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70 Heinz-Lother Barth mit dem Fall der neutestamentlichen Überlieferung, sie werden daher durch das zwar disjunktive, aber nicht scharf trennende »vel« verbunden. Die schriftliche Offenbarung der Bibel hingegen ist von der mündlichen apostolischen und dann teilweise schriftlich fixierten Tradition stärker geschieden und, um diesen Sachverhalt sprachlich zu verdeutlichen, sogar durch ein markanteres »aut« abgeteilt. H. M. Köster interpretiert diese Aussage zutreffend so: »Das hier abweichend von dem et der Trienter Formulierung überraschend gewählte aut hat nach Ausweis der Lexika 114 deutlich den Sinn einer zu einem Vorgenannten (also hier: zu Lehrinhalten der Hl. Schrift) ausschließenden, mithin inhaltlich unterscheidenden Abhebung.« Zuvor hatte Köster es sogar für möglich erklärt, daß Johannes XXIII. mit seiner Formulierung unausgesprochen und vorsichtig auf die damals neuentbrannte Kontroverse hatte Bezug nehmen wollen. 115 Folglich urteilte Heribert Schauf ganz richtig, als er auf dem Konzil für seinen Beitrag zugunsten der mündlichen apostolischen Tradition (»Relatio de Animadversionibus Patrum circa Relationem inter Traditionem et S. Scripturam«) sich auf den Pontifex berief: »Quid de Verbis Joannis XXIII. seu de illo ›aut‹?« 116 Richtiges Verständnis des »partim – partim« Die Tatsache, daß etwas sowohl in der einen als auch in der anderen Offenbarungsquelle des apostolischen Zeitalters enthalten sein kann, was zu betonen Geiselmann so wichtig erschien, hätte ja im übrigen wohl kein vernünftiger Katholik jemals bestritten! Aber im Sinne einer dem widersprechenden, scharfen Alternative muß und darf man die ursprüngliche Textversion des Tridentinums auch gar nicht interpretieren. 117 Andernfalls würde man den Konzilsvätern von Trient und denjenigen Theologen, von 114 In der Fußnote werden Beispiele von Wörterbüchern angeführt, die Kösters Deutung stützen. Die beiden wichtigsten Nachschlagewerke, die auch damals schon existierten, sind allerdings nicht berücksichtigt, was einem Nichtphilologen verziehen werden kann. Es handelt sich um den »Thesaurus linguae Latinae« und den »Tursellinus« von Hand (zu ihm weiter unten). Das sprachliche Ergebnis ändert sich aber nicht, wenn auch sie konsultiert werden. 115 H. M. Köster, Der Stand der Frage über das Verhältnis von Schrift und Tradition unter Berücksichtigung der Mariologie, in: Schrift und Tradition, 21 f. Im Anschluß an Kösters Aufsatz (29-36) ist übrigens eine nützliche »Bibliographie zum Stand der Frage über das Verständnis von Schrift und Tradition unter Berücksichtigung der Mariologie« abgedruckt. 116 Siehe H. Schauf, in: Glaube im Prozeß – Für Karl Rahner, 88. 117 So hat sie sicherlich auch weder Johannes XXIII. noch Köster als sein Interpret trotz des Gebrauchs der Konjunktion »aut« verstanden wissen wollen. Es ging eben nur darum, die beiden grundsätzlich möglichen Fälle von Offenbarung, hier Heilige Schrift, dort mündliche apostolische Tradition, deutlicher voneinander abzuheben, als dies für die Unterfälle des letzteren Bereichs gilt, die ihrerseits dann durch ein »vel« differenziert werden: (quae) ore tenus vel scriptis sunt tradita.
Die katholische Lehre von den zwei Quellen der Offenbarung denen sie vielleicht die »partim – partim« – Formel übernommen hatten 118 , ein geradezu unsinniges Vorgehen unterstellen. Ein kleines Beispiel aus dem täglichen Leben soll das richtige Verständnis eines solchen disjunktiven Ausdrucks veranschaulichen. Nehmen wir einmal an, jemand sagt, Hans habe seine verschiedenen Begabungen teils vom Vater, teils von der Mutter geerbt. Auf Latein könnte man diesen Gedanken als direkte Aussage etwa so formulieren: »Iohannes varias suas indoles a natura partim patris, partim matris accepit.« Hans ist nun sehr musikalisch begabt und spielt mehrere Instrumente. Derselben Begabung erfreut sich auch seine Mutter. Er scheint sie also von ihr geerbt zu haben. Ist durch die Formulierung des Satzes aber streng ausgeschlossen, daß auch der Vater mehrere Instrumente spielt und daß Hans auch ihm dieses Talent verdankt? Doch offenbar nicht! Aus dem vorgelegten Satz kann man also nicht logisch zwingend schließen, daß es keine Überschneidungen geben darf. 119 Solche Überschneidungen sind bei derartigen Aussagen immer dann möglich, wenn für eine Größe C die Herkunft bestimmter Phänomene, die ihr eigen sind, teils aus einer Größe A, teils aus einer Größe B behauptet wird, A und B aber ihrerseits bei diesen Phänomenen von Natur aus über Schnittmengen verfügen. Und das ist genau bei der schriftlichen und mündlichen Tradition der Offenbarung eben selbstverständlich der Fall! Man mag Geiselmann höchstens konzedieren, daß diese Tatsache in der endgültigen Formulierung etwas klarer zum Ausdruck kommt, daß das »et« eben die beiden Quellen etwas weniger scharf trennt 120 . Insofern könnte auch, ohne daß sich das allerdings 118 Geiselmann (1962, 92) verweist vor allem auf Eck und Driedo. 