Die Orgel der Wieskirche - iWEST

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30.12.2012 Aufrufe

Wie gingen Sie vor, um das Phänomen »süddeutsche Orgel« zu erfassen? CW: Als »süddeutschem« Orgelbauer sind mir wesentliche Grundlagen dieses Typus bekannt. Auch haben wir eine Klangreise zu Orgeln aus der Mitte des 18. Jahrhunderts unternommen: Ettal, Benediktbeuren, Landsberg, Irsee, u. a. Diese Instrumente sind materiell fast original erhalten und vor allem klanglich hoch interessant, auch wenn sie teilweise verändert wurden. Sie entwickeln einen bestimmten »Sound«, an dem wir unser Gehör trainiert haben, um ihn soweit wie möglich zu verinnerlichen. Wie haben Sie diese Erkenntnisse auf die Wies-Orgel übertragen? AS: Die Erkenntnisse aus der Klangreise haben wir technisch wie musikalisch analysiert. Technisch bedeutet, die Bauform und Behandlung von Pfeifen genau zu vergleichen. Musikalisch bedeutet, dass wir stets nach der Funktion des Registers innerhalb des Tonsatzes fragten. Danach haben wir die Originalpfeifen sortiert und fehlende Töne baugleich ergänzt. Zwischenzeitliche Veränderungen am historischen Pfeifenwerk haben wir belassen, sofern sie sich in die Klangästhetik einer süddeutschen Orgel einfügten. Es wäre nicht vertretbar gewesen, mit großem Aufwand auf einen unsicheren Zustand hin zu rekonstruieren – und womöglich ein unbefriedigendes Ergebnis zu erhalten. Wie gestalteten Sie die Ergänzungen und die zusätzlichen Register? AS: Wir haben versucht, aus dem Klangvorrat süddeutscher Barockorgeln zu schöpfen ohne einfach zu kopieren. Dabei zeigte sich, dass er in den feinen Schattierungen von Farbe und Dynamik schon sehr nahe an die Vorstellung der Romantik heranreicht. Demzufolge haben wir alle Ergänzungen und Zutaten ebenfalls aus dem »Klangbaukasten« süddeutscher Orgeln gewählt. So wurde das dritte Werk ein Echo, wie es in vergleichbaren Orgeln vorkommt. Es steht hinter dem Hauptgehäuse und ist reichhaltig ausgestattet. Durch den Tonumfang von C bis g 3 und bewegliche Klangabstrahlungs-Elemente im Echowerk bietet der komplettierte süddeutsche Fundus erheblich mehr Möglichkeiten für das Literaturspiel. Herr Schwingshandl, was ist Intonation? AS: Das ist quasi der Gesangsunterricht für jede einzelne der 2.892 Orgelpfeifen: Jeder Ton wird in Klangfarbe, Intensität und Sprachverhalten exakt eingestellt. Dabei genügt nicht ein möglichst perfekter Ausgleich; das ergäbe ein steriles Klangbild – destilliertem, keimfreiem Wasser vergleichbar. Unser Ziel ist ein lebendiger, natürlicher Klang, der (um im Bild zu bleiben) Mineralstoffe enthält – ein leichtes Zischen am Anfang oder minimalste Reibungen. Einen solchen Klang kann man mit dem Gehör verkosten. Und schließlich bilden wir ja nicht 40

ein paar Tausend Solisten aus; vielmehr soll sich jede einzelne Orgelpfeife in alle erdenklichen Register-Ensembles harmonisch einfügen. Besonders schön war, dass der „Unterricht“ in diesem Fall auch umgekehrt stattfand: Die historischen Orgelpfeifen lehrten uns, was zu tun und vor allem was zu lassen sei. Was hat sich an der Orgel-Anlage gegenüber dem Vorgängerinstrument geändert? CW: So ziemlich alles. In der Ära Gerhard Schmid herrschte gegenüber heute in vielem eine andere Auffassung. Auch wenn die frühere Wies-Orgel einen gewissen Nimbus besaß, hätte eine wie auch immer geartete »Mitverwertung« zu keinem homogenen Ergebnis geführt. Natürlich musste das unten im Hauptgehäuse eingepferchte Schwellwerk entfernt werden. Und der Schmidsche Spieltisch von 1958 glich einem amerikanischen Straßenkreuzer, der falsch geparkt war und eine Menge Platz verbrauchte. Nach dem Entkernen der Orgelanlage haben wir die beschädigten Gehäuse von Hauptwerk und Brüstungspositiven behutsam stabilisiert und ergänzt. Hinter dem Hauptgehäuse entstand ein passender Anbau, in dem wir das neue Echo und das Pedalwerk unterbringen konnten. Alle Windladen wurden neu gebaut. Dabei haben wir die Register nach historischem Vorbild so positioniert, wie sie als Klanggruppen bevorzugt zusammen gespielt werden – wie in einem Orchester. So erreichten wir das geschlossene Klangbild im Plenum. Wie lässt sich eine so komplexe Anlage mit 42 Registern steuern? CW: Bei Instrumenten dieser Größe wird heute stets zweigleisig gefahren. Man spricht von dualen Systemen. Einerseits haben wir den Funktionen nach eine rein mechanische Orgel gebaut, wo alles nach den Hebelgesetzen konstruiert ist, jederzeit reparierbar, ohne Ersatzteilprobleme. Obwohl hier bestimmte Teile aus Karbon bestehen, handelt es sich im Grunde um die gleiche Mechanik, wie es sie schon in der Barockzeit gab. Zum anderen gibt es elektrische und elektronische Additive der neuesten Generation für eine integrierte, computergestützte Schaltung und Speicherung tausender Klangvariationen, was vor allem von Konzertorganisten sehr geschätzt wird. Die gesamte Steuerung läuft in einem dreimanualigen Spieltisch zusammen. Auch hier wurde wieder entdecktes Originalmaterial von 1757 eingearbeitet. Orgelbaumeister Gunnar Schmid hat der Wies-Gemeinde großzügigerweise aus seinem Lagerbestand das weitgehend vorhandene Originalgehäuse des Ur-Spieltisches überlassen. Die daraus jetzt neu kreierte Spielanlage ist kein nostalgisches Stilmöbel, sondern ein hoch funktionaler Organisten-Arbeitsplatz des 21. Jahrhunderts mit Stilmitteln aus der Ästhetik des süddeutschen Barock. 41

