen <strong>und</strong> für beide eine gemeinsame<br />

vorderasiatische Vorlage anzunehmen. Diese Theorie ist wahrscheinlich nicht ganz<br />

falsch. Sie ist eine Hypothese, deren Tragfähigkeit davon abhängt, ob es gelingt, <strong>die</strong><br />

Voraussetzung dafür, nämlich <strong>die</strong> vergleichsweise ähnlichen sozialökonomischen<br />

Bedingungen, zu fixieren. In der biblischen Geschichte ist <strong>die</strong> Landschaft Philistäa,<br />

<strong>die</strong> Gesellschaft <strong>die</strong> gut funktionierende philistäische Despotie (siehe dazu 4,4,b,1).<br />

Delila wird als Hure dargestellt. Die sozialökonomische Basis des Mythos vom<br />

Sonnenheros, der durch <strong>die</strong> Mondgöttin geopfert wird, indem sie ihm <strong>die</strong> Haare<br />

schneidet, ist aber <strong>die</strong> Großfamilie, <strong>die</strong> von der heiligen Königin <strong>und</strong> großen Mutter<br />

regiert wird.<br />

3. Deshalb ist nur anzunehmen, daß der alte Mythos in der biblischen Rezeption<br />

schon weiter von <strong>die</strong>ser Ausgangssituation entfernt liegt als <strong>die</strong> griechische. In der<br />

biblischen Rezeption wird das Schema noch beibehalten, daß der Heros stets noch<br />

<strong>die</strong> Gewalt seines göttlichen Vaters benötigt. Wie Herakles noch Zeus <strong>und</strong> im alten<br />

lyrischen Mythos der Stadtgott noch Samas, so braucht Simson noch seinen <strong>Gott</strong><br />

<strong>und</strong> Vater Jahwe. Denn in der mythischen Sprache ist <strong>die</strong> Weissagung des Engels<br />

Jahwes an <strong>die</strong> Frau des Manoah: „Du sollst schwanger werden <strong>und</strong> einen Sohn<br />

gebären" (Richter 13,3c.5), gleichbedeutend mit Zeugung, wie denn auch fromme,<br />

mythische Denkweise <strong>die</strong> gleiche Botschaft des Engels an Maria, <strong>die</strong> Mutter<br />

Jesu (Lukas 1,31), nie anders verstehen konnte, als daß der <strong>Gott</strong> selber <strong>die</strong><br />

Frau geschwängert hat.<br />

4. Die Geburtsgeschichte Simsons hat Ähnlichkeiten mit der<br />

Geburtsgeschichte Samuels (I. Samuel l; vgl. 8,1). Die Ähnlichkeiten bedeuten<br />

keine Abhängigkeit der Mythen voneinander, sondern zeigen nur <strong>die</strong><br />

gemeinsame Funktion an: Der Heros ist nicht wahrer <strong>Gott</strong>, sondern ein<br />

göttlicher Mann. Herakles war nie einer der vollblütigen zwölf Olympier,<br />

Simson nie ein <strong>Gott</strong> wie Samas oder Sin, Samuel nie Elohim.<br />

5. Die Angaben im Bibeltext, <strong>die</strong> bestimmte geographische Punkte mit der<br />

Simsonsage verknüpfen, sind geschichtsätiologische Versuche, den Heros<br />

kultisch <strong>und</strong> rituell zu verankern. Sie sind Teile des Mythos.<br />

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