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96 Heinz-Lother Barth der Kirche als kostbares Erbe überliefert worden. Wir nennen sie die mündliche Überlieferung oder die Erblehre. Die meisten dieser Wahrheiten wurden schon bald nach der Zeit der Apostel von heiligen und gelehrten Männern aufgeschrieben (Kirchenväter). Die Heilige Schrift und die Erblehre sind die beiden Quellen des Glaubens. Unter dem Beistand des Heiligen Geistes bewahrt die Kirche sie unverfälscht und schöpft aus ihnen ihre Lehre.« 178 Also finden wir hier abermals ein klares Bekenntnis zur Zwei- Quellen-Lehre vor, die eben bis zum II. Vatikanum mit moralischer Einstimmigkeit vom ordentlichen Lehramt der Kirche vertreten worden war. 179 Eine Stellungnahme in dieser Deutlichkeit hat man auf dem II. Vatikanum mit Blick auf die Protestanten vermieden, 180 wie Schauf detailliert in seinen Studien dokumentiert. 181 Selbst Konzilsväter, die inhaltlich eher der traditionellen Haltung zuneigten, 178 Zitat nach folgender mir vorliegender Ausgabe: Katholischer Katechismus der Bistümer Deutschlands, Leipzig o. J., Lizenzausgabe des Herderverlags (Freiburg 1955) für die Katholische Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik, 93. P. Umberto Betti beruft sich zu Recht gerade auf diesen deutschen Katechismus, um zu zeigen, wie die Kirche noch unmittelbar vor dem II. Vatikanum über die Entscheidung von Trient gedacht hat (Antonianum 38/1963, 31). 179 »Quidquid est de vocibus, nova theoria certe non satis rationem habet de consensu, moraliter unanimi, qui inde ab ortu Protestantismi in Ecclesia de insufficientia materiali Scripturae existit.« (D. van den Eynde OFM in einem Votum, das der Professor am Antonianum innerhalb der Gemischten Kommission zur Erarbeitung des Textes über Schrift und Tradition abgab; Zitat nach Schauf, in: Glaube im Prozeß – Für Karl Rahner, 75) 180 Welche Rolle dieser ökumenische Aspekt auf dem letzten Konzil allgemein gespielt hat, kann man jetzt vor allem dem schon erwähnten Buch von Brunero Gherardini, Concilio Ecumenico Vaticano II – Un discorso da fare entnehmen. Siehe auch Verf., Keine Einheit ohne Wahrheit! 81-85. 181 Siehe z.B. die Animadversio eines Konzilsteilnehmers: »In contextu oecumenico nostri temporis, talis additio inopportuna est, nam protestantibus certe valde displiceret.« (Schauf, Annuarium a. O. 465) Schauf warnte daher in einem Brief an Papst Paul VI. vor einer solchen Haltung der Bischöfe und Theologen, die er so beschrieb: »Ultimis diebus audivi theologum dicentem: Votatio de opportunitate pro nobis implicite votatio de ipsa re est. Via aperta est ad aliam quam doctrinam traditionalem.« (Schauf, Annuarium a. O. 442) Man vergleiche auch folgenden Auszug aus Tromps Relatio vom 28. September 1964: »In Commissione mixta maior pars tenebat esse traditionem additivam, plures tamen noluerunt ut hac de re ageretur ratione opportunitatis, ut v. g. E.mus Bea, qui dicebat se non velle declarationem doctrinalem, ut haberetur Constitutio quae esse posset basis colloquii cum Protestantibus. Clare dicendum est Commisssionem mixtam noluisse tangere doctrinam de Traditione additiva opportunitatis causa, et etiam hoc contradicentibus multis.« (Schauf, Annuarium a. O. 457) Tromp war der Lehrer Schaufs; er drängte darauf, wie sein Schüler, die Wahrheit nicht zugunsten des Dialogs mit den Protestanten zu verschweigen (s. z.B. Schauf, Annuarium a. O. 460). U. a. wies er darauf hin, daß jenes Argument der Opportunität nicht mehr durchschlage, seit Papst Paul VI. dogmatische Klarheit in der entscheidenden Frage gewünscht