ein paar Tausend Solisten aus; vielmehr soll sich jede einzelne <strong>Orgel</strong>pfeife in alle erdenklichen<br />

Register-Ensembles harmonisch einfügen. Beson<strong>der</strong>s schön war, dass <strong>der</strong> „Unterricht“ in<br />

diesem Fall auch umgekehrt stattfand: <strong>Die</strong> historischen <strong>Orgel</strong>pfeifen lehrten uns, was zu tun<br />

und vor allem was zu lassen sei.<br />

Was hat sich an <strong>der</strong> <strong>Orgel</strong>-Anlage gegenüber dem Vorgängerinstrument geän<strong>der</strong>t?<br />

CW: So ziemlich alles. In <strong>der</strong> Ära Gerhard Schmid herrschte gegenüber heute in vielem eine<br />

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eine wie auch immer geartete »Mitverwertung« zu keinem homogenen Ergebnis geführt.<br />

Natürlich musste das unten im Hauptgehäuse eingepferchte Schwellwerk entfernt werden. Und<br />

<strong>der</strong> Schmidsche Spieltisch von 1958 glich einem amerikanischen Straßenkreuzer, <strong>der</strong> falsch<br />

geparkt war und eine Menge Platz verbrauchte. Nach dem Entkernen <strong>der</strong> <strong>Orgel</strong>anlage haben<br />

wir die beschädigten Gehäuse von Hauptwerk und Brüstungspositiven behutsam stabilisiert<br />

und ergänzt. Hinter dem Hauptgehäuse entstand ein passen<strong>der</strong> Anbau, in dem wir das neue<br />

Echo und das Pedalwerk unterbringen konnten. Alle Windladen wurden neu gebaut. Dabei<br />

haben wir die Register nach historischem Vorbild so positioniert, wie sie als Klanggruppen<br />

bevorzugt zusammen gespielt werden – wie in einem Orchester. So erreichten wir das<br />

geschlossene Klangbild im Plenum.<br />

Wie lässt sich eine so komplexe Anlage mit 42 Registern steuern?<br />

CW: Bei Instrumenten dieser Größe wird heute stets zweigleisig gefahren. Man spricht von<br />

dualen Systemen. Einerseits haben wir den Funktionen nach eine rein mechanische <strong>Orgel</strong><br />

gebaut, wo alles nach den Hebelgesetzen konstruiert ist, je<strong>der</strong>zeit reparierbar, ohne Ersatzteilprobleme.<br />

Obwohl hier bestimmte Teile aus Karbon bestehen, handelt es sich im Grunde um<br />

die gleiche Mechanik, wie es sie schon in <strong>der</strong> Barockzeit gab. Zum an<strong>der</strong>en gibt es elektrische<br />

und elektronische Additive <strong>der</strong> neuesten Generation für eine integrierte, computergestützte<br />

Schaltung und Speicherung tausen<strong>der</strong> Klangvariationen, was vor allem von Konzertorganisten<br />

sehr geschätzt wird. <strong>Die</strong> gesamte Steuerung läuft in einem dreimanualigen Spieltisch zusammen.<br />

Auch hier wurde wie<strong>der</strong> entdecktes Originalmaterial von 1757 eingearbeitet. <strong>Orgel</strong>baumeister<br />

Gunnar Schmid hat <strong>der</strong> Wies-Gemeinde großzügigerweise aus seinem Lagerbestand<br />

das weitgehend vorhandene Originalgehäuse des Ur-Spieltisches überlassen. <strong>Die</strong> daraus jetzt<br />

neu kreierte Spielanlage ist kein nostalgisches Stilmöbel, son<strong>der</strong>n ein hoch funktionaler<br />

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Barock.<br />

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