119 Auch Ferdinand Hand arbeitet mit Literaturbelegen in seinem berühmten »Tursellinus seu De particulis Latinis Commentarii« (Lipsiae 1845, IV 395 f.) heraus, daß bei der Verwendung von »partim« – »partim« kein streng disjunktiver Charakter der Aussage vorliegen muß. 120 Diese Möglichkeit gesteht auch Johannes Beumer zu (Scholastik 34/1959, 258): »Die Tradition hat das Konzil von Trient nicht bloß neben der Schrift ›erwähnt‹, sondern mit aller Deutlichkeit herausgestellt, wie es das Anliegen der Glaubensverteidigung gegenüber der Reformation erforderte. Das ›et‹ der Definition unterscheidet sich nicht wesentlich von dem ›partim – partim‹ des Entwurfes und besagt an der Stelle dasselbe, obschon ersteres ohne Zweifel einen besseren Ausdruck bietet und wirksamer die Fehldeutung ausschließt, als ob einer Aufteilung der Offenbarung in zwei selbständige Inhaltsbereiche das Wort geredet werden solle.« Ähnlich, aber der vor allem von Geiselmann propagierten These weiter (vielleicht schon zu weit) entgegenkommend, schrieb Hubert Jedin: »Erst in der Generalkongregation vom 7. April wurde das Dekret, nunmehr endgültig, approbiert. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde das partim–partim durch ein et–et (sic! Im Trienter Text steht nur ein »et«; H-L B) ersetzt und damit der Minderheit an einer entscheidenden Stelle doch noch entgegengekommen.« (Geschichte des Konzils von Trient, II 72) – »Das Ansinnen, zwei getrennte Offenba- 71
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Die katholische Lehre von den zwei Quellen der Offenbarung<br />
denen sie vielleicht die »partim – partim« – Formel übernommen hatten 118 , ein geradezu<br />
unsinniges Vorgehen unterstellen.<br />
Ein kleines Beispiel aus dem täglichen Leben soll das richtige Verständnis eines solchen<br />
disjunktiven Ausdrucks veranschaulichen. Nehmen wir einmal an, jemand sagt, Hans<br />
habe seine verschiedenen Begabungen teils vom Vater, teils von der Mutter geerbt. Auf<br />
Latein könnte man diesen Gedanken als direkte Aussage etwa so formulieren: »Iohannes<br />
varias suas indoles a natura partim patris, partim matris accepit.« Hans ist nun sehr<br />
musikalisch begabt und spielt mehrere Instrumente. Derselben Begabung erfreut sich<br />
auch seine Mutter. Er scheint sie also von ihr geerbt zu haben. Ist durch die Formulierung<br />
des Satzes aber streng ausgeschlossen, daß auch der Vater mehrere Instrumente<br />
spielt und daß Hans auch ihm dieses Talent verdankt? Doch offenbar nicht! Aus dem<br />
vorgelegten Satz kann man also nicht logisch zwingend schließen, daß es keine Überschneidungen<br />
geben darf. 119 Solche Überschneidungen sind bei derartigen Aussagen<br />
immer dann möglich, wenn für eine Größe C die Herkunft bestimmter Phänomene,<br />
die ihr eigen sind, teils aus einer Größe A, teils aus einer Größe B behauptet wird, A<br />
und B aber ihrerseits bei diesen Phänomenen von Natur aus über Schnittmengen verfügen.<br />
Und das ist genau bei der schriftlichen und mündlichen Tradition der Offenbarung<br />
eben selbstverständlich der Fall!<br />
Man mag Geiselmann höchstens konzedieren, daß diese Tatsache in der endgültigen<br />
Formulierung etwas klarer zum Ausdruck kommt, daß das »et« eben die beiden Quellen<br />
etwas weniger scharf trennt 120 . Insofern könnte auch, ohne daß sich das allerdings<br />
118 Geiselmann (1962, 92) verweist vor allem auf Eck und Driedo.<br />
119 Auch Ferdinand Hand arbeitet mit Literaturbelegen in seinem berühmten »Tursellinus seu<br />
De particulis Latinis Commentarii« (Lipsiae 1845, IV 395 f.) heraus, daß bei der Verwendung<br />
von »partim« – »partim« kein streng disjunktiver Charakter der Aussage vorliegen muß.<br />
120 Diese Möglichkeit gesteht auch Johannes Beumer zu (Scholastik 34/1959, 258): »Die Tradition<br />
hat das Konzil von Trient nicht bloß neben der Schrift ›erwähnt‹, sondern mit aller<br />
Deutlichkeit herausgestellt, wie es das Anliegen der Glaubensverteidigung gegenüber der<br />
Reformation erforderte. Das ›et‹ der Definition unterscheidet sich nicht wesentlich von dem<br />
›partim – partim‹ des Entwurfes und besagt an der Stelle dasselbe, obschon ersteres ohne<br />
Zweifel einen besseren Ausdruck bietet und wirksamer die Fehldeutung ausschließt, als ob<br />
einer Aufteilung der Offenbarung in zwei selbständige Inhaltsbereiche das Wort geredet<br />
werden solle.«<br />
Ähnlich, aber der vor allem von Geiselmann propagierten These weiter (vielleicht schon<br />
zu weit) entgegenkommend, schrieb Hubert Jedin: »Erst in der Generalkongregation vom<br />
7. April wurde das Dekret, nunmehr endgültig, approbiert. Spätestens zu diesem Zeitpunkt<br />
wurde das partim–partim durch ein et–et (sic! Im Trienter Text steht nur ein »et«; H-L B) ersetzt<br />
und damit der Minderheit an einer entscheidenden Stelle doch noch entgegengekommen.«<br />
(Geschichte des Konzils von Trient, II 72) – »Das Ansinnen, zwei getrennte Offenba-<br />
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