Die katholische Lehre von den zwei Quellen der Offenbarung wie z. B. E. Florit, Erzbischof von Florenz, verzichteten auf entsprechend deutliche Anträge aus Gründen der Opportunität. 182 Leider versäumten all jene Bedenkenträger, einen ganz wichtigen Aspekt mit zu berücksichtigen, nämlich den ökumenischen Dialog mit den orientalischen Christen, die hier genauso denken wie die Katholiken und von denen man sich desto stärker entfernt, je mehr man sich den Protestanten anzunähern versucht 183 – übrigens nicht nur in der uns hier beschäftigenden Frage! Karl Rahners Erfolg auf dem II. Vatikanum Wie man dann eben auf dem II. Vatikanum vorging, offenbarte uns Karl Rahner 184 selbst in seinem Briefwechsel mit seinem »Meisterschüler« Herbert Vorgrimler. Dieser hatte nach dem Tod seines Lehrers nicht Besseres zu tun, als jene Rahner zum Teil geradezu demaskierende Korrespondenz zu veröffentlichen. In Rahners Brief vom 24. Februar 1963 lesen wir: »Man kann nun doch damit rechnen, daß über das genauere Verhältnis von Schrift und Tradition nichts gesagt wird (trotz des Jammers von Tromp, Ottaviani, Schauf, Ruffini, Balic usw.).« Rahner und seine Mitstreiter wollten eine Erklärung des Konzils im Sinne der traditionellen Lehre, wie sie noch Pius XII. verkündet hatte, unbedingt verhindern, damit sie nach der Kirchenversammlung ihre protestantisierenden Positionen ungehindert, womöglich noch mit Berufung auf das II. Vatikanum, zur Geltung bringen könnten. Diese Strategie, die leider recht erfolgreich sein sollte, deutete Rahner im Schreiben vom 1. März 1963 an Vorgrimler selbst an: »Vermutlich kommt es zur Annahme einer sehr nichtssagenden Formel. Macht nichts. habe, ob es nur eine explikative oder auch eine additive bzw. konstitutive mündliche Tradition göttlich-apostolischen Ursprungs gebe (Schauf, Annuarium a. O. 478). 182 Siehe Heribert Schaufs Tagebucheintragung vom 10.6.1964: »Schade, daß Florit so weich operiert hat. Seine persönliche Meinung sei, daß es die traditio constitutiva gebe, aber propter oppositionem silendum.« (H. Schauf, Annuarium Historiae Conciliorum 16/1984, 441) 183 Siehe z.B. Schauf, in: Glaube im Prozeß – Für Karl Rahner, 77: »Nachzutragen wäre noch dies, daß Franic [gemeint ist F. Franic, Bischof von Split] erklärte, in der Orthodoxie sei Unruhe darüber, daß die katholische Kirche ihre bisherige Lehre hinsichtlich Schrift und Tradition, die auch die Lehre der Orthodoxie sei, in Zweifel ziehen könne.« In einem Brief an Franic trug Schauf verschiedene Schwächen des geplanten Konzilstextes vor, u. a. äußerte er ganz im Sinne des Adressaten: »Attendendum esse ad Ecclesiam orientalem.« (Schauf, Annuarium Historiae Conciliorum 16/1984, 444) 184 Wie Rahner argumentierte, kann man v. a. der »Conclusio« seiner »Relatio de Animadversionibus Patrum circa Prooemium et Caput I Schematis ›De Divina Revelatione‹« entnehmen. Sie ist abgedruckt bei Schauf, in: Glaube im Prozeß – Für Karl Rahner, 81-87. Schauf reagierte mit einer eigenen Stellungnahme hierauf (ebd. 92-97). Vgl. auch seine zuvor abgedruckte eigene Relatio (ebd. 87-92). 97
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der Kirche als kostbares Erbe überliefert worden. Wir nennen sie die mündliche Überlieferung<br />
oder die Erblehre. Die meisten dieser Wahrheiten wurden schon bald nach<br />
der Zeit der Apostel von heiligen und gelehrten Männern aufgeschrieben (Kirchenväter).<br />
