2. Una Voce - Una Voce Deutschland eV
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114 Heinz-Lother Barth<br />
Für sein Verständnis des konziliaren Auftrags berief sich der spätere Papst (a. O. 19)<br />
vor allem auf die Konstitution über die göttliche Offenbarung »Dei verbum«, und zwar<br />
Nr. 8 ( 2 LThK 13, 519), wo der Begriff »Fülle der göttlichen Wahrheit« vorkommt, der<br />
»die Kirche im Gang der Jahrhunderte ständig entgegenstrebt, bis an ihr sich Gottes<br />
Worte erfüllen« (»Ecclesia scilicet, volventibus saeculis, ad plenitudinem divinae veritatis<br />
iugiter tendit, donec in ipsa consummentur verba Dei«). So mißverständlich diese<br />
Formulierung auch sein mag, hätte Karol Wojtyla doch unbedingt erwähnen müssen,<br />
daß im Konzilstext unmittelbar zuvor der »Fortschritt der apostolischen Überlieferung«<br />
(»Haec quae est ab Apostolis Traditio sub assistentia Spiritus Sancti in Ecclesia proficit«)<br />
streng gebunden ist an ein reines Wachstum im Verständnis der überlieferten Dinge und<br />
Worte (»crescit enim tam rerum quam verborum traditorum perceptio«, DV 8) 215 , daß<br />
also das von Gott Offenbarte »für alle Zeiten unversehrt erhalten bleiben sollte« (»ut in<br />
aevum integra permanerent«, DV 7,1, 2 LThK 13, 514). Leo Elders kommentierte DV<br />
8 korrekt mit den Worten: »Die Konstitution spricht von einem Fortschritt in unserem<br />
Verständnis der in der Offenbarung überlieferten Botschaft, aber nicht in der von<br />
Christus gebrachten Offenbarung selbst. Dies wird nochmals in der abschließenden<br />
Bemerkung unterstrichen, daß das Lehramt nichts lehrt als das, was überliefert ist. Weil<br />
die Dogmatische Konstitution eher versöhnen wollte, als zugespitzte Lösungen formulieren,<br />
hat sich die Debatte hernach weiter fortgesetzt.« 216<br />
Joseph Ratzingers Offenbarungsbegriff<br />
Ein ähnliches Problem, wie es uns beim verstorbenen Papst begegnet ist, läßt sich auch<br />
in manchen Bemerkungen diagnostizieren, die man im früheren Oeuvre des derzeitigen<br />
Pontifex findet. Es wird bei Joseph Ratzinger nicht immer ganz klar, wie weit die<br />
»lebendige Tradition« in der Ausdeutung der Offenbarung gehen darf: Gibt es nach der<br />
apostolischen Zeit irgendwelche weiteren »Offenbarungen«? Unschärfen in dieser für die<br />
Kirche so entscheidenden Frage hat offenbar nicht ganz zu Unrecht Michael Schmaus<br />
der Habilitationsschrift des jetzigen Heiligen Vaters vorgeworfen, die unter den Titel<br />
»Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura« gestellt worden 217 und vor allem<br />
215 Zum richtigen Verständnis der viel diskutierten Stelle siehe Verf., Überlegungen zum katholischen<br />
Traditionsbegriff, UVK19/1989, 309-324. Vgl. auch ds., Von der Unveränderbarkeit<br />
der Dogmen, Kirchliche Umschau 13,6/2010, 40-49.<br />
216 Leo Elders S.V.D., Gespräche mit Thomas von Aquin, hg. von David Berger und Jörgen Vijgen,<br />
Quaestiones non disputatae Bd. X, Siegburg 2005, 193.<br />
217 Die zentralen Thesen der Schrift stellt Maximilian Heinrich Heim kurz vor: Joseph Ratzinger,<br />
Kirchliche Existenz und existenzielle Theologie – Ekklesiologische Grundlinien unter<br />
dem Anspruch von Lumen gentium. Mit einen Geleitwort von Joseph Kardinal Ratzinger,<br />
<strong>2.</strong> korrigierte und ergänzte Aufl. Frankfurt/M. 2005, 156-159.