Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie
Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie Beltz, Walter - Gott und die Götter - Biblische Mythologie
Grenzen des Nachbarn nicht respektierten, Blinde irreleiteten, das Recht der Witwen, Waisen und Fremden beugten, ihre Mutter, Schwester, Schwägerin oder Schwiegermutter beschliefen, einem Tiere beiwohnten, die Mörder waren, die ihre Nächsten verleumdeten oder die das Gesetz nicht hielten. Und das ganze Volk sollte sprechen: So sei es! Der Segen aber sollte sich auf die Arbeit in der Siedlung und auf dem Felde erstrecken, auf die Kinder und Ackerfrüchte, die Tiere und die Handelsgeräte, auf Eingang und Ausgang. Und Josua schrieb am Ebal vor den Augen Israels auf Steine das Gesetz des Mose. Alle Israeliten samt den Ältesten, Amtsleuten und Richtern standen vor der Lade den Leviten gegenüber, welche die Lade mit dem Gesetz Jahwes trugen. Ein Teil aber sah auf den Ebal, ein Teil auf den Garizim, wie Mose befohlen hatte. Und Josua verkündete das ganze Gesetz des Mose dem Volk. Andere erzählen, Josua habe auf dem Berge Ebal für Jahwe einen Altar gebaut, wie Mose befohlen hatte, und habe dort Opfer dargebracht. V. Mose 27,11-13.15-26; 28; Josua 8,30-35. 1. Die Verkündung des Dekalogs vom Ebal, der eigentlich ein Dodekalog, ein Zwölfgebot ist, erfolgt in der Sprache theokratischen Rechtes, erkennbar an der Formel: „Verflucht sei der ..." oder „gesegnet sei der ..." Zwölfmal ertönt die Formel: „Verflucht sei... Und das ganze Volk soll sagen: So sei es!" Die Zwölf zahl hängt offensichtlich mit der Zwölfzahl der Stämme zusammen, für die je ein Sprecher aufgerufen ist. 2. Das Deuteronomium unterteilt die vergangene Geschichte in Abschnitte, die jeweils durch Gesetzverkündungen markiert werden. Es kennt als höchste Form der göttlichen Offenbarung nur das Gesetz. Die deuteronomische Gestalt der Erzählung ist der Versuch, die alte kultische Bedeutung des nordisraelitischen Heiligtums Ebal/Garizim zu verdrängen, von dem der elohistische Erzähler weiß, daß Josua dort einen Altar gebaut hat. Deshalb wird ein Dekalog mit diesem Berg in Verbindung gebracht. Der deuteronomische Erzähler will erreichen, daß sich der Gedanke der einen, zentralen Kultstätte in Jerusalem durchsetzt, Offenbarungsorte für Gesetze sind ungefährlicher als im Lande verstreute Kultplätze. Darum setzt der Erzähler bewußt diese altertümliche Rechtssatzung an den Ebal/Garizim. Diese Fiktion haben die Samaritaner nach ihrer Trennung von Jerusalem lebendig gehalten und sehen bis heute im Berge Garizim den Ursprungsort von Jahwes Gesetz. 142
6.4 Zu Sichem Als Josua das Land erobert hatte, dachte er an Moses Befehl, das Volk Israel an das Gesetz des Mose zu erinnern, damit die Israeliten in dem Lande, das Gott Jahwe ihnen geben wollte, ruhig wohnen blieben. Denn es war ein Land, das von Milch und Honig überfloß. Und als er merkte, daß er sterben müßte, rief er das ganze Volk nach Sichern zusammen, nämlich die Ältesten, Familienvorsteher, Richter und Amtsleute, und sagte zu ihnen: Wenn ich nun den Weg gehe, den alle Welt gehen muß, so denkt daran, daß von Jahwes Verheißungen bisher alle erfüllt sind. Aber Jahwe wird auch alle Drohungen verwirklichen, bis zur Vertreibung aus diesem schönen Lande, wenn ihr seinem Gesetze untreu werdet. So fürchtet nun Gott Jahwe und schafft eure Götter ab, die ihr in Ägypten, in Mesopotamien und früher gehabt habt. Wollt ihr aber lieber diesen Göttern dienen oder den Göttern in diesem Lande, so entscheidet euch heute. Ich aber und mein Haus wollen Jahwe dienen. Da antwortete das ganze Volk: Auch wir wollen Jahwe dienen. Daraufhin verkündete Josua das Bündnis des Volkes mit Jahwe und gab dem Volk in Sichern Recht und Gesetz. Nun aber war in Sichern schon ein Heiligtum, mit einer großen Eiche. Und Josua richtete dort einen großen Stein auf und sagte: Dieser Stein hat alle Worte Jahwes gehört. Darum sei er unser Zeuge für den Bund. Danach starb Josua ben Nun im Alter von einhundertzehn Jahren. V. Mose 27,1-7; Josua 23; 24. 