Die Heilige Schrift und die Erblehre sind die beiden Quellen des Glaubens. Unter<br />
dem Beistand des Heiligen Geistes bewahrt die Kirche sie unverfälscht und schöpft<br />
aus ihnen ihre Lehre.« 178 Also finden wir hier abermals ein klares Bekenntnis zur Zwei-<br />
Quellen-Lehre vor, die eben bis zum II. Vatikanum mit moralischer Einstimmigkeit<br />
vom ordentlichen Lehramt der Kirche vertreten worden war. 179<br />
Eine Stellungnahme in dieser Deutlichkeit hat man auf dem II. Vatikanum mit Blick<br />
auf die Protestanten vermieden, 180 wie Schauf detailliert in seinen Studien dokumentiert.<br />
181 Selbst Konzilsväter, die inhaltlich eher der traditionellen Haltung zuneigten,<br />
178 Zitat nach folgender mir vorliegender Ausgabe: Katholischer Katechismus der Bistümer<br />
<strong>Deutschland</strong>s, Leipzig o. J., Lizenzausgabe des Herderverlags (Freiburg 1955) für die Katholische<br />
Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik, 93. P. Umberto Betti beruft sich<br />
zu Recht gerade auf diesen deutschen Katechismus, um zu zeigen, wie die Kirche noch unmittelbar<br />
vor dem II. Vatikanum über die Entscheidung von Trient gedacht hat (Antonianum<br />
38/1963, 31).<br />
179 »Quidquid est de vocibus, nova theoria certe non satis rationem habet de consensu, moraliter<br />
unanimi, qui inde ab ortu Protestantismi in Ecclesia de insufficientia materiali Scripturae<br />
existit.« (D. van den Eynde OFM in einem Votum, das der Professor am Antonianum innerhalb<br />
der Gemischten Kommission zur Erarbeitung des Textes über Schrift und Tradition<br />
abgab; Zitat nach Schauf, in: Glaube im Prozeß – Für Karl Rahner, 75)<br />
180 Welche Rolle dieser ökumenische Aspekt auf dem letzten Konzil allgemein gespielt hat,<br />
kann man jetzt vor allem dem schon erwähnten Buch von Brunero Gherardini, Concilio<br />
Ecumenico Vaticano II – Un discorso da fare entnehmen. Siehe auch Verf., Keine Einheit<br />
ohne Wahrheit! 81-85.<br />
181 Siehe z.B. die Animadversio eines Konzilsteilnehmers: »In contextu oecumenico nostri temporis,<br />
talis additio inopportuna est, nam protestantibus certe valde displiceret.« (Schauf, Annuarium<br />
a. O. 465) Schauf warnte daher in einem Brief an Papst Paul VI. vor einer solchen<br />
Haltung der Bischöfe und Theologen, die er so beschrieb: »Ultimis diebus audivi theologum<br />
dicentem: Votatio de opportunitate pro nobis implicite votatio de ipsa re est. Via aperta<br />
est ad aliam quam doctrinam traditionalem.« (Schauf, Annuarium a. O. 442) Man vergleiche<br />
auch folgenden Auszug aus Tromps Relatio vom 28. September 1964: »In Commissione<br />
mixta maior pars tenebat esse traditionem additivam, plures tamen noluerunt ut hac de re<br />
ageretur ratione opportunitatis, ut v. g. E.mus Bea, qui dicebat se non velle declarationem<br />
doctrinalem, ut haberetur Constitutio quae esse posset basis colloquii cum Protestantibus.<br />
Clare dicendum est Commisssionem mixtam noluisse tangere doctrinam de Traditione additiva<br />
opportunitatis causa, et etiam hoc contradicentibus multis.« (Schauf, Annuarium a. O.<br />
457) Tromp war der Lehrer Schaufs; er drängte darauf, wie sein Schüler, die Wahrheit nicht<br />
zugunsten des Dialogs mit den Protestanten zu verschweigen (s. z.B. Schauf, Annuarium a.<br />
O. 460). U. a. wies er darauf hin, daß jenes Argument der Opportunität nicht mehr durchschlage,<br />
seit Papst Paul VI. dogmatische Klarheit in der entscheidenden Frage gewünscht