2. Una Voce - Una Voce Deutschland eV

58 Heinz-Lother Barth
dene Stellungnahmen anderer Konzilsväter in den Akten der Kirchenversammlung, aus
denen ganz klar und unbestritten hervorgeht, daß man der protestantischen Irrlehre des
»sola scriptura«- Prinzips einen Riegel vorschieben wollte. Darauf deutet ja auch schon die
erklärte Absicht des Tridentinums hin, neben der Reform der Sitten in der katholischen
Kirche die Häresien zu bekämpfen, wie es mehrfach erwähnt wird. 75 Es gibt nicht den
geringsten wirklich überzeugenden Hinweis darauf, daß der Ersatz des »partim – partim«
diese Absicht hätte zunichte machen oder zumindest relativieren sollen. 76 Im Gegenteil,
der Kardinallegat Cervini sagte am 6. April ausdrücklich, es seien kleine Änderungen am
Text vorgenommen worden, aber nicht in wesentlichen Dingen (»non tamen in substantia«).
Also bewertete er – im Unterschied zu Geiselmann und allen Theologen, die ihm
folgen – die Ersetzung von »partim – partim« durch »et« nicht als inhaltlich wesentliche
Korrektur. 77 Es wurde ja sogar ein entsprechender Kanon mit Anathem-Formel gegen
die Protestanten erlassen, der den Wortlaut hat: »Wer aber diese Bücher nicht vollständig
mit allen ihren Teilen, wie sie in der katholischen Kirche gelesen zu werden pflegen und
in der alten lateinischen Vulgata-Ausgabe enthalten sind, als heilig und kanonisch anerkennt
und die vorher erwähnten Überlieferungen (et traditiones praedictas, Kursivsetzung
ganz unglaubwürdig.« (Ein Versuch zur Frage des Traditionsbegriffs, 129 f., Anm. 22; dort
führt Ratzinger noch weitere Stellen aus der Konzilsausgabe der Görres-Gesellschaft auf,
die für das Verständnis von Nacchiantis Position eine gewisse Bedeutung haben). Allerdings
erhob Nacchianti in der Generalkongregation vom 5. April Bedenken gegen die völlige
Gleichsetzung der mündlichen mit der schriftlichen Tradition apostolischen Ursprungs,
was die ihr von der Kirche entgegengebrachte Hochachtung und Verehrung betrifft (CT V,
Nr. 30, S. 71, 16 f.; 32-34; 40 f.; 43-46). Diese beiden Fragen sind aber voneinander zu scheiden.
So richtig Lennerz, Gregorianum 40/1959, 47 Anm. 10. In seiner umfangreichen Fußnote
führt Lennerz eine Reihe von Stimmen zum Bischof von Chioggia an, aus denen er den
berechtigten Schluß zieht: »Es dürfte schwer sein, anzunehmen, dass Nacchianti einen so
grossen Einfluß auf die Konzilsväter ausgeübt hat, wie Prof. G. zu vermuten scheint.«
75 »ad exstirpationem haeresum« (Decretum de inchoando concilio; Dekrete der ökumenischen
Konzilien, hg. von Josef Wohlmuth, III 660, 4 f.) – »quae (sc. res) duobus illis capitibus
de exstirpandis haeresibus et moribus reformandis continentur« (Recipitur symbolum
fidei catholicae; a. O. 662, 6 f.). Siehe vor allem in unserem Dekret, einige Zeilen oberhalb
des diskutierten Textes: »ut sublatis errorribus puritas ipsa evangelii in ecclesia conservetur«
(Decretum primum: recipiuntur libri sacri et traditiones apostolorum; a. O. 663, 17 f.).
Im ersten Entwurf hatte es übrigens geheißen: «puritas ipsa evangelii Dei». Der Zusatz «in
ecclesia« (unter Auslassung des inhaltlich nicht notwendigen Genitivs »Dei«) verstärkt noch
den Gegensatz zur Lehre der Reformatoren (siehe Ortigues, RSR 36/1949, 285).
76 «Ainsi donc au lieu de trouver dans les Actes la moindre indication d’un changement dans
les intentions du concile, nous le voyons, du principe à la fin, résolu à affirmer l’existence
des traditions apostoliques qui ne sont pas écrites dans les livres du Nouveau Testament.»
(Charles Boyer, Traditions apostoliques non écrites, Doctor communis 15/1962, 13)
77 Richtig Alois Spindeler, Pari pietatis affectu – Das Tridentinum über die Heilige Schrift und
apostolische Überlieferungen, in: Schrift und Tradition, 79 f. Spindelers Beitrag war zunächst
in »Theologie und Glaube« (51,3/1961, 161-180, hier 174) veröffentlicht worden.