1. Sicher ist, daß Sichern ein vorisraelitisches Heiligtum war, das von einigen Stämmen des Nordens erobert und als Kultstätte übernommen worden war. Der deuteronomistische Erzähler unterdrückt die alte kultische Bedeutung des Ortes und weist ihm lediglich einen Platz in der Josualegende, nicht in der Moselegende, zu. Weil das Heiligtum von Sichern nach der Trennung des Nordreiches von Jerusalem durch Jerobeam (I. Könige 12,25) zur Königsresidenz geworden war, berichtet der Jerusalemer Erzähler, daß Josua in Sichern das Volk nur an das Gesetz des Mose erinnert und es darauf neu verpflichtet hat. Sicher aber ist, daß Sichern eine größere Bedeutung gehabt hat. Der Bundesschluß von Sichern unter Josua war die Gründung des Verteidigungsbundes der im Lande ansässig gewordenen Stämme. Davon erzählt der deuteronomistische Erzähler nichts mehr, weil er nur interessiert ist, die Besonderheit und Einmaligkeit Jerusalems zu beweisen. Die Bezeichnung des Siedlungsgebietes als „Land, das von Milch und Honig überfließt", ist ein weitverbreitetes religionsgeschichtliches Motiv. So lebt z. B. in der griechischen Mythologie die goldene Rasse im Zeitalter des Kronos ohne Sorgen und Arbeit. Sie ernährte sich vom Honig, der von den Bäumen 143
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6.4 Zu Sichem<br />
Als Josua das Land erobert hatte, dachte er an Moses Befehl, das<br />
Volk Israel an das Gesetz des Mose zu erinnern, damit <strong>die</strong> Israeliten<br />
in dem Lande, das <strong>Gott</strong> Jahwe ihnen geben wollte, ruhig wohnen<br />
blieben. Denn es war ein Land, das von Milch <strong>und</strong> Honig überfloß.<br />
Und als er merkte, daß er sterben müßte, rief er das ganze Volk<br />
nach Sichern zusammen, nämlich <strong>die</strong> Ältesten, Familienvorsteher,<br />
Richter <strong>und</strong> Amtsleute, <strong>und</strong> sagte zu ihnen: Wenn ich nun den Weg<br />
gehe, den alle Welt gehen muß, so denkt daran, daß von Jahwes<br />
Verheißungen bisher alle erfüllt sind. Aber Jahwe wird auch alle<br />
Drohungen verwirklichen, bis zur Vertreibung aus <strong>die</strong>sem schönen<br />
Lande, wenn ihr seinem Gesetze untreu werdet. So fürchtet nun<br />
<strong>Gott</strong> Jahwe <strong>und</strong> schafft eure <strong>Götter</strong> ab, <strong>die</strong> ihr in Ägypten, in<br />
Mesopotamien <strong>und</strong> früher gehabt habt. Wollt ihr aber lieber <strong>die</strong>sen<br />
<strong>Götter</strong>n <strong>die</strong>nen oder den <strong>Götter</strong>n in <strong>die</strong>sem Lande, so entscheidet<br />
euch heute. Ich aber <strong>und</strong> mein Haus wollen Jahwe <strong>die</strong>nen.<br />
Da antwortete das ganze Volk: Auch wir wollen Jahwe <strong>die</strong>nen.<br />
Daraufhin verkündete Josua das Bündnis des Volkes mit Jahwe <strong>und</strong><br />
gab dem Volk in Sichern Recht <strong>und</strong> Gesetz. Nun aber war in<br />
Sichern schon ein Heiligtum, mit einer großen Eiche. Und Josua<br />
richtete dort einen großen Stein auf <strong>und</strong> sagte: Dieser Stein hat alle<br />
Worte Jahwes gehört. Darum sei er unser Zeuge für den B<strong>und</strong>.<br />
Danach starb Josua ben Nun im Alter von einh<strong>und</strong>ertzehn Jahren.<br />
V. Mose 27,1-7; Josua 23; 24.<br />
1. Sicher ist, daß Sichern ein vorisraelitisches Heiligtum war, das von einigen<br />
Stämmen des Nordens erobert <strong>und</strong> als Kultstätte übernommen worden war.<br />
Der deuteronomistische Erzähler unterdrückt <strong>die</strong> alte kultische Bedeutung des<br />
Ortes <strong>und</strong> weist ihm lediglich einen Platz in der Josualegende, nicht in der<br />
Moselegende, zu. Weil das Heiligtum von Sichern nach der Trennung des<br />
Nordreiches von Jerusalem durch Jerobeam (I. Könige 12,25) zur<br />
Königsresidenz geworden war, berichtet der Jerusalemer Erzähler, daß Josua<br />
in Sichern das Volk nur an das Gesetz des Mose erinnert <strong>und</strong> es darauf neu<br />
verpflichtet hat. Sicher aber ist, daß Sichern eine größere Bedeutung gehabt<br />
hat. Der B<strong>und</strong>esschluß von Sichern unter Josua war <strong>die</strong> Gründung des<br />
Verteidigungsb<strong>und</strong>es der im Lande ansässig gewordenen Stämme. Davon<br />
erzählt der deuteronomistische Erzähler nichts mehr, weil er nur interessiert<br />
ist, <strong>die</strong> Besonderheit <strong>und</strong> Einmaligkeit Jerusalems zu beweisen.<br />
Die Bezeichnung des Siedlungsgebietes als „Land, das von Milch <strong>und</strong> Honig<br />
überfließt", ist ein weitverbreitetes religionsgeschichtliches Motiv. So lebt z. B.<br />
in der griechischen <strong>Mythologie</strong> <strong>die</strong> goldene Rasse im Zeitalter des Kronos<br />
ohne Sorgen <strong>und</strong> Arbeit. Sie ernährte sich vom Honig, der von den Bäumen<br />
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